Andreas Hofer und der
Tiroler Freiheitskampf
von 1809
Ereignisse, Hintergründe, Nachwirkungen
Vorwort
»Ein bewaffnet Volk in den Bergen …«
Die freud-leidvolle Nachbarschaft der Länder Tirol und Bayern, der Krieg von 1703 und die Folgen
Gegen revolutionäre Ideen und Armeen
Das Herz-Jesu-Gelöbnis, der Krieg von 1796/97 und die Ereignisse von 1805, als deren Folge Tirol zu Bayern kam
Warum die Tiroler keine Bayern sein wollten
Tirol unter bayerischer Herrschaft und die Gründe für die Volkserhebung von 1809
Der »gefährliche« Sandwirt Andreas Hofer
Die ersten vierzig Jahre im Leben des späteren Tiroler Oberkommandanten
Wetterleuchten vor dem Sturm
Propaganda aus Wien und die Vorbereitung der Erhebung
Für Gott, Kaiser und Vaterland
Die erste Befreiung im April 1809
Gegen die Mordbrenner!
Die Wiedereroberung des Landes durch Bayern und Franzosen und die ersten beiden Bergiselschlachten (Mai 1809)
Kein Krieg und doch kein Friede
Hormayrs Zeit, das Wolkersdorfer Handbillett, der Waffenstillstand von Znaim und die Folgen (Juni/Juli 1809)
Zangenangriff auf das Herz Tirols
Die Kämpfe bei der Lienzer Klause, an der Pontlatzer Brücke und in der Eisackschlucht (Anfang August 1809)
»Der Abgrund kämpft gegen den Himmel …«
Die dritte Bergiselschlacht (13. August 1809)
Ein Bauernregiment in der Hofburg
Andreas Hofer als Statthalter des Kaisers
»Was wollen die Wahnsinnigen?«
Der Friede von Schönbrunn, die vierte Bergiselschlacht (1. November 1809) und Hofers spätes Einlenken
Dem bitteren Ende entgegen
Die Besetzung Bozens, Hofers Wortbruch, die Schlacht am Meraner Küchelberg (16. November 1809) und die letzten Kämpfe
Den Siegern ausgeliefert
Das Strafgericht, Andreas Hofers letzte Wochen und die Dreiteilung des Landes
Die Rückkehr zu Österreich
Befreiung, Enttäuschung und Normalisierung
Von Helden und ihren Denkmälern
Erinnerung, Mythos und politische Vereinnahmung
Anhang
Literaturhinweise
Bildnachweis
Als ich 2009 zum 200-Jahr-Jubiläum Verlauf, Hintergründe und Nachwirkungen des Tiroler Freiheitskampfes von 1809 in einem Büchlein zusammenfasste, stellte ich ganz bewusst – schon im Titel – nicht Andreas Hofer in den Mittelpunkt. Ich wollte damals zeigen, dass er einer unter vielen war, die mitgemacht, mitgekämpft, mitgelitten hatten. »Anno Neun« ist gut aufgenommen worden, erlebte mehrere Auflagen. Anlässlich von Vorträgen zum Thema wurde ich mehrmals nach Details aus dem Leben des Andreas Hofer gefragt, über die ich nichts geschrieben hatte. Deshalb plante ich, dem biographischen Aspekt in einer späteren Auflage mehr Raum zu widmen. Diese Absicht traf sich mit dem Wunsch des Haymon Verlags, das bewährte Büchlein zum bevorstehenden 250. Geburtstag Andreas Hofers in diesem Sinn zu erweitern und als Haymon Taschenbuch unter neuem Titel und reicher bebildert herauszubringen.
Es ging nicht darum, dem gewichtigen Standardwerk von Meinrad Pizzinini oder den beiden wissenschaftlichen Bänden von Andreas Oberhofer (siehe Literaturhinweise im Anhang) Konkurrenz zu machen. Meine Aufgabe war es, auf wissenschaftlicher Grundlage, aber komprimiert und anschaulich über den Menschen Andreas Hofer und seine politisch-militärische »Karriere« zu berichten, über die Ereignisse rundherum zu erzählen und ihre Ursachen und Nachwirkungen darzustellen und damit einer breiten und vielleicht auch eiligen Leserschaft jenes Wissen zu vermitteln, das notwendig ist, um sich eine eigene Meinung über Andreas Hofer und seine Zeit zu bilden. Denn obwohl seine Einflussnahme auf das Schicksal Tirols mehr als zwei Jahrhunderte zurückliegt und obwohl sein Status als »Freiheitsheld« unbestritten scheint, vermag der Sandwirt aus dem Passeiertal bei historisch interessierten Tiroler Bevölkerungskreisen immer noch heftige Diskussionen auszulösen.
So sehen ihn viele nur als religiösen Fanatiker und Fundamentalisten. Schaut man sich die historischen Fakten an, kommt man zur Erkenntnis, dass Andreas Hofer zwar tief religiös und konservativ war und in dieser Haltung unbeugsam und kompromisslos. Aber ein Fanatiker? Wohl nicht, freilich von Fanatikern leicht beeinflussbar und der konservativen Geistlichkeit hörig. Statt ihm seine Überzeugung vorzuwerfen, sollte man eher bewundern, dass er für sie mit ganzer Kraft eingetreten ist und für sie zu kämpfen bereit war, auch unter Opfern. Könnte ein Andreas Hofer, könnten seine Kampfgenossen in dieser Hinsicht nicht heute noch Vorbilder sein? Man muss ja nicht gleich zum Stutzen greifen. Oft reicht es, Zivilcourage zu zeigen, den Mund aufzumachen. Sich zu wehren, wenn in Gefahr ist, was man für wichtig und wesentlich hält, ist eine zu jeder Zeit aktuelle Tugend. »Kriegsheld« ist Andreas Hofer keiner, aber ein »Held« in der Bereitschaft, für seine Überzeugung zu kämpfen? Könnte man das gelten lassen? Muss man nicht. Wer braucht schon Helden! Aber wer doch einen haben will, hat mit Andreas Hofer nicht den schlechtesten erwählt. Trotz seiner Fehlentscheidungen und trotz seines Versagens in schwerer Stunde. Ja, vielleicht sogar deswegen. Denn es zeigt letztlich, wie unendlich schwer die Aufgabe war, für die er sich nicht aufgedrängt hatte, die ihm nicht den geringsten Vorteil brachte. Er hat sich ganz einfach der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt, als er gebraucht wurde, ohne Wenn und Aber.
Auch der Begriff »Freiheitskampf« ist umstritten und bei vielen Historikern heute fast verpönt. Ich verwende ihn weiter, weil ich keinen triftigen Grund sehe, auf dieses prägnante und vertraut gewordene Vokabel zu verzichten. Zwar kennen die Zeitgenossen den Begriff nicht, sie sprechen meist von »Insurrektion«, also von der »Erhebung« gegen die bayerische Herrschaft, und von der »Landesverteidigung« gegen die Wiederbesetzung. Nie ist in den Quellen von »Freiheitskämpfern« die Rede. Aber was spricht dagegen, die unhistorische, aber üblich gewordene Bezeichnung zu verwenden? Verfälscht sie die Geschichte? Sicher nicht. Freiheit heißt doch auch, so leben zu können, wie man es für richtig hält? Sich dafür und für seine Überzeugungen einzusetzen, auch gegen größte Hindernisse und mit den situationsbedingten Mitteln – das kann man doch als Freiheitskampf bezeichnen! Viel wichtiger, als über das Wort zu streiten, ist die Verbreitung von Wissen um die historischen Ereignisse und Zusammenhänge und damit einer Geschichtsfälschung durch Verklärung, Heroisierung oder Verdrehung der Tatsachen zugunsten politischer Propaganda vorzubeugen.
Es gibt sicher wichtigere Zeitabschnitte in Tirols Vergangenheit als das Jahr 1809, interessantere und spannendere wohl kaum. Um das zu erkennen, braucht es keinen Mythos Hofer, sondern nur ein Mindestmaß an Wissen um die Ereignisse und ihre Hintergründe. Dann lässt sich auch überprüfen, ob der Sandwirt und Anno Neun für uns heute noch etwas bedeuten können.
Innsbruck, im September 2017
Michael Forcher
Alle hundert Jahre einmal schlagen sie sich die Schädel ein, sonst sind sie fast zu gute Freunde. So hat einmal ein Kabarettist das Verhältnis zwischen Tirolern und Bayern charakterisiert. Die Wirklichkeit ist freilich vielschichtiger, komplizierter. Die manchmal zitierte »Erbfeindschaft« beschränkt sich im Grunde auf wenige – allerdings sehr leidvolle – Kriegsjahre im Mittelalter, zu Beginn des 18. und im frühen 19. Jahrhundert. Dazwischen waren die Beziehungen der beiden Länder trotz mancher politischer Spannungen und trotz gelegentlicher Streitigkeiten der Menschen beiderseits der Grenzen durchaus freudvoll, ja sie waren so intensiv und vielfältig, dass der Begriff »Freundschaft« nicht ausreicht, vielleicht sogar falsch ist. Man muss eher von Verbundenheit sprechen, von Gemeinsamkeiten. Deren Eckpunkte sind der intensive Bevölkerungsaustausch, starke wirtschaftliche Beziehungen nicht nur in grenznahen Regionen und vor allem die gegenseitige Befruchtung in Kunst und Alltagskultur.
Und trotzdem oder vielleicht gerade deswegen wollte die überwiegende Mehrheit der Tiroler nicht unter bayerischer Herrschaft leben. Der Tiroler Freiheitskampf von 1809 richtete sich nicht – wie immer noch viele meinen – gegen Napoleon, sondern gegen die aufgezwungene Angliederung des Landes an Bayern, das damals allerdings ein treuer und folgsamer Vasall des Franzosenkaisers war, und gegen die verhassten Maßnahmen der Münchner Regierung. Der Versuch, die Fremdherrschaft abzuschütteln, war – aus damaliger Sicht der Tiroler – kein revolutionärer Akt, sondern erfolgte im Rahmen des von Österreich an Bayern erklärten Krieges und in Absprache und mit Billigung, teilweise sogar mit militärischer und moralischer Unterstützung des habsburgischen Kaiserhauses, dem sich die Tiroler seit 450 Jahren zugehörig fühlten.
Die bayerischen Herzöge hatten im 13. Jahrhundert die Herauslösung ihres »Landes im Gebirge« und die Entstehung der reichsunmittelbaren Grafschaft Tirol hinnehmen und 1369 deren kurz zuvor vollzogene Verbindung mit den österreichisch-habsburgischen Ländern anerkennen müssen. Im Jahr 1500 gewann König Maximilian I. als Belohnung für seine Vermittlerrolle im innerbayerischen Erbfolgestreit die Gerichte Kufstein, Rattenberg und Kitzbühel für Tirol. Bald bildete sich auch hier eine tirolische Identität heraus, was der bayerische Kurfürst Max Emanuel bitter erfahren musste, als er 200 Jahre später im Verlauf des europaweit ausgetragenen Spanischen Erbfolgekrieges als Verbündeter Frankreichs in Tirol einmarschierte und wenigstens in den ehemals bayerischen Gebieten auf wiedererweckte altbayerische Gesinnung und entsprechende Unterstützung von Seiten der Bevölkerung hoffte. Sein Versuch, Tirol zu erobern, endete nach anfänglichen Erfolgen in einer schmählichen Niederlage – nicht gegen reguläres Militär, sondern gegen »ein bewaffnet Volk in den Bergen«, wie der Kurfürst seiner Frau nach München schrieb.
Die kriegerischen Ereignisse von 1703, von den Tirolern verharmlosend »Boarischer Rummel« genannt, hinterließen auf beiden Seiten tiefe Wunden. Und weil die Erinnerung daran auch über hundert Jahre gegenseitiges Misstrauen wachhielt, gehören sie zur Vorgeschichte der Geschehnisse von 1809.
Im Streit um das spanische Erbe war Bayern auf die Seite Frankreichs getreten. Kurfürst Max Emanuel erwartete sich davon größere Chancen auf Land- und Machtgewinn und holte die alten Ansprüche auf Tirol hervor. Dass kaum reguläre Truppen im Land standen und die Behörden sich trotz der offensichtlichen Gefahr eines bayerischen Angriffs nicht zu wirkungsvollen Verteidigungsmaßnahmen aufraffen konnten, musste ihn in seinem Vorhaben ermutigen.
Als am 15. Juni 1703 in Innsbruck die Nachricht eintraf, der Kurfürst ziehe mit 10.000 Mann eigener Truppen und 2500 Franzosen von Rosenheim gegen Tirol, war es natürlich zu spät, obwohl sich sofort tausende Bauern sammelten, um Munition zu fassen und Befehle entgegenzunehmen. Doch da stand das bayerische Heer schon vor Kufstein. Die starke Festung fiel durch einen Handstreich, kurz darauf war auch Rattenberg im Besitz der Angreifer. Das schwache österreichische Militär floh über den Brenner, und als der siegreiche Feldherr am 2. Juli mit großer Pracht in der Tiroler Hauptstadt einzog, huldigten ihm Regierung und Beamtenschaft als dem neuen Landesfürsten.
Die über das Verhalten der Obrigkeit empörte Landbevölkerung ließ sich aber nicht einschüchtern und stoppte am Brenner den bayerischen Vormarsch nach Süden. Da sich gleichzeitig im Inntal das Volk gegen die Besatzer erhob und in der Schlucht zwischen Landeck und Prutz eine bayerisch-französische Abteilung von den Schützen und Landstürmern der Umgebung aufgerieben wurde, musste der Kurfürst eilends umkehren, um sich den Rückweg offenzuhalten. Dies gelang durch die Eroberung von Tiroler Schanzen bei Kematen und am Fuß der Martinswand bei Zirl.
Aus Zorn über die bei diesen Kämpfen erlittenen Verluste brannten Max Emanuels Truppen die Dörfer dieser Gegend und zahlreiche Einzelhöfe nieder, vor dem Rückmarsch ins Innsbrucker Lager wurde geplündert und sinnlos gemordet. Angesichts der kampfbereiten Bauernscharen und einer anrückenden österreichischen Heeresabteilung entschloss sich der Kurfürst zum Rückzug über Seefeld und den Scharnitzpass. Am Abend des 26. Juli war Innsbruck wieder frei. Es war der Feiertag der hl. Anna, weshalb die Tiroler Landstände die später zum Dank für die Befreiung in der Innsbrucker Neustadt (heute Maria-Theresien-Straße) errichtete Mariensäule auch mit einer Statue der hl. Anna schmückten und eine jährliche Prozession dorthin am St.-Anna-Tag gelobten. So erhielt die Mariensäule im Volk den Namen Annasäule.
Bei der Verfolgung der bayerischen Truppen fielen Tiroler Sturmscharen im Gefolge des kaiserlichen Militärs nun ihrerseits in Bayern ein, um zurückzuholen, was ihnen vorher die Bayern genommen hatten. Natürlich traf es völlig Unschuldige, als nun vom Tegernsee bis zum Lech Klöster, Dörfer und Höfe in Flammen aufgingen, Viehherden weggetrieben und Häuser ausgeraubt wurden. Wenn jemand um Gnade und Erbarmen bettelte, sollen die Tiroler – so wird überliefert – ungerührt zur Antwort gegeben haben, das Rauben und Stehlen habe man nur von den Bayern gelernt. Als Landstürmer und Soldaten nach drei Tagen das Plündern beendeten, brachten sie viel Geld, wertvolle Sachgüter und 8000 Stück Rindvieh mit nach Hause, die allerdings zum Großteil zur Versorgung der Truppen verwendet wurden.
In der Kufsteiner Gegend dauerte die Schreckenszeit bis Herbst 1704, weil die Festung noch in bayerischer Hand blieb und beide Kriegsparteien abwechselnd über die Grenze zogen, um Dörfer zu zerstören und Beute zu machen. Dann kehrte zumindest in Tirol wieder Friede ein, als Bayern den Krieg gegen Österreich verlor und der Kurfürst ins niederländische Exil ziehen musste. Am 29. November 1704 verließ die unbesiegte bayerische Festungsbesatzung Kufstein. Die folgende Besetzung Bayerns durch die Österreicher mit all ihren negativen Auswirkungen hat mit der damals sehr leidvollen bayerisch-tirolischen Nachbarschaft nichts mehr zu tun. Der berühmte Bauernaufstand von 1705/06 mit der legendären Heldentat des Schmieds von Kochel richtete sich gegen das österreichische Besatzungsregime in München, und an der Niedermetzelung der bayerischen Freiheitskämpfer in der Sendlinger Mordweihnacht waren keine Tiroler beteiligt.
Die Tiroler Landstände richteten in den folgenden Jahren mehrmals an den Kaiser den Wunsch, er möge doch als Ausgleich für die erlittenen Schäden vom besetzten Bayern die fruchtbaren Landstriche am Inn abtrennen und sie mit Tirol vereinen, damit das Land seinen Bedarf an Getreide nicht länger im Ausland decken müsse. Trotz verschiedener Tauschpläne blieben jedoch im endgültigen Friedensschluss von 1714 die Grenzen zwischen Österreich und dem einem Staatsbankrott nahen Bayern unverändert. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern normalisierten sich zwar bald, Max Emanuels Sohn Karl Albrecht vermählte sich sogar mit einer Tochter Kaiser Josefs I., doch das gegenseitige Vertrauen war erschüttert. In Tirol versuchte man, die Grenzfestungen gegen Bayern in Ordnung zu halten, auch neue wurden gebaut, zum Beispiel im bisher fast ungeschützten Achental. Als Kurfürst Karl Albrecht während des Polnischen Erbfolgekrieges (1733–1735) eine unklare Haltung einnahm und mit Truppenaufmärschen die Unsicherheit vergrößerte, rückte das Tiroler Schützenaufgebot an die bayerische Grenze, was für das Land eine arge Belastung bedeutete, auch wenn es zu keinen Kampfhandlungen kam.
Schon ein paar Jahre später gab es wieder Krieg, da Karl Albrecht nach dem Tod des österreichischen Herrschers Karl VI. und dem damit verbundenen Aussterben der Habsburger im Mannesstamm Erbansprüche auf ganz Österreich stellte. 1741 drang der Kurfürst mit eigenen und französischen Truppen in Oberösterreich ein. Natürlich war auch Tirol in Gefahr, das Landesaufgebot wurde an die Grenze geschickt. Zu Kämpfen kam es jedoch zunächst nirgends. Karl Albrecht konnte Prag erobern und wurde zum deutschen Kaiser gewählt, doch sein Land war wieder einmal österreichischen Angriffen und Verwüstungen ausgesetzt. Die Tiroler überschritten die Grenze nicht, konnten sich also zugutehalten, an den Gräueln, die über ihre Nachbarn hereinbrachen, nicht schuld zu sein.
Dann wendete sich das Kriegsglück, 1744 kehrte Karl Albrecht als Kaiser Karl VII. nach München zurück. Damit wurde es auch an der Tiroler Grenze wieder brenzlig. Bei Windhausen wehrten die Schützen einen bayerischen Angriff ab. Am 20. Jänner 1745 starb Karl Albrecht, sein Nachfolger Max III. Joseph schloss in Füssen Frieden mit Österreich – und für das nächste mehr als halbe Jahrhundert wurden die tirolisch-bayerischen Beziehungen durch keine diplomatisch-dynastischen Verwicklungen und kriegerischen Ereignisse mehr getrübt.
Als von 1796 bis 1800 die europäischen Kriege gegen das revolutionäre Frankreich Tirol in Mitleidenschaft zogen, waren Bayern und Österreich noch verbündet. Fünf Jahre später stand das inzwischen mit der Pfalz vereinte Kurfürstentum auf der Seite des neuen französischen Kaiserreichs. Max IV. Joseph aus der pfälzischwittelbachschen Nebenlinie Zweibrücken hatte mit Napoleon ein Schutz- und Trutzbündnis abgeschlossen, als Siegespreis im bevorstehenden Krieg winkte – Tirol. Aber noch sind wir nicht so weit.
Ereignisse und Gedankengut der Französischen Revolution wurden auch in Tirol bekannt und heftig diskutiert. Dann brachten die revolutionären Armeen den Krieg ins Land. Als im Frühjahr 1796 der junge General Napoleon Bonaparte die Österreicher zum Rückzug aus der Lombardei gezwungen hatte, folgten zahlreiche Schützenkompanien dem Aufruf der beliebten Erzherzogin Maria Elisabeth, die als Äbtissin des adeligen Damenstifts in Innsbruck sozusagen das Herrscherhaus in Tirol vertrat, und zogen an die bedrohte Südgrenze. Am Monte Baldo zwischen Gardasee und dem Etschtal kam es Ende Juni 1796 zu den ersten Gefechten zwischen französischen Einheiten und den Tiroler Landesverteidigern. Hauptsächlich waren es Kompanien aus Lana, Villanders-Kastelruth, Brixen, Vintl und Taufers, die hier ihre Feuertaufe erlebten und dem vielfach skeptischen kaiserlichen Militär bewiesen, dass ihr Einsatz durchaus eine wichtige Verstärkung darstellte.
Den Feind von Tirol fernzuhalten, geboten nicht nur Freiheitsliebe und Patriotismus, sondern auch die Treue zu Religion und Kirche, die unter der Revolution in Frankreich und in den von ihren Armeen eroberten Ländern zu leiden hatten. Bezeichnend für die Stimmung im Land ist das am 1. Juni 1796 auf Anregung des Stamser Abtes Sebastian Stöckl von den in Bozen zusammengetretenen Ständevertretern beschlossene Gelöbnis, in Zukunft das Herz-Jesu-Fest besonders feierlich zu begehen. Die Verehrung des heiligsten Herzens Jesu war seit Mitte des 18. Jahrhunderts von den Volksmissionaren gefördert worden, wurde jedoch später von staatlichen und kirchlichen Aufklärern möglichst unterdrückt, ja sogar mit Verboten belegt, was viel Unmut auslöste. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Herz-Jesu-Gelübde, das bald schon als »Gottesbund« im alttestamentarischen Sinn aufgefasst wurde, größere Bedeutung. Offenbar ging es nicht nur darum, den Beistand Gottes im Kampf gegen äußere Feinde zu erflehen. Es war auch der Höhepunkt einer Auseinandersetzung mit Andersdenkenden im eigenen Land und an der Spitze des Staates.
Im Herbst 1796 entschloss sich Napoleon, seine Stellungen rund um die belagerte österreichische Festung Mantua durch einen Angriff auf Tirol abzusichern. Er marschierte nordwärts und besetzte Trient, erst bei Salurn konnte der Vorstoß von Militär und Schützen aufgehalten werden. Dass die französischen Soldaten bei ihrem Vorrücken nicht nur mehrere Ortschaften niederbrannten und landwirtschaftliche Güter verwüsteten, sondern auch Kloster und Kirche von Deutschmichel (San Michele all’Adige) plünderten, liturgische Geräte zerstörten, in frevelhafter Weise den Tabernakel aufbrachen und mit den heiligen Hostien ihre gotteslästerlichen Späße trieben, bestätigte den Tirolern die schlimmsten Gerüchte, die den Revolutionstruppen vorauseilten.
Anfang 1797 wurde die Lage für Tirol durch die Niederlage der Österreicher bei Rivoli am Fuße des Monte Baldo und den Fall Mantuas wieder bedrohlich. Denn Napoleon rückte jetzt mit der Hauptarmee über Friaul in Richtung Wien vor und ließ General Joubert zum Flankenschutz über das Etschtal, Eisacktal und Pustertal nach Kärnten marschieren. Die Abwehrlinien bei Salurn hielten dem neuerlichen Angriff nicht stand. Am 23. März erreichte Joubert Bozen, am Tag darauf Brixen, wo man einige Tage Rast einhalten wollte. Die kaiserlichen Truppeneinheiten und die einheimischen Landesverteidiger zogen sich nach Sterzing zurück, ließen von dort aus dem Feind keine Ruhe und verzögerten auf diese Weise dessen Weitermarsch.
Gefährlich wurde es für die Franzosen im Talkessel, als sie am 2. April von oben herab bedroht wurden. Der Tiroler Kommandant Philipp von Wörndle hatte nämlich am frühen Morgen an die 3000 Schützen und Landstürmer aus Innsbruck und den umliegenden Dörfern über das Valser Joch geführt, was General Joubert veranlasste, ihm drei starke Kolonnen entgegenzuschicken. So kam es zu jenem berühmten Gefecht beim Dorf Spinges, das nach anfänglichen Schießduellen zu einem blutigen Ringen Mann gegen Mann wurde und auf beiden Seiten große Verluste forderte. Die Landstürmer mit ihren »Mordwaffen« – so nannte man deren Ausrüstung aus Morgensternen, Nagelkeulen, Lanzen, nach vorn gebogenen Sensen, Knüppeln und Spießen – stürzten sich mit Todesverachtung in die »erschröckliche Bataglie«, wie der Kurat Thomas Leimgruber in seinem Bericht an den Brixner Bischof das Gemetzel nannte. Aber auch die den Schießstand gewohnten Scharfschützen mussten, weil das Nachladen viel zu lange dauerte, ihre Stutzen umdrehen und mit den Kolben auf die anstürmenden Soldaten dreinschlagen. Die meisten der gefallenen Franzosen – die Schätzungen schwanken mangels genauer Aufzeichnungen zwischen 600 und 1800 – starben auf diese Weise. Die Tiroler hatten 103 Tote zu beklagen, mehr als während aller späteren Bergiselschlachten.
Der Ausgang war im Grunde unentschieden. Zwar mussten sich die Tiroler schließlich vor der anrückenden französischen Verstärkung zurückziehen, doch hatten sie den Feind entscheidend geschwächt und ihm Angst und Schrecken eingejagt. Vom berühmten »Mädchen von Spinges«, der ladinischen Magd Katharina Lanz, die mit einer Heugabel in den Kampf beim Friedhof eingegriffen hat und die ermüdeten Männer zu neuer Entschlossenheit anspornte, weiß man wenig Gesichertes. Sie ganz in den Bereich der Legende zu verweisen, wie dies heute oft geschieht, negiert ihre Erwähnung in den schriftlich festgehaltenen Erinnerungen des Tiroler Kommandanten Philipp von Wörndle.
In den folgenden Tagen bedrängten die Tiroler den Feind aus allen Seitentälern heraus und vor allem über die Berghänge herab. Als die Lage für Napoleons General unhaltbar wurde, zog er mit seinen rund 1000 Mann in Richtung Lienz ab, um in Kärnten zur Hauptarmee zu stoßen. Auch in Lienz war es inzwischen zu Kämpfen gekommen, als von Kärnten aus französisches Militär die Stadt besetzte. Bauern der Umgebung wagten am Abend des 3. April einen Überraschungsangriff, vertrieben die Eindringlinge und besetzten die Schanzen am Kärntner Tor, um eine Rückkehr der Feinde zu verhindern. Doch die kamen nun von der anderen Seite, aus dem Pustertal. Es waren schlimme Tage für Lienz. Die Soldaten plünderten, und offiziell wurde die Lieferung von 36.000 Portionen Brot, 10.000 Rationen Fleisch, 30 Ochsen und 20.000 Maß Wein gefordert. Wegen der Vorfälle vom 3. April sollte die Stadt außerdem 100.000 Gulden Kontribution bezahlen. Als nur 24.000 Gulden aufgebracht werden konnten, nahmen die Franzosen bei ihrem Abzug am 13. April den Bürgermeister Josef Oberhueber und einige andere Lienzer als Geiseln mit.
Nachrichten aus Welschtirol, dass die Franzosen auch den Süden des Landes wieder geräumt hatten, steigerten Stolz und Selbstbewusstsein der am Kärntner Tor stehenden Landesverteidiger. Sie weigerten sich, die im Vorfrieden von Leoben zwischen Erzherzog Karl und Napoleon ausgehandelten Waffenstillstandsbedingungen anzuerkennen, weil die den Franzosen eine Wiederbesetzung des Lienzer Talbodens gestatteten. Fast wäre es wieder zu Kämpfen gekommen, doch das Läuten der Sturmglocken und Täuschungsmanöver der Tiroler veranlassten die anrückenden Kolonnen zur Umkehr, nachdem sie mit den Tiroler Anführern einen für beide Teile befriedigenden Kompromiss ausgehandelt hatten: Nur acht französische Offiziere nahmen symbolisch für ein paar Stunden Besitz von der Stadt, labten sich dort ausgiebig und zogen wieder ab. Die Lienzer Geiseln wurden nach Bezahlung von weiteren 12.000 Gulden freigelassen.
Der Friede von Campo Formio (heute Campoformido), der den Krieg zwischen Frankreich und Österreich im Oktober 1797 beendete, brachte für Tirol keine Veränderungen. Schon im März 1799 kam es jedoch zum zweiten Waffengang der antirevolutionären Staatenkoalition. Die Hauptkriegsschauplätze waren Süddeutschland und erneut Oberitalien. Nach Tirol stießen die Franzosen diesmal über Graubünden vor. Zwar wurden wieder die Schützen aufgeboten, um im Verein mit regulären Truppen die bedrohte Grenze zu sichern, doch konnten sie nicht verhindern, dass der Feind zeitweise den obersten Vinschgau und Nauders besetzte und fürchterlich wütete, u. a. wurden Glurns, Mals und Schluderns in Brand gesteckt.
Im Jahr darauf wurde Tirol gleich von drei Seiten angegriffen. Wieder leistete das Schützenaufgebot dem regulären österreichischen Militär wertvolle Hilfe. Eines der heftigsten Gefechte entbrannte am Heiligen Abend des Jahres 1800 bei Waidring. Ein zu Steyr abgeschlossener Waffenstillstand gab die südlichen Landesteile und wichtige Festungen im Norden den Franzosen preis. Ohne die Demarkationslinie zu beachten, besetzten die Franzosen sogar Meran. Zwar wurde endlich am 9. Februar 1801 in Lunéville ein neuer Friede geschlossen, der die alten Zustände wieder herstellte, doch dauerte es bis in den April hinein, bis sich alle fremden Truppen aus Tirol zurückzogen. Sie hatten, wie alle Kriegsereignisse der Jahre davor, dem Land großen Schaden zugefügt.
Dass zuletzt das Zusammenwirken der kaiserlichen Truppen mit dem Landesaufgebot nicht mehr richtig geklappt hatte, führte zu Überlegungen der österreichischen Heeresleitung, wieder mehr Wert auf das aus »Landessöhnen« gebildete Jägerregiment und auf die Landwehr oder Landesmiliz zu legen. Beide Truppenkörper, die zum regulären Militär gerechnet wurden, waren seit 1703 immer wieder umstrukturiert, neu gebildet und verschieden benannt worden. Jetzt schritt man an eine Neuorganisierung entsprechender Regimenter und die Gründung von Garnisonen, ein Vorhaben, das jedoch nur langsam anlief und bis 1805 erst zum Teil verwirklicht werden konnte.
Als vordringlich im Rüstungswesen betrachtete man auch den Ausbau der Festungswerke, eine Hauptaufgabe des im Herbst 1800 nach Tirol entsandten Erzherzogs Johann. Die Tiroler schlossen den leutseligen, damals erst 18-jährigen Bruder des Kaisers sofort in ihr Herz, was durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte und in den folgenden schweren Jahren der Fremdherrschaft und der Befreiungskriege handfeste Auswirkungen haben sollte.
Im Frieden von Lunéville konnte die Habsburgermonarchie den Länderbestand wahren, das Reich musste jedoch alle Gebiete westlich des Rheins an Frankreich abtreten. Zur Entschädigung der betroffenen Fürsten gingen die geistlichen Fürstentümer in ihren Besitz über. Der »Reichsdeputationshauptschluss« von 1802/03 führte auf diese Weise zu einer Vereinfachung der Landkarte Deutschlands. Wenig später wurden auch die Gebiete der reichsunmittelbaren Adeligen und Städte den benachbarten Fürstentümern einverleibt. Diese »Flurbereinigung« hatte auch für Tirol größte Bedeutung, gab es doch innerhalb der Grenzen des Landes zwei bis dahin offiziell selbständige geistliche Fürstentümer: Trient mit etwa 4100 qkm und 145.000 Einwohnern, Brixen mit nur 900 qkm und 26.000 Einwohnern. Durch Verträge mit der Grafschaft Tirol war allerdings die Souveränität beider Territorien seit Jahrhunderten eingeschränkt. Mit ihrer Einverleibung war ein Zustand beseitigt, der schon lange als unzeitgemäß galt. Von nun an waren die Bischöfe von Brixen und Trient keine Fürstbischöfe mit weltlichen Herrschaftsrechten mehr.
Salzburg hatte mit dem »Reichsdeputationshauptschluss« als selbständiges geistliches Fürstentum zu existieren aufgehört. Das Land wurde zum Herzogtum, das ein Bruder des Kaisers regierte. An den Grenzen zu Tirol änderte sich nichts: Das Brixental, das Zillertal, Windisch-Matrei, ein Teil des Defereggentals und Lengberg bei Lienz blieben bei Salzburg und wurden 1805, als Tirol zu Bayern kam, österreichisch.
Das komplizierte Gebilde des alten »Römisch-Deutschen Reiches« überdauerte die an sich sinnvolle Umstrukturierung von 1802/03 nur für kurze Zeit. Dass sich Bayern und einige deutsche Kleinstaaten unter dem Protektorat Napoleons zum »Rheinbund« zusammenschlossen und sich verpflichteten, dem Franzosenkaiser Kriegshilfe zu leisten, bedeutete praktisch die Auflösung des Reichsverbandes und veranlasste Kaiser Franz II., im Jahr 1806 die römisch-deutsche Kaiserkrone niederzulegen. Zwei Jahre zuvor hatte er den Titel eines Kaisers von Österreich angenommen (als solcher Franz I.), um ein Gegengewicht zum neuen Kaisertum Frankreich zu schaffen.
Für Tirol war die neue Situation besonders gefährlich, war doch sein nördlicher Nachbar durch die Einverleibung der geistlichen Fürstentümer bzw. Hochstifte Freising und Augsburg sowie einiger kleinerer Herrschaften und der Reichsstädte größer und mächtiger geworden und beherrschte nun die ganze Tiroler Nordgrenze, an der bisher auch die zu Freising gehörige Grafschaft Werdenfels (Garmisch-Partenkirchen) und das Hochstift Augsburg sowie eine Reihe reichsunmittelbarer Adeliger Anteil gehabt hatten. Und im Bündnis mit Napoleon konnte sich Kurfürst Max IV. Joseph aus der pfälzischen Zweiglinie der Wittelsbacher sogar noch mehr erwarten. Was dies für Tirol bedeutete, hatte man erst hundert Jahre früher bitter erfahren müssen.
So mancher Tiroler wird wohl Schlimmstes befürchtet haben, als Österreich im Bund mit Russland und England im Spätsommer 1805 neuerlich das Kriegsglück herausforderte. Tatsächlich ging alles schief. Der österreichische General Mack wurde – von Napoleon überrascht – bei Ulm eingeschlossen und musste am 17. Oktober kapitulieren. Tirol war in dieser Situation nicht mehr zu halten, doch wollte man zuerst noch hinhaltenden Widerstand leisten, um vielleicht den Vormarsch der Franzosen auf Wien zu bremsen. Immerhin waren die Tiroler Grenzfestungen in den vergangenen Jahren erneuert und ausgebaut worden. Tatsächlich konnte am 1. November der Versuch einer bayerisch-französischen Division, über den Pass Strub in Tirol einzufallen, von den Aufgeboten der Umgebung mit Unterstützung des regulären Militärs abgewehrt werden. Doch »knackten« kurz darauf zwei bayerische Förster die Sperrfeste in der Leutasch, indem sie mehr als 2000 Franzosen von Mittenwald aus über einen Gebirgssteig in den Rücken der Verteidiger führten. Gleichzeitig gelang es dem französischen Marschall Ney, die »Porta Claudia« in der Enge von Scharnitz sturmreif zu schießen. Als der dort kommandierende österreichische Oberstleutnant Swinburne erfuhr, dass er durch den feindlichen Einbruch in die Leutasch keine Rückendeckung mehr hatte, gab er auf.
Tirol stand den Franzosen offen. Reguläre Truppen waren nicht mehr im Land. Und auch das Landesaufgebot wurde auf Befehl Erzherzog Johanns wieder entlassen, um unnütze Opfer zu vermeiden. Freilich herrschte mancherorts ziemlicher Informationsnotstand, weshalb so manche Schützenkompanie in ihrer Stellung ausharrte, obwohl längst alles vorbei war. Am 5. November 1805 zog Marschall Ney in Innsbruck ein, am 7. November übergab die Kufsteiner Garnison die Stadt der bayerischen Division Deroy, die am Pass Strub gerade erst zurückgeschlagen worden war; zwei Tage später zog auch die Besatzung der Festung ab.
Napoleon war inzwischen ungehindert nach Wien marschiert, quartierte sich in Schönbrunn ein und feierte am 2. Dezember bei Austerlitz, wo sich Österreicher und Russen zur Entscheidungsschlacht stellten, einen grandiosen Sieg. Der österreichische Kaiser musste daraufhin auch härteste Bedingungen akzeptieren und am 26. Dezember 1805 im Frieden von Pressburg den Verlust von Tirol und Vorarlberg hinnehmen, die zu Bayern geschlagen wurden. Der Franzosenkaiser belohnte seinen Verbündeten, Kurfürst Max IV. Joseph, auch mit einer Rangerhöhung. Mit Wirkung vom 1. Jänner 1806 wurde Bayern zum Königreich erhoben. Und am 22. Jänner nahm König Max I. Joseph Tirol offiziell in Besitz.
Die Unterwürfigkeit und Schmeichelei, die eine Tiroler Delegation dem neuen Landesherrn gegenüber in München an den Tag legte, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Tiroler dem neuen Regime wenig Liebe entgegenbrachten. Alte Rivalitäten und frühere militärische Auseinandersetzungen waren nicht vergessen. Dass man auch mit der Wiener Regierung nicht immer zufrieden gewesen war, fiel angesichts des erzwungenen Herrschaftswechsels nicht ins Gewicht.
Die führenden Persönlichkeiten in München wussten sehr wohl, dass sie in Tirol nicht mit offenen Armen empfangen werden würden. Äußerungen des Staatsministers Montgelas und verschiedene Kommentare von anderer Seite lassen erkennen, dass den Bayern ein anderes Geschenk aus Napoleons Hand erwünschter gewesen wäre als Tirol, obwohl andererseits manche Historiker und Politiker gerade auf dieses Land ein zwar sehr altes, aber unverjährbares Recht zu haben glaubten. Doch Würzburg, das gerade zwei Jahre lang zu Bayern gehört hatte, jetzt aber wieder abgetreten werden musste, Salzburg, das Innviertel oder gleich das ganze Land ob der Enns (Oberösterreich) wären leichter zu verwalten gewesen und hätten obendrein mehr eingebracht. Wie dem auch sei, am Machtwort Napoleons, für den es darum ging, die strategisch wichtigen Alpenpässe im Besitz eines treuen Bundesgenossen zu wissen, war nicht zu rütteln.
Bayerns König Max I. Joseph empfand für seine neuen Untertanen aufrichtige Zuneigung und war nach Kräften bemüht, sie allen widrigen Umständen zum Trotz für sich zu gewinnen. Den Tiroler Abgesandten gegenüber zeigte er sich betont väterlich und herablassend. Er verstehe die Trauer der Tiroler über den Verlust eines guten Landesvaters und werde sich bemühen, ihn zu ersetzen. Er versicherte schriftlich, »daß Wir sie [die Tiroler] [so nannte man die Versammlung aller Ständevertreter im Landtag]