I Odysseus kommt zu den Phaiaken
Die Versammlung der Götter
Telemach
Bei Kalypso
Der Schleier der Leukothea
Odysseus vor Nausikaa
In der Stadt der Phaiaken
Gast des Königspaares
II Odysseus erzählt seine Irrfahrt
Die Schlacht mit den Kikonen
Vergessen bei den Lotophagen
Auf der Ziegeninsel
In der Höhle des Kyklopen
Die Eingeschlossenen befreien sich
Zweimal auf Aiolia
Unter den Steinen der Laistrygonen
Ein Jahr auf Aiaia
Am Eingang zum Totenreich
An den Sirenen vorüber
Zwischen Skylla und Charybdis
Auf der Insel des Sonnengottes
Querüber durchs Weltmeer
III Odysseus auf Ithaka
Poseidons Zorn
Odysseus erwacht in der Phorkysbucht
Odysseus bei Eumaios
Telemach in Sparta
Odysseus und Telemach
Der Plan der Freier
Odysseus geht in die Stadt
Odysseus vor den Freiern
Der Bettlerzweikampf
Gespräche am Feuer
Odysseus bei Penelope
Die Nacht vor dem Wettkampf
Die Freier beim Frühmahl
Die Freier versuchen den Bogen
Der Kampf
Penelope und Odysseus
Odysseus bei Laertes
Kampf und Versöhnung
Odysseus,
Sohn des Laertes, Gatte der Penelope, war König auf Ithaka. Sein Land, eine Insel im Ionischen Meer, war steinig und überstürmt von rauhen Wettern, jedoch der Fleiß und die Kunst seiner Bewohner hatten dem kargen Boden Korn, Oliven und Wein zur Genüge entsprie ßenund auf saftigen Weiden vielhundertköpfige Herden prächtigen Viehs, Rinder, Schafe, Schweine und Ziegen, heranwachsen lassen.
So lebte das Volk Ithakas in harter Arbeit und herbem Glück. Es liebte Odysseus, seinen König, der umsichtig, klug und verständigen Sinnes und wie schon sein Vater Laertes um einen guten Rat nie verlegen war. Ob seiner Schläue nannte man ihn allerorts Odysseus den Listenreichen.
Als die griechischen Stämme, zu denen auch die Bewoh ner Ithakas zählten, sich zum Krieg gegen Troja rüsteten und ihr Anführer auch von Ithakas König verlangte, ein Heer aufzustellen und mit ihnen zu Felde zu ziehen, weigerte sich Odysseus, sein Volk ins Schlachten zu führen. Er stellte sich wahn sin nig, als der Herold kam, ihn zum Kriegszug zu fordern. Er spannte eine Kuh und ein Schaf vor den Pflug – denn damals arbeiteten ja die Könige gleich den andern –, trieb das Gespann mit lächerlichen Reden an und säte Salz in die aufgeworfenen Furchen. Der Herold aber ließ das soeben geborene Söhnlein des Odysseus und der Penelope, Telemach mit Namen, in den Weg der Pflugschar legen. Als Odysseus dies sah, hielt er erschrocken den Pflug an. Da wusste der Herold, dass Odysseus nicht wahnsinnig war.
Odysseus rüstete also ein Heer, die Mannesblüte der Inseln – denn neben Ithaka gehörten auch die kleineren Eilande Same, Dulichion und Zakynthos zu seinem Reich –, und stach mit seiner Flotte in See. Zehn Jahre währte der blutige Kampf um Ilion, die Festung Troja, dann war, durch eine List des Odysseus, Troja besiegt, und die Überlebenden kehrten heim. Mit zwölf Schiffen und den fünfhundert Kriegern, die ihm nach dem männermordenden Schlachten um Ilion noch geblieben waren, begab sich auch Odysseus auf die Heimfahrt, doch da er und seine Gefährten zweimal den Zorn der Götter erregten – wir werden davon noch vieles berichten –, war es ihm nicht wie den anderen griechischen Fürsten vergönnt, seine Mannschaft in die Heimat zu führen. Zehn Jahre lang musste er von Fährnis zu Fährnis durch alle Schrecken und Greuel und Leiden treiben, die ein Mensch nur ertragen kann, und dabei all seine treuen Ka meraden und all seine Schiffe verlieren, um schließlich, zu einem Zeitpunkt, den die Götter zu bestimmen sich vorenthielten, elend und nackt als Fremder sein Vaterland wiederzusehn. Von den Abenteuern der qualvollen Heimkehr handelt dieses Buch.
Der Arbeit lag die Übersetzung
Johann Heinrich Vossens zugrunde.
Ich habe sie frei behandelt, habe weggelassen
und an einigen Stellen behutsam hinzugefügt.
Das Buch kann die Lektüre Homers nicht
ersetzen, es will zu ihm hinführen.
F.F.
Zehn Jahre waren vergangen, seit Odysseus mit seinen Gefähr ten von Troja die Heimfahrt angetreten, und noch immer war es ihm nicht gelungen, zu seinem Weib Penelope und seinem Sohn Telemach zurückzukehren. Das jammerte schließlich auch die Götter, denn wenn sie auch Unsterbliche waren, so fühlten sie doch ebenso wie Menschen fühlen, und Jammer und Erbarmen waren ihren Seelen nicht fremd.
Der einzige Unerbittliche war der Meergott Poseidon, der mit dem dreizackigen Speer alle Salzflut der Welt beherrschte. Er konnte Odysseus nicht verzeihen, dass er seinen, Poseidons, Lieblingssohn, den einäugigen Riesen Polyphem, geblendet hatte – auch davon wird noch vieles und Grausames zu berichten sein. Aus welcher Not auch immer Odysseus bei dieser Blen dung gehandelt hatte, Poseidon war nicht zu versöhnen; er hatte gelobt, Odysseus bis ans Ende seiner Jahre durch die schäumende See in immer neue und immer qualvollere Irre zu hetzen und ihn schließlich in Verzweiflung sterben zu lassen. Nach seinem Willen hätte Odysseus die Heimat nie wiedergesehen.
Nun fügte es sich, dass eines Tages im fernen Äthiopien, wo das Ende der Welt lag und die Menschen einen schwarz gelockten Doppelkopf trugen, Poseidon ein prachtvolles Opfermahl von hundert Stieren und Widdern bereitet wurde. Frohgestimmt eilte der Meergott dorthin und erfreute sich des duftenden Bratens, denn die Götter Griechenlands aßen und tranken wie die sterblichen Menschen auch, und sie aßen und tranken gern und viel und konnten, wenn der Opfervorrat reichte, eine Woche lang an der Tafel sitzen. Diesen günstigen Umstand nützte Zeus, der oberste aller Götter, der den Donner schüttelt und den Blitz auf die Erde hinabwirft und auf dessen Schultern der mächtige Adler sitzt, um eine Ratsversammlung aller Götter einzuberufen. So kamen denn die Himmlischen in ihrer Halle aus Wolken und Luft auf dem Gipfel des hohen Olymp zusammen, um über das weitere Schicksal des Odysseus zu beraten.
Pallas Athene, die Tochter des Zeus, die Schirmherrin der Stadt Athen und aller Künste und Wissenschaften, die dem verständigen und klugen Odysseus besonders zugetan war und ihm beistand, wo immer sie es vermochte, nahm als Erste das Wort. »Seht, ihr Unsterblichen«, so sprach sie und teilte mit einer Be wegung der Rechten den Nebeldunst, der die Erde und das Meer bedeckte, »seht, Unsterbliche, hinab auf die Insel Ogygia! Schon sieben Jahre schmachtet dort der unglückliche Odysseus in der Gefangenschaft der zauberkundigen Nymphe Kalypso, die ihn zum Mann begehrt und so lang um ihn zu werben gedenkt, bis er sie endlich erhören wird. Sieben Jahre schon widersteht der edle Dulder ihrem Begehren und sehnt sich heim zu seinem Weib und seinem Sohn und seinem Volk und sitzt am Strand und birgt den Kopf in die hohlen Hände und klagt und schluchzt, dass es die stummen Fische jammert – vermögt ihr solch Elend ohne Mitgefühl anzuschauen, ihr, die ihr doch Götter seid? Und seht nun, Unsterbliche, hinab auf die Insel Ithaka! Leer steht der Thron im Königspalast; verwaist liegt das Land und verödet die Fluren; eine Schar von wüsten Freiern, die zuchtlose Jugend des Königreiches, hat sich in Penelopes Palast niedergelassen und wirbt um die Hand der Gebieterin und damit um den Herrschersitz, denn alles Volk hält ja Odysseus für tot. Vier volle Jahre schon vergeuden diese Lotterbuben in schamlosen Gelagen den Reichtum des Landes, schlachten das Vieh ab, leeren den gehüteten Keller, zwingen Knechte und Mägde, ihnen zu dienen, und bald werden sie auch die edle Penelope, die ihnen vier Jahre tapfer widerstanden hat, zwingen, mit einem der Freier das Lager zu teilen. Erbarmt euch, Unsterbliche, wenigstens Penelopes, wenn ihr schon Odysseus mit Zorn verfolgt. Erbarmt euch des Jünglings Telemach, er barmt euch des Volkes von Ithaka! Erbarmt euch auch des Dulders selbst!«
So sprach Athene, und die Götter hörten sie an, und Tränen traten in ihre Augen, denn die Götter Griechenlands litten und liebten wie Menschen auch. Sie alle sprachen für die Heimkehr des Odysseus, und schließlich erhob sich Zeus, das Urteil zu sprechen.
»Poseidon wolle seinen Groll bezähmen und unserem Willen gehorsam sein«, verkündete er. »Odysseus soll nun in die Heimat zurückkehren und die Freier vertreiben, darum möge meine Tochter Athene nach Ithaka eilen, um Telemach Mut und Kraft zu geben und ihn auf die Rückkehr des Vaters vorzubereiten; Hermes aber, der Götterbote mit den geflügelten Schuhen, möge nach Ogy gia reisen und der Nymphe Kalypso unser Gebot überbringen, Odysseus freizugeben und ihm zur Heimkehr zu verhelfen. So soll es unser Wille sein!«
Es geschah, wie Zeus es ausgesprochen. Athene eilte nach Ithaka und suchte in der Gestalt eines Sterblichen, des väterlichen Freundes Mentor, Telemach auf, der traurigen Herzens unter den zechenden Freiern weilte, die in der hohen Halle auf Schaffellen hockten und sich mit Brettspielen die Zeit vertrieben. Als der Jüngling den Fremden unterm Tor stehen sah, sprang er auf und eilte zu ihm, ihn in den Palast zum Mahl zu laden. Die Göttin in Mentors Gestalt folgte der Einladung gern. Telemach reichte dem Gast von den besten Speisen und würzigsten Weinen und beklagte dabei bitterlich den Tod des Vaters und das Hausen der Freier; Athene aber bedeutete ihm, es sei wohl möglich, dass sein Vater noch lebe und zurückkehren und seinem Sohn im Kampf gegen die Freier beistehen werde, den Telemach mit eigener Kraft nun beginnen müsse. Da sie dies sprach, berührte sie die Schulter des Jünglings, und Telemach fühlte einen Strom von Mut und Zuversicht in sein Herz fließen; es war ihm, als spannten sich all seine Muskeln und Nerven, und er atmete tief und hob das Haupt. »Ermanne dich, Telemach«, sprach Athene, »du bist doch schon in dem Alter, da man zu den Kriegern zählt! Warte drum nicht tatenlos ab, ob der Vater zurückkehrt, rufe schon morgen das Volk zur Beratung zusammen und verlange, dass die Rotte der Freier den Palast räumt und, statt herumzuprassen, die Felder und Äcker bestellt! Dann aber rüste noch zur Nacht ein Schiff und eile nach Pylos und von dort weiter landein nach Sparta, um nach deinem Vater zu forschen. Vielleicht erfährst du von seinem Schicksal, wenn nicht, so fahre getrost nach Ithaka zurück, ich werde dir immer Beistand leisten!« Dies aber sprach sie nicht nur, weil sie wusste, die Freier würden Telemach töten, wenn er jetzt daheim bliebe; sie wollte vor allem, dass der Jüngling auf der Meerfahrt und in fremden Landen zum Manne reife. Dann verwandelte sie sich aus der Gestalt Mentors in einen Vogel und flog durch den Kamin himmelwärts. Da wusste Telemach, dass es ein Gott gewesen war, und er fühlte sich gestärkt und gekräftigt wie nie zuvor.
Am nächsten Tag rief er – was zwanzig Jahre nicht mehr geschehen war – das Volk zur Ratsversammlung zusammen und forderte dort die Räumung des Königspalasts und das Ende der Gelage. Der Freier aber waren über hundert, und so verlachten und verhöhnten sie den jungen Eiferer und kehrten zu Gesang und Tanz und Flötenspiel zurück und befahlen, das Doppelte an Hornvieh zum Festschmaus zu schlachten, als es an andern Tagen üblich war.
Am Abend stach Telemach heimlich mit zwölf Getreuen in See und steuerte den Hafen von Pylos an. Als die Freier am nächsten Morgen die Flucht Telemachs gewahrten, schrien sie Verrat, und Antinoos, der lärmendste und frechste von ihnen, sprang auf und rief: »Ein Schiff gerüstet, Freunde, und dem Treulosen nachgesetzt! Gestern hat er das Volk wider uns aufgewiegelt; heute fährt er umher, ein Heer gegen uns zu sammeln; morgen bricht er mit fremden Kriegern ins eigene Vaterland ein! Und seine Mutter, die schöne Penelope, ist die Treuloseste von allen: Hat sie sich nicht als Frist bis zur Hochzeit die Zeit ausbedungen, die sie braucht, ihr Brautkleid fertig zu weben, und haben wir sie nicht vier Jahre lang Tag um Tag we ben und dennoch nicht fertig werden sehen und um Gründe für solch ein Wunder gerätselt? Nun liegt alles klar auf der Hand: Eine Magd, die mir sehr zugetan ist, hat die Herrin beobachtet, wie sie zur Nacht heimlich wieder auftrödelte, was sie am Tage gewebt hatte – Freunde, ringsum ist schnöder Verrat am Werk, und der sei nun zu Ende!«
Die Freier schrien vor Empörung auf, als sie dies hörten. Von einem arglosen Schwätzer hatte Antinoos bald erfahren, dass Telemach nach der Hafenstadt Pylos und dann weiter landein nach Sparta reisen und selben Wegs zurückkehren wolle. Telemach jetzt nachzusetzen sei nicht mehr möglich, meinte Antinoos, der Wind wehe jetzt aus ungünstiger Richtung; man möge aber, so riet er, in die Meerbucht, die Ithaka von Same trennt, einen Segler auf Lauer legen und den Jüngling samt seinen Begleitern auf der Rückfahrt überfallen und erbarmungslos in Stücke haun. Penelope aber wolle man noch eine Frist von vierzig Tagen zugestehen, sich zu entscheiden; habe sie bis dahin ihre Wahl nicht getroffen, möge statt ihrer das Los bestimmen, wer den Platz auf ihrem Nachtlager und Ithakas Königsthron einnehmen solle.
Hermes eilte, wie die Götterversammlung ihm aufgetragen, zur Nymphe Kalypso. Wie eine Möwe über die Wasser fliegt und von Zeit zu Zeit ihr Gefieder in den Wellen netzt, so flog der Götterbote in Windeseile über das Meer hin, und seine geflügelten Schuh streiften oftmals die Wogenkämme, dass der Gischt bis zu den Wolken sprühte. In den Händen trug Hermes den berühmten, von zwei Schlangenleibern umwundenen Flügelstab, der ihm als Führer diente und der ihn nun über die Unendlichkeit der Wasserwüste zur fernen Insel Ogygia zog.
Als Hermes das Ufer betrat, war es ihm, als ob er ein Schluch zen und Klagen höre, allein er achtete nicht darauf und drang rasch ins Innre der Insel, bis er vor der Behausung Kalypsos stand. Er fand die Nymphe vor ihrer Wohngrotte sitzen; ihr langes braunes Haar wallte in schöngeschwungenen Locken bis auf die Schultern, und mit ihren schmalen schneeweißen Händen wirkte sie, den Faden von einer goldenen Spule abhaspelnd, ein Festgewand. Auf einem dreifüßigen Herd zu ihren Füßen brannte ein offenes Feuer aus Zedern- und Zitrusbaumscheiten, das ebenso köstlichen Duft wie Wärme spendete. Rings um die Grotte erhob sich ein Hain von Pappelweiden, Zypressen und Erlen, in deren grünenden Kronen Habichte, Eulen und Falken nisteten, und über der Grotte spross, sie überwuchernd, ein Weinstock, der schwere purpurfarbene Trauben trug. Vier Quellen ergossen sich aus dem Felsen und strebten zum Meer hin, und wo immer sie über die Erde flossen, keimten an ihren Rändern Klee, Eppich und Rosmarin.
Staunend stand Hermes vor dieser blühenden Pracht, und als nun die Nymphe mit ihrer silbernen Stimme zu singen anhob, hätte er noch gern Eine Weile lauschend gestanden, allein Ka lyp so hatte ihn schon gewahrt und fragte ihn nach seinem Begehr. Sie lud ihn an einen Tisch im Freien und reichte ihm auf goldenen Schüsseln Am bro sia, die Lieblingsspeise der Götter, und schenkte rötli chen Nektar aus, einen Wein, den die Himmlischen allen andern Getränken vorziehn, da er ihnen Unsterblichkeit verleiht. Hermes, von der langen Wanderung erschöpft, aß und trank nach Herzenslust, dann unterbreitete er der Nymphe Zeus’ Gebot. Kalypso erschrak, da sie diese Wor te hörte. Sie barg ihr Gesicht in den Händen, seufzte tief auf und sprach: »Ach, wie grausam und neidisch seid ihr doch, ihr thronenden Götter da droben! Keiner der Euren gönnt ihr das Glück der Liebe mit einem Sterblichen und vergnügt euch doch selbst ohne Scham mit den Töchtern der Erde! Aber was bleibt mir übrig, als das Gebot des Herrschers zu erfüllen. Furchtbar wäre sonst seine Rache. Möge Odysseus denn nach Ithaka reisen – ich will ihm sogar Rat und Tat zur glücklichen Heimfahrt leihn!«
Sie sprach dies und eilte zum Strand hinunter, wo, wie alle Tage, Odysseus weinend und schluchzend saß und über die schimmernde Flut sehnsuchtsvoll in die Richtung blickte, in der die unerreichbare Heimat lag. Die Göttin – denn auch die Nymphen gehörten zu den Unsterblichen, wenngleich sie auch im Rang weit niederer waren als die Himmlischen, die den Olymp bewohnten – reichte ihm eine doppelt geschwungene Axt aus gehärtetem Eisen, an einem Stiel aus Olivenholz befestigt, und sprach: »Sieh hier, Odysseus, ich überbringe dir das sichere Unterpfand deiner Heimkehr! Zeus hat mir befohlen, dich freizugeben, und stärker als meine Liebe zu dir ist die Furcht vor dem Zorn des Göttervaters! Lass darum ab zu jammern, nimm die Axt zur Hand und mach dich ans Werk und fälle Pappeln und Tannen, schäle die Stämme dann ab und verklammere sie zu einem Floß, wälz es mit Hebeln und Rollen an die Küste und steche getrost in See, ich will dir günstige Winde senden, die dich wohlbehalten zu deinem Vaterland bringen werden!«
Des Odysseus Herz jubelte, als er diese Worte vernahm; er ergriff die Axt und fuhr prüfend mit dem Nagel über die Schneide, dann machte er sich sogleich an die Arbeit und mühte sich rastlos vier Tage und vier Nächte lang. Er fällte zwanzig Bäu me, zehn Pappeln und zehn Tannen, hieb die Äste ab, kappte Wurzeln und Kronen, entrindete die zu gleicher Länge gehauenen Stämme und verband sie dann mit eisernen Nägeln und Klammern, hierauf zog er einen Bord von Pfählen um das so gewonnene Verdeck und nagelte um dies Gerüst fugenlos Bretter zu einer festen Brüstung, und schließlich richtete er in der Mitte des Floßes den Mastbaum mit der Rahe auf, bestückte ihn mit einem Segel aus schwarzem Leinen, beschwerte das Deck mit Ballast aus Steinen und Sand, setzte das Steuerbrett ein und wälzte darauf mit Hebeln und Rollen das Schiff zur Küste. Dann aber eilte er zur Nymphe Kalypso in die weinlaubverhangene Grotte, und wenn er, ihrem Willen zu trotzen, sieben Jahre lang Nacht um Nacht neben der Göttin geruht hatte, ohne sie zu berühren, schloss er sie nun zum Abschied in die Ar me, und sei ne wettergehärtete Wange lag auf der ihren wie die Last eines Schiffs auf der weichen seidenen See.
Am nächsten Morgen – es war dies der zwölfte Tag nach der Beratung der Götter, und Telemach war gerade in Sparta eingetroffen – schob Odysseus sein Floß in die See. Die Nymphe hatte ihn mit einem Gewand aus Purpur und Goldstaub bekleidet und zwei Ziegenfellschläuche kräftigen Weins, einen Schlauch klaren Quellbrunnens und einen geflochtenen Korb voll der herrlichsten Speisen aufs Deck gelegt, und nun befahl sie dem lock ren Südwest, das Segel mit vollen Backen zu blähen, und sie mahnte ihn auch, nicht zu erlahmen, ehe Ithaka erreicht wor den sei. Leicht glitt das Floß in die silberne Meerflut hinaus, und siebzehn Tage lang schwamm, vom gleichmäßig we henden Wind getrieben, Odysseus über die unendliche, sanft gekräuselte Weite dahin und konnte am achtzehnten Tag das Land der Phaiaken, das Zwischenziel seiner Fahrt, am Horizont dunkel und wie ein Schildknauf gebuckelt erblicken, da kehrte mit gewaltig ausholenden Schritten Poseidon, der Herrscher des Meeres, aus dem fernen Äthiopien in die heimatliche Ägäis zurück. Er stutzte, als er Odysseus – er erkannte ihn sofort – auf einem Segler erblickte, und das Herz grimmte ihn, und er schüttelte zornig das Haupt. Also haben die Götter mich übertölpelt, da ich in dem fernen Äthiopien weilte, dachte er wütend, aber ich bin, mein Odysseus, gerade zur rechten Zeit gekommen; du sollst, elender Frevler, wahrhaftig noch Jammers die Fülle kosten!
Also dachte er und griff mit der Linken in den Himmel und fegte alles Gewölk zusammen; zugleich rührte er mit der Rechten, in der er den Dreizack hielt, das Meer wie einen Topf, bis es wallte und siedete, und er presste die Wolken aus wie Schwäm me, dass die stürzende Flut den Tag verdüsterte, und zugleich brüllte er nach allen Winden, und sie schnoben und brausten und heulten gehorsam heran, und Meer und Sturm und Sturzflut vom Himmel mischten sich ineinander und klatschten mit einem ungeheuren Schlag über Odysseus’ Floß. Da wusste der Dulder, dass Poseidon ihm nachstellte, und wollte mit bittren Worten sein Schicksal verfluchen, aber er hatte die Lippen noch nicht geöffnet, da donnerte die tosende Woge schon auf ihn nieder und schlug ihm das Steuer aus den Händen, und