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Vorwort

Wir alle haben eine gewisse Vorstellung von den Vereinigten Staaten von Amerika*, egal ob wir schon einmal dorthin gereist sind oder nicht.

Die USA provozieren: Man ist Amerika-Hasser oder Amerika-Fan oder beides. Das Land lässt einen nicht kalt. Als Superpower, größte Wirtschaftsmacht der Welt und Kulturexporteur Nr. 1 sind die USA in unseren Medien allgegenwärtig. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht von den USA hören, sei es Irakkrieg, Finanzkrise oder Oscar-Verleihung. Wir sind betroffen von Politik und wirtschaftlicher Entwicklung der USA, der Höhe des Dollarkurses. Wir beobachten Wahlen und konsumieren amerikanische Spielfilme. Jeans, Kaugummi, Hamburger und Coca Cola – viele ursprünglich amerikanische Produkte sind für uns alltäglich geworden.

Allen, die das Land und die Menschen, die weltweit einen so großen Einfluss haben, besser verstehen möchten, gibt dieses Buch wichtige Informationen und erklärt amerikanische Erscheinungen.

Die Amerikaner sind fast ausnahmslos freundlich und hilfsbereit und glauben auf beinahe kindliche Weise an ihre Träume und deren Umsetzung. Es liegt mehr Leichtigkeit in der Luft. Pursuit of Happiness, das Streben nach Glück und Erfolg, steckt USA-Besucher leicht an. Verbunden mit selbstverantwortlichem Handeln und harter Arbeit streben die Amerikaner nach der Erfüllung ihres American Dream.

Faszinierende Skylines in den Großstädten, endlose, kaum besiedelte Weiten, fruchtbares Ackerland, in der Hitze flimmernde Wüsten, Nationalparks mit atemberaubender Schönheit – ein grandioses, vielschichtiges Land tut sich auf. In multikulturellen Städten wie New York trifft man auf Menschen aus aller Welt. Durch Amerika zu reisen bedeutet, der Spur der Lebendigkeit zu folgen. Ständig stößt der Besucher auf Neues und Unerwartetes. Doch so sehr das Land den Reisenden auch fasziniert und einnimmt, wird es doch genauso Ernüchterung und Abwehr hervorrufen. Wie kann ein so schönes und lebensfrohes, ein so innovatives und offenes Land mit derart extremen Gegensätzen leben? Wer Reichtum gesehen hat, findet auch deprimierende Armut. Neben den marmorbekleideten, modernen Palästen eines Trump Towers suchen Obdachlose mit ihren Kartons einen Unterschlupf für die Nacht oder wärmen sich auf Abluftschächten. Es gibt Gettos – arme, verwahrloste Gegenden, wo Elend, Drogensucht und Kriminalität angesiedelt sind – in die man als Tourist besser nicht vordringt. Neben der wegweisenden Hochhausarchitektur sieht der Reisende Bauten, die jegliche städtebauliche Fantasie vermissen lassen. Der Offenheit der Menschen steht das Großmachtgehabe der USA gegenüber und der kulturellen Vielfalt eine Monokultur und der Plastikeinheitsbrei von McDonald’s und Burger King. Gilt der weiße Mann immer noch als besserer Amerikaner, obwohl es einen afroamerikanischen Präsidenten gibt? Ist die Gesellschaft unsozial, das Umweltverhalten rücksichtslos? Wie soll ein Fremder mit diesen gegensätzlichen Eindrücken zurechtkommen?

Dieses Buch nimmt den USA-Interessierten an die Hand und macht Dinge verständlich, die zunächst einmal befremden. Wenn man die Entstehungsgeschichte der Nation kennt, die Zusammenhänge hinter den Phänomenen erfasst, kann man verstehen, warum sogar der ärmste Slumbewohner stolz ist, Amerikaner zu sein. Die Schlüsselwörter zu diesem Verständnis sind Akzeptanz, Einfühlungsvermögen, die Bereitschaft, Andersartigkeit zuzulassen und die Einsicht, dass Amerika ein anderer Kulturkreis ist – auch wenn wir irrtümlicherweise glauben, dass er unserem eigenen gleicht.

Pflegen Sie geschäftliche Kontakte in Amerika, werden Sie erstaunt sein, dass der Chef seine Bürotür häufig offen hat, seinen Kaffee selbst kocht und die Mitarbeiter ihn mit Vornamen ansprechen. Gibt es in diesem Land keine Hierarchien? Hat ein Vorgesetzter überhaupt etwas zu melden? Auch darauf erhalten Sie Antworten. Sie finden wichtige Hinweise für Ihre geschäftlichen Aufenthalte in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Etliche Verhaltensweisen der Deutschen und Amerikaner scheinen sich ideal zu ergänzen oder auszugleichen: Der Pragmatismus der Amerikaner mit der Gründlichkeit der Deutschen, die Freundlichkeit und Leichtigkeit der Amerikaner mit der schroffen Direktheit und tiefgründigen Strenge der Deutschen, das Eigenlob der Amerikaner und ihr Patriotismus mit den Identitätsschwierigkeiten der Deutschen.

Dieses Buch wird Sie in die unterschiedlichsten Bereiche des amerikanischen Lebens einführen, zum Verständnis für Land und Leute beitragen und Lust auf das Kennenlernen einer einzigartigen Nation machen.

Viele Entwicklungen, von denen Sie hier lesen und die Sie im Land erfahren – neue Dienstleistungen, originelle Geschäftsideen, trendige Musik, Akzente in den Medien und im Internet, wegweisende technische Neuerungen, ja sogar die verhängnisvollen Wege in die Fettleibigkeit – setzen sich mit einiger Verspätung auch bei uns durch.

Sie werden merken: Kultur ist für uns selbstverständlich, wie für den Fisch das Wasser und erst im Kontakt mit der Fremde erkennt man die Unterschiede und damit auch die eigene Identität.

Ingrid Henke

*USA oder Amerika: Wegen der besseren Lesbarkeit werden die Vereinigten Staaten von Amerika oder USA/United States of America in diesem Buch häufig verkürzt als Amerika bezeichnet und die US-Amerikaner als Amerikaner.

Inhalt

Vorwort

Verhaltenstipps von A bis Z

Kulturhistorische Entwicklung

USA – ein junger Staat

Die religiösen Ursprünge Amerikas: Prägung durch den Puritanismus

Vom Pursuit of Happiness zum American Dream

Glaube an den Erfolg – Mythos Success

Kontinentale Ausbreitung – Mythos Frontier und Manifest Destiny

Immigration – Melting Pot versus Multikulti

Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – Mythos Opportunity

Das Land des Überflusses braucht Nachschub – Mythos Plenty

Der Unschuld entwachsen – Mythos Innocence

Ein Mythos ist ein Mythos – Mythos Unverwundbarkeit

Einschneidende Ereignisse im 21. Jahrhundert

Verhaltenstendenzen der Amerikaner

Die amerikanische Gesellschaft

Amerika – das Land der ethnischen Vielfalt

Die Regionen und ihre Besonderheiten

Religionen und Konfessionen heute – One Nation Under God

Die Familie als Rückzugsort – amerikanische Familienwerte

Held oder Loser, Barbie oder Superfrau? – Männer und Frauen in der Gesellschaft

Wissenselite oder Bildungsproletariat? – das amerikanische Schulsystem

Happiness is a warm Gun! – Sicherheitsbedürfnis, Freiheitsgefühl und Waffenfetischismus

Freiheit und Gerechtigkeit für alle!? – Kriminalität in den USA

Cheers! Prost! – alkoholische Getränke in den USA

Marlboro Country – bald ohne Rauchzeichen?

Popkultur als neue Manifest Destiny? – die Medien im täglichen Leben

Wirtschaft und Politik

Spezifisches der US-Wirtschaft

Arbeitswelt und Sozialwesen

Steuern

Rechtswesen

Politisches System und Wahlen

Die Polizei – dein Freund und Helfer!?

In the Army now! – Militär und Berufsarmee

Amerikanischer Alltag

Zwei typisch amerikanische Tugenden!? – Erfolg und Mobilität

Höher, schneller, weiter – Driving und Verkehr in den USA

Shop till you drop! – Amerikaner beim Einkaufen

You are what you have! – Geld und Identität

Keep it clean! – Amerikaner und die Hygiene

Prüderie – pack die Badehose ein

Sport – The winner takes it all

Amerikanische Feste und Feiertage

Essen und Trinken

Deutsch-amerikanische Urteile, Vorurteile und Klischees

Amerikanisches Auftreten – Etikette

Verhaltensregeln, um sich nicht in Gefahr zu begeben

Geschäftsleben in den USA

Anhang

Literaturtipps

Internettipps

Register

Übersichtskarte: Bundesstaaten der USA

Die Autorin

Extrainfos im Buch

ergänzen den Text um anschauliche Zusatzmaterialien, die von der Autorin aus der Fülle der Internet-Quellen ausgewählt wurden. Sie können bequem über unsere spezielle Internetseite www.reise-know-how.de/kulturschock/usa16 durch Eingabe der jeweiligen Extrainfo- Nummer (z. B „#1“) aufgerufen werden.

Exkurse zwischendurch

Puritanische Eigenschaften der Amerikaner

David „Davy“ Crockett und Daniel Boone – zwei typische Nationalhelden der Frontier

Deutsche Einflüsse in Amerika – berühmte Deutsch-Amerikaner

Geschichte der USA im Überblick

Die jüdischen Schtetl in Williamsburg und Crown Heights/Brooklyn

The Dating Game – Spielregeln beim Date

Die Ivy League – Eliteuniversitäten als Vorbild

Die Todesstrafe – immer öfter für Arme und Minderheiten?

Prohibition – ein Leben ohne Alkohol?

Hollywood – Amerikas Exportschlager Nr. 1

Gesundheit und Krankheit – Tipps beim Reisen

Richtiges Verhalten bei einer Polizeikontrolle

Die legendäre Route 66

Kreditkarten – Erlösung oder Ruin?

Skurrile Gesetze, Relikte vergangener Zeiten und neue Trends

Besonderheiten der amerikanischen Profi-Ligen

Erfolg heiligt die Mittel? – Doping in den USA

Amerikanische Tischsitten

Trinkgelder

Fastfood in den USA

Die offiziellen Richtlinien für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Die wichtigsten Regeln im Arbeitsleben

Bildnachweis

Die Kürzel an den Abbildungen stehen für folgende Fotografen und Institutionen. Wir bedanken uns für ihre freundliche Abdruckgenehmigung.

ihIngrid Henke (die Autorin)
jmJeanette Mueller
fowww.fotolia.de
dtwww.dreamstime.com

Umschlag (vorne): www.dreamstime.com © Americanspirit
Umschlag (hinten): www.dreamstime.com © Mb2006

Verhaltenstipps von A bis Z

Armut und Bettelei: Das soziale Netz ist durchlässiger als in Deutschland, insofern sind Armut und Bettelei in Großstädten weit verbreitet. Wenn man nicht gerade seine Spendierhosen anhat, sollte man den Blickkontakt mit Bettlern vermeiden. Manche sind Profis und werden aufdringlich. Wenn Sie etwas geben möchten, am besten Kleingeld oder 1-Dollarnoten in der Hosentasche aufbewahren und von dort nehmen. So sieht nicht jeder, wo Sie Ihr Portemonnaie aufbewahren.

Ausländer/Touristen: Der Umgangston ist generell freundlich. Als Ausländer fällt man nicht so schnell auf, denn die Gesellschaft ist multiethnisch. Outet man sich jedoch als Tourist und findet sich nicht zurecht, wird einem freundlich weitergeholfen. Hat man die Orientierung beim Autofahren verloren, kann es sogar sein, dass sich jemand die Zeit nimmt und mit dem eigenen Auto vorfährt, um den Weg zu zeigen.

Alkohol: Alkoholkonsum ist stark reglementiert. Zum Verkauf wird eine Lizenz benötigt. Dies hat zur Folge, dass in preiswerten Lokalen oft kein Alkohol ausgeschenkt wird. In den meisten Supermärkten kann man keine Spirituosen, sondern nur Bier und eventuell Wein kaufen, manchmal auch nur tagsüber. Spirituosen bekommt man in Liquor Stores (staatlich lizensierte Geschäfte). Alkohol darf ab 21 Jahren erworben und konsumiert werden, häufig dürfen sich junge Leute unter 21 bzw. 18 Jahren auch nicht in Bars o. ä. Einrichtungen mit Alkoholausschank aufhalten. Wenn man die Trinkreife gerade erst erreicht hat, sollte man einen Ausweis dabei haben. Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit wird nicht gerne gesehen. Zur „Tarnung“ wird deshalb Alkohol in kleinen braunen Papiertüten versteckt, aus denen dann heimlich getrunken wird. Im Auto transportiert man Alkohol am besten im Kofferraum, damit nicht der Eindruck entsteht, dass man während der Fahrt trinkt. Das gilt besonders für geöffnete Alkoholflaschen. Von Bundesstaat zu Bundesstaat, selbst von Stadt zu Stadt und County zu County gelten zudem unterschiedliche Regeln (mehr zum Thema s. S. 142).

Anrede: Wenn man sich vorstellt, nennt man den Vornamen. Bei geschäftlichen Treffen werden zudem der Nachname und eventuell die Position genannt. Man spricht sich anschließend häufig nur mit dem Vornamen an, auch bei schriftlicher Kommunikation. Das ist so üblich und bedeutet keine besondere Vertrautheit. Bleibt es aber bei schriftlicher Ansprache doch beim Nachnamen, hat sich als Anrede für Frauen die Bezeichnung Ms. (mit stimmhaftem s) durchgesetzt, um nicht zwischen der Bezeichnung Mrs. („Frau“ – für eine verheiratete Frau) und Miss („Fräulein“ – für eine unverheiratete Frau) unterscheiden zu müssen. Für Männer gilt die Bezeichnung Mr. Mister (mehr zum Thema s. S. 251).

Baden/Nacktbaden: Nacktheit in der Öffentlichkeit gehört sich nicht – das gilt auch für Kleinkinder und auch beim Baden. Am besten in einer Umkleidekabine oder schon vorher zu Hause umziehen (mehr zum Thema s. S. 215).

Begrüßung/Verabschiedung: Wenn überhaupt, gibt man sich bei geschäftlichen Treffen bei der Begrüßung kurz die Hand und schaut sich dabei in die Augen. Die Hand geben ist ansonsten bei der Begrüßung und beim Abschied in den USA nicht so üblich wie bei uns. In informellen Situationen hat sich der Social Kiss durchgesetzt – man nähert sich einander, berührt mit der Wange die Wange des Gegenübers und deutet ein Küsschen an. Wenn man sich anspricht ist Hi üblich oder die Floskeln How’s it going? oder How do you do? Die Antwortet lautet meist: Thank you, fine. Es wird keine ausführliche Antwort erwartet. Zur Verabschiedung sagt man Goodbye oder Bye Bye („Auf Wiedersehen“) oder See You („Wir sehen uns“ oder „Bis bald“).

Bekleidung: Die Kleidung wird dem Anlass entsprechend ausgewählt. In informellen Situationen, selbst in hochkarätigen Hotels bei Freizeitaktivitäten, ist die Kleidungsordnung eher locker. Das bedeutet: Jeans und Turnschuhe werden akzeptiert. In guten Restaurants oder bei gesellschaftlichen Anlässen und Geschäftsterminen besteht aber auch für Männer Krawatten-, Jackett- oder Anzugpflicht (manchmal haben die Restaurants Leihjacken oder Krawatten, die für den Notfall zur Verfügung gestellt werden). Für Frauen ist ein Hosenanzug oder ein Kostüm in gedeckten Farben und eine Seidenstrumpfhose angesagt, aufreizende Kleidung ist nicht angemessen. Nackte Frauenbeine entsprechen selbst bei großer Hitze nicht einem gepflegten Ambiente und sollten genauso wie die Achseln enthaart sein. Bei Abendveranstaltungen wird häufig bei der Einladung auf den Dress Code hingewiesen und als Informal gelten dabei ein dunkler Anzug und für Frauen ein elegantes Kleid. Für den Casual Friday gilt: Stoffhose, Hemd und Lederschuhe.

Berührungen/Körperkontakt: Insbesondere Frauen gegenüber sind körperliche Annäherungen, Tätscheln, Umarmungen etc. mit Vorsicht zu genießen, besonders in Unternehmen. Dies kann nämlich leicht als sexuelle Belästigung interpretiert werden und wird gesetzlich geahndet. Aber auch Männern gegenüber sollte man sich mit körperlichen Berührungen eher zurückhalten. Auch körperlicher Kontakt zwischen Frauen oder das Einhaken sind eher unüblich.

Bezahlen: Sowohl in Geschäften als auch in Restaurants sind die Preise meist netto ausgewiesen und die Sales Tax (Mehrwertsteuer) und manchmal sogar noch eine Local Tax (regionale Steuer) werden beim Bezahlen addiert. Diese machen 5 bis 10 % des Gesamtpreises aus. Bei Restaurants ist in den Preisen das Trinkgeld, häufig die reguläre Gebühr für den Service, noch nicht enthalten und es werden ca. 15 bis 20 % erwartet. Um Überraschungen zu vermeiden, beim Einkauf und Bezahlen schon vor der Kasse überprüfen, ob der Endpreis akzeptabel erscheint. An Tankstellen muss man oft vor dem Tanken bezahlen oder seine Kreditkarte hinterlegen. Insgesamt wird weniger in bar bezahlt, sondern fast immer mit Karte (mehr zum Thema s. S. 208).

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Wenn es beim Dating gut gelaufen ist …

Dating: Immer sensibel vorgehen. Das erste Treffen findet meist an einem neutralen Ort statt und dient dem ersten Kennenlernen – keinen Intimitäten. Bei Interesse kommt es zum zweiten Treffen. Man wird schon etwas persönlicher, vielleicht gibt es zum Abschied einen Kuss. Das dritte Treffen findet statt, wenn man zusammenkommen möchte. Gemeinsam nach Hause zu gehen und dann Sex zu haben, ist erlaubt.

Einladungen: Auf Einladungen sollte man in der Regel in derselben Form und im gleichen Stil – Reply-in-kind – reagieren, wie die Einladung ausgesprochen wurde – also bei einer schriftlichen Einladung per Antwortschreiben und bei einer mündlichen Einladung mündlich. Kinder lässt man bei geschäftlichen Einladungen am besten zu Hause oder beim Babysitter. Eine kleine schriftliche Danksagung nach einem Fest wird gerne gesehen (mehr zum Thema s. S. 257).

Ess- und Trinksitten: Essen gleicht im Alltag häufig eher einer notwendigen, beiläufigen Aufnahme von Nahrungsmitteln. Man kauft sich im Drive-in einen Hamburger und isst beim Autofahren. Zuhause wird meist Convenience Food zu sich genommen. Familienmitglieder bedienen sich bei Hunger oft aus dem Kühlschrank, wärmen sich Vorgekochtes in der Mikrowelle auf, essen es mit Plastikbesteck und trinken dazu Soft Drinks aus Plastikbechern.

Fotografieren: Beim Fotografieren von Menschen sollte man zuerst das Einverständnis der Betroffenen einholen. In bestimmten öffentlichen Gebäuden und sicherheitsrelevanten Bereichen gilt ein Fotografierverbot.

Fremdenfeindlichkeit/Rassismus?: Bei Amerikanern wird bereits an äußerlichen Dingen wie der Hautfarbe deutlich, dass hier Menschen mit Wurzeln aus aller Welt zusammenkommen. Wer ist da in den USA als Fremder erkennbar? Es gibt sicherlich immer wieder Rassismus zwischen Amerikanern unterschiedlicher ethnischer Herkunft, gerade in ländlichen Gegenden. Auch wurde nach dem 11. September Muslimen und arabisch aussehenden Menschen mit Vorurteilen begegnet. Aber im Straßenbild großer Städte ist die Salad Bowl – die bunte Mischung – selbstverständlich. Als Deutscher wird man meist sehr freundlich aufgenommen.

Freundschaften: Bei Beziehungen zwischen Deutschen und Amerikanern werden zur Erläuterung gerne die Kokosnuss und der Pfirsich herangezogen: der Deutsche als Kokosnuss, der Amerikaner als Pfirsich. Der Bereich der harten Schale der Kokosnuss beziehungsweise das äußere Pfirsichfleisch entsprechen dem öffentlichen Bereich: Treffen Kokosnuss und Pfirsich zusammen, gibt der Pfirsich beim ersten Biss schon viel von seinem weichen Fleisch preis – persönliche Informationen – aber bei der Kokosnuss ist es schwieriger, zum weichen Fleisch und der Kokosmilch vorzudringen. Beim Zusammentreffen der beiden wird die harte Schale der deutschen Kokosnuss durch die Offenheit des amerikanischen Pfirsichs jedoch schneller geknackt als sonst. Der Deutsche interpretiert die Offenheit als eine außergewöhnlich schnell entstandene Freundschaft und Zuwendung, öffnet sich und erwartet weitere Treffen und freundschaftlichen Kontakt, was aber nicht passiert. Aus diesem Gefühl der Ablehnung entstehen Enttäuschungen und das klassische Vorurteil über den oberflächlichen Amerikaner. Friend hat hier eher die Bedeutung „Bekannter“. Bei Begegnungen gilt es diese unterschiedlichen kulturellen Interpretationen zu beachten.

Gast: Bei Einladungen wird der gewünschte Dresscode häufig schon beim Einladungsschreiben erwähnt. Andernfalls kann man problemlos nachfragen. Ein kleines Geschenk für circa 20 Dollar oder ein Blumenstrauß kommen immer gut an; bei einer Potluck Party bringt man eine Speise oder ein Getränk mit. Trifft man auf die Gastgeber und andere Gäste, ist es üblich, sich gegenseitig vorzustellen. Konfliktthemen werden vermieden, man möchte gemeinsam eine angenehme, aktive Zeit verbringen.

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Halloween: die Geister sind unterwegs

Gesprächsthemen (bevorzugte und problematische): Aufgrund der Vielfältigkeit der Ethnien, Religionen und kulturellen Ursprünge in Amerika ist man im Umgang miteinander vorsichtiger und sucht eher harmonische Gespräche. No-Questions sind gerade bei anfänglichem Kontakt Fragen zur Religionszugehörigkeit, der Herkunft, der Anzahl der Kinder, zum Beruf des Ehepartners, zum Einkommen, zu körperlichen Behinderungen, zum Alter oder der Zugehörigkeit zum Militär bzw. zu einem Verein. Political Correctness ist angesagt.

Geld: Als Zahlungsmittel ist an vielen Orten (Hotel, Autoverleih, etc.) eine Kreditkarte obligatorisch. Wer nicht über eine Kreditkarte verfügt, gilt als nicht vertrauenswürdig. Nur für kleinere Beträge ist die Bezahlung mit Bargeld üblich. Die meisten Amerikaner haben mehrere Kreditkarten und Debit Cards und nutzen sie, bis nichts mehr geht.

Halloween: Ein sehr weit verbreiteter Brauch. Er wird am Abend des 31. Oktober vor dem All Saints oder All Hallows Day gefeiert. Kürbisse werden ausgehöhlt und daraus gruselige Geisterköpfe gemacht. Diese werden von innen mit Kerzen beleuchtet. Heutzutage werden häufig auch vorgefertigte Plastikkürbissgesichter ins Fenster oder in den Vorgarten gestellt. Kinder verkleiden sich, gehen von Haus zu Haus und sagen „Trick or Treat“: Gib uns ein kleines Geschenk – oder wir ärgern dich. Häuser werden auf gruselige Weise dekoriert. Erwachsene und Kinder verkleiden sich und treffen sich auf der Straße oder zum Feiern von Halloween Parties – es ist ein wenig wie bei uns Karneval. Mischen Sie sich unter die Feiernden und genießen Sie diese typisch amerikanische Sitte (mehr zum Thema s. S. 239).

Kriminalität: Die Kriminalitätsrate ist in Ballungszentren am höchsten, geht jedoch in den letzten Jahren bis auf wenige Ausnahmen konstant zurück. Reisende werden hauptsächlich zu Opfern von Taschendiebstahl, Autodiebstahl oder in seltenen Fällen auch Raubüberfällen. Wie Sie sich am besten schützen können, erfahren Sie im Kapitel „Verhaltensregeln, um sich nicht in Gefahr zu begeben“ auf S. 258.

Kritik (im Gespräch): Sollte eher nicht direkt geäußert, sondern freundlich verpackt werden.

Müll: Mülltrennung ist in den USA in vielen Regionen eher unüblich.

Nacktheit: Nacktheit wird als etwas Privates gesehen und ist in der Öffentlichkeit tabu – das gilt auch für Babys und Kleinkinder. Badekleidung ist Pflicht! In Arztpraxen gilt ein sensibler Umgang mit Nacktheit. Es werden Tücher zum Bedecken gereicht oder man bekommt beispielsweise beim Frauenarzt einen weiten Kittel. Auch zu Hause zeigen sich die Eltern ihren Kindern häufig nicht nackt.

Toilette/Notdurft: Sucht man nach einer Toilette, fragt man diskret nach einem Restroom oder Bathroom. Pinkeln hinter einem Busch im Park oder an Hauseingängen ist inakzeptabel und gilt als Erregung öffentlichen Ärgernisses. Suchen Sie Fastfood-Restaurants oder Hotels auf, wenn Sie zu Fuß unterwegs sind oder Tankstellen, Raststätten – Rest Areas oder Picnic Areas – wenn Sie mit dem Auto unterwegs sind.

Patriotismus: Amerikaner sind äußerst patriotisch. Das ist an den vielen amerikanischen Flaggen überall sichtbar. Sie gestehen dies auch anderen Nationalitäten zu, deshalb wird ein Schlechtmachen des eigenen Landes nicht verstanden.

Politik: Politik wird als Gesprächsthema gemieden, wenn zu erwarten ist, dass das Gegenüber eine andere Positionen vertritt. Man möchte Streitgespräche vermeiden.

Polizeikontrolle: Sind Sie mit dem Auto unterwegs und ein Polizeiwagen möchte Sie kontrollieren, fährt dieser mit Blinklicht hinter Ihnen her und bedeutet Ihnen so, dass Sie anhalten sollen. Ein Polizist kommt dann zu Ihnen ans Auto. Achten Sie darauf, dass Ihre Hände und die Ihrer Beifahrer für den Polizisten gut sichtbar sind. Er könnte sonst auf den Gedanken kommen, dass Sie nach einer Schusswaffe greifen (mehr zum Thema s. S. 183).

Privateigentum/Private Property: Trespassing will be prosecuted Unerlaubtes Eindringen auf privates Gelände wird verfolgt. Man sollte sich nicht ohne Weiteres auf Privatterrain begeben. Falls man sich doch einmal verirrt hat, sollte man es nach Aufforderung schnellstmöglich verlassen. Der Besitzer könnte sich bedroht fühlen und von seiner Waffe Gebrauch machen.

Pünktlichkeit: Bei geschäftlichen Treffen ist Pünktlichkeit angesagt. Insbesondere Deutsche sind für selbige bekannt und man erwartet von Ihnen ein hohes Maß an Pünktlichkeit. Im privaten Bereich kann Pünktlichkeit manchmal etwas lockerer ausgelegt werden. Hier ist oft auch von der Person abhängig, ob sie zur Verspätung neigt oder rechtzeitig kommt.

Rauchen: Rauchen ist völlig out und als Raucher wird man beinahe als asozial betrachtet. Ein Rauchverbot gilt in Innenräumen, Gastronomiebetrieben und öffentlichen Bereichen, häufig auch im Freien, in manchen Gegenden auch in Parks und an Stränden. Daher sollte man als Raucher, egal wo man sich in den USA befindet, immer überprüfen, ob man sich in einer Rauchverbotszone befindet. Falls sich Menschen in Ihrer unmittelbaren Nähe aufhalten, sollten Sie sie fragen, ob sie sich vom Rauchen gestört fühlen.

Restaurantbesuch: In guten Restaurants wird dem Gast das Parkplatzsuchen abgenommen – Valet Parking –, was man mit einem Trinkgeld honoriert. Zudem ist es üblich, dass man im Eingangsbereich wartet, bis einem ein Tisch angewiesen wird – Please wait to be seated. Manchmal gilt Jackett- oder Krawattenzwang. Nachdem man sich an einen Tisch gesetzt hat, wird meistens gleich ein Glas Leitungswasser mit viel Eis serviert. Als Aperitif vor einer guten Mahlzeit nimmt man gerne einen Cocktail. Im Diner wird Kaffee ohne zusätzliche Berechnung nachgeschenkt. Nach dem Essen wird schnell die Rechnung vorgelegt. Es ist nicht üblich, noch lange zu sitzen und zu plaudern. Dazu wechselt man in eine Bar. Eine benutzte Stoffserviette wird beim Verlassen des Restaurants auf den Stuhl gelegt.

Sexuelle Belästigung: Insbesondere am Arbeitsplatz gelten sehr scharfe Schutzgesetze gegen sexuelle Belästigung. Dazu können neben Angrapschen, anzüglichen Bemerkungen und Witzen zum Beispiel auch pornografische Zeitschriften auf dem Schreibtisch oder längerer Blickkontakt zählen. Um Missverständnisse zu vermeiden, wird häufig bei Zweiergesprächen zwischen Mann und Frau die Tür offen gelassen; manche Männer vermeiden es mit einer Frau gemeinsam in einen Firmenaufzug zu steigen.

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All American Dress

Small Talk: Man beginnt ein Gespräch erst mit etwas Small Talk über Sport, Spiel und Freizeit und fällt nicht gleich mit der Tür ins Haus. Insgesamt spricht man Dinge nicht direkt, sondern höflich verpackt an.

Spendenbereitschaft/Charity: Da das staatliche soziale Sicherungsnetz nicht so dicht ist und Nächstenliebe aufgrund der christlichen Ursprünge des Landes immer noch Konjunktur hat und steuerliche Vorteile winken, besteht eine große Spendenbereitschaft. Ist man bei Charity-Veranstaltungen zu Gast, wird es gern gesehen, wenn man auch eine Spende beiträgt.

Spucken: Ursprünglich Ende des 20. Jahrhunderts als Maßnahme gegen Tuberkulose verboten, wird Spucken bis heute aus hygienischen Gründen nicht gern gesehen – nicht einmal im eigenen Garten.

Tabus: Rülpsen, Furzen, Schmatzen, expressives Kaugummikauen, Niesen/Husten, ohne die Hand vor den Mund zu halten, Frauen hinterherpfeifen, pinkeln und rauchen in der Öffentlichkeit und als Mann innerhalb eines Hauses den Hut aufbehalten, ist in den USA zu vermeiden (mehr zum Thema s. S. 254).

Taxi: Im Taxi werden in Großstädten nach dem Einstieg meist die Autotüren verschlossen. Zum einen, um sicher zu stellen, dass Sie auch bezahlen, bevor Sie aussteigen. Zum anderen aber auch, damit Sie in unsicheren Gegenden im Taxi sicher sind. Da von Touristen manchmal höhere Tarife verlangt werden, als von Einheimischen, ist es sinnvoll für die geplante Strecke vorab von Einheimischen den ungefähren Preis zu erfragen.

Tischsitten: Essen und Trinken wird häufig nur bei besonderen Anlässen gemeinsam zelebriert. Es ist nicht üblich, sich vor dem Essen „Guten Appetit“ zu wünschen. Beim Gebrauch von Messer und Gabel schneidet der Amerikaner einige bissgerechte Stücke mit dem Messer in der rechten Hand und der Gabel in der linken Hand. Dann legt er das Messer beiseite, nimmt die Gabel in die rechte Hand und isst damit die vorbereiteten Stücke nacheinander. Sie können aber durchaus mit dem Messer rechts und der Gabel links essen. Zum Zuprosten hebt man das Glas und sagt „Cheers“ (mehr zum Thema s. S. 236).

Trinkgeld: In Restaurants, Bars, im Taxi und beim Friseur sind ca. 15 bis 20 % angesagt, für Zimmermädchen ca. 5 Dollar, für Garderobenpersonal, Kofferträger, Autoparker-/abholer und Pförtner fürs Taxirufen 1 bis 2 Dollar (mehr zum Thema s. S. 238).

Verkehrsunfall: Schmerzensgeld- und Schadensersatzzahlungen sind auch bei kleineren Verletzungen ohne bleibende Schäden in den USA wesentlich höher als in Deutschland. Daher ist es wichtig, dass Sie bei einem Unfall über die Nummer 911 sofort die Polizei rufen, alles im Detail aufnehmen, Beweismittel sichern, Fotos machen und die Daten von Zeugen und dem Unfallgegner aufnehmen, falls er sich nicht schon aus dem Staub gemacht hat. Gerade in ärmeren Gegenden haben junge Fahrer oft keinen Führerschein oder keine Versicherungen und begehen Fahrerflucht.

Verkehrsmittel: Größere Strecken im Land legt man im Flugzeug, mit Bussen wie Greyhound oder dem wichtigsten amerikanischen Verkehrsmittel, dem Auto, zurück. USA-Reisende sind häufig mit dem Mietwagen oder dem preiswerten Drive-away-car (Möglichkeit, das private Kfz eines Anderen teilweise an weit entfernte Zieldestinationen auszuliefern) unterwegs. Eisenbahnen dienen eher dem Gütertransport. In den Großstädten, hauptsächlich im Nordosten der USA und Städten wie New York, Chicago und San Francisco, gibt es teilweise gute öffentliche Verkehrsmittel wie U-Bahnen, Vorortzüge, Fähren, Busse, für touristisch interessante Strecken oder auch Straßenbahnen. In vielen ländlichen Regionen und auch den meisten Ballungsgebieten wie Los Angeles ist aber der Individualverkehr bestimmend. Zu Fuß zu gehen, ist häufig nicht vorgesehen, in vielen Bereichen gibt es keine Gehwege. Am Flughafen fahren Shuttle-Busse in die Stadt.

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Fähre in der San Francisco Bay Area

Zahlenschreibweise: Verwechslung droht bei der Schreibweise der Ziffern 7 und 1. In den USA wird die Ziffer 1 nur mit einem vertikalen Strich geschrieben, ohne das kleine Häkchen oben. Eine 1 mit einem Häkchen wird von den Amerikanern teilweise als 7 interpretiert. Statt Dezimalkomma wird in den USA der Punkt, statt Tausenderpunkt ein Komma gesetzt (mehr zum Thema s. S. 255).

Zärtlichkeiten: Sollten eher im privaten Umfeld ausgetauscht werden, Ausnahmen sind die Umarmung bei der Begrüßung und der Social Kiss.

Kulturhistorische Entwicklung

Um die Elemente herauszulösen, die typisch amerikanisch und nicht nur kurze Zeittrends sind, gilt es einen Blick zu werfen auf die kulturhistorische Entwicklung des Teils von Amerika, der heute die Vereinigten Staaten von Amerika umfasst. Es gilt, die Phänomene zu beschreiben, die sich über die gesamte Zeit des neuzeitlichen Amerikas (vom Anfang des 17. Jahrhundert bis heute) entwickelt und gefestigt haben.

USA – ein junger Staat

Die ersten amerikanischen Einwanderer kamen schon vor 20.000 Jahren von Asien über die heutige Bering-Straße nach Amerika. Um die Jahrtausendwende erreichte eine Gruppe isländischer Wikinger unter der Leitung von Leif Ericson die östliche Küste Nordamerikas. Wikinger betraten möglicherweise auch Neuschottland (Nova Scotia) und Neuengland, doch gründeten sie keine dauerhaften Siedlungen und verloren bald die Verbindung zum neuen Kontinent.

Nachdem Kolumbus die ersten kontinuierlichen Besiedlungen des amerikanischen Kontinents vorbereitet hatte und die Kunde über große Goldvorkommen in den neuen Gebieten in Europa grassierte, entstanden immer wieder neue Siedlungen, um territoriale Ansprüche anzumelden. Dazu kam die Suche religiöser und politisch anders Denkender in Europa nach einem Fluchtort, um sich der Kontrolle und Verfolgung im Heimatland zu entziehen. Kommerzielle Unternehmen suchten nach Rohstoffquellen und neuen Märkten.

Die religiösen Ursprünge Amerikas: Prägung durch den Puritanismus

Obwohl von den ersten englischen Siedlern viele verhungerten und auch viele von ihnen an Krankheiten starben, etablierten sich die Einwanderer nach und nach und ihre Niederlassungen fingen an zu wachsen und zu gedeihen.

In Neuengland siedelten sich Puritaner an. Sie konnten, fern von Verfolgung und Unterdrückung durch die anglikanische Kirche, ihre eigene Glaubenswelt entwickeln.

Eine der bekanntesten puritanischen Gruppen – die so genannten Pilgrim Fathers (Pilgerväter) kamen mit dem Schiff Mayflower und siedelten sich 1620 in Plymouth, Massachusetts, an.

Die Puritaner strebten die Erschaffung einer idealen Gemeinschaft an: The City on a Hill (Stadt auf dem Hügel). Seitdem sehen die Amerikaner ihr Land als ein Laboratorium für ein freiheitliches Zusammenleben. Einige der Puritaner nutzten die neu gewonnene Freiheit jedoch dazu, ein neues rigides System im Namen Gottes einzurichten, etablierten eine bigotte Moral von Intoleranz und bestraften anders Handelnde und Denkende streng. Beispielhaft beschreibt Nathaniel Hawthorne in seinem Roman „The Scarlett Letter“ („Der scharlachrote Buchstabe“) die Härte und Gnadenlosigkeit in einer puritanischen Gemeinde: Die Handlung dreht sich um eine junge Frau, die ein uneheliches Kind zur Welt bringt, den Vater, einen Pfarrer, nicht verrät und von der Gemeinde mit ihrem Kind zur Strafe ausgegrenzt, geächtet und mit einem scharlachroten Buchstaben auf ihrer Kleidung gebrandmarkt wird.

Damit begannen sie eine Tradition der Intoleranz, die bis heute von den religiösen Fundamentalisten fortgesetzt wird und gesellschaftlich mal mehr, mal weniger akzeptiert wird.

Zweifelsohne waren die Puritaner stark prägende Kräfte in Amerika mit bedeutsamen Auswirkungen bis heute. Gemeinsam war ihnen allen ihre Radikalität. Als religiöse Autorität akzeptierten sie nur die Bibel und ihr Gewissen, die direkte Verbindung zu Gott – keine Vermittlung durch eine interpretierende und vermittelnde Kirche oder einen autoritären Staat. Diese konsequente Ablehnung jeglicher menschlichen Autorität begründete den antiautoritären Individualismus und ein Misstrauen gegen jede Art von Obrigkeit. Selbst die kleinste Gemeinde war autonom, am Leben gehalten durch den Gemeinsinn und die finanziellen Beiträge ihrer Mitglieder.

Da es keine Autorität gab, die entscheiden konnte, was zum Heil führte und was nicht, was ein Gott gefälliges Leben war oder nicht, war es unmöglich, durch positives Verhalten Gottes Gnade zu gewinnen. Es entstand die Prädestinationslehre. Schon bei der Geburt ist danach entschieden, ob man zu den Erwählten oder Verdammten gehört. Die Schwierigkeit bestand darin, herauszufinden, wie Gott die Auserwählten in ihrem irdischen Leben auszeichnet.

Allein der Lebensverlauf auf Erden war ein eindeutiges Indiz, ob Gott einem wohl gesonnen war oder nicht. Als sichtbares Merkmal für die Gnade Gottes kristallisierte sich bei den Protestanten und Puritanern der Glaube an den materiellen Erfolg als Kennzeichen des auserwählt Seins heraus.

Wegweisend waren für die Puritaner fünf Regeln, die durch die westeuropäischen reformierten Kirchen 1619 festgelegt wurden:

Gottes Gnadenwahl ist bedingungslos, also willkürlich.

Christus hat sich nur für die Auserwählten geopfert.

Nach Adams Sündenfall ist der Mensch ohne Ausnahme verdorben.

Die göttliche Gnade ist unwiderstehlich und kann durch den Menschen weder behindert noch gefördert werden.

Die Erwählten können selbst in Momenten der Schwäche nicht die Gnade verlieren.

Die Prädestinationslehre scheint bei manchen Politikern noch bis heute durchzuschlagen, wenn sie vom „Reich des Bösen“ reden und sich selbst dem „Reich des Guten“ zurechnen: Zum Beispiel Ronald Reagan bezeichnete die Sowjetunion als „Reich des Bösen“, George W. Bush beschrieb Nordkorea, Iran und Irak am 31. Januar 2002 in seiner Rede zur Lage der Nation als „Achse des Bösen“.

Auch die Eindeutigkeit mit der in den USA an der Ausübung der Todesstrafe festgehalten wird, Auge um Auge, Zahn um Zahn, deutet darauf hin, dass die Befürworter davon ausgehen, dass böse Menschen böse bleiben. Man erachtet sie als nicht heilbar, als pathologisch oder durch Sozialisation böse geworden, quasi als von Gott verstoßen. Dadurch sind sie geächtet und müssen entfernt werden. Reue und Läuterung, die eine Vergebung rechtfertigen, wie in anderen Glaubensformen üblich, haben da keinen Platz.

Auch in den Western und Horrorfilmen spiegelt sich diese Eindeutigkeit von Gut und Böse wider.

Dem Puritanismus wird außerdem ein entscheidender Einfluss auf die Entwicklung des ökonomischen Systems beigemessen. In den Augen der Puritaner sollte sinnvolle Arbeit wertvoll, bedeutungsvoll und moralisch einwandfrei sein. Wer nicht in diesem Sinne handelte, wurde in seiner jeweiligen Gemeinde nicht gebraucht und galt daher als unmoralischer Mensch. Darin wurde schon der Sinn für das Nützen der Zeit, die Effizienz begründet: Nutze deine Zeit sinnvoll und verschwende sie nicht! Und später mündete diese Sichtweise auf die Zeit in den Spruch: Zeit ist Geld. Zeit kann genau wie Geld verspielt, verloren oder sinnvoll eingesetzt werden.

Max Weber entwickelte in seiner Schrift „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ aus dem Jahre 1905 folgende Theorie: Der Kapitalismus ist durch die Bewertung des materiellen Erfolgs als Zeichen der Auserwähltheit der Puritaner entstanden. Um als Erwählte zu gelten, strebten sie daher nach Gewinn. Die asketische Lebensweise ermöglichte ihnen jedoch nicht, wie in den feudalen Systemen, den Gewinn in Luxus und Verschwendung auszuleben. Von daher investierten sie ihn als weiteres produktives Kapital und trugen zu einem prosperierenden Wirtschaftssystem bei.

Extrainfo 1 (s. S. 8): der American Dream

im Wandel der Zeit

Vom Pursuit of Happiness zum American Dream

Spannungen zwischen Britannien und den amerikanischen Kolonien führten zum Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) und der amerikanischen Revolution.

Ab Mai 1775 übernahm der zweite Kontinentalkongress in Philadelphia langsam die Funktion einer nationalen Regierung. Befehligt von George Washington, einem Plantagenbesitzer aus Virginia, wurden eine Kontinentalarmee und -marine geschaffen, Papiergeld gedruckt und diplomatische Beziehungen zu anderen Ländern hergestellt. Am 2. Juli 1776 beschloss der Kongress, dass die vereinigten amerikanischen Kolonien eine freie und unabhängige Nation seien und von Rechts wegen auch sein sollten.

Thomas Jefferson aus Virginia schrieb die philosophische Rechtfertigung dafür in der Unabhängigkeitserklärung, die vom Kongress, dem Organ der 13 Kolonien, am 4. Juli 1776 angenommen und verkündet wurde.

Darin sind elementare Grundsätze verankert: Zum einen enthielt sie eine Liste von Beschwerden gegen die britische Regierung. Das bis heute Wichtige jedoch ist das ideologische Fundament für die amerikanische Revolution, das von den Ausführungen des britischen Philosophen John Locke in „Two Treaties of Government“ (1690) abgeleitet wurde. In der Unabhängigkeitserklärung lautet das so: Die Menschen haben ein Recht auf „Life, Liberty and the Pursuit of Happiness“ (Leben, Freiheit und Streben nach Glück). „Wir halten es für Wahrheiten, die keines Beweises bedürfen, dass alle Menschen gleich geschaffen und von ihrem Schöpfer mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; darunter dem Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Streben nach Glück.“

Regierungen dürfen nur mit „der Zustimmung der Regierten“ ihre Macht ausüben und jede Regierung darf aufgelöst werden, wenn sie die Rechte der Bürger nicht schützt. Und idealerweise starten alle vom gleichen Ausgangspunkt und haben deshalb dieselben Rechte: „All men are created equal“ („Alle Menschen sind gleich erschaffen“).

In Thomas Jeffersons Unabhängigkeitserklärung hat zudem die Vision des Pursuit of Happiness eine zentrale Bedeutung: Das Streben nach Glück enthält das Recht der Menschen auf freie Entfaltung persönlicher Fähigkeiten, sowohl im Sinne von materiellem Erfolg als auch in der Dimension des Erlangens einer geistigen Freiheit und Zufriedenheit.

Thomas Jefferson, der als Vertreter der Aufklärung der Vernunft als Prinzip das Wort redete und mit dafür kämpfte, die Religionsfreiheit in Amerika durchzusetzen, verankerte das ethische Ideal der Aufklärung im Bewusstsein der Amerikaner – die Errichtung eines gerechten Staates verbunden mit dem Recht, sein Glück zu machen.

Wie viele Einwanderer kamen nach Amerika, um in diesem Sinne ihr Glück zu machen, der Verfolgung in ihrem Heimatland zu entfliehen und ein besseres Leben zu finden!

Doch erst viel später wurde aus dem Begriff des Strebens nach Glück der Begriff des American Dream – des amerikanischen Traums.

Erstmalig erwähnt wurde er in der Zeit der Great Depression (Großen Depression) – gerade in einer Zeit von Massenarbeitslosigkeit und Armut, wo gar mancher Einwanderer an den Möglichkeiten und Freiheiten Amerikas zu zweifeln begann. 1931 fasste James Truslow Adams in dem Text „The Epic of America“ mit dem Begriff American Dream die vielfältigen Wünsche, Fantasien, Hoffnungen und Erwartungen an Amerika zusammen; das, was den Unterschied ausmachen sollte zu den verkrusteten Strukturen vieler anderen Länder: Jeder soll sich voll und frei entfalten können, besser leben können, reich und glücklich werden entsprechend seiner Leistungen und Talente, unabhängig vom gesellschaftlichen Status, unabhängig von Standes- und Klassenunterschieden, unabhängig vom Geschlecht, nicht nur materiell sondern in allen Bereichen.

Der Erfolgsschriftsteller Horatio Alger „From Rags to Riches“, („Vom Tellerwäscher zum Millionär“) lieferte dazu die Story – der Selfmade-Mann als Identifikationsfigur. Beispiele einer erfolgreichen Karriere à la American Dream sind der Immobilien-Mogul und Milliardär Donald Trump oder der 2012 verstorbene Apple-Chef Steve Jobs, der sich vom Bastler in einer Garage zum innovativen Chef eines Weltkonzerns mauserte.

Der gerechte Staat mit der Verantwortung, allen die volle Entfaltung zu ermöglichen, zusammen mit dem Streben nach Glück jedes Einzelnen verkörpert den amerikanischen Traum.

In den USA trifft man häufiger als in Deutschland auf Menschen, die eine Vision haben, ein Lebensziel. Die, egal wo sie gerade stehen, auf dieses Ziel zugehen und nach ihrem Glück streben. Das kann ein materielles Ziel sein wie das Traumauto zu kaufen oder der Wunsch nach einer Traumkarriere zum Beispiel als berühmte Schauspielerin. Ab nach Kalifornien, nach Hollywood, dem Erfolg entgegen. Für den Erfolg oder Misserfolg im Leben macht man eher sich selbst verantwortlich – weniger den Staat, die Familie oder die Sozialisation. Man darf auch mal Misserfolg haben und dann wieder neu anfangen. Aber gerade, wenn man endgültig scheitert, also selbstverantwortlich scheitert, ist das natürlich viel schwerer zu verkraften, als wenn man die Schuld dafür anderen geben kann. Vielleicht ist das der Grund, dass so viele Amerikaner beim Psycho-Therapeuten in Behandlung sind, um etwas Nachhilfe im Glücklichsein zu erhalten. Oder wenn es nicht ganz so schlimm ist, nimmt man sich einen Coach, um zu Hochform aufzulaufen. Im schlechtesten Falle greift man zu Psychopharmaka.

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Ein denkmalgeschützer Bauernhof von 1680, Boxfarm genannt

Wir in Deutschland sehen die Erfolgsaussichten im Leben viel mehr mit äußeren Faktoren verknüpft. Stichworte wie Chancengleichheit in Schul- und Ausbildungssystemen fallen uns ein, Eigenverantwortung wird bei uns kleiner geschrieben.

Der amerikanische Buchautor Nathanael West, der in den 1930er-Jahren, der Zeit der amerikanischen Wirtschaftskrise, schrieb, schildert häufig die Schattenseite des amerikanischen Traums, wie in „Day of the Locust“ („Tag der Heuschrecke“) oder „A Cool Million“. Die Helden – statt auf der Erfolgsleiter nach oben zu steigen – stürzen sich durch ihre ehrgeizigen Pläne immer tiefer ins Unglück. Arthur Miller schildert in „Death of a Salesman“ den Misserfolg eines Versicherungsvertreters, der sich auch seiner Familie gegenüber als Loser nicht mehr ertragen kann.

Beim Umgang mit Geld zeigt sich der Amerikaner risikofreudig. Lieber wird das Geld an der Börse eingesetzt, ein Risiko zum Glück eingegangen, als die risiko- aber auch chancenarme Variante Sparbuch gewählt, die in Deutschland immer noch sehr beliebt ist.

Auch die Counterculture der Hippies war – in der Verweigerung repressiver gesellschaftlicher Normen – eine Neuauflage des hedonistischen Strebens nach Glück: Make love not war – ohne dabei reich werden zu müssen und wider das Establishment.

Der Rückzug aufs Land, die Entstehung vieler Landkommunen in den 1970er-Jahren zeigt, wie vielfältig die Suche nach dem persönlichen Glück realisiert werden kann – auch in diesem Fall in der Suche einer geeigneten Lebensform, die sich außerhalb der normalen Gesellschaft ansiedelt, in der Kultur der Aussteiger.

Glaube an den Erfolg – Mythos Success

Anknüpfend an den amerikanischen Traum ist der Glaube an den möglichen Erfolg eines jeden in Amerika sehr weit verbreitet.

Schon in der Schule steht die Anerkennung, die Motivation, der Erfolg und die Belohnung im Vordergrund, weniger die Bewertung des Misserfolgs. Zwang, Druck und Strenge werden als schädlich gesehen für die kindliche Psyche. Wer in einem Bereich nicht so erfolgreich ist, kann durchaus in einem anderen Bereich einen Pokal gewinnen.

Vielleicht sind deswegen die Amerikaner auch noch im Erwachsenenalter bekannt für ihre positive Art und ihr aufbauendes Feedback. „Not failure, but low aim is crime“ („Nicht das Scheitern, sondern das zu niedrig gesteckte Ziel ist zu tadeln“). Diese Verszeile des Dichters James Russell Lowell (1819–1891) ist das Motto. Das Bemühen und der Einsatz, nicht unbedingt das Resultat, sind wichtig. Das gilt auch in Deutschland, allerdings wird bei uns Leistung und Erfolg, insbesondere materieller Erfolg, stärker geneidet.

Puritanische Eigenschaften der Amerikaner

Individualismus, Gemeinsinn, demokratisches Denken, Moralismus, Tatkraft, Gottesfurcht, wissenschaftliche Rationalität, Selbstgerechtigkeit, übertriebene Sexualmoral, Prüderie, übertriebener Glauben an sich selbst, die Nation und alles Amerikanische. Selbstzweifel sind in den USA aufgrund dieser Eigenschaften verpönt.

Während in den USA gute Schüler von ihren Mitschülern bewundert werden, werden sie in Deutschland als Streber abgewertet. Dies gilt auch für den Umgang mit Erfolg im Berufsleben insbesondere bei Selbstständigen. Während in den USA fast jeder die Hoffnung in sich trägt und auch für realisierbar hält, reich, erfolgreich und glücklich zu werden und es daher auch seinem Nachbarn gönnt, wird im Gegensatz dazu in Deutschland erfolgreichen Managern und Unternehmern latent unterstellt, dass sie irgendwie unrechtmäßig in die gute Position gekommen und reich geworden sind.

In den USA spielen Missgunst und Neid nicht so eine große Rolle oder werden zumindest nicht so gezeigt. Und der Erfolg der anderen spornt auch zum eigenen Einsatz an – Keeping up with the Jones – man möchte mithalten können mit den Nachbarn und sich als gleichwertig platzieren.

Ein weiteres Schlüsselwort für Amerikaner ist Stolz: I am proud to be an American.