Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Impressum:
© 2017 Bernd Sternal
Herausgeber: Verlag Sternal Media, Gernrode
Gestaltung und Satz: Sternal Media, Gernrode
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Umschlagsgestaltung: Sternal Media
Zeichnungen von R. Sapper aus Oswald Boelcke, der Meisterflieger von Anton Lübke, 1940
Fotos & Abbildungen: Archiv B. Sternal oder siehe Bildlegenden
1. Auflage Januar 2017
ISBN: 978-3-7431-4749-2
Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
Flugwettbewerbe mit Flugzeugen gab es bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Der bedeutendste dieser Wettbewerbe war der Deutschlandflug, der erstmals am 11. Juni 1911 ausgetragen wurde – es waren bescheidene Anfänge, die vorrangig für die Popularität der Fliegerei sorgen sollten.
Nach dem Krieg herrschte zunächst Flugverbot, der Versailler Vertrag wollte es so. Erst im Jahr 1925 wurde das Motorflugverbot gelockert bzw. durch die Alliierten aufgehoben. Der erste Deutschlandflug nach dem Ersten Weltkrieg konnte somit am 31. Mai 1925 starten und den Motorflugsport zu neuem Leben erwecken. Veranstalter waren der Deutsche Luftfahrtverband (DLV) und der Aero Club von Deutschland. Für diesen Wettbewerb steuerte der Ullstein Verlag 100.000 Mark bei, weitere 95.000 Euro kamen von anderen Spendern hinzu. Dieser Deutschlandflug eröffnete neue Dimensionen: Er erstreckte sich über 5.000 km wobei 34 Städte angeflogen wurden und er hatte die Form einer Zuverlässigkeitsprüfung. Es wurde in drei Gruppen geflogen: Gruppe A (Leichtflugzeuge bis 40 PS), Gruppe B (Mittlere Klasse bis 80 PS), Gruppe C (Große Klasse bis 120 PS).
Dieser Flugwettbewerb war aufsehenerregend. Ganz besondere Beachtung fand dabei das kleinste Flugzeug in der kleinen Klasse. Es war das Leichtflugzeug „Mohamed“, das von Mitgliedern der Akademischen Fliegergruppe an der Technischen Hochschule Darmstadt konstruiert und gebaut worden war und dessen Pilot den Namen Fuchs hatte. Seine Maschine, ausgestattet mit einem Motor der nur 16 PS leistete, schaffte in einer Etappe die Strecke von über 1.000 km in der vorgeschriebenen Zeit. Kurz seien noch die Sieger der drei Klassen genannt: Leichtflugzeuge – Bruno Lörtzer auf einem Daimler Leichtflugzeug, Mittlere Klasse – Karl Hochmuth auf Udet-Tiefdecker U 10, Große Klasse – Ritter auf einer Caspar-Theiss. Alles was zur damaligen Zeit im Flugwesen in Deutschland Rang und Namen hatte, nahm an diesem ersten Nachkriegswettbewerb teil.
Eine ganz außergewöhnliche Leistung – einen Alpenrekord – stellten im Folgejahr 1926 die Flieger Hans Guritzer und Werner von Langsdorff auf: Sie starteten in Sindelfingen und flogen mit einem nur 20 PS starken Daimler-Klemm-Tiefdecker über die Alpen nach Wien, wobei sie den Groß-Glockner und den Groß-Venediger überflogen.
Im Spätsommer 1926 wurde Deutschland wieder in die Féderation Aéronautique Internationale aufgenommen, womit auch die letzten Begrenzungen aufgehoben worden waren.
Kurze Zeit später stellte der Heinkel-Pilot Wolfgang von Gronau einen Höhenweltrekord für Wasserflugzeuge auf, was wohl Auslöser für eine beginnende bespiellose deutsche Rekordjagd war. Außergewöhnlich war dabei besonders die Leistung von Hermann Steindorff, der allein fünfundzwanzig Weltrekorde aufstellte.
Eine ganz besondere Leistung war der Dauerflugweltrekord der Piloten Cornelius Edzard und Hans Ristisz, die den alten Weltrekord des Amerikaners Chamberlin auf 52 Stunden und 9 Minuten steigern konnten. Für diesen Rekord flogen sie in einer Junkers I 33 zwischen Dessau und Leipzig hin und her.
Ein ganz Großer unter den Rekordjägern war auch der Walter Mittelholzer. Am 17. Dezember 1926 startete er mit drei Besatzungsmitgliedern mit einer Dornier-Merkur in Zürich und überflog ganz Afrika bis nach Kapstadt in Südafrika. 65 Tage dauerte dieser Flug bei dem über 20.000 km zurückgelegt wurden.
Einige weitere Weltrekorde wurden von Mittelholzer aufgestellt, so auch am 8. Januar 1930 den ersten Flug über den Kilimandscharo. Zuvor, vom 24. bis 29. Juni 1926, hatte er bereits mit einer Merkur und dem zweiten Piloten Georg Zinsmaier sieben Weltrekorde aufgestellt, indem sie die 7.000 km lange Strecke Friedrichshafen – Berlin – Königsberg – Moskau – Tiflis – Baku – Charkow ohne Zwischenfälle zurücklegten.
Zahlreiche Rekorde wurden zudem von den Junkers-Piloten Waldemar und Hermann Röder, Loose, Zimmermann, Gohte, Schnäbele, Horn und Jüterbock aufgestellt. Letzterer, Georg Jüterbock, gilt als erster Kaukasus-Bezwinger. Zudem stellte er 1927 einen Geschwindigkeitsrekord und 1928 einen Höhenrekord mit einer Junkers W 34 auf.
Zahlreiche deutsche Flieger sind zudem ins Ausland gegangen. Dort waren für gute Piloten die Bedingungen nach dem Ersten Weltkrieg deutlich besser als in Deutschland. Besonders in Südamerika taten sich die Junkers-Flieger Kneer, Gillwald, Hucke, Petermann, Junkers sowie Fritz Hammer hervor. Dieser organisierte in Südamerika einen Luftverkehr mit Dornier- und Junkers-Flugzeugen. Die Arbeit von Hammer war famos, war der von ihm organisierte südamerikanische Luftverkehr doch der erste, der wirtschaftlich arbeitete. Natürlich gab es dafür Gründe: Reisen mit Bodenverkehrsmitteln war in Südamerika äußerst kompliziert.
Die deutschen Flieger, besonders die im Ausland tätigen, konnten mehr internationale Brücken bauen, als es damals der deutschen Politik möglich war. Die Piloten besaßen weltweit Anerkennung und Reputation. Um wenigstens einige dieser Pioniere vor dem Vergessen zu bewahren, habe ich nach dem ersten Band „Eroberer der Lüfte“ nun diesen zweiten verfasst. Und wenn alles gut läuft, folgt auch noch ein dritter Band.
Gernrode, Januar 2017 | Bernd Sternal |
Oswald Boelcke ist als Luftfahrtpionier heute fast vergessen, was wohl auch daran liegen mag, dass er bereits vor etwa hundert Jahren gestorben ist.
Dabei war er im Ersten Weltkrieg ein Held, der nicht nur in Deutschland für Furore sorgte, sondern auch bei den Gegnern Anerkennung und Bewunderung fand.
Seine Eltern waren noch nicht lange wieder in Deutschland, denn sein Vater, Oberlehrer Max Boelcke, hatte sechs Jahre lang im argentinischen Buenos Aires eine deutsche Schule geleitet.
Kaum war die Familie wieder in Giebichenstein bei Halle an der Saale angekommen, als am 18. Mai 1891 Oswald geboren wurde; er hatte jedoch bereits drei Geschwister. Als Oswald 4,5 Jahre alt war, zog die Familie nach Dessau, wo sein Vater als Oberlehrer am Lehrerinnenseminar tätig wurde.
Oswald war zunächst ein etwas schmächtiger Junge. Durch umfangreiche sportliche Aktivitäten, sowie durch Mut und Gewandtheit glich er diese körperlichen Defizite jedoch aus. Dennoch zählte der junge Boelcke nicht zu den Gesündesten, denn er litt seit seinem 3. Lebensjahr an Asthma, das nach einem Keuchhusten zurückgeblieben war und ihn zeitlebens begleitete.
Boelcke legte keinen Wert auf Büchergelehrsamkeit; er war ein Mann der Praxis der sich von Jugend an besonders für Technik interessierte. Dabei lag sein besonderer Schwerpunkt auf Maschinen-, Militär- und Luftfahrttechnik. Es ist überliefert, dass er sich schon als Schüler Aufsatzstoffe wählte, die diese Themen abdeckten: „Die Anfänge der Luftfahrt“, „Graf Zeppelins Leben, bis zu seinem ersten Flugversuch“, „General Scharnhorst und seine Heeresreform“ usw.
Er wollte Offizier werden, dass war ihm schon als Knabe bewusst. Ohne Kenntnis der Eltern schrieb er deshalb bereits als zwölfjähriger diesbezüglich ein Gesuch an den Kaiser. Doch dafür war Boelcke noch zu jung und seine Eltern konnten ihn mit viel Überredungskunst dazu bringen am Dessauer Friedrichsgymnasium sein Abitur abzulegen.
Nun war sein Tag gekommen, der Tag, an dem er selbst über seine Zukunft entscheiden konnte; Anfang 1911 wurde Boelcke Soldat. Er wurde zunächst Fahnenjunker im Koblenzer Telegrafenbataillon Nr.3, einer neuen technischen Einheit, die er bewusst gewählt hatte.
Auch war Boelcke von großem Sparsinn geprägt, Verschwendung war für ihn ein Ärgernis. Im ersten Jahr des Ersten Weltkriegs schrieb er dazu seinen Eltern: „Alle Leute sind so reichlich mit Wollsachen versehen, dass manche ihre Strümpfe überhaupt nicht mehr waschen, sondern sie nach einmaligem Tragen einfach wegwerfen.“ Zum Ende des Briefes bemerkt er dann: „Wenn sich diese unsinnige Vergeudung nur nicht mal rächt, falls der Krieg länger dauern sollte, wie es fast jetzt erscheint“.
Doch zurück ins Jahr 1911: Bereits während seines ersten Militärjahres als Fahnenjunker kam Boelcke mit der Fliegerei in Kontakt, die ihn nachhaltig beeindruckte. Im September 1911 berichtet er diesbezüglich von Erlebnissen, die ihn besonders beeindruckten: „Einen großen Eindruck habe ich während der ersten Tage in Straßburg (Uckermark) gehabt. Die Luftschiffe und Flieger, die in der Nähe manövrierten und oft über Straßburg hinflogen, waren beindruckend. Dicht am Rathausturm, auf den ich hinaufgeklettert war, sind die Ein- und Zweidecker vorbeigeflogen. Das ist doch ein tolle Sache.“
Nachdem Boelcke am 20. August 1911 zum Leutnant befördert worden war, leistete er in seinem Telegraphenbataillon zunächst Dienst als Fernsprecher und Funker. Als solcher stand er in enger Verbindung zur Fliegerei, zumal er im Oktober 1913 nach Griesheim bei Darmstadt versetzt wurde, wo er als „Drahter“ die Fernsprechverbindung zwischen dem Stab und der Fliegerei zu betreuen hatte.
Im November 1913 fuhr Boelcke nach Frankfurt, wo er sich an den Flugkünsten des Franzosen Pégoud erfreute und nachhause schriebt: „Der Mann hat mir sehr imponiert!“
Im Laufe des Jahres 1913 verfestigte sich Boelckes Interesse an der Fliegerei und im Mai 1914 stand für ihn fest: „Ich gehe zu den Fliegern.“ Die junge Militärfliegerei steckte noch in den Kinderschuhen und das Militär hatte noch seine Zweifel an der militärischen Bedeutung dieser so neuen Militärtechnik. Es war somit schon etwas Außergewöhnliches, wenn ein junger Offizier sich der Fliegerei verschrieb. Er konnte erreichen, dass er im Mai 1914 zur Fliegerschule nach Halberstadt abkommandiert wurde.
Seine Eltern beschwindelt er in dieser Sache und gab an, dass er abkommandiert sei, um in verschiedenen Städten Deutschlands Funkstationen zu errichten. Er wollte wohl nicht, dass sie sich bezüglich seiner fliegerischen Ambitionen Sorgen machten. Auch ist anzunehmen, dass der fünf Jahre ältere Bruder Wilhelm auf seine Entscheidung zumindest einen gewissen Einfluss ausgeübt hatte, denn dieser war schon zuvor zur neugegründeten Fliegertruppe gewechselt.
Boelckes Fliegerkarriere begann jedoch recht spektakulär: Bereits sein erster Alleinflug, wohl mit einer 70 PS Halberstadt-Taube, endete in einem Kornfeld, was der junge Pilot jedoch ohne Verletzungen überstand. Dennoch muss er ein begabter und ehrgeiziger Flugschüler gewesen sein, denn er legte seine Pilotenprüfung im Eiltempo ab. Dazu ist ein Brief vom 14. Juli 1914, dem Tag, an dem er seine erste Fliegerprüfung bestand, an einen Freund erhalten: „Meine Fliegerei schreitet rüstig vorwärts – der Ansatz zur großen Kanone ist gemacht. Gestern habe ich meine Pilotenprüfung bestanden. Zuerst kam der sogenannte Höhenflug. Ich habe 300 m erreicht – kolossal! Dazu braucht man mit unseren alten Schulmaschinen eine gute viertel Stunde. Darauf musste ich fünf Achten fliegen und bei einem bestimmten Punkt landen. Als ich nach den ersten Achten quitschvergnügt runterkam, meinten meine Sportfreunde, das wären Bretzeln gewesen. Ich erfuhr nun erst, dass die Achten über zwei festen Punkten zu drehen sind. Auf diese Weise bin ich, zu meiner großen Freude, noch zweimal zum Start gekommen. Das ist nämlich hier ein Elend, dass man so wenig fliegen kann! Vor der Pilotenprüfung habe ich nur vier Alleinflüge machen können. Für uns zwölf Alleinflieger stellt die Fabrik meist nur zwei Maschinen zur Verfügung und jeder Flug wird gezählt, damit man ja nicht zu oft drankommt! In vier bis fünf Wochen werde ich hier fertig sein. Ich soll dann nach Köln, weil dort die einzige Kompanie des 3. Fliegerbataillons ist, die Halberstadt-Tauben fliegt.“
Am 31. Juli 1914, dem Tag der Mobilmachung, legte Boelcke seine zweite Fliegerprüfung ab: Überlandflug Halberstadt-Wernigerode und zurück; Dauer 68 Minuten, Höhe 1.200 Meter. Er hatte somit seine Fliegerausbildung nach nur knapp 2 Monaten abgeschlossen.
Doch Boelcke kam nicht unmittelbar nach Kriegsbeginn an die Front, er musste zunächst noch sein drittes Fliegerexamen ablegen. In den ersten Tagen des Septembers 1914 wurde er dann an die Westfront versetzt, wo er zusammen mit seinem Bruder Wilhelm in der Feldflugabteilung 13 (FFA 13) Dienst tat.
Zu diesem Zeitpunkt hatte niemand eine Vorstellung, wie sich dieser Krieg entwickeln würde. In den Jahrhunderten zuvor wurden Kriege durch Infanterie, Artillerie oder Kavallerie entschieden. Zu Beginn des Krieges bestanden beim deutschen Militär noch keine Visionen, dass dieser Krieg anders entschieden werden könnte. Auch war die Zahl der Flugzeuge in Deutschland, wie auch bei den Kriegsgegnern, viel zu gering, als dass man auf die Fliegerei als entscheidende Waffe hätte setzen können. Die deutschen Militärs hatten anfangs nur die Bedeutung der Fliegerei zur Aufklärung im Blick.
Doch dann tauchte im Herbst 1914 plötzlich an der Westfront ein französischer Flieger auf, der im Gegensatz zu den bekannten Flugzeugen ein gespenstiges Aussehen hatte. Es war ein schwarzer Eindecker, der durch seine Schnelligkeit und seine großen Erfolge wegen überall Schrecken hervorrief. Der von den Soldaten „Bauernschreck“ genannte Flieger erschien wochenlang immer zur gleichen Zeit mit seiner düsteren Maschine und warf seine tödliche Bombenlast ab – bis er von den deutschen Abwehrgeschützen vom Himmel geholt wurde.
Dieses Ereignis ließ das deutsche Militär erkennen, dass sie gegenüber Frankreich den Anschluss bei der Fliegerei verloren hatten und zudem, dass Flugzeuge zu mehr taugen als zum Aufklären.
Schnell wurde begonnen, die Flugzeuge mit Maschinengewehren auszurüsten, was in Friedenszeiten strikt abgelehnt worden war. Doch auch hier waren anfänglich die Franzosen um einiges schneller als die Deutschen. Bereits im März 1915 wurde begonnen, das militärische Flugwesen komplett umzustrukturieren; Flugchef wurde Major Thomsen.
Oswald Boelcke wurde ein neues Flugzeug mit einem 150-PS-Motor und einem Maschinengewehr in die Hand gegeben. Doch hatte diese Maschine den erheblichen Nachteil, dass sie wegen des Propellers nicht nach vorn schießen konnte.
Doch bald schon kam Fokker aus Schwerin und präsentierte ein Unterbrechergetriebe für die luftschraubensynchrone Auslösung der Maschinenwaffen, so dass durch den Propeller nach vorn geschossen werden konnte. Diese Technik war der der Franzosen überlegen. Die damit ausgestatte Fokker E-I gilt als erstes, in Serie gefertigtes, Jagdflugzeug der Welt. Im Mai 1915 kam das erste Flugzeug dieser Bauart an die Westfront und der erste der diese Maschine bekam war Oswald Boelcke.
Mit Erhalt dieses Flugzeuges begann Boelckes Erfolgsgeschichte als Jagdflieger. Trotz der modernen Maschinenwaffentechnik kann man den grenzenlosen Mut, verbunden mit Nerven wie Drahtseile, nur bewundern. Bestanden die damaligen Flugzeuge doch im Wesentlichen aus Holz, Leinwand, Farbe, Schrauben und Drähten. Einzig etwas Sicherheit gegen feindlichen Beschuss bot der Motorblock.
Boelcke erhielt von seinen Kameraden den Namen „erster Ritter der Lüfte“, der wohl gut getroffen war. Wie in den Kriegen zuvor die Ritter Mann gegen Mann kämpften, so kämpften nun die Jagdpiloten in den Lüften Mann gegen Mann.
Seinen ersten Luftsieg errang Boelcke jedoch noch mit einem alten Zweisitzer. In diesem Luftkampf hatten seine Vorgesetzten wohl sein fliegerisches Talent sowie seine außergewöhnliche Nervenstärke erkannt. Als Anerkennung seiner Leistung erhielt er die einsitzige Fokker, die ihm wie ein Geschenk erschien. Er schrieb dazu in einem Brief: „Der Starke ist am mächtigsten allein. Mit dem Einsitzer ist mein Ideal erreicht: Nun kann ich Führer, Beobachter und Kämpfer zugleich sein.“
Am 24. Juni 1915 vermerkte er die Tatsache, dass die in den Flugzeugen bis dahin üblichen Leuchtpistolen durch Funkgeräte ersetzt worden waren.
Die Flugeinsätze fanden damals noch ohne eine Strategie statt. Die deutschen Jagdpiloten warteten im Allgemeinen auf die feindlichen Maschinen um dann den Luftkampf mit ihnen aufzunehmen. Ob es nur Mut und Ungeduld von Boelcke war, oder ob er damals schon eine Strategie verfolgte? Letzteres ist wahrscheinlich, denn er schrieb in seinen Berichten: „Da ich hier bei uns keinen fassen kann, suche ich sie hinter ihren Linien auf, wo sie sich sicher glauben, wenn sie beim Einschießen ihrer Artillerie sind. Die anderen Herren, die noch Fokker-Kampfflugzeuge fliegen, sind zumeist anderer Ansicht und wollen nur hinter unseren Linien angreifen. – Man muss nicht warten, bis sie kommen, sondern sie aufsuchen, Jagd auf sie machen.“
Die Heeresleitung hatte Boelckes außerordentliches Vermögen bald erkannt und versetzte ihn Ende September 1915 nach Metz, in eine neu gebildete Staffel. In diesen Zeitraum fallen erneute Aufrüstungen der Flugzeuge, über die er berichtet: Sein Flugzeug wurde jetzt mit zwei Maschinengewehren ausgestattet, die zudem jeweils 600 Schuss in der Minute anstatt vierhundert abgeben konnten; zudem wurde die Motorleistung um 10 PS erhöht.
Boelcke eilte von Erfolg zu Erfolg und erhielt das Eiserne Kreuz beider Klassen sowie im Dezember 1915 den Pour le mérite. Ende Januar 1916 wird er zum Kampfgeschwader 2 versetzt, das sein Bruder Wilhelm führte. Als er Ende Mai 1916 seinen 18. Abschuss verbuchen konnte, wurde er zum Hauptmann befördert. Am 12. Juni 1916 wurde Boelcke Staffelkommandant von 6 Fokker-Eindeckern.
Dann kam ein Einschnitt: Am 18. Juni 1916 wurde der „Adler von Lille“ Max Immelmann abgeschossen, der neben Boelcke zu den erfolgreichsten deutschen Jagdfliegern gehörte. Beide kannten sich gut waren schon öfters zusammen Einsätze geflogen. Boelcke erkannte wohl erstmals, wie schnell das Leben eines Jagdfliegers zu Ende gehen kann, daran hatte er davor kaum Gedanken verschwendet. Aber damit nicht genug: Der Kaiser persönlich erteilte den Befehl, dass er bis auf weiteres nicht mehr fliegen durfte. Stattdessen bekam Boelcke auf höchsten Befehl eine Urlaubsreise in den Orient verordnet. Diese sechswöchige Reise, die ihn nach Wien, Budapest, Konstantinopel, die Dardanellen, Bulgarien, Kowel, Wilna und Kowno führte war wohl strategisch geplant, denn überall wurde er empfangen und traf mit zahlreichen Würdenträgern zusammen.
In Kowno erreichte ihn dann ein Telegramm seines Flugkommandanten, in dem er aufgefordert wurde umgehend an die Westfront zurückzukehren – die Vorzeichen der fürchterlichen Somme-Schlacht zeichneten sich ab und Boelckes Rat und seine Erfahrung wurden benötigt.
Am 10. August wurde Boelcke mit der Aufstellung einer Jagdstaffel beauftragt und man ließ ihm dazu frei Hand. Sein Bruder Wilhelm machte ihn auf zwei Flieger aufmerksam, die Boelcke dann für seine neue Jagdstaffel 2 „Jasta Boelcke“ verpflichtete: Leutnant Böhme und Leutnant von Richthofen. Diese Jasta 2 sollte in der Folge zur bekanntesten, gefürchtetsten und erfolgreichsten deutschen Fliegereinheit werden.
In den folgenden Wochen der Somme-Schlacht wuchs die Jasta Boelcke und insbesondere Oswald Boelcke über sich hinaus. Was in dieser Zeit in Boelcke vorging können wir nur erahnen. Er entwickelt sich zu einer Art Kampfmaschine, die alles andere ausblendete und wie einige zeitgenössische Berichte schrieben, in einen dämonischen Zustand geriet.
Die Berichte über seine zahlreichen Abschüsse geben uns vielleicht einen kleinen Einblick in seine Gemütsverfassung, die geprägt war vom Dienst am Vaterland und vom unablässigen Luftkampf – für alles andere blieb kein Raum: „…Da ich von schräg oben kam und stark drückte, hatte ich den feindlichen Apparat in wenigen Sekunden eingeholt. In dem Augenblick, wo ich meine Maschine über den Gegner hinwegreißen wollte, sah ich diesen explodieren. Ich bekam noch eine schwarze Rauchwolke ins Gesicht. Es war kein Kampf, sondern ein in kürzester Zeit erfolgtes Herunterknallen. Das Schauspiel, wie kurz vor mir der feindliche Apparat auseinanderbrach, in Flammen aufging und dann wie eine große Fackel herunterging, war sehr grausig.“
In zahlreichen Feldberichten verwendete Boelcke immer aufs Neue Adjektive wie grausig, schauerlich. Dennoch war er dermaßen motiviert, dass er nur seine Soldatenpflichten sah und alle Emotionen ausblenden konnte – für seine Feinde, jedoch auch für sich selbst.
Weiter berichtet er von einem anderen Luftkampf: „Als ich auf etwa fünfzig Meter nahe war und die beiden Leute im Apparat deutlich sehen konnte, fing ich ein wohlgezieltes Dauerfeuer an. Gleich darauf kippte der Gegner und wollte nach unten entweichen, doch das war jetzt zu spät, ich war zu nahe heran und konnte ihn in aller Ruhe beschießen. Nach etwa 150 Schuss sah ich den linken Motor stark qualmen, kurz darauf mit einer grell leuchtenden Flamme explodieren. Der Apparat überschlug sich, brach in sich zusammen und flammte auf. Wie ein Klotz fiel er in die zweite französische Stellung hinunter und brannte dort weiter.“
Boelcke selbst wunderte sich darüber, dass die Flugzeuge seiner Gegner so häufig brannten und auch explodierten. In einem Brief am 19. Oktober 1916 schrieb er dazu: „Es ist merkwürdig, dass bei mir so oft die Gegner brennen. Die anderen behaupten steif und fest, das wäre Suggestion, ich brauchte nur einen Gegner anzugreifen, dann brennt er, oder er verliert wenigstens unterwegs die Flügel.“