Die Elfen von Krateno, ist das erste Buch aus der fantastischen Welt von Godwana. Jetzt in der

3. Auflage.

Mehr über die Fortsetzungen und andere Bücher erfährst du auf www.lucian-caligo.de.

Über den Autor:

Lucian Caligo, 1985 in München geboren, gehört zu den neuen aufstrebenden Selfpublishern. Nach seiner Schulzeit stolperte er in eine Bauzeichnerlehre, von der er sich zur Krankenpflege weiterhangelte. Fantastische und vor allem düstere Geschichten zu ersinnen, war in dieser Zeit nicht mehr als eine heimliche Leidenschaft. Erst im November 2014 beschloss er all seine Bedenken, wegen seiner Legasthenie und tausend anderen Gründen, über Bord zu werfen und seine Werke zu veröffentlichen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2019 Lucian Caligo

Illustration: Raimund Frey

Lektorat: Christina Reichel, Svenja Dilger

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7448-0548-3

Für eine ganz besondere Frau,
die mir Kraftquelle und Inspiration
gleichermaßen ist

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel
  2. Kapitel
  3. Kapitel
  4. Kapitel
  5. Kapitel
  6. Kapitel
  7. Kapitel
  8. Kapitel
  9. Kapitel
  10. Kapitel
  11. Kapitel
  12. Kapitel

Prolog

Wir schreiben das Jahr 2312 nach dem großen Ereignis. Die stolzen Völker, die einst über Godwana herrschten, sind zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Nicht mehr als eine Randnotiz in den Geschichtsbüchern der Menschen werden sie einnehmen. Diebe, umherziehende Gauner, oder versoffen und dem Wahnsinn anheimgefallen. Die Zeit der Elfen und Zwerge ist vorbei.

Zwerge hausen in ihren verfallenen Stollen und versuchen ihren geerbten Schmerz in einem widerwärtigen Gesöff zu ertränken, das den Namen Bier nicht verdient. Die Elfen sind heute nicht mehr als Bettler, denen es nicht gelingt, ein eigenes Reich zu gründen. Der Glanz ihrer Vergangenheit, wenngleich dahin, blendet sie unentwegt bei den kläglichen Versuchen, ihr Volk zu einen. Anstatt ganz von vorne zu beginnen, glauben sie noch immer, dass ihnen das uneingeschränkte Recht zusteht, über Godwana zu gebieten. Doch die Herrscher der Menschen sehen das natürlich anders und lassen ihre Macht nicht von hageren, in Lumpen gehüllten Gestalten mit spitzen Ohren anfechten. So mancher Elf hat sein unendliches Leben bei dem Versuch eingebüßt, seine, ihm zustehende Herrschaft, zurückzufordern. Seit einigen Jahrhunderten wagen die Elfen nicht mehr, die Autorität der Menschenkönige anzufechten. Wie Landstreicher ziehen sie ziellos zwischen den Städten der Menschen umher, die wie Pilze aus dem Boden sprießen. Die Elfen werden nie lange geduldet, denn überall wo sie auftauchen tragen sich eigentümliche Dinge zu, an denen sie angeblich Schuld haben sollen. So wurden die Elfen über alle Lande versprengt. In ihrem Elend gelingt es ihnen nicht einmal, sich zu einem Volk zusammenzuschließen. Jeder Anführer einer noch so kleinen Sippschaft besteht auf das Vorrecht seines königlichen Blutes und damit auf das Privileg, alleiniger Herrscher aller Elfen zu sein. Dabei ist längst vergessen, wie das Elfenvolk einst in seiner glorreichen Vergangenheit lebte.

In den Schriften heißt es: Sie herrschten einst von einem Inselkontinent aus, der heute Krateno genannt wird. In der Sprache der Alten bedeutet dies: verfluchtes Land. Denn dieser Erdteil ist seit dem großen Ereignis unbewohnbar. Etwas hat fast alle Quellen dort verdorben, sodass jeder, der davon trinkt, Höllenqualen erleidet und stirbt, zumindest wenn er Glück hat. Das verseuchte Wasser ruft schreckliche Mutationen hervor. So verwandelt es harmlose Tiere in blutrünstige Bestien, die in ihrer Fressgier über jeden herfallen, der es wagt, in ihr Revier einzudringen. Es ist nahezu unmöglich einen Fuß auf Krateno zu setzen und es zu überleben. Die Wenigen, denen es gelang den Kontinent lebend zu verlassen, hatten ihren Verstand eingebüßt und waren nicht mehr fähig, die durchlebten Schrecken zu schildern.

Seit Anbeginn der menschlichen Zivilisation ist Krateno der Kontinent um den sich, wie um keinen zweiten in Godwana, Sagen und Mythen ranken. Es wird berichtet, dass sich dort immer noch die mit Schätzen angefüllten Ruinen der einstigen elfischen Hochkultur befinden. Menschliche Machthaber träumen von den verborgenen Waffen und dem Wissen des alten Elfenvolkes. Angeblich herrscht jener, dem es gelingt Krateno zu erobern, über die ganze Welt. Doch nur wenige wagen es tatsächlich, eine Reise zu diesem verdorbenen Kontinent auf sich zu nehmen, um dessen Geheimnisse zu lüften und die verborgene Macht an sich zu reißen. Meist nur jene, die ohnehin nichts mehr zu verlieren haben. Doch nahezu alle, die eine derartige Reise unternahmen, wurden nie wiedergesehen.

Es scheint absolut unmöglich, dass auf Krateno etwas überlebt hat, das sich nicht durch Krallen, Hörner oder andere Mutationen auszeichnet.

Die meisten Elfen sind zur Zeit des großen Ereignisses umgekommen oder geflohen. Und dennoch haben sich dort einige wenige behauptet, die ihr Land nicht aufgeben wollten. Aber sie wurden von dem großen Ereignis in ihrer Entwicklung so weit zurückgeworfen, dass von ihrer Kultur nicht das Geringste übriggeblieben ist. In einem Jahrtausende währenden Kampf ums Überleben haben sie fast alles vergessen, was sie einst ausgemacht hat. Ihre Baukunst, ihre Waffentechnik und ihr umfangreiches Wissen über die Welt und Magie existieren nur noch als Fragmente aus einer Zeit, an die sie sich heute nur schemenhaft erinnern.

Einst wohnte den Elfen eine unvorstellbare Kraft inne; die Macht, sich allen Wissens und der ganzen Stärke ihres Volkes zu bedienen. Auch jene Fähigkeit ist vergessen und vermutlich für immer aus ganz Godwana getilgt worden. Dies lässt die Elfen im Gegensatz zu ihrer einstigen Größe erbärmlich erscheinen.

Auf Grund dieser Tatsachen erscheint es überflüssig zu sein, noch von den Elfen berichten zu wollen, denn ihre Zeit scheint vorbei. Und doch wird Krateno der Schauplatz sein, an dem seit über zwei Jahrtausenden zum ersten Mal ein Kampf um die Seele des Elfenvolkes geschlagen wird. Dieser wird entscheiden, ob die Elfen sich aus dem Staub ihrer gegenwärtigen Existenz zu neuer Größe erheben oder für immer zu Grunde gehen.

I.

Deshalb sollt ihr sein, wie Brüder und Schwestern einer
Familie. Eure Unterschiede sind kein Grund euch zu hassen,
sondern eine Bereicherung für euer Leben. Anstatt euch zu
verachten, sollt ihr einander in Freundschaft begegnen und
voneinander lernen. Nur so wird das Reich der Hochgeborenen
über die Jahrtausende Bestand haben.

Aus dem Codex der Hochgeborenen, Artikel 2

Die schartige Klinge zerriss den schleimigen Tentakel der Bestie. Sich windend klatschte der Fangarm auf den Waldboden. Enowir versprach sich davon nicht viel. In der Regel wuchsen die Fangarme dieser Monstren schnell wieder nach. Er duckte sich unter einem weiteren Arm des grollenden Ungetüms, der auf ihn zu peitschte, hindurch und übersprang den nächsten. Unvermittelt traf ihn einer der Tentakel im Gesicht und schleuderte ihn zu Boden. Die träge, unförmige Masse des Untiers schob sich auf Enowir zu. Das glühende Auge inmitten des aufgedunsenen Körpers fixierte ihn grimmig. Aus dem Leib wuchsen überall Tentakel, die sich unter den Speckschwarten herauswanden. Wer glaubte, dass Tiere keine böse Seele haben konnten, der war noch nicht auf Krateno gewesen.

Enowir rollte sich von der Bestie davon, die ungezügelt mit ihren unzähligen Armen nach ihm drosch. Inmitten der Kreatur öffnete sich ein Schlund, aus dem dicker Speichel herausspritzte. Vor Mordlust grollte die Bestie.

»Nemira, wo bleibst du?«, flüsterte Enowir verzweifelt, während er vergeblich versuchte, aus der Reichweite der Fangarme zu robben. Immer wenn er den Versuch unternahm, auf die Beine zu kommen, schlug einer der Tentakel knapp neben ihm ein. Er konnte nichts weiter tun, als einen vierbeinigen, unbeholfenen Sprung in Sicherheit zu unternehmen. Grünliches Blut spritzte über ihn hinweg und traf seine Jacke aus Reptilienleder, die ihn vor der ätzenden Substanz abschirmte. Das meiste davon traf ihn jedoch im Gesicht und verklebte seine Augen. Rücklings kroch Enowir über den Boden, getrieben vom markerschütternden Geschrei der Bestie. Um ihn herum schlugen ihre Fangarme in den Boden, ohne ihn zu treffen. Grollend hauchte die Kreatur ihr Leben aus.

Mit dem zerfledderten Ärmel seiner Jacke wischte sich Enowir den Schleim vom Gesicht. Nicht nur, um sein Sichtfeld zu klären, er musste auch so schnell wie möglich das Blut des Ungeheuers herunterbekommen, weil es sich bereits in seine Haut brannte. Mit dem Inhalt seines Trinkschlauches wusch er den Rest des ätzenden Lebenssaftes herunter. Er hatte Glück im Unglück. Das Blut der Kreatur war zwar verdorben, jedoch nicht derart, dass es sich wie Säure in seine Haut geätzt hätte. Noch bevor er die Augen wieder öffnen konnte, hörte er eine helle Stimme lachen.

»Wieso liegst du eigentlich immer auf dem Rücken, wenn ich mich kurz umdrehe?«, fragte Nemira belustigt.

»Weil du immer so lange auf dich warten lässt, dass ich derweil ein Schläfchen halten kann«, erwiderte Enowir. Er öffnete seine Lider etwas zu früh, sodass ihm ein minimaler Rest des Blutes in die Augen lief, es brannte erbärmlich.

Nemira stand auf dem Untier, das erschlafft auf dem Waldboden lag. Das große Auge war geplatzt. Offenbar hatte sie das Wesen mit einem einzigen Stich von hinten durch den Schädel - wenn man die Masse an der Stelle des Wesens so nennen mochte - getötet. Dafür hatte sie lediglich einen Pfeil benutzt. Die Spitze war bis durch das Bestienauge gedrungen, dessen Inhalt sich über Enowir verteilt hatte.

Übertrieben schwerfällig rappelte sich Enowir auf und hängte sein Schwert in die Halterung am Gürtel, die mit zwei Haken das Heft der Waffe hielt. Die Klinge baumelte frei neben seinem linken Bein.

»Na komm schon, alter Mann«, stichelte Nemira, während sie sich die zerzausten Haare aus dem Gesicht wischte. Diese mussten einst golden gewesen sein, doch in der Wildnis bekamen sie derart viel Dreck, Blut und anderen Unrat ab, dass sie nun in einem schmutzigen Braun erschienen. Nemira sprang von der Bestie herunter, nahm Enowir wie selbstverständlich das Schwert ab und rammte es in den toten Leib der verdorbenen Kreatur. Der Gestank, der die beiden auf einmal umhüllte, war so altbekannt wie brechreizerregend.

»Nemira, pass doch auf!«, beschwerte sich Enowir und hielt sich dabei die Nase zu. »Oder hat das einen Grund, warum du immer erst in den Darm dieser Viecher stichst?«

»Hält die anderen Ungeheuer fern«, erwiderte sie ungerührt, während sie das massige Bestienfleisch auseinander hebelte. »Außerdem, woher soll ich denn wissen, wo das Vieh seinen Darm hat?«

Damit hatte sie nicht Unrecht. Diese Bestie, Qualtra genannt, besaß keine festgelegte Anatomie, weshalb auch die Verdauungsorgane immer an einer anderen Stelle saßen. Bei genauerer Betrachtung war es also nicht mehr als Zufall gewesen, dass Nemira das Gehirn des Wesens mit einem einzigen tödlichen Schuss getroffen hatte.

»Wir haben Glück«, triumphierte sie. Enowir trat neben seine Gefährtin, um dieses Glück in Augenschein zu nehmen.

Aus dem Leib des Wesens schoben sich viele kleine Fleischbrocken, die aus trüben Augen zu den Elfen empor glotzten. Sie klebten noch im Schleim ihrer Mutter zusammen und hoben bereits drohend ihre winzigen Tentakel in die Richtung der beiden.

»Sie war schwanger«, stellte Nemira das Offensichtliche fest. Ohne lange zu fackeln stach sie auf eines der unsäglichen Kinder des Monsters ein. Blut quoll rot aus dem erschlaffenden Leib. Auf dem Kontinent Krateno gab es eine Regel: Alles was grün blutete, war giftig und alles, was roten Lebenssaft absonderte, konnte man gefahrlos essen. Meistens hing es mit der Lebenszeit einer Kreatur zusammen, ob ihr Fleisch essbar war.

Nemira und Enowir töteten die schleimige Brut so schnell es ging und verstauten die Kadaver in Lederbeuteln, die sie sich über den Nacken legten.

»Das war eine fette Beute«, plauderte Nemira fröhlich vor sich hin, als sie zurück zu ihrem Lagerplatz stapften. »Kann´s gar nicht erwarten eines der Viecher zu essen.«

»Worauf wartest du?«, stichelte Enowir herausfordernd. Ein Grinsen breitete sich über seinem von Narben zerfurchten Gesicht aus. Er war einst einem Gratrah zu nahe gekommen, der ihm das Gesicht zerkratzt hatte. Seine grauen Augen waren zum Glück unversehrt geblieben, doch die elfische Schönheit war dem Angriff gewichen. Seinem Äußeren konnte man jetzt nur noch etwas Verwegenes unterstellen.

»Glaubst wohl, ich mach das nicht?« Nemira verengte ihre Augen zu Schlitzen. Fast sechzig Jahre waren die beiden zusammen unterwegs und immer noch war Nemira von jugendlichem Trotz und Ehrgeiz beseelt.

»Doch schon, wenn sie gebraten und gewürzt sind. Vielleicht noch mit einer schmackhaften Soße gereicht, für die vornehme Elfe«, legte Enowir seinen Finger in die Wunde. Er wusste genau, wie lange Nemira dafür gekämpft hatte, eine Reisende zu werden. Frauen mussten kochen und die Festung in Stand halten. Aber ihre wichtigste Aufgabe bestand darin, Kinder zu gebären. Denn nur durch Masse konnten sie gegenüber der tödlichen Gewalt Kratenos bestehen. Ein Schicksal, dem Nemira sich nicht beugen wollte. Diesem war sie entflohen, indem sie sich selbst mit einem rätselhaften Gift infizierte, welches es ihr für immer unmöglich machte, Kinder zu bekommen. So war Nemira im Grunde nutzlos geworden. Der Obere hatte ihr, gegen heftigen Widerspruch seiner Berater, gestattet, an der Seite von Enowir die erste Reisende ihres Klans zu werden. Wenngleich er sicher gehofft hatte, dass eine Frau nicht lange in der Wildnis überleben würde. Enowir war über die neue Gefährtin nicht sehr erpicht gewesen. Doch er hatte zu dieser Zeit seinen Partner im Kampf mit einer Bestie verloren und andere Elfen gab es damals nicht, die ihrerseits den Rang eines Reisenden einnehmen konnten. Deshalb wurde ihm Nemira zugewiesen. Zunächst hatte er sie mit jedem seiner Worte wissen lassen, wie sehr er eine Frau verachtete, die derart gegen die ihr zugedachte Rolle verstieß. Doch schon bald, nach immerhin zehn Jahren gemeinsamer Jagd, waren die boshaften Bemerkungen zu freundschaftlichen Sticheleien geworden. Es bereitete Enowir diebische Freude seine Gefährtin unentwegt herauszufordern.

Nemira öffnete einen Sack, griff hinein und mit einem schmatzenden Geräusch holte sie eine der Babybestien heraus. Blut und Schleim liefen ihr über ihre feingliedrigen Finger, die sich in das weiche Fleisch des Monsters bohrten. Als sie die tote Kreatur vor ihre grün leuchtenden Augen hob, musste sie tief schlucken. Nemiras Augenfarbe war eine Nebenwirkung ihres Frevels. Eine solche Färbung der Iris gab es nicht in ihrem Volk. Ihre Augen wirkten dadurch unnatürlich. Auf eine groteske Weise stachen sie aus dem sonst so schönen Antlitz hervor.

»Was ist, soll ich dir eine Kräutersoße besorgen?«, fragte Enowir spottend, trat aber einen Schritt zurück, um kein günstiges Ziel für ein schleimiges Geschoss abzugeben. Zu einem solchen konnte das kleine Monster in Nemiras Händen ohne weiteres werden.

Enowir verzog angewidert das Gesicht, als Nemira ihre Zähne in den Klumpen schmierigen Fleisches schlug, einen Brocken herausriss, auf der zähen Masse kaute und ihn dabei böse anfunkelte. Ihre stechend grünen Augen und der rote Schleim, der sich über ihr Kinn verteilte und auf ihren ledernen Brustpanzer tropfte, verliehen ihr etwas Bösartiges.

»Köstlich«, schmatzte sie sichtbar angeekelt. Auch wenn sie sich zu einem Lächeln zwang, verriet ihre krausgezogene Stirn dennoch, dass ihr die spontane Mahlzeit nicht besonders schmeckte. Dass sie beim Herunterschlucken würgen musste, offenbarte ihren Ekel endgültig. Trotzdem konnte Enowir nicht anders, als beeindruckt zu sein.

»Manchmal denke ich, dass mehr Krieger in dir steckt als ...«, er suchte nach einem passenden Vergleich.

»Als in dir«, vollendete sie seinen Satz. Ohne auf Enowirs Reaktion zu warten, wischte sie mit der verschmierten Hand über dessen Mund.

»Bah!«, spuckte Enowir angewidert aus und gab ihr somit ungewollt recht. Doch noch etwas geschah mit ihm, als ihre Finger seine Lippen berührten. Es kribbelte leicht und wohltuend in ihm. Ein Gefühl, das er nie zuvor verspürt hatte, nur bei Nemira. Er hielt es für Freundschaft. Was sollte es auch sonst sein, wenn er sich in der Gegenwart einer Elfe rundum wohl fühlte?

Er wischte sich widerstrebend über den Mund, auch wenn er gerne etwas der Empfindung um seine Lippen nachgegangen wäre. Nemira kicherte hingegen amüsiert. Während er noch dem Gefühl nachhing, das seine Brust erfüllte und das er nicht einzuordnen vermochte, veränderten sich ihre Gesichtszüge zu einem wachsamen und auch erschrockenen Ausdruck. Bevor er fragen konnte, was denn los sei, stieß Nemira ihn hinter einen Baum. Schmerzhaft prallte er an die Rinde. Enowir unterdrückte den Impuls sich darüber zu beschweren, als Nemira sich dicht an ihn gepresst niederduckte.

»Sieh«, zischte sie. Er trennte sich von ihr und spähte an dem Baum vorbei.

»Was bei Conara?«, entfuhr es ihm. Er traute seinen Augen nicht.

»Zentifare«, bestätigte ihn Nemira flüsternd. Sie hätte jedoch nicht leise sprechen müssen, denn die Zentifare waren so laut, dass sich die beiden Elfen kaum verstehen konnten.

Zentifare gehörten zu den eigentümlichsten Wesen auf Krateno. Sie hatten die Oberkörper von Elfen, aber ihr Unterleib bestand aus den Hinterläufen einer Ziege oder sogar eines Pferdes. Enowir hatte auch schon solche gesehen, welche die Läufe eines Wolfes besaßen. Dabei waren die Körpergrößen immer ihrem Unterleib entsprechend. Größer als die Tiergattung, aus der sie entsprungen zu sein schienen wurden sie in der Regel nicht. Dies führte auch dazu, dass Zentifare mit Ziegenhinterläufen erbärmlich klein waren. Solche mit Wolfskörpern wurden etwas größer. Jene wiederum, welche durch das verderbte Wasser angefügte Pferdeleiber besaßen, waren die größten und gefährlichsten, die Enowir kannte. Letztere trabten unweit des Waldrandes in einer solch gigantischen Herde an ihnen vorbei, dass Enowir ihre Anzahl nur schätzen konnte. Es mussten mehrere Hundert sein.

»Was soll das bedeuten?«, wollte Nemira über den donnernden Hufschlag hinweg wissen, während sie sich hinter den Baum zurückzog. Auch Enowir konnte sich darauf keinen Reim machen. Die Zentifare organisierten sich für gewöhnlich in kleinen Gruppen bis zu zwanzig Tieren, mehr wurden es jedoch nie. Die Bestien waren wild, ungestüm und primitiv. Ihrer Natur folgend bekämpften sie sich untereinander, sobald ihre Gruppe zu groß wurde. Diese Auseinandersetzungen endeten normalerweise tödlich, sodass nur die Stärksten dieser Kreaturen überlebten. Sich in derartiger Anzahl zusammenzuschließen, lief ihrer Art völlig zuwider.

»Vielleicht sind sie auf der Flucht«, spekulierte Enowir, der sich zu seiner Gefährtin hinter den dicken Baum zurückgezogen hatte. Die Herde war weit genug weg und so schnell unterwegs, dass sie sich hier sicher fühlen konnten.

»Vor was sollten sie davonlaufen?«, fragte Nemira und blickte nachsinnend in die kargen Baumwipfel des Waldes. Hinter ihnen verklang das Donnern der Hufe allmählich.

Nemira hatte sicherlich recht. Zentifare waren nicht dafür bekannt, dass sie wegliefen. Normalerweise kämpften sie furchtlos bis zu ihrem eigenen Tod. Was sollte so schrecklich sein, dass es eine derartige Horde in die Flucht schlug?

»Eine Naturkatastrophe vielleicht«, überlegte Enowir. Er nahm den herben Duft von Nemira wahr, als er dicht neben ihr saß. Er schüttelte die Verzückung ab. Dies war der falsche Zeitpunkt dafür, wenn es überhaupt einen richtigen gab.

»Was meinst du mit Naturkatastrophe?«, fragte sie interessiert.

»Na ja ...« Enowir erhob sich. »Vielleicht ein Erdbeben oder eine Hungersnot, so etwas in der Art. Gründe, aus denen wir auch unsere Festung aufgeben würden.«

Nemira schien lange darüber nachzudenken, während sie ihm dabei tief in die Augen sah. Nicht viele hielten ihrem Blick stand. Oft fragte sich Enowir, was sie wohl in ihm sah, wenn sie ihn so anblickte.

»Nein«, entschied sie endgültig.

»Nein?!«, entgegnete Enowir überrascht. »Was willst du damit sagen?«, hakte er nach.

»Diese Dinger sind primitiv. Sie würden sich eher selbst fressen, als eine Hungersnot zu bemerken, und genauso würde ein Erdbeben sie nicht schrecken. Es muss einen anderen Grund geben«, schlussfolgerte sie.

Mit der verschmierten Hand kratzte sich Nemira nachdenklich am Kinn. Das Blut war mittlerweile eingetrocknet und bröselte in dunklen Schuppen von ihrer Haut.

»Viel interessanter ist doch die Richtung, die sie eingeschlagen haben«, gab sie zu bedenken.

»Südwestlich«, Enowir verstand nicht.

»Sie bewegen sich von unserer Festung weg«, erklärte sie mit einem tadelnden Ton in der Stimme, als sei er ein Jüngling, der keine Ahnung von der Welt hatte.

Enowir nickte abwesend. Er wollte immer noch wissen, was so viele Zentifare dazu veranlasste, sich in einer derart großen Horde zusammenzufinden.

***

»Ich verstehe nicht, was das für einen Sinn hat«, nörgelte Nemira und wiegte unruhig mit ihren Füßen auf und ab. Auf Krateno war es in vielen Fällen nicht ratsam, sich lange auf freiem Gelände aufzuhalten. Gerade dann nicht, wenn soeben eine Horde Bestien an ihnen vorbeigezogen war. Aber genau das taten die beiden, als sie die Spuren der Zentifare untersuchten. Im Grunde gab es hier nicht wirklich etwas zu untersuchen, denn auf einer Breite von etwa zwanzig Schritt war jedes bisschen Flora und Fauna niedergetrampelt worden.

»Sag ich dir, wenn ich es sehe«, gab Enowir konzentriert zurück. Er war sehr geschickt darin Fährten zu deuten. Aber selbst für ihn war lediglich erkennbar, dass es sich bei den Zentifaren ausschließlich um diejenigen mit Pferdeunterleib handelte. Doch zu dem Urteil wäre auch ein Blinder gelangt. Die Hufabdrücke hatten sich tief in den vertrockneten Boden eingegraben und das tote Gras war festgetreten.

»Gut, du hast recht. Hier gibt es nichts«, gestand sich Enowir ein und erhob sich.

»Sag ich doch, Stumpfohr«, versetzte Nemira. Ihre offensichtlich schlechte Laune rührte vermutlich von der Hitze der Sonne her, die erbarmungslos auf sie hinab brannte. Auch Enowir schwitzte stark. Zudem drohten die Sonnenstrahlen seine spitzen Ohren zu versengen, die durch seine dunklen glatten Haare stachen.

»Riechst du das auch?«, fragte Nemira.

Eigentlich hätte das laue Lüftchen für Erfrischung sorgen sollen, es trug jedoch den beißenden Gestank von Rauch mit sich.

»Ja«, bestätigte Enowir und rümpfte die Nase. Er blickte sich suchend um, bis ihm der Qualm direkt ins Gesicht wehte. »Es kommt von dort.«

Ohne auf Nemiras Einwände zu achten schritt er die breite Fährte entlang, welche die Zentifare hinterlassen hatten.

Nach nur wenigen Schritten eine Anhöhe hinauf erblickte er eine dicke Rauchsäule. Vom Wind getragen kam ihm eine Nebelwand aus Asche entgegen. Hustend hielt sich Enowir den Ellenbogen vor Mund und Nase, um den Qualm nicht direkt einzuatmen. Das Reptilienleder seiner Jacke war jedoch nicht dazu gemacht, den Rauch aus der Luft zu filtern.

»Lass uns von hier verschwinden«, hustete Nemira. Sie versuchte, sich mit einer Hand vor dem Qualm zu schützen.

»Gut«, willigte er ein und trat den Rückzug an. Vom Husten und Luftmangel verlangsamt, wurde er von Nemira überholt. Weil sich der Rauch mehr und mehr um die beiden schloss, bog Nemira in den Wald ab, aus dem sie gekommen waren. Eine gute Entscheidung, vielleicht fanden sie dort Schutz. Enowir spürte, wie sich seine Lunge immer weiter zusammenzog.

Sie hatten die erste Baumreihe noch nicht erreicht, als hinter ihnen Hufschläge ertönten, die wie der Donner eines drohenden Gewitters heranrollten. Enowir sah, wie Nemira niederging. Für einen Moment dachte er, sie sei einer Rauchvergiftung erlegen. Doch im kontrollierten Sturz riss sie ihren Bogen von der Schulter und legte einen Pfeil auf. Während sie noch auf dem Rücken lag, zielte sie kurz und schoss. Der Pfeil sirrte fauchend an Enowir vorbei. Hinter ihm polterte es.

Im Herumwirbeln zog Enowir sein Schwert. Nemira hatte den heranstürmenden Zentifaren mit einem einzigen Schuss, genau zwischen die Augen, zu Fall gebracht. Doch er war nicht allein, zwei weitere der Bestien stürmten hinter ihm heran. Sie waren vom Ruß geschwärzt, als wären sie durch lodernde Flammen gesprungen. Mit erhobenen Fäusten, zum Angriff bereit, setzte einer der beiden über den Gefallenen hinweg. Er war noch nicht auf dem Boden aufgekommen, als ihn ein Pfeil in die Kehle traf. Doch der Zweite erreichte Enowir, bevor Nemira erneut schießen konnte. Mit einem stumpfen Speer bewaffnet, drang das Ungetüm auf den Elfen ein. Enowir gelang es gerade noch, dem Stoß mit einer Drehung des Oberkörpers auszuweichen. Mit der Klinge voran riss er sein Schwert hoch und traf den ausgestreckten Arm des Angreifers von unten. Doch es fehlte seinem Schlag an Kraft, um den Zentifaren ernsthaft zu verletzen.

»Vorsicht!«, rief Nemira eine Warnung, die in einem erstickten Hustenanfall endete. Dem anderen Zentifaren hatte Enowir keine Beachtung geschenkt, doch gerade dieser, unbeeindruckt von dem Pfeil in seinem Hals, drang mit bloßen Fäusten auf ihn ein. Enowir konnte nicht mehr ausweichen, sondern sich nur noch fallen lassen, um dem mächtigen Hieb zu entgehen. Dieser ging weniger als knapp an ihm vorbei und streifte lediglich seine Nase, anstatt seinen Kopf zu zertrümmern. Am Boden liegend rollte sich Enowir vor den Hufen davon, die versuchten ihn totzutreten. Wenigstens war für Nemira das Schussfeld jetzt frei. Enowir hoffte inständig, dass sie davon Gebrauch machen würde, zumindest wenn sie die beiden Feinde durch den Rauch noch sehen konnte. Selbst für ihn waren sie in dem dichten Aschenebel nur als dunkle Schemen zu erkennen. Enowir hörte das Zischen etlicher Pfeile über sich. Eine Verzweiflungstat! Nemira schoss ohne Sicht, in der Hoffnung die Zentifare zu treffen. Schmerzerfülltes Heulen eines getroffenen Gegners erklang. Gerade als sich Enowir in Sicherheit wähnte, stießen aus dem Rauch Hufe hervor, um ihn endgültig in den Boden zu stampfen. In dem Moment flammte ein grelles Licht auf. Es dauerte nur einen Augenblick bis Enowir verstand: Der Wald, in den sie sich zu retten versuchten, hatte Feuer gefangen. Er hörte, wie die Angreifer von Panik ergriffen flohen. So schnell er konnte, richtete er sich auf. Seine Lunge brannte bei jedem Atemzug.

»Nemira, wo bist du?«, hustete er erstickt. Seine Stimme wurde nicht sehr weit getragen und ging in dem Getöse der Flammen unter. »Nemira, Ne-« Sein Hals zog sich zusammen und der Atem stockte. Seine robuste Natur hatte sich lange gegen den Rauch gewehrt, jetzt stieß auch sie an ihre Grenzen. Enowirs Beine verweigerten den Dienst und knickten ein. Hart schlug er auf. Über ihm glommen zwei grüne Sterne auf. Dann verlosch sein Bewusstsein.

***

Von heftigem und schmerzhaftem Husten gebeutelt, erwachte Enowir. Seine Lunge stand in Flammen. Außerdem hatte sich die Asche in Nase, Mund und Hals zu dicken Borken verklebt. Seine Augen tränten, aber gaben die Sicht nicht frei. Auch zu Sprechen blieb ihm versagt. Er wollte sich aufsetzen, aber es fehlte ihm die Kraft dazu und er sackte auf den kalten und feuchten Steinboden zurück. Seine Kleidung und Haare klebten nass am Körper. Die Feuchtigkeit brannte leicht auf seiner Haut.

»Ruhig«, sprach eine vertraute Stimme. Belebendes Nass schwappte über seine Stirn und Wangen. Geschickte Finger hielten die Flüssigkeit von seinen Augen und Mund fern. Noch im Dämmerzustand öffnete Enowir seine Lippen, um einen Schluck zu nehmen.

»Nicht«, warnte ihn die Stimme. »Das Wasser ist nicht zum Trinken geeignet.«

Deutlich verstärkte die Flüssigkeit das Brennen auf Enowirs Haut. Der Feuchtigkeitsfilm war jedoch zu dünn, um ernsthafte Schäden zu hinterlassen.

Ein weiterer Fluch von Krateno bestand darin, dass viele Wasser giftig waren. Wer es dennoch trank, starb, zumindest wenn er Glück hatte. Bei vielen rief es abscheuliche Mutationen hervor und weckte die Mordlust.

»Hier«, Nemira setzte ihm einen Trinkschlauch an den Mund. Zögerlich nahm er einen Zug davon, wobei er sich heftig verschluckte.

»Schon gut«, beruhigte Nemira ihn und gab ihm noch einen Schluck, als er sich wieder gefangen hatte. Das Wasser spülte den Dreck aus seinem Mund und gab ihm etwas von seiner Kraft zurück. Er wischte sich über das Gesicht und versuchte seine verklebten Augen vom Schmutz zu befreien. Endlich gelang es ihm zwischen den Schmutzfäden, die sich über seine Lieder spannten, hindurchzusehen. Neben ihm kniete Nemira. Über ihr Antlitz waberten Lichtreflexionen von Wasser, die sich ebenfalls über Wände und Höhlendecke ausbreiteten. Nemiras giftgrüne Augen bildeten dagegen einen abstoßenden Kontrast und dennoch ...

»Was schaust du denn so komisch?«, fragte die Elfe verwirrt.

Erst jetzt bemerkte Enowir sein dümmliches Grinsen. »Ich hab mich nur erschrocken«, versuchte er sich herauszuwitzeln, was jedoch gehörig misslang.

Seine Gefährtin strich ihm geistesabwesend durch die Haare und seufzte dabei erleichtert. Als Nemira bewusst wurde, was sie da tat, hielt sie abrupt inne und zog ihre Hand so schnell zurück, als habe sie sich an seinem Haar gestochen. Sie stand auf und räusperte sich verlegen.

»Wie hast du mich eigentlich gerettet?«, erkundigte er sich, um von der Situation abzulenken. Irgendetwas hatte sich zwischen ihnen verändert, doch dieses Gefühl war ihm fremd und daher unangenehm.

»Ach, das war nicht so schwer. Wir passen eben auf einander auf, oder?« Der Anflug eines Lächelns, das Enowir nicht zu ergründen vermochte, huschte über ihr sonst so verschlossenes Gesicht.

»Ja«, stimmte er zu, während er versuchte, sich aufzurappeln. Nemira stützte ihn. Für einen Augenblick kamen sich ihre Gesichter sehr nahe und Enowir verspürte den Wunsch, seine Lippen auf ihre zu pressen. Nemira kam ihm entgegen, als würde sie dasselbe Verlangen in sich tragen.

»Au!«, stieß Enowir hervor, als er zu Boden plumpste. Offenbar von ihren eigenen Gefühlen erschrocken, hatte Nemira ihn fallengelassen.

»Tut mir leid«, entschuldigte sie sich. Ein verlegenes Rosa breitete sich über ihre Wangen aus. Anstatt ihm den Arm stützend umzulegen, reichte sie ihm nur eine Hand und zog ihn auf die Beine. Geschwächt stützte er sich an der Höhlenwand hinter sich ab.

Erst jetzt erkannte er, dass in dieser Höhle eine Art Baum wuchs, dessen Krone sich wie Wurzeln über die scharfkantige Decke schlängelte. Er kniff die Augen zusammen, um noch einmal hinzusehen. Die Äste des Baumes bewegten sich tatsächlich. Instinktiv griff er an seinen Gurt, doch sein Schwert lag drei Schritt von ihm entfernt am Fuße des Baumes.

»Was ist?«, wollte Nemira alarmiert wissen.

»Mach jetzt keine hektischen Bewegungen«, warnte Enowir sie mit zusammengebissenen Zähnen.

Es dauerte nur einen Lidschlag, bis sie die Gefahr erkannte. Der Baum war offenbar vom vergifteten Wasser genährt und zu einem absurden Leben erwacht. Ob sich bei ihm bereits die Blutgier eingestellt hatte, die allen Kindern des verdorbenen Wassers innewohnte, konnte Enowir nicht sagen. Jedoch wollte er nicht riskieren, hier auf dem engen Raum gegen einen Baum kämpfen zu müssen.

»Komm«, zischte Nemira und machte zwei Schritte zurück, ohne das absurde Gewächs aus den Augen zu lassen, dessen Äste und Wurzeln deutlich sichtbar in alle Richtungen wuchsen.

»Mein Schwert«, flüsterte Enowir.

»Lass es liegen.« Das war ein weiser Rat, denn die Wurzeln wuchsen schon um den blanken Stahl herum. Ohne Waffe kam man auf Krateno jedoch nicht weit. Ihr Überleben hing vom Besitz einer scharfen Klinge ab.

Vorsichtig und darauf achtend nicht das geringste Geräusch zu machen, setzte Enowir einen Fuß vor den anderen. Er ging dabei jeglicher Wurzel aus dem Weg, die sich über den Boden schob. Langsam, ganz langsam beugte er sich zu der Waffe. Die Schneide lag am nächsten, sodass er nur diese zu greifen bekam. Da lief ein Grollen durch die Höhle. Die Wurzeln schossen vom Boden hoch und langten nach dem Elfen, der inmitten von ihnen stand. Enowir unterdrückte einen Fluch, fuhr herum, warf die Waffe in die Luft und fing sie am Griff auf. Mit einem heftigen Schlag wehrte er eine Wurzel ab, die auf ihn zu schnellte. Sein Schwert trieb eine tiefe Kerbe in das Holz. Grünlich schimmerndes Harz quoll daraus hervor. Das Grollen wurde lauter. Doch es war nicht der Baum, der dieses bedrohliche Geräusch von sich gab. Es war die Höhle, in die sich das Gewächs mit unnatürlicher Kraft hinein stemmte. Die Decke riss auf und schwere Steinbrocken brachen heraus, angetan, die beiden Elfen unter sich zu begraben. So schnell er konnte, rannte Enowir in Richtung seiner Gefährtin, wobei er nach allem schlug, was sich in irgendeiner Weise auf ihn zu bewegte.

Nemira schrie etwas Unverständliches über das Getöse hinweg und spurtete tiefer in die Höhle hinein. Enowir konnte gerade noch erkennen, wie sie hinter einer Windung in einen kleinen See sprang und nicht mehr auftauchte. Dort unter der Wasseroberfläche musste der Höhlenausgang liegen. Enowir stürzte sich ebenfalls in den unterirdischen Teich. Das vergiftete Element brannte in seinen Augen, ohne dass er viel erkennen konnte. Es war nur eine undeutliche Bewegung auszumachen. Mit kräftigen Zügen schwamm er darauf zu, von seinem Schwert in Händen eingeschränkt. Dennoch klammerte er sich an die Waffe.

Die Sicht vernebelte sich immer mehr, sodass er die Augen zukniff und einfach immer weiter schwamm, solang es ihm die wenige verbleibende Luft in seiner Lunge gestattete. Er wurde unsanft unter seinem linken Arm ergriffen und nach oben gezogen. Ein kühler Wind wehte ihm um die Ohren, als er die Wasseroberfläche durchstieß. Keuchend rang er nach Atem, wischte sich die Haare aus dem Gesicht und öffnete die Augen. Sie tränten fürchterlich, doch nach und nach gewann seine Sicht wieder an Schärfe. Der Wald um sie herum war verbrannt, vielerorts gab es noch kleine Feuer, die sich deutlich in der Dunkelheit abzeichneten. Vereinzelte Rauchschwaden lagen in der Luft.

Enowir schloss mit drei Schwimmzügen zu Nemira auf, die bereits aus dem Wasser stieg und tat es ihr gleich. Er wrang sich die langen Haare aus, doch diese Maßnahme würde nicht viel nützen. Bald schon würde Nemiras und seine Haut von juckenden und nässenden Ausschlägen übersät sein, wenn sie nicht in Kürze eine reine Quelle fanden, mit der sie das giftige Wasser abwaschen konnten.

»Lass uns zur Festung zurückkehren«, schlug Nemira vor. Sie machte ihm keinen Vorwurf, dass er sie unnötig in Gefahr gebracht hatte. Wenn man auf Krateno einem Risiko zu entgehen versuchte, so entstand an anderer Stelle oft ein noch größeres. Das Leben auf diesem Kontinent bedeutete eine fortwährende Gefährdung und man konnte sich nicht außerhalb von ihr bewegen.

»Gut«, willigte Enowir ein. Die Flucht hatte ihn viel Kraft gekostet. Er brauchte dringend zu essen und zu trinken. Doch der Wasserschlauch lag in der Höhle begraben und ihre Jagdbeute ... wo war diese eigentlich geblieben?

Das letzte Mal als Enowir sie gesehen hatte, war kurz vor dem Angriff der Zentifare gewesen.

»Weißt du noch, wo unsere Beute ist?«, erkundigte sich Enowir. »Wenn wir auch sonst nichts gefunden haben, ich will nicht mit leeren Händen zurückkommen.«

***

Sie fanden ihre Jagdbeute am Waldesrand. Der Weg, den sie zurücklegten, war recht kurz. Dennoch blieb es Enowir unbegreiflich, wie es seiner zarten Gefährtin gelungen war, ihn vor den Flammen in die Höhle zu retten. Nemira war wesentlich stärker als sie aussah. Doch diesen Gewaltakt hätte er ihr nicht zugetraut. Er beschloss, sie dennoch nicht danach zu fragen. Manches blieb besser im Verborgenen. Nicht zum ersten Mal beschlich ihn ein Gefühl, als würde seine Gefährtin etwas vor ihm verbergen. Dieses wohlgehütete Geheimnis machte nicht zuletzt einen Teil ihres Reizes aus.

»Sieh dir das an!« Nemiras Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. Er trat zu ihr. Zwei der Zentifare lagen tot am Boden. Dem Ersten steckte ein Pfeil in der Stirn, mit verdrehten Gliedern lag er darnieder. Der andere hatte ein längeres Leiden hinter sich. Ein Pfeil hatte seinen Kehlkopf durchstoßen, ein anderer steckte im rechten Hinterlauf. Die Geschosse hatten ihn nicht getötet, sondern an der Flucht gehindert. Allem Anschein nach war er am Rauch erstickt. Zumindest sprach die unnatürliche Blässe seiner Haut dafür; sie erstrahlte im fahlen Licht des Mondes.

»Sie sind tot«, schloss Enowir halbernst und messerscharf.

Nemira konnte sich den Anflug eines Grinsens nicht erwehren. »Das meine ich nicht, Stumpfohr. Schau dir das an«, sie deutete auf den Kopf des ersten Gefallenen.

»Ein sauberer Schuss, ich bin immer wieder beeindruckt«, gestand Enowir ihr zu. Er verstand nicht, auf was sie hinauswollte.

»Danke, aber das meine ich nicht«, tat Nemira sein Lob ab. »Schau dir die Haare an. Der Kopf ist halbseitig rasiert.«

Jetzt fiel es Enowir auch auf. Das wilde Haupthaar des Zentifaren erstreckte sich nur bis knapp über die linke Schädelhälfte.

»Ja und?«, Enowir hob gleichgültig die Schultern. Wie so oft verstand er nicht, was ihm seine Gefährtin sagen wollte.

Die grünäugige Elfe schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Sag mal, bist du so dumm, oder hast du in der Giftbrühe deinen Verstand verloren?«

Ihre Worte schmerzten. Er setzte zu einer Erwiderung an, kam aber nicht dazu, denn Nemira fuhr genervt fort: »Was braucht man, um sich den Kopf zu rasieren?«

»Eine Klinge?«, riet Enowir, dem es allmählich zu dumm wurde.

»Genau, eine Klinge«, sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, wobei sie die Arme vor der Brust verschränkte.

»Oh ... oh!« Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen.

»Genau«, gab sie ihm recht, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen. »Ich habe jedenfalls noch nie einen Zentifaren gesehen, der eine Klinge benutzt. Um ehrlich zu sein, dafür hab ich sie immer für zu primitiv gehalten. So wie dich.«

»Da stimme ich dir zu, also zum Ersten.« Enowir beugte sich zu dem toten Monstrum hinunter und strich ihm über die blanke Schädelseite. Deutlich spürte er die Haarstoppeln unter seinen Fingern kribbeln. Natürlich litt der Zentifar nicht an einseitigem Haarausfall. »In so großer Zahl und mit Stahlklingen bewaffnet. Was soll das bedeuten?«, fragte er ratlos und richtete sich auf.

»Keine Ahnung, aber Gwenrar muss davon erfahren«, erwiderte Nemira entschlossen. Auch wenn ihr der Gedanke, zu ihrem Oberen zu gehen, sichtliches Unbehagen bereitete.

***

Im Morgengrauen kam die Festung, ihr Zuhause, in Sicht. Auch wenn dieses Wort dafür vielleicht unpassend erschien, so besaßen sie kein besseres. Die Festung lag auf einer Anhöhe am Fuße eines Berges, der so steil war, dass man ihn nicht erklimmen konnte. Einst war er der Wohnsitz eines Lindwurms gewesen, der unter dem Berg in einer gigantischen Höhle hauste. Die Elfen ihres Klans hatten ihn getötet und waren in seine Behausung eingezogen, lange vor Enowirs Geburt. Etliche Elfen hatten damals ihr Leben im Kampf gegen die Bestie gelassen. Ein Ungeheuer dieser Größe schien für Enowir unbezwingbar. Dennoch war es gelungen und keine bloße Legende. Es gab Beweise dafür, wie sie eindeutiger nicht sein konnten. So bestanden die vielen Zelte, die eine kleine Stadt vor dem Höhleneingang bildeten, aus schwarzem Leder, das aus der Bestienhaut gewonnen worden war. Die dicken Holzpalisaden um die Zeltstadt herum, trugen die Schuppen des Lindwurms und machten sie damit nahezu unzerstörbar, zumindest gegen Angriffe der meisten Monster Kratenos. Hinter den zusätzlich mit Stacheln besetzten äußeren Palisaden fanden sich noch zwei acht Schritt hohe Wallanlagen. Diese dienten dazu, jene Kreaturen aufzuhalten, denen es gelang, den ersten Wall zu überwinden. Inmitten der äußeren Palisadenreihe war der Kopf des Lindwurms angebracht. Nur durch diesen hindurch konnte man die Festung betreten. Zumindest, wenn man den Mut aufbrachte, durch das mit armlangen Zähnen bewehrte Maul zu steigen. Zu allem Überfluss besaß es gleich drei Zahnreihen. Auch wenn die Zähne in der Mitte herausgebrochen waren, konnte man nur hintereinander durch das Maul in die Festung schreiten. Wenn große Beute eingefahren wurde, legten die Elfen Bretter über die Zahnreihen, um diese unbeschadet darüber zu schieben. Außerdem befand sich im Bestienmaul ein massives Tor, dem drei Baumstämme als Riegel dienten. In das Holz des Tores waren die herausgebrochenen Zähne eingearbeitet, was es zusätzlich erschwerte eine Hand oder eine Klaue daran zu legen. Es kostete einige Überwindung, das ungewöhnliche Portal zu betreten, wenn man es als solches erkannte. Über den Schädel des Lindwurms spannte sich noch immer seine vom Wetter gegerbte schwarze Haut, auch wenn sie bei genauerer Betrachtung leicht verschoben auf dem Schädelknochen lag. In den leeren Augenhöhlen brannten zu jeder Tageszeit Feuer. So erweckte ihre Festung von weitem den Anschein eines Lindwurms, der sich vor seiner Höhle zusammengerollt hatte. Jederzeit bereit sich zu erheben und auf die Jagd zu gehen.

Nach Enowir Meinung hielt dieser Anblick die meisten Monstren von ihrer Festung fern. Selbst er erschauderte bei dem Anblick. In der Dämmerung wirkte sie sogar noch bedrohlicher. Nebel lag über der Ebene vor dem Berg, der aussah wie der kondensierte Atem der Bestie. Nicht nur einmal war Enowir schweißgebadet aufgewacht, weil er geträumt hatte, der Lindwurm würde sich zu neuem Leben erheben, um ihn und seine Sippe zu verschlingen.

Auch Nemira stockte kurz beim Anblick ihrer Heimat. Aber ihr gingen vermutlich andere Dinge durch den Kopf. In ihrem neuen Leben mit Enowir außerhalb ihres Klans war sie eine einfache Elfe. In der Festung galt sie jedoch als eine selbstverursachte Entartung ihrer stolzen Gattung. Sie hatte sich um den Zweck ihrer Existenz beraubt, weil sie es vorzog, abenteuerbestehend auf Krateno umherzuwandern, um nach Waffen, Artefakten, Ruinen und ertragreichen Jagdgründen zu suchen. Die Verachtung dafür ließ sie jeder Elf in der Festung deutlich spüren. So mochte Nemira die Aussicht auf eine sichere Herberge weder sonderlich erfreuen noch fühlte sie sich dort so zu Hause, wie es Enowir tat.

Nemira seufzte laut und machte sich auf den Weg. Enowir spielte kurz mit dem Gedanken, ihr aufbauend auf die Schulter zu klopfen, doch er entschied sich dagegen. Wenn er sich im Lager nicht wie die anderen Elfen ihr gegenüber verhielt, so würde auch er das Missfallen und den Spott seiner Leute auf sich ziehen. Er würde in Verruf gebracht werden, von eben jenen Elfen, die ihn einst gezwungen hatten mit dieser Missgestalt in die Wildnis auszuziehen. Er schüttelte den Gedanken ab und folgte ihr.

Nein, eine Missgestalt oder eine Entartung war Nemira nicht. Sie war viel mehr die treueste und beste Gefährtin, die er sich vorstellen konnte. Er hatte schon viele Begleiter gehabt. Unter ihnen gab es Mutige und Feiglinge, im Zweifel jedoch war sich jeder von ihnen selbst der Nächste. Wenn es wirklich ernst geworden war, konnte sich Enowir auf keinen von ihnen voll verlassen. Nemira dagegen stürzte sich freiwillig in die größte Gefahr, um ihn zu schützen. Unzählige Male hatte sie ihm das Leben gerettet. In Situationen, in denen ihn alle seine vorangegangenen Gefährten im Stich gelassen hätten. Natürlich hatte er alle Gelegenheiten genutzt sich zu revanchieren. Wobei er das vermutlich nicht getan hätte, wenn sich Nemira vor nunmehr über fünfzig Jahren fast für ihn geopfert hätte. Ein riesiger Stachelfüßler hatte damals mit seinem klauenbesetzten Schwanz nach ihm geschlagen, geistesgegenwärtig hatte ihn Nemira aus dessen Reichweite gestoßen. Dabei riss seine Klaue ihren Rücken vom rechten Hals bis zur linken Hüfte auf. Zehn Tage stand Nemiras Leben auf Messers Schneide. Doch sie hatte überlebt und ihr war nicht mehr als eine schartige Narbe geblieben, die ihren schlanken Rücken zierte. Nemira trug sie offenkundig mit Stolz, denn ihre Lederrüstung war so geschnitten, dass sie die Narbe deutlich sichtbar aussparte. Nur einzelne Bänder spannten sich darüber, um die Teile der Lederrüstung zusammenzuhalten. Auch wenn es Enowir für leichtsinnig hielt, ihren Rücken derart ungeschützt zu lassen, so erinnerte ihn die Narbe zugleich an das, was Nemira für ihn auf sich genommen hatte. Zu einer Zeit, in der er Unrat mit größerem Respekt behandelt hatte als sie.

Nein, er konnte ihr innerhalb der Festung nicht mit Missachtung begegnen, wie es die anderen Elfen seines Klans taten. Aber er wollte und durfte auch seinen Ruf nicht beschädigen. Er wusste nicht, ob er die Verachtung seiner Familie ertragen konnte. Nemira hingegen war stark, sie hatte bereits bewiesen, dass sie mit dem Ausschluss aus ihrer Gemeinschaft umgehen konnte.

Ein Ruf erklang. Die Wache auf dem Wehrgang der Festung hatte sie bemerkt und ließ das Tor öffnen. Es dauerte einige Zeit, bis die schweren Riegel weggezogen waren.

Nach einem kurzen Wortwechsel mit den Wächtern gingen sie zwischen den Wehrgängen hindurch und fast einmal um die Festung herum, bis sie zum nächsten Tor gelangten, das bereits für sie offen stand. Das letzte Tor befand sich in der entgegengesetzten Richtung. Da die Pforten eine Schwachstelle darstellten, hatte man sie so weit wie möglich voneinander entfernt errichtet. Wenn ein Angreifer diese Schwachstelle nutzen wollte, musste er einen langen Weg zurücklegen. In dieser Zeit gab er ein günstiges Ziel für Bogenschützen ab. Noch kein Monster hatte es je geschafft bis zum zweiten Tor vorzudringen, ohne vorher von einem Pfeilhagel niedergestreckt zu werden.

Hinter dem dritten Tor erhob sich die Zeltstadt. Sie bot Enowir einen vertrauten und heimatlichen Anblick. Seine Klanbrüder und Schwestern gingen dort ihren Tätigkeiten nach. Beute wurde zerlegt, Waffen geprüft, sich auf eine Reise vorbereitet und an manchen Stellen wurden die Palisaden ausgebessert. Unweit des Tores übten ein paar Kinder den Umgang mit Waffen. Als sie die Zurückgekehrten erblicken ließen sie ihre Holzschwerter fallen und versammelten sich um die beiden Reisenden. Ihre Fragen gingen so wild durcheinander, dass Enowir sie nicht verstehen konnte. Doch es waren jedes Mal dieselben. Die Jünglinge wollten die neuesten Abenteuer hören. Aber Enowir vertröstete sie auf Später. Enttäuscht nahmen die Elfen ihre Kampfübungen wieder auf. Für einen Moment sah er ihnen nach. In diesem Alter war alles noch so einfach. Nichts brachte einen dazu, die Welt oder ihren Klan in Frage zu stellen. Seit Nemira ihn begleitete, war nichts mehr einfach. Zumindest nicht wenn er nach Hause kam.

Wenige Schritte weiter war Eruwar mit einigen Elfen beschäftigt, ihre Jagd vorzubereiten. Bei ihm handelte es sich um einen alten Freund und Bruder von Enowir. Dieser Elf war nicht unbedingt eng mit ihm verwandt, auch wenn man das in ihrem Klan nicht ausschließen konnte. Aber sie waren lange Zeit zusammen auf der Jagd gewesen, bis sich herausgestellt hatte, dass Enowir mehr zu einem Reisenden, als zu einem Jäger taugte. Ihm fehlte der Wille sich unterzuordnen, was in einer Gruppe aus bis zu fünfzehn Jägern überlebenswichtig war. Eruwar hatte ein ähnliches Problem gehabt. Aber er war ein geborener Anführer. Elfen zu führen lag Enowir so wenig im Blut, wie sich unterzuordnen.

Es sah so aus, als würden Eruwar und sein Jagdtrupp gerade aufbrechen und Enowir wollte ihn nicht aufhalten. Schließlich war ihm bekannt, wie sehr sein alter Freund die Jagd liebte. Wenigstens genauso sehr, wie er jede Störung hasste, die ihn zurückhielt seiner Leidenschaft nachzugehen. So beschränkte sich Enowir darauf, im Vorbeigehen grüßend die Hand zu heben.

»Was hast du denn mitgebracht?«, erkundigte sich Raguwir, ein dicker Elf, der jedes Mal wenn Enowir ihm begegnete, weniger in seine Kleidung passte. Er verwaltete das Lebensmittellager. Es war ein weithin sichtbares Geheimnis, dass er sich bei der Essensverteilung mehr zugestand, als den anderen Elfen. Warum Gwenrar, ihr Klanoberer, darüber hinweg sah verstand Enowir nicht. Er empfand jedenfalls nichts als Abscheu für den fetten Elfen. Wenn Raguwir sprach, spritzte Speichel auf den Angesprochenen. Außerdem wusch er sich viel zu selten. Seine Haare waren fettig und ein beißender Gestank ging von ihm aus, über den sich nur die Fliegen freuten, die ihn unentwegt umschwirrten.

»Wir waren nicht sehr erfolgreich«, gestand Enowir und reichte ihm die Beutel, die mit dem fetten Nachwuchs der Qualtra gefüllt waren. Nemira tat das Gleiche, doch ihr schenkte Raguwir keine Beachtung, wofür Enowir seine Gefährtin in diesem Moment beneidete.

»Na ja, wenn man bedenkt, mit wem du dich da draußen herumschlagen musst, ist das ja ganz ordentlich.« Raguwir lächelte mild. Er wog den Fang mit seinen Händen, wobei das Fett, indem irgendwo seine Arme stecken mochten, auf und ab wogte.

Enowir überlief bei dieser Bemerkung eine Welle des Zorns. Er entschied sich jedoch, nichts zu sagen und sah dem fetten Elfen nur grimmig nach, der mit den vier Säcken wankend im Lagerzelt verschwand. Dort wurden die Fänge ausgenommen und haltbar gemacht, bevor man sie im Hauptlager unterbrachte.