Über das Buch

Eine Serie von Anschlägen auf berühmte Gäste hält Venedig in Atem. Ein Terrorakt, das Werk eines Wahnsinnigen oder eines leidenschaftlichen Touristenhassers?
Die Opfer: ein französischer Designer, ein amerikanischer Schauspieler, ein deutscher Fußballer.
Hinweise: wenige.
Zeugen: keine.
Verdächtige: zahlreiche, etwa ein geheimnisvoller Maskenmacher, ein Waffennarr, ein charismatischer Kunsthistoriker, der charmante Mister Li. Das ist der unerfreuliche Stand der Dinge, als das deutsch-venezianische Team um den Münchner Kommissar Max-Heinrich Hempel die Arbeit aufnimmt. Mit Charme, Grips und Sprizz stürzen sich die Ermittler in den Fall ...

Über Stefan Maiwald

Stefan Maiwald, 1971 in Braunschweig geboren, lebt mit seiner italienischen Familie in Grado. Er ist Journalist, passionierter Golfer und Venedigkenner. Bei dtv ist auch seine erfolgreiche Serie um Davide Venier erschienen, den Spion des Dogen im Venedig des 16. Jahrhunderts. ›Wenn die Gondeln untergehen‹ ist sein Debüt als Krimiautor.

Ein Leben voller Ähs

Mittwoch, 16 Grad, sonnig mit verhaltener
Prognose für den Nachmittag, erste Optimisten
in den Biergärten

Es gab Blumen. Wie immer hatte jemand sie in Frau Ettlichs Laden unten an der Ecke gekauft, jener Frau Ettlich, neben deren sauertöpfischem Gesicht jeder Strauß wie ein farbenfrohes Feuerwerk wirkte. Frau Ettlichs Hund, ein zwanzig Jahre alter Mischlingsrüde, der stets mitten im Verkaufsraum lag, einer Ratte mit Afrolook ähnelte und auch genauso roch, verlieh jedem Bouquet ein zusätzliches, wenig behagliches Odeur. »Meister-Floristin« stand draußen am Laden angeschrieben. »Kauf verwelkende Pflanzen und nimm einen kleinen Anflug von Depression gratis dazu mit« hätte besser gepasst.

Der leitende Polizeidirektor Dr. Alfred Paul, Typ Stock aus Titanstahl im Hintern, hielt eine kurze Rede und überreichte den leicht hündisch müffelnden Strauß. Max-Heinrich Hempel beugte sich vor, um das Geschenk entgegenzunehmen. Fotos wurden gemacht. Dann wurde es still. Ein paar Anwesende räusperten sich. Man erwartete von Max-Heinrich zweifellos eine Dankesrede. Also räusperte sich auch er.

»Äh«, lautete sein erstes Wort. Und das sollte recht lange sein einziges bleiben, jedenfalls länger, als es jede rhetorische Pause gerechtfertigt hätte.

Denn eigentlich war sein ganzes Leben ein einziges Äh. In der Schule Mittelmaß (seit jeher der freundliche Ausdruck für »immerhin kein Förderunterricht«), auf dem Gymnasium das Abitur mit verheerendem Notenschnitt absolviert, das Jurastudium, zu das ihn Heinrich senior gedrängt hatte, nach zwei Semestern aufgegeben. Die Aufnahmeprüfungen für den gehobenen Polizeidienst dank Heinrich seniors Kontakten bestanden, wenn auch knapp. Dann aber, wer hätte das gedacht, keinen spitzenmäßigen, aber immerhin respektablen Abschluss hingelegt, sehr zur Freude des Notars im Ruhestand, der sich mit viel Liebe, aber auch viel Ehrgeiz um seinen einzigen Sohn kümmerte, denn er konnte nicht einsehen, dass der nur so wenig von Heinrich seniors unbestrittener Brillanz geerbt hatte.

Nach einigen Ähs zum Aufwärmen legte Max-Heinrich los: »Äh, also, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich ganz herzlich bei euch und bei Ihnen bedanken. Denn ohne eure stete Unterstützung wäre es mir nicht möglich gewesen, den Fall aufzuklären. Gut, dass diesen dreisten Kunstfälschern das Handwerk gelegt worden, nein, wurde. Denn wer einen Tinto…, einen Tinto…, äh, also, einen Tintoretto fälschen kann, der kann auch viel schlimmere Dinge … und wer weiß, äh …«

Die anwesenden Kolleginnen und Kollegen verabredeten sich tuschelnd zum Mittagessen und ließen Max-Heinrich nach und nach allein. Es war ein Elend. Er suchte eine Vase für die Blumen.

Bei der Pressekonferenz am späten Nachmittag verzichtete man dankend auf Max-Heinrichs Anwesenheit. Und so las man bald in den Zeitungen, die scharfsinnigen Ermittlungen des Teams um Hauptkommissar Ottokar Zepter hätten zur Zerschlagung eines international operierenden Kunstfälscherrings geführt, der von Europa aus die Superreichen des Orients und des Fernen Ostens mit Bildern bestückte. Und in der weiteren Berichterstattung fiel dann auch die Sache mit dem Team bald weg.

Es war vielleicht kein Wunder, dass Kriminalkommissar Max-Heinrich Hempel bei der Münchner Polizei, Dienststelle III/Kriminaldelikte, nicht weiterkam und lieber zum Aktenstudium in die Archive geschickt wurde – eine »eminent wichtige Arbeit«, wie ihm nicht nur sein direkter Vorgesetzter Ottokar Zepter, sondern auch Polizeidirektor Dr. Alfred Paul immer wieder versicherte. Max-Heinrichs Erscheinung machte an sich durchaus was her: Er war fast einhundertneunzig Zentimeter groß und eher schlank als kräftig, mit wachen blauen Augen und dickem, zerzaustem graublondem Haar. Nur mit Fingerspitzengefühl und Menschenkenntnis, so hieß es überall, habe er es nicht so, manche sprachen ihm gar den nötigen Grips für die kriminale Arbeit ab; daher ließ man ihn generell ungern auf die Leute los. Auch plauderte er allzu freundlich mit den Reportern der Boulevardblätter, was schon zwei-, dreimal auf der Dienststelle für »Verstimmung« (schweren Ärger mit knallenden Türen) gesorgt hatte.

An den Schreibtischen, möglichst weit weg von heikler sozialer Interaktion, glaubte man ihn besser aufgehoben. Also sollte er sich jene Fälle vornehmen, die ins Stocken geraten waren, insbesondere diese unangenehme Sache mit den gefälschten Bildern, die offenbar von Bayern aus in die Welt geschickt wurden, was, auch wegen der Vergangenheit – Beutekunst und so –, ein paar deutsche Diploma-
ten in wichtigen ölfördernden Handelspartnerländern ins Schwitzen brachte, als die Fälschungen im Februar dieses Jahres nach und nach aufflogen. Denn diese Superreichen, das waren ja oft Angehörige der Herrscherhäuser, ließen sich ungern um ein paar Millionen Euro beschubsen. Dass ihm nun beim Stöbern in den Archiven ein paar Hinweise aufgefallen waren, die auf ein paar weitere Hinweise deuteten, die wiederum auf ein paar weitere Hinweise deuteten, die zum Zerschlagen des Kunstfälscherrings geführt hatten, der sich auf venezianische Kunst der Spätrenaissance spezialisiert und weltweit für Aufsehen gesorgt hatte, bewertete man intern als »pures Schwein«. Max-Heinrich war gut, wenn man ihn nur ließ. Bloß: Man ließ ihn viel zu selten. Gerade vierzig Jahre alt geworden, sah er insgesamt deutlich besser aus als seine Karriere.

Doch egal, wie der Tag war, am Abend war es meistens ganz schön, denn dann war Max-Heinrich mit Lena zusammen. Lena war sein Ein und Alles. Er hielt es manchmal kaum aus vor Liebe zu ihr und musste sich regelrecht zurückhalten, sie nicht ständig zu umarmen und abzuknutschen, was sich angesichts ihres Alters ja nicht mehr ziemte.

»Wie war es in der Schule?«, fragte Max-Heinrich, wie an jedem Abend. Am liebsten hätte er gefragt, ob man sich nicht gemeinsam unter der Bettdecke zusammenkuscheln, Die drei ??? lesen und friedlich einschlafen wollte, Arm in Arm. Doch Max-Heinrich kannte die Antwort auf diese stumme Frage, ohne dass er sie je gestellt hätte: Seine Teenietochter würde sie mit einem Augenrollen abschmettern.

Zurück zur echten Frage: Ja, wie war es in der Schule? Lena hatte eine Fünf in Latein bekommen, aber auch eine Zwei in Englisch, eine Mitschülerin war beim Rauchen erwischt worden und hatte einen Verweis kassiert, vor der Schule hatte jemand angeblich versucht, Marihuana zu verkaufen, und kurz vor der sechsten Stunde waren Außerirdische gelandet, hatten die halbe Lehrerschaft aufgefressen und die andere Hälfte dazu verdonnert, in einem Steinbruch auf einem Planeten in einem fernen Sonnensystem als Sklaven zu arbeiten.

Lenas Standardantwort lautete jedoch, wie schon seit zwei Jahren: »Ganz okay.«

»Schön«, antwortete Max-Heinrich. Man aß weiter, Nachfragen vom Vater liefen ins erwartete Leere, aber keinen von beiden störte das. Es war ein harmonisches, gut eingespieltes Schweigen.

Max-Heinrichs Frau, Lenas Mutter, war vor einigen Jahren mit Wally Obermaier durchgebrannt, einem Szenewirt aus dem Münchner Schlachthofviertel, mit dem Max-Heinrich schon seit Schulzeiten befreundet gewesen war. Dieser Umstand hatte Max-Heinrich diverse weitere Ähs entlockt. Gemeinsam hatten die Turteltäubchen eine Strandbar auf Ibiza eröffnet, die sie im Internet dreist als Yoga-Retreat anpriesen, denn Lenas Mutter hatte, wie es sich derzeit gehörte, ein Wochenendseminar belegt und war nun zertifizierte Yogalehrerin. Den Schein für die staatlich geprüfte Ernährungsberaterin hatte es nach einem hübschen Augenaufschlag obendrauf gegeben. Lena war beim Vater geblieben, was allen Beteiligten – auch Lena selbst – nur recht war.

Nach dem Abendessen schauten Lena und Max-Heinrich gemeinsam Ruckzuck ist die Lippe dick, die neue Kultkrimiserie auf Netflix über einen homosexuellen Boxer aus Berlin, der außerhalb des Rings spektakuläre Kriminalfälle löst. Und Lenas vierzehnjähriger Kopf lehnte sich an Max-Heinrichs Schulter, was ihm jeden Tag das Allerliebste war und alles, was auf der Dienststelle passierte, zu einer ganz anderen Ecke des Universums machte.

 

 

 

 

Für Laura

Das Editorial der Grauen Eminenz

Venedig den Venezianern!
Ein Aufruf zum Handeln

Tausend Jahre Kunstgeschichte zerbröseln unter dem Getrampel der Touristen. Die Bilder von Raffael und Veronese werden zum belanglosen Hintergrund des Selfie-Wahns. Wasserflaschen stapeln sich unter Statuen, und Sandalen schänden die Böden der Kirchen.

Kulturloses Pack aus aller Welt glaubt sich in einem Freizeitpark, hat jeden Respekt sowohl vor den Werken der großen Venezianer wie auch vor den Venezianern selbst verloren.

Venedig – das ist eine bildschöne Gondel, bis zum letzten Platz beladen mit übergewichtigen Touristen in bunten Shirts, kurzen Shorts und Turnschuhen. Und mit jedem Halt steigt ein neuer dieser stillosen, schweren Touristen hinzu. Wollen wir warten, bis die Gondel untergeht?

Denn Venedig wird von den Barbaren erobert, so wie einst die Hunnen und Langobarden durch Italien zogen und eine Spur der Verwüstung hinterließen. Es ist keine Eroberung mit Bogen, Keule und Schwert, sondern eine mit Kamera, Rucksack und Reiseführer.

Befeuert wird dieser Feldzug der Massen durch die neuen Stars dieses Zeitalters. Schauspie-ler, Fußballer und ähnlich unterbelichtet-kleingeistige Heroen der nicht minder hirnamputierten Masse geben den Takt vor, kaufen sich Palazzi, heiraten pompös vor der ach so fotogenen Kulisse und feiern dabei doch nur einen eitlen Götzendienst an sich selbst.

Für all diese Menschen ist ein Bellini ein Cocktail und ein Canaletto ein Seitenkanal.

Es ist Zeit, aktiv zu werden. Wir müssen uns wehren! Erobern wir uns Venedig zurück. Worauf warten wir?

Ihr Vittorio Carducci

PS: Lesen Sie auf Seite 34: Alles, was Sie schon immer über Tintorettos Verwendung der Farbe Rot wissen wollten.

Und auf Seite 88 beginnt unsere neue Serie »Turteln & Trippeln: Die Tauben von Venedig und ihre allegorische Bedeutung auf den Werken der großen Meister«.

Und kennen Sie schon unsere neue Abo-Aktion? Jeder neue Leser bekommt zusätzlich zum Jahresabonnement ein von mir signiertes Buch. Zur Auswahl stehen Drogen, Dogen und Dominas – das geheime Liebesleben der Venezianer oder 111 historische Rezepte, die jede Signora zum Säuseln bringen.

Ein verlockender Anruf von
der Alpensüdseite

Donnerstag, 12 Grad, Wetter generell wankelmütig

Max-Heinrichs Morgen begann wie die meisten Morgen: mit einem Kaffee, zu dem ihm eine übellaunige Tochter serviert wurde. Lena fegte durch die Wohnung, um ihre Sachen für die Schule zusammenzusuchen, die sich rätselhafterweise überallhin verteilt hatten, als hätte sie ein Fabelwesen in der Nacht mit laxer Hand durch die Zimmer geworfen. Max-Heinrich wetterte wie ein erfahrener Seebär das Unwetter mit stoischer Miene ab und genoss nach dem finalen Türenschlag und den leiser werdenden Geräuschen von hastig genommenen Treppenstufen den Blick aus dem Fenster.

Lage, Lage, Lage, wie die Immobilienmakler sagen: Max-Heinrich und Lena bewohnten seit zehn Jahren eine kleine Altbauwohnung in Schwabing am Habsburgerplatz. Die drei Zimmer mit Knarzparkett waren wegen der langen Mietdauer gerade noch bezahlbar und blickten nach vorn auf einen Park, nach hinten immerhin auf zwei Birken. Da Max-Heinrich ein begeisterter Vogelkundler war, hatte er für eine Stadtwohnung keinen schlechten Aussichtspunkt erwischt. Seinen dringenden Wunsch, ganz aufs Land zu ziehen, kommentierte Lena mit ihrem markenzeichenwürdigen Augenrollen, das jede weitere Debatte abwürgte.

Max-Heinrich genoss einen dick mit Butter beschmierten Toast und guten, alten Filterkaffee sowie einen Blick auf das brütende Amselpärchen im Hinterhof – schon zum zweiten Mal in diesem Frühjahr –, das es sich in der merkwürdig verwachsenen Fichte bequem gemacht und die Max-Heinrich eigenhändig mit einer Katzensperre versehen hatte. Das braune Amselweibchen brütete, das schwarze Männchen fütterte sie. Ach, ach. Er machte sich zu Fuß auf den Weg ins Polizeipräsidium.

Dort hatte Ottokar Zepter noch ein paar Fragen zu dem Fall des Kunstfälscherrings. Anschließend widmete sich Max-Heinrich wieder ein paar Akten, und der Tag nahm den gewohnten Verlauf. Jedenfalls für Max-Heinrich, nicht aber für Ottokar Zepter, der einen Anruf aus Venedig erhielt, von den Kollegen der Lagunenstadt. Mit brüchiger englischer Stimme redete man auf ihn ein. Am Ende des Telefonats hatte er nicht alles verstanden, aber doch genug, um im Büro auf und ab zu hüpfen und die Fäuste zu ballen.

Er wartete noch auf die Bestätigung via E-Mail, dann ließ er die Kräfte des Dezernats inklusive Max-Heinrich zu sich rufen.

Kriminalhauptkommissar Ottokar Zepter hatte ein ganz verblüffendes psychisches Problem, nämlich das genaue Gegenteil eines Minderwertigkeitskomplexes. Er war ein irritierend gutaussehender Bursche, der sich auch entsprechend zu kleiden wusste. Der Anzug, wenngleich nicht maßgeschneidert, saß vorzüglich, die Krawatte in geschmackvollen Farben war stets wissend geknotet, das Einstecktuch tat ein Übriges, der Gürtel korrespondierte mit den glänzenden Schuhen, die Socken hatten die richtige Ausgewogenheit zwischen Seriosität und buntem Savoir-vivre. Er liebte Wein aus dem Burgund, Autos mit vielen Pferdestärken und Frauen, die atmeten.

Doch leider sparte Ottokar Zepter am falschen Ende, bediente er sich doch der billigsten Seifen und Duschgels, die er finden konnte, sodass er roch wie ein Urinstein im Pissoir einer Autobahnraststätte. Und das machte viel von Ottokar Zepters Gesamteindruck zunichte und erklärte, warum er trotz seiner Hübschheit immer noch Single war und für seine dringendsten erotischen Bedürfnisse zahlen musste – was ihn, wie er selbst völlig klar erkannte, irgendwann in gewaltige Schwierigkeiten bringen würde.

Doch all das machte ihm am heutigen Tag keinen Kummer, denn die gute Nachricht war der Anruf, den er aus Venedig bekommen hatte. Er fühlte sich, als hätte man ihm eine Eisenkette abgenommen, denn Ottokar war auf Karriere bedacht, und aus den Management-Ratgebern, die er in seiner Freizeit las, wusste er: Jedes Team ist nur so gut wie sein schwächstes Mitglied. Und Max-Heinrich, also, nun ja, richtig schlecht war er nicht, diese Sache mit dem Kunstfälscherring, Zufall hin oder her, hatte er ja schon ganz gut hinbekommen, konzedierte Ottokar insgeheim. Aber es kam eben doch in der heutigen Zeit auf die Außenwirkung an. Smarte Interviews, gute Auftritte, telegenes Lächeln. Gerade heutzutage. Und das war nun etwas, was Max-Heinrich wohl nie lernen würde, und seine Unbeholfenheit in allen Lebenslagen warf einen schweren Schatten auf das Karrierepanorama, das sich Ottokar prächtig ausgemalt hatte.

Der Sprung vom PHK (Polizeihauptkommissar) zum Ersten Polizeihauptkommissar (EPHK) würde nicht nur einen Stern mehr auf den Schulterklappen der Dienstuniform bedeuten, nämlich vier statt drei, sondern auch den Aufstieg von der Besoldungsgruppe A11 zu A13. Und dieses zusätzliche Gehalt konnte er mehr als gut gebrauchen. Die Burgunder waren nicht billig, und die sexuellen Gefälligkeiten, die er zwei- bis dreimal pro Woche verlangte, waren es erst recht nicht. Und dann war da noch dieser bildschöne 5er-BMW auf seiner Watchlist, Baureihe E34, entworfen von Ercole Spada, Baujahr 1992, nur 58 000 Kilometer, hellrot, 340 PS, lächerliche 22 000 Euro auf www.bmwliebhaber.de. Ein Schnäppchen, das Wertzuwachs garantierte und sich auf den Flaniermeilen der Stadt gut machen würde, erst recht mit Chantal, Jasmin oder Natascha auf dem Beifahrersitz.

Denn was war seit Montag in Venedig geschehen? Barbaras Befragung der Grauen Eminenz hatte rein gar nichts ergeben. Sie hatte gewusst, dass es schwierig werden würde, aber das Gespräch war geradezu eine Katastrophe geworden. Vittorio Carducci sprach von einem makabren Zufall und dass er in seinem Editorial ja nur Metaphern und Allegorien benutzt habe, keineswegs seien seine Zeilen als Fanal zu verstehen gewesen, kunstverständige Menschen neigten ja ohnehin eher selten zu Pogromen, und wer ihn kenne, der wisse doch, dass er alles nur gut meine, aber eben manchmal aufbrausend sei, weil alle anderen eben so viel dämlicher seien als er. Den letzten Halbsatz sprach er nicht aus, aber dachte ihn mit großer Überzeugung. Zudem verwies er auf seine guten Kontakte und stellte, wie es nur wirklich perfide Menschen können, mit laxen Worten düstere Drohungen in den Raum. Selbstverständlich hatte er für jenen fatalen Donnerstag auch ein perfektes Alibi – ein TV-Team von Rai Veneto hatte ihn interviewt.

Und so saß Barbara eine Woche nach den Anschlägen wieder beim Colonello und seinen manikürten Händen, welche trommelnd mit dem Mahagonischreibtisch kommunizierten. Auch Wackelohr-Carmine war erneut dabei. Die Ermittler mussten berichten, dass sie vor dem Nichts standen, nicht einmal das Ergebnis der ballistischen Untersuchung der Patrone brachte sie viel weiter, da sie ausgerechnet einem der meistverbreiteten Kaliber entsprach. Und von der Waffe fehlte sowieso jede Spur. Es war ein Hin und Her äußerst weichgekochter Thesen, ein Gestammel und Geräusper und Aus-dem-Fenster-Starren, dass ein niedergeschriebener Dialog eine arge Zumutung wäre. Doch irgendwann – wer weiß, welche Muse durch seine Gehirnwindungen gerauscht war – hellte sich die Miene des Colonello auf, und über sein gebräuntes neapolitanisches Gesicht flog die Andeutung eines Lächelns.

»Was ist mit dem Deutschen?«

»Welchem Deutschen?«, fragte Boldi.

»Na, diesem Max. Max-Enrico. Der mit den Kunstfälschern.« Ein dicker manikürter Finger zeigte auf Barbara. »Sie haben ihn doch damals am besten kennengelernt.«

»Aber was hat der mit dem Fall zu tun?«, fragte sie pikiert.

»Mir fallen gleich zwei Dinge ein. Erstens: Er ist der einzige Ermittler, wenn auch ein Deutscher, vor dem die Graue Eminenz so etwas wie Respekt hat – schließlich hat erst er ihn von allen Vorwürfen reingewaschen, als der ganze Betrug aufflog. Er hat ihn doch auch schon vor ein paar Wochen befragt, und das lief ja wohl besser als mit der Majorin.«

Barbara ärgerte sich über diese Bemerkung.

»Ich muss Ihnen nicht erklären, wie gut die Kontakte der Grauen Eminenz sind. Nach Ihrer Befragung bekam ich gleich drei Anrufe vom Innenministerium. Wir selbst können wenig ausrichten. Sind in hässlichen Verpflichtungen eingebunden. Was muss ich Ihnen erklären? Und deshalb komme ich nun zum zweiten Punkt: Eines der prominenten Opfer ist Deutscher. Und die dortige Presse spricht uns, wie zu erwarten war, die Kompetenz ab. Sie nennen unsere Kapitäne schon die Schettini des Kanals, und wir Carabinieri sind in deren Augen ohnehin Witzfiguren.«

»Dieser Fußballer hatte ja auch nichts Besseres zu tun, als gleich mit dieser Bildzeitung zu sprechen«, sagte Barbara.

»Jedenfalls mag ich es nicht, wenn man uns schlampige Arbeit unterstellt. Sollen die doch mal zeigen, was sie können.«

Der brave Carmine Boldi war mit den Gedanken bereits bei den nötigen Formalitäten. »Wir bitten die deutschen Kollegen um assistenza amministrativa.«

»So wie sie uns beim Kunstfälscherring um Hilfe gebeten haben«, nickte der Colonello. »Genau so machen wir das!«

Barbara Goldoni hatte einige Einwände, behielt sie aber für sich.

»Eines noch: Ich weise noch einmal darauf hin, dass niemand von einer Serie spricht«, sagte Innocenti. »Wir sollten alles tun, dass es dabei bleibt. Ich muss Ihnen nicht sagen, dass das auch dem Bürgermeister äußerst recht wäre. Daher ermitteln wir offiziell in drei separaten Vorkommnissen

»Kommissar Hempel, Menschenskind, ich beneide Sie, ich sag’s Ihnen.« Hauptkommissar Ottokar Zepter verteilte kräftige Schulterklopfer, und zwei Kollegen öffneten Prosecco der kopfschmerzinduzierenden Sorte (2,99 Euro). Auch Schnittchen standen plötzlich auf dem Tisch.

»Zeigen Sie den müden Brüdern da unten mal, wie gute deutsche Polizeiarbeit geht!«, rief Ottokar Zepter eine unangenehme Spur zu laut und zwinkerte allen Anwesenden außer Max-Heinrich zu.

Das Lächeln aller anderen schlug in ein tückisches Grinsen um.

»Bleiben Sie, solange Sie wollen. Und ja nicht vom dolce far niente verführen lassen, immer schön fleißig ermitteln!«, fügte Ottokar Zepter grinsend hinzu.

Max-Heinrich Hempel nickte verlegen und wollte noch etwas sagen, kam aber über ein Äh nicht hinaus.

Drei bedauerliche und sehr
rätselhafte Vorkommnisse

Donnerstag, 19 Grad, wolkenlos.
Ein guter Tag, um große Dinge zu vollbringen

Was für ein Traumtag! Die tief stehende Frühlingssonne fächerte ihre Strahlen verschwenderisch über die bunten Fassaden von Burano, jener vorgelagerten Insel von Venedig, die für ihre Seidenstickereien berühmt war – und für ihren Bewohner Pierre-Paul Chaud.

Dem Beobachter, der sich hinter einer Säule verbarg und immer wieder auf sein Smartphone in der linken Hand starrte, um beschäftigt zu tun, entgingen all diese Bestandteile des schönen Vormittags. Zum einen hatte er Wichtigeres vor, woran ihn die Angelschnur erinnerte, deren Ende er in der rechten Hand hielt. Zum anderen zwickte ihn sein etwas zu enges Shirt unter dem Hemd, denn seine apokrinen Drüsen neigten zu übermäßigem Schwitzen. Vor allem in Stresssituationen. Nun hob er den Kopf, rümpfte die Nase und blickte an der Säule vorbei. Auf den Ständen des kleinen Marktes duftete es leicht salzig und modrig nach fangfrischem Fisch. Er konnte den Geruch nicht ausstehen.

Gerade schoss nicht fern von ihm eine Möwe übermütig übers Wasser, ein paar Fischer plauderten mit Marktfrauen über die nächtlichen Fänge und die neuesten Einfälle der römischen Senatoren und den anstehenden Spieltag, als er endlich kam, der große französische Designer.

Pierre-Paul Chaud war wie immer mit großem Aufwand unrasiert und trug einen legeren hellgrauen Kapuzenpulli (der in Wirklichkeit maßgefertigt war, fünfhundert Euro pro Stück kostete – er hatte immer mehrere identische Modelle – und ihm regelmäßig aus einer Manufaktur in Prato zugeschickt wurde; das wusste der Beobachter hinter der Säule, der ihn über Wochen genauestens studiert hatte). Er war wie jeden Morgen auf dem Weg zur Anlegestelle, um im Fondaco dei Tedeschi nach dem Rechten zu sehen. Das Fondaco, ein Palazzo direkt an der Rialtobrücke und das ehemalige Handelskontor all jener, die die ganz alten Venezianer abschätzig tedeschi nannten (Deutsche, Polen, Ungarn, Tschechen und ähnlich kulturferne Völker, die ihre Minestrone noch mit der Mistgabel auslöffelten), war in den letzten Jahrzehnten zwischen diversen Investorengruppen wie eine heiße Kartoffel hin und her gereicht worden, bis sich endlich ein chinesisch-amerikanisches Konsortium mit zu viel Spielgeld aus der Bitcoin-Blase erbarmt und die beiden besten Architekten beauftragt hatte, die für Geld zu haben waren.

Dort hatte Pierre-Paul Chaud gemeinsam mit dem belgischen Co-Superstar Rem Kohlhiesel ein neues Luxus-Einkaufszentrum gebaut, das kurz vor der Eröffnung stand. Chaud und Kohlhiesel: Das ist, als ließe man Cristiano Ronaldo und Lionel Messi in einer Mannschaft spielen.

Aus einem Grund, den sich der Beobachter hinter der Säule nicht erklären konnte, blickte Pierre-Paul Chaud für einen kurzen Augenblick nach oben. Dabei hatte es gar keinen offenkundigen Anlass für sein Misstrauen gegeben.

Der Himmel stürzte auf den Designer ein, und zwar in Gestalt der heiligen Muttergottes, einer zwei Meter großen Marienstatue, die in Burano an vielen Häuserecken die Vorbeikommenden segnete und die sich in diesem Moment in all ihrer marmornen Schwere auf Pierre-Paul Chauds lustig belockten Kopf senkte.

Mit einem Reflex, den ihm der Beobachter nie zugetraut hätte und die wohl aus seiner Zeit als agiler Linksaußen in der E-Jugend des katholischen Fußballvereins Étoile des Trois Lacs herrührte – auch das hatte der Beobachter erfahren –, drehte Chaud Kopf und Schultern weg. Es war so knapp, dass der kühle Marmor ihn am Arm streifte und auf seinen rechten Fuß fiel. Der Beobachter hinter der Säule steckte sein Handy ein, zog die Schnur an sich, die sich wie geplant nach dem Sturz gelöst hatte, und entfernte sich rasch.

Später sollte er erfahren, dass die Ärzte in der Raucherpause mit dem Röntgenbild der Designerfußknochen Puzzle spielten. Doch ein Trümmerbruch im Fuß war natürlich immer noch besser als ein Trümmerbruch im Schädelbereich.

Ein paar Stunden später und etwa fünf Kilometer Luftlinie entfernt schälte sich Chris Cock aus dem Bett. Wie immer hatte er ausgiebig seinen Jetlag ausgeschlafen und würde erst weit nach Mittag sein Frühstück zu sich nehmen. Und wie immer bei seinen Aufenthalten in Venedig hatte er die Suite im vierten Stock des Luxushotels Gabrieli gebucht. Über die finanzielle Situation des Luxushotels, eines der ältesten der Stadt, wurde gerade laut gemurmelt oder noch lauter geschwiegen; es gab Schwierigkeiten und die eine oder andere nebulöse Meldung im Wirtschaftsteil der Presse. Das wussten die Gäste eigentlich nicht, seine Agentin hatte ihm aber vorgeschlagen, schon einmal nach einem anderen Hotel Ausschau zu halten, doch mit solchen Entscheidungen wollte sich Cock erst gar nicht belasten. Heute würde sich Cocks neue Assistentin vorstellen, denn die alte Assistentin war untragbar geworden, nachdem sie beim Sortieren der Gummibärchen nach Farben immer wieder kleine, aber störende Fehlerchen gemacht hatte.

Cocks erster Handgriff führte in das Gefrierfach der Minibar, wo er jeden Abend zwei Silberlöffel platzierte, die er sich nach dem Aufwachen auf die Lider legte, um die Tränensäcke zurückzudrängen. Denn auch ein Chris Cock wurde älter, und Tränensäcke konnten in diesem harten Business schnell das Aus bedeuten. Er war noch nicht bereit dafür, den Vater des Hauptdarstellers zu spielen, sondern wollte immer noch gefälligst selbst der Hauptdarsteller sein. Dazu hatten diese verfluchten Paparazzi das himmelschreiende Talent, ihn stets im ungünstigsten Winkel bei schlimmstmöglichem Licht zu fotografieren – gerade hier in Venedig, wo an strahlenden, sonnigen Tagen mit harten Schatten kein gnädiger Nebel die Gesichtszüge in komplizenhafter Unschärfe verschwimmen ließ. Die Fotos, die er sich einmal wöchentlich zukommen ließ, bereiteten ihm zusehends schlechte Laune.

Nachdem er fünf Minuten mit den Silberlöffeln auf den Lidern rücklings auf dem Bett zugebracht hatte, schluckte er die erste der fünf Pillen, die er brauchte, um als gut gelaunter Hollywoodstar durch den Tag zu kommen. Die Pillen steckten in goldenen Röhrchen, waren von seinen Ärzten und Psychiatern speziell für ihn dosiert und in einer genau vorgeschriebenen Reihenfolge einzunehmen.

Fünf aufgekratzte Zimmermädchen brachten ihm einen Cappuccino mit Sojamilch und einem Glas stillem Wasser in Raumtemperatur. Chris Cock wunderte sich schon lange über nichts mehr. Nicht über die vielen Zimmermädchen, nicht über die verschwundene Schmutzwäsche aus seinen Koffern und nicht über die Blicke, die vielen Blicke, die Millionen Blicke. Sein Leben war eine Truman-Show, aber erstens halfen die Pillen, und zweitens würde er ja bald wieder in Como sein, wo er halbwegs in Ruhe gelassen wurde. Die paar Paparazzi, die sich täglich auf den Booten vor seinem Anwesen sehen ließen, waren zu verkraften. Jedenfalls verglichen zu dem, was ihn bei all seinen Aufenthalten in Venedig erwartete. Natürlich hatte es sich bereits herumgesprochen, dass er seit dem Vorabend in der Stadt war. Wie ein virtueller Kugelblitz war die Nachricht durch die weltweiten Serverfarmen gerast und hatte unter dem Hashtag #chriscockishere für einen zusätzlichen Ansturm der Touristen gesorgt. Vor dem Gabrieli, ein paar Schritte östlich vom Markusplatz gelegen und daher gut fußläufig zu erreichen, dürften sich wie jeden Tag Japanerinnen, Italienerinnen sowie Schulklassen drängen, die zufällig gerade in der Stadt waren und für ihn die Besichtigung des Markusdoms sausen ließen. Gut, dass es einen zwar nicht geheimen, aber für Touristen schwer zu erreichenden Seitenkanal gab, an dem die Privatboote anlegen und Superstars wie ihn dezent fortschaffen konnten.

Während Chris Cock sich bereitmachte, das Hotelzimmer zu verlassen – seine Agentin wartete bereits unten in der Lobby bei einem Lapsang-Souchong-Tee, mit der aufgeregten neuen Assistentin, die sich an einem Caffè nero festhielt –, passierte etwas Ungewöhnliches: Eines der Fenster auf den Bacino di San Marco hinaus zersprang in abertausend millimetergroße Stücke und prasselte auf den schicken, schweren Teppichboden. Außerdem vernahm er ein Surren nah an seinem Ohr. Wie alle Schauspieler war Chris Cock nicht der Allerhellste, aber aus seiner Jugend in Kentucky war ihm dieses Surren von den Jagdausflügen mit seinem Vater vertraut. Auch ließ das kleine Einschlagsloch an der Wand, knapp unter der Decke mit ihren Holzintarsien, keinen Zweifel.

Er verständigte, wen sonst, seine Agentin, während sich draußen auf dem Bacino di San Marco ein Motorboot mit hoher Geschwindigkeit entfernte und ein Mann zunächst ein Fernglas und dann ein Gewehr mit heißem Lauf in einer mit Kieselsteinen gewichteten Ledertasche verstaute, um dann beides ein paar Meilen außerhalb, fast schon auf dem offenen Meer, dezent über Bord zu entsorgen.

Und noch ein weiterer Superstar war in der Stadt. Sebastian Übelkrähe, ehemaliger Bayern-München-Verteidiger, Fußballweltmeister von 2014 (wenn auch ohne Einsatz) und inzwischen Spielertrainer in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Er hatte vor einigen Jahren in Venedig geheiratet, nun suchte er ein Apartment für sich und seine Frau, den spanischen Tennisstar Lisalena Garcia-Vorhantova. Es sollte eine Geldanlage, ein Feriendomizil und vor allem eine Überraschung sein. Daher hatte er ihr nichts gesagt und war inkognito unterwegs. Lisalena spannte derweil auf einer Schönheitsfarm oberhalb des Gardasees aus, denn auch ihre aktive Karriere ging so langsam zu Ende; gegen die neunzehnjährigen osteuropäischen Aufschlagmonster war nicht mehr viel zu holen.

Hinter der Sonnenbrille blieb Sebastian Übelkrähe an diesem Spätnachmittag weitgehend unerkannt, und man ließ ihn in Ruhe, was ihn beinahe ein wenig enttäuschte. Ein, zwei Deutsche erkannten ihn auf dem Weg vom Hotel zur Bootsanlegestelle am Ca’ d’Oro dann doch, er posierte routiniert fürs Selfie, bevor er das Motorboot bestieg, das er schon gestern vorbestellt hatte, nachdem die Maklerin fleißig gewesen war. Sie hatte ihm eine Zweihundert-Quadratmeter-Etage in einem Palazzo mit Blick auf den Canal Grande schmackhaft gemacht; die Bilder, die sie ihm letzte Woche per Mail geschickt hatte, waren betörend.

Das Wassertaxi mit seinen hölzernen Beschlägen stammte von der kleinen Werft Serenella auf Murano. Anderswo waren die Rivaboote Statussymbole, hier jedoch beherrschten die noblen, flotten Serenellas die Wasserwege. Das Boot schoss in einer Geschwindigkeit dahin, die selbst für einen Fußballer mit zwei Porsches 911 Carrera S à 420 PS