Joe Abercrombie
Heldenklingen
Roman
Aus dem Englischen
von Kirsten Borchardt
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Für Eve
Eines Tages wirst du das hier lesen und fragen:
»Dad, wieso die vielen Klingen?«
Schlachtordnung
DIE UNIONISTEN
Oberkommando
Lord Marschall Kroy – Oberkommandeur der Heere Seiner Majestät im Norden
Oberst Felnigg – sein Stabschef, ein Mann mit auffallend wenig Kinn
Oberst Bremer dan Gorst – königlicher Berichterstatter im Nordkrieg und entehrter Meisterfechter, vormals bei der Ersten Wache des Königs
Rurgen und Jünger – seine ergebenen Burschen, der eine älter, der andere … jünger.
Bayaz, Erster der Magi – ein kahlköpfiger Zauberer, angeblich viele hundert Jahre alt und ein einflussreicher Bevollmächtigter des Geschlossenen Rats, bestehend aus den engsten Beratern des Königs
Yoru Sulfur – sein Diener, Leibwächter und Buchhalter
Denka und Saurizin – zwei alte Adepti der Universität von Adua, Gelehrte, die ein Experiment für Bayaz durchführen
Jalenhorms Division
General Jalenhorm – ein alter Freund des Königs, unglaublich jung für seine Stellung, gilt als tapfer, neigt jedoch zu groben Schnitzern
Retter – sein dreizehnjähriger Signaltrompeter
Oberst Vallimir – ein ehrgeiziger Offizier des Ersten Regiments der Königstreuen
Oberfeldwebel Forest – ein leitender Unteroffizier im Stab des Ersten Regiments
Korporal Tunny – ein altgedienter Kriegsgewinnler und Standartenträger des Ersten Regiments
die Gefreiten Dotter, Klige, Werth und Lederlingen – ahnungslose Rekruten, die Tunny als Meldereiter zugewiesen wurden
Oberst Wetterlant – ein steifer Offizier des Sechsten Regiments
Major Culfer – sein schnell die Nerven verlierender Stellvertreter
Feldwebel Gaunt, Gefreiter Rose – Soldaten des Sechsten Regiments
Major Popol – befehligt das erste Bataillon des Rostod-Regiments
Hauptmann Lasmark – ein armer Hauptmann des Rostod-Regiments
Oberst Vinkler – ein mutiger Offizier des Dreizehnten Regiments
Mittericks Division
General Mitterick – ein erfahrener Soldat mit sehr viel Kinn und wenig Treue, gilt als klug, aber skrupellos
Oberst Opker – sein Stabschef
Leutnant Dimbik – ein wenig selbstbewusster junger Offizier in Mittericks Stab
Meeds Division
Lord Statthalter Meed – Amateursoldat mit Schildkrötenhals, in Friedenszeiten Statthalter von Angland, der die Nordmänner angeblich ebenso sehr hasst, wie ein Schwein den Metzger verabscheut
Oberst Harod (Hal) dan Brock – Sohn eines berüchtigten Verräters, dient ehrlich und beflissen in Meeds Stab
Finree dan Brock – Oberst Brocks überaus ehrgeizige Gattin, die Tochter Lord Marschall Kroys
Oberst Brint – ein einflussreicher Offizier in Meeds Stab, ein alter Freund des Königs
Aliz dan Brint – Oberst Brints naive junge Frau
Hauptmann Hardrick – ein Offizier in Meeds Stab, der gern sehr enge Hosen trägt
Die Getreuen des Hundsmanns
Der Hundsmann – Oberhaupt der Nordmänner, die auf Seiten der Union kämpfen. Ein alter Weggefährte des Blutigen Neuners, einst ein enger Freund des Schwarzen Dow, doch längst sein erbitterter Feind
Rotkapp – Hundsmanns Stellvertreter, trägt gewöhnlich eine rote Kapuze
Hartbrot – ein namhafter Mann mit viel Erfahrung, führt ein Dutzend für den Hundsmann
Rotkrähe – einer von Hartbrots Carls
DIE NORDMÄNNER
Auf und um Skarlings Thron
Der Schwarze Dow – der Bewahrer des Nordens, oder auch der Dieb des Nordens, je nach Sichtweise
Spaltfuß – sein Stellvertreter – sprich, sein oberster Leibwächter und Arschkriecher
Ischri – seine Beraterin, eine Zauberkundige aus den Wüsten des Südens und erklärte Feindin von Bayaz
Caul Espe – ein narbiger namhafter Mann mit einem Metallauge, den einige den Hund des Schwarzen Dow nennen
Curnden Kropf – ein namhafter Mann, der allgemein als aufrecht betrachtet wird, einst der Stellvertreter von Rudd Dreibaum, später ein enger Vertrauter von Bethod, führt nun ein Dutzend für den Schwarzen Dow
Herrlich – seine duldsame Stellvertreterin
Whirrun von Blei – ein berühmter Held aus dem äußersten Norden, der den Vater der Schwerter schwingt. Auch Knacknuss genannt, da es heißt, er habe einen Sprung in der Schüssel
Yon Cumber Fröhlich, Brack-i-Dayn, Zehenspitzen-Scorry, Agrick, Athroc und Drofd – gehören ebenfalls zu Kropfs Dutzend
Scales Leute
Scale – Bethods ältester Sohn, inzwischen der am wenigsten einflussreiche von Dows fünf Anführern, stark wie ein Ochse, mutig wie ein Ochse und mit etwa genauso viel Hirn
Schneebleich – zählte früher zu Bethods Anführern, nun Scales Stellvertreter
Hansul Weißauge – ein namhafter Mann mit einem blinden Auge, einst Bethods Herold
»Prinz« Calder – Bethods jüngster Sohn, berüchtigt für seine Feigheit und seine Ränke, augenblicklich im Exil, da er es wagte, Friedensverhandlungen vorzuschlagen
Seff – seine schwangere Frau, die Tochter von Caul Reichel
Gründig und Hohl – zwei Mörder, die in der Hoffnung über Calder wachen, dadurch zu Geld zu kommen
Caul Reichels Leute
Caul Reichel – einer von Dows fünf Anführern, ein ältlicher Kämpe, für seine Ehrbarkeit berühmt, der Schwiegervater von Calder
Brydian Flut – ein namhafter Mann, zählte früher zu Kropfs Dutzend
Beck – ein junger Bauer, den es nach Ruhm auf dem Schlachtfeld dürstet, der Sohn von Schama Ohnherz
Reft, Colving, Stodder und Brait – einige andere Jungen, die zusammen mit Beck zum Heer eingezogen wurden
Glama Goldings Männer
Glama Golding – einer von Dows fünf Anführern, unerträglich eitel, führt eine Fehde gegen Cairm Eisenkopf
Sutt Brüchig – ein für seine Gier berüchtigter Nordmann
Leichtschlaf – ein Carl in Goldings Diensten
Cairm Eisenkopfs Männer
Cairm Eisenkopf – einer von Dows fünf Anführern, berüchtigt für seine Sturheit, führt eine Fehde gegen Glama Golding
Irig – ein schlecht gelaunter Axtkämpfer
Hitzkopf – ein stets fluchender Bogenschütze
Andere
Brodd Zehnweg – der treueste von Dows fünf Anführern, hässlich wie nur irgendwas
Fremder-klopf-an – ein riesiger Wilder, besessen von der Zivilisation, Häuptling aller Lande östlich der Crinna
Wieder zu Schlamm geworden (sprich: tot)
Bethod – der erste König der Nordmänner, Vater von Scale und Calder
Skarling Ohnekapp – ein legendärer Held, der einst den Norden im Kampf gegen die Union vereinte
Der Blutige Neuner (eigentlich Neunfinger-Logen; gilt als tot) – einst Bethods Kämpe, der meistgefürchtete Mann im Norden und kurzzeitig König der Nordmänner, bevor der Schwarze Dow ihn um die Ecke brachte
Rudd Dreibaum – der für seine Ehrbarkeit berühmte Häuptling von Uffrith, der gegen Bethod kämpfte und einen Zweikampf gegen den Blutigen Neuner verlor
Schama Ohnherz – Becks Vater, ein berühmter Kämpe, den der Blutige Neuner tötete
VOR DER SCHLACHT
»Unglücklich das Land,
das Helden nötig hat.«
BERTOLT BRECHT
ANDERE ZEITEN
Ich bin zu alt für diesen Scheiß«, brummte Kropf und verzog das Gesicht bei jedem Schritt, der ihm einen Stich durch das schlimme Knie schickte. Höchste Zeit, dass er sich zur Ruhe setzte. Allerhöchste Zeit. Um sich mit einer Pfeife hinters Haus zu hocken und in der Gewissheit, sein Tagewerk erledigt zu haben, lächelnd aufs Wasser zu blicken, während die Sonne unterging. Nicht, dass er ein Haus gehabt hätte. Aber wenn er einmal eins haben sollte, dann würde es ein gutes sein.
Er fand ein Schlupfloch in der eingesunkenen Mauer, und sein Herz klopfte wie der Hammer eines Zimmermanns. Vom langen Erklimmen des steilen Abhangs, dem wilden Gras, das sich um seine Stiefel krallte, und dem angriffslustigen Wind, der immer wieder versuchte, ihn umzuwerfen. Aber wenn er ehrlich war, dann klopfte es vor allem deswegen, weil er fürchtete, oben auf der Spitze des Hügels umgebracht zu werden. Er hatte nie behauptet, besonders tapfer zu sein, und mit fortschreitendem Alter war er immer ängstlicher geworden. Seltsame Sache, das – je weniger Jahre man noch zu verlieren hat, desto mehr hängt man an ihnen. Vielleicht wird ein Mann einfach mit einer gewissen Portion Mut geboren, und bei jeder Klemme, in die er gerät, geht ihm etwas davon abhanden.
Kropf hatte in so mancher Klemme gesteckt. Und es sah ganz danach aus, als sollte das hier die nächste werden.
Er rang kurz nach Atem, als er endlich ebenes Gelände erreichte, beugte sich vornüber und wischte die Tränen weg, die ihm der scharfe Wind in die Augen getrieben hatte. Die Helden ragten vor ihm in der Dunkelheit auf, dunkle Löcher im nächtlichen Himmel, in denen keine Sterne leuchteten, viermal mannshoch oder mehr. Vergessene Riesen, gestrandet auf ihrer Bergkuppe im beißenden Wind. Die stur hier Wache hielten, obwohl es nichts zu bewachen gab.
Kropf fragte sich unwillkürlich, wie viel eine dieser großen Steinplatten wohl wiegen mochte. Nur die Toten wussten, wie man einst diese verdammt riesigen Teile hier heraufgeschafft hatte. Oder wer es gewesen war. Die Toten verrieten jedoch nichts, und Kropf hatte nicht die Absicht, sich zu ihnen zu gesellen, nur um das herauszufinden.
Erst jetzt sah er den ganz schwachen Feuerschein, der die Ränder der Steine leicht rot färbte. Hörte Männerstimmen über das langgezogene Knurren des Windes schwatzen. Das machte ihm erneut bewusst, in welche Gefahr er sich begab, und eine neuerliche Welle der Angst überspülte ihn. Aber Angst ist eine gesunde Empfindung, solange sie einen zum Nachdenken bringt. Das hatte Rudd Dreibaum ihm gesagt, vor langer Zeit. Er hatte über die Sache nachgedacht, und er wusste, dass er das Richtige tat. Oder zumindest das am wenigsten Falsche. Und das ist manchmal das Beste, was man sich erhoffen kann. Es schien immer öfter der Fall zu sein, je mehr Jahre vergingen.
Also holte er tief Luft, versuchte sich daran zu erinnern, wie er sich früher gefühlt hatte, als seine Gelenke noch nicht so knackten und ihm alles scheißegal zu sein pflegte, wählte auf gut Glück eine Lücke zwischen zweien der alten, großen Steine und schlenderte hindurch.
Vielleicht war das einmal ein heiliger Ort gewesen, in uralter Zeit, und womöglich ruhte hohe Magie in den Steinen, so dass es ein schweres Verbrechen war, uneingeladen in diesen Kreis zu treten. Aber falls sich irgendwelche alten Götter gestört fühlten, dann hatten sie wohl keine Möglichkeit, es ihm zu zeigen. Der Wind erstarb mit einem traurigen Seufzen, und das war alles. An Magie herrschte allgemein ein ziemlicher Mangel, und allzu viele geheiligte Dinge gab es auch nicht mehr. So waren die Zeiten nun einmal.
Das Licht zuckte über die Innenseiten der Helden, blasses Orange wanderte über zernarbten Stein, fleckig mit Moos bewachsen und von alten Brombeerranken, Brennnesseln und in Saat geschossenen Gräsern umringt. Ein Monolith war in der Hälfte abgebrochen, einige weitere im Laufe der Jahrhunderte umgestürzt; sie hatten Lücken hinterlassen, die sich wie fehlende Zähne im Grinsen eines Todesschädels ausnahmen.
Kropf zählte acht Männer, die sich eng in geflickte Umhänge, abgetragene Mäntel und zerlumpte Decken gewickelt hatten und um ihr windgeducktes Lagerfeuer saßen. Feuerschein flackerte über hagere, vernarbte, stopplige und bärtige Gesichter. Funkelte auf den Rändern ihrer Schilde, den Klingen ihrer Waffen. Vielen Waffen. Zwar waren die Kerle größtenteils ein Gutteil jünger, aber sie sahen kaum anders aus als Kropfs eigene Leute. Vielleicht waren sie auch kaum anders. Einen kurzen Augenblick glaubte er sogar, in einem der Männer, der ihm das Gesicht seitlich zuwandte, Jutlan zu erkennen. Ein Blitz der Erinnerung durchzuckte ihn, und ums Haar wäre ein lauter Gruß über seine Lippen gekommen. Doch dann fiel ihm wieder ein, dass Jutlan schon zwölf Jahre unter der Erde lag, und dass er selbst die Worte an seinem Grab gesprochen hatte.
Vielleicht gab es ja nur eine begrenzte Anzahl von Gesichtern auf der Welt. Und wenn man alt genug geworden war, dann sah man halt die gebrauchten wieder.
Kropf schüttelte den Gedanken ab und hob die Hände, die Handflächen offen und ausgestreckt, wobei er sich alle Mühe geben musste, damit sie nicht zitterten. »Einen schönen Abend!«
Die Gesichter schossen zu ihm herum. Hände griffen hastig zu den Waffen. Ein Mann riss einen Bogen hoch, und Kropf fühlte, wie ihm das Herz in die Hosen rutschte, aber noch bevor der andere die Sehne ausziehen konnte, streckte sein Nachbar den Arm aus und drückte die Waffe wieder herunter.
»Na, langsam, Rotkrähe.« Der Sprecher war ein alter, kräftiger Kerl mit langem, verfilztem grauem Bart, dem ein nacktes Schwert hell funkelnd und einsatzbereit über den Knien lag. Kropf schenkte ihm ein seltenes Grinsen, denn dieses Gesicht kannte er tatsächlich, und das verbesserte seine Chancen erheblich.
Der andere hieß Hartbrot, und er war ein namhafter Mann vom alten Schlag. Kropf und er hatten über die Jahre bei einigen Schlachten auf derselben Seite gestanden, bei ein paar anderen auch auf verschiedenen. Aber er hatte einen sehr anständigen Ruf. Ein erfahrener Kämpe, von dem man erwarten konnte, dass er über die Dinge nachdachte; keiner von denen, die erst töten und dann Fragen stellen, was heutzutage immer mehr in Mode kam. Außerdem sah es so aus, als sei er der Häuptling dieser Truppe, denn der Kerl, den er Rotkrähe genannt hatte, ließ den Bogen brummend sinken, wie Kropf zu seiner Erleichterung feststellte. Wenn es nach ihm ging, würde es heute Abend keine Toten geben, und er schämte sich nicht zu sagen, dass er doppelt froh sein würde, wenn er selbst verschont blieb.
Doch noch lagen einige Stunden Dunkelheit vor ihm, und jede Menge Stahl.
»Bei den Toten.« Hartbrot saß so still da, als sei er ebenso aus Stein wie die Helden, aber sein Verstand machte zweifelsohne gerade große Sprünge. »Wenn ich mich nicht sehr irre, dann ist gerade Curnden Kropf aus der Nacht gestiegen.«
»Du irrst dich nicht.« Kropf machte einige langsame Schritte nach vorn, die Hände noch immer hoch erhoben, und tat sein Bestes, trotz der acht unfreundlichen Augenpaare, die auf ihm lasteten, entspannt auszusehen.
»Du bist ein wenig grauer geworden, Kropf.«
»Du aber auch, Hartbrot.«
»Tja, du weißt ja, wie es ist. Wir haben Krieg.« Der alte Kämpe tätschelte sich den Bauch. »Da spielen meine Nerven verrückt.«
»Im Vertrauen gesprochen, meine auch.«
»Wer will schon Soldat werden?«
»Verdammt harter Beruf.«
»Habe gehört, dass du für den Schwarzen Dow kämpfst, du und dein Dutzend.«
»Ich versuche, so wenig zu kämpfen wie möglich, aber du liegst richtig in der Frage, für wen wir streiten. Dow zahlt für meinen Haferbrei.«
»Ich liebe Haferbrei.« Hartbrots Augen glitten zum Feuer hinunter, und er stocherte gedankenverloren mit einem Zweig in der Glut. »Meinen zahlt heutzutage die Union.« Seine Jungs waren unruhig – Zungen fuhren schnell über Lippen, Finger kitzelten Waffen, Augen glänzten im Feuerschein. Wie Zuschauer bei einem Duell, die gespannt die Eröffnung verfolgen und zu erkennen versuchen, wer die Oberhand gewinnen wird. Hartbrot hob wieder den Blick. »Damit wären wir wohl auf gegnerischen Seiten.«
»Aber wollen wir zulassen, dass uns diese Kleinigkeit eine höfliche Unterhaltung verdirbt?«, fragte Kropf.
Als sei das Wörtchen »höflich« schon allein eine Beleidigung, fuhr Rotkrähe wieder auf. »Lasst uns das Arschloch doch einfach massakrieren!«
Hartbrot wandte sich langsam zu ihm um, das Gesicht abfällig verzogen. »Falls das Unmögliche geschieht und ich das Bedürfnis verspüren sollte, dich um deine Meinung zu fragen, dann werde ich dir Bescheid geben. Und bis dahin halt die Klappe, Dummkopf. Ein Mann von Curnden Kropfs Erfahrung schlendert nicht einfach hier herauf, um sich von einem wie dir um die Ecke bringen zu lassen.« Seine Augen glitten über die Steine, dann wieder zu Kropf. »Weswegen bist du gekommen, so ganz allein? Willst du für einen Drecksack wie den Schwarzen Dow nicht mehr kämpfen und lieber zum Hundsmann überlaufen?«
»Kann ich nicht sagen. Mich auf die Seite der Union zu stellen, wäre nicht mein Stil, womit ich nichts Abfälliges über jene sagen will, die das tun. Wir haben alle unsere Gründe.«
»Ich versuche, niemanden nur wegen der Wahl seiner Freunde zu verdammen.«
»Bei einem Streit stehen stets auf beiden Seiten gute Leute. Die Sache ist die: Der Schwarze Dow hat mir aufgetragen, zu den Helden hinüberzugehen, hier eine Weile Wache zu halten und auszuspähen, ob die Union sich vielleicht heranschleichen will. Aber vielleicht kannst du mir diese Arbeit abnehmen. Schleicht sich die Union vielleicht heran?«
»Keine Ahnung.«
»Du bist jedenfalls schon mal hier.«
»Darauf würde ich nicht allzu viel geben.« Hartbrot sah freudlos zu den Männern, die um das Feuer lagerten. »Wie du siehst, haben sie mich mehr oder weniger allein hierher geschickt. Der Hundsmann hat mir aufgetragen, zu den Helden hinüberzugehen, dort eine Weile Wache zu halten und auszuspähen, ob sich der Schwarze Dow vielleicht heranschleichen will.« Er hob die Brauen. »Meinst du, das wird er?«
Kropf grinste. »Keine Ahnung.«
»Du bist jedenfalls schon mal hier.«
»Darauf würde ich nicht allzu viel geben. Außer mir und meinem Dutzend ist niemand hier. Und Brydian Flut fehlt auch, der hat sich vor ein paar Monaten das Bein gebrochen, und ich musste ihn zurücklassen, bis seine Knochen wieder verheilt sind.«
Hartbrot lächelte wehmütig, stocherte wieder mit dem Zweig im Feuer und ließ ein paar Funken aufstieben. »Deine Leute hielten immer schon fest zusammen. Ich möchte wetten, dass sie jetzt rund um die Helden lauern, die Bögen in der Hand.«
»So ähnlich.« Hartbrots Jungs fuhren alle herum, die Münder weit aufgesperrt. Entsetzt über die Stimme, die aus dem Nichts kam, und noch entsetzter darüber, dass sie einer Frau gehörte. Herrlich stand da, die Arme vor der Brust verschränkt, das Schwert in der Scheide und den Bogen über der Schulter, und lehnte sich so lässig gegen einen der Helden wie an die Wand einer Taverne. »Hey, hey, Hartbrot.«
Der alte Krieger verzog das Gesicht. »Könntest du nicht wenigstens einen Pfeil auf die Sehne legen und zumindest so tun, als nähmest du uns ernst?«
Sie deutete mit einer Kopfbewegung in die Dunkelheit. »Da hinten lauern noch ein paar Jungs, die durchaus bereit sind, dir einen Schaft durchs Gesicht zu zimmern, falls einer von euch uns schief anguckt. Gibt dir das ein besseres Gefühl?«
Hartbrot verzog das Gesicht noch mehr. »Ja und nein«, brummte er, während seine Jungs die Lücken zwischen den Steinen anstarrten. Eine Drohung lastete plötzlich schwer in der Nacht. »Dann bist du wohl immer noch die Stellvertreterin von diesem schrägen Vogel hier?«
Herrlich kratzte sich an der langen Narbe, die durch ihr kurzgeschorenes Haar verlief. »Hat sich nichts Besseres ergeben. Wir sind wahrscheinlich mittlerweile wie ein altes Ehepaar, bei dem im Bett schon seit Jahren nichts mehr läuft und das sich nur noch gegenseitig ankeift.«
»Meine Frau und ich waren nie so, bis zum Tag, an dem sie starb.« Hartbrot tippte mit dem Finger gegen sein blankes Schwert. »Sie fehlt mir immer noch. Dachte mir schon in dem Augenblick, als ich dich sah, dass du Gesellschaft mitbringen würdest, Kropf. Aber da du mich noch immer mit offenem Mund anglotzt und ich noch immer atme, gehe ich mal davon aus, dass du uns die Chance geben möchtest, über alles zu reden.«
»Dann hast du mich verdammt richtig eingeschätzt«, erwiderte Kropf. »Genau das ist mein Plan.«
»Sind meine Wachposten noch am Leben?«
Herrlich wandte den Kopf und pfiff auf ihre typische Weise, und Zehenspitzen-Scorry glitt hinter einem Stein hervor. Er hatte den Arm um einen Mann geschlungen, dessen Wange ein großes, rosafarbenes Feuermal zierte. Beinahe wirkten die beiden wie zwei alte Kumpels, wenn man von der Klinge absah, die Scorrys Hand mit der Spitze gegen Feuermals Kehle drückte.
»Tut mir leid, Häuptling«, sagte der Gefangene an Hartbrot gewandt. »Hat mich überrumpelt.«
»So was kommt vor.«
Ein dürrer Bursche flog in den Kreis des Feuerscheins, als habe ihn jemand gestoßen, stolperte über die eigenen Füße und fiel mit einem leisen Aufschrei der Länge nach ins hohe Gras. Yon Fröhlich stieg aus der Dunkelheit hinter ihm, die Axt locker in einer Hand. Eine schwere Klinge schimmerte neben seinem Stiefel, und sein bärtiges Gesicht zeigte eine missmutige Miene.
»Den Toten sei Dank.« Hartbrot deutete mit seinem Zweig auf den dürren Jungen, der sich gerade wieder aufrappelte. »Das ist der Sohn meiner Schwester. Hatte versprochen, ein Auge auf ihn zu haben. Wenn ihr den umgebracht hättet, wäre mir das bis ans Ende meiner Tage aufs Brot geschmiert worden.«
»Er hat gepennt«, knurrte Yon. »Hast nicht gerade besonders gut Wache gehalten, was?«
Hartbrot zuckte die Achseln. »Wir haben niemanden erwartet. Wenn’s zwei Dinge im Norden gibt, von denen wir zu viel haben, dann sind es Berge und Steine. Hätte nicht gedacht, dass ein Berg mit ein paar Steinen drauf ein besonders begehrenswertes Ziel abgäbe.«
»Das ist er für mich auch nicht«, antwortete Kropf. »Aber der Schwarze Dow sagte, wir sollten hierher geh…«
»Und wenn der Schwarze Dow etwas sagt …« Brack-i-Dayn sang die Worte beinahe, so wie die Bergmenschen es oft tun. Er trat in den breiten, grasbewachsenen Kreis, die tätowierte Seite seines flächigen Gesichts dem Feuer zugewandt, die andere Seite umlagert von Schatten.
Rotkrähe wollte gleich wieder loslegen, doch Hartbrot legte ihm die Hand auf die Schulter. »Aber, aber. Du bist ja der reinste Springteufel.« Seine Augen glitten von Yon Fröhlichs Axt über Herrlichs Grinsen und Bracks Bauch bis zu dem Messer, das Scorry immer noch an die Kehle seines Gefangenen hielt. Er wog seine Chancen ab, genau, wie Kropf es auch getan hätte. »Ist Whirrun von Blei bei euch?«
Kropf nickte langsam. »Ich weiß nicht, warum, aber er besteht darauf, mir zu folgen.«
Als hätte er auf seinen Einsatz gewartet, drang nun Whirruns seltsamer Tal-Akzent aus der Dunkelheit. »Schoglig sagte … mein Schicksal würde mir offenbart … von einem Mann, der an einem Knochen würgt.« Die Stimme hallte von den Steinen wider und schien gleichzeitig von überall her zu kommen. Whirrun hatte fraglos ein Gespür für dramatische Auftritte. Echte Helden brauchten das. »Und Schoglig ist so alt wie diese Steine. Die Hölle verschmäht sie, sagen manche. Klingen können ihr Fleisch nicht durchdringen. Sie sah, wie die Welt geboren wurde, sagen manche, und sie wird sie auch sterben sehen. Auf eine solche Frau muss ein Mann hören, nicht wahr? So jedenfalls sagen manche.«
Whirrun schlenderte durch die Lücke, die einer der fehlenden Heldensteine hinterlassen hatte, und trat in den Schein des Feuers, hochgewachsen und schlank, das Gesicht von seiner Kapuze beschattet, geduldig wie der Winter. Er trug den Vater der Schwerter über den Schultern wie ein Milchmädchen ihr Joch, die Arme über die scheidengeschützte Klinge gelegt, die langen Hände hinunterbaumelnd. Das matte, graue Metall des Hefts schimmerte. »Schoglig verriet mir die Stunde, den Ort und die Art meines Todes. Sie flüsterte es mir ins Ohr und ließ mich schwören, es niemandem zu verraten, denn Magie verliert all ihre Kraft, wenn man sie teilt. Und so kann ich euch nicht sagen, wann es geschehen wird, aber so viel verrate ich euch – nicht hier und nicht jetzt.« Einige Schritte vor dem Feuer hielt er inne. »Und was euch angeht, Jungs …« Whirruns Kapuze rutschte auf einer Seite ein wenig hinunter, so dass nur die Spitze seiner scharf geschnittenen Nase, der Umriss seines eckigen Kinns und sein dünner Mund zu sehen waren. »Schoglig hat mir nicht erzählt, wann eure Zeit gekommen ist.« Er rührte sich nicht. Das musste er auch nicht. Herrlich sah zu Kropf hinüber und verdrehte die Augen zum sternenübersäten Himmel.
Aber im Gegensatz zu Whirruns Kameraden hatten Hartbrots Jungs diese Geschichte noch keine hundert Mal gehört. »Der Whirrun?«, raunte einer von ihnen seinem Nachbarn zu. »Knacknuss-Whirrun? Das ist er?«
Der Mann neben ihm sagte nichts, nur sein Adamsapfel bewegte sich, als er schluckte.
»Tja, bei meinem alten Arsch, aus dieser Klemme möchte ich mich lieber nicht herauskämpfen«, sagte Hartbrot in lockerem Tonfall. »Gäbe es vielleicht die Möglichkeit, dass ihr uns gehen lassen würdet?«
»Ich würde sogar darauf bestehen«, sagte Kropf.
»Wir können unsere Ausrüstung mitnehmen?«
»Ich will dich nicht erniedrigen. Ich will nur deinen Berg.«
»Oder vielmehr will ihn der Schwarze Dow.«
»Ist eins wie das andere.«
»Dann kannst du ihn gern haben.« Hartbrot stand langsam auf, verzog das Gesicht, als er die Beine streckte, und verfluchte innerlich sicherlich ebenfalls einige steife Gelenke. »Ist sowieso verdammt zugig hier oben. Da sitze ich doch lieber in einer Taverne in Osrung und strecke meine Füße ans Feuer.« Kropf musste zugeben, dass diese Vorstellung durchaus etwas für sich hatte, und er fragte sich, wer bei diesem Handel gerade den besseren Schnitt machte. Hartbrot schob gedankenverloren sein Schwert in die Scheide, während seine Jungs ihre Sachen packten. »Das ist ziemlich anständig von dir, Kropf. Du bist wirklich ein aufrechter Mann, genau, wie alle sagen. Schön, dass Männer, die auf verschiedenen Seiten stehen, noch über die Dinge reden können, inmitten dieser ganzen Wirren. Verdammt anständiges Verhalten … kommt ja immer mehr aus der Mode.«
»So sind nun mal die Zeiten.« Kropf sah mit einer Kopfbewegung zu Scorry hinüber, der das Messer von Feuermals Kehle nahm, eine kleine Verbeugung andeutete und die offene Hand zum Feuer streckte. Feuermal machte einen Schritt beiseite, rieb sich die frisch rasierte Stelle an seinem stoppligen Hals und bückte sich, um eine Decke zusammenzurollen. Kropf hakte die Daumen in seinen Schwertgurt und ließ Hartbrots Truppe nicht aus den Augen, während sie den Abzug vorbereitete, nur für den Fall, dass einer der Jungs auf den Gedanken kam, den Helden spielen zu wollen.
Rotkrähe war das vielleicht am ehesten zuzutrauen. Er hatte sich den Bogen über die Schulter geschlungen und stand nun mit finsterem Blick da, die Axt so fest in einer Hand, dass die Knöchel weiß hervortraten, und über dem anderen Arm den Schild, auf dem ein roter Vogel prangte. Er hatte Kropf zuvor schon gern erledigen wollen, und der Lauf der Ereignisse hatte nichts an diesem Wunsch geändert. »Ein paar alte Scheißer und eine verdammte Frau«, zischte er. »Und vor solchen Leuten ziehen wir kampflos den Schwanz ein?«
»Nein, nein.« Hartbrot schwang sich den eigenen schartigen Schild auf den Rücken. »Ich ziehe den Schwanz ein, und die anderen Jungs auch. Du wirst bleiben und allein gegen Whirrun von Blei antreten.«
»Was soll ich?« Rotkrähe warf Whirrun einen unruhigen Blick zu, und Whirrun blickte zurück. Jener Teil seines Gesichts, der zu sehen war, wirkte dabei so versteinert wie die Helden hinter ihm.
»Ganz genau.« Hartbrot nickte. »Du bist doch so scharf auf eine Keilerei. Anschließend werde ich deinen zerstückelten Leichnam zu deiner Mammi schleppen und ihr sagen, dass sie keine Tränen vergießen soll, weil du es nämlich genau so gewollt hast. Du hast diesen verdammten Hügel so geliebt, dass du unbedingt auf ihm sterben wolltest.«
Rotkrähes Hand rutschte nervös über den Griff seiner Axt. »Hä?«
»Oder möchtest du dich vielleicht doch lieber mit uns anderen zurückziehen und den Namen von Curnden Kropf preisen, weil er uns höchst anständig gewarnt hat und uns dann ohne ein paar Pfeile im Arsch abziehen ließ?«
»Ja«, brummte Rotkrähe und wandte sich schlecht gelaunt ab.
Hartbrot blies die Backen auf und sah Kropf an. »Die jungen Leute heutzutage, was? Waren wir auch mal so dämlich?«
Kropf zuckte die Achseln. »Höchstwahrscheinlich.«
»Kann trotzdem nicht behaupten, dass ich je so blutrünstig war, wie sie heute alle zu sein scheinen.«
Kropf zuckte abermals die Achseln. »So sind nun mal die Zeiten.«
»Das ist wohl wahr, wahr und dreimal wahr. Wir lassen euch das Feuer, was? Kommt schon, Leute.« Die Männer marschierten zur Südseite des Hügels, während sie noch die letzten Ausrüstungsgegenstände zusammenpackten, und einer nach dem anderen verschwand zwischen den Steinen in der Nacht.
Hartbrots Neffe wandte sich in der Lücke noch einmal um und zeigte Kropf den Stinkefinger. »Wir werden wiederkommen, ihr hinterlistigen Scheißkerle!« Sein Onkel versetzte ihm einen Schlag gegen den schrundigen Kopf. »Aua! Was ist denn?«
»Zeig gefälligst etwas Respekt.«
»Sind wir nicht im Krieg?«
Hartbrot gab ihm einen zweiten Knuff, der einen quäkenden Aufschrei hervorrief. »Das ist kein Grund, unhöflich zu sein, du kleiner Scheißer.«
Kropf stand da, während die maulende Antwort des Jungen im Wind hinter den Steinen unterging, schluckte etwas bittere Spucke hinunter und löste die Daumen aus dem Gürtel. Ihm zitterten die Hände, und um das zu verbergen, rieb er sie aneinander und tat so, als sei ihm kalt. Aber es war geschafft, alle Beteiligten atmeten noch, und das brachte ihn zu der Annahme, dass diese Geschichte so gut gelaufen war, wie man überhaupt nur hätte hoffen können.
Yon Fröhlich war anderer Ansicht. Er trat neben Kropf, machte ein Gesicht wie ein Gewitter und spuckte ins Feuer. »Es mag eine Zeit kommen, da es uns leidtun wird, dass wir diese Kerle nicht erledigt haben.«
»Jemanden am Leben zu lassen drückt mir meist nicht so schwer aufs Gewissen wie die andere Möglichkeit.«
Brack, der auf der anderen Seite neben Kropf stand, schnalzte mit der Zunge. »Ein Krieger sollte sich nicht zu sehr mit einem Gewissen belasten.«
»Ein Krieger sollte sich auch nicht zu sehr mit einem dicken Bauch belasten.« Whirrun hatte den Vater der Schwerter von den Schultern genommen und die Klinge mit der Spitze auf den Boden gestellt. Der Knauf reichte ihm noch immer bis zur Schulter, und Whirrun betrachtete sinnend, wie sich das Licht auf der Parierstange brach, während er die Waffe hin und her drehte. »Wir haben alle unsere Last zu tragen.«
»Ich trage genau die richtige Menge, du dürrer Drecksack.« Der Bergmensch tätschelte seinen dicken Wanst mit einer ähnlich stolzen Geste wie ein Vater den Kopf seines Sohnes.
»Häuptling.« Agrick trat in den Feuerschein, den Bogen locker in der Hand und einen Pfeil zwischen zwei Fingern.
»Sind sie weg?«, fragte Kropf.
»Hab sie beobachtet, bis sie zum Fuß des Hügels kamen. Sie haben den Pfad nach Osrung eingeschlagen. Athroc bleibt ihnen weiter auf den Fersen. Wir werden es merken, falls sie wieder umkehren.«
»Meinst du, das werden sie?«, fragte Herrlich. »Hartbrot ist noch vom alten Schrot und Korn. Er mag ja lächeln, aber ihm wird diese Sache kein bisschen gefallen haben. Vertraust du diesem alten Drecksack?«
Kropf sah mit gerunzelter Stirn in die Nacht. »Ungefähr so sehr, wie ich heutzutage jedem traue.«
»So wenig? Wir sollten besser Wachen aufstellen.«
»Joh.« Brack nickte. »Und dafür sorgen, dass unsere nicht einschlafen.«
Kropf klopfte ihm gegen den Arm. »Schön, dass du freiwillig die erste Schicht übernimmst.«
»Dir kann dein Bauch Gesellschaft leisten«, sagte Yon.
Ihn tippte Kropf als Nächsten an. »Schön, dass du das gut findest, du bist dann als Zweiter dran.«
»Scheiße!«
»Drofd!«
Man merkte, dass der Lockenkopf der jüngste Neuzugang des Dutzends war, weil er tatsächlich höchst beflissen herbeieilte. »Ja, Häuptling?«
»Nimm das gesattelte Pferd und reite die Straße nach Jaaws hinunter. Ich weiß nicht genau, auf wessen Jungs du als Erstes treffen wirst – wahrscheinlich auf die von Eisenkopf, vielleicht aber auch auf Zehnwegs Männer. Sag ihnen, dass wir bei den Helden auf ein Dutzend des Hundsmanns gestoßen sind. Wahrscheinlich waren sie nur Kundschafter, aber …«
»Nur Kundschafter.« Herrlich knabberte etwas Schorf von einem ihrer Knöchel und spuckte die Krümel von der Zungenspitze. »Die Unionisten sind meilenweit entfernt, haben sich geteilt und schwärmen aus, und sie versuchen, sich in gerader Linie aufzustellen – in einem Land, in dem es keine geraden Linien gibt.«
»Höchstwahrscheinlich. Aber spring trotzdem aufs Pferd und gib die Nachricht weiter.«
»Jetzt?« Drofd machte ein entsetztes Gesicht. »Im Dunkeln?«
»Nein, im nächsten Sommer reicht’s auch noch«, fuhr ihn Herrlich barsch an. »Ja, jetzt, du Dummkopf, du musst doch nichts anderes tun, als der Straße zu folgen.«
Drofd stieß einen Seufzer aus. »Heldenarbeit.«
»Alles Kriegshandwerk ist Heldenarbeit, mein Junge«, erwiderte Kropf. Er hätte lieber jemand anderen geschickt, aber dann hätten sie bis zum frühen Morgen darüber gestritten, wieso nicht der Neue diese Aufgabe übernahm. Für manche Dinge gibt es nun mal einen festgelegten rechten Weg, und an den muss ein Mann sich halten.
»Da hast du Recht, Häuptling. Dann sehen wir uns in ein paar Tagen, nehme ich an. Wahrscheinlich mit einem wunden Hintern.«
»Wieso das?« Herrlich machte ein paar anzügliche Bewegungen mit den Hüften. »Ist Zehnweg ein ganz besonderer Freund von dir?« Das rief einige Lacher hervor. Ein tiefes Grollen von Brack, ein helles Kichern von Scorry, und selbst Yons missmutiges Gesicht hellte sich ein wenig auf, was bedeutete, dass er sich wirklich amüsierte.
»Ha ha, wie lustig.« Damit verschwand Drofd in der Nacht, nahm sich das Pferd und machte sich auf den Weg.
»Ich habe gehört, mit Hühnerfett geht er leichter rein!«, rief Herrlich ihm noch nach, und Whirruns gackerndes Gelächter hallte um die Helden und hinein ins leere Dunkel.
Nun, da all die Aufregung vorüber war, fühlte Kropf sich ausgebrannt. Er ließ sich neben dem Feuer auf den Boden sinken, verzog schmerzerfüllt das Gesicht, als er die Knie beugte, und fand einen Platz, auf dem die Erde noch warm war von Hartbrots Körper. Scorry hatte sich ihm gegenüber niedergelassen und schärfte sein Messer. Das Schaben des Metalls gab seinem leisen, hohen Gesang einen festen Rhythmus. Er sang von Skarling Ohnekapp, dem größten Helden des Nordens, der vor langer Zeit die Clans unter sich vereint hatte, um die Union aus dem Land zu vertreiben. Kropf hörte zu, kaute an der schmerzenden Haut um seine Fingernägel und dachte wieder darüber nach, dass er wirklich endgültig aussteigen sollte.
Whirrun legte den Vater der Schwerter ab, kauerte sich auf den Boden und zog den alten Beutel hervor, in dem er seine Runensteine aufbewahrte. »Wir sollten vielleicht eine Lesung machen, oder?«
»Muss das sein?«, brummte Yon.
»Wieso? Hast du Angst vor dem, was dir die Zeichen künden könnten?«
»Nur Angst, dass du einen Haufen Blödsinn von dir gibst und ich die halbe Nacht lang wach liege und versuche, einen Sinn darin zu erkennen.«
»Ach was, wir werden sehen.« Whirrun schüttelte die Runensteine in seine gebogene Hand, spuckte darauf und warf sie dann neben dem Feuer aus.
Kropf reckte unwillkürlich den Hals, um zu sehen, wie sie gefallen waren, obwohl er nicht mal für Geld etwas aus diesen blöden Dingern hätte herauslesen können. »Was sagen denn die Runen, Knacknuss?«
»Die Runen sagen …« Whirrun sah die Steine an, als versuche er, etwas zu erkennen, das in sehr weiter Ferne lag. »Es wird Blut geben.«
Herrlich schnaubte. »Das sagen sie immer.«
»Joh.« Whirrun wickelte sich in seinen Mantel und schmiegte sich mit dem Gesicht an das Heft seines Schwerts wie an eine Geliebte, die Augen bereits geschlossen. »Aber in letzter Zeit haben sie noch öfter Recht als früher.«
Kropf sah missmutig zu den Helden, die sie umstanden, vergessene Riesen, die stur etwas bewachten, wo es nichts zu bewachen gab. »So sind nun mal die Zeiten«, brummte er.