KAISERSCHNITT HEILSAM VERARBEITEN

DIPL.-PÄDAGOGIN ILKA-MARIA THURMANN, Heilpraktikerin, Jahrgang 1958. Systemische Kinder- und Jugendlichentherapeutin, Autorin, Referentin. Mutter einer Tochter.

Fortbildungen: Prä- und perinatale Therapie, diverse Themen wie Kaiserschnitt, vorgeburtlicher Zwillingsverlust sowie Geburtsseminare und „Mein Weg ins Leben“©. Gesprächsführung, Homöopathie, Naturheilkunde, Pädagogik.

Arbeitsbereiche: Therapeutische Geburtsverarbeitung, Psychologische Schwangerenbegleitung, Babytherapie, Prä- und perinatal basierte Spieltherapie©, Schreibaby-Beratung, Elterncoaching und Erziehungsberatung, Regressions-, Trauma- und Gesprächstherapie für Erwachsene, Bach-Blüten-Therapie. (Alle Beratungen auch per Telefon.)

Schwerpunkte: Arbeit mit (Vor-)Geburtstraumen für Menschen jeden Lebensalters.

Kontakt: Praxis Thurmann, Haingasse 11

61348 Bad Homburg v. d. H.

Telefon: 00 49 - (0) 61 72 - 1 77 06 79

E-Mail: mail@praxis-thurmann.de

Internet: www.praxis-thurmann.de

Ilka-Maria Thurmann

KAISERSCHNITT HEILSAM VERARBEITEN

Die Prä- und perinatal basierte Spieltherapie© nach Thurmann

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren AutorInnen und zum Verlag finden Sie unter: www.mabuse-verlag.de.

In diesem Text wird der Einfachheit halber häufig nur die männliche Form verwendet. Die weibliche Form ist selbstverständlich immer mit eingeschlossen.

Elektronische Ausgabe 2016
© 2015
Mabuse-Verlag GmbH

Umschlaggestaltung: Marion Ullrich, Frankfurt am Main
Umschlagbild: Copyright-C istockphoto/asterix0597

INHALT

Vorworte

Prof. Sven Hildebrandt

Gabriele Meyer-Enders

I Einleitung

I.1 Kurzer historischer Abriss der prä- und perinatalen Psychologie

I.2 Interdisziplinäre Umsetzungen in die Praxis

II Die allerfrühesten Hintergründe verstehen

II.1 Von der Zeugung bis zur Einnistung

II.2 Prägungsfaktoren in der Schwangerschaft

II.3 Die Welt des Ungeborenen

III Die Geburt im Spiegel der pränatalen Erfahrungen

III.1 Die vier Geburtsstadien und ihre jeweiligen Prägungen

III.2 Geburtskomplikationen im Vorfeld zum Kaiserschnitt (Einleitung, NS, PDA)

III.3 Die Kaiserschnitt-Geburt und ihr möglicher Einfluss

III.4 Sieben Sectio-Kategorien im Überblick und sieben Beispielgeschichten

IV Therapeutische Wege bei prä- und perinatalen Traumata

IV.1 Grundprinzipien (Recherche, Traumamuster, Heilungsmuster)

IV.2 Spieltherapie: Grundlagen und Beispiele

IV.3 Die Prä- und perinatal basierte Spieltherapie© nach Thurmann

IV.4 Therapeutische Arbeit nach Kaiserschnitt für alle Altersgruppen

IV.5 Therapeutische Arbeit nach anderen Geburtskomplikationen

IV.6 Babytherapie sowie Mutter-Kind-Bindungsarbeit, Prä- und perinatal basierte Spieltherapie© bei Babys, Krabbel- und Kleinkindern

IV.7 Prä- und perinatal basierte Spiel-Therapie© für Kindergarten- und Grundschulkinder

IV.8 Prä- und perinatal basierte Spiel-Therapie© für Jugendliche

IV.9 Prä- und perinatal basierte Therapie© nach Thurmann bei Kindern und (jungen) Erwachsenen (Regressionstherapie, Symbolarbeit, Körpertherapie)

IV.10 Weitere begleitende Therapieformen: Gesprächs- und Hypnotherapie, systemischer Ansatz, Naturheilkunde (Homöopathie, Bach-Blüten etc.)

V Hinweise für Therapeuten

V.1 Anamnesefragen mit Erklärungen

V.2 Voraussetzungen: Selbsterfahrung und Wissen

V.3 Integration der Prä- und perinatal basierten Spieltherapie© in die eigene therapeutische Praxis

VI Ausblick

Anhang

VORWORT von Sven Hildebrandt

Unsere Kinder sind das Wertvollste, was wir haben.

Dieser Grundsatz gilt nicht nur im individuellen Kontext der Familie. Er gilt auch und insbesondere für die Verantwortung derganzen Gesellschaft gegenüber unseren Kindern, die Schutz, Fürsorge und Förderung verdienen. Die Liebe zu unseren Kindern ist nicht nur der Quell für deren Entwicklung, sondern auch die Voraussetzung für eine gesunde Gesellschaft.

Das vorliegende Buch strömt diese Liebe zum Kind aus und vermittelt ein Gefühl der Verantwortung im Umgang mit diesen kostbaren kleinen Wesen. Dabei nähert es sich der inneren Welt des Kindes aus einem Blickwinkel, der für viele noch sehr ungewohnt ist: Die Erfahrungen, die ein Kind während der Schwangerschaft und bei der Geburt macht, wirken sich auf seine seelische und körperliche Entwicklung viel stärker aus, als man es bis vor kurzem noch glaubte. Im Gegenteil: Es verdichten sich die Hinweise, dass das Schwangerschafts- und Geburtserleben zu den Schlüsselerfahrungen eines Menschen gehört. Viele Verhaltensauffälligkeiten der Neugeborenen- und Kleinkindzeit sind – wie übrigens auch spätere psychosomatische Erkrankungen – ein Widerhall früher Eindrücke.

Die folgenden Seiten führen die Leserschaft in eine noch wenig bekannte Welt, die uns das Wesen des Kindes aus einer neuen Perspektive erschließt. Dieses Buch ist wertvoll für Eltern, die Verhaltensmuster ihres Kindes besser verstehen lernen wollen und nach Wegen suchen, ihm sein Ankommen und sein Leben in unserer Welt zu erleichtern. Die hier vorgestellten Konzepte sind wichtige Hilfestellungen für ein Heil-Werden von Kindern, die in der Schwangerschaft und bei der Geburt belastet waren. Die Art und Weise, wie diese Kinder achtsam aufgefangen und stark für das Leben gemacht werden, ist berührend und Mut machend.

Dass der Kaiserschnitt bei den Betrachtungen ganz im Zentrum steht, ist der Tatsache geschuldet, dass diese besondere Art der Geburt in den letzten Jahrzehnten immer häufiger geworden ist. Sicher aus einem wohl gemeinten Impuls des Schutzes von Mutter und Kind heraus trat eine Entwicklung ein, die von den meisten Experten der Geburtshilfe heute als problematisch angesehen wird. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass derzeit jedes dritte Kind eine Geburtserfahrung machen musste, die vom naturgegebenen Erlebensmuster dramatisch abweicht. Ohne zu stigmatisieren zeigt das vorliegende Buch die Probleme auf, die den betroffenen Kindern durch diesen besonderen Geburtsweg entstehen können – und gibt einen im wahrsten Sinne des Wortes spielerischen Ausweg aus problematischen Verarbeitungsmustern.

Zugleich gibt das Buch ganz wertvolle Impulse hinsichtlich der Vermeidung solcher Belastungen, die für alle professionell Schwangere und Neugeborene begleitenden Personen von großer Bedeutung sind. Denn nur die Vermeidung unnötiger Kaiserschnitte und die Optimierung des Geburtserlebens bei notwendigen Operationen ist ein Ausweg aus der derzeitigen problematischen Entwicklung. Es ist ein Grundrecht der Kinder, dass wir Erwachsenen uns sehr tiefgreifend mit den Aspekten des Geboren-Werdens auseinandersetzen und unseren Kindern den besten Weg in das extrauterine Leben ermöglichen – denn: Unsere Kinder sind das Wertvollste, was wir haben.

Mit freundlichen Grüßen!

Prof. Sven Hildebrandt

Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und
Präsident dr ISPPM

VORWORT von Gabriele Meyer-Enders

Ein junger Mann, Mitte 20, kam in eine Beratungsstunde wegen seiner beruflichen Weiterentwicklung, die ins Stocken geraten war. Er war sehr reflektiert und beschrieb sich selbst mit seinen Charaktereigenschaften kritisch und ehrlich. Aufgrund der Lektüre des Skripts von Frau Thurmann erschien mir folgende Frage nur noch rhetorischer Natur: „Sind Sie ein Kaiserschnittkind?“ Erstaunt bejahte der junge Mann und seine Körperhaltung entspannte sich direkt, so als fiele eine große Last von seinen Schultern, die Last, immer wieder sein Verhalten ergründen und alleinige Verantwortung tragen zu müssen, festzustecken in seiner Entwicklung wie damals im Geburtskanal.

Das war meine sehr schnelle und eindrucksvolle praktische Umsetzung der Erkenntnisse des vorliegenden Buches. Natürlich haben wir uns als Kinderpsychotherapeuten mit anamnestischen Fragen beschäftigt, der Fokus wurde aber noch nie so eindeutig auf diese so entscheidende Lebensphase gerichtet, wie es Frau Thurmann hier belegt.

Die Prä- und perinatal basierte Spieltherapie© nach Thurmann beschreibt eine spieltherapeutisch angereicherte Behandlungsform, die selbst schon bei Kleinstkindern gute Erfolge zeigt. Der von Papousek und von Gontard beschriebene Aspekt der Spieltherapie als eines dynamischen Prozesses zwischen Kind und Spieltherapeut ermöglicht es auch hier eindrucksvoll, dass vergangene und gegenwärtige, bewusste und unbewusste Inhalte erkundet und bearbeitet werden können. Dadurch, dass Frau Thurmann den Fokus auf die Geburtssituation legt, erschließt sie einen wichtigen, bisher kaum beachteten Zugang zu vielen daraus resultierenden Verhaltensweisen, die oftmals anderen Psychodynamiken zugeschrieben werden. Dieses Buch eröffnet allen Kinder- und auch Erwachsenentherapeuten einen Zugang zu diesem bisher viel zu wenig beachteten Bereich.

Gabriele Meyer-Enders

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin

IEINLEITUNG

Jede Geburt ist – so oder so – ein gemeinsamer Anfang. Sie wirkt sich aus, immer.

Unsere individuellen Erfahrungen in diesen so wichtigen Stunden hinterlassen körperlich wie auch psychisch Spuren und prägen die Erlebenswelt jedes Menschen nachhaltig. Heute weiß man, dass die Geburt, ebenso wie die Schwangerschaft, einen stark unterschätzten, prägenden Einfluss für das ganze Leben hat. Sie ist das Fundament für alle sich daraus entwickelnden Denk-, Gefühls-, Handlungs- und Verhaltensmuster.

Harry van der Zee schreibt in der Einleitung seines empfehlenswerten Buchs: „Homöopathie und Geburtstrauma“: „… die Geburt ist eine Erfahrung, die traumatisch sein kann, die aber immer bedeutungsvoll ist für das Individuum, das geboren wird.“ Und: „… ihre Melodie [ist] immer den Themen ähnlich, die sich im späteren Leben wiederholen.“ (v. d. Zee, 2007, S. 11)

Es ist stets erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten eines Kindes (oder eines Erwachsenen) nicht in Verbindung mit Schwangerschaft oder Geburt gebracht werden, und das gilt nicht nur für Kaiserschnitt-Entbindungen.

Bedenkt man, dass es zum Beispiel bei akutem Sauerstoffmangel mit hoher Wahrscheinlichkeit zu todesnahen Erfahrungen gekommen sein wird, und zwar zum Beginn des Lebens in der Zeit des höchsten Stresses, so ist die Erlebenswelt des Kindes oder des Erwachsenen sehr viel leichter nachvollziehbar.

So ist es dringend notwendig umzudenken und die Perspektive zu erweitern. Jede Anamnese sollte zukünftig Aspekte und Fragen aus prä-, peri- und postnataler Sicht erfassen, und zwar konsequent aus der Perspektive des Kindes und der betroffenen Mutter bzw. im Vorfeld bereits der Schwangeren.

Der Wechsel der Blickrichtung ist sinnvoll, wenn auch unüblich. Selbsterfahrung der eigenen Geburt und Schwangerschaft sind hier unverzichtbar. Nur eine exakte Anamnese birgt, gemeinsam mit der empathischen Einfühlung in das prä- und perinatale Erleben, den Schlüssel für Prävention, Therapie und individuelle Heilungsmuster.

Im Oktober 2013 fand unter der Präsidentschaft von Dr. Sven Hildebrandt in Stolpen bei Dresden der jährliche ISPPM-Kongress (www.isppm.de) mit dem Titel: „Kaiserschnitt zwischen Traum und Trauma, Wunsch und Wirklichkeit“ statt. Diese Tagung war letztlich der Anlass, dieses Buch zu schreiben und das Konzept der Prä- und perinatal basierten Spieltherapie© im Anschluss daran einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. „Kaiserschnitt heilsam verarbeiten“ ist für Betroffene, Eltern und Fachleute gleichermaßen geeignet. Es vermittelt einen therapeutischen Ansatz, der sich in der Praxis sehr gut bewährt hat.

Die Grundsätze der Prä- und perinatal basierten Spieltherapie© gelten selbstredend im gleichen Maße für Erwachsene, lediglich die Übungen oder Spielmittel sind unterschiedlich. Bei der geburtsbezogenen Körperarbeit ist die Anwendung nahezu identisch.

Die eigens geschriebenen Geschichten für Kinder sowie viele Beispiele verdeutlichen Ursprung, Erleben, und sie zeigen einen empathischen therapeutischen Weg zu einer behutsamen Lösung auf. Das kann nur gelingen, wenn man diese persönliche „Grundmelodie“ und Geschichte aus der Perspektive des Menschen erfasst.

Kurzer historischer Abriss der prä- und perinatalenn Psychologie

Die Wurzeln der Pränatalen Psychologie reichen Jahrtausende weit in die Vergangenheit. Vor allem in anderen Kulturen (z. B. Hopi-Indianer, Aborigines, in Ägypten oder Indien) hatten vorgeburtliche Lebenszeit und Geburt einen hohen Stellenwert. In Europa ging dieses wichtige Wissen in Frauenheilkunde und Geburtshilfe durch die Verbrennungen von „Hexen“ und Hebammen verloren und geriet nach dem Mittelalter fast vollständig in Vergessenheit. Mit zunehmendem Einfluss der Naturwissenschaften wurden später andere Forschungsinteressen vorrangig. (Vgl. Heinsohn/Steiger, 2005; Janus, 1994)

Die prä- und perinatale Psychologie beschäftigt sich mit allen psychologischen Aspekten und Prägungsfaktoren von der Zeugung bis zur Geburt. Die Wichtigkeit dieser prägenden Monate im Mutterleib sowie der Erlebnisse unter der Geburt für die menschliche Entwicklung steht heute außer Frage. Ihr großer Einfluss wird allerdings meiner Meinung nach noch immer deutlich unterschätzt.

Es gab einige sehr bedeutsame Veröffentlichungen, z. B. von Otto Rank (1988) und Gustav Hans Graber (1974), aber erst bildgebende Verfahren (vgl. Nilsson, 1995), wie z. B. der Ultraschall, machten das vorgeburtliche Baby in den sechziger Jahren sichtbar. Es weckte naturgemäß großes Interesse.

Mit Gründung der ISPPM (Internationale Studiengemeinschaft für Pränatale Psychologie und Medizin, www.isppm.de) 1971 wurden Forschung und Wissenschaft gebündelt. Unter der Präsidentschaft von Dr. Sven Hildebrandt bietet sie mit Fachtagungen, internationalen Kongressen und einer Fachzeitschrift eine interdisziplinäre und wissenschaftlich stets aktuelle Plattform.

Viele Studien und Erkenntnisse führten zu einer Haltungsänderung. Dank des Schmerznachweises bei Ungeborenen gibt es heute keine Operationen ohne Betäubung, wie sie noch vor Jahrzehnten durchgeführt wurden. (Vgl. Janus, 1993; Brosch/Rust zit. in: Janus, 1993)

Bereits 1981(!) beschreibt Thomas Verny das Ungeborene als ein fühlendes, agierendes und reagierendes Wesen, das durch sein Erleben, den emotionalen Kontakt zur Mutter und die bis dahin gefühlten emotionalen Erfahrungen bereits vor und durch die Geburt geprägt wird. Er befasst sich auch mit den möglichen Folgen von Kaiserschnitt-Entbindungen. (Vgl. Verny, 1981)

William Emerson, Begründer der prä-, peri-, und postnatalen „somatotropen“ Trauma-Therapie, erforscht ebenfalls das prä- und perinatale Erleben und die lebenslangen Folgen geburtshilflicher Eingriffe und vom Kaiserschnitt. (Emerson in: Janus/Haibach, 1997 sowie 2012) Seine körpertherapeutische Methode basiert darauf, dass jeder Mensch seine Erlebnisse während Schwangerschaft und Geburt neuronal speichert und sie über Körpersprache, Handlungs- und Denkmuster ausdrückt.

Wenn es also gelingt, diese Sprache zu übersetzen und mit einer genauen Anamnese zu kombinieren, lassen sich oft bereits klare Rückschlüsse auf die vorgeburtliche Lebenszeit sowie auf den Geburtsablauf herstellen und so individuelle Lösungs- und Heilungswege finden.

Interdisziplinäre Umsetzungen in die Praxis

Die Wissenschaft der prä- und perinatalen Psychologie ist inzwischen ebenso anerkannt wie ihre Studien und Forschungsergebnisse. (Vgl. Evertz/Janus/Linder [Hrsg.], 2014) Notwendig sind nun sowohl die Sensibilisierung der Fachleute als auch die Erweiterung in den Lehrplänen der jeweiligen Ausbildungen. Noch mangelt es bei den meisten Berufsgruppen an detailliertem Fachwissen, an Selbsterfahrung und an der konsequenten Umsetzung und Integration in die eigene Arbeit. Das beginnt bereits bei der medizinischen, nicht aber zwingend psychologischen Schwangerenvorsorge der Frauenarzt-Praxen. Selbst in von Hebammen geleiteten Geburtsvorbereitungskursen bleibt aufgrund der Krankenkassenpolitik kaum Zeit für die prä-, peri- und postnatale Psychologie. Auch die Geburtsbegleitung in der Klinik verändert sich ständig mehr zum Nachteil von Mutter, Vater und Kind.

Der Weg der Wissensweitergabe und damit verbunden eine mögliche positive Einflussnahme auf die Eltern verläuft, je nach Bedarf, über Osteopathen, Physio- und Ergotherapeuten, später Logopäden und geht über an alle Berufsgruppen, die Kinder bis zur Schule begleiten. Lehrer und Therapeuten runden die Begleitung des Kindes ab.

Wie hilfreich könnte beispielsweise eine Erzieherin sein, die bei einem Kaiserschnitt-Kind bestimmte Angstmuster oder bei der Mutter die noch nicht glücklich vollzogene psychologische Abnabelung sicher erkennt, diese anspricht und damit den Weg öffnet, dass die Kaiserschnitt-Geburt heilsam verarbeitet werden und eine Loslösung leichter gelingen kann.

Dafür ist einerseits Grundwissen aus der Embryologie erforderlich, andererseits ist es wichtig, dass Symptome mit ihren prä- und perinatalen Ursachen und möglichen äußeren Auslösern in Verbindung gebracht und bei der Diagnose und späteren Therapie berücksichtigt werden.

Wichtig ist beispielsweise die Kenntnis über die enge Verknüpfung körperlicher und emotionaler Vorgänge (vgl. Gross, 1982), über das Einüben von Bewegungsmustern im Uterus oder auch, dass Handlungs- und Bewegungsabläufe aufeinander aufbauen und damit therapeutisch nachgeholt werden können. Dieses Prinzip gilt besonders nach einer Schnitt-Entbindung. Die körperliche Erfahrung des Durchquerens des Geburtskanals inklusive der Ausbildung wichtiger Reflexsysteme sowie das Erfolgserlebnis, nach einer großen Anstrengung aus eigener Kraft an ein Ziel zu gelangen, fehlen. Eine „nachholende“ Entwicklung, z. B. mittels gezielter Übungen zur Reflexbildung, hilft, körperliche Defizite auszugleichen. (Vgl. Lauff, Die Hebamme, 2003)

Dieses Wissen birgt auch für ADS-Kinder nach Sectio mit oft hohem, vorgeburtlichem Stressniveau, mit geringem Selbstwertgefühl oder mit Wahrnehmungs- oder Motorik-Problemen (z. B. Störungen in der Augen-Hand-Koordination) erhebliche Möglichkeiten. Viele Entwicklungsbeeinträchtigungen oder spezifische, vorgeburtlich entstandene stressbedingte Verhaltensmuster (Hyperaktivität oder Rückzug aus Angst statt Kontaktsuche) zeigen sich allerdings oft erst nach Monaten oder sogar Jahren.

Es ist also nötig, dass sich die professionellen Helfer letztlich einer verstärkten Prophylaxe zuwenden.

IIDIE ALLERFRÜHESTEN HINTERGRÜNDE VERSTEHEN

Wir alle lernen, dass ein neues Leben mit der Vereinigung von Samen- und Eizelle bzw. danach mit der ersten Zellteilung beginnt. Dieser definierte „erste Moment“ enthält aber bereits für jede Person eine individuelle Geschichte, eine völlig eigene prä-konzeptionelle Biographie und Seelenreise.

Aus der Perspektive von Spermium bzw. Eizelle gibt es viele Stadien, die zurückgelegt und bewältigt werden, um überhaupt zum Punkt der Befruchtung zu gelangen. Die Befruchtung (Konzeption) selbst beinhaltet unter psychologischen Gesichtspunkten viele einzelne, tief prägende Schritte. Jede Phase hat ihre eigene Charakteristik. Diese prä-konzeptionellen Erfahrungen können weitreichende Auswirkungen haben. (Vgl. Terry, 2005)

Auch wenn dies alles schwer vorstellbar erscheint, bestätigen Therapien, die pränatale und sogar prä-konzeptionelle Momente mit in ihre Arbeit einbeziehen, eindrucksvoll, dass und wie es möglich ist, die eigenen unbewussten Erfahrungen zu verarbeiten und dauerhaft zu integrieren. (Vgl. Behrmann, 2008; Janus 2013; Stulz-Koller in: Evertz/Janus/Linder, 2014) Das gilt für Erwachsene ebenso wie für Kinder, die in ihrer Sprache, dem Spiel, ihre Geschichte erzählen.