In den zitierten Dokumenten kennzeichnet Namen, die von der BStU (Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, ehemalige Gauck-Behörde) geschwärzt wurden.
Eine absurde Klage gegen vier Seiten der Erstauflage dieses Buches veranlasste den Verlag, eine Geschichte im Kapitel »Bisher unbekannte Schicksale« auszutauschen.
2. überarbeitete Auflage 2014
© für die Originalausgabe und das eBook:
2013 F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Schutzumschlag: Wolfgang Heinzel
Umschlagmotive: unten: shutterstock-images/oben: Archiv der Autorin
eBook-Produktion: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten
ISBN 978-3-7766-8207-6
www.herbig-verlag.de
Allen tapferen und mutigen Frauen von Hoheneck gewidmet, die in den Jahren von 1945 bis 1989 dort gequält, diskriminiert, in den Selbstmord getrieben wurden oder anderweitig zu Tode gekommen sind.
Aber auch an die Kinder und Jugendlichen sei erinnert, die durch die Inhaftierung ihrer Eltern in DDR-Kinderheime gesteckt oder zwangsadoptiert wurden.
Inhalt
Geleitwort von Prof. Dr. Norbert Lammert
Vorwort
Akteneinsicht 2012
Neues aus dem Stasi-Sumpf: IM »Spree« und IM »Aster«
Berliner Lehrerin als Spitzel entlarvt
Blick zurück: Verhaftung, Folter, Verurteilung
»Unser Arm reicht weit« – Angst geschürt beim Verhör
Gefangen auf Hoheneck
»Ihr Delikt kommt gleich nach dem Massenmord«
Doppelzwangsarbeit: Elektromotoren und Kunst im Akkord
Denunzianten in der Zelle
Freikauf – auf Transport gen Westen
Ausgeliefert
Psychopharmaka, Medikamentenmissbrauch,
brachiale Gewalt: die Krankenabteilung
Chefarzt, Stasi-Informant und Mielke-Gutachter
Selbstmorde: Wo sind die Toten von Hoheneck?
Entlarvende Berichte aus dem Gefängnisalltag
Margot Honeckers System der Zwangsadoptionen
Riskante Aktivitäten
Kampf um bessere Haftbedingungen
Bisher unbekannte Schicksale
Der Terror geht im Westen weiter
Späte Rache: Verstrahlung mit Radioaktivität?
Verkehrte Welt – Attacken alter Seilschaften
Unverbesserliche DDR-Funktionäre
Roland Jahn: Hoffnungsträger für SED- und Stasi-Opfer
Die Zukunft der schaurigen Burg
Anhang
Abkürzungen
Bildnachweis
Bildteil
Lesetipp
Geleitwort
»Ich dachte, jetzt bin ich in der Hölle«, hat Ellen Thiemann einmal über ihre Zeit im Frauengefängnis Hoheneck gesagt. Von 1973 bis 1975 war sie dort inhaftiert. Das ihr zur Last gelegte »Verbrechen«: der Plan, aus der DDR zu fliehen. Dafür bekam sie wie so viele andere Frauen, die sich nicht länger unterdrücken lassen wollten, zu spüren, was ein diktatorischer Staat seinen Bürgern antun kann. Die Erinnerung an das Erlittene quält viele von ihnen bis heute.
Ellen Thiemann hat es sich seit ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland 1975 zur Lebensaufgabe gemacht, an das, was in Hoheneck geschehen ist, zu erinnern. Zunächst hat sie ihre eigene Geschichte aufgeschrieben: den gescheiterten Fluchtversuch, wie sie nach Hoheneck gebracht und dort drangsaliert, gedemütigt und gefoltert wurde. Sie hat damals die Kraft gefunden, darüber zu sprechen, und damit auch den Frauen eine Stimme gegeben, die noch immer in Hoheneck eingesperrt waren, als ihr erstes Buch 1984 veröffentlicht wurde.
Auch heute sind Bücher wie dieses wichtig, damit das Unrecht, das den Stasi-Opfern widerfahren ist, nicht in Vergessenheit gerät. Diese Gefahr besteht nämlich durchaus und sie nimmt mit wachsendem zeitlichen Abstand zu. Mehr als 20 Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR schwindet bei vielen – vor allem bei denen, die nach 1989 geboren wurden – das Bewusstsein dafür, dass die DDR ihre Bürger unterdrückt hat.
Gerade erst hat eine aktuelle Studie der Freien Universität Berlin das erschreckende Ergebnis zutage gefördert, dass 30 Prozent der befragten Acht- bis Zehntklässler die DDR nicht für eine Diktatur halten. Allein diese Zahl ist ein Indiz dafür, wie notwendig es ist, denjenigen zuzuhören, die unter der DDR-Diktatur gelitten haben. Ellen Thiemann gehört zu ihnen, und ich wünsche ihrem Buch deshalb sehr viele aufmerksame Leser.
Prof. Dr. Norbert Lammert,
Präsident des Deutschen Bundestages
Vorwort
Ganz systematisch planten mein Mann und ich unsere Flucht. Bis 1972 hatten wir es in dem Gefängnis, das sich Deutsche Demokratische Republik nannte, notdürftig ausgehalten. Dann war uns die Lust vergangen, bis ans Lebensende hinter Mauer, Stacheldraht, Minen und Todesgürtel eingesperrt zu sein. Am 29. Dezember 1972 ging das Vorhaben schief, sie verhafteten uns. Nach Stasi-U-Haft in Berlin-Hohenschönhausen gelangte ich über die Zwischenstation in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz wurde von 1953–1990 umbenannt; seit 1990 wieder Chemnitz) ins berüchtigte Frauenzuchthaus Hoheneck in Stollberg im Erzgebirge, auch »Mörderburg« genannt. Sie sperrten mich zusammen mit Kindsmörderinnen, Totschlägerinnen, ehemaligen KZ-Aufseherinnen, Wirtschafts- und Kleinkriminellen, Asozialen und zahlreichen Frauen mit politischen Delikten wie Republikflucht, Verbindungsaufnahme zu Fluchthilfeunternehmen, Kontakten zur Westverwandtschaft wegen Übersiedlung. In späteren Jahren kamen Ausreise-Antragsteller hinzu.
Im offiziellen Sprachgebrauch des DDR-Strafvollzuges gab es keine Politischen, wir waren »Staatsverbrecher«, die besonders schwer diskreditiert wurden. Wenn man glaubte, als Politische im Strafvollzug allgemeingültigen Regeln zu unterliegen, so war das ein Irrtum. Doch erst im Jahr 2012 stieß ich bei meinen Nachforschungen übers Frauenzuchthaus Hoheneck auf Strukturen, die so bisher nicht bekannt waren. Wie ich jetzt auswerten konnte, wurden Jahr für Jahr Monatsberichte von Hoheneck an das MfS geliefert, teils an die Kreisdienststelle Stollberg, teils an die Bezirksdirektion Karl-Marx-Stadt oder ans Ministerium für Staatssicherheit in Berlin.
Was wir damals nicht wussten: In Hoheneck gab es ein enges Geflecht von hauptamtlichen MfS-Mitarbeitern, IM beim Personal des Strafvollzuges und IM unter den Häftlingen. Leider auch bei den politischen.
Die Monatsberichte der Anstalt beinhalten dabei nicht nur allgemeine Vorkommnisse in den einzelnen Zellen und Arbeitskommandos, sie dokumentieren auch Suizide oder versuchte Selbstmorde. Sogar auf einen mutmaßlichen Mord bin ich bei meinen Nachforschungen gestoßen sowie auf Fälle unterlassener Hilfeleistung. Wenn auch die meisten Verbrechen an Gefangenen der DDR nach 15 Jahren verjährt sind, so wird die Staatsanwaltschaft nicht darum herumkommen, einige Enthüllungen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Immerhin hatte die sächsische Staatsanwaltschaft nach Bekanntwerden meines Buches Stell dich mit den Schergen gut nach dem Fall der Mauer von sich aus gegen vier Brutalos von Hoheneck Anzeige erstattet.
Bei meinen Nachforschungen bestätigte sich eines: Ernsthafte Vorkommnisse wie Suizide, Übergriffe mit lebensbedrohlichem oder gar tödlichem Ausgang unterlagen nicht nur damals strikter Geheimhaltung, sondern scheinen auch heute noch Tabuthemen bei der Aufarbeitung zu sein. Als Betroffene, aber auch als Journalistin kann ich nur Anstoß für eine schonungslose Aufklärung geben. Alle Geschehnisse von damals müssen systematisch geprüft werden – eine Sisyphusarbeit für Wissenschaftler, Historiker, Medizin-Experten und Statistiker.
Viele Inhaftierte sind nach all den Demütigungen und Schikanen heute noch schwer traumatisiert, leiden unter Spätfolgen wie Schlaflosigkeit und Angstzuständen. Nur untereinander findet man ein Maß an Verständnis.
Der bekannte Kölner Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Guido Loyen bringt es auf den Punkt: »Die Folgen schwerer Traumatisierungen manifestieren sich in der Regel im direkten zeitlichen Zusammenhang mit dem Trauma. Es kommt vor, dass Menschen versuchen, ihre Symptome zu unterdrücken oder zu verdrängen, oder dass gar keine Hilfe verfügbar ist, sodass das eigentliche Trauma nicht verarbeitet bzw. bewältigt wird. Dann kann es geschehen, dass Traumafolgeschäden manchmal erst nach langer Zeit erkennbar werden, wenn z. B. das stützende Umfeld zusammenbricht. Wenn Abwehrmechanismen wie Familie oder Arbeit nicht mehr tragen oder eine Retraumatisierung durch unerwartete Konfrontation mit dem Trauma stattfindet. In solchen Fällen lassen sich aber in der Regel sogenannte ›Brückensymptome‹ feststellen, welche in der Zwischenzeit auftraten (z. B. Albträume, Unruhezustände, Depressionen, Grübeleien und psychosomatische Beschwerden). Liegen diese Brückensymptome nicht vor, lässt sich der Zusammenhang nur schwer begründen.«
Ich musste damals das Lachen erst wieder erlernen. Das Erzählen. Das Singen. Das Leben zu erleben. Erst viele Jahre später ist mir das ansatzweise wieder gelungen. Nur eins nicht: schlafen zu können. Dieses natürlichen Bedürfnisses hatten mich die Schergen in Stasi-U-Haft durch ihre Folter mit Schlafentzug beraubt. Fast 40 Jahre danach leide ich darunter noch immer.
Den Neuanfang in Köln musste ich mit meinem 14-jährigen Sohn allein bewältigen. Erschwerend kam hinzu, dass auf meinen Schultern die enorme Summe von 15 000 Mark lastete, die meine Tante an die Fluchthilfeorganisation im Voraus hatte zahlen müssen. Nach der ersten Akteneinsicht bei der BStU im Jahre 1992 gab es ein erneutes Tief zu bewältigen. Die verräterischen Protokolle vermeintlicher »Freunde« waren nur schwer zu verdauen. Kaum war mir das einigermaßen gelungen, schmetterte 1999 der nächste Hammer auf mein Haupt. Der SPIEGEL enthüllte die langjährige Spitzeltätigkeit meines Exmannes, die ich nach Akteneinsicht 2000 in umfassendem, erschütterndem Maß bestätigt bekam.
Oft fragte ich mich in der Folgezeit, was ein Mensch eigentlich noch alles aushalten muss, um nicht durchzudrehen. Aber es nahte schon eine weitere Enttäuschung: 2009 erhielt ich Akten über die Stasi-Mitarbeit einer vertrauten Berliner Freundin. Dass meine Verfolgung im Westen kontinuierlich weiterlief, erfolgte nicht, weil das in jedem Fall so üblich war, sondern weil ich einerseits Zeitungsredakteurin, andererseits aber die ehemalige Frau des Stasi-Spitzels IM »Mathias« war.
Wie ich erst aus den Aufzeichnungen bei der BStU entnehmen konnte, war die Stasi schon seit Ende der 1950er-Jahre an dem »Kandidaten« interessiert. Die Zeit von 1960 bis 1970 fehlt ganz, erst ab 1971 sind Unterlagen archiviert.
Seit meiner Übersiedlung sind fast vier Jahrzehnte vergangen, die ich in den Dienst der Aufklärung gestellt habe. 2008 hatte ich für dieses Buch begonnen zu recherchieren. Dabei war mir von Anfang an bewusst, dass Fragen wie »Wo wurden die Selbstmorde von Hoheneck registriert?« und »Wie wurde ich mit Radioaktivität verstrahlt?« unbequem sind. Sollte ich sie deswegen nicht stellen? Es kam vor, dass mir auf meine Anfragen erst Monate später geantwortet wurde. So wie im Falle des sächsischen Justizministers. Leider nicht mit einer konkreten Antwort, sondern mit dem Hinweis, dass »keine Erkenntnisse zur Registrierung von Selbstmorden im Frauenzuchthaus Hoheneck in Stollberg verfügbar sind«. Nach dem für mich nicht zufriedenstellenden Bescheid begann das ganze Dilemma von vorn. Telefonate, E-Mails, Briefe an diverse Ämter – alles vergebens. Ob man an einigen Stellen die Aufarbeitung verhindern will oder einfach nur zu phlegmatisch ist, weiß ich nicht mit Gewissheit zu sagen.
Eines ist mir klar geworden bei meinen Recherchen: Als Einzelperson Tabus und unliebsame Zusammenhänge erforschen zu wollen, ist ein äußerst schwieriges Unterfangen. Es gab so gut wie keine Kooperation. »Jetzt hat die Thiemann sogar an den Minister geschrieben und ich muss nun wegen der nach Unterlagen suchen«, hörte ich zufällig bei einem Anruf im Justizministerium Sachsen im Hintergrund. »Die hätte das Thema Selbstmorde schließlich in ihrem ersten Buch behandeln können«, motzte die Beamtin weiter, »ich habe jetzt einen Haufen Arbeit dadurch.«
Ich forschte nach – und war regelrecht perplex. Diese Töne stammten ausgerechnet von der früheren Hoheneck-Wachtel Barbara H. Eine Anmaßung ohnegleichen. Von 1985 bis 1989 war die gelernte Textilverkäuferin, eine Zeit lang auch in »Exquisit«-Läden der DDR beschäftigt, als Aufseherin im Frauenzuchthaus tätig. Heute ist sie im Personalrat der sächsischen Justiz, im Beamtenstatus versteht sich.
»Welch ein Hohn«, empört sich Haftkameradin Inge Naumann darüber, »die Obermeister H. war gemein und sehr gefürchtet, weil sie immerzu ihre Macht ausspielte. Außerdem gehörte sie zum Razzkommando. Alle hatten Dampf vor dieser wasserstoffblonden Schließerin. Die war im höchsten Maße unbeliebt.« Von der Gefühllosigkeit der nur 159 Zentimeter großen Aufseherin hatten nach dem Fall der Mauer diverse Zeitungen berichtet.
»Die Insassinnen mussten schon spüren, dass sie im Gefängnis sind«, begründete Barbara H. in einem Interview 2005 ihren Hang zur Härte. »Die war besonders scharf auf Politische«, bestätigte eine ehemalige Hoheneckerin. Jetzt soll sich die 52-Jährige zu einer höflichen Kollegin gemausert haben.
Viele einstige Systemträger, hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter und IM treten gegenwärtig mit Dreistigkeit und Aggressivität in der Öffentlichkeit auf, dass einem schwindlig werden kann. Mit ihren Hetzkampagnen und überzogenen Parolen bringen sie Unruhe ins Land.
Hinzu gesellen sich Besser-Wessies, die Lehrer, SED-Mitläufer, Redakteure, Positionsträger erst einmal pauschal verdammen. Ohne Einzelfallprüfung, ohne Kenntnis der Lebensumstände der betreffenden Person. Nicht jeder, der in der DDR studieren durfte, war Parteimitglied. Und nicht jedes Parteimitglied war ein absolut überzeugter DDR-Bürger.
Egal, ob aus Ost oder West, ungehobelte Kritiker sollten sich ein gehöriges Stück zurücknehmen und bei Beurteilungen von Menschen die Zwänge einer Diktatur berücksichtigen, statt abzustempeln oder altkluge Empfehlungen auszusprechen. Viele Zusammenhänge kann man nur bewerten oder analysieren, wenn man selbst in diesem Lande gelebt hat.
Dass heute von vielen Rednern der Anteil, den Republikflüchtige und Fluchthelfer an der Wiedervereinigung Deutschlands gehabt haben, totgeschwiegen wird, ist bedauerlich. Zehntausende politische Häftlinge, Freikäufe und Familienzusammenführungen finden bei manchen Leuten keine Erwähnung, wohl aber Gorbatschow und Straßendemonstranten. Bestsellerautor Dr. Wolfgang Welsch (Ich war Staatsfeind Nr. 1) meint dazu:
»Die ›Bürgerrechtler‹ genannten Reformsozialisten bezeichnen sich heute als ›Opposition‹. Diese Sichtweise ist irreführend und falsch. Eine Opposition per definitionem gab es im SED-Staat allein deshalb nicht, weil es sie in einer Diktatur systemimmanent nicht geben kann. Deshalb waren die Bürgerrechtler weder Oppositionelle, noch weniger Widerständler. Vielmehr waren sie an das System der Unterdrückung angepasst und haben ›bis fünf vor zwölf geschlafen‹ (Bärbel Bohley). Ihre Kritik war Kosmetik am System des Totalitarismus, weil sie den inhumanen Charakter des sozialistisch-kommunistischen SED-Regimes nicht erkennen wollten. Ihr Ziel war die Reformierung der DDR in einer utopistischen Form eines ›demokratischen Sozialismus‹. Heute nehmen diese ›Bürgerrechtler‹ für sich in Anspruch, die SED-Diktatur durch ihre ›Opposition‹, durch ›ihre Revolution‹ gestürzt zu haben. Sie nehmen Ehrungen für sich in Anspruch, die ihnen nicht zustehen. Der Widerstand, den es von 1949 bis 1989 durch Ausreise und Flucht gab, wird ausgeblendet. Er trug die Hauptlast der Verfolgung. Viele wurden an der Grenze erschossen, Tausende als politische Häftlinge misshandelt, gefoltert, sind bis heute schwer traumatisiert. Dieser Widerstand findet in Deutschland bis heute keine Anerkennung.«
Eine Würdigung der Republikflüchtigen habe ich erstmalig 2010 auf einer Festveranstaltung der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen erlebt. In den beeindruckenden Referaten von Bundestagspräsident Professor Norbert Lammert, Historiker Professor Michael Wolffsohn, Gedenkstättenleiter Dr. Hubertus Knabe und Horst Schüler, dem damaligen Vorsitzenden der »Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft«, wurde ausdrücklich der Stellenwert der politisch Inhaftierten für die Einheit Deutschlands hervorgehoben. Eine Wohltat für die hundert ehemaligen DDR-Häftlinge, die als Zeitzeugen angetreten waren, um je einen Berliner Schüler durchs ehemalige Stasi-Gelände zu begleiten.
Nur einen Bruchteil der Ergebnisse meiner Nachforschungen kann ich im Buch dokumentieren. Gern hätte ich mehr von den Aufzeichnungen des sozialistischen Strafvollzuges veröffentlicht, um das brutale System mit all seinen Grausamkeiten bloßzustellen. In den nächsten Jahren werden sicher Historiker und Wissenschaftler tiefer in die Materie von Hoheneck eindringen. Auch die Staatsanwaltschaft muss den einen oder anderen erwähnten Fall prüfen. Sie hat im Gegensatz zu mir sicher ein Zugriffsrecht auf Klarnamen. Die Beweise für Missetaten sind erdrückend. Fast 23 Jahre nach dem Untergang der DDR kann man es aber nicht ignorieren, dass unser Land von alten SED- und Stasi-Apparatschiks mitregiert wird. Schönfärberei und Verharmlosung des untergegangenen Regimes dürfen nicht geduldet werden. Für ihre Menschenrechtsverletzungen empfinden diese Leute ohnehin weder Reue noch Bedauern, und leider wird die von ihnen ausgehende Gefahr unterschätzt. Wie sagte der jetzige Bundespräsident Joachim Gauck einmal treffend: Gleichgültigkeit ist ein anderes Wort für Verantwortungslosigkeit.
Ellen Thiemann, Oktober 2012