VIRGINIA SATIR
Meine vielen
Gesichter
Wer bin ich
wirklich?
Kösel
Virginia Satir war eine der bedeutendsten Familientherapeutinnen. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1988 leitete sie weltweit Workshops und Ausbildungen in Familientherapie. Noch heute orientieren sich viele Therapeuten an ihren wegweisenden Aussagen zur Familientherapie.
Edith Zundel schrieb in ihrem Nachruf auf Virginia Satir in der ZEIT: »Sie war die ›Mutter‹ der Familientherapie. Schon früh lernte sie Familienprobleme kennen, erst als Lehrerin, dann als Sozialarbeiterin, bis sie sich schließlich nach einer Lehrtherapie als Therapeutin selbständig machte. (…) Sie machte es sich zum Lebensziel, so vielen Menschen wie möglich zu einer Kommunikation zu verhelfen, die frei macht und Wachstum und Frieden fördert.«
Falls man dir früher Ähnliches beigebracht hat wie mir, bist du wahrscheinlich auch in dem Glauben aufgewachsen, dass es in der Welt nur Gutes oder Schlechtes und Richtiges oder Falsches gibt. Wenn du in dein Inneres schauen würdest, also den Deckel heben würdest, wärst du überzeugt, dass du fürchterlich schockiert bist von all dem Schlechten und Falschen, das dich anstarrt. Denn das wäre die nackte Wahrheit, und vor der fürchten sich viele.
Manche Menschen glauben, dass unter dem Deckel alles Mögliche nur darauf lauert, die Stimme erheben zu können und Ansprüche zu stellen. Sie haben Angst, dadurch hin und her gerissen und erdrückt zu werden, und das würde sie noch mehr belasten. Ich denke hier an all die Dinge, die ich hätte tun sollen, aber nicht getan habe, die ich tun müsste, aber nicht kann. Andere wiederum glauben, dass sie, wenn sie den Deckel heben, dunkle Winkel entdecken, die sie in Abgründe stürzen lassen, so dass sie für immer verloren sind. Es soll sogar Menschen geben, die Angst davor haben, dort Fähigkeiten vorzufinden, die sie nie ausleben könnten. Manche leben einfach nach dem Motto »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß« und finden im Übrigen, dass mit ihnen alles in Ordnung ist.
Manche Menschen heben den Deckel deshalb nicht, weil sie von seiner Existenz keine Ahnung haben. Sie wissen nicht, dass zu ihnen mehr gehört als das, was sie sehen und hören, und das, was andere ihnen sagen. Vielleicht hört sich das alles ein wenig absurd an, und doch sind dies häufig die Reaktionen, wenn es darum geht, den Deckel zu heben und das Unbekannte in sich zu entdecken. Die Geheimnisse, Sehnsüchte und Ängste im Inneren werden oft wie die Büchse der Pandora erlebt: Einmal geöffnet, könnte sie die gesamte Umgebung oder doch zumindest ihren Besitzer vernichten.
Neben alldem gibt es noch mehr Unbekanntes: geschlossene Knospen, die wie Pilze im Dunkeln wachsen und neue Möglichkeiten in sich tragen. Wenn wir es erst einmal geschafft haben, unsere Befürchtungen zu überwinden, und es riskieren, genau hinzuschauen, können wir Erstaunliches entdecken.
Wir beginnen unsere Entdeckungsreise mit einem Besuch im Theater des Inneren, wo wir im ersten Akt einige unserer Teile beobachten und sie kennen lernen können. Im zweiten Akt können wir dann sehen, wie wir diese Teile oder Gesichter benützen können, um neue Möglichkeiten für uns zu entdecken. Nach dem Theaterstück werden wir einigen Berühmtheiten aus Geschichte, Politik, Unterhaltung und Sport begegnen, um anhand ihrer Lebensgeschichte herauszufinden, mit welchen Gesichtern sie der Welt begegnet sind und wie sich die Geschichte ihrer erinnert. Auf einem Rummelplatz werden wir ein Karussell beobachten, um uns unsere eigenen Gesichter aus einer anderen Perspektive anzuschauen. Schließlich werden wir in einer Kunstausstellung ein Mobile betrachten, das sich frei bewegt und doch immer wieder sein Gleichgewicht findet. All diese Erfahrungen werden uns helfen, uns neu zu orientieren.