Wenn ich die mannigfaltigen Zwekke, die ich bei der Ausarbeitung dieses Werkchens vor Augen hatte, nicht alle verfehlt habe, so liefere ich hier ein Buch, welches in mehr, als einer, Hinsicht Nuzen verspricht. Ich wil diese Zwekke kürzlich darlegen, um einen jeden in den Stand zu sezen, sie mit der Ausführung zusammen zu halten. Das wird dan auch den Vortheil haben, daß angehende Erzieher daraus den Gebrauch ersehen können, den ich von diesem Buche gemacht wünsche.
Erstlich wolte ich meine jungen Leser auf eine so angenehme Weise unterhalten, als es mir möglich wäre; weil ich wußte, daß die Herzen der Kinder sich jedem nüzlichen Unterrichte nicht lieber öfnen, als wenn sie vergnügt sind. Auch darf ich hoffen, diese meine erste Absicht in einem ziemlichen Grade erreicht zu haben.
Dan nahm ich mir zweitens vor, an den Faden der Erzählung, die in diesem Buche zum Grunde liegt, so viel elementarische Kentnisse zu schürzen, als es, ohne meinem ersten Zwekke Eintrag zu thun, nur immer geschehen könte. Ich verstehe aber unter den elementarischen Kentnissen nicht etwa blos litterarische, sondern auch vornehmlich solche, welche den eigentlichen litterarischen oder wissenschaftlichen Elementen vorgehen müssen; nemlich alle die Vorbegriffe von Dingen aus dem häuslichen Leben, aus der Natur und aus dem weitläuftigen Kreise der gemeinen menschlichen Wirksamkeit, ohne welche jeder andere Unterricht einem Gebäude gleicht, das keine Grundlage hat.
Nebenbei wolte ich freilig auch drittens manche nicht unerhebliche litterarische Vorerkentniß, besonders aus der Naturgeschichte, mitnehmen, weil es sich auf einem Wege thun ließ. Denn warum hätt’ ich nicht, stat der erdichteten Dinge, womit die Geschichte des alten Robinsons aufgestuzt ist, lieber wahre Gegenstände, wahre Produkte und Erscheinungen der Natur – und zwar in Beziehung auf diejenigen Weltgegend, wovon die Rede ist, – in meine Erzählung aufnehmen sollen, da ich beide zu einem Preise haben, und mit beiden einerlei Absicht erreichen konte? Schon eine Ursache, warum ich von der Geschichte des alten Robinsons bei der Meinigen wenig Gebrauch machen konte. Es werden sich mehrere finden.
Meine vierte und wichtigste Absicht war, die Umstände und Begebenheiten so zu stellen, daß recht viele Gelegenheiten zu moralischen, dem Verstande und dem Herzen der Kinder angemessenen Anmerkungen und recht viele natürliche Anlässe zu frommen, gottesfürchtigen Empfindungen dadurch hervorwüchsen. Auch um dieser Ursache willen mußte ich mir einen eigenen Stof nach meinem jedesmahligen Bedürfnisse schaffen und von der alten Geschichte abgehen. Derjenige also, der dies Buch blos zur Leseübung für seine Kinder brauchen wolte, (welches gewöhnlicher Weise nicht das angenehmste Geschäft für sie ist) werde meinen angelegentlichsten Wunsch, – den Samen der Tugend, der Frömmigkeit und der Zufriedenheit mit den Wegen der göttlichen Vorsehung, in junge Herzen auszustreuen, gar sehr vereiteln. Es sol erwachsenen Kinderfreunden zum Vorlesen dienen und nur solchen Kindern selbst in die Hände gegeben werden, die im Lesen schon eine zureichende Fertigkeit erlangt haben.
Meine fünfte Absicht hatte Beziehung auf eine dermalige epidemische Selenseuche, welche unter allen Kräften unserer gesamten körperlichen und geistigen Natur, zu recht sichtbarer Verminderung der Summe unserer Lebensfreuden, seit einigen Jahren eine so fürchterliche Verwüstung angerichtet hat. Ich meine das leidige Empfindsamkeitsfieber. Zwar hat – dem Himmel sei Dank! – die Wuth dieser moralischen Seuche in so fern wieder nachgelassen, daß sie nicht mehr eine Pestilenz ist, die am hellen Mittage verderbet, weil wohl keiner mehr das Schild der Empfindsamkeit öffentlich auszuhängen wagt: aber nichts destoweniger ist sie noch bis auf diesen Tag eine Seuche geblieben, die im Finstern schleicht, und gleich andern Krankheiten, deren man sich schämt, an der Gesundheit der menschlichen Sele im Verborgenen nagt. Nichts hat mich mehr dabei gejammert, als zu sehen, daß man das säße einschmeichelnde Gift dieser Krankheit auch unserer jungen Nachkommenschaft anzuhauchen und also auch das kommende Geschlecht eben so an Leib und Sele kränkelnd, eben so nervenlos, eben so unzufrieden mit sich selbst, mit der Welt, und mit dem Himmel zu machen suche, als es das gegenwärtige ist. Indem ich nun darüber nachdachte, welches wohl das wirksamste Gegengift wider diese Anstekkung sein mögte, stelte sich meiner Sele das Ideal eines Buchs dar, welches grade der Gegenfüßler der empfindsamen und empfindelnden Bücher unserer Zeit wäre; ein Buch, welches die Kinderselen aus der fantastischen Schäferwelt, welche nirgends ist, und in welche Andere sie hinzukörnen suchen, in diejenige wirkliche Welt, in der wir uns dermalen selbst befinden, und aus dieser in den ursprünglichen Zustand der Menschheit zurükführte, aus dem wir herausgegangen sind; ein Buch, welches jede in uns schlummernde phisische und moralische Menschenkraft wekte, anfeuerte, stärkte; ein Buch, welches zwar eben so unterhaltend und anziehend, als irgend ein Anderes wäre, aber nicht so, wie Andere, blos zu unthätigen Beschauungen, zu müssigen Rührungen, sondern unmittelbar zur Selbstthätigkeit führte; ein Buch, welches den jungen Nachahmungstrieb der Kindersele (den ersten unter allen Trieben, die bei uns zu erwachen pflegen) unmittelbar auf solche Gegenstände richtete, welche recht eigentlich zu unserer Bestimmung gehören, ich meine – auf Erfindungen und Beschäftigungen zur Befriedigung unserer natürlichen Bedürfnisse; ein Buch, worin diese natürlichen Bedürfnisse des Menschen mit den erkünstelten und eingebildeten, so wie die wahren Beziehungen der Dinge in der Welt auf unsere Glükseeligkeit, mit den fantastischen, anschaulich kontrastirten; ein Buch also endlich, welches Junge und Alte das Glük des geselligen Lebens, bei allen seinen Mängeln und unvermeidlichen Einschränkungen, recht mit Händen greifen liesse, und dadurch Alle zur Zufriedenheit mit ihrem Zustande, zur Ausübung jeder geselligen Tugend und zur innigsten Dankbarkeit gegen die göttliche Vorsehung ermunterte.
Indem ich mir das herliche Ideal eines solchen Buches dachte und schüchtern nach dem Manne, der’s uns geben könte, umherblikte; fiel mir ein, daß schon Rousseau (Friede sei mit seinem abgeschiedenen großen Geiste!) einmahl ein ähnliches Buch gewünscht und – wie fing mein Puls an zu pochen! – schon zum Theil gefunden habe. Geschwind ergrif ich den zweiten Theil des Aemils, um die angenehme Nachricht davon noch einmahl zu lesen; und hier ist die Stelle, worin ich sie fand:
»Solte es wohl kein Mittel geben, so viele in so vielen Büchern zerstreuete Lehren näher zusammen zu bringen? sie unter einen gemeinschaftlichen Gegenstand zu vereinigen, der leicht zu übersehen, nüzlich zu befolgen wäre, und auch selbst diesem Alter zum Antriebe dienen könte? Wenn man eine Verfassung finden kan, worinnen sich alle natürliche Bedürfnisse des Menschen auf eine dem Geiste des Kindes sinliche Art zeigen, und wo sich die Mittel, für diese Bedürfnisse zu sorgen, nach und nach mit eben der Lebhaftigkeit entwikkeln: so muß man durch die lebhafte und natürliche Abschilderung dieses Zustandes seiner Einbildungskraft die erste Uebung geben.
Hiziger Philosoph, ich sehe schon Ihre Einbildungskraft sich entzünden. Sezen Sie sich in keine Unkosten; diese Verfassung ist gefunden, sie ist beschrieben und, ohne Ihnen Unrecht zu thun, viel besser, als Sie solche beschreiben würden, wenigstens mit mehr Wahrheit und Einfalt. Weil wir durchaus Bücher haben müssen, so ist eins vorhanden, welches nach meinem Sinne die glüklichste Abhandlung von einer natürlichen Erziehung an die Hand giebt. Dies Buch wird das Erste sein, welches mein Aemil lesen wird; es wird lange Zeit allein seine ganze Bibliothek ausmachen und es wird stets einen ansehnlichen Plaz darin behalten. Es wird der Text sein, welchem alle unsere Unterredungen von den natürlichen Wissenschaften nur zur Auslegung und Erläuterung dienen werden. Es wird bei unserm Fortgange zu dem Stande unserer Urtheilskraft zum Beweise dienen, und so lange unser Geschmak nicht wird verderbt sein, wird uns das Lesen desselben allezeit gefallen. Welches ist denn dieses wundersame Buch? Ist es Aristoteles, ist es Plinius, ist es Büffon? – Nein; es ist Robinson Krusoe.
Robinson Krusoe ist auf seiner Insel allein, von allem Beistande seines Gleichen und von den Werkzeugen aller Künste entblößt;Hierin irret Rousseau. Der alte Robinson hat Werkzeuge in Menge, die er von dem gestrandeten Schiffe rettete. Der gegenwärtige jüngere Robinson hingegen hat zu seiner Erhaltung nichts, als seinen Kopf und seine Hände. er sorget indessen doch für seinen Unterhalt, für seine Erhaltung und verschaft sich sogar eine Art von Wohlsein. Dies ist ein wichtiger Gegenstand für jedes Alter und man hat tausenderlei Mittel ihn den Kindern angenehm zu machen. Man sehe, wie wir die wüste Insel wirklich machen, die mir anfangs nur zur Vergleichung diente. Dieser Zustand ist, ich gestehe es, nicht des geselligen Menschen seiner. Wahrscheinlicher Weise wird er auch nicht Aemils seiner sein. Allein nach eben diesem Stande sol er alle die andern schäzen. Das sicherste Mittel, sich aber die Vorurtheile zu erheben, und seine Urtheile nach den wahren Verhältnissen der Dinge einzurichten, ist, daß man sich an die Stelle eines einzelnen Menschen seze und von allem so urtheile, wie dieser Mensch in Absicht auf seinen eigenen Nuzen davon urtheilen muß.
Dieser Roman, welcher von allen seinem Gewäsche entladen, mit Robinsons Schifbruche bei seiner Insel anfängt und sich mit der Ankunft des Schiffes endiget, welches ihn von da abholet, wird während der Zeit, wovon hier die Rede ist, Aemils Zeitvertreib und Unterricht zugleich sein. Ich wil, daß ihm der Kopf davon schwindle, daß er sich unaufhörlich mit seinem Schlosse, mit seinen Ziegen, mit seinen Pflanzungen beschäftige; daß er umständlich, nicht aus Büchern, sondern an den Sachen selbst lerne, was er in dergleichen Falle wissen muß. Er denke, er sei selbst Robinson; er sehe sich in Felle gekleidet, wie er eine große Müze, einen großen Säbel trägt und den ganzen seltsamen Aufzug des Bildes machet, bis auf den Sonnenschirm beinahe, den er nicht nöthig haben wird. Ich will daß er sich wegen der Maaßregeln beunruhige, die er nehmen sol, wenn ihm dies oder das abgehen würde; daß er die Aufführung seines Helden untersuche; daß er nachforsche, ob derselbe nichts unterlassen habe; ob nichts besser zu machen gewesen wäre; daß er seine Fehler aufmerksam anmerke und daß er sich derselben zu Nuze mache, damit er in dergleichen Falle nicht selbst darein gerathe. Denn man zweifle nicht, daß er nicht den Anschlag fasse, einen dergleichen Siz anzulegen. Dies ist das wahre Luftschloß dieses glüklichen Alters, worin man keine andere Glükseeligkeit kennet, als das Nothwendige und die Freiheit.
Was für ein Hülfsmittel ist doch diese Thorheit für einen geschikten Man, der sie nur hervorzubringen gewußt, damit er sie zum Vortheile anwende! Das Kind, welches gedrungen ist, sich ein Vorrathshaus für seine Insel anzulegen, wird weit hiziger sein zu lernen, als der Lehrmeister zu lehren. Es wird alles wissen wollen, was nüzlich ist, und wird nur das wissen wollen. Man wird nicht mehr nöthig haben, es zu führen; man wird es nur zurük zu halten brauchen. – Die Ausübung der natürlichen Künste, wozu ein einziger Mensch genug sein kan, führet zur Nachforschung derjenigen Künste des Fleisses und der Geschiklichkeit, welche nöthig haben, daß viele Hände zusammen kommen.«
So weit Rousseau!
Und so wäre es dan wirklich schon längst da gewesen, das wunderseltsame Buch, welches uns noch zu fehlen schien? – Ja! und nein! je nachdem man entweder die bloße Hauptidee von einem solchen Buche, oder die ganze Ausführung derselben meint. In jener Hinsicht (aus welcher Rousseau davon redet) ist es da, ist es längst da gewesen und Robinson Krusoe ist sein Nahme; in dieser fehlt’ es bisher noch gänzlich. Denn ich brauche doch wohl nicht erst anzumerken, daß so viel weitschweifiges, überflüssiges Gewäsche, womit dieser veraltete Roman überladen ist, die bis zum Ekkel gezerte, schwerfällige Schreibart desselben und die veraltete, oft fehlerhafte Sprache unserer alten deutschen Uebersezung eben so wenig, als so manche, in Rüksicht auf Kinder, fehlerhafte moralische Seite desselben, keine wünschenswerthe Eigenschaften eines guten Kinderbuchs sind.
Hierzu kömt in der Geschichte des alten Robinsons noch etwas, welches einen der größten Vortheile zernichtet, den diese Geschichte stiften könte; ich meine den Umstand, daß Robinson mit allen europäischen Werkzeugen versehen wird, deren er nöthig hatte, um sich viele von denjenigen Bequemlichkeiten zu verschaffen, welche das geselschaftliche Leben gesitteter Menschen gewährt. Dadurch geht der große Vortheil verlohren, dem jungen Leser die Bedürfnisse des einzelnen Menschen, der ausser der Geselschaft lebt, und das vielseitige Glük des gesellschaftlichen Lebens, recht anschaulich zu machen. Abermahls ein wichtiger Grund, warum ich von der Geschichte dieses alten Robinsons abgehen zu müssen glaubte.
Ich zerlegte daher die ganze Geschichte des Aufenthalts meines jüngern Robinsons auf seiner Insel in drei Perioden. In der ersten solt’ er ganz allein und ohne alle europäische Werkzeuge sich blos mit seinem Verstande und mit seinen Händen helfen, um auf der einen Seite zu zeigen, wie hülflos der einsame Mensch sei, und auf der andern, wie viel Nachdenken und anhaltende Strebsamkeit zur Verbesserung unsers Zustandes auszurichten vermögen. In der andern geselte ich ihm einen Gehülfen zu, um zu zeigen, wie sehr schon die bloße Geselligkeit den Zustand des Menschen verbessern könne. In der dritten Periode endlich ließ ich ein europäisches Schif an seiner Küste scheitern, und ihn dadurch mit Werkzeugen und den meisten Nothwendigkeiten des Lebens versorgen, damit der große Werth so vieler Dinge, die wir gering zu schäzen pflegen, weil wir ihrer nie entbehrt haben, recht einleuchtend werde.
Nach dieser Anzeige meines ganzen Plans werden meine Leser sich wundern, in diesem Bande nur die angezeigte erste Periode beschrieben zu finden. Hierüber und über den doppelten Titel, womit ich diesen Band versehen habe, muß ich mich jezt, und zwar besonders gegen die Herrn Subskribenten, erklären.
Von Allem, was ich bisher für die Presse schrieb, giengen wenigstens drei halbbeschriebene Bogen auf einen gedrukten. Dieser Erfahrung zu folge, hatte ich darauf gerechnet, daß ich zum jüngern Robinson nicht weniger Handschrift brauchte, als ich zu jedem andern Buche von zwanzig Bogen in klein Oktav bisher gebraucht hatte. Darnach schnit ich also bei der Ausarbeitung meinen Stof zu.
Jezt solte das Papier zum Druk eingekauft werden, und nun erfuhr ich die erste Buchhändler Verlegenheit. Man sagte mir, daß ich nur unter zweierlei Schreibpapierarten zu wählen hätte, wovon die Eine ganz grosses, die Andere kleines Format habe. Da das erstere für ein Kinderbuch von der Art, wie dieses, ein sehr unschikliches Format sein werde, so mußte ich mich zu dem Leztern entschliessen. Und nun ließ ich den Sezer Ueberschlag machen, wie viel der geschriebenen Bogen zu einem so gedrukten erfodert werden durften.
Da erfuhr ich dan zu meiner grossen Befremdung, daß derjenige Vorrath von Manuskript, den ich zu ohngefähr zwanzig Bogen bestimt hatte, wohl an vierzig ausmachen werde. Ich ließ den Ueberschlag zwei, dreimahl wiederholen, aber immer ergab sich dasselbe Resultat.
Nun befand ich mich in einer ausnehmenden Verlegenheit. Die Schrift durfte nicht kleiner, der Zwischenraum zwischen Zeilen und Lettern nicht enger sein, weil es ein Buch für Kinder werden solte. Wurden hingegen beide so gewählt, und solte dennoch das Ganze abgedrukt werden: so mußt’ ich mich entschliessen, stat achtzehn bis zwanzig Bogen, die ich versprochen hatte, vierzig zu liefern. Wolt’ ich dies: so mußt ich entweder von den Pränumeranten und Subskribenten einen ansehnlichen Nachschuß fodern, oder mich entschliessen, einen ansehnlichen Schaden zu leiden. Aber jenes untersagten mir meine Begriffe von Recht und Unrecht, dieses meine ökonomischen Umstände. Ich suchte also einen Mittelweg, dessen Einschlagung sich mit beiden vertragen könte, und fand ihn in folgender Einrichtung.
Ich beschloß nemlich, nur so viel Bogen drukken zu lassen, als ich versprochen hatte, und diesen die Form eines ganzen vollendeten Buchs zu geben; damit derjenige, der kein Verlangen träge, noch mehr davon zu besizen, nicht gezwungen werde, einen zweiten Theil zu kaufen. Für solche Subskribenten und Käufer ist der erste Titel beigelegt, auf welchem der Zusaz: erster Theil, weggelassen worden ist. Für Andere hingegen, welche Lust haben, sich auch die zweite Hälfte dieses Kinderbuchs anzuschaffen, ist der andere Titel bestimt, welcher diesen Zusaz hat.
Durch diesen Ausweg glaubte ich meinen Subskribenten und mir selbst Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Solte aber dem ohngeachtet Einer oder der Andere von jenen mit dieser Einrichtung nicht völlig zufrieden sein: so erkläre ich ihn hiermit von der Verbindlichkeit seiner Unterschrift völlig frei und bitte ihn, sein Exemplar irgend einem armen Kinde seines Orts zu schenken, und, stat der Bezahlung, mir blos zu melden, daß dieses geschehen sei.
Der zweite Theil also, der die Fortsezung und das Ende der Geschichte in sich faßt, wird, wenn sein Abdruk verlangt wird, ohngefähr eben so viel Bogen stark werden, als der gegenwärtige erste Theil enthält. Wenn ich frühzeitig genug benachrichtiget werde, daß eine zureichende Anzahl Subskribenten diesen zweiten Theil begehrt, so kan er, nebst der französischen Uebersezung, schon zur nächsten Ostermesse erscheinen. Ich ersuche daher die Resp. Besizer dieses ersten Theils mir ihren Willen baldigst anzuzeigen.
Ehe ich aber von meinen Lesern Abschied nehme, sei es mir vergönt, junge Erzieher auf eine Nebenabsicht aufmerksam zu machen, die mir bei der Ausarbeitung dieses Buchs gleichfalls, als ungemein wichtig, vor Augen schwebte. Ich hofte nemlich, durch eine treue Darstellung wirklicher Familienscenen ein für angehende Pädagogen nicht überflüssiges Beispiel des väterlichen und kindlichen Verhältnisses zu geben, welches zwischen dem Erzieher und seinen Zöglingen nothwendig obwalten muß. Wo dieses glükliche Verhältniß in seiner ganzen Natürlichkeit einmahl eingeführt worden ist: da sinken viele der sitlichen Erziehung entgegenstehende Klippen von selbst nieder: wo dieses aber nicht ist, – nun da nimt man seine Zuflucht zu dem Kompaß pädagogischer Künsteleien, dessen Abweichungen so mannigfaltig, und durch hinlängliche Beobachtungen bei weitem noch nicht bestimt sind. –
Uebrigens enthält diese Absicht den Grund, warum ich lieber wirkliche, als errichtete Personen, habe redend einführen, und meistentheils wirklich vorgefallene Gespräche lieber habe nachschreiben, als ungehaltene und künstlichere Dialogen habe machen wollen.
Ueber die Ursachen, die mich bewegen, in Büchern, die für Kinder bestimt sind, die gewöhnliche so genante Rechtschreibung mit ihren meisten Anomalien beizubehalten, habe ich mich in der Vorrede zum zweiten Bändchen meiner kleinen Kinderbibliothek erklärt.
Man hat von diesem Buche zugleich eine französische Uebersezung, zum Nuzen der Lehrlinge dieser Sprache veranstaltet, die sich hoffentlich von selbst empfehlen wird. Solte sich ein, der lateinischen Sprache hinlänglich, mächtiger, Man finden, der Lust und Muße hätte, eine gute lateinische Uebersezung davon zu machen: so würde dadurch eine sehr erhebliche Lükke in unserer dermaligen, noch so überaus mangelhaften Schulbibliothek ausgefült werden. Denn wo ist das Buch, welches man Langens erbärmlichen Kolloquien unterschieben, und den ersten Lehrlingen der lateinischen Sprache, ohne alle Bedenklichkeit in die Hände geben könte? Das Buch, meine ich, welches lauter, für solche Kinder verständliche, für solche gehörige, für solche auch zugleich angenehme Sachen in einem leichten lateinischen Gewande enthielte? Ich hab’ es sorgfältig gesucht; aber fand es nirgends.
Am folgenden Abend, da die Geselschaft an dem gewöhnlichen Orte sich wieder versamlet hatte, kam Nikolas mit einer von ihm selbst verfertigten Jagdtasche einher stolziert, wodurch er Aller Augen auf sich zog. Stat des Sonnenschirms hatte er sich von der Köchin einen Sieb geliehen, den er über seinem Kopfe auf einem Stokke trug. Sein ganzer Aufzug war sehr ernsthaft und majestätisch.
Mutter. Bravo, Nikolas! Das hast du gut gemacht! Es fehlte nicht viel, daß ich dich für den wahren Robinson genommen hätte.
Johannes. Ich habe nur noch nicht fertig werden können mit meiner Tasche; sonst wäre ich auch so gekommen!
Gotlieb. So geht’s mir auch!
Vater. Schon gut, daß Einer damit fertig geworden ist: nun sehn wir doch, daß es geht! Aber dein Schirm, Nikolas, taugt nichts!
Nikolas. Ja, ich habe ihn auch nur aus Noth gemacht, weil ich keinen andern so geschwind fertig kriegen konte!
Vater. (Der einen von ihm selbst gemachten Schirm hinter der Hekke vorlangt) Was sagst du hierzu, Freund Robinson?
Nikolas. Ah! der ist schön!
Vater. Ich hebe ihn so lange auf, bis wir unsere Geschichte ausgehört haben. Wer denn von den Dingen, die Robinson machte, am meisten wird nachmachen können, der sol unser Robinson sein und dem wil ich den Sonnenschirm schenken.
Gotlieb. Sol der sich denn auch ordentlich eine Hütte bauen?
Vater. Warum nicht?
Alle. O das ist exzellent! Das ist prächtig!
Vater. Robinson konte kaum den Tag erwarten; er stand noch eher auf, als die Sonne, und machte sich zu seiner Reise fertig. Er hing die Tasche um; gürtete einen Strik um seinen Leib, stekte sein Beil, stat eines Degens, daran, nahm den Sonnenschirm auf die Schulter und wanderte darauf getrost fort.
Zuerst besuchte er seinen Kokusbaum, um eine oder ein Paar Nüsse in seinen Beutel zu stekken; dan lief er auch erst an den Strand, um einige Austern dazu zu suchen; und da er sich mit beiden nothdürftig versorgt und einen guten Trunk frisches Wasser aus seiner Quelle zum Frühstük genossen hatte: so marschierte er ab.
Es war ein reizender Morgen. Die Sonne stieg jezt eben in ihrer ganzen Klarheit, wie aus dem Meere, hervor, und vergoldete die Gipfel der Bäume. Tausend kleine und grosse Vögel von wunderbaren Farben sangen ihr erstes Morgenlied und freuten sich des neuen Tages. Die Luft war so rein und so erquikkend, als wenn sie jezt eben erst von Gott wäre geschaffen worden, und aus den Kräutern und Blumen duftete der süsseste Wohlgeruch empor.
Robinsons Herz schwol auf von Freude und Dankbarkeit gegen Gott. Auch hier, sagte er zu sich selbst, auch hier zeigt er sich, als den Algütigen! – Dan vermischte er seine Stimme mit dem Gesange der Vögel und sang laut das schöne Morgenlied:
Dein erstes Werk sei Preis und Dank,
Du neugestärkte Sele! Der Herr hört deinen Lobgesang, O preis’ ihn, meine Sele! Mich selbst zu schüzen viel zu schwach, Lag ich und schlief in Frieden. Wer war indessen für mich wach? Wer schenkte Schlaf mir Müden? Du bist es, Herr und Gott der Welt, Dein, dein ist unser Leben; Du bist es, der es uns erhält, Und mir’s jezt neu gegeben. Gelobet seist du, Gott der Macht, Gelobt sei deine Treue, Daß ich, nach einer sanften Nacht, Mich dieses Tags erfreue. Laß deinen Seegen auf mir ruhn, Mich deine Wege wallen; Und lehre du mich selber thun Nach deinem Wohlgefallen. Nim meines Lebens ferner wahr Auf dich hoft meine Sele; Sei du mein Retter in Gefahr, Mein Vater, wenn ich fehle. Gib mir ein Herz vol Frömmigkeit, Vol warmer Menschenliebe; Ein Herz daß sich mit Freudigkeit In jedem Guten übe. Daß ich, als dein gehorsam Kind, Nach wahrer Tugend strebe; Und nicht, durch Leidenschaften blind, Den Lastern mich ergebe. Daß ich, dem Nächsten beizustehn, Beschwerlichkeit nie scheue; Mich gern an andrer Wohlergehn Und ihrer Tugend freue. Daß ich das Glük der Lebenszeit Dir dankbar, froh geniesse, Und meinen Lauf mit Freudigkeit Wenn du gebeutst, beschliesse.Nach dem bekanten Gellertschen Liede: Mein erst Gefühl etc. Es gehört übrigens nicht viel Scharfsichtigkeit dazu, den hier begangenen Anachronismus zu bemerken, und nicht viel Nachsicht, um ihn zu Gute zu halten. |
Gotlieb. O lieber Vater, wilst du mir wohl dies Lied abschreiben, daß ichs alle Morgen für mich lesen kan, wenn ich aufstehe?
Vater. Sehr gern!
Fr. R. Und ich wil euch die Melodie dazu lehren: so können wir es vor dem Morgengebete singen.
Nikolas. O das ist gut! Es ist ein gar zu schönes Lied!
Vater. Da Robinson sich noch immer vor wilden Menschen und vor wilden Thieren fürchtete: so vermied er bei seiner Wanderung, so sehr er nur immer konte, die dichten Wälder und Gebüsche, und wandte sich vielmehr nach solchen Gegenden, die ihm eine freie Aussicht nach allen Seiten hin gewährten. Aber diese waren grade die unfruchtbarsten Theile seiner Insel. Er war daher schon ziemlich weit gegangen, ohne etwas zu finden, welches ihm hätte nüzlich werden können.
Endlich fiel ihm ein Gewächs in die Augen, welches er näher untersuchen zu müssen glaubte. Es waren kleine Krautbüsche, die neben einander standen und wie einen kleinen Wald ausmachten. An einigen sahe er röthliche, an andern weisse Blumen und an noch andern fanden sich, stat der Blumen, kleine grünliche Aepfelchen, von der Grösse einer Kirsche.
Er biß hurtig einen derselben an, aber fand, daß sie nicht genießbar wären. Aus Unwillen darüber riß er den Busch, von dem er sie gepflükt hatte, aus und wolte ihn wegwerfen, als er zu seiner Verwunderung an der Wurzel der Stengel allerlei kleine und große Knollen hängen sah. Er vermuthete augenbliklich, daß diese Knollen die eigentliche Frucht der Pflanze wären, und fing an, sie zu untersuchen.
Aber mit dem Einbeissen wolte es ihm abermahls nicht gelingen. Das Gewächs war hart und unschmakhaft. Robinson war schon im Begrif, sie wegzuwerfen: aber zum Glük fiel ihm ein, daß eine Sache doch wohl zu etwas gut sein könne, ohngeachtet man ihren Nuzen nicht sogleich bemerkt. Er stekte also einige dieser Knollen in seine Jagdtasche und ging weiter.
Johannes. Ich weiß schon, was das für Knollen waren!
Vater. Nun, was für welche meinst du denn wohl?
Johannes. I, es waren Kartoffeln! Die wachsen ja grade so, wie sie hier beschrieben werden!
Diderich. Und die sind ja auch in Amerika eigentlich zu Haus!
Gotlieb. Ach ja, da hat sie ja der Franz Drake hergebracht! – Aber das war doch dum, daß Robinson die nicht einmahl kante!
Vater. Woher kenst du sie denn?
Gotlieb. I, weil ich sie so oft gesehen und gegessen habe; sie sind ja meine Leibspeise!
Vater. Aber Robinson hatte sie nie gesehen und nie gegessen.
Gotlieb. Nicht?
Vater. Nein; weil sie damahls in Deutschland noch gar nicht bekant waren. Erst ohngefähr seit 40 Jahren sind sie bei uns eingeführt und es ist wohl schon 200 Jahr her, daß unser Robinson lebte.
Gotlieb. Ja denn –
Vater. Siehst du, lieber Gotlieb, daß man unrecht thut, wenn man so voreilig ist, andere Leute zu tadeln? Man muß sich immer erst selbst ganz in ihre Stelle sezen und sich dan erst fragen: ob man’s besser gemacht haben würde, als sie? Hättest du auch niemahls Kartoffeln gesehen und hättest du niemahls gehört, wie man sie zubereiten müsse: so würdest du anfangs eben so, wie Robinson, nicht wissen, was damit zu machen sei? Laß dir diesen Umstand zur Warnung dienen, dich nie wieder für klüger, als andere Menschen, zu halten.
Gotlieb. Küsse mich, Väterchen! Wil’s nicht mehr thun. –
Vater. Von da ging Robinson nun weiter; jedoch sehr langsam und mit grosser Vorsichtigkeit. Jedes Geräusch, welches der Wind zwischen Bäumen und Büschen verursachte, erschrekte ihn und machte, daß er nach seinem Beil grif, um sich zu vertheidigen, wenn’s nöthig wäre. Aber immer sahe er zu seiner Freude, daß er sich ohne Ursache gefürchtet habe.
Endlich kam er an einen Bach, wo er sein Mittagsbrod zu verzehren beschloß. Hier sezte er sich unter einen dikken schattigten Baum, und fing schon an nach Herzenslust zu schmausen – als er plözlich wieder durch ein fernes Geräusch entsezlich erschrekt ward.
Er sahe ängstlich umher und bemerkte endlich eine ganze Heerde –
Nikolas. Ah! gewiß Wilde!
Gotlieb. Oder Löwen und Tieger!
Vater. Keine von beiden! sondern eine ganze Heerde wilder Thiere, die einige Aehnlichkeit mit unsern Schafen hatten, nur, daß sie auf dem Rükken einen kleinen Hökker trugen, und dadurch einem Kamele ähnlich wurden. Sie waren übrigens nicht viel grösser, als ein Schaf.
Wenn ihr wissen wolt, was das für Thiere waren und wie sie genant werden, so wil ichs euch wohl sagen.
Johannes. O ja!
Vater. Man nent sie Lama’s, auch wohl Guanako’s. Ihr eigentliches Vaterland ist dieser Theil von Amerika (auf die Karte zeigend) der den Spaniern gehört, und den man Peru nent. Hier hatten die Amerikaner, ehe die Europäer ihr Land entdekten, dieses Thier zahm gemacht und brauchten es, wie einen kleinen Esel zum Lasttragen. Von der Wolle desselben wusten sie sich Zeug zu Kleidern zu machen.
Johannes. Die Leute von Peru musten also wohl nicht mehr so wild sein, als die andern Amerikaner?
Vater. Bei weiten nicht! Sie wohnten, so wie auch die Mexikaner, (hier in dem nördlichen Amerika!) in ordentlichen Häusern, hatten prächtige Tempel gebaut und wurden ordentlich von Königen beherscht.
Gotlieb. Ist das nicht das Land, wo die Spanier das viele Gold und Silber herkriegen, was sie alle Jahr auf der Silberflotte aus Amerika holen, wie du uns erzählt hast?
Vater. Das nemliche! – Da Robinson diese Thiere, die wir nun auch Lama’s nennen wollen, herannahen sahe: regte sich bei ihm ein starker Appetit nach einem Stük Braten, wovon er nun schon in so langer Zeit nicht gekostet hatte. Er wünschte also eins derselben zu erlegen, stelte sich daher mit seinem steinernen Beil dicht an den Baum, und hofte daß eins derselben vielleicht so nahe bei ihm vorbei kommen werde, daß er es mit dem Beile treffen könte.
Es geschahe. Die sorgenlosen Thiere, die hier vermuthlich niemahls waren gestöhrt worden, gingen ohne alle Furcht bei dem Baume, hinter welchen Robinson sich verstekt hatte, vorbei nach dem Wasser und da eins derselben und zwar ein Junges, ihm so nahe kam, daß er es erreichen konte, schlug er ihm mit seinem Beile so nachdrüklich in den Nakken, daß es augenbliklich todt zur Erde stürzte.
Lotte. O fi! Wie konte er nun auch das thun? Das arme Schäfchen!
Mutter. Und warum solte er’s denn nicht thun?
Lotte. Ja, das arme Thierchen hatte ihm ja nichts zu Leide gethan; so hätte er’s ja auch können leben lassen!
Mutter. Aber er brauchte ja das Fleisch dieses Thiers, um davon zu essen: und weißt du nicht, daß Gott uns erlaubt hat, die Thiere zu brauchen, wozu wir sie nöthig haben?
Vater. Ohne Noth ein Thier zu tödten, oder zu quälen, oder auch nur zu beunruhigen, wäre grausam; und das wird auch kein guter Mensch zu thun im Stande sein. Aber sie zu brauchen, wozu sie gut sind, sie zu schlachten, um ihr Fleisch zu essen, ist uns unverwehrt. Wißt ihr nicht mehr, wie ich euch einmahl erklärt habe, daß es so gar für die Thiere selbst gut ist, daß wir es so mit ihnen machen?
Johannes. Ach ja, wenn wir die Thiere nicht brauchten, so würden wir auch nicht für sie sorgen, und dan wurden sie es lange nicht so gut haben, als jezt, und denn würden des Winters viele von ihnen vor Hunger sterben müssen!
Diderich. Ja, und sie werden vielmehr leiden müssen, wenn sie nicht geschlachtet werden, sondern an Krankheiten und vor Alter stürben; weil sie sich einander nicht so helfen können, als die Menschen sich einander helfen!
Vater. Und dan, so müssen wir auch nicht glauben, daß der Tod, den wir den Thieren anthun, ihnen so viel Schmerz verursache, als es uns wohl vorkömt. Sie wissen nicht vorher, daß sie geschlachtet werden sollen, sind daher ruhig und zufrieden bis auf den lezten Augenblik, und die Empfindung des Schmerzes, während daß sie getödtet werden, ist bald vorüber.
In dem Augenblikke, da Robinson das junge Lama erschlagen hatte, fiel ihm erst die Frage ein: wie er nun mit der Zubereitung des Fleisches würde zu Stande kommen können?
Lotte. I kont’ ers denn nicht kochen oder braten?
Vater. Das hätte er gern gethan; aber es fehlte ihm unglüklicher Weise an Allem, was er dazu nöthig hatte. Er hatte keinen Topf und keinen Bratspieß, und, was das Schlimste war, – er hatte nicht einmahl Feuer.
Lotte. Kein Feuer? – Das hätte er sich ja anmachen können!
Vater. Freilich, wenn er Stahl und Zunder, einen Feuerstein und Schwefelhölzer gehabt hätte! Aber von allen diesen hatte er nun grade nichts!
Johannes. Ich weiß wohl, wie ichs gemacht hätte!
Vater. Und wie denn?
Johannes. Ich hätte zwei Stükchen troknes Holz so lange an einander gerieben, bis sie in Brand gerathen wären; so wie wir einmahl in der Reisebeschreibung lasen, daß die Wilden es machten.
Vater. Grade darauf verfiel unser Robinson auch! Er nahm also das getödtete Lama auf seine Schultern und machte sich damit auf den Weg, um wieder nach seiner Wohnung zurük zu kehren.
Auf seinem Rükwege machte er noch eine Entdekkung, die ihm grosse Freude verursachte. Er traf nemlich sechs bis acht Zitronenbäume an, unter denen schon verschiedene abgefallene reife Früchte lagen. Er las sie sorgfältig auf, merkte sich den Plaz, auf dem diese Bäume standen, und eilte nun sehr vergnügt zurük nach seiner Wohnung.
Hier war seine erste Arbeit, dem jungen Lama das Fel abzuziehen. Durch Hülfe eines scharfen Steins, den er stat eines Messers brauchte, kam er damit zu Stande. Das Fel spante er, so gut er konte, an der Sonne aus, um es zu troknen, weil er voraus sahe, daß er davon einen guten Gebrauch würde machen können.
Johannes. Was konte er denn davon machen?
Vater. O vielerlei! Erstlich fingen seine Schuh und seine Strümpfe schon an zu reissen. Da dachte er nun, wenn er keine Schuhe mehr hätte, so könte er sich von dem Felle Fußsolen machen, und sie unter die Füße binden, daß er doch nicht ganz baarfuß zu gehen brauchte. Dan war ihm auch nicht wenig bange vor dem Winter und er freute sich daher sehr, daß er nun ein Mittel wüste sich mit Pelzwerk zu versorgen, um nicht erfrieren zu dürfen.
Zwar dieser Sorge hätte er füglich können überhoben sein, weil es in dieser Gegend niemahls Winter wurde.
Gotlieb. Niemahls Winter?
Vater. Nein! In allen den heissen Himmelsgegenden hier zwischen den beiden Wendezirkeln, die ich euch neulich erklärt habe, pflegt es niemahls Winter zu werden. Dafür aber haben diese Länder ein Paar Monate lang ein unaufhörliches Regenwetter. – Doch davon wuste unser Robinson noch nichts, weil er in seiner Jugend sich nicht ordentlich hatte unterrichten lassen.
Johannes. Aber, Vater, ich meine doch, daß wir einmahl gelesen haben, daß der hohe Spizberg auf Teneriffa und die hohen Cordilleras in Peru immer mit Schnee bedekt sind? Da muß es ja also wohl immer Winter sein; und die liegen doch auch zwischen den Wendezirkeln?
Vater. Hast Recht, lieber Johannes; die sehr hohen bergigten Gegenden machen eine Ausnahme. Denn auf den Gipfeln solcher hohen Berge pflegt ein immerwährender Schnee zu liegen. Erinnerst du dich noch, was ich euch von einigen Gegenden in Ostindien erzählte, da wir neulich auf der Landkarte dahin gereiset waren?
Johannes. Ach ja, daß da in einigen Gegenden der Sommer und der Winter nur ein Paar Meilen weit aus einander sind! Auf der Insel Zeylon, die den Holländern gehört und noch wo – wo war’s doch gleich?
Vater. Auf der vordersten Halbinsel. Wenn’s nemlich disseits des Gebirges Gate, auf der Malabarischen Küste Winter ist, so ist es jenseits des Gebirges auf der Küste Koromandel Sommer, und so umgekehrt. Eben so sol es ja auch auf der Insel Zeram sein, die zu den Molukkischen Inseln gehört, wo man nur drei Meilen zu gehen braucht, um aus dem Winter in den Sommer, oder aus dem Sommer in den Winter zu kommen.
Aber wir haben uns auf einmahl wieder weit von unserm Robinson verstiegen! Seht; wie unser Geist durch einen einzigen Sprung sich plözlich an Oerter begeben kan, die viel tausend Meilen von uns entfernt sind! Aus Amerika flogen wir nach Asien und nun – gebt Acht! – husch! da sind wir wieder in Amerika auf Freund Robinsons Insel. Ist das nicht wunderbar? –
Nachdem er also das Fel abgestreift, das Eingeweide ausgenommen, und ein Hinterviertel zum Braten abgeschnitten hatte; war er nun zunächst darauf bedacht, einen Bratspieß zu machen. Hierzu hieb er einen jungen schlanken Baum ab, löste die Rinde davon ab, und spizte ihn an dem einen Ende zu. Dan suchte er ein Paar gabelförmige Aeste aus, welche dem Bratspieß zu Stüzen dienen solten. Nachdem er diese gleichfalls unten zugespizt hatte, schlug er sie gegen einander über in die Erde, stekte dem Braten an den Spieß, legte ihn dan in die Gabeln und freute sich nicht wenig, da er sahe, wie gut er sich umdrehen ließ.
Nun fehlte nur noch das Nöthigste von Allen, das Feuer. Um dieses durch Reiben hervorzubringen, hieb er von einem troknen Stamme zwei Hölzer ab, und sezte sich sogleich in Arbeit. Er rieb, daß ihm der Schweiß in grossen Tropfen vom Gesichte treufelte; allein, es wolte ihm nicht gelingen, seine Absicht zu erreichen. Denn wenn das Holz schon so heiß geworden war, daß es rauchte; so befand er sich so ermattet, daß er nothwendig erst einige Augenblikke einhalten muste, um wieder neue Kräfte zu samlen. Darüber kühlte denn das Holz sich immer wieder etwas ab, und seine vorige Arbeit war vergeblich gewesen.
Hier fühlte er einmahl wieder recht lebhaft die Hülflosigkeit des einsamen Lebens und die grossen Vortheile, die uns die Geselschaft anderer Menschen gewährt. Hätte er nur einen einzigen Gehülfen gehabt, der dan, wenn er selbst ermattet war, fortgefahren hätte zu reiben: so würde er gewiß mit der Entzündung des Holzes zu Stande gekommen sein. So aber war es ihm unmöglich.
Johannes. Aber ich meine doch, die Wilden machten sich Feuer durch das Reiben?
Vater. Das thun sie auch. Aber das macht, daß diese Wilden gemeiniglich stärker sind, als wir Europäer, die wir gar zu weichlich erzogen werden. Und dan, so verstehen sie auch besser, wie man das Ding angreifen müsse. Sie nehmen nemlich zwei Hölzer von verschiedener Art, ein weiches und ein hartes, und reiben das Leztere mit grosser Geschwindigkeit auf dem Erstern. Dan entzündet sich dieses. Oder sie machen auch wohl in das eine Holz ein Loch, stekken das Andere da hinein, und drehen dieses dan zwischen ihren Händen so geschwind und so unaufhörlich herum, daß es anfängt zu brennen.
Davon wuste nun Robinson nichts; und also wolt’s auch damit nicht gelingen.
Traurig warf er endlich die beiden Hölzer weg; sezte sich auf sein Lager; stüzte schwermüthig den Kopf auf die Hand; blikte oft mit einem tiefen Seufzer nach dem schönen Braten, der nun ungegessen bleiben solte; und indem er an den bevorstehenden Winter dachte, und was er alsdan machen würde, wenn er kein Feuer hätte, überfiel ihn eine solche Angst daß er aufspringen und etwas herumgehen muste, um freier Athem zu holen.
Da sein Blut dabei in grosse Wallung gekommen war, so ging er nach der Quelle um sich einen frischen Trunk Wasser in einer Kokusschale zu holen. Mit diesem Wasser vermischte er den Saft einiger Zitronen, und erhielt dadurch ein kühlendes Getränk, welches ihm unter diesen Umständen sehr zu statten kam.
Immer aber wässerte ihm noch der Mund nach dem Braten, von dem er gar zu gern ein Stükchen gegessen hätte. Endlich erinnerte er sich einmahl gehört zu haben, daß die Tatern, die doch auch Menschen sind, das Fleisch, welches sie essen wollen, unter den Sattel legen und es mürbe reiten. Das, dachte er, muß auf eine andere Weise ja auch wohl möglich sein; und er beschloß einen Versuch zu machen.
Gedacht, gethan! Er holte sich zwei ziemlich breite und glatte Steine von der Art, wovon sein Beil war. Zwischen diese legte er eine Porzion Fleisch, worin kein Knochen war und fing nun an mit seinem Klöpfel ohne Unterlaß auf den obersten Stein zu schlagen. Er hatte dieses kaum zehn Minuten fortgesezt: so fing der Stein an, heiß zu werden. Desto muntrer schlug er darauf los, und ehe eine halbe Stunde verstrich, war das Fleisch, sowohl von der Hize des Steins, als auch von dem unaufhörlichen Schlagen so mürbe geworden, daß es vollkommen genießbar war.
Freilich schmekte es nicht völlig so gut, als wenn es ordentlich wäre gebraten worden: aber für Robinson, der so lange kein Fleisch gegessen hatte, war es ein ausserordentlicher Lekkerbissen. – O ihr Lekkermäuler unter meinen Landsleuten, rief er aus, denen oft die besten Speisen Ekel verursachen, weil sie grade nicht nach eurem verwöhnten Geschmakke sind, wäret ihr doch nur acht Tage an meiner Stelle gewesen, wie würdet ihr künftig gern mit jeder Gottesgabe zufrieden sein! Wie würdet ihr euch hüten, durch Verschmähung irgend einer gesunden Speise euch gegen die alles ernährende Hand der Vorsehung undankbar zu bezeigen!
Um den Wohlgeschmak dieses Gerichts noch mehr zu erhöhen, drükte er Zitronensaft darauf; und nun that er eine Mahlzeit, wie er lange nicht gethan hatte! Auch vergaß er nicht, dem Geber aller guten Gaben für diese neue Wohlthat recht inniglich zu danken.
Nach aufgehobener Tafel ging er mit sich selbst zu Rathe, welche Arbeit nun wohl die nöthigste sei? Die Furcht vor dem Winter, die heute so lebhaft in ihm geworden war, machte, daß er sich vorsezte, einige Tage blos dazu anzuwenden recht viele Lama’s zu fangen oder todt zu schlagen, um sich mit Fellen zu versorgen. Da sie so sehr zahm zu sein schienen, so hofte er, daß er seinen Wunsch ohne viele Mühe werde erreichen können.
Mit dieser Hofnung legte er sich zu Bette, und ein sanfter erquikkender Schlaf belohnte ihm reichlich jede überstandene Mühe des vollbrachten Tages.