PETER MÜNCH

MIT FOTOGRAFIEN VON BERYL SCHENNEN

eBook Insel Verlag Berlin 2018

Dieses Buch ist ein kollektives Werk. Zum Team gehören noch Christiane Peterseim und Alon Caspi. Gemeinsam haben wir die Orte ausgewählt, erkundet und bewertet. Wir haben über die Texte und die Bilder diskutiert – und sind dabei unseren Lieblingsorten noch ein Stück näher gekommen.

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4631.

© Insel Verlag Berlin 2018

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Der Verlag weist darauf hin, dass dieses Buch farbige Abbildungen enthält, deren Lesbarkeit auf Geräten, die keine Farbwiedergabe erlauben, eingeschränkt ist.

Umschlaggestaltung und Layout: Marion Blomeyer, München

Illustrationen: Ryo Takemasa, Tokio

Karten: Peter Palm, Berlin

eISBN 978-3-458-75832-7

www.insel-verlag.de

INHALTSVERZEICHNIS

TEL AVIV

Die Stadt von oben: Meer und mehr (Abrasha Park)

AUF DEM ROTHSCHILD BOULEVARD

Am Anfang war das Pferd (Meir-Dizengoff-Statue)

Für Stammgäste (Kaffeekultur am Kiosk)

Künstler und Lebenskünstler (Habima Square)

DER ALTE NORDEN

Vitamine to go (Tamara-Saftbar)

Kreplach und Kneidlach (Jiddische Küche im »Keton«)

Es grünt (Hayarkon-Park)

IM ZENTRUM

Grüße an die Großmutter (Café Mersand)

Kibbuz in der Stadt (Bauhaus in der Frishman Street)

Der Falafel-Zauberer (HaKosem-Imbiss)

Im Volkspark (Gan Meir)

Das Erbe der Vertriebenen (Antiquariat Pollak)

Dicht am Dichter (Bialik House)

Geschichte in Schwarz-Weiß (Rudi Weissensteins Photohouse)

Die Stille der Steine (Trumpeldor-Friedhof)

Tempel des Konsums (Sarona)

RUND UM DEN CARMEL MARKET

Kaffee und Kantaten (Café Cohen)

Eis-Kunst-Sitzen (Arte Glideria)

Der Mythos stirbt zuletzt (Sheinkin Street)

NEVE TZEDEK

Am Jungbrunnen (Nahum Gutmans Kunstwerke)

Schlag auf Schlag (Matkot-Museum)

Alles Gaga (Suzanne Dellal Center)

FLORENTIN UND DER SÜDEN

Das kreative Chaos (Graffiti-Tour)

Heißes Pflaster (Lilienblum Street)

Auf dem Catwalk (Das Katzen-Hotel)

Höret die Hörner! (Schofar-Werkstatt)

Feiern mit Hochfrequenz (Teder Club

Auf dem Weltmarkt (Levinski-Markt)

Die Betonwüste lebt (Neuer Zentraler Busbahnhof)

Die Siedler aus Neuengland (American Colony)

JAFFA

Die Schischi-Gesellschaft (Flohmarkt)

Alles frisch (Hafen)

Im Rausch der Sinne (Ilana Goor Museum)

Ein Hoch auf die Orange (Der hängende Baum)

Schalom, Salam (Peres Peace House)

DER STRAND

Nebeneinander im Sand Mezizim Beach (Mezizim Beach)

Blauer als das Meer (Gordon Pool)

Auf dem Abenteuerspielplatz (Tel Aviv Bucht)

Trommelwirbel (Dolphinarium)

Mit Bikini und Burkini (Alma Beach)

JERUSALEM

Von West nach Ost: Die Show auf Schienen (Straßenbahnlinie 1)

DIE ALTSTADT

Dem Himmel so nah (Dächer-Wanderung)

Nächtliche Grabwache (Grabeskirche)

Das Geheimnis der heiligen Erde (Erlöserkirche)

Kreuz-Schmerzen (Via Dolorosa)

Nach Strich und Faden (Beim Barbier)

Apfelstrudel mit Ausblick (Österreichisches Hospiz)

Die Bagel-Frage

Der gute Deutsche (Oskar Schindlers Grab)

DER ARABISCHE OSTEN

Kunst im Grenzbereich (Museum on the Seam)

Tausendundein Buch (Bookshop im American Colony Hotel)

Der richtige Ton (Palestinian Pottery)

DER JÜDISCHE WESTEN

Gut behütet (Mea Shearim)

Glanzvoll zwischen Krieg und Frieden (King David Hotel)

Jenseits von Klezmer (Kikar Hamusica)

Obst und Obstler (Mahane-Yehuda-Markt)

Bahnhof verstehen (First Station)

Rot und Schwarz sind ihre Farben (Teddy Stadium)

Menschen, Tiere, Sensationen (Biblischer Zoo)

AUSFLÜGE

VON TEL AVIV

Bett mit Bühne (Zichron Yaakov)

König der Köche (Akko)

ZWISCHEN TEL AVIV UND JERUSALEM

Die Hauptstadt des Hummus (Abu Gosh)

Im Klostergarten (Beit Gemal)

Wein und Wahrheit (Flam Winery)

VON JERUSALEM

Auf Tuchfühlung mit Arafat (Ramallah)

Holz und heilig (Bethlehem)

Hochgefühl am Tiefpunkt (Totes Meer)

TEL AVIV

DAN-BUS 10 BIS FLEA MARKET/YEFET STREET

Die Stadt von oben:
Meer und mehr

ABRASHA-PARK

TIPP

WER ABERGLÄUBISCH IST, SOLLTE VOM PARK AUS AUF DER »WUNSCHBRÜCKE« MIT DEN DORT ANGEBRACHTEN ZWÖLF STERNZEICHEN ZURÜCK ZUM ZENTRALEN KEDUMIM-PLATZ LAUFEN. HIER NÄMLICH GEHT ANGEBLICH FÜR JEDEN EIN WUNSCH IN ERFÜLLUNG, DER AUFS MEER BLICKT UND DABEI SEIN STERNZEICHEN BERÜHRT. ES IST BELEGT, DASS DIES NOCH KEINEM GESCHADET HAT.

Alles ist auf Sand gebaut: die Häuser und die Bürotürme, die Highways und die Boulevards. Dünenlandschaft war das hier noch bis zur Stadtgründung 1909. Und heute: eine wummernde Metropole, die damit wirbt, dass sie niemals schläft. Die 24/7-Stadt, immer unter Volldampf. Einerseits. Andererseits trifft hier das Meer aufs Land und hat der Stadt einen so goldsandigen Strand geschenkt, dass jeder jederzeit mit Blick auf die Wellen der Welt den Rücken kehren kann.

Tel Aviv ist eine Stadt der Gegensätze und Extreme, und nirgends lässt sich das mit dem gebührenden Abstand besser betrachten als vom Abrasha-Park auf dem Altstadthügel von Jaffa aus. Es ist der wohl höchste Punkt der Mittelmeer-Metropole – sieht man einmal von den Hochhäusern ab, die ringsum in den Himmel gewachsen sind, und von jenem riesigen Kran, der gleich neben dem Park von einem neuen Hochhaus kündet.

Der Blick aufs Häusermeer geht genauso weit wie der aufs blaue Meer. Nicht jeder denkt dabei sofort an Wuppertal oder Bielefeld, doch statistisch gesehen, spielt Tel Aviv ungefähr in dieser Liga. Lediglich rund 400000 Einwohner werden ausgewiesen. Des Rätsels Lösung: Tel Aviv ist nicht nur mit der offiziell dazugehörigen alten arabischen Schwesterstadt Jaffa zusammengewachsen, sondern nahtlos auch mit einer ganzen Reihe anderer wuchernder Vorstädte wie Ramat Gan und Givatayim. Im Großraum leben 3,5 Millionen Menschen, fast die Hälfte der israelischen Gesamtbevölkerung also. Ohne Zweifel schlägt in Tel Aviv das kulturelle und wirtschaftliche Herz des Landes. Die Regierung mag im 60 Kilometer entfernten Jerusalem sitzen. Hier ist die Hauptstadt der Lebensfreude.

So wie draußen auf dem Meer im Winter die Stürme toben, so stürmt es auch in dieser Stadt, ganzjährig allerdings. Dass sie einst als Gartenstadt angelegt wurde von den Gründern, ist nur noch selten zu sehen. Ganze Nachbarschaften weichen neuen Bauprojekten, und selbst vom Parkhügel aus wird es immer schwerer, einzelne Türme als Landmarken zu identifizieren: den breitschultrigen Shalom-Tower zum Beispiel, das erste Hochhaus der Stadt aus dem Jahr 1965. Oder weiter nördlich die drei Azrieli-Türme, einer dreieckig, einer rund, einer rechteckig. In ihrem Silberglanz würden sie durchaus zum Wahrzeichen taugen, wenn die Konkurrenz unter den Hochhäusern nicht so groß wäre.

Doch bei allem Wandel bleibt eines immer gleich: Tel Aviv ist spannend und entspannend, getrieben und gechillt zugleich. Oben auf der Wiese im Abrasha-Park mischt sich das Rauschen des Meeres mit dem Rauschen der Stadt. Yoga machen hier manche, und andere atmen nur schnell mal durch, bevor sie sich wieder hineinstürzen ins Gewühl.

Auf dem
Rothschild
Boulevard

DAN-BUS 5 BIS ROTHSCHILD BOULEVARD/NACHMANI STREET

Am Anfang war das Pferd

TIPP

DIREKT GEGENÜBER DER STATUE LOCKT DIE »SOMMER CONTEMPORARY ART«-GALERIE MIT EINEM STÄNDIG WECHSELNDEN SPANNENDEN PROGRAMM.

ROTHSCHILD BOULEVARD 13

MO – DO 10–18 UHR, FR 10–14 UHR, SA 11–13 UHR

WWW.SOMMERGALLERY.COM

AUF DER ANDEREN STRASSENSEITE LIEGT NICHT WENIGER VERLOCKEND DAS LÄSSIG-LEGENDÄRE LOKAL »ROTHSCHILD 12«. TÄGL. 7–24 UHR.
WWW.ROTHSCHILD12.CO.IL

Wo er wohl hinreiten würde, wenn er nicht so verdammt fest im Boden verankert wäre? Runter zum Strand vielleicht, dort, wo alles angefangen hat im hellsten Sonnenlicht? Oder rüber zur großen Straße, die heute seinen Namen trägt – da, wo Tel Aviv am telavivischsten ist mit den ganzen Cafés und dem Kommerz und dem kosmopolitischen Flair?

Die eiserne Reiterstatue von Meir Dizengoff weit unten auf dem Rothschild Boulevard lädt ein zu einer kleinen Meditation darüber, wo diese Stadt herkam und wo sie hinstrebt. Bänke stehen direkt gegenüber genügend bereit, so dass man in aller Ruhe einmal diesen Herrn beobachten kann, der mit Mantel und Hut hier hoch zu Ross thront. Er ist der erste Bürgermeister dieser Stadt gewesen. Fast 25 Jahre hat er amtiert bis zu seinem Tod 1936. Vor allem aber war er ein Mann mit einer großen Vision, und diese Vision lebt fort in den Straßen von Tel Aviv.

Meir Dizengoff, ein Ingenieur und Kaufmann aus dem südosteuropäischen Bessarabien, hatte sich 1905, beseelt von den zionistischen Ideen, in Jaffa niedergelassen. 1909 stand er gemeinsam mit ein paar dutzend Anderen auf einer Düne am Strand, um Parzellen auszulosen für ein neues Wohngebiet außerhalb der alten arabischen Stadt. Daraus ist dann in rasanter Geschwindigkeit Tel Aviv entstanden.

Dass es mit dieser Stadt so schnell aufwärts ging, hatte viel zu tun mit der Energie von Meir Dizengoff, der Tel Aviv zum geschäftlichen und kulturellen Zentrum des jüdischen Lebens im damaligen Palästina machen wollte. Die Fortschritte inspizierte er am liebsten vom Rücken seines Pferdes aus, selbst als um ihn herum schon längst der motorisierte Verkehr tobte.

Sein Privathaus errichtete er auf dem heutigen Rothschild Boulevard, und beim Tod seiner Frau Zina im Jahr 1930 übergab er das Gebäude an die Stadt, um dort ein Kunstmuseum zu eröffnen. Er selbst blieb bis zum Lebensende im Obergeschoss wohnen und unterstützte tatkräftig den Ausbau des Museums. Im Saal des Erdgeschosses wurde dann Geschichte geschrieben, als David Ben Gurion hier am 14. Mai 1948 die Gründung des Staates Israel proklamierte.

In Dizengoffs altem Wohnhaus zieht heute die »Independence Hall« als Museum zur israelischen Selbstvergewisserung die Besucher an. Soldaten und Schüler kommen in ganzen Busladungen, Touristen trotten hinterher. Direkt gegenüber auf dem Boulevard aber steht seit dem 100. Stadtgründungsjubiläum 2009 die vom Künstler David Zondolovitz geschaffene Reiterstatue. Die Kinder klettern hoch und leisten dem alten Bürgermeister auf dem Pferderücken Gesellschaft. Straßenmusiker spielen ihm ein Ständchen. Um ihn herum tobt das Leben. Ganz so, wie Meir Dizengoff sich das vorgestellt hat.

DAN-BUS 5 BIS ROTHSCHILD BOULEVARD/BALFOUR STREET

Für Stammgäste

ROTHSCHILD COFFEE SPOT

ROTHSCHILD BOULEVARD AUF HÖHE DER HAUSNUMMER 80

SO – FR 6.30–24 UHR, SA 7.30–24 UHR

Besser lässt sich der Tag nicht beginnen: raus aus dem Bett, raus auf die Straße – und nirgendwo rein, schon gar nicht ins Büro. Sondern draußen bleiben, in der Sonne sitzen, Zeitung lesen und dabei einen herrlich cremigen Kaffee Hafuch genießen, den niemand Cappuccino nennen sollte, niemals. Dafür gibt es nur einen Platz: den Kaffee-Kiosk mitten auf dem prächtigen Rothschild Boulevard.

Die Kioske sind eine Institution auf den Boulevards dieser Stadt. Sie stehen wie eingepflanzt und frisch erblüht auf den breiten Gehwegen zwischen den Fahrbahnen, kleine Häuschen nur mit ein paar Tischen drum herum. Hier trifft man sich oder genießt allein die Zeit – bis man dann doch irgendwann mit dem Tischnachbarn ins Gespräch kommt. Geschäfte werden hier angebahnt und Beziehungen. Beim dritten Besuch darf man sich als Stammgast fühlen.

Wie sehr die Kioske zur Stadt gehören, wird schon daran deutlich, dass der erste seiner Art bereits 1910, also nur ein Jahr nach der Stadtgründung, eröffnet wurde – selbstverständlich auf dem Rothschild Boulevard. Dort steht er immer noch an der Ecke Rothschild/Herzl Street, heute als »Espressobar«. Manche Kioske locken ihre Kundschaft sogar mit Sushi oder Burger an, doch dazu hier keinen Ton.

Denn die wahre Bestimmung des Kiosks ist die Kaffeekultur, die in Tel Aviv mit aller Konsequenz gepflegt wird. Nur Anfänger bestellen einfach einen Kaffee oder Espresso. Die Fortgeschrittenen verbinden die Bestellung mit einer genauen Anweisung an die Bedienung: »doppelter Espresso, verlängert, aber nicht zu viel«, »auf keinen Fall Milch, nur Sojamilch«, »drei Tropfen nur, und bitte nicht gesüßt«. Geduldig wird jede Bestellung aufgenommen. Beim Kaffee gibt es keine Kompromisse – und auch nicht beim Kiosk.

Denn da kann es nur einen geben, selbst wenn das für jeden ein anderer ist. Aus den vielen Kiosken der Stadt sucht sich jeder seinen Lieblingskiosk heraus, zum Beispiel ebenjenen »Rothschild Coffee Spot« an der Ecke Mazeh Street. Der ist dann der Beste, absolut. Nirgendwo gibt es zum Kaffee bessere Sandwiches oder Süßes, nirgends mittags einen besseren Salat, nirgends abends einen stärkeren Espresso zum Wiederwachwerden.

Zum Kiosk kann man zu jeder Zeit kommen. Der Kiosk strukturiert den Tag. Er ist ein fester und gemütlicher Aussichtsplatz aufs Leben, auch wenn er streng genommen auf einer Art Verkehrsinsel liegt. Bisweilen wird man daran erinnert durch quietschende Busse, Polizeisirenen oder hupwütige Auto-Autisten. Aber das ist ja der Sound von Tel Aviv, der immer dazugehört. Wer sich daran nicht stört, der sitzt auf der Verkehrsinsel wie auf einer Insel der Seligen.

DAN-BUS 5 BIS HABIMA/SDEROT TARSAT

Künstler und Lebenskünstler

HABIMA SQUARE

»Habima« heißt der Platz, und Habima heißt Bühne. Der Name kommt vom wuchtig-weißen Nationaltheater, das hier seinen Sitz hat. Und gleich daneben gibt es noch einen zweiten Palast der schönen Künste: das Charles Bronfman Auditorium, die Spielstätte des Israel Philharmonic Orchestra. Die Hochkultur hat an diesem Ort also ihre Heimstatt gefunden. Doch die größte Bühne ist nicht im Theater und auch nicht im Konzerthaus. Die größte Bühne der Stadt ist der Platz selbst.

Er ist bevölkert von Künstlern und Lebenskünstlern, von Kindern und Alten, von Tel Avivern und Touristen. Fast ganzjährig sonnengeflutet, ist er ein Treffpunkt für all die, die keinen Garten haben und keinen Balkon. Für die, die nicht allein sein möchten. Und natürlich auch für die, die gesehen werden wollen auf dieser Bühne.

Das kommt der Idee recht nahe, die der Stadtplaner Patrick Geddes in den Zwanzigerjahren mit diesem zentralen Platz verbunden hatte, an dem die wichtigsten Straßen Tel Avivs ihren Anfang nehmen: die geschäftige Dizengoff Street und der elegante Rothschild Boulevard. Eine »moderne Akropolis« wollte Geddes schaffen, das »kulturelle Herz« der Stadt sollte hier schlagen. 1935 begannen die Bauarbeiten am Theater, aber erst 20 Jahre später folgte das Konzerthaus. Die junge Nation hatte zwischenzeitlich offenbar anderes zu tun, als sich um die Kultur zu kümmern. Der Platz verkam zum Parkplatz.

Erst zum 100-jährigen Stadtjubiläum 2009 wurde der Habima-Platz seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt. Theater und Konzertsaal wurden aufwändig renoviert. Zur verdienten Geltung kommt nun auch die von Menashe Kadishman gefertigte Skulptur mit den drei runden, rostigen Scheiben, die scheinbar schwerelos und weithin sichtbar den Platz dominieren.

Die Autos parken jetzt im Untergrund, und auf der Plaza pulsiert das Leben. Durchaus minimalistisch ist sie gestaltet, doch maximal wird sie genutzt. Im Zentrum steht der »versunkene Garten« mit seiner grellbunten Blumenpracht, den Mandelbäumchen und Kakteen. Umrahmt ist er von hölzernen Stufen, die als öffentliche Sitz- und Liegemöbel temporär bewohnt werden von Müttern mit ihren Babys, von Liebespaaren und von all jenen, die sich gern mal mitten am Tag der Länge nach ausstrecken. Ringsherum ist reichlich Platz für Fußball spielende Kinder, für Radfahrer und Skateboarder, für Akrobaten und Jongleure. Das Leben wird zum großen Theater – täglich neu auf dem Bühnenplatz.

Der alte Norden

DAN-BUS 5 BIS DIZENGOFF STREET/BEN GURION BOULEVARD

Vitamine to go

TAMARA

DIZENGOFF STREET 171

DURCHGEHEND GEÖFFNET VON SA 19 UHR BIS FR 19 UHR

Angefangen hat der ganze Schlamassel ja bekanntlich mit einem Apfel. Der Garten Eden, die Schlange, Eva – und dann dieser Adam, der einer leckeren Frucht einfach nicht widerstehen konnte. Die Menschheit hat dafür mit der Vertreibung aus dem Paradies gezahlt. Mosche Nuri, genannt Moskito, aber hat daraus eine Geschäftsidee entwickelt. Er veredelt frische Früchte zu Säften und Smoothies, und die sind wirklich paradiesisch lecker.

Vor 25 Jahren hat er seinen ersten Saftladen auf der Sheinkin Street eröffnet. »Es war der Erste in ganz Israel«, sagt er, »vorher gab es höchstens mal einen Orangen- oder Möhrensaft zusammen mit Zigaretten und anderen Dingen am Kiosk.« Inzwischen hat er Hunderte Nachahmer gefunden, die ganz auf Säfte setzen. Die Vitamin-Buden sind zu einem Markenzeichen der Stadt geworden. »Säfte sind für Tel Aviv, was Tapas für Barcelona sind«, meint Moskito Nuri.

Die schönste aller Saftbars steht weithin leuchtend an der Ecke Dizengoff Street und Ben Gurion Boulevard. Nuri hat ihr den Namen »Tamara« gegeben. In dicken Säcken hängen hier die Orangen vom Dach herunter, rote Äpfel füllen die Körbe, dazu gibt es Kisten voller Bananen, Melonen-Pyramiden, Papaya-Berge, Erdbeeren, Zitronen, Birnen und natürlich das ganze Gemüse von der Roten Bete über die Kohlrabi bis zum Spinat. Aus der Ferne sieht das aus wie die Gemälde des Altmeisters Giuseppe Arcimboldo – und nicht selten hat man genügend Zeit, das Ganze mit musealem Abstand zu betrachten, weil die Schlangen lang sind vor dem »Tamara«.

»Tonnenweise verarbeiten wir hier täglich Obst und Gemüse zu Saft«, sagt Moskito Nuri. Den Großteil kauft er direkt vom Bauern, das garantiert die Frische. Er hat das Talent, Trends früh zu erkennen oder selbst zu setzen. Superfood hat er als Erster in Tel Aviv eingeführt und seine Säfte und Smoothies mit Açaí, Goji-Beeren und Spirulina angereichert. »Der Trend geht immer mehr zu gesunden Dingen«, sagt er.

Die Sache mit dem ewigen Leben mag Adam einst mit dem Biss in den Apfel vermasselt haben. Mehr als ein wenig Lebensverlängerung ist heute auch mit den besten Säften nicht mehr rauszuholen. Doch ziemlich sicher zählen die von »Tamara« zu den größten Versuchungen jenseits von Eden.

DAN-BUS 5 BIS DIZENGOFF STREET/BEN GURION BOULEVARD

Kreplach und Kneidlach

KETON

DIZENGOFF STREET 145

TEL 03–523 3679

TÄGL. 11.30–21.30 UHR

»Ich versuche alles so zu machen, wie es schon meine Großmutter gemacht hat«, sagt Orna Raskin. »Die Leute mögen es nicht, wenn wir auf der Speisekarte etwas verändern.« Also gibt es hier im »Keton« Gefilte Fisch, gehackte Leber, Kreplach und Kneidlach und natürlich allerlei Innereien vom Magen bis zur Leber. Derb und deftig, auf dass es einem warm wird ums Herz, und alles so zubereitet, wie es schon die Bubbe gekocht hat, die alte jüdische Großmutter.

In der dritten Generation führt Orna Raskin das kleine Familienrestaurant. Die Großeltern Zvi und Sara Rosenberg waren einst aus Polen eingewandert und hatten auf der früh schon pulsierenden Dizengoff Street ihr Glück mit einem kleinen Stand für Wassermelonen und Eiscreme versucht. Mittags brachte Sara ihrem Zvi das Essen, und das sah wohl so gut aus, dass bald die Kunden eher danach verlangten als nach Melonen.