Als Alina in Athen ankommt, wird ihr schnell klar – sie ist hier nicht die Einzige, die den Traum hat, Topmodel zu werden! Denn in Nicos' Hotel wohnen fast ausschließlich Models. Jetzt heißt es, Stilettos anschnallen, Brust raus und versuchen, die Konkurrenz zu ignorieren. Denn Alina hat nur diesen einen Sommer lang Zeit, sich mit Werbespots und Fotostrecken einen Namen zu machen – und bei Lars, dem schwedischen Superstar, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
© Heinz Hudelist
Chantal Schreiber, in Wien geboren, wollte eigentlich Sprachen studieren. Doch an der Uni erkannte sie: Danke, aber nein danke. Stattdessen entschloss sie sich zu einigen Lehr- und Wanderjahren als Fotomodell, Flugbegleiterin und Kellnerin. Immer wieder lebte sie längere Zeit im Ausland, zum Beispiel in Griechenland, Spanien, Australien und Japan. Dort lernte sie viele Flughäfen und einige neue Sprachen kennen und vor allem, dass Liebe und Freundschaft nicht an geografische Nähe gebunden sind. Dann schließlich hat sie ihren Traumberuf gefunden: Sie schreibt Liedtexte, Drehbücher fürs Fernsehen und Kinder- und Jugendbücher. Chantal Schreiber lebt heute mit ihrer Tochter Hannah in Wien.
Immer noch für Hannah
Und? Wie ist es? Platze schon! Cous, Ti
Weiß nicht. Heiß. Laut. Bin im Taxi zum Hotel. Meld mich. Couscous, Ali
Was wohl eine SMS von Athen nach Wien kostet?
Der Taxifahrer dreht sich zu mir um und grinst mich an, Zigarette im Mundwinkel. Er deutet aus dem Fenster.
»Over there Kolonaki! Many Coffeeshops!!«
»Ah ja.« Keine Ahnung, was ich sonst darauf sagen soll. Immerhin registriere ich beim Rundblick ein Internetcafé.
»Many men looking at blond girls!« Er zwinkert mir vielsagend zu.
»Ähm. Aha.«
»You model?«
Ich verfluche die Fotomappe, die am Flughafen aus meiner Tasche gerutscht ist.
»Ähm. Nein … ja, aber … Also eigentlich nicht, aber jetzt gerade schon!«
»Wofür genierst du dich eigentlich?«, höre ich Tine. »Du bist mit der Schule fertig und jetzt fährst du ein bisschen durch die Weltgeschichte und verdienst dir das Geld dafür mit Modeln! Ist ja nicht deine Schuld, dass du eine 90-60-90-Göttin bist – Geburtsfehler, sozusagen! Studieren kannst du immer noch!«
Na ja, mein Vater sieht das anders. »Bei meinem Talent« verschwendet man doch keine Zeit mit »so was«. Hat der ganzen Sache irgendwie den letzten Kick gegeben, dass er dagegen war. Sagt jedenfalls Tine, die Psychoexpertin.
Nicht, dass ich nicht auch beinahe vor Stolz geplatzt wäre, als meine Wiener Agentur mir gesagt hat, Athens Models wollen mich unbedingt für eine Saison haben. Natürlich war ich in Wien schon auf Castings, hab Fotojobs gemacht, aber es war immer so ein Nebenher-Ding. Neben der Schule, vor allem.
Aber Schule war gestern und ab heute bin ich ein Fulltime-Model.
Mein eigenes Geld verdienen! Titelblätter und Werbeverträge! Und international bin ich ab jetzt auch! Aus über zwanzig Nachwuchsmodels hat der Athens-Models-Scout mich ausgesucht! Tine hat recht. Wofür geniere ich mich eigentlich?
»You want to go out to party tonight?«
Der Taxifahrer schaut wieder zu mir nach hinten und grinst mich an.
Recht so, Junge. Bloß keine Zeit verlieren.
Eigentlich sieht er gar nicht so übel aus, wenn man den Typ mag. Griechisch blond mit Locken und grünen Augen. Der Goldzahn stört ein bisschen, aber immerhin passt er zu der Kette mit dem Kreuz dran.
»Ähm. Nein danke!«
»Ah! You have boyfriend!« Genau! Weil sonst würde ich doch noch in der Sekunde …
»Ja …«, greife ich dankbar nach dem Strohhalm. Ist zwar gelogen, aber er weiß ja nichts von Tom und der WG-Mitbewohnerin und dem BH in der Laptop-Tasche.
»I have two girlfriends!«
Aha, jetzt wird’s wirklich interessant. Frage ihn natürlich postwendend, wie viele Boyfriends denn seine Girlfriends haben.
Seine Augen blitzen auf in ehrlicher Empörung. »Is natural for man to have many women! Is not natural for girl to have many men!«
Als wir vor Nummer 5, Kalamitsa Street halten, habe ich eine heftige Diskussion über wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Untreue hinter mir. Zum Glück lese ich die Cosmo UND GQ! Ich weiß ALLES!
»You see!«, strahlt mein neuer Freund Yannis, als er mein Gepäck locker mit zwei Fingern aus dem Kofferraum hebt. »I’m strong! Three girlfriends no problem! Everybody happy!«
Ich gebe ihm das vereinbarte Fahrgeld und er schiebt mir einen Zettel mit seiner Telefonnummer in die Hand. An seiner Rechten blinkt eindeutig und unverkennbar ein goldener Ehering.
Ich schüttle den Gedanken an den problemlos durch drei Freundinnen und eine Ehefrau teilbaren Taxifahrer ab und schaue mir das Haus an, in dem ich die nächsten zwei Monate verbringen soll.
Eine bröckelnde Fassade, nicht mehr zu identifizierende Farbe, windschiefe kleine Eisenbalkons. »Nicos’ Hot l« steht in ausrangierten Leuchtbuchstaben über dem Eingang. Vielleicht hat das »e« ja Karriere gemacht und ist ins »Excelsior« übersiedelt. Beneidenswertes kleines e.
Dass Athen nicht gerade Paris ist, war ja klar, aber den Start meiner Auslandsmodelkarriere haben Tine und ich uns trotzdem eine Spur glamouröser vorgestellt.
Mein Handy brummt.
Und???????
Kann jetzt nicht, bin mit Taxifahrer in seine Wohnung, cous, Ali
Das Handy landet in der Reisetasche. Arme Tine.
Immer noch grinsend kämpfe ich mich mit zwei Reisetaschen und einem Rucksack durch die schmale Eingangstür in die Lobby von »Nicos’ Hotel«. Durch den Stoff der Reisetasche spüre ich das aufgeregte Brummen meines Handys.
21:28 Uhr
Meine News gelesen? Cous, Ali
Pff. Jetzt auf einmal. Ich denke, du bist bei dem Taxifahrer?
Nicht schmollen ;-), hab Neuigkeiten, siehe E-Mail!
Von: alinasoellner@jetmail.at
Gesendet: Mittwoch, 5. Juli, 20:01
An: tine.rausch@mysigns.at
Betreff: Schwedenbombe
Hallo, Süße,
endlich W-LAN und ich erreich dich nicht auf WhatsApp :-(. Dann eben per E-Mail:
Ich komme um drei am Nachmittag in diesem sogenannten Hotel an. Draußen 35 Grad im Schatten, nur gibt’s hier um die Zeit nirgends Schatten. Ich total verschwitzt. Drinnen etwa fünf Grad unter null plus drei Ventilatoren. Nicos, der Besitzer, ist an der Rezeption, ganz nett, spricht jedenfalls brauchbares Englisch. Gibt mir einen Haufen Papierkram zum Ausfüllen. In der Lobby kleine Bar, Tische, Fernseher. In der Ecke eine kleine Rothaarige mit Sommersprossen, sieht aus wie zwölf. Trägt einen Norwegerpulli, die Glückliche! Ich selber bin zu faul, einen Pulli aus meiner Tasche zu kramen.
Nicht ungeduldig werden, das Pullithema macht Sinn, ich schwör’s! Also, die Kleine im Pullover ordnet eifrig Bilder in ihre Mappe ein. Ich: »Hallo!« Sie schaut auf, holt Luft: »Wie heißt du? Wie alt bist du? Setz dich zu mir bist du aus Deutschland ach so aus Wien ich bin aus München ich heiße Penny also natürlich nicht wirklich Penny ist nur ein Nickname sieht aber gut aus auf der Setcard ich hab grad ein Shooting in Irland gehabt bei welcher Agentur bist du warst du schon mal hier welches Zimmer hat Nicos dir gegeben …«
WAHNSINN! Sie muss ein Lungenvolumen wie ein Sporttaucher haben. Ist aber auch zum Platzen voll mit nützlichen Informationen: Wo ist das nächste Café mit W-LAN (es gibt um die Ecke eine Art Taverne mit einem verstaubten Computer im Hinterzimmer – schimpft sich »Internet-Café« – aber jetzt sitze ich bei Starbucks in Kolonaki und tippe in mein Handy – tausendmal besser), welcher Bäcker hat die besten Croissants, wo geht man abends hin, wer wohnt noch hier bei Nicos (offenbar fast nur Models, männlich und weiblich) … Plötzlich bricht sie mitten im Satz ab, kriegt einen Blick wie Garfield bei Lasagne und starrt über mich weg zur Tür.
»Da ist Lars!«, haucht sie. Ich drehe mich um, durch die Tür kommt gerade ein Pärchen. Noch bevor ich ihn registrieren kann, bleibt mein Blick an ihr hängen. Marke weißblondes Gift, 1,80 m groß, ungefähr 1,75 m davon Beine. Das Ganze in einem Rock, den sie ganz offensichtlich ihrer vierjährigen Schwester geklaut hat, und einem Top, das man auch gut als Haarband tragen könnte.
Sie holt ein gehäkeltes Jäckchen aus ihrem Rucksack, streift es über und schmiegt sich an den Typen, mit dem sie gekommen ist, den Grund für Pennys Garfield-Blick. Ob der Blick gerechtfertigt war, kann ich jetzt allerdings blöderweise nicht beurteilen. Während ich wie hypnotisiert auf sie gestarrt habe, ist er nämlich an die Rezeption gegangen, quatscht nun mit Nicos und steht mit dem Rücken zu uns.
Penny fixiert also ehrfürchtig mit offenem Mund seinen Rücken. Offenbar ist die Unterhaltung wegen akuter Larsitis beendet.
Ich wechsle unauffällig an den nächsten Tisch, auf dem aufgeschlagen ein griechisches Magazin liegt.
Links irgendein Artikel, rechts eine ganzseitige Anzeige, schwarz-weiß, ein unwiderstehlich süßer Typ, mit nur einem Handtuch an, schnippt sich mit verwegenem Grinsen griechischen Markenrasierschaum vom Kinn.
Sehr niedlich. Ich muss natürlich an Tom denken, dem steht Handtuch nämlich auch sehr gut, und plötzlich merk ich wieder, wie kalt mir ist.
Ich fange also doch an, in meiner Tasche zu kramen, finde aber nur Spaghettitops. Hab ich überhaupt was anderes eingepackt?
»Ist dir kalt?« Ich schaue überrascht hoch und da steht der Typ vor mir, mit dem Blondie reingekommen ist, und hält mir seinen Pulli hin.
»Du kannst den Pulli haben …!« Grüngraue Augen hinter einem hornfarbenen Brillengestell. Hohe Backenknochen, schöner Mund – du weißt schon, nicht zu voll, aber eben doch … na ja, und ich hab irgendwie das Gefühl, ich hab ihn schon mal irgendwo gesehen …
Egal. Dunkelblondes welliges Haar, kein Riese, aber groß genug und mehr so der schmale, durchtrainierte Typ.
Definitiv aber hallo!
»Ähm … ja … nein danke, das ist wirklich nicht …«
Er lacht. »Ist schon o.k., du kannst ihn mir irgendwann zurückgeben. Nicos dreht die Klimaanlage immer zu stark auf. Wir nennen ihn ›Mr Freeze‹!« Polterndes Gelächter von Nicos. »Ich bin Lars, übrigens!«
»Oh …« Ich rapple mich auf (war schließlich halb auf den Knien am Boden neben meiner Tasche).
»Hi, ich bin Alina! Dann also …« Ich deute auf den Pulli. »Danke! Und du kriegst ihn wieder, sobald ich ausgepackt habe …«
Warum kommt mir dieser Lars nur so bekannt vor?
»Lass dir ruhig Zeit, ist nicht mein einziger.«
»Alles klar … also dann … bis demnächst …«
»See you!«
Er wendet sich ab, ich zieh den Pulli über den Kopf und spüre plötzlich sehr, sehr negative Schwingungen im Raum – kurzer Rundblick: Glühende Laser zielen unter den langen Wimpern der Blonden auf mich (bestimmt hat sie die Idee verflucht, ihr eigenes Jäckchen anzuziehen), und wer hätte das gedacht – auch in den unschuldigen blauen Augen von Penny leuchtet so was »Exorzist«-Mäßiges. Sie kriegt sich aber gleich wieder ein, rutscht hastig auf den Sessel neben mir und haucht: »Ist er nicht der Wahnsinn? Er kriegt alle guten Jobs, das da ist eines seiner besten Bilder … Da fällt mir ein: Das hab ich noch gar nicht doppelt …« Und sie reißt die Anzeige mit dem Rasierschaum-Mann aus dem Magazin!
Deswegen ist er mir so bekannt vorgekommen! Nur die Brille hat mich irritiert.
»Ist nur für meine Agentur in München«, meint Penny mit Blick auf die Anzeige, die sie hastig in ihre Fotomappe klemmt. »Er könnte dort soooo super arbeiten …«
Sie lässt einen sehnsüchtigen Blick Richtung Rezeption schweben, der aber von einem Eisstrahl aus Blondinien abgeschmettert wird.
»Ist wohl schon besetzt?«, flüstere ich. Penny rümpft das Näschen. »Ach, das ist bloß Pia. Sie hätte ihn gern – aber da hat er echt was Besseres verdient!« Kein Zweifel, Penny wäre was viel Besseres!
»Außerdem hab ich gehört, er hat eine Freundin in Schweden …« Dumme Sache! »… und er steht auch überhaupt nicht auf Blond!«, fügt sie mit Blick zu mir vielsagend hinzu.
»Na, dann pass ich wohl besser auf, dass keine Haare von mir an seinem Pulli hängen bleiben …«, sage ich grinsend.
Also das war das.
Diese Pia ist übrigens viiiiiiiiel blonder als ich. Aber das nur am Rande.
Morgen 10 Uhr bin ich in der Agentur,
erzähl dir dann alles,
cous-cous a.
PS: Ach ja, das Zimmer: Doppelbett, staubiger Minibalkon, immerhin ein Ventilator. Tisch am Fenster. Mäßig sauberes Bad. Ekliger Duschvorhang, der immer an mir kleben bleibt. Könnte einen deprimieren, wenn man nicht so eine Frohnatur wäre.
Zwei Minuten dort und schon zwei Feindinnen, typisch für dich!
Keiner liebt mich außer Tine!
Das wird mal auf deinem Grabstein stehen! Schreib dir morgen! Nix Neues von Tom! Mach's gut! Cous! Ti
»Du bist nicht ganz eins fünfundsiebzig, oder?« Magda von Athens Models mustert mich mit zusammengekniffenen Augen.
»Nein, nur eins vierundsiebzig, aber meine Agentur in Wien … «
»Jaja, schon gut, wir lassen es.« Sie studiert meine Billigsedcard: vorne ein Headshot, Maße, Kleider- und Schuhgröße, Agentur-Logo; auf der Rückseite ein ziemlich heißes Badeanzugfoto, von meinem allerersten Job. »90-60-90, hmm …?« Sie schaut von der Karte auf und mustert mich wieder.
Verdammter Röntgenblick!
»Ich weiß, mein Busen ist ziemlich groß …«, fange ich an, mich zu rechtfertigen, weiß der Geier warum, aber Magda unterbricht mich wieder.
»Ist er echt?«
Himmel, meint die das ernst? Ich bin noch nicht mal achtzehn!
»Als ich zuletzt nachgesehen hab, war er’s noch …«
Magda verzieht keine Miene. »Sehr gut. Der Busen ist ein Vorteil. Die meisten Blondinen, die gerade in der Stadt sind, haben zwar bessere Beine, aber dafür BHs ohne Inhalt.«
»Also meine Beine sind nur muskulöser, weil ich viel Sport mache und so …«
»Keine Sorge, Alina«, Magdas sorgfältig geschminkte Lippen verziehen sich zu einem kleinen Lächeln, »wenn du fett wärst, hätten wir dich nicht ausgesucht. Nein, nein, du wirst sicher gut arbeiten. Tatsächlich habe ich für morgen schon eine Ganztagesbuchung für dich.«
Mein Herz macht einen kleinen Sprung. Lass es für eines der Modemagazine sein, biiiiitte! Das ist der Grund, warum Anfänger im Modelbusiness überhaupt nach Athen gehen: Hier kann man noch Veröffentlichungen in Vogue, Elle und anderen Hochglanzmagazinen bekommen – Bezahlung schlecht, aber unverzichtbar für Mappe und Sedcard. Und die wiederum unverzichtbar für Erfolg in dem Geschäft. Und der wiederum unverzichtbar für meine triumphale Rückkehr nach Hause.
»Und wofür?«, frage ich zaghaft.
»Ein Pelzkatalog. Sehr gut bezahlt.«
Mist, verdammter. Ich merke genau, dass ich einen feuerroten Kopf kriege.
»Aber ich … ich habe meine Agentur in Wien extra noch mal gebeten, ganz klar zu sagen …«
Ein eisiger Blick, hochgezogene Augenbrauen: »Was zu sagen?«
Ich hole tief Luft. »Dass ich keine Pelzaufnahmen mache. Übrigens auch keine Zigarettenwerbung.« Ich wappne mich. Sie wird mir unweigerlich einen Vortrag darüber halten, dass das unprofessionelles Verhalten ist, dass es sich bei der Konkurrenz kein Model leisten kann, auf Jobs zu verzichten. Aber sie macht sich nur eine Notiz auf einer meiner Karten und fragt, ohne mich anzusehen. »Alkoholische Getränke?«
Ich räuspere mich. »Ähm … kein Problem.«
»Du bist also mehr um die Lungen der Menschen besorgt als um ihre Lebern?«
»Na ja, es ist mehr, weil … wenn jemand trinkt, dann schadet er nur sich selbst, aber wenn jemand raucht …« Himmel, ich klinge wie eine Klosterschülerin!
»Schon gut. Lederbekleidung?«
»Ist auch o.k., denke ich.«
»Also, wenn wir den Kunden bitten, die Mäntel zu rasieren, dann machst du den Job?«
Ich sehe genau hin: nicht die Spur eines Lächelns.
Ich werde noch röter, als ich ohnehin schon bin, und wütend: Ob mehr auf mich oder mehr auf Magda kann ich im Moment nicht sagen. »Ich bin eben gegen Pelztierhaltung! Es ist grausam und unnötig und drum will ich nichts damit zu tun haben! Es tut mir leid, wenn meine Wiener Agentur nichts davon gesagt hat, aber so ist es nun mal!« Wer ist nur dieses kleine, aufgeregte Mädchen?
Magda hebt die schmal gezupften Brauen noch ein Stückchen höher. »Entspann dich. Wir sind eine Modelagentur. Wir vermitteln nur. An alle, die Interesse haben, wie du siehst.« Sie deutet auf ein »Beauty-against-Cruelty«-Poster, das hinter ihr gerahmt an der Wand hängt. Hätte ich auch eher bemerken können.
»Oh. o.k.« Ich bin immer noch rot, räuspere mich. »Also, dann ist ja alles klar. Sind heute irgendwelche Castings oder …?«
Sie reicht mir eine Liste mit Adressen, daneben sind Uhrzeiten notiert. »Zwei Go-sees bei Fotografen, die viel mit uns arbeiten. Ein Casting für einen Nescafé-Commercial, zwei für Bademoden. Hast du einen Stadtplan?«
Ich nicke und krame ihn aus meinem Rucksack.
»Na dann …«, meint Magda mit dem Anflug eines Lächelns und lehnt sich in ihrem Sessel zurück, »würde ich vorschlagen, du gehst in ein Café und studierst ihn.«
Ich packe den Plan verdattert wieder ein.
»Du könntest das ja gerne auch hier tun …« Sie nimmt eine Packung Zigaretten aus ihrem Louis-Vuitton-Bag. »Aber ich will auf keinen Fall deiner Lunge schaden! Jassu, Alina!« Sie steckt sich eine Zigarette an und widmet sich der wartenden amerikanischen Vogue auf ihrem Schreibtisch.
In zehn Minuten wird mir sicher etwas unglaublich Schlagfertiges einfallen, das ich hätte sagen können, aber jetzt warte ich vergeblich drauf.
Ich werfe meinen Rucksack lässig über die Schulter und schlendere entspannt an den Regalen mit Sedcards vorbei, um mir selbst das Gefühl zu nehmen, dass ich gerade vor die Tür gesetzt wurde. Sie sind schön alphabetisch geordnet von Anastasia, Anne-Marie, Athina bis zu Véronique und Zara. Und da ist auch Penny. Ihre Karte schau ich mir genauer an und muss lachen. 1,74 m? Sie geht mir kaum bis zur Schulter. Aber fotogener, als ich gedacht hätte.
Die Männer-Abteilung ist um einiges kleiner, aber durchaus sehenswert. Zu schade, dass Tine nicht da ist. Ihr wären bestimmt ein paar »Aber hallos« entwischt. Ein Amerikaner namens Jason erinnert mich an Tom. Groß, dunkel, blaue Augen. Lieber nicht dran denken. Ich gehe einen Schritt weiter.
Und da ist er wieder, der Typ mit dem Pullover und der Rasierschaumwerbung. Ein Name wie aus einem Astrid-Lindgren-Buch: Lars-Ole Lindström.
Größe: 1,82 m. Augen: grün, Haare: dunkelblond; Winner »Look of Scandinavia«; …
»Ah, Lars …«, ertönt Magdas Stimme hinter mir und ich zucke zusammen wie ertappt. »Ein Phänomen, dieser Junge. Ist seit zwei Monaten hier und arbeitet jeden Tag. Hat alle wichtigen Jobs bekommen, Commercials, Plakate, alles. Muss irgendwie an seiner Ausstrahlung liegen. Na ja, sein Alter spielt wohl auch mit.«
»Sein Alter?«, frage ich neugierig, ohne mich bremsen zu können. »Wie alt ist er denn?«
Magda sieht mich spöttisch an. »Kaum angekommen und schon Mitglied im Fanklub?«
Ich spüre, wie ich wieder rot anlaufe. »Gar nicht«, antworte ich ärgerlich, »ich steh nicht auf männliche Models!« Warum klingt nur alles, was ich zu dieser Frau sage, so kindisch und trotzig? Tine und ich waren uns einig, dass man männliche Models vergessen kann. Zu eitel und egozentrisch und überhaupt. An einem Mann, der nur von seinem guten Aussehen lebt, was kann an dem schon dran sein?
Was war noch mal der gravierende Unterschied diesbezüglich zu weiblichen Models?
»Ich bin nur neugierig!«, füge ich hastig hinzu.
»Er ist siebenundzwanzig. Viel Glück bei den Castings und Check-in um 17 Uhr nicht vergessen!« Sie hat den Blick wieder auf ihre Vogue gesenkt, aber mir ist klar, dass ich nun endgültig entlassen bin, ob ich will oder nicht.
Im Treppenhaus werfe ich einen Blick auf mein Handy.
Alles o.k. bei dir, Große? Meld dich mal. Umarmung, Mam
Süß von ihr. Eigentlich hat sie’s nämlich nicht so mit dem Schreiben von SMS. In ihre E-Mails schaut sie aber alle paar Tage, im Gegensatz zu Paps, der immer noch findet, dass er die ganze Elektronik nicht braucht. Er wehrt sich auch hartnäckig gegen ein Handy – na ja, das hat man davon, wenn man seinen Professor heiratet: Erst ist er nur zwanzig Jahre älter und dann benimmt er sich plötzlich wie ein Opa. Aber sie hat’s trotzdem nie bereut, soviel ich weiß. Ich glaub sogar, sie ist immer noch verknallt in ihn. Und er weiß bis heute nicht, was sie an ihm findet – wenn er über Mam redet und wie sie sich kennengelernt haben, dann klingt es immer, als würde er von einem Lottogewinn erzählen, total süß.
Ich antworte gleich.
Alles bestens, erobere griechische Modewelt im Sturm, lauter nette Leute, umarm dich auch, Ali
Und dann schick ich noch eine Nachricht an Tine.
Feindin Nummer drei: die Agenturchefin. Hab Nichtraucherin raushängen lassen. Als hätt ich Cruella de Vils Hundebaby weggenommen. Frustcous, Ali
Ich starre das Handy eine halbe Minute lang hoffnungsvoll an, aber es kommt keine Antwort. Seufzend stecke ich es ein und trete aus dem kühlen Treppenhaus in die vormittägliche Hitze der Athener Innenstadt.
Ohne Orientierungssinn, aber mit dem Instinkt der Caffè-Latte-Süchtigen finde ich den Syntagma Square und gönne mir erst mal ein Frühstück.
Das Casting für einen Bademodenkatalog eine Stunde später lässt mich wünschen, ich hätte nicht nur dieses Frühstück, sondern auch die der letzten drei Monate weggelassen. Etwa dreißig Mädchen. Und alle haben schlankere Beine und kleinere Hintern als ich. Mal abgesehen von den volleren Lippen und den weißeren Zähnen.
Ich fühle mich wie Aschenputtel. Vor der Verwandlung, wohlgemerkt.
Nein, eigentlich fühl ich mich mehr wie der Kürbis.
Ich zupfe an dem Oberteil herum, damit es wenigstens die Brustwarzen verdeckt, und versuche, mich so vorsichtig zu bewegen, dass dabei nichts schwabbelt.
»Next please!«
Ich stelle mich auf das weiße Kreuz und warte insgeheim darauf, dass jemand fragt: »Was macht denn die da?«
»Danke, Gott, endlich eine mit Busen!«, tönt es von irgendwo hinter der Kamera.
Ich kann wegen der hellen Scheinwerfer niemanden erkennen. Wie kann der Typ das so laut sagen! Die anderen hören das doch alle!
Da, bitte!
Nun sind die Leute entgegen meiner Erwartung von mir begeistert und trotzdem bin ich unzufrieden! Wahrscheinlich hat mein Vater doch recht und das Ganze ist nichts für mich. Ich ziehe mich im Rekordtempo an, lasse eine Karte da und verschwinde.
Kontrollblick aufs Handy.
Alle Männer hassen Brad Pitt. Alle Frauen hassen dich! Alles wird gut! Cous, ti
Mein Tinchen! Ich fühl mich erst mal besser und stärke mich im nächsten Kaffeehaus mit einem eisgekühlten Nescafé Frappé. Muss Tine unbedingt so einen Shaker mitbringen, in dem man das Zeug anmixt.
Ein paar Castings und einen heißen Nachmittag später schleppe ich mich zurück Richtung Hotel, verschwitzt und mit Blasen an den Füßen.
Der Schriftzug »Nicos’ Hot l« ist schon in Sichtweite, als mein Handy läutet.
»Hallo, Alina, Magda hier. Wo bist du?«
»Gerade auf dem Weg ins Hotel.«
»Sorry – aber du musst noch mal zurück ins Zentrum!«
Ich kann mich nicht beherrschen, stöhne genervt. Die Frau bleibt ungerührt.
»In diesem Job muss man flexibel sein. Ich habe noch ein Casting für dich, in einer halben Stunde. Für Kosmetik.« Kleine Pause. »Du machst doch Kosmetik-Jobs, oder?«
Ich schreibe innerlich fluchend die Adresse auf.
»Die Castings für morgen habe ich Nicos durchgegeben. Schönen Abend.«
Ob Claudia Schiffer jemals in irgendeiner Stadt staubig, verschwitzt und mit Blasen an den Füßen von Termin zu Termin gehetzt ist?
»Taxi!!!«, brülle ich. Der Taxifahrer legt eine Notbremsung hin und kurbelt das Fenster herunter.
»Ah!« Yannis grinst und sein Goldzahn blitzt. »My girlfriend from Austria!«
Auf dem Weg zum Casting lasse ich erschöpft seine Ausführungen über schicksalhafte Zufälle und die mannigfachen Qualitäten von griechischen Männern über mich ergehen.
Ich werfe einen Blick in meinen Handspiegel. Die Wimperntusche hat sich zu gut sechzig Prozent unter meine Augen verlagert, meine Poren sind verklebt mit Schweiß und Athener Abgasen, und vom neu aufgetragenen Lippenstift lassen sich direkte Rückschlüsse auf Yannis’ Fahrstil ziehen. Auf meiner Stirn wächst etwas, das hoffentlich nur ein Pickel ist und nicht Symptom der beginnenden Verwandlung in eine Ziege.
»Na toll!«, murmle ich. »Idealer Zeitpunkt für ein Kosmetikcasting!«
Müde, wie ich bin, pfeif ich aufs Geld und bitte Yannis, auf mich zu warten.
Bei dem Kosmetikcasting interessiert sich komischerweise niemand für mein Gesicht. Dafür betrachten sich drei ältere und ein junger Mann mit großem Interesse meine zwei Bilder in Unterwäsche.
»Changing room is over there …« Einer von ihnen winkt mich in ein Nebenzimmer. Irgendwie ist mir ein bisschen komisch zumute. Wieso umziehen?
Zum Glück schält sich in dem Umkleideraum gerade eine Amerikanerin, die ich bei einem der anderen Castings heute kennengelernt habe, aus hautengen Hotpants. Verdammt. Stacy? Tracy? Warum hab ich so ein schlechtes Namensgedächtnis? Immerhin hatten wir eine halbstündige Unterhaltung darüber, ob die Pommes bei McDonald’s oder Burger King besser sind.
»Paulina!«, ruft sie mir entgegen. »How are you doing?«
Mein Namensgedächtnis irritiert mich plötzlich viel weniger, dafür etwas anderes. »Was ist das hier??«, zische ich halblaut. »Wofür ist das hier?«
Sie klopft sich grinsend auf eine gebräunte Pobacke. »Oh, für Cellulitis-Creme! Sie machen ein Polaroid von deinem Hintern!«
Na ja, jetzt weiß ich wenigstens, wieso den Herrschaften der Pickel auf meiner Stirn ziemlich egal war.
Ich bin mir plötzlich sehr sicher, dass ich nicht vor dem Tisch auf- und abstolzieren und den vier Männern meinen Hintern hinhalten will.
Wie komme ich bloß hier raus, ohne dass die Agentur sauer auf mich ist? Tracy oder Stacy schaut mich mitleidig an. Offenbar kann sie Gedanken lesen. »Sag einfach, du hast Bikinistreifen – vorhin haben sie deswegen eine weggeschickt!«
Bikinistreifen, natürlich! Oder noch besser: Sonnenbrand! Ausschlag! Warzen!
Es lebe die Unvollkommenheit!
Ich warte, bis Stacy/Tracy auf ihren Slingpumps in Unterwäsche in den anderen Raum stöckelt, und husche unauffällig hinterher, irgendwas von Bikini und Sonnenbrand murmelnd, und dann nichts wie raus. Da ohnehin aller Augen auf der fast textilfreien Amerikanerin sind, eine leichte Übung.
Was für ein erster Tag! Ich will mich einfach nur ins Taxi fallen lassen und dann nichts wie ab zu Nicos’ Hotel! Ich hab nicht mal den Nerv, noch ins Internetcafé zu schauen, ich will bloß noch ins Bett.
Mist, Yannis’ Taxi steht zwar hier – eher lieblos in zweiter Reihe geparkt – aber wo ist der Typ hin??
Ich schaue mich um. Natürlich! Er hat eine Gruppe Models entdeckt und lässt seinen Charme spielen. Na toll. Jetzt kann ich ihn auch noch dort loseisen.
Ich hole tief Luft und nehme Kurs auf das Grüppchen. Das nervt! Wahrscheinlich läuft auch die ganze Zeit fröhlich der Taxameter. Aber nicht mit mir!
Ich erhöhe das Tempo.
Komisch! Von der anderen Straßenseite scheint eine groß gewachsene Griechin auf dasselbe Ziel zuzusteuern. Dunkle Locken, Leinenkostüm, hohe Absätze und sehr entschlossener Blick. Was die wohl will? Hat Yannis vielleicht ihren Wagen zugeparkt? Sie erreicht ihn kurz vor mir, reißt ihn am Arm herum und lässt einen wütenden Wortschwall auf ihn los, unter dem er innerhalb von Sekunden um fast einen halben Meter schrumpft.
Und ich hab gedacht, so was gibt’s nur im Zeichentrickfilm!
Sie deutet auf die Models, er will sie beruhigen, sie stößt ihn weg.
Ich atme tief durch und sage in meinem höflichsten Tonfall: »Verzeihen Sie, aber ich habe das Taxi bestellt …!«
Sie fährt herum. »This is a private conversation!«
Privat, haha! Die beiden haben bereits die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Balkonier des Viertels.
»Ich nehme an, Sie haben die Damen gefragt, ob jemand von ihnen das Taxi bestellt hat?«
Yannis schaut mich eine Zehntelsekunde verblüfft an, stimmt dann heftig zu.
»Die Agentur hat es für ein blondes Model bestellt, das stimmt doch, oder …?«
Yannis nickt lässig, er ist sichtlich ein Improvisationstalent.
»Correct! Ah, so it is you! I couldn’t find you!«
»And this is true?«
Die Augen der Furie durchbohren Yannis. Sie durchbohren die eingeschüchterten Models. Yannis schwört, die Mädels nicken verschreckt, sichtlich in der Hoffnung, damit die Furie vom Hals zu haben. Die gefährlichen Augen werden sanft, die Furie wird zu Bambi. Sie nimmt Yannis’ Gesicht in ihre Hände, küsst ihn auf den Mund und murmelt irgendetwas. Er regt sich noch ein bisschen künstlich auf, küsst sie dann zurück, gibt ihr einen Klaps auf den Hintern, den sie komischerweise nicht mit neuerlichem Zorn, sondern mit einem verheißungsvollen Blick quittiert.
Muss Liebe schön sein!
Sie dreht sich endlich um und geht. Was für ein Gang! Da könnten die meisten Models noch was lernen!
»Deine Frau?«, frage ich.
Er nickt. »I live down this street. Very close.« Wir gehen zurück zum Wagen und er ist die ganze Fahrt bis in die Kalamitsa erstaunlich schweigsam. Vor Nicos’ Hotel angekommen, steigt er aus und öffnet mir die Wagentür. Ich klettere matt aus dem Taxi, etwas verblüfft über so viel Galanterie. Er schaut mir einen Moment in die Augen, umarmt mich dann kurz und heftig, macht einen Schritt zurück.
»Now …«, sagt er mit tiefem Ernst, »you have a friend in Greece!«
Steigt in sein Auto, winkt lässig zum Fahrerfenster heraus, fährt weg.
Es geht doch nichts über ein klassisches griechisches Drama.
Ich blicke zum griechischen Sternenhimmel auf. Keine Sterne, nur schmutziger Dunst. Armes, verlassenes Mädchen in der Fremde. Ich taste nach meinem Handy.
Bin unter die Pfadfinder gegangen!
Es dauert nur ein paar Sekunden.
Hää? Heißt das, du hast ins Hotel zurückgefunden?
Das UND eine gute Tat getan! Morgen kauf ich mir einen Wimpel. Cous, Ali
Das Handy wandert in den Rucksack und ich öffne die Tür zu »Nicos’ Hot l«.
»Verlassen«! Wie bin ich bloß auf die Idee gekommen?
Von: tine.rausch@mysigns.at
Gesendet: Samstag, 8. Juli, 02:16
An: alinasoellner@jetmail.at
Betreff: Tom-Update
Hallo, Superstar, komme gerade heim, war »nur schnell was essen gehen« mit den Mädels. Abschiedsabend, morgen zische ich nach Gmunden, bei Muttern im Hotel helfen – muss mir schließlich irgendwie das Wakeboardtraining verdienen, nur noch zwei Contests vor den Staatsmeisterschaften! Aber zum Glück kommt Ronja auch, meine Cousine aus München, dann bleibt wenigstens nicht alles an mir hängen.
Na ja, jedenfalls Tom gesichtet. Sorry, aber du wolltest die Wahrheit: Er war mit brünettem Anhang unterwegs. Bauchfrei, Glitzerjeans, türkisfarbener(!) Schmetterlingsstring! Ich könnte jetzt natürlich sagen, ich weiß nicht, was er an ihr findet, aber ich weiß es ja doch. War nicht zu übersehen und wahrscheinlich hab ich noch nächtelang Albträume von den Dingern. Hätte Tom gern mit Nichtachtung gestraft, aber blöderweise hat er mich gar nicht gesehen.
Hoffe, du hast ihn schon vergessen, das hat er nämlich verdient. Die Mädels halten mich auf dem Laufenden, aber ehrlich: Würde dir lieber beim Vergessen helfen und keine Berichte mehr abgeben. Denk drüber nach.
CousCousCous!
Tine
PS: Wo ist mein Update?
PPS: Vermiss dich!
PPPS: Vermiss dich noch mehr!
PPPPS: Pauli lässt dich grüßehbnnnnnnnnnnnnnnnnn jetzt ist er auf der Tastatur. Na toll. Ich steh auf Katzenstreu-Krümel zwischen meinen Laptop-Tasten.
PPPPPS: Neues von der Schwedenbombe?
Von: alinasoellner@jetmail.at
Gesendet: Sonntag, 9. Juli, 19:21
An: tine.rausch@mysigns.at
Betreff: Update und Tom
Hallo, Tinchen,
also erst mal: Du hast recht. Keine Berichte von der Tom-&-Tussi-Front mehr. Sollte ihn endlich a-tom-isieren, haha. Also Themawechsel.
Sitze im unglaublichsten Lokal. Vorne gibt’s Fisch und Souvlaki und hinten einen Computer, der riecht wie eine alte Bratpfanne; nicht so hip, aber viel billiger als das Café am Syntagma Square. Hab’s zufällig nach einem Casting am Freitag entdeckt – für einen Matratzenjob! Der Fotograf hat von jeder ein Polaroid gemacht: schlafend!
Oh bitte, bitte, ich will diesen Job! Geldverdienen im Schlaf! Bin auf Option dafür, zusammen mit Pia. Bis Dienstag entscheidet sich, wen von uns beiden sie nehmen. Der Freitag ist mit massenhaft Castings so schnell vergangen, auf einmal war’s Abend und ich wieder im Hotel und sogar zu müde zum Essen. Hab durchgeschlafen bis zehn; steh auf, dusche; will nach unten gehen, um mir an Nicos’ Bar einen Kaffee zu holen, und trau meinen Ohren nicht: Da zerschneidet diese Stimme den Samstagmorgen: »Erstes Casting elf Uhr dreißig, für einen un-glaub-lich wichtigen Kunden!«
Magda!!!! Was macht die hier??? Am Samstag? Verdammt! Wieder umdrehen geht nicht, von unten kann man schon meine Füße auf der Treppe sehen: Ich gehe also vorsichtig weiter. Mann, die Stimme geht einem durch und durch!
»Astrid, du musst bis elf Uhr dreißig noch drei Kilo abnehmen! Heul nicht, Mädchen, in diesem Job muss man flexibel sein!« Schallendes Gelächter. Häää? Was’n hier los? Und dann hab ich endlich den Überblick: Klein Penny, auf der Bar thronend, droht Astrid, einem der schwedischen Mädchen, mit einer zusammengerollten Vogue. »Drei Kilo weniger, aber kein Gramm davon am Busen! Verstanden?« Sie war das! Das Mädel ist unglaublich! Ich hätte geschworen, es war Magdas Stimme!
An den kleinen Tischen sitzen in Grüppchen die meisten meiner Mitbewohner und johlen vor Begeisterung. Hinter der Bar steht Nicos und macht Kaffee. Penny rutscht von der Bar, macht eine kleine Verbeugung und lässt sich applaudieren.
»Morgen!«, sage ich zu allen und niemandem.
»Morning, Sleeping Beauty!« Nicos grinst. »Coffee?«
Jaaaaaaaaa! Ich atme einmal tief durch, aber auch wirklich nur ein Mal, denn dann setzt Penny sich zu mir und ich trinke schnell die ersten Schlucke Kaffee, um gewappnet zu sein.
»Ich will nämlich Schauspielerin werden weißt du ich hab schon im Schülertheater immer die Hauptrollen gespielt die haben gesagt ich bin sehr begabt und im Fernsehen war ich auch bei einem Stimmen-Imitatoren-Wettbewerb da bin ich nur Zweite geworden aber das war bestimmt Schiebung …«
Mann.
Der Trick ist, schon vorher zu ahnen, wann sie Luft holen muss, und da hinein sagt man dann schnell was, um sie abzulenken. Ich hab heute nur noch zwei Versuche gebraucht:
1. »Die war echt toll, die Imitation von Magda …« Schwerer Fehler! Mit Penny von Penny reden, da fällt ihr viel zu viel drauf ein: »Du solltest erst mal hören wenn ich Nicos nachmache das geht natürlich nur wenn er nicht da ist aber ich kann auch berühmte Leute zum Beispiel …«
2. Versuch: »Oh, Lars hat grade rübergeschaut, ich glaub, er will was von dir …« Viiiiiiieeeeeeeeel besser! Zzzzzzzz und weg ist sie. Lars hatte seinen Kaffee schon, der kann das besser verkraften als ich.
Pia sitzt natürlich neben ihm. Sie versucht, Penny per Blick wegzufrosten, aber die ist offenbar immun gegen Gefrierbrand. Jedenfalls sind die drei so miteinander beschäftigt, dass man einen Schwedenbomben-Blick riskieren kann (tu ich natürlich nur für dich!).
Er ist schon ziemlich süß, auch im Samstagmorgen-Look: zerstrubbelte Haare, Bartstoppeln und diese niedliche Brille. Blöderweise zu viele andere Frauen im Spiel – das hatte ich ja gerade.
Model ist er außerdem! Was das angeht, waren wir uns doch einig! Und – Tom und ich, das waren immerhin zwei Jahre, bin noch nicht fertig mit Wunden lecken und so.
Hab dann gestern einen Schönheitstag eingelegt, Magda hat so böse Blicke auf meinen abgesplitterten Nagellack geworfen.
Und heute hab ich nur ein bisschen Sightseeing gemacht und Kaffeehäuser ausprobiert. War zu heiß für mehr.
Vermiss dich auch!
Cous, Ali
PS: Pass auf dich auf beim Wakeboarden! Oder noch besser: Steig endlich auf etwas um, was für Mütter und beste Freundinnen nicht so nervenaufreibend ist: Schachspielen?? Billard? Sackhüpfen?
Ich gehe auf »Senden«.
Tine und ihr Wakeboard! Hab ihr letzte Saison bei fast jedem Contest die Daumen gedrückt. Nicht so sehr, dass sie gewinnt, sondern vor allem, dass sie sich nichts tut. Bei jedem Event gab’s Verletzte: gebrochene Handgelenke und Rippen, Blutergüsse, Prellungen, ein Schienbeinbruch, eine Wirbelsäulenverletzung. Tine ist zum Glück noch nie was passiert, abgesehen von haufenweise blauen Flecken. Was soll man machen, sie ist verrückt nach diesem Sport. Und bei den Staatsmeisterschaften letztes Jahr war sie immerhin Dritte. Was angeblich nichts Besonderes ist, weil in Österreich das Niveau nicht so hoch ist wie anderswo. Ich war trotzdem mächtig stolz auf sie. Sie würde am liebsten Profi werden, aber ohne Sponsor läuft nichts. Und ohne ihre Mutter sowieso nicht. Die besteht drauf, dass sie die Hotelfachschule fertig macht. Sicher wünscht sie sich, dass Tine irgendwann die Pension übernimmt. »Irgendwann« will Tine das vielleicht sogar – aber jetzt will sie nur eines: wakeboarden. Na, sie weiß wenigstens, was sie will.
Blödsinn, ich weiß es doch auch. Sprachen studieren war schon immer mein Traum. Glaub ich wenigstens. Nur dass ich mir jetzt nicht mehr so sicher bin, ob das nicht eher Paps’ Traum war und ich ihn nur brav mitgeträumt habe.
Aber selbst wenn! Wo steht denn, dass man nicht mehrere Träume träumen kann? Und zurzeit gefällt mir der Traum von einer internationalen Modelkarriere ziemlich gut. Ein Vogue-Titelblatt. Eine Marie-Claire-Modestrecke. Ein Calvin-Klein-Plakat. George Clooney auf einer Party treffen und mir vorstellen, wie Tom einen Schnappschuss von uns beiden in einer Society-Kolumne entdeckt. Und dann wären da noch die zweiwöchigen Bikini-Shootings auf den Bermudas, die Fünf-Sterne-Hotelsuiten, die Erste-Klasse-Flüge – ist ja auch nicht der schlechteste Traum, oder?
Als ich nach fünfzehn Minuten Gehzeit Nicos’ Hotel erreiche, habe ich noch einen Privatjet und meine eigene Bikini-Kollektion dazugeträumt. Und einen italienischen Autorennfahrer als Boyfriend. Natürlich nur wegen der Sprachkenntnisse.
An der Rezeption streitet Nicos mit seiner Frau Mercedes. Sie ist Spanierin und viel jünger als er. Als er sich abwendet, ruft sie auf Spanisch hinter ihm her: »Die Babykacke steht mir bis hier! Ich will endlich wieder ausgehen! Alter Langweiler!«
Nicos macht nur eine wegwerfende Handbewegung und geht in sein Büro. Versteht wohl kein Spanisch – oder tut zumindest so. Mercedes stampft wütend zur Bar und gießt sich ein Glas Wein ein.
Der Fernseher in der Lobby ist an, es läuft eine Folge von »Das Model und der Schnüffler« mit Bruce Willis und Cybil Sheperd. Auf Englisch mit griechischen Untertiteln. Genau das Richtige für einen Sonntagabend.
Ich lasse mich in einen der kühlen Ledersessel fallen und genieße die Aircondition. In meinem Zimmer ist nur ein Ventilator, es kann also nichts schaden, vor dem Schlafengehen ein bisschen Kälte zu speichern.
Ich stecke gerade mitten in der tiefsinnigen Überlegung, ob Bruce Willis damals, als er noch Haare hatte, besser ausgesehen hat, da kommt jemand von oben aus einem der Zimmer.
»Mercedes, ist es o.k., wenn ich das Telefon benutze?«
Es ist Lars. Er kann echt gut Englisch. Nur ein ganz schwacher Akzent, und sehr weich. Und ich mag seine Stimme. So ruhig und trotzdem irgendwie sexy … und haaaaaaaaalt! Vollkommen falsche Richtung, die meine Gedanken da einschlagen. Konzentriere mich wieder auf Bruce. Das fällt schwer, weil Mercedes unüberhörbar ihren Charme von null auf hundert dreht.
Sie nimmt den Zähler in Betrieb, gibt ihm das Telefon, erklärt ihm wortreich, dass sie ihn selbstverständlich allein lassen wird, damit er in Ruhe telefonieren kann, und geht wieder zur Bar, nicht ohne sich bei jedem zweiten Schritt umzudrehen und ihn anzulächeln. Als ob sie nicht von der Bar aus auch jedes Wort verstehen könnte!
Aber sie hat Pech. Er telefoniert zwar gut hörbar, aber auf Schwedisch.
Hat eine ganz eigene Melodie, die Sprache – weicher als Deutsch, deutscher als Englisch – und offenbar mit beidem irgendwie verschwägert, weil ich einzelne Wörter verstehen kann. Aber eigentlich verstehe ich mehr den Tonfall. Erst ruhig, geduldig. Dann müde, etwas genervt. Dann kommt unterdrückter Zorn durch und schließlich bellt er ziemlich wütend in den Hörer und legt auf. Ich halte den Atem an, Mercedes auch. Ich merke es daran, wie das Weinglas in ihrer Hand zittert. Zwei, drei Sekunden vergehen.
»Tut mir leid«, sagt Lars schließlich. »Ich hoffe, es war nicht zu laut.«
Mercedes beeilt sich, ihm zu versichern, dass sie gar nichts gehört hat, alles in bester Ordnung ist und er jederzeit wieder das Telefon benutzen kann, wann immer er will. Ich sage gar nichts und starre auf Bruce. Das muss wohl die schwedische Freundin gewesen sein, die Penny erwähnt hat. Scheint ja nicht allzu gut zu laufen.
Lars verschwindet nach oben, ich warte ein paar Augenblicke, dann drehe ich mich zu Mercedes und frage auf Spanisch: »Warum um Himmels willen telefoniert er von hier aus? Ist sein Handy kaputt?«
»Lars hat kein Handy. Will keins.« Sie schaut finster in Richtung Büro. »Ich werde meins auch wegwerfen! Es hat ohnehin nur einen einzigen Zweck: dass Nicos mich kontrollieren kann!« Und dass sie ihre Mama in Spanien anrufen und stundenlang über ihn herziehen kann.
»Er hat kein Handy???« Ich kann’s kaum glauben. »Und wie erreicht die Agentur ihn?«
»Hinterlässt Nachrichten hier bei uns, wir schreiben alles auf, legen Zettel in das Fach hier mit dem Schlüssel. Und sie wissen ja immer, wo er ist – Magda kann ihn erreichen, in den Fotostudios und so.«