Über dieses Buch:

Schweden zur Bronzezeit: Die Schwarzseuche tötet jeden, in den sie ihre Klauen schlägt. Auch die Heimat der jungen Idun, Tochter der mächtigen Priesterin Freya, ist bedroht. Zur gleichen Zeit legt im Hafen der Stadt das Schiff des Kriegerkönigs Thor an, um das alte Bündnis mit Iduns Volk gegen einen unheilvollen Feind zu erneuern. Während die dunklen Vorboten der Seuche und des Krieges immer näher rücken, muss Idun einen Weg finden, ihr Volk vor dem Untergang zu bewahren. Immer an ihrer Seite ist dabei der Krieger Bragi, ein Gefolgsmann Thors, der mehr in Idun zu sehen scheint als alle anderen – doch ausgerechnet er könnte auch die größte Gefahr für ihr Herz bedeuten …

Das große romantische Epos: Inmitten nordischer Mythen, gefährlicher Liebschaften und bitterem Verrat muss die Königstochter Idun ihre Bestimmung finden.

»Johanne Hildebrandt gelingt es, das Drama der nordischen Götter wie einen Krimi zu erzählen.« Aftonbladet, schwedische Boulevardzeitung

Über die Autorin:

Johanne Hildebrandt, geboren 1964 in Lycksele, ist eine schwedische Journalistin und Autorin. Sie arbeitete viele Jahre als Kolumnistin für die größte schwedische Tageszeitung Aftonbladet und wurde für ihre Arbeit als Korrespondentin in Krisengebieten mehrfach ausgezeichnet. Mit der Königstochter-Saga gelang Johanne Hildebrandt der Durchbruch als Romanautorin. Heute lehrt sie als Gastdozentin an der Universität Karlstad.

Von Johanne Hildebrandt erscheinen bei dotbooks die drei Bände der Königstochter-Saga:

Die Liebe der Königstochter

Das Geheimnis der Königstochter

Das Vermächtnis der Königstochter

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eBook-Neuausgabe Januar 2019

Dieses Buch erschien bereits 2005 unter dem Titel Tochter des Donners bei Wilhelm Heyne Verlag, München

Copyright © der schwedischen Originalausgabe 2003 by Johanne Hildebrandt

Die schwedische Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel Idun – Sagan om Valhalla bei Bokförlaget

Copyright © der deutschen Ausgabe 2005 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildabbildung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Mihai Simona, Resul Muslu, faestok, footageclips und Andrey Mayovsky

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-313-6

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Johanne Hildebrandt

Das Geheimnis der Königstochter

Roman

Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs

dotbooks.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Nachwort

Glossar

Lesetipps

Kapitel 1

Die dreizehn Steinquader standen in einem Kreis auf der Heide. Wie Riesen reckten sie sich seit dem Morgen der Zeiten gen Himmel.

Nur wenige Wesen erfassten die Ausmaße ihrer Kraft.

Die Priesterin hockte am Feuer in der Kreismitte, das Licht tanzte über ihr schwarz bemaltes Gesicht. Auf ihrem Gewand funkelten goldene Stickereien, ihr Halsband war schwer und kostbar.

Schön war sie und die Männer begehrten sie wegen ihrer Schönheit. Aber ihrem Blick fehlte jegliches menschliche Leben.

Der Wind fegte leise jammernd über die öde Heide und die Steine stießen eine gequälte Klage aus.

Die Priesterin betrachtete ihre blutverschmierten Arme. Sie hatte ihre Aufgabe erfüllt. Jetzt ließ die Kraft ihres Opfers sie erzittern.

»Komm, Finsternis!«

Abermals loderte das Feuer auf. Die Priesterin hob die Arme und sang eine Beschwörung.

Ihre gellende Stimme durchdrang die Welten und erreichte sogar das Totenreich. Sie schloss die Augen und trank die Lebenskraft ihrer Opfer. Dabei bebte ihr Körper vor Genuss.

»Nimm meine Gabe, lass sie an Kraft gewinnen.«

Sie hob den Bronzedolch und schnitt sich tief in die Handfläche. Das Feuer fauchte, als das Blut in die Flammen tropfte. Die Luft um die Priesterin verdichtete sich, im Rauch waren flüsternde Stimmen zu hören.

»Komm Finsternis, komm Bosheit, erhebt euch, verzehrt, vernichtet. Ich rufe euch, ich beschwöre euch!«

Die Priesterin griff zu dem blutbefleckten Umhang, der neben ihr lag, und bedeckte damit die Flammen.

Der Boden bebte. Ein Todesschrei zerriss die Luft.

»Ich befehle euch, ich gebe euch Kraft, um diese Leben zum Verlöschen zu bringen.«

Noch einmal loderten die Flammen auf. Der Gesang der Priesterin schwoll auf Sturmstärke an. Langsam erhoben sich aus dem Umhang Schatten.

»Tötet die Feinde meines Herrn. Rottet sie aus!«

Die Schatten wogten aus dem Feuer empor, stiegen zum Himmel. Ein albtraumhafter Schrei ließ die Erde erzittern. Dann war alles vorbei. Stille kehrte ein.

Die Frau ließ sich erschöpft zu Boden sinken. Sie schaute ihre blutige Hand an und lächelte.

Es war vollbracht.

Der frische Südwind blähte das graue Segel. Skidbladnir ritt mit schäumendem Bug über die Wellen. Thor stand an der Reling und schaute besorgt zu den Inseln hinüber. Sie hatten nicht mehr viel Zeit.

Wenn sie es nur schafften!

In den blaugrauen Wellen tauchte ein Seehund auf. Thor musterte ihn mit hungrigen Blicken. Er war schon lange nicht mehr zur Jagd gegangen, weder an Land noch zur See. Hatte die Freude, wenn der Speer sich in den fetten Körper bohrte, den Ruck am Seil, wenn das Tier zu fliehen versuchte, schon lange nicht mehr gespürt; den Todeskampf des Seehundes, wenn sein schwerer Rumpf über die Reling gezogen wurde, nicht miterlebt, wie auch den heißen, fetten Speck nicht genossen. Er wusste schon gar nicht mehr, wann er zuletzt einen sorglosen Tag erlebt hatte.

»Komm her, Vater«, rief Ull.

Thors Gedanken wandten sich wieder dem schlingernden Schiff zu. Er kämpfte sich zum Bug vor, wobei sein Umhang seinen Rücken peitschte. Die Männer standen nebeneinander. Kampfbereit wachten sie über dem Kranken.

Thor packte das Stag und ging neben dem leblosen Freyr in die Hocke.

»Ist er tot?«, fragte er seinen Pflegesohn, der an der Seite des Alfenpriesters wachte.

Ull schüttelte den Kopf.

»Er ist zu sich gekommen und hat etwas gesagt, das ich nicht verstehen konnte«, sagte der Junge und rückte das Bärenfell gerade, mit dem der Alfenpriester zugedeckt war.

Thor nickte beruhigend, als er die fragenden Blicke seiner Männer sah. Freyr war noch am Leben.

Skidbladnir bäumte sich auf wie ein Pferd. Thor packte die Bahre des Alfenpriesters, ehe das Schiff zurück in die Wellen geschleudert wurde. Das Wasser schäumte über den Bug. Verdammte Seuche!

Thor schaute düster auf den Kranken hinunter. Hart war das Schicksal, das Freyrs Leben auf diese unmännliche Weise beenden wollte. Aber gegen die fauligen Beulen gab es keine Hilfe. Wer krank wurde, starb.

Sommerfieber und Lungensiechtum konnte ein erwachsener Mann überwinden. Aber das hier?

Thor schüttelte den Kopf. Es war unnatürlich.

Die Frauen tuschelten untereinander, dass die Krankheit ein Fluch sei, der den Asen auferlegt worden war. Sie hatten an Torpfosten und Türen Lederbeutel aufgehängt. Vergebens. Freyr, ihr Opferpriester, war dennoch mit der Krankheit geschlagen worden.

Das war ein böses Omen.

Thor legte Ull die Hand auf die Schulter. Sein Pflegesohn versuchte, sein trauriges Gesicht unter seiner braunen Haarmähne zu verbergen.

»Gib mir zu essen, Knabe.«

Ull reichte ihm den Hirschfellranzen, den Siv ihnen mitgegeben hatte.

Zwischen Laubbündeln und Brotkuchen lagen einige Fleischbissen. Elch. Thor reichte Ull ein Stück, ermahnte ihn, es anzunehmen.

»Kein Unglück wird durch einen leeren Magen erträglicher.«

Der Junge nahm widerwillig einen Bissen. Thor nickte beifällig und aß dann auch selbst. Das Fleisch war sehnig und schmeckte ranzig.

Für den Jungen war es am schlimmsten, denn Freyr war schließlich Ulls Vater.

Jetzt, wo der Alfenpriester sie gebeten hatte, ihn in seine Heimat Alfheim zu bringen, würde der Junge nicht einmal einen Grabhügel besuchen können. Thor reichte ihm eins von Sivs flachen Broten. Ull wandte sich ab.

»Reiß dich zusammen, Knabe. In Alfheim wimmelt es doch nur so von Hexen, vielleicht können die deinem Vater die schwarze Seuche austreiben.«

Ull strich sich die Haare aus den Augen und blickte Thor düster an.

»Es gibt keine Heilung.«

»Die Hexen haben schon seltsamere Dinge geschafft. Und dein Vater wird nicht schneller gesund, wenn du ihn betrauerst, während er noch atmet.«

Thor schluckte das letzte Stück Fleisch hinunter und erhob sich. Er war besorgter, als er zugab. Die schwarze Seuche hatte sich auf den Höfen von Idunvallen wie ein Lauffeuer verbreitet. Zwölf erwachsene Asen waren schon in die Nachwelt hinübergegangen. Aber Thor durfte seinen Männern seine Angst vor der Krankheit nicht zeigen, Sorge und Düsterkeit würden schließlich niemandem helfen.

Also reckte er den Rücken und zog eine Grimasse. Die Meeresluft schien seinen alten Narben neues Leben zu geben. Bei jeder Bewegung schmerzten sie.

Thor band seinen Lederharnisch auf, ließ die Luft an seine feuchte Haut vordringen. Kratzte sich an der halb verheilten Wunde auf seinem Rücken.

Wenn nur Odin zu Hause gewesen wäre, er hätte sicher Rat gewusst. Aber der Vater war von seiner Reise zu Gorm noch nicht zurückgekehrt. Das war eine andere Geschichte, über die Thor sich den Kopf zerbrach.

Am Ufer öffnete sich nun eine schmale Bucht. Zwischen den glühenden Herbstbäumen waren bereits zwei Höfe zu erkennen. Auf den Weiden stand Vieh.

»Wir werden heute Abend dort sein«, rief Thor seinen Männern zu.

Die nickten stumm und wandten sich wieder ihren Aufgaben zu. Keiner wollte sprechen, während der sterbende Freyr im Boot lag.

Nur Bragi erhob sich vom Deck. Der Jüngling kämpfte sich durch das schlingernde Boot nach vorn und setzte sich neben Ull. Er legte dem Freund die Hand auf die Schulter.

»Wir werden Alfheim besuchen, soweit ich weiß, soll das ein großartiger Anblick sein.«

Ull zuckte mit den Schultern.

»Erzähl von der Insel. Stimmt es, dass die Königin dort eine Halle aus Gold bewohnt?«

Thor schnaubte und schaute zum Land hinüber. Er hatte Königin Alfhild nicht mehr aufgesucht, seit sie Frieden geschlossen und Freundschaftsbande geknüpft hatten. Das war lange her. Der Gatte der Königin, Sigvard, kam im Frühling zu ihnen, um Felle einzutauschen. Aber Thor hatte nie einen Grund gefunden, um nach Alfheim zu segeln.

»Über die Leute von Alfheim kann ich nichts Schlechtes sagen, aber goldene Hallen haben sie nicht«, antwortete er ausweichend.

»Hüte dich, Bragi. In Alfheim wimmelt es nur so von Hexen, die es auf deine junge Stange abgesehen haben«, rief Loki von der Reling her.

Obwohl es ein heißer Tag war, trug der Schamane einen dicken Pelzmantel. Fuchsköpfe hingen über seine Schultern, die Amulette und Knochenstücke an seinem Kraftgürtel bewegten sich im Rhythmus des Schiffes.

»Meine Stange kann jedes Frauenzimmer haben, das gut aussieht«, sagte Bragi wahrheitsgemäß.

»Die Hexen reiten dich, bis du den Verstand verlierst, und opfern dich dann ihrer Weibergottheit«, warnte Loki und grinste.

»Jetzt reicht es.«

Thor sah den Schamanen unwillig an.

»Wenn sie die schwarze Seuche aus Freyr vertreiben können, dann müssen wir ihnen dankbar sein. Es sind harte Zeiten. Und nur ein Narr wendet sich von denen ab, die ihm helfen können.«

Loki schlug die Augen nieder, um seine Beschämung darüber zu verbergen, dass seine Beschwörungen der Seuche gegenüber machtlos geblieben waren. Aber er konnte nicht lange schweigen.

»Ich hatte ein Gesicht. Ich habe Freya in Alfheim gesehen. Schön und mächtig verzehrt sie sich nach dir.«

Der Schamane zog sich kichernd den Fuchsmantel über seine strähnigen Haare. Sogar der Wind schien sich für einen kurzen Moment zu legen, um sich Thors Antwort anzuhören. Die Männer auf dem Schiff tauschten viel sagende Blicke.

Freya.

Thor legte die Hand auf Mjölnir. Sein Zorn quoll hervor wie der Eiter aus Freyrs fauligen Beulen. Er musste all seine Kraft aufwenden, um seine Wut zu beherrschen, denn er hatte nicht vor, vor seinen Männern die Beherrschung zu verlieren.

»Ich habe eher Vertrauen zu meinem Hund als zu einem schwanzlosen Schamanen, der nur zu gern Röcke tragen und wie ein Weib die Beine breit machen würde«, erwiderte Thor.

Lokis Lächeln verschwand und er versank in der Tiefe seines Mantels. Die Männer lachten schallend. Die düstere Stimmung an Bord war verflogen. Man plauderte und scherzte und Baldur trank ausgiebig aus einer mit Met gefüllten Urne.

Nur Freyr lag nach wie vor reglos da.

Thor kehrte den anderen den Rücken zu und versuchte, sich zu sammeln. Was Loki gesagt hatte, konnte durchaus zutreffen. Er hatte gehört, dass Freya in der Nähe von Königin Alfhild lebte.

Vielleicht besaß die Hexe die Macht, die schwarze Seuche zu vertreiben. Thor umklammerte die Reling so fest, dass seine Fingerknöchel weiß wurden. Verdammte trügerische Hexe.

Er hatte sie mit seinem Leben beschützt, hatte sie zur Frau nehmen und einen Hof bauen wollen. Trotzdem hatte sie seinen Namen und seine Männlichkeit entehrt und beschämt.

Hexenkünste und Trugbilder.

Was war er für ein Narr gewesen, dass er auf ihre Lügen gehört hatte.

Und jetzt würde er vielleicht abermals vor diese Hündin treten und um ihre Hilfe bitten müssen. Thor biss die Zähne zusammen. Tiwaz war ihm wahrlich nicht gnädig. Sollte er, der größte Held der Asen, gezwungen werden, vor Freya seinen Stolz hinunterzuschlucken?

Der Wind riss die Wolken in Fetzen. Die Herbstsonne schien über dem Schiff.

Thor schaute aus zusammengekniffenen Augen zu den Wolken hoch.

»Wir werden schon sehen, Tiwaz. Wir werden schon sehen.«

Idun lehnte den Kopf an die raue Baumrinde und schaute zufrieden über den Apfelhain hinweg. Nie zuvor war die Ernte so reich gewesen.

Sie hatte einen Korb nach dem anderen mit Äpfeln gefüllt, hatte jede Frucht in schützende Grashalme gewickelt. Ihr Rücken schmerzte noch immer von der vielen Arbeit.

Aber jetzt hingen die Körbe an den Balken des Langhauses. Das Obst würde für den ganzen Winter reichen.

Idun nahm ein braunes Blatt, drehte es zwischen ihren Fingern und spürte, wie warme Zufriedenheit durch ihren Körper strömte.

»Du siehst zufrieden aus«, sagte Sot.

Idun lächelte das etwas ältere Mädchen hilflos an.

»Die Göttin war gütig«, sagte sie bescheiden.

»Ich habe Kol zu deiner Mutter sagen hören, dass du sehr gute Arbeit geleistet hast«, sagte Sot und schaute Idun viel sagend an.

Das konnte doch nicht wahr sein! Idun lächelte glücklich. Kol hatte sie gelobt. Das war fast noch nie vorgekommen.

»Ich fühle mich geehrt.«

Sie legte die Hand aufs Herz.

Idun war für die Apfelbäume verantwortlich, sie kannte jeden knotigen Ast so gut wie ihren eigenen Körper. Sie hatte sich solche Mühe gegeben, hatte Platz geschaffen, damit jeder Baum Luft und Licht bekam, und sie hatte die Eichen vertrieben, die immer wieder versuchten, auf der Anhöhe der Apfelbäume Wurzeln zu schlagen.

Ihre Arbeit war belohnt worden. Früher wirkten die alten Bäume wie verzerrte, gequälte Geister. Ihre Früchte waren sauer und hart gewesen. Aber Idun hatte sie gepflegt, hatte mit ihnen gesprochen und sie liebkost. Jedes Jahr hatte sie deren Plagen gelindert, und jetzt gaben die neuen Triebe süße und saftige Früchte.

»Das machst du gut, Apfelmädchen, auch wenn du keine Priesterin bist«, sagte Sot.

Iduns Stolz versickerte wie Spülwasser auf einem trockenen Hof. »Nicht alle können sein wie du«, sagte sie leise.

Sot stellte sich taub. Sie erhob sich mit geschmeidiger Bewegung und schaute über die schmale Landzunge, die zwischen der Insel der Priesterinnen und Alfheim lag. Ein kühler Herbstwind spielte mit ihrem blauen Gewand und ihren dunklen Haaren. Mit ihren breiten Hüften und ihrem üppigen Busen war Sot eine der schönsten Frauen von Alfheim.

Die Alfenpriester besangen ihre Schönheit, die Männer auf den Höfen der Umgebung machten lange Umwege, um einen Blick auf sie zu erhaschen. Und bald kam das Alfenopferfest, da würden sie sich um Sot scharen, während Idun vergessen am Rand stand.

Düster betrachtete diese ihre sommersprossigen Arme. Warum sollte jemand sich um sie kümmern? Sie war mager, hässlich und dumm. Und sie taugte zu gar nichts.

Sie wusste durchaus, dass die Leute hinter ihrem Rücken lachten. Sie sagten, die Tochter der Hohepriesterin fürchte sich vor ihrem eigenen Schatten.

»Sei nicht traurig, deine Zeit kommt auch noch«, sagte Sot, als habe sie Iduns Gedanken gelesen.

Idun hob den Kopf und blickte die Priesterin mit neuem Interesse an.

»Hast du in der Opferquelle meine Zukunft gesehen?«

Sot verdrehte die Augen.

»Aber sicher. Du wirst Alfhild als Königin nachfolgen; und eine Quelle mit flüssigem Gold finden und mit bloßen Händen einen Drachen töten. Und im folgenden Sommer wirst du den größten Hof von Vanaheim bauen und dort mit so stattlichen Alfenpriestern leben, dass es in den Augen wehtut.«

Idun kicherte, wurde dann aber wieder ernst.

»Ich wünschte, du könntest nachsehen, was sich in meinem Lebensgewebe befindet.«

»Das ist einzig und allein Sache deiner Mutter. Das weißt du.«

»Mutter ist stumm wie ein Stein«, flüsterte Idun traurig.

»Steine schweigen selten. Du kannst sie nur nicht hören«, sagte Sot.

Idun seufzte. Sie konnte ihre Mutter nicht bitten. Von nah und fern kamen Menschen, um die Hohepriesterin um Hilfe zu bitten, und Idun wusste, dass sie deshalb keine Zeit für sie hatte. Es war nicht leicht für Freya, eine Tochter zu haben, die weder zur Priesterin noch zu sonst etwas wirklich taugte. Das Beste, was Idun tun konnte, war zu schweigen und nicht zu stören. Das hatte sie lernen müssen.

Aber trotzdem. Idun kratzte sich an ihrem sommersprossigen Arm und schaute aus zusammengekniffenen Augen in die Sonne. Wenn sie nur erführe, was ihr Lebensgewebe enthielt, dann würde ihr jegliche Unruhe erspart bleiben.

Sie wünschte sich so sehr, eines Tages auf ihrem eigenen Hof leben zu können. Jeden Abend sah sie ihn vor sich, ein Langhaus mit geschnitzten Möbeln, fettes Vieh auf der Weide, starke Töchter, die lachend auf dem Hofplatz spielten.

Und jeden Abend fragte sie sich, ob dieser Traum jemals Wirklichkeit werden könnte.

»IDUN! SOT!«

Idun fuhr zusammen, als sie Njörunns Rufe hörte.

Ein Vogel hob erschrocken von einem Zweig ab und flog schreiend zum Wasser hinüber.

Sot schnitt eine Grimasse.

»Die haben uns aber keine lange Pause gegönnt«, sagte sie und zog Idun auf die Beine.

»IDUN!«

Wortlos gingen die beiden Mädchen zum Langhaus. Der Weg wand sich den Hügel hinunter und verschwand dann unter uralten Eichen.

Die Sonnenstrahlen drangen wie goldene Pfeile durch die Baumkronen und ließen den Weg im Licht schimmern. Hinter den dicken Baumstämmen raschelte und prasselte es. Der Wald war erfüllt von unsichtbaren Wesen, Geistern, kleinem Volk und Mahren. Idun spürte, wie sie hinter ihrem Rücken ihre Krallen ausstreckten.

Sie lief zu Sot und nahm deren warme Hand. Sofort fühlte sie sich weniger unwohl in ihrer Haut.

Die beiden gingen an den fast ganz mit graugrünem Moos bedeckten Steinquadern vorbei. Bald erblickten sie zwischen den dicken Baumstämmen das Langhaus.

Die Bäume wuchsen so dicht hinter der Rückseite der Halle, dass die Zweige das Dach streiften. Die Priesterinnen sagten immer, der Wald halte seine schützenden Hände über ihr Heim. Solche Reden liebten sie.

Idun warf einen düsteren Blick auf das Strohdach. Es war fast verfault und von Gras überwuchert. Sie brauchten ein neues. Im Winter hatte es durchgeregnet und sie hatten sich neue Schlafplätze suchen müssen.

Aber die Priesterinnen ließen den Sommer verstreichen, ohne etwas zu unternehmen. Sie hatten wichtigere Dinge zu tun, sie sprachen mit den Geistern und suchten in der Opferquelle nach Zeichen.

Wenn sie ihren Hof nur in Ordnung halten könnten. Sie waren reich genug, um jemandem damit zu beauftragen. Alle, die Rat und Hilfe der Priesterinnen erbaten, brachten Geschenke mit. Die Truhen waren gefüllt mit Bronze und Reichtümern, sie besaßen ausreichend Vieh und kostbare Gewänder. Aber sie hatten nur zwei Knechte.

Idun seufzte düster.

Wenn sie jemals auf ihrem eigenen Hof leben könnte, würde sie ihn so gut wie möglich in Ordnung halten.

»Da seid ihr ja.«

Njörunn stand neben dem Abfallhaufen. Eine Wolke aus fetten Fliegen saß auf den verfaulenden Essensresten. Es stank entsetzlich, aber die Priesterinnen schienen nichts zu bemerken.

Njörunn sah müde aus, die Falten um ihre Augen waren tiefer als sonst. Grauschwarze Haarsträhnen hatten sich aus ihren Zöpfen gelöst. Ihre Kleidung war verschmutzt.

»Idun, geh zu Kol, sie hat eine Aufgabe für dich. Sot, für dich gibt es Arbeit im Kräutergarten.«

Sot seufzte tief.

»Na, worauf wartest du noch? Du weißt, was du zu tun hast.«

Njörunn war mürrisch und barsch wie immer. Aber Idun ließ sich davon nicht schrecken. Hinter Njörunns Derbheit und ihrer scharfen Zunge verbarg sich sehr viel Zärtlichkeit. Wenn Idun in ihrer Kindheit eins gelernt hatte, dann das.

Idun verließ Njörunn und Sot und bog um die Ecke.

Der Hof war leer, bis auf Handfaste, der bei einer der Hütten Holz hackte. Der alte Knecht murmelte etwas vor sich hin. Er war nicht ganz normal, dachte nur langsam, aber an Holz mangelte es ihnen nie. Unter dem hervorspringenden Dach um das Haus herum war immer genug aufgestapelt. Die Schläge der Axt aus Feuerstein hallten über den staubigen Hof.

Zwei graue Hunde trotteten müde vorüber und ließen sich am Tor zum Ziegenpferch zu Boden sinken.

Die Tür des Langhauses stand offen. Idun blieb auf der Schwelle stehen und nahm den vertrauten Geruch von kalter Feuerstätte, getrockneten Kräutern, Blut und Staub in sich auf.

Unter den Dachbalken bewegten die Bündel aus getrockneten Kräutern, die Körbe und die Lederbeutel sich langsam hin und her.

Bunte Kreise, Sonnenspiralen und Göttinnenzeichen leuchteten schwach an den braunroten Lehmwänden.

»Kol?«

Bei den Urnen bewegte sich ein Schatten.

Sie schien Blutgrütze für den Winter anzusetzen. Idun schluckte. Das war die widerlichste Speise, die sie kannte.

»Endlich! Njörunns Gemecker hätte mich fast um den Verstand gebracht«, knurrte Kol und ging zu den Sitzstöcken an der Feuerstätte.

Dort nahm sie einen aus Weidenruten geflochtenen Korb und reichte ihn Idun. In diesem Korb lagen drei runde Schachteln aus Baumrinde und einige Laubbündel. In Idun keimte eine schwache Hoffnung auf.

»Bring das zu Alfhild. Du kannst einige Tage bei ihr bleiben.«

»Danke.«

Im Langhaus schien die Sonne aufzugehen. Endlich würde sie die Halle der Königin besuchen dürfen. Sie hatte sich so danach gesehnt. Dort gab es Geschichtenerzähler und Musiker, Leben und Wärme, ganz anders als an den langen, stummen Abenden auf der Insel. Idun strahlte Kol an und lächelte.

»Komm. Du musst dich so anziehen, wie es sich für ein Mädchen von deiner Geburt gehört.«

Idun lief zu ihrer Schlafbank. Sie ließ ihren grauen Kittel auf die Felle fallen und zog sich ein braunes Wams über den Kopf. Kohl half ihr, den kurzen Wickelrock zu binden. Ihr Geschmeide, das schwere, zweireihige aus Bronze, trug sie bereits.

Idun suchte sich zwei breite Armbänder aus und streifte sie über ihre Handgelenke. Sie lächelte, als sie sie im Dunkeln schimmern sah. Die Kleider ließen sie wachsen, schon kam sie sich älter vor.

Kol legte ihr den blauen Umhang mit den goldenen Stickereien um die Schultern und schloss dann die Schlangenschnalle.

Schuhe und langer Rock wurden in den Ranzen gepackt.

Dann war sie bereit. Kol musterte sie und seufzte zufrieden. »Aber benimm dich«, sagte sie und gab ihr den Korb in die Hand.

Idun küsste ihre Wange und lief hinaus in den staubigen Sonnenschein. Der Ranzen schlug gegen ihren Rücken, als sie über den Weg zum Wasser ging. Beim Kräutergarten blieb sie stehen. Sots Rücken war hinter den gelben Hopfenstangen zu sehen. Idun lächelte und winkte, dann lief sie weiter.

Drei Boote und ein Kanu waren am Strand vertäut. Das bedeutete, dass keine Priesterin die Insel verlassen hatte. Trotzdem war das Langhaus leer. Wo konnten sie stecken? Sicher draußen auf der Landspitze, wo sie ihre Rituale durchführten. Idun erschauerte ein wenig, als sie auf das stille Wasser hinauspaddelte. Sie durfte den Norden der Insel, wo der Steinkreis stand, nicht betreten. Aber das machte ihr nichts aus. Jedenfalls jetzt nicht, wo sie unterwegs zu Königin Alfhild war.

Idun bewegte das Paddel einige Male, mehr war nicht nötig, denn schon hatte sie das andere Ufer erreicht.

Sie band das Kanu an einer alten Birke fest, die sich im lehmigen Boden festklammerte, dann stieg sie die steile Böschung hoch.

Atemlos erreichte sie die Geisterheide.

Sie hielt Ausschau nach Menschen. Sie fühlte sich sicherer, wenn sie wusste, dass jemand in der Nähe war. Aber alles war leer und öde, bis auf einige Kühe, die schweigend zwischen den grauen Steinen grasten. Idun verließ der Mut.

Der Wald war nichts im Vergleich zu dieser Gegend. Hier gab es viele gefährliche Geister.

Sie ging mit gesenktem Kopf weiter, blickte auf ihre nackten Füße. Der geflochtene Griff des Korbes wurde durch ihren Schweiß nass. Sie durfte mit denen in der Nachwelt nicht sprechen und sie durfte sie auch nicht ansehen, denn sonst könnten sie sie in die Unterwelt locken. Es wäre nicht das erste Mal. Sie durfte keinerlei Kontakt zu den Toten haben.

Wieder erschauerte Idun, dann sah sie zum Totenhaus auf der rechten Seite hinüber. Dort lebten die bösen Geister. Die, die Menschen töteten.

König Alvarin hatte dieses Haus vor seinem Tod bauen lassen. Es war dem Zwillingsgott geweiht und galt als das größte Bauwerk der Welt. Die dicken Steinmauern ragten in die Wolken. Ein Dach gab es nicht. Einmal hatte sie ihre Mutter nach dem Grund gefragt. Wenn sie an die Antwort dachte, errötete sie. Es war doch selbstverständlich. Die Geister mussten zur Göttin nach oben steigen, und da durfte ihnen nichts den Weg versperren.

Idun blieb stehen, hob einen rauen Stein aus dem Gras und küsste ihn. Dann warf sie ihn gegen die Wand des Totenhauses. Der Stein landete mit einem leisen Geräusch auf den anderen Steinen, die die Menschen im Laufe der Jahre geworfen hatten. Steine waren das Einzige, was die Toten an die Erde binden konnte, für die Zeit, in der sie als Geister bei den Menschen blieben.

Zu ihrer linken Seite befand sich der Hügel mit Alfheims anderem Totenhaus, das Hel geweiht war.

Als König Alvarin und die Alfenpriester das neue Haus auf der Landspitze gebaut hatten, hatten sie die Gebeine der Toten aus Hels Totenhaus ausgegraben und ins neue überführt. Aber dort war es dann so gekommen wie immer, wenn die Lebenden die Toten stören. Die Geister waren wütend gewesen und hatten Menschen und Tiere angegriffen. Sie tranken ihre Lebenskraft und schlugen sie mit Krankheit.

Alvarins Torheit wurde in den Langhäusern verflucht. Es wussten doch alle, dass die Göttin Hel über das Totenreich regierte und nicht der Zwillingsgott. Seine Macht konnte die Toten nicht zur Ruhe bringen.

Die Alfenpriester konnten die Geister nicht bezwingen.

Das Gebäude, von dem Alvarin sich Unsterblichkeit versprochen hatte, hatte Alfheim seine schwerste Zeit eingebracht. Niemand konnte ihnen helfen. Selbst die Priesterinnen von Vanaheim nicht.

Aber Königin Alfhild, die für ihre Klugheit weithin bekannt war, hatte Rat gewusst. Sie hatte Schiffe über das ganze Sommermeer gesandt, um Freya suchen zu lassen.

Sigvard hatte sie tief in den Wäldern gefunden. Als Freya von Alfheims Notlage gehört hatte, war sie herbeigeeilt. Sie hatte einen Klingstein mitgebracht, dessen Kraft nicht seinesgleichen fand. Wenn Freya darauf schlug, ertönte aus seinem Inneren ein tiefer Ton, denn der Stein war mit einem großen Zauber erfüllt.

Mithilfe des Steins hatte Freya gesiegt, wo viele andere versagt hatten. Sie hatte die bösen Geister bezwungen. Die Gebeine waren in ihr altes Totenhaus zurückgekehrt und schließlich zur Ruhe gekommen. Aber Freya musste weiterhin die düsteren Mächte auf der Heide beschwören.

Idun fuhr zusammen. Ein Schatten reckte sich ihr entgegen und sie hätte schwören können, dass er sich über den Boden bewegte. Ein Vogel schrie heiser irgendwo über ihr.

Sie rannte so schnell sie konnte auf Alfhilds Halle zu. Vorbei am heiligen Baum, vorbei an dem uralten Grabhügel, der hoch wie ein Berg aufragte. Sie hatte keinen Blick für den rot angestrichenen Pfosten, der das Grenzland zwischen Leben und Tod markierte. Erst als sie das erste Feld erreicht hatte, verlangsamte sie atemlos ihre Schritte.

Hier gab es Menschen. Erleichtert sah sie einige Männer, die den Boden düngten, während die Ochsen, die den Karren zogen, ihr Gebrüll über die Heide erschallen ließen. Eine Magd legte um einen Garten einen Zaun an. Sie lächelte Idun strahlend an, hob ihren ärmellosen Kittel und strich sich den Schweiß aus der Stirn.

»Kommt die Kleine von der heiligen Insel zu Besuch?«

Idun senkte höflich den Kopf und lief weiter. Die Frau lachte und fing an, mit einem runden Stein einen Holzpfahl in den Boden zu schlagen. Einige Schweine schnüffelten zwischen den Büschen herum. Sie hatte ihr Ziel jetzt fast erreicht.

Unten am Strand drängten sich die Boote. Alfhilds flachbödiges Prachtschiff und Sigvards Langfahrschiff ließen die anderen aussehen wie kleine Kanus.

Die Netze hingen an ihren Gestellen, ein Greis holte gerade Trockenfisch. Nur einige Steinwürfe weiter ragte die Halle der Königin auf.

Laute Kinderrufe trug der Wind zu Idun herüber. Sie lächelte, lief zwischen die geflochtenen Hütten, die den Hofplatz umstanden, und war am Ziel. Aufgeregt schaute sie sich um.

Menschen eilten hin und her, Geschrei und Gelächter waren zu hören. Die Mägde drängten sich um die Kochgrube, die nach Rauch und gebratenem Fleisch roch. Alfhilds Sohn, Bolde, kämpfte mit einem Mädchen, das Idun noch nie gesehen hatte. Ihre nackten Oberkörper glänzten vor Schweiß, wenn sie einander wütend mit ihren Holzschwertern angriffen. Idun sah neugierig zu, wie Boldes Muskeln unter seiner Haut spielten. Aber er war nicht geschmeidig genug.

Idun lächelte, als Boldes Gegnerin ihn mit einem wütenden Ausfall zurückdrängte und mit ihrem Schwert gegen seines hämmerte. Mit einem raschen Schlag auf die Hand hatte sie ihn entwaffnet.

Sie schob das Schwert mit einem Fußtritt fort und drückte ihm die Spitze ihres eigenen auf den Hals.

Die Männer auf dem Hof lachten grob, mehrere feuerten das Mädchen an, worauf diese mit breitem Grinsen ihre Waffe von Boldes Hals entfernte. Das Ganze hatte nur zwei Atemzüge gedauert.

Idun ging weiter. Zwei Mädchen beruhigten ein goldbraunes Pferd, das sich aufbäumen wollte. Das Gebell der Hunde vermischte sich mit dem Gehämmer aus der Schmiede. Moira, die Hausfrau auf dem Hof, und die übrigen Frauen saßen mit ihren Webrahmen im Schatten.

Idun lächelte, hob die Hand zu einem Gruß und schaute sich dann um. Wo waren die anderen?

Ein kleines Kind kam angerannt und warf sich mit glücklichem Geheul in ihre Arme.

»Da bist du ja«, lachte Idun und stellte ihren Korb sorgfältig ab, ehe sie Svea, die jüngste Tochter der Königin, in die Arme nahm. Sie hatte solche Sehnsucht nach ihr gehabt. Sie küsste ihre Locken, nahm den schweren Duft von Kind und Schweiß in sich auf. Gleich darauf schlangen sich zwei weitere Arme um ihre Taille.

»Geh weg! Das ist meine Idun!«, schrie Svea ihre ältere Schwester empört an.

»Ich hab genug Platz für euch beide«, lachte Idun und legte ihren anderen Arm um Alfheims zukünftige Königin.

Ingvild lächelte ihr feines Lächeln.

»Du bleibst doch hier, Idun, sag, dass du hierbleibst.«

»Ja, wenn deine Mutter es erlaubt.«

»Jaaa.«

Die beiden Mädchen wanden sich aus ihren Armen und stürzten zum Langhaus, um zu fragen. Ihre Kittel wehten im Wind, ihre schmutzigen Füße wirbelten Staubwolken auf. Idun wurde es ganz warm ums Herz. Lächelnd hob sie ihren Korb hoch und ging auf die dunkelbraune Doppeltür zu. Darüber thronte Alfheims Kennzeichen, das Stierhorn. Alfhilds Hof war von Reichtum erfüllt. Die Halle war groß und hatte ein goldgelbes Strohdach. Alles war geputzt und gepflegt, hier waren eifrige Hände am Werk.

Dann kam die Königin aus der Halle. Idun fuhr sich mit der Hand über die Haare und reckte sich. In ihrem hellgelben, mit goldenen Fäden bestickten Kleid überstrahlte Alfhild sogar die Sonnenkönigin. Selbst Sots Schönheit musste davor verblassen.

Idun schaute überrascht die beiden Bronzebroschen an, die über der Brust der Königin befestigt waren. Sie hatte noch nie so große Schmuckstücke gesehen, jedes war größer als vier Fäuste und gefüllt mit ineinander verschlungenen Schlangen. Eine Kette zog sich zwischen ihnen hindurch und klirrte leise, als die Königin jetzt auf Idun zukam und ihre Wange küsste.

»Schau an. Die Einzige, die meine Jüngste zähmen kann. Dich muss die Göttin geschickt haben, jetzt haben wir endlich ein wenig Ruhe hier auf dem Hof«, sagte sie und schaute die Mädchen mit gespielter Strenge an.

Die kicherten und knufften einander, während sie sich um Alfhild drängten. Sie verschmutzten ihr Kleid mit ihren Fingern, aber das schien die Königin absolut nicht zu stören.

Idun legte die Hand aufs Herz und senkte demütig den Kopf, ehe sie Alfhild den Korb hinhielt.

»Das schickt Kol mit vielen Grüßen.«

Alfhild musterte den Korb kurz und gab ihn einer Magd. Dann richtete Alfhild ihre tiefblauen Augen auf Idun und legte den Kopf schräg.

»Du warst schon viel zu lange nicht mehr bei uns zu Gast.«

Idun musterte ihre bloßen Füße, sie hätte ihre Schuhe anziehen sollen, denn ihre Füße waren jetzt verschmutzt von Staub und Lehm

»Ich war so sehr mit der Ernte beschäftigt.«

»Man sollte dich nicht wie eine Leibeigene schuften lassen. Ich verstehe deine Mutter nicht. Was macht sie eigentlich? Was macht ihr da drüben überhaupt? Ich habe auch sie schon sehr lange nicht mehr gesehen.«

»Ich weiß nicht«, antwortete Idun und merkte, dass sie rot wurde.

Sie durfte nicht über die Unternehmungen der Priesterinnen sprechen, nicht einmal mit Alfhild. Ihre Mutter war in dieser Hinsicht sehr streng.

Die Königin runzelte die Stirn, doch dann verflog ihr Unmut so rasch, wie er gekommen war.

»Na, deine Mutter hat ja immer schon getan, was ihr gerade passte. Aber ich hoffe, dass du lange bleiben wirst.«

»So lange, wie ich darf«, flüsterte Idun.

»Dann bist du willkommen.«

»Danke«, flüsterte Idun, aber Alfhild hatte sich schon abgewandt. Sigvard kam von den Feldern her. Die Königin lächelte und winkte ihrem Gemahl zu.

»Du kannst immer zu meiner Feuerstätte kommen, junge Verwandte«, rief sie noch.

Sigvard legte lachend den Arm um seine Gemahlin. Sie steckten die Köpfe zusammen und redeten miteinander, als seien sie lange voneinander getrennt gewesen, dabei war er sicher erst im Morgengrauen aufgebrochen. So sollte eine Frau mit ihrem Mann leben.

Eine kleine Hand zog an Iduns Rock.

»Spielen wir ein Brettspiel?«

Svea schaute erwartungsvoll zu ihr hoch.

Idun nahm ihre Hand.«

»Aber natürlich«, sagte sie und lächelte.

Das Herdfeuer loderte auf, in der Halle drängten sich schon die Menschen. Idun ließ sich auf einem Sitzstock nieder und verteilte die weißen und schwarzen Steine auf dem Brett. Svea überlegte angestrengt, wie sie die auslegen sollte.

Idun seufzte zufrieden und schaute sich um. Die ganze Halle schien vor Wärme zu strahlen. Die Leute redeten und lachten. An den Wänden hingen große Stickereien in leuchtenden Farben, zusammen mit Tierhörnern und Fellen. Das Licht der Feuerstätte und die Fackeln ließen sie fast lebendig aussehen.

Aber das Fantastischste von allem war der gewaltige Bronzeschild hinter dem Sessel der Königin. Der war ein Geschenk der Alfenpriester. Schon oft hatte Idun die vollendeten Spiralen bewundert, die dem Schild Ähnlichkeit mit der Sonne gaben.

An der Querwand standen Truhen, die die Kostbarkeiten der Königin enthielten. Idun gefiel die große Silberschale mit den vielen kleinen Figuren am besten. Sie war ein Geschenk von Königin Åse, der Herrscherin der Vanen. Wie gern würde Idun einmal die Königin von Vanaheim kennen lernen. Ihre Halle und ihr Reichtum galten als die größten auf der Welt. Wenn Idun das alles richtig verstanden hatte, dann war Åse ihre Großmutter. Aber niemand sprach über ihre Verwandtschaft mit der Königin. Idun wusste genau, dass sie keine Fragen stellen durfte, aber sie hatte schweigend gelauscht und daraus ihre Schlüsse gezogen. Ihre Mutter war Königin Åses Tochter, aber aus irgendeinem Grund hatte Freya ihre Mutter verlassen. Das musste vor Iduns Geburt geschehen sein. Vor der Geburt dieser untauglichen Tochter. Die Schande sorgte dafür, dass ihr Magen sich zusammenzog.

Idun holte Atem. Es hatte doch keinen Sinn, hier Trübsal zu blasen. Alles war eben, wie es war. Sie war keine Priesterin. Sie war eine Enttäuschung.

Die Königin kam herein und nahm in ihrem geschnitzten Sessel Platz. Sie legte den Kopf schräg und wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger. Ach, wie gern hätte Idun sie als Mutter gehabt und immer hier gelebt.

Um die Königin versammelten sich Alfenpriester und Gäste. Alfhild war die Sonne von Alfheim, alle wollten sich an ihrem Licht wärmen.

Die Königin beugte sich vor und flüsterte Njörd etwas zu. Der alte Alfenpriester lachte laut und tief. Sein Mund war zahnlos, seine Augen von einer weißen Haut überzogen. Es hieß, er sei blind und sehe trotzdem. Sein Bart, der ebenso weiß war wie sein Kittel und sein Umhang, hüpfte beim Lachen auf und ab. Idun hätte gern gehört, wovon da vorn die Rede war.

Neben Njörd saß Widar, der Hohepriester der Alfen. Sein Mund war verkniffen, sein weißer Umhang mit Goldstickereien besetzt. Idun konnte ihn nicht leiden. Er war aufgeblasen wie eine Pissblase am Morgen und er prahlte damit, dass er der Auserwählte von Vanaheims Hohepriesterin war.

»Du bist dran«, sagte Svea.

Idun schaute das Spielbrett an. Von ihren weißen Steinen waren schon einige verschwunden.

Der Blick der Kleinen funkelte vor unschuldiger Erwartung.

»Schummeln ist deiner unwürdig.«

Svea riss in tiefem Erstaunen ihre blauen Augen auf.

»Das habe ich nicht verstanden.«

»Schummeln ist dasselbe wie lügen.«

Sofort füllten Sveas Augen sich mit Tränen. Ihre Unterlippe zitterte.

»Sag Mutter nichts.«

Idun zog das Kind auf ihr Knie.

»Reiß dich zusammen, Königinnentochter. Denk daran, dass du Würde zeigen musst«, flüsterte Idun.

Sie verbarg ihr Gesicht in Sveas Locken und genoss die Wärme der Kleinen.

Alfhild betrachtete Idun. Ihr Herz tat ihr weh, wann immer sie den gebeugten Rücken des Mädchens ansah. Sie, die von höherer Geburt war als alle anderen, verhielt sich ängstlich wie ein geprügelter Hund.

»Es ist eine große Schande, dass Freya ihre Tochter nicht besser erzieht. Es kann ja sein, dass Idun nicht die Priesterin ist, die sie sich gewünscht hat, aber sie ist trotzdem Åses Enkelin. Weißt du, was sie im Sommer gemacht hat? Äpfel geerntet.«

Alfhild schnaubte und trank den süßen, warmen Met. Njörd legte seine runzlige Hand auf ihre und drückte sie herzlich.

»Freya versucht, ihrer Tochter Verantwortung beizubringen. Das ist doch nichts Schlechtes.«

»Für einen Blinden siehst du wirklich viel«, erklärte Alfhild. Njörd lachte und ließ ihre Hand los.

»Ich sehe, was ich sehen will. Und wir wissen nicht, was Freya in der Opferquelle gesehen hat. Sie erzieht das Mädchen sicher so, wie es richtig ist.«

»Ich hoffe, dass du Recht hast«, sagte Alfhild.

Dann beugte sie sich zu Widar vor und lächelte ihr strahlendes Lächeln.

»Und jetzt erzähl von deiner Reise nach Vanaheim. Haben sie Gorms Schiffe vertrieben? Und wie geht es Åse?«

Von den Inseln, Höfen und Reichen der Vanen war Vanaheim am mächtigsten. Von dieser Insel aus hatte sich das Volk der Vanen im Land ausgebreitet. Vanaheim war die Mutter der Sippe und die dortige Königin war die reichste und mächtigste. Alle Vanen mussten sie ehren und ihr gehorchen. Sogar Königin Alfhild. So war es immer gewesen, seit dem Morgen der Zeiten. Widar senkte bescheiden den Kopf, ehe er antwortete.

»Gorm hat Vanaheim im Frühjahr überfallen. Sie haben einen Hof angesteckt, der der Halle der Königin so nahe lag, dass sie ihn von ihrer Tür aus sehen konnte.«

Alfhild schüttelte den Kopf. Krieg im Herzen Vanaheims. Sie lebten wahrlich in bösen Zeiten.

»Hat die schwarze Seuche sie getroffen?«

Widar räusperte sich und runzelte die Stirn.

»Ja, das hat sie. Viele sind krank, am schlimmsten ist es auf Lillön, wo ein ganzer Hof betroffen ist.«

»Aber die Priesterinnen können sie doch sicher beschwören?«

»Snotra hat die schönsten Tiere der Insel geopfert. Die Kraft der Hohepriesterin ist groß. Bald werden sie die schwarze Seuche aus Vanaheim vertrieben haben, darauf kannst du dich verlassen«, sagte Widar voller Überzeugung.

Man kann nie ganz sicher sein, dachte Alfhild und dankte der Göttin dafür, dass sie ihr Freya geschickt hatte. In Alfheim war niemand erkrankt. Sie war sicher, dass sie das der Kraft der Priesterin verdankte, und sie hoffte, dass die Mächte sich aller erbarmen würden.

Alfhild spielte mit ihrem Halsband und ließ sich in ihrem Sessel zurücksinken.

»Wie geht es Königin Åse?«

»Die ist alt und kraftlos. Trotzdem weigert sie sich, den Drachenthron aufzugeben und ihn Gefion zu überlassen. Das ist dort jetzt das einzige Gesprächsthema.«

»Åse war immer schon halsstarrig«, sagte Njörd so leise, dass Alfhild es kaum hören konnte.

Widar beugte sich vor und flüsterte:

»Angeblich ist auch ihr Verstand jetzt verdunkelt.«

»Armes Vanaheim«, sagte Alfhild leise und dachte an ihren verstorbenen Vater.

Die Schatten ihres Vaters hielten sich noch immer in der Halle auf. Sie konnte ihn in sich zusammengesunken am Herd hocken sehen, gekrümmt und knotig, mit seinem grauen strähnigen Bart und den mageren, gefleckten Händen. Gegen Ende hatte der Alte weder Vernunft noch Zähne besessen. Wenn er er selbst gewesen wäre, hätte er sich niemals von den Alfenpriestern zum Bau dieses verdammten Totenhauses überreden lassen, das fast ihr ganzes Reich ins Verderben gestürzt hätte. Verfluchter Alvarin!

Wenn sie es nicht geschafft hätte, Freya zu finden und sie dazu zu bewegen, Vanaheim zu helfen, würde sie jetzt über eine Insel aus Asche regieren. Die Eitelkeit wahnsinniger Kerle! Sie hätte Alvarin rechtzeitig Gift geben sollen. Aber sie war zu weichherzig gewesen, und dafür hatte sie dann teuer bezahlen müssen.

Widar hob sein Horn und trank zu ihren Ehren. Alfhild nahm diese Ehrenbezeugung gnädig an.

Der Hohepriester hatte Alvarins verdunkelten Verstand ausgenutzt. Und jetzt saß er an ihrer Feuerstätte und schmiedete seine Ränke.

Alfhild drehte einen ihrer Ringe. Es gefiel ihr nicht, dass sie sich mit ihm gutstellen musste. Seit dem Morgen der Zeiten hatten die Göttin und ihre neun Töchter über die Menschen geherrscht und die Priesterinnen hatten ihren Willen ausgeführt. Aber die Menschen brauchten auch den Zwillingsgott, den die Alfenpriester verehrten. In Alfheim war seit jenem verdammten Tag, an dem ihr Vater sich von Widar hatte verleiten lassen, das Gleichgewicht gestört worden und die Macht dieses Gottes war immer größer geworden.

Wenn Alfhild gekonnt hätte, hätte sie die Alfenpriester längst von ihrer Insel vertrieben, aber sie brauchte sie und ihre Kenntnisse im Schmieden und Bronzegießen. Und solange Alfhild Freya und die Priesterinnen begünstigte, würden Widar und seine Priester um ihr Wohlwollen kämpfen.

Der Alfenpriester wusste, welche Schande er über die Insel gebracht hatte. Deshalb wand er sich nun zu ihren Füßen wie ein Wurm und das Handwerk der Alfenpriester füllte ihre Truhen mit Gold und Geschmeide. Trotzdem musste sie diese Ränkeschmiede sorgsam im Auge behalten.

Ein Gebrüll ertönte bei den Schlafbänken, wo die Männer mit Armdrücken beschäftigt waren. Einer der Kämpfer sprang auf und hob stolz die Faust über den Kopf. Sigvard versetzte zwei Hunden, die aufeinander losgegangen waren, Tritte. Die zottigen Tiere verzogen sich knurrend unter einen Sitzstock. Alfhild trank den warmen, süßen Met und ließ sich zurücksinken. Sie hatten jetzt zu viele Hunde, sie würden sich von einigen trennen müssen.

»Hat Gefion endlich eine Tochter bekommen?«

Widar schüttelte den Kopf.

»Dafür gibt es noch keine Anzeichen. Und das ist Vanaheims großer Kummer. Die Göttin verweigert ihr die Fähigkeit, Leben zu schenken.«

Widar zog an dem weißen Kittel, der über seinem Schmerbauch Falten warf. Alfhild machte ein besorgtes Gesicht, niemand durfte sehen, wie zufrieden sie war. Die Spaltung von Vanaheim gab Alfheim mehr Macht und neuen Reichtum.

Immer mehr Schiffe suchten ihre sicheren Strände auf, um sich dem Tauschhandel zu widmen. Sie kamen zu ihr, nicht zur kraftlosen Königin Åse. Alfhild brauchte nur noch geduldig abzuwarten.

Wenn Gefion keine Tochter gebar, dann gab es nur eine Erbin, die Åses Platz einnehmen könnte. Sie schaute noch einmal zu Idun hinüber, die sich über das Brett beugte und einen Stein versetzte. Die Kleine hatte keine Ahnung, welche Macht auf sie wartete. Und deshalb würde Alfhild sie leicht für immer an sich binden können.

Sie seufzte zufrieden. Das alles hatte sie sehr gut gemacht.

Njörds halb geleertes Horn fiel zu Boden.

Sein zahnloser Mund verzerrte sich und er stieß einen entsetzlichen Schrei aus, so, als rissen die Mächte der Finsternis ihm das Fleisch von den Knochen. Alfhild fuhr zusammen und schaute den Alten verdutzt an. Njörd musste den Verstand verloren haben. Seine runzligen Hände irrten durch die Luft, als kämpfe er gegen einen unsichtbaren Feind. Widar erhob sich und versuchte vergeblich, den Alten zu beruhigen.

Alfhild sprang wütend auf.

»Das reicht jetzt!«

Solche Szenen wollte sie in ihrer Halle nicht sehen. Die Hofleute starrten den schreienden Alfenpriester verwundert an.

Svea fing in Iduns Armen an zu weinen.

Alfhild packte den Alten an den Schultern und schüttelte ihn heftig.

»Schweig oder sprich!«

Njörds Schrei wurde zu einem Jammern.

»Mein Junge!«

Ein Speichelfaden rann aus seinem schlaffen Mund. Dann verstummte er und wandte sich den Türen zu.

»Trauer über Alfheim!«

In diesem Moment fingen die Hunde an zu bellen, vom Strand her wurden Rufe laut. Alfhild schnappte nach Luft.

»Macht euch bereit«, befahl sie.

Sigvard hatte schon das Schwert von der Wand genommen, die Hofleute rannten los, um Äxte, Schwerter und Dolche zu holen.

Alfhild fluchte. Ein Boot so spät im Jahr verhieß nichts Gutes. Aber wenn der verfluchte Gorm sich ihrer Insel näherte, dann würde er es bereuen. Sigvard warf ihr ihren Dolch zu, sie fing ihn auf und befahl Moira: »Versteck die Kleinen. Macht euch bereit zu Kampf oder Flucht!«

Idun hatte die Arme um die weinende Svea gelegt. Moira hob Ingvild auf. Die Mägde standen bereits mit den Waffen bereit, um für Alfhilds Erbin zu sterben. Die Nichte der Königin, Astrid, trug ein Schwert. Sie war eine gute Kämpferin. Sie würde die Mädchen sehr gut verteidigen.

»Wir warten hier«, schrie Moira.

Sigvard und die anderen Männer liefen aus der Tür.

»Hütet euch vor Brandpfeilen«, rief Alfhild und ging mit dem Dolch in der Hand auf die Tür zu. Gorms Männer würden versuchen, die Halle anzustecken. Dabei konnten die Menschen wie ein Hammel in einer Kochgrube verbrannt werden.

Sie schaute zu den Schatten über den Dachbalken hoch, suchte im Stroh nach grauen Rauchschlingen. Aber noch war nichts zu sehen.

Kindergeschrei und Greisengejammer füllten den Saal. Vom Hof her waren gedämpfte Rufe zu hören. Alfhild trat kampfbereit in den Abend hinaus und schaute sich um. Was immer auf sie wartete, sie würde ihm mit ganzer Kraft begegnen.

Gefions Schritte hallten in Königin Åses Prachthalle einsam wider. Alles war dunkel und leer. Sie hob ihre Fackel und suchte in den Schatten. Leere Bänke, ein Bronzesessel.

»Mutter?«

Ihre Stimme klang verloren in dem riesigen Raum. Langsam drehte Gefion sich um. Die Glut in der erlöschenden Feuerstätte schwelte nur noch.

»Vielleicht musste sie mal kurz raus«, sagte Sigrid und stieg vorsichtig über ein Bärenfell.

Gefion schüttelte langsam den Kopf. Åse war nicht draußen, und sie lag auch nicht auf ihrer Schlafbank. Dort hatte das Gesinde schon gesucht. Die Schatten schlossen sich immer dichter um sie. Ihr schauderte.

Vanaheim brüstete sich mit der größten Halle der Welt, aber nicht einmal riesige Flammen hätten die Kälte vertreiben können, die sich durch die Lehmwände fraß.

»Wir brauchen mehr Licht.«

Sigrid blieb bei einem Balken stehen, nahm eine Fackel von der Wand und hielt sie an Gefions. Die Fackel flammte auf und erleuchtete die öde Halle.

»Da!«