Gegenstand dieses Heftes sind jene pädagogischen Handlungsmöglichkeiten, die sich aus dem Studium des Heilpädagogischen Kurses ergeben. Außen vor bleiben die medizinische Interpretation der Krankheitsbilder wie auch die daraus resultierende Diagnostik und Therapieplanung.
Im Anhang wird eingehend auf eine Unterrichtsmethode Bezug genommen, die Gertrud Langen für Sandroe (6./7. Vortrag) entwickelte und im Folgenden als „Vierschritt“ bezeichnet wird.
Da die Beiträge in diesem Heft aus verschiedenen Quellen stammen, ist die Zitierweise nicht einheitlich gestaltet. Auch wurde in den Literaturhinweisen auf die heute übliche Erwähnung der Verlage verzichtet. In den Fallbeschreibungen wurden die Namen der betreffenden Schüler/innen geändert.
Der Verfasser dankt Frau C. Papke-Hesse und Herrn H. J. Bomholt für vielfältige und wertvolle Anregungen, Hilfen und Hinweise. Herr N. Gorrissen erstellte dankenswerterweise den Notensatz für die Lieder. Auch sind in dieses Heft die Ergebnisse einiger Seminararbeiten eingeflossen, deren Autoren/innen der Verfasser zu Dank verpflichtet ist.
Schwerte, im Januar 2021
Gerhard Hallen
Die vom 25. Juni bis 7. Juli 1924 in Dornach gehaltenen 12 Vorträge des Heilpädagogischen Kurses wurden für die drei Begründer des ersten anthroposophisch orientierten heilpädagogischen Heims auf dem „Lauenstein“ in Jena (die Herren Löffler, Pickert und Strohschein), den Lehrer der „Hilfsklasse“ an der Stuttgarter Waldorfschule, Karl Schubert, den damaligen Vorstand der anthroposophischen Gesellschaft, die Mediziner* innen vom Klinisch-Therapeutischen Institut in Arlesheim und für einige Begleitpersonen der dort untergebrachten Kinder gehalten, wie z. B. für die Erzieherin von Ernst, Cläre Führ.
Der Kurs war sowohl Initiation und Inauguration. Zum einen wurden die Teilnehmer/innen in das Wesen der anthroposophischen Heilpädagogik eingeweiht, zum anderen inaugurierte Steiner im letzten Vortrag die anthroposophische Heilpädagogik als ein neues Glied in der anthroposophischen Gesellschaft – und zwar unter Federführung der medizinischen Sektion.
In den ersten beiden Vorträgen wurden jene menschenkundlichen Prinzipien vor die Seelen der Zuhörer gestellt, die einen vertieften Zugang zur Heilpädagogik ermöglichen.
Im dritten bis fünften Vortrag beschrieb Rudolf Steiner die Krankheitsbilder. Dabei handelt es sich um Imaginationen, welche die Gesten einseitig verlaufender Inkarnationsakte beschreiben. Sie dienen uns dazu, die Beeinträchtigungen der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu erkennen und daraus entsprechende pädagogische Maßnahmen abzuleiten.
Nun wäre zu erwarten, dass diese Krankheitsbilder bei den Kindervorstellungen in den Vorträgen 6-11 fortwährend Erwähnung fänden. Dort fließen sie aber nur unterschwellig ein. Sie verwandeln sich nämlich in Inspirationen, die sich aus dem Umgang mit dem Wesen der betroffenen Kinder ergeben.
Insofern sind die Kinderbesprechungen eine Anleitung zum Lesen in jener geistigen Schrift, welche durch die Krankheitsbilder gegeben ist. Erkennbar wird das an der Unterteilung der Besprechungen in jeweils zwei Blöcke. Im ersten Block erfolgte die Bildgestaltung in Form der Anamnese und Diagnose. Im zweiten Block, entweder nach einer Unterbrechung am gleichen oder am folgenden Tag, schaute Rudolf Steiner auf die Therapie bzw. auf die erforderlichen pädagogischen Maßnahmen.
In den ‚Zwischenzeiten‘ schöpften die Kursteilnehmer*innen aus der geistigen Welt jene Impulse, die zur Erlangung eines pädagogischen Konzeptes und/oder einer Therapieempfehlung erforderlich waren. Somit ist der Heilpädagogische Kurs insbesondere bei den Kinderbesprechungen gelebte Esoterik.
Vom zehnten Vortrag an besprach Rudolf Steiner die Kinder vom Lauenstein, die er drei Wochen zuvor, und zwar am 18. Juni 1924, in Jena gesehen hatte. Diese Vorstellungen haben einen anderen Duktus, weil die Bildgestaltungen schon in Jena durchgeführt worden waren. Also konnte sich Rudolf Steiner nach einer kurzen Wiederholung von Anamnese und Diagnose auf die Therapieempfehlungen und die pädagogische Planung fokussieren. Im Zusammenhang dieser Kindervorstellungen richtete der Vortragende mehrere Appelle an seine Zuhörer, insbesondere an die drei Heilpädagogen vom Lauenstein. U. a. legte er ihnen im zehnten Vortrag anhand der Punkt-Kreis-Meditation dar, dass sie beim Aufbau einer heilpädagogischen Bewegung am Konkreten, also am Kind, ansetzen sollten.
Am Ende des 12. Vortrages begründete Rudolf Steiner die anthroposophische Heilpädagogik – ein Akt, der keine Selbstverständlichkeit war, sondern eine esoterische Entscheidung mit weit reichenden Folgen.
Die Struktur im Überblick:
1.-2. Vortrag: Meditationsempfehlungen, die den Zugang zu den Krankheitsbildern ermöglichen 3.5. Vortrag: Beschreibung der Krankheitsbilder
6.-11. Vortrag: Kindervorstellungen, ab dem 10. die Kinder vom Lauenstein (nicht in Dornach anwesend)
10.-12. Vortrag: Die Hauptmeditation (Punkt-Kreis im 10. Vortr.) und weitere Bedingungen für ein Gelingen des heilpädagogischen Impulses.
12. Vortrag: Die Begründung der anthroposophischen Heilpädagogik und ihre Einbettung in die anthroposophische Gesellschaft.
Frielingsdorf u. a.: Geschichte der anthroposophischen Heilpädagogik, Dornach 2013, S. 87-95. Hier finden sich detaillierte Angaben zur Vorgeschichte und zum zeitgeschichtlichen Kontext (ebda, S. 18-84).
Vielen Lesern*innen des Heilpädagogischen Kurses fällt es schwer, sich Rudolf Steiners Vortragssprache zu verbinden. Das ist sowohl den damals geltenden Sprachkonventionen geschuldet, wie R. Steiner auch seine komplexen geistigen Forschungsergebnisse auf angemessene Weise in Worte zu setzen bemüht war. Darüber hinaus erschweren folgende Faktoren das Textverständnis:
Zum einen setzte Rudolf Steiner die Inhalte sämtlicher pädagogischer und menschenkundlicher Seminare, die er vor allem in Stuttgart und Dornach zwischen 1919 und 1924 abgehalten hatte, bei seinen Zuhörern/innen als bekannt voraus.
Zum anderen erschweren die häufigen Wiederholungen – insbesondere von Nebensätzen – das Textverständnis. Was damals als gesprochenes Wort nachdrücklich wirkte, wird uns heute beim Lesen zur Last. Deshalb wurden bei den Zitaten in diesem Begleitheft die Wiederholungen ausgelassen (jeweils angezeigt). Wer Wert auf eine authentische Texterfassung legt, wird sich, was unbedingt zu empfehlen ist, der Originalausgabe bedienen.
Darüber hinaus wird uns beim gedanklichen Nachvollzug der Ausführungen der lebendige Umgang mit dem Metamorphose- Gedanken abgefordert. Fortlaufend muss das Prinzip der Verwandlung, der Umstülpung und der Entwicklung in den eigenen gedanklichen Nachvollzug implantiert werden, damit der Zugriff auf die wesentlichen Aussagen ermöglicht wird. –
In terminologischer Hinsicht ist vieles inzwischen überholt. So wurde der Begriff des „Schwachsinnigen“ in diesem Heft durch den der „geschwächten Perzeptionsfähigkeit“ ersetzt. Gleiches gilt für Nomen, wie „minderwertig“, „Krüppel“.
Anm.: Niemeijer entwickelte eine neue Terminologie, die sich u. a. auf die Charakterisierung von Einseitigkeiten bezieht. Diese Form der Beschreibung ist insbesondere für Kinderkonferenzen geeignet. Neben Niemeijers Beiträgen in der „Seelenpflege“ sei auf folgende Literatur ‚von seiner Hand‘ verwiesen:
Niemeijer, M. u.a. (Hg.): Entwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen, Dornach 2011.
Niemeijer, M. u. Baars, E.: Bild-gestaltende Diagnostik der kindlichen Konstitution, die Entwicklung eines Messinstruments, Driesbergen (NL) 2004.
Da viele Leser*innen des Heilpädagogischen Kurses erstmalig mit der anthroposophischen Menschenkunde in Berührung kommen, werden Auszüge aus dem Aufsatz „Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft“ wie auch Ausführungen Frau Lemkes zum dritten Lebensjahrsiebt vorangestellt.
Als Überleitung zum heilpädagogischen Kurs folgt ein Beitrag zur doppelten Wesensgliederorganisation des Menschen. Wie diese Materie menschenkundlich vertieft werden kann, wird beispielhaft durch eine Darstellung zur menschlichen Sinnesorganisation und der sich daraus ergebenden Sinnesverarbeitung verdeutlicht.
Ein Beitrag zu den meditativen Momenten des Heilpädagogischen Kurses rundet das Kapitel zur Propädeutik ab – und das nicht ohne Grund: Bildet doch die meditative Arbeit eine wesentliche Grundlage für die Wirksamkeit jener Impulse, die der Heilpädagogische Kurs geben kann.
Erstveröffentlichung in „Lucifer-Gnosis“, Nr. 33, Mai 1907 (GA Bd. 34, S. 309-348)
„Die materialistisch orientierte Forschung betrachtet die Sinneserfahrung als die Grundlage allen Wissens. Was nicht auf dieser Grundlage aufgebaut werden kann, hält sie nicht für wissbar.
(…) Die Geisteswissenschaft zeigt, dass der Mensch (…) sich weitere (Erkenntnis-) Welten durch die Entfaltung neuer Organe erobern kann (s. u. die aphoristischen Ausführungen zum Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmenschen). Es gibt viele Welten um den Menschen herum, und dieser kann sie wahrnehmen, wenn er nur die notwendigen Organe dazu ausbildet.
Jene höheren Organe, durch welche der Mensch in übergeordnete Welten eindringen kann, sind im Keime bei jedem Menschen vorhanden. Jeder kann sie (bis zur bewussten Anwendung weiter-) entwickeln, der Geduld, Ausdauer und Energie dazu hat, jene Methoden auf sich anzuwenden, welche in den Aufsätzen: «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» beschrieben worden sind.“ (1)
1. Die Wesensglieder
a) Der physische Leib
„Das, was die Sinnesbeobachtung am Menschen kennenlernt, (…) ist für die geistige Erforschung nur ein (…) Glied der Menschennatur, nämlich sein physischer Leib. Dieser physische Leib (…) setzt sich aus denselben Stoffen und Kräften zusammen wie die ganze übrige sogenannte leblose Welt. Die Geisteswissenschaft sagt daher: Der Mensch habe diesen physischen Leib mit dem ganzen Mineralreich gemeinsam. Und sie bezeichnet am Menschen nur als physischen Leib, was dieselben Stoffe nach denselben Gesetzen zur Mischung, Verbindung, Gestaltung und Auflösung bringt, die auch in der mineralischen Welt als Stoffe nach eben diesen Gesetzen wirken.“
Anm.: R. Steiner erwähnt hier nicht jenes geistige Prinzip, nach welchem sich z. B. Kristalle strukturieren und chemische Reaktionen ablaufen. So konstituiert sich auch der menschliche physische Leib in seiner Konsistenz (Beschaffenheit) und Kohärenz (Zusammenhalt) nach einem geistigen Prinzip, das als Phantom bezeichnet wird. Dieses Prinzip löst sich mit dem Tode vom physischen Leib und überlässt ihn den Kräften des Zerfalls. Die ‚Arbeit‘ des Phantoms ist von jenen Wirkungen zu unterscheiden, die der im Folgenden beschriebene Lebensleib auf den physischen Leib als ‚Beleber‘ und ‚Verlebendiger‘ ausübt.
b) Der Ätherleib (Lebensleib)
Über diesen physischen Leib hinaus erkennt die Anthroposophie noch eine zweite Wesenheit im Menschen an: den Lebensleib oder Ätherleib. (…)
Diesen Lebensleib hat der Mensch mit Pflanzen und Tieren gemeinsam. Er bewirkt, dass die Stoffe und Kräfte des physischen Leibes sich zu den Erscheinungen des Wachstums, der Fortpflanzung, der inneren Bewegung der Säfte usw. gestalten. Er ist also der Erbauer und Bildner des physischen Leibes, dessen Bewohner und Architekt.
Man kann daher auch den physischen Leib ein Abbild oder einen Ausdruck dieses Lebensleibes nennen. (Die hellsichtige Beobachtung sagt Folgendes:) In Bezug auf Form und Größe sind beide beim Menschen annähernd, doch keineswegs ganz gleich. Bei den Tieren und noch mehr bei den Pflanzen unterscheidet sich aber der Ätherleib in Bezug auf die Gestalt und Ausdehnung erheblich von dem physischen Leibe.“
c) Der Astral- oder Empfindungsleib
„Das dritte Glied der menschlichen Wesenheit ist der sogenannte Empfindungs- oder Astralleib. Er ist der Träger von Schmerz und Lust, von Trieb, Begierde und Leidenschaft usw. Alles dies hat ein Wesen nicht, welches bloß aus physischem Leib und Ätherleib besteht. Man kann all das zusammenfassen unter dem Ausdrucke: Empfindung.
Die Pflanze hat nicht Empfindung. (…) Es kommt dabei nämlich nicht darauf an, dass das betreffende Wesen eine Antwort gibt auf einen äußeren Reiz, sondern vielmehr darauf, dass der Reiz sich durch einen inneren Vorgang, wie Lust, oder Schmerz, Trieb, Begierde usw. abspiegelt. Hielte man dies nicht fest, so wäre man auch berechtigt, zu sagen, dass blaues Lackmuspapier eine Empfindung habe von gewissen Substanzen, weil es sich beim Berühren mit denselben rötet. (2) Den Empfindungsleib hat der Mensch nur noch mit der Tierwelt gemeinsam. Er ist also der Träger des Empfindungslebens.
(Die hellsichtige Beobachtung sagt Folgendes:) Der Empfindungsleib ist in Form und Größe von dem physischen Leibe abweichend. Er zeigt beim Menschen die Gestalt eines länglichen Eies, in dem der physische und der Ätherleib eingebettet sind. Er ragt an allen Seiten über die beiden als eine Lichtbildgestalt hervor.“
Man darf nicht in den Fehler (…) verfallen, und sich den Äther- und Empfindungsleib einfach aus feineren Stoffen bestehend denken, als sie im physischen Leib vorhanden sind. Das hieße, diese höheren Glieder der menschlichen Natur zu vermaterialisieren. Der Ätherleib ist eine Kraftgestalt; er besteht aus wirkenden Kräften, nicht aber aus Stoff; und der Astral- oder Empfindungsleib ist eine Gestalt aus in sich beweglichen, farbigen, leuchtenden Bildern. (3)“
d) Die Ich-Organisation
„Nun hat der Mensch ein viertes Glied seiner Wesenheit, das er nicht mit anderen Erdenwesen teilt. Dieses ist der Träger des menschlichen «Ich» (Ich-Organisation).
Den Tisch kann jeder «Tisch», den Stuhl ein jeder «Stuhl» nennen. Bei dem Namen «Ich» ist dies nicht der Fall. Es kann ihn keiner anwenden zur Bezeichnung eines anderen; jeder kann nur sich selbst «Ich» nennen. Ein Wesen, das zu sich «Ich» sagen kann, ist eine Welt für sich.
Diejenigen Religionen, welche auf Geisteswissenschaft gebaut sind, haben das immer empfunden. Sie haben daher gesagt: Mit dem «Ich» beginne der «Gott», der sich bei niedrigeren Wesen nur von außen in den Erscheinungen der Umgebung offenbart, im Innern zu sprechen.
Der Träger der hier geschilderten Fähigkeit ist nun der «Ich-Leib» (Ich-Organisation), das vierte Glied der menschlichen Wesenheit. Dieser «Ich-Leib» ist der Träger der höheren Menschenseele. Durch ihn ist der Mensch die Krone der Erdenschöpfung.“
2. Die allgemeine seelische Entwicklung des Menschen
a) Die Bearbeitung der Wesensglieder durch das Ich
„Das «Ich» ist aber in dem gegenwärtigen Menschen keineswegs eine einfache Wesenheit. Man kann seine Natur erkennen, wenn man die Menschen verschiedener Entwickelungsstufen miteinander vergleicht. Man blicke auf den Ungebildeten (…) und den kultivierten Durchschnittsmenschen, und vergleiche diesen wieder mit einem hohen Idealisten. Sie haben alle die Fähigkeit, zu sich «Ich» zu sagen; der «Ich-Leib» ist bei allen vorhanden.
Der Ungebildete folgt mit diesem «Ich» aber seinen Leidenschaften, Trieben und Begierden fast wie das Tier. Der höher Entwickelte sagt sich gegenüber gewissen Neigungen und Lüsten: „Diesen darfst du folgen.“ Andere zügelt er und unterdrückt sie. Der Idealist hat zu den ursprünglichen Neigungen und Leidenschaften höhere hinzugebildet.
Dies ist alles dadurch geschehen, dass das «Ich» an den andern Gliedern der menschlichen Wesenheit gearbeitet hat. Ja, darinnen liegt gerade die Aufgabe des «Ich», dass es die anderen Glieder von sich aus veredelt und läutert. (…)“
b) Der Reinkarnationsgedanke
„Indem der Mensch (…) durch die aufeinanderfolgenden Leben oder Verkörperungen zu immer höherer Entwickelung sich hindurchringt, arbeitet sein Ich die anderen Glieder um. So wird der Empfindungsleib der Träger geläuterter Lust- und Unlustgefühle, verfeinerter Wünsche und Begierden.
Und auch der Äther- oder Lebensleib gestaltet sich um. Er wird der Träger der Gewohnheiten, der bleibenden Neigungen, des Temperamentes und des Gedächtnisses (wie auch des Gewissens). Ein Mensch, dessen Ich noch nicht gearbeitet hat an seinem Lebensleib, hat keine Erinnerung an die Erlebnisse, die er macht. Er lebt sich so aus, wie es die Natur ihm eingepflanzt hat.
Die ganze Kulturentwickelung drückt sich für den Menschen in solcher Arbeit des Ich an seinen untergeordneten Gliedern aus. Diese Arbeit geht bis in den physischen Leib hinunter. Unter dem Einfluss des Ich ändert sich die Physiognomie, ändern sich die Gesten und Bewegungen, das ganze Aussehen des physischen Leibes.“
c) Die Arbeit an den Wesensgliedern durch Kulturfaktoren
„Die gewöhnlichen Kulturfaktoren wirken auf den Empfindungsleib; sie bringen diesem andere Arten von Lust und Unlust, von Trieben usw. bei, als er vom Ursprunge aus hatte. (Anm.: Dabei handelt es sich z. B. um Verhaltensregeln im Umgang miteinander.)
Die Versenkung in die Werke der Kunst wirkt auf den Ätherleib. Indem der Mensch durch das Kunstwerk die Ahnung eines Höheren, Edleren erhält als das ist, was die Sinnesumgebung darbietet, gestaltet er seinen Lebensleib um (z. B. durch die Veränderung von Gewohnheiten). Ein mächtiges Mittel zur Läuterung und Veredelung des Ätherleibes ist die Religion. Die religiösen Impulse haben dadurch ihre großartige Mission in der Menschheitsentwickelung.
Das, was man Gewissen nennt, ist nichts anderes als das Ergebnis der Arbeit des Ich an dem Lebensleib durch eine Reihe von Verkörperungen hindurch. Wenn der Mensch einsieht, dass er dies oder jenes nicht tun soll, und wenn durch diese Einsicht ein so starker Eindruck auf ihn gemacht wird, dass sich dieser bis in seinen Ätherleib fortpflanzt, so entsteht eben das Gewissen.“
d) Die individuelle Schulung
„Nun kann diese Arbeit des «Ich» an den untergeordneten Gliedern entweder eine solche sein, die mehr dem ganzen Menschengeschlechte eigen ist, oder sie kann ganz individuell eine Leistung des einzelnen Ich an sich selbst sein. (…)“
Geistselbst
„Wenn nun das «Ich» so stark wird, dass es nur durch die eigenste Kraft den Empfindungsleib umarbeitet, so nennt man dasjenige, was das Ich auf diese Art aus diesem Empfindungs- oder Astralleibe macht, das Geistselbst (…). Diese Umgestaltung beruht im Wesentlichen auf einem Lernen, auf einem Bereichern des Innern mit höheren Ideen und Anschauungen.“
Anm.: Durch die Ausbildung des Geistselbst ergibt sich die Fähigkeit der Imagination – des Sehens geistiger Tatsachen in Bildern. So wurde oben die Beschaffenheit des Ätherleibes und des Astralleibes imaginativ beschrieben.
Lebensgeist
„Wenn der Mensch in die höhere oder sogenannte Geheimschulung eintritt, so kommt es vor allem darauf an, dass er die Umwandlung des Ätherleibes aus der ureigensten Macht des Ich heraus vornimmt. Er muss ganz bewusst und individuell an der Verwandlung von Gewohnheiten, Temperament, Charakter, Gedächtnis usw. arbeiten. Soviel er auf diese Art in den Lebensleib hineinarbeitet, so viel verwandelt er diesen, im Sinne der geisteswissenschaftlichen Ausdrucksweise, in Lebensgeist.“
Anm.: Die aus dem Lebensgeist hervorgehende Fähigkeit der Inspiration kann als das „Hineinlauschen“ in ein anderes Wesen/eine andere Sphäre beschrieben werden. So werden Komponisten*innen von den Sphärenharmonien inspiriert. Diese Inspirationen werden in Noten gesetzt und zu Klanggebilden verarbeitet. Die Leistung der Komponisten*innen besteht darin, die Inspirationen hörbar zu machen. Im neunten Vortrag ist von Inspirationen die Rede, die uns die Sprachgeister für unsere unterrichtliche Tätigkeit zukommen lassen. Mithilfe dieser Inspirationen ersinnen wir z. B. Geschichten.
Geistmensch
„(…)Auf einer noch höheren Stufe gelangt der Mensch dazu, Kräfte zu erlangen, durch die er auf seinen physischen Leib umgestaltend wirken kann (zum Beispiel Blutkreislauf, Puls verwandeln). Soviel auf diese Art vom physischen Leib umgestaltet ist, wird Geistmensch (…) genannt.“
Anm.: Die aus dem Geistesmenschen vorvorgehende Intuition ist mit der Fähigkeit verbunden, mit dem eigenen Geistwesen ein anderes zu durchdringen. In der Punkt-Kreis-Meditation (10. Vortrag des Heilp. Kurses) sind Momente der Intuition enthalten: Hier umfangen wir in der Nacht Gott und am Tag werden wir von Gott umfangen. Da in der Regel der Meditant noch nicht die Stufe des Geistmenschen erlangt hat, vollzieht sich die gegenseitige Durchdringung auf der Ebene des Unterbewussten. Dennoch ist sie wirksam, da der Geistmensch in jedem Menschen keimhaft vorhanden ist.
3. Die Entwicklungsphasen des Kindes
„Die Entwickelung der Wesensglieder von Kindern geschieht in den aufeinander folgenden Lebensaltern in einer verschiedenen Art. Und auf der Kenntnis dieser Entwickelungsgesetze der menschlichen Natur beruht die rechte Grundlage der Erziehung und auch des Unterrichtes.“
a) Pränatale Phase/Geburt des physischen Leibes
„Vor der physischen Geburt ist der (…) physische Leib der Mutter seine Umgebung. Nur dieser (mütterliche) Leib kann auf den reifenden Menschen wirken. Die physische Geburt besteht eben darinnen, dass die physische Mutterhülle den Menschen entlässt und dass dadurch die Umgebung der physischen Welt unmittelbar auf ihn wirken kann. Die Sinne öffnen sich der Außenwelt. Diese erhält damit den Einfluss auf den Menschen.“
b) Erstes Lebensjahrsiebt/bis zur ‚Geburt‘ des Ätherleibes
„(…) Damit ist wohl der physische Leib geboren, noch nicht aber der Äther- oder Lebensleib. So ist der Mensch bis zur Zeit des Zahnwechsels (…) von einer Ätherhülle und einer Astralhülle umgeben. Erst während des Zahnwechsels entlässt die Ätherhülle den Ätherleib.
Bis zum Zahnwechsel können jene Eindrücke, die an den Ätherleib kommen sollen, diesen ebenso wenig erreichen, wie das Licht und die Luft der physischen Welt den physischen Leib erreichen können, solange dieser im Schoße der Mutter ruht.
So arbeitet der Ätherleib bis zum Zahnwechsel erst die eigenen Kräfte aus – und zwar im Verbund mit den ererbten, also fremden Kräften. Während dieser Zeit des Freiwerdens des Ätherleibes ist der physische Leib aber schon selbständig.
Es arbeitet der sich befreiende Ätherleib das aus, was er dem physischen Leib zu geben hat: (die Ausformung der Organe, des Gehirns, des Nervensystems, der Knochen usw.) Der Schlusspunkt dieser Arbeit sind die eigenen Zähne des Menschen, die an die Stelle der vererbten treten. Sie sind die dichtesten Einlagerungen in dem physischen Leib, und treten daher in dieser Zeitperiode zuletzt auf.“
c) Zweites Lebensjahrsiebt/bis zur Geburt des Astralleibes
„Dann bleibt noch eine Astralhülle bis zum Eintritt der Geschlechtsreife. (4) In diesem Zeitpunkt wird auch der Astral- oder Empfindungsleib nach allen Seiten frei, wie es der physische Leib bei der physischen Geburt, der Ätherleib beim Zahnwechsel geworden sind.
Nun besorgt im zweiten Jahrsiebt der Lebensleib das Wachstum unter dem Einfluss des umhüllten Astralleibes. Dieser wirkt noch nach innen. In dem Augenblick, wo der Astralleib frei wird, wirkt er verstärkt nach außen. Das drückt sich in der Geschlechtsreife aus. Die Fortpflanzungsorgane werden selbständig, weil nunmehr der freie Astralleib hüllenlos der Außenwelt unmittelbar entgegentritt. Der Ätherleib ist aus dem Einfluss des Astralleibes entlassen. So tritt bei den Pubertierenden das Längenwachstum, insbesondere der Gliedmaßen, ein.“
„(…) Man muss wissen, auf welchen Teil der menschlichen Wesenheit man in einem bestimmten Lebensalter einzuwirken hat, und wie solche Einwirkung sachgemäß geschieht.“
1. Das Vorschulalter
„Bis zum Zahnwechsel im siebenten Jahre müssen sich die physischen Organe in gewisse (vom ererbten Leib abweichende, individuelle) Formen bringen. Später findet Wachstum statt, aber dieses Wachstum geschieht auf Grund jener Formen, die sich im ersten Jahrsiebt herausgebildet haben. Haben sich (unter dem Einfluss von Eltern und anderen Vorbildern) richtige Formen herausgebildet, so wachsen richtige Formen, haben sich (unter negativen Einflüssen) Missformen herausgebildet, so wachsen Missformen. Man kann in aller Folgezeit nicht wieder gutmachen, was man in der Zeit bis zum siebenten Jahre als Erzieher versäumt hat.
Wie die Natur vor der Geburt die richtige Umgebung für den physischen Menschenleib herstellt, so hat der Erzieher nach der Geburt für die richtige physische Umgebung zu sorgen. Nur diese richtige physische Umgebung wirkt auf das Kind so, dass seine physischen Organe sich in die richtigen Formen prägen.“
„Es gibt zwei Zauberworte, welche angeben, wie das Kind in ein Verhältnis zu seiner Umgebung tritt. Diese sind: Nachahmung und Vorbild. Was in der physischen Umgebung vorgeht, das ahmt das Kind nach, und im Nachahmen gießen sich seine physischen Organe in jene Formen, die ihnen dann bleiben.
Man muss die physische Umgebung nur in dem denkbar weitesten Sinne nehmen. Zu ihr gehört nicht etwa nur, was materiell um das Kind herum vorgeht, sondern all das, was sich in des Kindes Umgebung abspielt, was von seinen Sinnen wahrgenommen werden kann, was vom physischen Raum aus auf seine Geisteskräfte wirken kann. Dazu gehören auch alle moralischen oder unmoralischen, alle gescheiten und törichten Handlungen, die es sehen kann.“
„Nicht moralische Redensarten, nicht vernünftige Belehrungen wirken auf das Kind in der angegebenen Richtung, sondern dasjenige, was die Erwachsenen in seiner Umgebung sichtbar vor seinen Augen tun. (…)
Es bildet sich ein gesundes Sehen aus, wenn man die richtigen Farben- und Lichtverhältnisse in des Kindes Umgebung bringt, und es bilden sich in Gehirn und Blutumlauf die physischen Anlagen für einen gesunden moralischen Sinn, wenn das Kind Moralisches in seiner Umgebung sieht. Wenn vor dem siebenten Jahre das Kind nur törichte Handlungen in seiner Umgebung sieht, so nimmt das Gehirn solche Formen an, die es im späteren Leben auch nur zu Torheiten geeignet machen.
Wie die Muskeln der Hand stark und kräftig werden, wenn sie die ihnen gemäße Arbeit verrichten, so wird das Gehirn und werden die anderen Organe des physischen Menschenleibes in die richtigen Bahnen gelenkt, wenn sie die richtigen Eindrücke von ihrer Umgebung erhalten.“
„(…) Man kann einem Kinde eine Puppe machen, indem man eine alte Serviette zusammenwindet, aus zwei Zipfeln Beine, aus zwei anderen Zipfeln Arme fabriziert, aus einem Knoten den Kopf, und dann mit Tintenklecksen Augen und Nase und Mund malt. Oder man kann eine sogenannte «schöne» Puppe mit echten Haaren und bemalten Wangen kaufen und sie dem Kinde geben. (…)
Wenn das Kind die zusammengewickelte Serviette vor sich hat, so muss es sich aus seiner Phantasie heraus das ergänzen, was das Ding erst als Mensch erscheinen lässt. Diese Arbeit der Phantasie wirkt bildend auf die Formen des Gehirns. Dieses schließt sich auf, wie sich die Muskeln der Hand aufschließen durch die ihnen angemessene Arbeit. Erhält das Kind die sogenannte «schöne Puppe», so hat das Gehirn nichts mehr zu tun. Es verkümmert und verdorrt, statt sich aufzuschließen. (…)“
„Was für ein gesundes Spielzeug ist zum Beispiel das, welches durch zwei verschiebbare Hölzer zwei Schmiede zeigt, die einander zugekehrt einen Gegenstand behämmern. (…) Sehr gut sind auch jene Bilderbücher, deren Figuren durch Fäden von unten gezogen werden können, so dass sich das Kind selbst das tote Bild in die Abbildung von Handlungen umsetzen kann. Das alles schafft innere Regsamkeit der Organe, und aus dieser Regsamkeit baut sich die richtige Form der Organe auf. (…)
„ (…) Ein aufgeregtes Kind muss man mit roten oder rot-gelben Farben umgeben und ihm Kleider in solchen Farben machen lassen, dagegen ist bei einem unregsamen Kinde zu den blauen oder blaugrünen Farben zu greifen. Es kommt nämlich auf die Farbe an, die als Gegenfarbe im Inneren des Kindes erzeugt wird. Das ist zum Beispiel bei Rot die grüne, bei Blau die orange gelbe Farbe, wie man sich leicht überzeugen kann, wenn man eine Weile auf eine entsprechend gefärbte Fläche blickt, und dann rasch das Auge auf eine weiße Fläche richtet.
Diese Gegenfarbe wird von den physischen Organen des Kindes erzeugt und bewirkt die entsprechenden dem Kinde notwendigen Organstrukturen. Hat das aufgeregte Kind eine rote Farbe in seiner Umgebung, so erzeugt es in seinem Inneren das grüne Gegenbild. Und die Tätigkeit des Grünerzeugens wirkt beruhigend, die Organe nehmen die Tendenz der Beruhigung in sich auf.“
„So schafft der physische Leib sich den Gradmesser für das, was ihm zuträglich ist. Er tut das durch die entsprechende Ausgestaltung der Begierde.
Man kann im Allgemeinen sagen, dass der gesunde physische Leib nach dem Verlangen strebt, was ihm frommt. Und solange es auf den physischen Leib bei dem heranwachsenden Menschen ankommt, soll man intim hinsehen auf das, was das gesunde Verlangen, die Begierde, die Freude haben wollen. Freude und Lust sind die Kräfte, welche die physischen Formen der Organe in der richtigsten Art herauslocken.
Man kann das Kind aber auch überfüttern, so dass es seine gesunden Nahrungsinstinkte vollständig verliert, während man sie ihm durch die richtige Ernährung so erhalten kann, dass es genau bis auf das Glas Wasser alles verlangt, was ihm unter gewissen Verhältnissen zuträglich ist und alles zurückweist, was ihm schaden kann. (…)“
„Zu den Kräften, welche bildsam auf die physischen Organe wirken, gehört also Freude an und mit der Umgebung. Heitere Mienen der Erzieher, und vor allem redliche, keine erzwungene Liebe. Solche Liebe, welche die physische Umgebung gleichsam warm durchströmt, brütet im wahren Sinn des Wortes die Formen der physischen Organe aus.
So sollte in der Umgebung des Kindes nichts geschehen, was das Kind nicht nachahmen dürfte. Man sollte nichts tun, wovon man dem Kinde sagen müsste, das darfst du nicht tun. Wie das Kind auf die Nachahmung aus ist, davon kann man sich überzeugen, wenn man beobachtet, dass es Schriftzeichen nachmalt, lange bevor es sie versteht.“
„Besonders sollte alles Sprechenlernen im Sinne der Nachahmung in diesen Jahren geschehen. Hörend lernt das Kind am besten sprechen. Alle Regeln und alle künstliche Belehrung bewirken nichts Gutes.
Im frühen Kindesalter ist es insbesondere wichtig, dass solche Erziehungsmittel wie zum Beispiel Kinderlieder möglichst einen schönen rhythmischen Eindruck auf die Sinne machen. Weniger auf den Sinn als vielmehr auf den schönen Klang ist der Wert zu legen. Je erfrischender etwas auf Auge und Ohr wirkt, desto besser ist es. Man sollte nicht unterschätzen, was zum Beispiel tanzende Bewegungen nach musikalischem Rhythmus für eine organbildende Kraft haben.“
2. Das zweite Lebensjahrsiebt
„Mit dem Zahnwechsel beginnt die Zeit, in der von außen erziehend auf den Ätherleib eingewirkt werden kann. Die Umbildung und das Wachstum des Ätherleibes bedeutet Umbildung beziehungsweise Entwickelung der Neigungen, Gewohnheiten, des Gewissens, des Charakters, des Gedächtnisses, der Temperamente.“
„Es kommt vor allen Dingen darauf an, dass der junge Mensch in diesen Jahren in seinen Erziehern selbst Persönlichkeiten um sich hat, durch deren Anschauung in ihm die wünschenswerten intellektuellen und moralischen Kräfte erweckt werden können. So gilt für dieses Alter das Prinzip der Nachfolge und Autorität.
Die selbstverständliche, nicht erzwungene Autorität muss die unmittelbare geistige Anschauung darstellen, an der sich der junge Mensch Gewissen, Gewohnheiten, Neigungen herausbildet, an der sich sein Temperament in geregelte Bahnen bringt, mit deren Augen er die Dinge der Welt betrachtet.
Verehrung und Ehrfurcht sind Kräfte, durch welche der Ätherleib in der richtigen Weise wächst. Und wem es unmöglich war, in der in Rede stehenden Zeit zu jemand in unbegrenzter Verehrung hinaufzuschauen, der wird dieses in seinem ganzen späteren Leben zu büßen haben. Wo diese Verehrung fehlt, da verkümmern die lebendigen Kräfte des Ätherleibes. (…)
Glücklich ist derjenige Mensch zu preisen, der nicht nur in Feieraugenblicken des Lebens, sondern fortwährend zu seinen Lehrern und Erziehern als zu seinen selbstverständlichen Autoritäten aufzuschauen vermag. Zu diesen lebendigen Autoritäten, zu diesen Verkörperungen der sittlichen und intellektuellen Kraft müssen die geistig aufzunehmenden Autoritäten treten.“
„(…) Nur durch ein deutliches Bewusstsein davon, wie die einzelnen Erziehungsmaßnahmen auf den jungen Menschen wirken, kann der Erzieher immer den richtigen Takt finden, um im einzelnen Falle das Richtige zu treffen. So muss man wissen, wie die einzelnen Seelenkräfte, nämlich: Denken, Fühlen und Wollen, zu behandeln sind, damit deren Entwickelung wieder auf den Ätherleib zurückwirkt, (damit…) dieser sich zwischen Zahnwechsel und Geschlechtsreite durch die Einflüsse von außen immer vollkommener gestalten kann.
Zu der Entwickelung eines gesunden kraftvollen Willens wird der Grund gelegt durch die richtige Handhabung der betrachteten Erziehungsgrundsätze während der ersten sieben Lebensjahre. Denn ein solcher Wille muss seine Stütze in den vollentwickelten Formen des physischen Leibes haben.
Vom Zahnwechsel angefangen, handelt es sich darum, dass der nun sich entwickelnde Ätherleib dem physischen Leib diejenigen Kräfte zuführt, durch welche dieser seine Formen gediegen und in sich fest machen kann. Das, was die stärksten Eindrücke auf den Ätherleib macht, das wirkt auch am kräftigsten auf die Festigung des physischen Leibes zurück.
Die allerstärksten Impulse werden auf den Ätherleib durch diejenigen Empfindungen und Vorstellungen hervorgerufen, durch die der Mensch seine Stellung zu den ewigen Urgründen des Weltalls fühlt und erlebt, das heißt durch die religiösen Erlebnisse. Niemals wird sich der Wille eines Menschen und damit sein Charakter gesund entwickeln, wenn er nicht tiefeindringende religiöse Impulse in dieser Lebensepoche durchmachen kann.
In der einheitlichen Willensorganisation kommt es zum Ausdruck, wie der Mensch sich eingegliedert fühlt in das Weltganze. Fühlt sich der Mensch nicht mit sicheren Fäden angegliedert an ein Göttlich-Geistiges, so müssen Wille und Charakter unsicher, uneinheitlich und ungesund bleiben.
Die Gefühlswelt entwickelt sich in der rechten Art durch die beschriebenen Gleichnisse und Sinnbilder, insbesondere durch alles das, was aus der Geschichte und sonstigen Quellen an Bildern charakteristischer Menschen vorgeführt wird.
Auch die entsprechende Vertiefung in die Geheimnisse und Schönheiten der Natur ist für die Heranbildung der Gefühlswelt wichtig. Und hier kommt insbesondere in Betracht die Pflege des Schönheitssinnes und das Wachrufen des Gefühls für das Künstlerische.
Das Musikalische muss dem Ätherleib jenen Rhythmus zuführen, der ihn dann befähigt, den in allen Dingen auch sonst verborgenen Rhythmus zu empfinden. Einem jungen Menschen wird viel für das ganze spätere Leben entzogen, dem in dieser Zeit nicht die Wohltat einer Pflege des musikalischen Sinnes zuteilwird. (…)
Dabei sollen aber die andern Künste nicht vernachlässigt werden. Die Erweckung des Sinnes für architektonische Stilformen, desjenigen für plastische Gestalten, für Linie und Zeichnerisches, für die Harmonie der Farben, nichts davon sollte im Erziehungsplan fehlen.
(…) Mit den einfachsten Mitteln kann man viel leisten, wenn in dieser Richtung bei dem Erzieher selbst der richtige Sinn herrscht. Freude am Leben, Liebe zum Dasein, Kraft zur Arbeit, alles das erwächst für das ganze Dasein aus der Pflege des Schönheits- und Kunstsinnes.
Und das Verhältnis von Mensch zu Mensch, wie wird es veredelt, verschönt durch diesen Sinn. Das moralische Gefühl, das ja auch in diesen Jahren herangebildet wird durch die Bilder des Lebens, durch die vorbildlichen Autoritäten, es erhält seine Sicherheit, wenn durch den Schönheitssinn das Gute zugleich als schön, das Schlechte als hässlich empfunden wird.
Das Denken in seiner eigenen Gestalt als inneres Leben in abgezogenen Begriffen muss in der in Frage kommenden Lebensperiode noch zurücktreten. Es muss sich wie unbeeinflusst, gleichsam von selbst entwickeln, während die Seele die Gleichnisse und Bilder des Lebens und der Naturgeheimnisse vermittelt erhält.
So muss inmitten der anderen Seelenerlebnisse zwischen dem siebenten Jahre und der Geschlechtsreife das Denken heranwachsen, die Urteilskraft muss so reifen, damit dann, nach erfolgter Geschlechtsreife, der Mensch fähig werde, den Dingen des Lebens und Wissens gegenüber sich in voller Selbständigkeit seine Meinungen zu bilden.
Je weniger man vorher unmittelbar auf die Entwickelung der Urteilskraft einwirkt und je besser man es mittelbar durch die Entwickelung der andern Seelenkräfte tut, umso besser ist es für das ganze spätere Leben des betreffenden Menschen.“
„Auf den Ätherleib wirkt man durch Bilder, durch Beispiele, durch geregeltes Lenken der Phantasie. (…) Das Sinnvolle, das durch das Bild und Gleichnis wirkt, ist jetzt am Platze. Der Ätherleib entwickelt seine Kraft, wenn eine geregelte Phantasie sich richten kann nach dem, was sie aus den lebendigen und geistvollen Bildern enträtseln und sich zur Richtschnur nehmen kann. Nicht abstrakte Begriffe wirken in der richtigen Weise auf den wachsenden Ätherleib, sondern das Anschauliche – aber nicht allein das Sinnlich-, sondern zuvorderst das Geistig-Anschauliche. Die geistige Anschauung ist das richtige Erziehungsmittel in diesen Jahren.“
„Die großen Vorbilder der Geschichte, die Erzählung von vorbildlichen Männern und Frauen müssen das Gewissen, müssen die Geistesrichtung bestimmen, nicht so sehr abstrakte sittliche Grundsätze, die erst dann ihre richtige Wirkung tun können, wenn sich mit der Geschlechtsreife der astrale Leib seiner astralen Mutterhülle entledigt.
Man muss insbesondere den Geschichtsunterricht in eine Richtung lenken, welche durch solche Gesichtspunkte bestimmt ist. Vor dem Zahnwechsel werden die Erzählungen, Märchen usw., die man an das Kind heranbringt, Freude, Erfrischung, Heiterkeit allein zum Ziele haben können. Nach dieser Zeit wird man bei dem zu erzählenden Stoff außer diesem darauf Bedacht zu nehmen haben, dass Bilder des Lebens zur Nacheiferung vor die Seele des jungen Menschen treten.“
„Schlechte Gewohnheiten können durch entsprechende abstoßende Bilder aus dem Felde geschlagen werden. Wenig helfen Ermahnungen gegenüber solchen schlechten Gewohnheiten und Neigungen. Lässt man aber das lebensvolle Bild eines entsprechend schlechten Menschen auf die kindliche Phantasie wirken, und zeigt man, wozu eine in Frage kommende Neigung in der Wirklichkeit führt, so kann man viel zur Austilgung wirken.
Nicht abstrakte Vorstellungen wirken auf den sich entwickelnden Ätherleib, sondern lebensvolle Bilder in ihrer geistigen Anschaulichkeit. Allerdings muss das mit dem größten Takte ausgeführt werden, damit die Sache nicht in das Gegenteil umschlage. Bei Erzählungen kommt alles auf die Art des Erzählens an. Es kann daher nicht ohne weiteres die mündliche Erzählung etwa durch Lektüre ersetzt werden.“
„(…) Es ist notwendig, dass der junge Mensch die Geheimnisse der Natur, die Gesetze des Lebens möglichst nicht in verstandesmäßig nüchternen Begriffen, sondern in Symbolen in sich aufnehme. (…) Die Gesetzmäßigkeit des Daseins müssen hinter den Gleichnissen mehr geahnt und empfunden werden, als in verstandesmäßigen Begriffen erfasst. «Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis», das muss geradezu ein durchgreifender Leitspruch für die Erziehung in dieser Zeit sein. (…)
Ein Beispiel möge dies veranschaulichen. Man nehme an, man wolle einem jungen Menschen von der Unsterblichkeit der Seele, von ihrem Hervorgehen aus dem Leibe sprechen. Man soll es so tun, dass man zum Beispiel den Vergleich heranzieht von dem Hervorgehen des Schmetterlings aus der Puppe. Wie sich der Falter aus der Puppe erhebt, so nach dem Tode die Seele aus dem Gehäuse des Leibes. Kein Mensch wird den richtigen Tatbestand in Verstandesbegriffen entsprechend erfassen, der ihn nicht vorher in einem solchen Bilde empfangen hat. Dadurch spricht man nämlich nicht bloß zum Verstande, sondern zu Gefühl, Empfindung, zur ganzen Seele.
Ein junger Mensch, der durch alles das hindurchgegangen ist, tritt dann in ganz anderer Stimmung an die Sache heran, wenn sie ihm in Verstandesbegriffen später vermittelt wird. Es ist sogar recht schlimm für den Menschen, wenn er nicht zuerst mit dem Gefühle an die Rätsel des Daseins herantreten kann. Es ist eben notwendig, dass für alle Naturgesetze und Weltgeheimnisse dem Erzieher Gleichnisse zur Verfügung stehen.“
„(…) Wenn man in Bildern zu jemand spricht, dann wirkt auf diesen nicht bloß, was man sagt oder zeigt, sondern es geht von dem, der mitteilt, ein feiner geistiger Strom hinüber zu dem, dem die Mitteilung gemacht wird. Wenn der Mitteilende selbst nicht das warme gläubige Verhältnis zu seinem Gleichnis hat, so wird er damit keinen Eindruck machen. Man muss, um recht zu wirken, eben selbst an seine Gleichnisse als an Wirklichkeiten glauben.
Der aus der Geisteswissenschaft Unterrichtende braucht sich das obige Gleichnis der aus dem Leibe hervorgehenden Seele nicht abzuquälen, denn für ihn ist in dem Hervorgehen des Schmetterlings aus der Puppe wirklich auf einer niedrigeren Stufe des Naturdaseins derselbe Vorgang gegeben, der auf einer höheren Stufe in höherer Ausbildung sich wiederholt in dem Hervorgehen der Seele aus dem Leibe.
Er glaubt mit voller Kraft selbst daran. Und dieser Glaube strömt wie in geheimnisvollen Strömungen vom Sprechenden zu dem Hörenden hinüber und bewirkt Überzeugung. Unmittelbares Leben gießt sich dann hinüber und herüber vom Erzieher zum Schüler (…).“
„Man soll sich zum Beispiel nicht damit begnügen, eine Pflanze, ein Samenkorn, eine Blüte bloß in sinnlicher Anschauung vorzuführen. Alles soll zum Gleichnis des Geistigen werden. Ein Samenkorn ist eben nicht bloß dasjenige, als was es den Augen erscheint. Es steckt unsichtbar die ganze neue Pflanze darinnen.
Dass ein solches Ding mehr ist, als was die Sinne sehen, das muss mit der Empfindung, mit der Phantasie, mit dem Gemüte lebendig erfasst werden. Die Ahnung der Geheimnisse des Daseins muss gefühlt werden.
Man kann nicht einwenden, dass durch ein solches Vorgehen die reine sinnliche Anschauung getrübt werde: im Gegenteil, durch das Stehenbleiben bei der bloßen Sinnesanschauung kommt die Wahrheit zu kurz. Denn die ganze Wirklichkeit eines Dinges besteht aus Geist und Stoff, und die treue Beobachtung braucht nicht weniger sorgfältig betrieben zu werden, wenn man die sämtlichen Seelenkräfte, nicht bloß die physischen Sinne in Wirksamkeit bringt.
(…) Was nützt es im höchsten Sinne, wenn jungen Menschen alle möglichen Mineralien, Pflanzen, Tiere, physikalischen Versuche gezeigt werden, wenn das nicht damit verbunden wird, die sinnlichen Gleichnisse zum Ahnenlassen der geistigen Geheimnisse zu verwenden.“
„(…) Die Entwickelung des Gedächtnisses ist eben an die Umbildung des Ätherleibes gebunden. Da dessen Ausbildung so erfolgt, dass er gerade zwischen Zahnwechsel und Geschlechtsreife frei wird, so ist diese Zeit auch diejenige, in der von außen bewusst auf die Fortentwickelung des Gedächtnisses gesehen werden muss. Das Gedächtnis wird bleibend einen geringeren Wert haben, als es hätte für den betreffenden Menschen haben können, wenn in dieser Zeit das Entsprechende versäumt wird. Das Vernachlässigte kann später nicht mehr nachgeholt werden.
(…) Nicht etwa nur bildlich ist es gesprochen, wenn man sagt, man kann ebenso mit dem Gefühle, mit der Empfindung, mit dem Gemüte verstehen wie mit dem Verstande. Begriffe sind nur eines der Mittel, um die Dinge dieser Welt zu verstehen. Und nur der materialistischen Gesinnung erscheinen sie als das einzige. (…) Denn der Verstand ist nun einmal das Seeleninstrument für das Begreifen des Materiellen.
(…) Wie das Kind das Gefüge der Sprache in seinen Seelenorganismus aufnimmt, ohne die Gesetze des Sprachbaues dazu in verstandesmäßigen Begriffen zu gebrauchen, so muss der junge Mensch zur Pflege des Gedächtnisses Dinge lernen, von denen er sich erst später das begriffliche Verstehen aneignen soll. Man lernt sogar das am besten hinterher in Begriffen fassen, was man in diesem Lebensalter erst rein gedächtnismäßig sich angeeignet hat, wie man die Regeln der Sprache am besten an der Sprache lernt, die man bereits spricht.
Die Rede vom unverstandenen Gedächtnisstoff ist weiter nichts als ein materialistisches Vorurteil. Der junge Mensch braucht zum Beispiel nur die notwendigsten Gesetze des Multiplizierens an einigen Beispielen zu lernen, zu denen man keine Rechenmaschine braucht, sondern wozu die Finger viel besser sind, dann soll er das Einmaleins sich ordentlich gedächtnismäßig aneignen.“
„Wenn man so vorgeht, berücksichtigt man die Natur des werdenden Menschen. Man versündigt sich aber gegen diese, wenn man in der Zeit, in der es auf die Bildung des Gedächtnisses ankommt, den Verstand zu sehr in Anspruch nimmt.
Der Verstand ist eine Seelenkraft, die erst mit der Geschlechtsreife geboren wird(…). Bis zur Geschlechtsreife soll sich der junge Mensch durch das Gedächtnis jene Schätze aneignen, über welche die Menschheit gedacht hat, nachher ist die Zeit, mit Begriffen zu durchdringen, was er vorher gut dem Gedächtnis eingeprägt hat.
(…) In einem weiten Umfange gilt das. Zuerst rein gedächtnismäßiges Aneignen geschichtlicher Ereignisse, dann Erfassen derselben in Begriffen. Zuerst gutes gedächtnismäßiges Einprägen geographischer Dinge, dann Begreifen des Zusammenhanges derselben usw.
Lernt man dagegen nach der Geschlechtsreife nachholend, oder sonst wie in einem späteren Lebensalter etwas, so kann natürlich der umgekehrte Weg der richtige und wünschenswerte sein, dass also der Begriff eingeführt und dann mit Erlebnisinhalten gefüllt wird – obwohl auch da noch das didaktische Vorgehen von der Geisteskonstitution des Betreffenden abhängig gemacht werden muss.“
3. Das dritte Lebensjahrsiebt