Die Herausgabe der Werksammlung wurde vom Land Tirol, dem Bundesministerium für Unterricht und Kunst und von der Gemeinde Telfs gefördert.
© 1992
HAYMON verlag
Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at
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Aufführungsrechte für alle Stücke beim Österreichischen Bühnenverlag Kaiser & Co., Am Gestade 5/II, A-1010 Wien
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ISBN 978-3-7099-7628-9
Umschlaggestaltung:
hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol
Dieses Stück wurde dem Sammelband »Stücke 1«, erschienen 1992 im Haymon Verlag, entnommen. Den Sammelband »Stücke 1« erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.haymonverlag.at.
Vorbemerkung von Felix Mitterer
Drachendurst
Alle Stücke in dieser Gesamtausgabe sind in der Originalfassung abgedruckt, das heißt, in stilisierter Tiroler Umgangssprache, ausgenommen drei, bei denen ich aus bestimmten Gründen die Hochsprache gewählt habe. Dies sind »Die Kinder des Teufels« (spielt im Salzburg des 18. Jahrhunderts, soll aber auf exemplarische Weise einen Hexenprozeß darstellen), »Sibirien« (kann überall auf der Welt spielen) und »Ein Jedermann« (spielt in der Hochfinanz). Ich erwähne dies deshalb, weil es von den meisten meiner Stücke auch weitgehend an die Hochsprache angenäherte Fassungen gibt. Diese schrieb ich, weil auch immer wieder Theater an Aufführungen interessiert sind, deren Ensemblemitglieder aus allen Ecken und Enden des deutschsprachigen Raumes kommen und deshalb die Stücke nicht in einer einigermaßen einheitlichen Umgangssprache spielen können.
Die Art und Weise, wie ich den Dialekt niedergeschrieben habe, war nicht immer gleich, die Unterschiede sind in dieser Ausgabe beibehalten. Hauptsächlich variiert die Sprache je nach dem beschriebenen Milieu (archaisch etwa in »Die Wilde Frau«, heutig in »Besuchszeit«) oder je nach den auftretenden Personen (Herkunft, Beruf, Stand) und wird bei Aufführungen von Schauspielern aus unterschiedlichen Gegenden ohnehin wieder unterschiedlich gesprochen. In zwei Fällen (»Abstellgleis« in »Besuchszeit« und »Kein schöner Land«) gab es bei der späteren hochsprachigen Fassung auch kleine inhaltliche Veränderungen, die ich jetzt bei der endgültigen Publizierung der Gesamtausgabe beibehalten wollte. Hier sind die entsprechenden Passagen in den Dialekt zurückübertragen. In jedem Fall habe ich auf gute Lesbarkeit geachtet, was mir bei Theaterstücken — im Gegensatz zu Dialektgedichten — wichtig scheint.
Jedem der zwölf Stücke habe ich eine Vorbemerkung vorangestellt, die von der jeweiligen Entstehungsgeschichte und meinen Intentionen erzählt. Mein Wunsch war es aber vor allem, zu jedem Stück Szenenfotos von verschiedenen Aufführungen hinzuzufügen. Dies deshalb, weil Literatur fürs Theater erst auf der Bühne ihre Breitenwirkung entfalten kann, und das soll hier zumindest dokumentiert werden. Außerdem geht es mir darum, die Arbeit der Theatermacher zu würdigen, diejenigen zu zeigen, die ein Stück erst wirklich zum Leben erwecken. Auch ist es interessant zu sehen, wie verschieden ein Stück inszeniert werden kann. Die Auswahl der Aufführungsfotos erfolgte (abgesehen von der meist ausführlicher vorgestellten Uraufführung) mehr oder weniger zufällig, manchmal waren auch keine Bilder zu bekommen oder nur nichtssagende. Wichtig war mir, einen großen Querschnitt durch die verschiedenen Theater zu zeigen, die meine Stücke spielen, eingeschlossen Aufführungen von Laienbühnen, denen ich besonders zugetan bin.
Innsbruck, am 1. November 1992 |
Felix Mitterer |
Gunnar Klattenhoff, der 1983 in Telfs Schönherrs und meine »Karrnerleut« inszenierte, machte damals den Vorschlag, wir sollten doch einmal bei den Volksschauspielen ein Märchenstück bringen. Er, der von Norddeutschland kam, war beeindruckt von der Landschaft Tirols, besonders von der Hohen Munde, dem Telfer Hausberg. Klattenhoff vermutete, daß sich die Naturgeister in der Ebene auf ein paar Irrlichter und ähnliches beschränken würden, hier im Gebirge aber, in den Schluchten und Höhlen, in den Wäldern und Dickichten, da müßte es doch immer schon mehr dieser Wesen gegeben haben. Nun, das ist wohl wahr, wenn auch schon lange vorbei, denn die Berge sind erschlossen, die Wälder vergiftet und gerodet, die Sümpfe trockengelegt, die Dickichte ausgerottet — wo sollen sich da noch Geister aufhalten können? Man erzählt, daß an den Autobahnen manchmal eine weiße Frau steht und den Autos Zeichen gibt. Nimmt einer die Frau mit, so sitzt sie stumm neben dem Fahrer und ist plötzlich verschwunden. Vielleicht ist das die weiße Göttin, die Feenkönigin, die Mutter des Waldes, die Hirschkuh, die ratlos sich über Beton dahinfahren läßt, worunter ihre Landschaft begraben liegt. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich vielleicht ein andermal erzählen werde.
Mit dem Zaubermärchen »Drachendurst«, das wir im Sommer 1986 in Telfs uraufführten, bin ich zurückgegangen in frühere Zeiten, oder auch in die Zukunft oder in eine zeitlose Zeit, wo in einer anderen Dimension — das heißt, in uns selbst — ein ewiger Kampf tobt, der Kampf Gut gegen Böse, Schwarz gegen Weiß, Geld gegen Brot, Liebe gegen Haß, Leben gegen Tod. Der Drache — zugleich dunkler Zauberfürst — und die Hirschkuh — zugleich weiße Feenkönigin —, die beiden vertreten in Drachendurst diese Prinzipien. Beide gehören zusammen, beide sind nicht zu trennen und müssen sich trotzdem bekämpfen. Mitten drin in diesem Kampf stehen die Menschen des Stückes — Drachentöter und Knappe, Jungfrau, Mutter und Gaukler, sind getrieben und geworfen, versuchen sich mit rührendem Mut zu behaupten in dieser chaotischen Welt. Zum Schluß siegt das Gute — wie in allen Märchen —, aber das Böse wird sofort wiedergeboren, der Kreislauf beginnt von neuem, das Spiel nimmt niemals ein Ende.
PERSONEN:
Drache (ein Zauberfürst)
Hirschkuh (eine Feenkönigin)
Martha (eine holde Jungfrau)
Niklas (ein Ritter)
Jakob (ein Schildknecht)
Norg (ein Kobold)
Schneck (ein Zauberer)
Jocherer (ein Menschenfresser)
Wassernixe
Mutter
Vater
4 Kinder, 3 Wächter, 1 Bär
ZEIT: Gestern, heute, morgen
SCHAUPLÄTZE:
See mit Ufer
Stube in einer Tagwerkerhütte
Gebirgsschlucht mit Höhle
Zimmer in der Eisenburg des Drachen
Waldlichtung mit Höhle
VORSPIEL
Im Schein des Vollmondes der schwarzgelbe Drache und die weiße Hirschkuh. Musik.
DRACHE:
Vielhundert Jahr is es jetzt her,
da wollt zum Weib i di nehmen,
und wia du gsagt hast, na,
da war in mir a großer Weh,
und no heut, wenn i di siech,
tuats in mir brennen.
Du woaßt es, seit der Zeit
möcht i dir's Herz außerreißen,
möchts nageln über mei Eingangstür,
möcht di ins Feuer schmeißen,
daß nix mehr bleibt von dir —
außer Aschen und Staub.
HIRSCHKUH:
Dein Haß auf mi, den kenn i guat,
und i kenn wohl a dei Leiden.
Aber misch i mi mit Drachenbluat,
kann i nimmer Hirschkuah bleiben.
Und wenns mi a verlangt nach dir,
i derf die nit begehren,
sonst fallt glei ab die Kraft von mir,
und i kann di nimmer wehren.
Den Menschen bin i Schirm und Schutz,
du bist Bosheit, Neid und Trutz.
Du bist kalt und i bin warm,
i bin die Liab und du bist der Zorn,
du bist des Geld und i bins Brot,
i bins Leben und du bist der Tod.
So wer ma bleiben in Hader und Streit,
jetzt und in alle Ewigkeit.
1. BILD
See mit Ufer. Tag. Auf einem großen Stein im See sitzt eine Nixe. Sie singt ein Lied ohne Worte. Nach einer Weile schleicht sich von der Seite vorsichtig der Kobold Norg heran. Er ist ein kleines, katzenartiges Wesen mit dunklem Fell. Auf allen Vieren kriecht der Norg durch das seichte Wasser, springt dann plötzlich die Nixe an, reißt sie vom Felsen, zerrt sie schnaufend ans Ufer. Die Nixe wehrt sich verzweifelt mit ihren Händen, will wieder ins Wasser zurück, der Norg wirft sie auf den Rücken, setzt sich auf ihre Brust und hält ihre Hände am Boden fest. Der Fischschwanz der Nixe schlägt verzweifelt aus, die Schläge werden langsamer, der Schwanz hält still.
NORG: Hab i di, du kalter Fisch! Hehe, des werd a feiner Abendtisch, für den Drachen, meinen Herrn!