Über dieses Buch:

So weit du auch läufst – deiner Vergangenheit entkommst du nie … Nach seinem letzten Fall gibt es für Detective Jonathan Stride von der Polizei in Minnesota keine andere Wahl – er muss einen Neuanfang wagen, und welche Stadt wäre dafür besser geeignet als Las Vegas, wo die Lichter der Casinos strahlen und jeder das Vergessen sucht. Doch schon sein erster Fall im neuen Job wird zur Feuertaufe: Eine Mordserie erschüttert die Stadt der Sünde. Die Opfer scheinen auf den ersten Blick nichts gemein zu haben – bis auf ihren Killer, der skrupellos zuschlägt und der Polizei immer einen Schritt voraus ist. Erst als Detective Stride beginnt, in der Vergangenheit der schillernden Wüstenstadt zu recherchieren, findet er eine Spur. Doch die führt geradewegs in den Sumpf aus Korruption und Verderbnis, auf dem Las Vegas errichtet wurde – und aus dem es kein Entkommen gibt!

»Was Brian Freeman auszeichnet sind seine vielschichtigen, komplexen Charaktere … Ein Lesetipp für Fans von Bestsellerautor Harlan Coben, die von der rasanten, immer wieder überraschenden Handlung begeistert sein werden.« Booklist

Über den Autor:

Brian Freeman wurde 1963 in Chicago geboren. Nach einem Studium der Literaturwissenschaft arbeitete Freeman zunächst als Journalist und Marketingexperte. Sein Debütroman »The Case – Die Vermisste« wurde ein internationaler Erfolg, seitdem hat Brian Freeman zahlreiche Romane in 17 Sprachen veröffentlicht. Er lebt mit seiner Familie in St Paul, Minnesota.

Bei dotbooks veröffentlichte Brian Freeman außerdem folgende Thriller: »THE CASE – Die Vermisste« und »THE CASE – Der Serienmörder«

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eBook-Neuausgabe Oktober 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2006 unter dem Originaltitel »Stripped« bei St. Martin’s Press, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2006 unter dem Titel »Las-Vegas-Killer« bei RM Buch und Medien Vertrieb.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2006 by Brian Freeman

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2006 RM Buch und Medien Vertrieb GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Stefan Hilden, hildendesign.de Covermotiv: © Shutterstock.com, SoleilC

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-96655-900-3

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Brian Freeman

THE CASE

Der Las-Vegas-Killer

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Imke Walsh-Araya

dotbooks.

Für Marcia

Muß Schuld durch an’dre Schuld

gezüchtigt werden,

Durch größ’re Lastertat?

Lord Byron

Die weiße Seide legte sich zu ihren Füßen in Akkordeonfalten, als sie ihren Bademantel von den Schultern gleiten ließ.

Über dem Dachgarten blinkte der Name »Sheherezade« in riesigen roten und grünen Neonlettern. Das grelle Licht ergoss sich über ihre Haut und malte psychedelische Graffiti auf die Vasen, Brunnen und Dattelpalmen, die der Terrasse das Flair eines marokkanischen Palastes verliehen.

Die Stadt lebte vom Licht. Das Tal wurde von knallbunten Neonreklamen erhellt, aber die Namen verrieten die Wahrheit. The Sands. The Dunes. The Frontier. Sand, Dünen, Grenze – Stützpunkte im Niemandsland, die Zuflucht boten vor Staub und Sonne.

Außerhalb der Reichweite der Neonlichter war das Dach des Sheherezade dunkel wie die schwarze Wüste, die am Rande des Las Vegas Boulevard, des »Strip«, lauerte. Sie gönnte den Schatten keinen Blick, und so sah sie auch den Mann nicht, der dort auf sie wartete.

Das leuchtend blaue Wasser des Swimmingpools zog sie magisch an. Sie hatte nach der Vorstellung geduscht, aber ihr Körper war erhitzt vom Tanz, und sie sehnte sich nach dem kühlen, erfrischenden Wasser. Nur mit ihren hochhackigen Schuhen bekleidet, ging sie über die Marmoreinfassung zum tiefen Ende des Pools. Der heiße, sandige Wind kratzte auf ihrem Körper. Sie schlüpfte aus den Stilettos und stieg auf das Sprungbrett. Anmutig wie eine Meerjungfrau tauchte sie in die Fluten, um dann lässig auf der Seite zum flachen Ende zu schwimmen. Als sie aufstand, tropfte das Wasser von ihren Brüsten. Sie fuhr sich mit den Fingern durch das nasse Haar.

Für sie war es das Paradies. Sie war für dieses Leben geschaffen.

Bald würde sie es sich überall auf der Welt leisten können. Keine nach Schweiß stinkenden Veranstaltungsräume mehr, in denen sich Amateurinnen als Revuetänzerinnen versuchten. Nie wieder die Nutte auf Abruf spielen. Schon vor Monaten hatte sie sich zur Flucht entschlossen. Heute war ihr letzter Abend. Morgen würde sie frei sein.

Sie fragte sich, ob sie die Macht vermissen würde, die sie auf der Bühne spürte, den Hunger in den Augen der Männer, die ihren Namen riefen. »Amira!«

Amira Luz, die spanische Schönheit mit der dunklen Haut und den lockenden Augen. Glänzendes langes Haar, eine schmale gebogene Nase, ein Körper voll sinnlicher Kurven. Amira Luz – die Göttin des Sheherezade.

Ja, sie würde dieses Leben vermissen. Dies war Las Vegas, wo einfach alles erotisch war. Sinatras Stimme. Die Diamanten am Hals einer Frau, sogar der Rauch einer soeben angezündeten Zigarette. Wenn sie mit schwingenden Hüften durch die Kasinos ging, hörte sie das Wispern hinter ihrem Rücken. Hier war sie ein Star. Wenn sie die hellen Lichter hinter sich ließ, gab es keine Rückkehr. Aber sie wollte nicht länger in Gefangenschaft leben.

Ein lautes Platschen ließ sie zusammenfahren. Mit pochendem Herzen wandte sie sich um und sah eine helle Gestalt unter Wasser auf sie zuschwimmen. Sie erstarrte vor Furcht, doch dann lächelte sie und entspannte sich. Er war früher gekommen, um sie zu überraschen. Verlangen und Erregung erfüllten sie, als sie daran dachte, wie sie sich im Pool lieben würden.

»Du hast es wohl nicht mehr ausgehalten«, sagte sie neckend, als sein starker, fester Körper, der ebenso nackt war wie der ihre, vor ihr aus dem Wasser tauchte.

Aber es war nicht das Gesicht, das sie erwartet hatte.

Und doch kannte sie ihn. Er gaffte sie jeden Tag im Kasino an. Ein geiler Junge, der den Staub unter ihren Füßen nicht wert war.

Sie wusste, warum er hier war.

Amira taumelte rückwärts und fing an zu schreien, aber da war er schon über ihr, legte ihr die Hand über den Mund und schlang den anderen Arm um ihre Taille. Sie wehrte sich, doch er riss sie an sich. Dann nahm er die Hand von ihrem Mund und küsste sie brutal, bevor sie schreien konnte. Sie trat unter Wasser mit aller Kraft nach ihm, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, aber seine Beine schienen mit den Kacheln am Boden des Pools verwachsen zu sein. Als er sie mühelos in die Höhe hob, spürte sie sein hartes Glied an ihrem Bauch.

Zuerst Vergewaltigung, dachte sie.

Dann Mord.

Als er ihren Mund freigab, holte sie tief Atem und rief um Hilfe.

»Schrei ruhig.« Lachend löste er seinen Griff um ihren Körper und holte zu einem brennenden Schlag ins Gesicht aus, der ihren Schrei erstickte. Sie versuchte, sich zu befreien, aber er packte sie erneut und drückte sie mit dem gesamten Körper unter Wasser. Sie fühlte sein Knie an ihrem Bauch. Dann rammte er es ihr in die Brust und drückte damit ihre Lungen zusammen. Unwillkürlich öffnete sie den Mund. Wasser drang ein. Aus ihrer Nase stiegen Luftblasen auf. Panisch um sich schlagend, versuchte sie, an die Oberfläche zu kommen, aber seine Hände hielten sie wie in einem Schraubstock.

Für sie würde es keine Freiheit mehr geben, das wusste sie nun. Sie würde für immer Gefangene bleiben.

Das Chlor brannte in ihren weit aufgerissenen Augen. Durch das Wasser verzerrt, sah sie seinen Hodensack wie eine riesige Schote vor ihren Augen baumeln. Ihre Bewegungsfreiheit reichte gerade, um danach zu greifen und fest zuzudrücken. Während sie seine Hoden verdrehte, schlitzte sie mit ihren langen, eleganten Fingernägeln die Haut auf wie eine Traube.

Sein animalischer Schrei war noch unter Wasser zu hören. Er bäumte sich auf und ließ sie los. Platschend schoss sie aus dem Wasser und holte mehrmals angestrengt Luft. Die heiße Sommerluft strömte zurück in ihre Lungen, während ihr Angreifer fluchend seine Genitalien umklammert hielt. Wütend stieß sie mit beiden Händen gegen seine Brust. Die Füße rutschten unter ihm weg, und er fiel flach nach hinten. Amira schoss an ihm vorbei und schwamm zum Rand.

Sie hörte, wie er sich hinter ihr aufrappelte und nach ihr griff. Seine Finger zerkratzten ihr das Bein. Mit der linken Hand streifte sie den glatten Marmor und legte beide Hände flach auf die Fliesen, um sich hochzustemmen. Sie versuchte, ihr Bein auf die Einfassung zu setzen, aber ihr Fuß rutschte ab, und sie stürzte zurück ins Wasser.

Hastig griff sie erneut nach dem Rand, doch sie war nicht schnell genug.

Er war direkt hinter ihr. Als er sie herumriss, sah sie seine Augen, die sich zu kleinen schwarzen Punkten verzerrt hatten, in denen die Wut lauerte. Sein lüsterner Blick wanderte von ihrem Gesicht zu ihren Brüsten und dem dunklen Dreieck zwischen ihren Beinen, das unter der Wasserlinie sichtbar war.

»Du kriegst heute keinen mehr hoch.« Dem Tod ins Gesicht lächelnd, spie sie ihm die Worte entgegen.

»Und du kriegst überhaupt keinen mehr«, zischte er boshaft.

Er packte ihr langes Haar von hinten und riss ihren Kopf zurück. Eine Hand an ihrem Hals, rammte er ihren Schädel gegen die scharfe Marmorkante. Der Knochen brach mit einem widerwärtigen Geräusch. Hinter ihren Augen explodierte eine elektrische Ladung. Der unerträgliche Schmerz breitete sich bis in die letzten Nervenenden aus. Dann verschwand er so schnell, wie er gekommen war, und sie spürte gar nichts mehr. Amira fühlte, wie ihr Körper taumelnd ins Wasser glitt und versank. Ihre Glieder wurden kraftlos wie die einer Marionette. Friedlich blickte sie zum nächtlichen Himmel auf, der immer noch vom grellen Licht der Neonreklame erhellt wurde, als das Wasser über ihrem Gesicht zusammenschlug. Es war das Letzte, das sie von der Stadt sehen sollte. Sie hatte im Licht gelebt, sie starb im Licht. Ihr Körper trieb zum tiefen Ende und zog dabei einen roten Schleier hinter sich her. Als sie den Grund berührte, war sie schon weit fort. Irgendwo stampften ihre Füße auf einer Holzbühne einen Flamencorhythmus. Die Menge jubelte.

»Amira!«

Teil I
AMIRA

Kapitel 1

Elonda suchte die Flamingo Road mit dem routinierten Blick eines Truthahngeiers ab, der über der Wüste kreisend nach Beute Ausschau hielt. Etwa einen halben Block vom Oasis-Kasino entfernt entdeckte sie Jagdwild, das eine genauere Musterung verdiente.

Der Mann war groß und von der Sonne gebräunt, wie ein Surfer, den es in die Stadt verschlagen hatte. Das wellige blonde Haar hing ihm bis über die Ohren und die Wrap-around-Sonnenbrille. Er war jung, vielleicht zweiundzwanzig, und trug das knallige, falsch zugeknöpfte Hemd über locker sitzenden weißen Shorts. Seine nackten Füße steckten in schmuddeligen Turnschuhen. Der provozierende Gang verriet ihr, dass er Geld in der Tasche haben musste. Eine Sonnenbrille bei Nacht. Die Augen dahinter waren ebenso auf der Suche wie die ihren, das wusste sie.

Er drehte den Kopf in ihre Richtung, sah sie und grinste.

Ihr Cop-Radar meldete sich nicht. Cops gingen nicht zu Fuß – sie sprachen die Mädchen aus klimatisierten Zivillimousinen heraus an. Nur Anfängerinnen fielen darauf herein.

Elonda schlenderte über die breite Straße, wobei sie die Hand hob, um die vorüberrasenden Autos anzuhalten. Dafür belohnte sie die Fahrer, indem sie mit den Brüsten wackelte und ihre weißen Zähne blitzen ließ. Auch um ein Uhr morgens herrschte dichter Verkehr. Die Stadt lebte nach den Gesetzen des Dschungels. Fressen im Schutze der Dunkelheit und dann ein kühles Plätzchen, wo man die heißen Tage verschlafen konnte.

Auf der anderen Straßenseite drückte sie sich in den Eingang eines Geschäfts für Zauberartikel. Sie holte eine Tube Gleitmittel aus der hinteren Hosentasche und schmierte etwas davon auf ihre Finger. Dann hielt sie die Luft an, quetschte die Hand in ihre hautenge Jeans und rieb sich ein, wobei sie sich kräftig bewegte. Eines ihrer Berufsgeheimnisse. Ich bin schon ganz feucht, Baby. Obwohl die meisten Männer gar nicht mehr richtig zur Sache kommen wollten. Entweder hatten sie Angst vor Aids oder sie waren zu unbeholfen für eine Nummer im Stehen. Deshalb ließen sie es sich lieber mit dem Mund besorgen.

Nachdem sie sich gründlich eingerieben hatte, warf sie das Haar zurück, dass die vielfarbigen Perlen in ihren Afro-Zöpfchen rasselten. Sie zerrte an ihrem mit Federn besetzten pinken Schlauchtop, bis die dunklen Halbmonde ihrer Brustwarzen sichtbar wurden. Schließlich ließ sie ein eisgrünes Pfefferminzbonbon auf der Zunge zergehen. Auch einer ihrer Tricks. Die Männer liebten den kühlen Minzegeschmack in ihrem warmen Mund.

Sie trat aus dem Eingang heraus und sah sich auf der Straße nach Konkurrenz um, aber sie war allein. Nur sie und der Junge auf Abwegen. Die grellen Lichter des Strip erhellten auch diese Seite des Freeways. Auf dieser Seite des I-15 quollen die Kasinos vom Las Vegas Boulevard wie aus einer übervollen Popcorntüte in die Flamingo Road. Auf der Nordseite der Straße leuchteten das Gold Coast und das Rio. Nur einen Häuserblock weiter erhob sich das Oasis. Aber wo Elonda stand, war die Straße dunkel. Das Gelände war unbebaut, bis auf das alte Betonblockgebäude mit dem Zauberladen, das fast bis an die Straße reichte.

Elonda lehnte sich gegen das Schaufenster, schob die Hüften vor und knabberte lässig an einem ihrer lackierten Nägel. Mit einem langsamen Lächeln wandte sie den Kopf und sah ihn sich gut an. Er hielt direkt auf sie zu und trampelte dabei achtlos über die Pornowerbung, mit der das Trottoir übersät war. Kein Zögern. Das war nicht sein erstes Mal.

Als er näher kam, verengten sich seine Augen. Er kam ihr bekannt vor, aber sie konnte ihn nicht einordnen. Ein Stammkunde war er jedenfalls nicht. Vielleicht kannte sie sein Gesicht aus den Boulevardzeitungen. Mit der Sonnenbrille ließ sich das nur schwer sagen. Aber Elonda sah trotzdem genau hin. Ein Prominenter, der eine Las-Vegas-Hure für Sex bezahlte, konnte viel Geld wert sein.

Er blieb direkt neben ihr stehen. »Hallo.«

Seine Stimme klang jung und sorglos. Gelangweilt. Er lallte leicht.

»Hallo.« Elonda ließ einen Finger unter sein Hemd gleiten und malte damit einen Kreis auf seiner Brust. »Kennen wir uns nicht, Süßer?«

»Warst du schon mal in Iowa?«, fragte er.

Ein Hinterwäldler mit einem bekannten Gesicht, dachte sie. Verdammt. »Da gibt’s doch nur Kühe und Mais. Und Mist. Nein, danke.«

Sie sah sich in beide Richtungen nach Streifenwagen der Metropolitan Police um. Autos kamen und gingen – Hummer, Stretchlimousinen, Pick-ups und alte Rostlauben –, aber niemand kümmerte sich um sie. Einen Block weiter, in der Nähe des Oasis, stand ein gelangweilt wirkender Mann an einer Bushaltestelle und warf einen Blick auf die Uhr. In der anderen Richtung war niemand zu sehen. Die Luft war rein.

»Blasen oder vögeln?«, fragte sie.

Statt einer Antwort ließ er seine Zunge spielen. Eine Ginfahne waberte ihr entgegen. Elonda nannte ihren Preis, und er holte zwei zerknüllte Banknoten aus der Tasche. Sie legte eine Handfläche gegen seine Brust und schob ihn rückwärts in den Eingang des Zauberladens. Dann ging sie auf die Knie und öffnete seinen Reißverschluss. Sie sah auf. Seine Augen waren geschlossen. Den gelben Stoppeln an seinem Kinn nach zu urteilen, hatte er sich schon seit ein paar Tagen nicht mehr rasiert.

Sie fing an, lautlos zu zählen. Das war ihr privates kleines Spiel, damit die Zeit schneller verging. Wie bei den Datentypistinnen, die bei der Arbeit ihre iPods laufen hatten. Eins, zwei, drei, vier. Bis hundert hatte es noch keiner geschafft. Die meisten kamen nicht einmal bis zehn.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis er steif wurde. Das lag vermutlich am Gin. Aber sie verstand sich auf ihren Job, und sein Körper reagierte. Sie hörte ein leises Grollen in seiner Kehle, ein lustvolles Schnurren. Als sie aufsah, hatte er den Mund leicht geöffnet.

Zweiunddreißig, dreiunddreißig, vierunddreißig.

Er war gleich so weit. Seine Hüften begannen, stoßweise zu kreisen. Sie bewegte ihren Kopf schneller, saugte fester.

Neununddreißig.

Ganz in der Nähe trampelten schwere Stiefel über den Bürgersteig. Jemand kam vom Kasino auf sie zu. Sie sah erneut auf, aber der Bauernjunge war bereits auf einem anderen Planeten und hörte nichts. Klippklapp, klipp-klapp. Eigentlich war es ihr egal. Spanner gab es immer wieder, schockiertes Flüstern von Leuten, die insgeheim gern mit dem Freier getauscht hätten. Sollte er doch seinen Spaß haben. Falls er sie überhaupt sah.

Fünfundvierzig, sechsundvierzig. Ihr Hinterwäldler war fast so weit.

Die Stiefel blieben direkt hinter ihr im Eingang stehen. Elonda hörte Stoff rascheln und ein merkwürdiges metallisches Klicken. Der Freier hatte die Augen fest geschlossen und stöhnte laut.

Es war unheimlich zu wissen, dass der Mann direkt hinter ihr stand und sie beobachtete. Sie hatte kein gutes Gefühl dabei. Ihre Nackenhaare sträubten sich. Obwohl sie ihn nicht einmal atmen hören konnte, wusste sie, dass er noch da war. Sie konnte seine Augen spüren. Die Bedrohung hüllte sie ein wie eine Wolke. Das war der sechste Sinn, den jeder entwickelte, der lange genug auf der Straße lebte.

Elonda ließ das Glied aus ihrem Mund gleiten. Sie biss sich auf die Lippe und sah auf, aber sie hatte nicht die Absicht, sich umzudrehen, um keinen Preis. Der Freier riss die Augen auf und verzog wütend den Mund. Dann sah er den Fremden hinter ihr.

»Was zum …«

Seine Wut verwandelte sich in Verblüffung, und seine Augen weiteten sich. Sein Gesicht zeigte ungläubige Überraschung.

Dann hatte er kein Gesicht mehr.

Es war das lauteste Geräusch, das Elonda je gehört hatte – eine Detonation, als würde die Spitze eines Vulkans weggesprengt. Ein drittes Auge erschien auf der Stirn ihres Hinterwäldlers. Sein Kopf sank nach vorne, sodass sie genau in das Loch in seinem Schädel blickte, aus dem sich ein roter Strom über sie ergoss. Unter ihrem Blick brach er zusammen und stürzte auf sie, sodass sie praktisch am Boden festgenagelt war. Blut floss über sie hinweg, ringelte sich auf ihrer Haut und sickerte in ihre Kleider. Sie roch, wie sich Blase und Darm des Jungen entleerten.

Endlich fiel Elonda ein, dass sie eigentlich schreien wollte. Sie schloss die Augen und kreischte, bis ihr der Atem ausging. Niemand schien sie zu hören. Kein einziges Auto hielt an. Das einzige Geräusch waren die Schritte, die sich so lässig entfernten, wie sie gekommen waren. Klipp-klapp, klipp-klapp.

Kapitel 2

Ein Fisch auf dem Trockenen.

Jonathan Stride versuchte, sich auf Elonda zu konzentrieren, die auf dem Bürgersteig zusammengesunken war. Ihr Körper und ihre Kleidung waren mit getrocknetem Blut bedeckt, und sie redete wie ein Maschinengewehr. Er versuchte, ihr zu folgen, aber sein Blick schweifte immer wieder über ihren Kopf zum Schaufenster des Zauberladens. Dort stand in einem schwarzen Kasten ein mit Wasser gefülltes Goldfischglas. In der anderen Hälfte des Kastens schwamm ein Goldfisch hin und her. Außerhalb des Glases. Augenscheinlich mitten in der Luft.

Es war ein faszinierender Trick, und Stride fragte sich, wie lange ein Fisch unter diesen Bedingungen überleben konnte.

Er versuchte, beruhigend auf Elonda einzuwirken. »Ganz ruhig. Wir brauchen Ihre Hilfe.«

»Schnappen Sie sich den Dreckskerl!«, kreischte sie mit wild fuchtelnden Armen. Die Perlen in ihren Zöpfchen klickten wie Billardkugeln. »Wahrscheinlich habe ich einen Gehörschaden davongetragen. Hörte sich an, als wäre eine Bombe hochgegangen.«

Stride ging in die Hocke, bis er Elonda direkt in die Augen sehen konnte, und griff nach einem der wild gestikulierenden Handgelenke. »Hören Sie mir gut zu. Wir stellen Sie unter die Dusche, besorgen Ihnen neue Klamotten, und dann können Sie im Rio am Büfett essen, so viel Sie wollen – alles auf Kosten der Metropolitan Police. Okay? Klingt das nicht gut? Aber zuerst brauche ich ein paar Informationen von Ihnen.«

»Das Büfett im Harrah’s ist aber besser«, maulte Elonda.

»Also gut, dann im Harrah’s. Reden Sie jetzt mit mir?«

Elonda verzog die üppigen Lippen zu einem Schmollmund und schlang die Arme um die nackten Knie. Stride stand auf und holte Notizbuch und Stift aus der Tasche seines marineblauen Blazers, zu dem er ein cremeweißes Hemd mit Button-down-Kragen und eine nagelneue schwarze Jeans trug. Serena hatte darauf bestanden, dass er den neuen Job mit neuen Jeans anfing. Schließlich hatte er nachgegeben, obwohl er die ausgefranste Hose, die ihn in den letzten zehn Jahren in Minnesota begleitet hatte, vermisste wie einen alten Freund. Der gestärkte Denim fühlte sich steif an wie Pappe. Genauso steif, wie er sich selbst hier in Las Vegas fühlte. Ein Fisch auf dem Trockenen. Im Vergleich zum Mittleren Westen, wo er sein gesamtes Leben verbracht hatte, war es ein anderes Universum.

»Haben Sie gesehen, wo das Opfer herkam?«

»Vom Oasis«, erwiderte Elonda.

Stride warf einen Blick auf den hohen, phallischen Turm des Kasinos. Im Hotel fand eine Dessous-Show von Victoria’s Secret statt, und von einem dreißig Stockwerke hohen Werbebanner, das fast bis zum Dach des Oasis reichte, starrte ein aufreizendes Wäschemodel hochmütig auf ihn herab. Die Frau hatte weiße Schwingen, als könnte sie sich jederzeit in die Lüfte erheben, um die Stadt zu terrorisieren. King Kong mit D-Körbchen.

»War der Mann allein?«, fragte Stride.

Elonda nickte. »Ja. Er kam schnurstracks auf mich zu.«

»Hat er irgendwas über sich selbst gesagt? Wo er herkam zum Beispiel?«

»Klar, Mann, wir hatten ein wunderbares Gespräch. Die Leute wollen immer gern mit mir plaudern.« Elonda schnaubte verächtlich. »Er hat gesagt, er ist aus Iowa«, setzte sie dann hinzu.

Stride schüttelte den Kopf. »War er aber nicht. Laut Ausweis stammt er aus Vancouver.«

»Der Mistkerl hat mich angelogen? Na, der hat seine Strafe weg.« Sie grinste Stride an.

»War sonst noch jemand auf der Straße?«

»Niemand.«

Stride sah sich um. In der Umgebung des Zauberladens war die Straße breit und gut zu übersehen. Der Killer war wohl kaum aus dem Nichts aufgetaucht wie das Kaninchen aus dem Hut.

»Sie haben gesagt, Sie hätten den Mörder näher kommen hören. Aus welcher Richtung?«

»Keine Ahnung, Mann. Da war doch kein Mensch in der Nähe.« Sie kaute an einem Fingernagel und kratzte sich nachlässig zwischen den Beinen. »Moment mal! Da drüben an der Bushaltestelle stand einer.«

Stride tippte sich mit dem Stift gegen die Schneidezähne und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die Bushaltestelle, die sich etwa dreißig Meter von ihnen entfernt in der Nähe der Einfahrt zum Oasis befand. Kein Unterstand, nur ein Schild und eine Bucht, damit der Bus nicht auf der Straße halten musste.

»Wie hat der ausgesehen?«, erkundigte er sich.

Elonda zuckte die Achseln. »War mir egal, solange es kein Bulle war.«

»Groß? Klein?«

»Weiß ich doch nicht.«

Stride fuhr sich mit der Hand durch das wirre, grau melierte Haar. Es war wellig, schwer zu bändigen und wurde jeden Tag ein wenig grauer. Er biss sich auf die Lippe, während er versuchte, sich die Straße ohne ein Heer von Polizisten vorzustellen. Nur Elonda und der geile Kanadier.

Und ein Mann, der auf einen Bus wartete.

»Haben Sie einen Bus gehört?«, fragte er. »Es wäre Ihnen mit Sicherheit aufgefallen, wenn einer direkt hinter Ihnen vorbeigefahren wäre.«

Elonda überlegte. »Nein. Kein Bus.«

»Wie lange haben Sie sich vor dem Mord im Eingang aufgehalten?«

»Ungefähr fünfundvierzig Sekunden«, sagte Elonda.

»Das wissen Sie so genau?«

»Ich zähle«, erklärte sie mit einem viel sagenden Augenzwinkern.

Stride verstand. Also kein Bus, und nur eine Minute bis zu dem Mord. Er winkte einen der Beamten in Uniform heran, einen stämmigen Jungen mit blondem Stoppelhaar und kurzem Spitzbart.

»Gehen Sie zu der Bushaltestelle da drüben«, wies Stride ihn an, »und stoppen Sie, wie lange Sie für den Rückweg brauchen. Lassen Sie sich Zeit. Sie sind einfach ein Passant auf der Straße.«

Der Beamte nickte. Er brauchte nicht lange. Als er wieder vor dem Zauberladen stand, drückte er einen Knopf an seiner Sportuhr. »Zweiunddreißig Sekunden.«

Stride ging erneut vor Elonda in die Hocke. »Überlegen Sie noch einmal ganz genau, was Sie mir über den Mann an der Bushaltestelle erzählen können.«

»Der war’s also?«, fragte Elonda. »Mist. Ich sag Ihnen doch, ich kann mich nicht an ihn erinnern.«

»Versuchen wir Folgendes …«, begann Stride, unterbrach sich jedoch selbst, als hinter ihm eine laute Hupe ertönte. Dann schnurrte unmittelbar außerhalb des Absperrbands der Motor eines teuren Sportwagens.

Eine Tür öffnete sich, und der Beamte mit dem Spitzbart, der immer noch ganz in der Nähe stand, fluchte leise vor sich hin. Als Stride sich umdrehte, sah er gerade noch einen gelben Maserati Spyder in Richtung Strip davonbrausen.

»Wer ist denn das? Die hält sich wohl für knallhart«, fragte Elonda mit einem Blick über Strides Schulter.

Der Spyder hatte eine Frau abgesetzt, die mit verschränkten Armen und einem Fuß auf dem Randstein den Tatort betrachtete. Ihr Haar stand in kurzen, schmutzig blonden Stacheln mit schwarzen Strähnen in die Höhe. Sie war groß, nur sieben oder acht Zentimeter kleiner als Stride mit seinen eins dreiundachtzig, und wirkte zugleich üppig und durchtrainiert. Ihre Arme füllten die Ärmel ihres engen weißen T-Shirts voll aus. An ihrem rechten Arm war ein Wolfskopf eintätowiert, und von der Gürtelschlaufe ihrer Jeans hing eine goldene Polizeimarke.

»Das ist jetzt nicht so wichtig«, sagte Stride zu Elonda. »Im Augenblick will ich nur, dass Sie die Augen schließen. Entspannen Sie sich, und erinnern Sie sich, wie Sie Ihren Kunden zum ersten Mal gesehen haben.«

»Wollen Sie mich hypnotisieren?«, fragte Elonda. »Können Sie mir das Nägelkauen abgewöhnen?«

Stride lächelte. »Nein, ich will nur, dass Sie sich erinnern. Stellen Sie sich das Bild in Ihrem Kopf vor. Gerade eben haben Sie Ihre Zielperson entdeckt. Jetzt gehen Sie über die Straße. Wartet der andere Mann da schon an der Bushaltestelle?«

Elonda summte vor sich hin, und ihr Kopf schaukelte rhythmisch vor und zurück. Dann riss sie abrupt die Augen auf. »Nein, tut er nicht! Hey, das ist ja cool.«

»Schließen Sie die Augen wieder. Stellen Sie sich die Szene noch einmal vor.«

»Ja, jetzt ist der Kerl hinter ihm an der Bushaltestelle. Ich sehe ihn. Wo zum Teufel kommt der her?«

»Was tut er?«

»Wirft einen Blick auf die Uhr. Sieht sich auf der Straße um, in beide Richtungen. Echt cool.«

»Was hat er an?«, fragte Stride. Ihm fiel ein, wie er ihr bei der Erinnerung helfen konnte. »Können Sie seinen bloßen Arm sehen, als er auf die Uhr sieht?«

Elonda spitzte die Lippen wie zum Kuss und runzelte die Stirn. »Eine Jacke!«, erklärte sie zufrieden. »Eine Windjacke – braun, glaube ich. Und die Hose ist auch braun oder vielleicht khaki.«

»Das machen Sie hervorragend. Ist er groß?«

»Eigentlich nicht. Nicht besonders kräftig, aber er wirkt irgendwie durchtrainiert. Ein harter Bursche.«

»Was ist mit der Haarfarbe?«

»Dunkel«, sagte Elonda. »Kurz geschnitten. Und ein Bart. Einen Bart hatte er auch.«

»Elonda, Sie sind großartig«, sagte Stride. Das Mädchen strahlte vor Stolz. Er ging mit ihr noch zehn Minuten lang den Rest der Szene durch, aber je mehr sie sich dem Mord näherten, desto lückenhafter wurde ihre Erinnerung. Als er fertig war, rief er den Beamten mit dem Spitzbart und flüsterte ihm seine Anweisung zu.

»Harrah’s?«, fragte der ungläubig. »Ist das ein Witz? Sawhill dreht durch, wenn ich ihm die Spesenabrechnung vorlege.«

Stride griff in seine Tasche und holte zwei Zwanzigdollarscheine aus seiner Brieftasche. »Hier, nehmen Sie. Und gönnen Sie sich selbst auch etwas. Sie sehen zu dünn aus.«

Der Cop rieb sich den Stiernacken und grinste. »Wenn Sie meinen.«

»Aber Finger weg von dem Mädchen«, setzte Stride hinzu.

Als er Elonda sicher auf dem Rücksitz eines Streifenwagens wusste, ging er zu seiner neuen Partnerin.

Es war merkwürdig, wieder auf der Straße zu sein, als Detective einen Fall zu bearbeiten. In Duluth war er Lieutenant gewesen, ein großer Fisch in einem kleinen Teich, und nun war er plötzlich nur einer von vielen Ermittlern der Mordkommission von Las Vegas. Zu Hause war Maggie Bei, sein Senior Sergeant, so etwas wie seine Partnerin gewesen. Mit Maggie hatte er über ein Jahrzehnt eng zusammengearbeitet, und die winzige Chinesin mit der scharfen, sarkastischen Zunge war seine beste Freundin geworden. Aber Maggie war noch in Minnesota und nicht mehr bei der Polizei. Sie hatte geheiratet und erwartete ein Baby. Stride dagegen war in Sin City, der Stadt der Sünden, wo er ganz bestimmt nie hatte leben wollen.

Das lag an Serena.

Er hatte Serena Dial im Sommer kennen gelernt. Damals war in Las Vegas eine Frau ermordet worden, und bei den Ermittlungen war Serena auf eine Verbindung zu einem Mädchen gestoßen, das seit einigen Jahren in Minnesota vermisst wurde. Die Ermittlungen hatten Strides Leben in Duluth auf den Kopf gestellt. Seine zweite Ehe war daran zerbrochen. Allerdings wies Maggie immer wieder genüsslich darauf hin, dass sie diese Verbindung von Anfang an für einen Fehler gehalten hatte. Warum hatte er auch nicht auf sie hören wollen?

Aber das Alte ging zu Ende, und Neues begann. Seine Begegnung mit Serena hatte alles verändert. Sie war schön, klug und witzig, obwohl ihre schwierige Vergangenheit auch Ecken und Kanten hinterlassen hatte. Er verliebte sich schnell und rettungslos in sie. Als die Ermittlungen abgeschlossen waren, folgte er Serena in die große weite Welt hinaus. Deshalb war er nun wieder auf der Straße im Einsatz.

Jetzt hatte er eine richtige Partnerin, eine, die aussah, als würde sie nicht gern die zweite Geige spielen. Schon gar nicht, wenn ihr Partner neu in Las Vegas war.

»Amanda Gillen«, sagte sie brüsk, als er auf sie zuging. Als hätte er das infrage stellen wollen. Ihre Stimme klang rauchig. Vielleicht schlief sie noch halb, wie Stride, nachdem ihn der Anruf mitten in der Nacht aus dem Bett und Serenas Armen gerissen hatte. Sein erster Mordfall in Las Vergas. Eine Leiche in der Flamingo Road.

»Ich bin Stride«, stellte er sich vor.

Amanda nickte und tippte nervös mit dem Fuß auf den Asphalt. Sie schob die Unterlippe vor und sah sich um, ob sie auch niemand hören konnte. Ihr Gesicht war angespannt und unglücklich. »Hören Sie, ich gönne jedem ein Witzchen auf meine Kosten, bevor ich sauer werde. Wollen Sie Ihres jetzt reißen oder es sich für später aufheben?«

Stride legte den Kopf schräg. »Was?«

»Sie wissen schon«, sagte sie säuerlich.

»Ich habe keine Ahnung, Amanda.«

Ihre Augen verengten sich, als sie seine verwirrte Miene sah. Dann glätteten sich die Falten auf ihrer Stirn, und ihre Kiefermuskeln entspannten sich. Sie lächelte – ein merkwürdig strahlendes Lächeln, das plötzlich nur noch freundlich und überhaupt nicht mehr reserviert war. »Okay, vielleicht wissen Sie gar nichts davon. Vergessen Sie es. Es ist zwei Uhr morgens, da bin ich nicht so gut drauf.«

»Geht mir auch so.«

»Das war nett, wie Sie mit der Nutte umgegangen sind, sie zum Reden gebracht haben. Sie sind gut.«

»Danke«, sagte Stride. »Ihr Freund hat wirklich ein schönes Auto«, setzte er hinzu.

Amanda grinste spöttisch. »Ach, der Spyder. Das ist meiner. Wir waren in der Disco, als mein Pager losging. Ich habe ihm gesagt, wenn er eine Beule reinfährt, mache ich Hackfleisch aus ihm.«

»Na, da ist er sicher hoch motiviert«, meinte Stride. »Haben Sie das Auto im Kasino gewonnen?«

»So ähnlich.«

Sie schluckte mühsam, und die Röte stieg ihr in die Wangen. Sie hatte ein längliches Gesicht, das in einem leicht vorspringenden Kinn auslief. Ihre Lippen waren üppig und hellrosa. Sie hatte schmale schwarze Augenbrauen und sich die Zeit für ein sorgfältiges Make-up genommen. Ihr Samstagnacht-Look vermutlich. Trotz ihres provozierenden Auftretens war sie hübsch, wenn sie lächelte. Ihre Nervosität ließ sie erstaunlich verletzlich wirken. Stride schätzte sie auf etwa dreißig.

»Haben Sie schon eine Ahnung, wer der Mann ist?«, fragte Amanda.

Stride nickte. »Kanadischer Führerschein. Wahrscheinlich ein Tourist, der einfach Pech hatte. Ein gewisser Michael Johnson Lane.«

Amanda sah ihn ungläubig an. »MJ Lane?«

»Stimmt.«

Sie stieß einen Pfiff aus und schüttelte den Kopf. »Ich fass es nicht.«

»Kennen Sie ihn?«

»Sehen Sie mal in Ihren Spam-Ordner, Stride. Sein nackter Hintern ist vermutlich in jeder zweiten Nachricht. Und in jeder Ausgabe von Us.«

»Mein Abo ist abgelaufen«, verteidigte sich Stride.

Amanda sah ihn prüfend an. Als sie merkte, dass das ein Scherz war, verzogen sich ihre vollen Lippen zu einem Lächeln. »Sie sind jetzt in Las Vegas« »Da sind Zeitschriften wie People, Us und Enquirer wichtiger als die Rundbriefe der Drogenfahndung.«

Amanda stakste zu der Leiche. Ihre Absätze waren lächerlich hoch, und Stride merkte, dass sie ein ganzes Stück kleiner war, als er zuerst gedacht hatte. Ein Mitarbeiter des Polizeipathologen warf ihr einen nervösen Blick zu und wich hastig zurück, um ihr Platz zu machen. Amanda ignorierte ihn. Sie beugte sich aus der Taille heraus vor, bis ihre Hände flach auf dem Trottoir lagen, und drehte den Kopf zur Seite, sodass sie direkt in die Augen des Toten sah. Dabei spannte sich ihre Jeans, und Stride ertappte sich dabei, wie er ihren gut geformten, muskulösen Hintern und die festen Beine musterte. Er wandte hastig den Blick ab, als sie sich aufrichtete und verkündete: »Ja, das ist tatsächlich MJ.«

»Schön, und wer ist dieser MJ Lane?«

»Der Junge saß auf einem dicken Treuhänderfonds«, erwiderte Amanda. »Sein Vater ist Walker Lane. Sie wissen schon, der Produzent und Milliardär aus Vancouver.«

»Und was hat er außer einem reichen Vater noch zu bieten?«

»Er kennt die richtigen Leute, hat Beziehungen in Hollywood. Bis er sich letztes Jahr selbst beim Sex mit einer jungen Fernsehschauspielerin gefilmt hat, ist er kaum aufgefallen. Jemand hat die Aufnahme geklaut und ins Internet gestellt. Fesseln, Analsex, richtig schön pervers.«

»So werden Stars geboren.«

»Genau. Der Mord wird Aufsehen erregen. Ihr Foto wird in allen Boulevardzeitungen erscheinen.«

»Ich werde mir die Zähne bleichen lassen«, sagte Stride.

»Was ist Ihre Theorie? Ein Stalker, der es auf MJ abgesehen hatte?«

»Sieht eher aus wie ein Auftragsmord. Ein Profi.«

»Aber er hat das Mädchen am Leben gelassen«, wandte Amanda ein. »Ein Profi würde die Zeugin beseitigen.«

»Ja, stimmt. Außerdem hat er die Patronenhülse zurückgelassen. Eine A .357.«

»Also vielleicht doch kein Profi.«

»Vielleicht nicht«, stimmte Stride zu. »Aber die Sache war gut durchdacht. Kühle Planung, schnelle Arbeit, kein unnötiger Aufenthalt in der Nähe des Tatorts. Die Frage ist: Hatte es der Kerl speziell auf Lane abgesehen, oder haben wir es mit einem moralischen Kreuzzug zu tun, der die Stadt von der Geißel der Prostitution befreien soll?«

»Oder beides«, meinte Amanda. »MJ ist nicht der erste Prominente, der sich hier einen blasen lässt. Vielleicht hat der Täter das Kasino überwacht, bis eine Zielperson auftaucht, mit der er bestimmt in die Zeitung kommen würde.«

Stride nickte. »Allerdings klingt es so, als gäbe es viele Gründe, MJ den Tod zu wünschen.«

Kapitel 3

Pete, einer der jungen Männer, die am Oasis für die Gäste die Autos parkten, erinnerte sich an MJ Lane.

»Der kam so gegen zehn Uhr«, erklärte er Stride und Amanda, die ihn an der Toreinfahrt zum Kasino befragten. Pete war jung und weiß wie Zahnpasta. Das braune Haar hatte er flach an den Schädel geklatscht. Er trug eine schwarze Hose, Turnschuhe und ein enges burgunderfarbenes Jackett, das ihm bis zur Taille reichte.

»Allein?«, fragte Stride.

»Mr Lane? Wohl kaum. Er hatte Karyn am Arm hängen. Karyn Westermark. Sie wissen schon, die Schauspielerin aus dieser Seifenoper.« Er fächelte sich Luft zu, als hätte sich die kühle Nachtluft plötzlich erhitzt. »Haben Sie das Video im Internet gesehen? Das war sie. Heiße Nummer. Die ist besser als ein Pornostar.«

»Wie sind die beiden hergekommen?«, wollte Amanda wissen. »Taxi? Limousinen-Service?«

Ohne zu antworten, lief Pete zu einem grauen Lexus, öffnete die Beifahrertür und raste dann auf die andere Seite, um die Wagenschlüssel entgegenzunehmen und dem Fahrer seinen Parkschein auszuhändigen. Er kam zurück und entschuldigte sich, wobei er einen Fünfzigdollarschein in der Tasche verschwinden ließ. Nervös beobachtete er zwei weitere Autos, die soeben in die Einfahrt fuhren. Um zwei Uhr früh an einem Samstag war im Oasis am meisten los.

»Wie ist MJ heute hergekommen?«, wiederholte Amanda.

»Er fuhr selbst«, erklärte Pete. »Er hat eine Wohnung in der Stadt, drüben in den Charlcombe Towers in der Nähe des Strip.«

»Warum hat er sein Auto nicht mitgenommen, als er ging?«, hakte Stride nach.

»Ich dachte, er bräuchte Bewegung. Sie wissen schon.«

Stride zog eine Augenbraue hoch und beugte sich zu Pete. »Warum brauchte er ›Bewegung‹, wenn er Miss Westermark bei sich hatte?«

»Miss Westermark war schon eine Stunde vorher gegangen«, erklärte Pete. »Ich hatte ihr ein Taxi besorgt.«

»Wirkte sie aufgebracht?«

Pete schüttelte den Kopf. »Nur gelangweilt. Sie hat dem Taxifahrer gesagt, sie will ins Ra drüben im Luxor. Die wollte Spaß haben.«

»Hat MJ irgendwas gesagt, als er losging?«, fragte Stride.

»Nein, der sah so aus, als hätte er zu tief ins Glas geschaut, und ging direkt los. Ich wusste gleich, wo er hinwollte.«

»Hat er sich öfters ›Bewegung‹ verschafft?«

Der Junge erbleichte. »Nein, eigentlich nicht. Ein Mann wie der braucht nicht dafür zu bezahlen. Aber manchmal lässt man es sich eben lieber auf der Straße besorgen, damit man nicht neben der Frau aufwachen muss.«

»Das erzählen Sie besser nicht Ihrer Freundin«, gab Stride zurück. »Ist ihm jemand nach draußen gefolgt?«

Pete zuckte die Achseln. »Weiß ich nicht. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. MJ ist mir nur aufgefallen, weil er Stammgast ist.«

Ein Neuankömmling hupte ungeduldig. Pete winkte und fing an, unruhig auf der Stelle zu trippeln. Das nächste Trinkgeld wartete. »Sonst noch etwas?«, fragte er ungeduldig.

»Wer ist hier der Sicherheitschef?«

»Gerard Plante. Wenn Sie reinkommen, geradeaus nach hinten.«

»Danke. Wir schicken ein Team, das sich MJs Auto ansehen wird«, sagte Stride. »Passen Sie auf, dass bis dahin keiner in die Nähe des Wagens kommt. Das gilt auch für Sie.«

»Geht klar.«

Stride nahm den Jungen mit eisernem Griff an der Schulter. »Wenn ich in Us irgendwas über gerippte Kondome in MJs Handschuhfach lese, steht das Finanzamt bei Ihnen wegen der Trinkgelder auf der Matte. Verstanden?«

Pete riss die Augen auf. Er fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe, während er offenkundig überlegte, ob Stride es ernst meinte. Dann schluckte er und rannte zum nächsten Kunden.

»Us«, sagte Amanda. »Das gefällt mir.«

»Dachte ich mir.«

Stride ging durch die Drehtür voran in den Lärm und Rauch des Kasinos. Der abgestandene Zigarettengeruch schlich sich in seine Lungen wie ein alter Freund, und plötzlich war das Verlangen wieder da. Merkwürdig, dass es nie ganz verschwand. Obwohl er seit über einem Jahr nicht geraucht hatte, rieb er unwillkürlich Daumen und Finger aneinander, als hielte er eine brennende Camel in der Hand. Er holte tief Atem, saugte die Luft ein und stieß sie wieder aus. Dabei fragte er sich, welch boshafter Engel Las Vegas hatte aus der Wüste sprießen lassen, um reuige Sünder auf die Probe zu stellen.

Erregung stieg in ihm auf. Diese Autoerotik war Teil der Gehirnwäsche, mit der die Kasinos arbeiteten und gegen die er offensichtlich nicht immun war. Er reagierte auf den pulsierenden Rhythmus im Blut der Stadt. Nicht Gier war die Triebkraft, wie die meisten dachten, sondern Hunger. Hunger nach Geld, Fleisch, Essen, Alkohol, Zigaretten – nackter, alles durchsetzender, zwanghafter, überwältigender Hunger. Die Kasinos programmierten die Menschen darauf. Vielleicht waren die kleinen schwarzen Halbmonde in der Decke gar keine Kameras, die jede Handbewegung an Spielautomaten und Kartentischen überwachten. Vielleicht versprühten sie eine geruchlose Droge, um eine wahnhafte Besessenheit zu erzeugen, die erst verflog, wenn alles Geld verspielt war oder die Gäste das Kasino verließen.

Das Oasis gehörte zu den Kasinos, die vor allem auf Sex setzten, um die Spieler an Maschinen und Tische zu locken. Es galt als In-Lokal, in dem einem jederzeit Prominente über den Weg laufen konnten. Überall im Kasino hingen Poster mit unnatürlich perfekten Schönheiten im Bikini, die mit verführerischem Blick zu Spielautomatenturnieren, Pokerrunden und Krabbenbeinbuffets einluden. Die Methode schien zu funktionieren. Das Kasino selbst war relativ klein, kein vielarmiger Octopus wie das Caesars, aber kein einziger Automat war frei. An den voll besetzten Blackjack-Tischen drängten sich die Neugierigen hinter den Spielern. Das Publikum war jung, und viele Frauen konnten sich durchaus mit denen auf den Plakaten messen.

Stride fiel ein, wie Serenas Partner Cordy die Nächte von Las Vegas beschrieben hatte. Brüste in freier Wildbahn, hatte er gesagt.

Er hatte eine Erektion und ärgerte sich darüber.

»Kommen Sie«, knurrte er. Amandas verträumter Miene nach zu urteilen, wirkte die Droge auch auf sie.

Sie schlängelten sich zwischen den Reihen der Spielautomaten hindurch zum Empfang des Sicherheitsdienstes hinten im Kasino. An einem imposanten Schreibtisch aus massiver Eiche saß die einzige Frau im Kasino, die hässlich war und abweisend wirkte. Als Stride nach Gerard Plante fragte, musste er schreien, um die Rockmusik zu übertönen, die aus den Lautsprechern an der Decke dröhnte.

Er zeigte seine Polizeimarke und wurde gebeten zu warten.

Amanda setzte sich an einen Automaten gegenüber der Sicherheitstür und fütterte ihn mit einem Fünfdollarschein. Das Gerät zeigte Figuren aus einer uralten Fernsehserie, die Stride als Kind in Duluth gesehen hatte. Das Bild eines Kinderzimmerfensters, gegen das der Schnee peitschte, stieg in ihm auf.

Er lehnte sich gegen den Automaten und vergrub ungeduldig die Hände in den Taschen. Dann beugte er sich zu Amanda herab. »Was haben Sie angestellt, dass Sie mich am Hals haben?«

Amanda sah von den durchlaufenden Zahlen auf und warf ihm einen misstrauischen Blick zu. »Wie bitte?«

»Der Lieutenant findet, ich sollte lieber in Minnesota Schnee schaufeln«, erklärte Stride. »Sie müssen ihn verärgert haben, sonst würde er Ihnen keinen Neuling anhängen, der noch dazu auf Sawhills schwarzer Liste steht.«

Stride wusste, dass Sawhill auf alles und jeden sauer war. Nichts Persönliches sozusagen. Er kannte das Gefühl aus seiner eigenen Zeit als Lieutenant, aus den Phasen, in denen einfach alles schief lief. Sawhill hatte seinen Lieblings-Detective verloren, als der den Megabucks-Jackpot gewann und sich, um acht Millionen Dollar reicher, zur Ruhe setzte. Dann hatte sich Serena über seinen Kopf hinweg direkt an den Sheriff gewandt, um ihm Stride zu empfehlen, einen Ermittler mit langjähriger Erfahrung bei der Mordkommission, der sich gerade in Las Vegas aufhielt. Zufällig war dieser exzellente Mann auch noch sofort verfügbar, langweilte sich und hing einfach nur herum, bis ihm die Stadt auf die Nerven ging. Das Ergebnis war, dass sich Sawhill wohl oder übel mit Stride abfinden musste. Dafür ließ ihn der Lieutenant spüren, wie ungeeignet er seinen Neuzugang für die Arbeit in der Großstadt hielt.

»Allmählich geht mir ein Licht auf«, sagte Amanda, halb zu sich selbst. »Ich habe mich schon gefragt, was Sie angestellt haben, um mich zu bekommen. Jetzt wird mir alles klar. Sawhill hat es auf Sie abgesehen.«

Stride zuckte die Achseln. »Ich mag Sie. Sie sehen gut aus und scheinen nicht dumm zu sein. Da tut er mir doch eigentlich einen Gefallen.«

»Ich fürchte nein.«

»Würden Sie mich vielleicht aufklären?«

Amanda musterte ihn eingehend. »Sie haben also wirklich keine Ahnung? Serena hat Ihnen nichts erzählt?«

»Offensichtlich nicht.«

»Sie treiben doch nicht etwa Spielchen mit mir?«

»Dafür bin ich noch nicht lange genug in der Stadt«, sagte Stride.

Amanda lachte ausgiebig. Es war ein Laut, der tief aus ihrer Kehle kam. »Das ist witzig. Echt witzig.«

»Darf man mitlachen?«

»Ich bin Non-OP«, erklärte Amanda.

»Und was ist das?«, fragte Stride verwirrt.

»Ich bin transsexuell, aber nicht operiert. Ich hatte einen operativen Eingriff zur Feminisierung und nehme Östrogene für die Entwicklung der Brust, weiche Haut, die richtige Gewichtsverteilung und Ähnliches. Aber ich habe keine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen. Verstanden? Ich war früher ein Mann.«

Stride fühlte, wie sein Gesicht die verschiedensten Rottöne annahm. »Heiliger Strohsack!«

»Jetzt ist Ihnen wohl klar, warum ich auf der Wunschliste potenzieller Partner nicht ganz oben stehe.«

Er konnte nicht anders. Unwillkürlich starrte er auf die großen Brüste, die sich unter Amandas T-Shirt abzeichneten. Dann wanderte sein Blick zum Schritt ihrer engen Jeans, wo seine Vorstellungskraft überfordert schien. Er merkte, dass er sie anstarrte, aber ihm fiel nichts ein, was er hätte sagen können.

»Wollen Sie mal sehen?«, fragte Amanda.

»Nein!«, wehrte er ab, bevor er merkte, dass sie kicherte. »Tut mir Leid«, setzte er hinzu. »Wirklich gelungen. Das ist eine Botschaft von Sawhill: ›Bei euch Hinterwäldlern in Minnesota gibt’s wohl keine Non-OPs, was, Stride?‹«

»Ist das ein Problem für Sie?«

Stride überlegte. Bis vor wenigen Monaten hatte er sein gesamtes Leben am Ufer des Lake Superior verbracht, in einer Stadt, die sich in Bezug auf Gewerkschaften und Gesundheitsvorsorge liberal gab, aber bei Religion und Sex streng konservativ dachte. Sein Prinzip war allerdings immer gewesen, dass es niemanden etwas anging, was hinter geschlossenen Schlafzimmertüren geschah, solange niemand dabei zu Schaden kam.

Er zuckte die Achseln. »Wie gesagt, Sie sind clever und außerdem der hübscheste Mann, der mir je begegnet ist.«

»Ich bin jetzt eine Frau. Trotzdem vielen Dank. Die meisten Polizisten sind nicht so tolerant. Und das gilt für Männer und Frauen.«

»Kann ich mir vorstellen.«

Stride hatte noch jede Menge Fragen, aber er wollte nicht wie ein Trottel dastehen.

Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Als er sich umdrehte, blickte er in das olivenfarbene Gesicht eines auffällig großen Mannes, der selbst mitten in der Nacht drinnen im Kasino eine silberne Sonnenbrille trug. Das schwarze Haar war auf exakt zweieinhalb Zentimeter gestutzt und stand senkrecht in die Höhe.

»Detective?«, sagte er. »Ich bin Gerard Plante, Sicherheitschef des Oasis.«

Stride stellte sich vor. Amanda erhob sich und folgte seinem Beispiel. Plante trug einen marineblauen Anzug, dessen Stoff im Licht glitzerte. Aus seiner Brusttasche ragte ein burgunderfarbenes Taschentuch mit dem eingestickten Logo des Oasis. Als er ihnen die Hand schüttelte, fühlte sich seine Haut an wie das geschmeidige Leder einer Hundertdollarbrieftasche.