Aaron Benanav
Automatisierung und die Zukunft der Arbeit
Aus dem Englischen von Felix Kurz
Suhrkamp
Das Internet, Smartphones und soziale Medien haben schon jetzt grundlegend verändert, wie wir miteinander umgehen und die Welt erfahren. Was würde geschehen, wenn sich diese digitalen Technologien vom Display lösen und immer tiefer in die uns umgebende materielle Welt eindringen? Fortgeschrittene Industrierobotik, selbstfahrende Autos und Lkw sowie der Einsatz künstlicher Intelligenz in der Krebserkennung scheinen das Ende vieler Sorgen anzukündigen, wecken aber zugleich neue. Denn was würden die Menschen in einer weitgehend automatisierten Zukunft tun? Könnten wir unsere Institutionen an sie anpassen und in einem neuen Zeitalter intelligenter Maschinen den Traum von menschlicher Freiheit verwirklichen? Oder würde sich dieser Traum als Albtraum technologischer Massenarbeitslosigkeit entpuppen?
In zwei Aufsätzen, die 2019 in der New Left Review erschienen sind, habe ich einen neuen Automatisierungsdiskurs nachgezeichnet, an dem sich liberale, konservative wie auch linke Theoretiker beteiligen. Sie stellen genau solche Fragen und kommen zu einem provokanten Schluss: Die technologische Massenarbeitslosigkeit ziehe bereits herauf und lasse sich nur durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens bewältigen, denn mit dem Lohneinkommen würden große Teile der Bevölkerung ihre Existenzgrundlage verlieren.
Im vorliegenden Buch vertrete ich die These, dass die Wiederkehr des Automatisierungsdiskurses in Reaktion auf eine reale, weltweit voranschreitende Tendenz erfolgt: Es gibt schlichtweg zu wenige Jobs. Dieser chronische Mangel an Nachfrage nach Arbeit zeigt sich in wirtschaftlichen Trends wie Konjunkturerholungen ohne Beschäftigungsaufbau, stagnierenden Löhnen und der Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse. Er tritt aber auch in politischen Phänomenen zutage, die eine wachsende Ungleichheit befeuert: in Populismus, Plutokratien und dem Aufstieg einer neuen digitalen Elite, die es auf künstliche Inseln im Meer zieht – und die lieber mit Raketen auf den Mars fliehen möchte, als das Los der digitalen Bauernschaft zu verbessern, die sie auf einem brennenden Planeten Erde zurückzulassen gedenkt.
Blickt man auf die Massen von Obdach- und Arbeitslosen im kalifornischen Oakland einerseits, die Roboter in der Tesla-Fabrik einige Kilometer weiter in Fremont andererseits, drängt sich der Eindruck auf, die Automatisierungstheoretiker müssten richtigliegen. Doch ihre Erklärung, der zufolge ein rasanter technischer Wandel Jobs vernichtet, ist einfach falsch. In den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und erst recht in Ländern wie Südafrika, Indien und Brasilien besteht tatsächlich eine anhaltende Unterbeschäftigung, aber ihre Ursache ist beinahe das Gegenteil dessen, was die Automatisierungstheoretiker anführen.
In Wirklichkeit beschleunigt sich das Wachstum der Arbeitsproduktivität nämlich nicht, sondern lässt nach. Das hätte die Nachfrage nach Arbeit eigentlich steigern sollen, wurde jedoch von einem anderen, folgenreicheren Trend überschattet: Eine zuerst von dem marxistischen Ökonomen Robert Brenner als »langer Abschwung« analysierte Entwicklung – von Mainstream-Ökonomen verspätet als »säkulare Stagnation« oder »Japanisierung« zur Kenntnis genommen – hat das Wachstum von Volkswirtschaften zunehmend gedrosselt. Die Ursache dafür? Seit Jahrzehnten bestehende Überkapazitäten haben den industriellen Wachstumsmotor zerstört, und eine Alternative zu ihm wurde bislang nicht gefunden – am allerwenigsten im Dienstleistungssektor, wo die Beschäftigung nur langsam wächst und der von niedriger Produktivität gekennzeichnet ist.
Mit dem Wachstum der Wirtschaft verlangsamt sich auch das der Beschäftigung, und ebendies – nicht der technologische Wandel – hat die Nachfrage nach Arbeit weltweit gedämpft. Setzt man die Spezialbrille auf, mit der die Hauptfigur in John Carpenters Film Sie leben die Wahrheit hinter den Reklametafeln sehen kann, erkennt man heute leicht eine Welt, die nicht geprägt ist von neuen sauberen, automatisierten Fabriken und Tischtennis spielenden Konsumrobotern, sondern von maroder Infrastruktur und deindustrialisierten Städten, überarbeiteten Pflegekräften und unterbezahlten Verkäuferinnen sowie von einer gewaltigen Aufstauung finanzialisierten Kapitals, das immer weniger Anlagemöglichkeiten findet.
Zur Belebung einer stagnierenden Wirtschaft setzen Regierungen seit fast einem halben Jahrhundert auf Ausgabenkürzungen, unter deren Folgen – unterfinanzierte Schulen, überfüllte Krankenhäuser, heruntergewirtschaftete öffentliche Transportsysteme und Einschnitte in Sozialprogramme – die Bevölkerung zu leiden hat. Gleichzeitig haben sich Staaten, Unternehmen und Privathaushalte angesichts extrem niedriger Zinsen in Rekordhöhe verschuldet. Nicht um in unsere digitale Zukunft zu investieren, wie Alan Greenspan, damals Vorsitzender der US-Notenbank Federal Reserve, mitten in der IT-Blase der späten neunziger Jahre meinte. Vielmehr reichten Firmen das Geld an ihre Aktionäre weiter, während ärmere Haushalte sich mit Krediten über Wasser zu halten hofften.
Aufgrund dieser Trends befindet sich die Weltwirtschaft heute in ausgesprochen schlechter Verfassung, während sie vor einer ihrer größten Herausforderungen steht: der Corona-Rezession. Kaputtgesparte Gesundheitssysteme hatten mit einem Ansturm von Patienten zu kämpfen, aufgrund von Schulschließungen fehlte es vielen Kindern auch an Grundmahlzeiten (und Eltern an dringend benötigter Kinderbetreuung). Unterdessen bricht die Wirtschaft ein. Hochverschuldete Unternehmen sahen ihre Aktienkurse zumindest zu Beginn der Rezession in einem Tempo abstürzen wie zuletzt während der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit ist weltweit signifikant gestiegen, in den Vereinigten Staaten sogar in astronomische Höhen, sodass erhebliche Teile der Bevölkerung nicht in der Lage sind, das Geld für Essen, medizinische Versorgung oder das Dach über ihrem Kopf aufzubringen. Trotz umfangreicher geld- und fiskalpolitischer Konjunkturmaßnahmen dürften sich schwache Wirtschaften von dem Schock so schnell nicht erholen. Es ist absehbar, dass die Corona-Rezession den bereits seit geraumer Zeit wirkenden Trend zu wachsender ökonomischer Unsicherheit und Ungleichheit langfristig noch beschleunigen wird.
Genau deshalb ist die Auseinandersetzung mit dem aktuellen Automatisierungsdiskurs so wichtig: Er hält unserer dystopischen Welt eine utopische Antwort entgegen. Setzen wir Carpenters Spezialbrille einen Moment ab und kehren wir in die Phantasiewelt zurück, in der die Vertreter dieses Diskurses leben. In ihr arbeiten wir alle weniger (wie die Leidtragenden der aktuellen Rezession) und haben trotzdem alles, was wir brauchen; wir verbringen mehr Zeit mit der Familie (aber nicht, weil wir uns zuhause isolieren müssten); Senioren joggen in neuartigen Exoskelett-Trainingsanzügen durch die Parks (statt im Krankenhaus zu sterben); die Luft ist wieder sauber, weil wir zügig auf erneuerbare Energien umgestiegen sind (und nicht aufgrund von Fabrikschließungen und weniger Autoverkehr).
Mit Ausnahme der Trainingsanzüge ist all das schon heute möglich, wenn wir dafür kämpfen. Selbst wenn sich die Automatisierung der Produktion als unmöglich erweisen sollte, können wir die von ihren Theoretikern heraufbeschworene Welt ohne Mangel schaffen.
Mein Interesse an dem Thema speist sich aus zwei unterschiedlichen Quellen; eine reicht tiefer in die Vergangenheit zurück, die andere ist neueren Ursprungs. Wie viele Automatisierungstheoretiker bin ich in den achtziger und neunziger Jahren mit Science-Fiction-Romanen aufgewachsen und verfolgte im Fernsehen, wie die kommunistischen Raumfahrer in Star Trek – The Next Generation die Galaxie durchqueren. Dieses Faible hatte mein Vater bei mir geweckt, der selbst auf dem Gebiet der Automatisierung forschte. Wie viele seiner Kollegen hatte er eine akademische Laufbahn aufgegeben, um sein Glück in der Start-up-Szene der neunziger Jahre zu versuchen. Manche machten damals ein kleines Vermögen, die große Mehrheit indessen nicht: Die meisten Internet-Start-ups gingen pleite, ihren überarbeiteten Programmierern blieb am Ende wenig für die ganze Mühe. Jeden Sommer absolvierte ich in den High-School-Ferien in einer anderen Firma ein Praktikum bei meinem Vater, programmierte mit HTML und Javascript – und kam zu dem Schluss, dass die IT-Branche wenig Aussicht auf Erfüllung bietet. Stattdessen widmete ich mich einem Studium der Geschichte von Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit, den beiden Triebkräften, die über Prosperität und Unsicherheit in der heutigen Wirtschaft entscheiden.
Im Gefolge der Krise von 2008 beteiligte ich mich an den damaligen sozialen Bewegungen und versuchte die dabei gemachten Erfahrungen in Diskussionen und gemeinsamen Projekten mit anderen Mitgliedern der Zeitschrift Endnotes zu verarbeiten. Unsere kollektiv verfassten, nicht namentlich gezeichneten Texte haben die Analyse auf den folgenden Seiten stark beeinflusst. Durch die Begegnung mit zwei Kritikern unserer Bemühungen – Nick Srnicek und Alex Williams, deren Buch Die Zukunft erfinden (2016) ein prominentes Beispiel für den linken Strang im Automatisierungsdiskurs darstellt – lernte ich das geistige Biotop kennen, das die Automatisierungstheoretiker bevölkern; sie ließ die Science-Fiction-Begeisterung meiner Kindheit wieder aufleben und änderte zugleich mein Verständnis der Zukunft.
Als ich ein Buch nach dem anderen zum Thema las, wobei Ausflüge in die ältere utopische Literatur und die Science-Fiction eine stetig wachsende Lektüreliste ergänzten, wuchs in mir die Überzeugung, dass die Automatisierungstheoretiker zusammen mehr dafür getan haben, die Organisationslogik einer postkapitalistischen Gesellschaft zu durchdenken und mögliche Wege in eine Welt ohne Mangel auszuloten, als alle anderen mir bekannten Autorinnen. Auch wenn ich mit ihrer Gegenwartsanalyse nicht einverstanden war, meinte ich durch die Auseinandersetzung mit ihrer Zukunftsvision meine eigene, im Vergleich zu ihrer noch in denkbar trübstem Grau gehaltene ausarbeiten zu können. Auf den folgenden Seiten untersuche ich Möglichkeiten, eine materiell befriedete Gesellschaft auch ohne vollautomatisierte Produktion zu erreichen – indem wir uns die weiterhin anfallende Arbeit so teilen, dass sie wieder mit Würde, Autonomie und Sinn vereinbar wird, aber nicht den Mittelpunkt unseres gesellschaftlichen Lebens bildet.
Im Zuge einer Darstellung und Kritik des Automatisierungsdiskurses skizziere ich die Geschichte der Weltwirtschaft und der globalen Beschäftigung in den letzten fünfzig Jahren, wobei Ursprünge und Entwicklung der heutigen chronisch schwachen Nachfrage nach Arbeit im Zentrum stehen. Danach erörtere ich die zur Behebung dieses Marktversagens angebotenen politischen Alternativen – neoliberale Strukturanpassung, keynesianische Nachfragesteuerung und bedingungsloses Grundeinkommen – und skizziere eine Welt jenseits des Mangels, an der man sie messen sollte.
Die Arbeit am vorliegenden Buch hat mich in der Überzeugung bestärkt, dass die Wende zu einer humaneren Zukunft von der massenhaften Weigerung arbeitender Menschen abhängen wird, den stetig sinkenden Bedarf an ihrer Arbeitskraft und die daraus folgende wachsende wirtschaftliche Ungleichheit hinzunehmen. Schon vor der Corona-Rezession sind rund um den Globus immer heftigere Kämpfe gegen diese Entwicklungen entbrannt und kürzlich erneut aufgeflammt. Wir müssen in die daraus hervorgehenden Bewegungen eintauchen und dazu beitragen, sie voranzutreiben. Scheitern sie, dann ist das Beste, was wir erreichen können, vielleicht geringfügig höhere Sozialleistungen in Form des bedingungslosen Grundeinkommens – ein Modell, das Regierungen zurzeit als Antwort auf die Rezession ausprobieren. Kämpfen sollten wir aber nicht für dieses bescheidene soziale Ziel, sondern für eine Welt, in der niemand Mangel leidet.
Ohne die Unterstützung und Freundschaft vieler Menschen hätte ich das vorliegende Buch nicht schreiben können. Nennen möchte ich Perry Anderson, Arielle Angel, Elyse Arkind, Marc Arkind, Mia Beach, Dan Benanav, Ethan Benanav, Mandy Benanav, Jasper Bernes, Mårten Björk, Jan Breman, J. Dakota Brown, Jonny Bunning, Paul Cheney, Christopher Chitty (†), Joshua Clover, Chiara Cordelli, Oliver Cussen, Daniel Denvir, Andreas Eckert, Hugh Farrell, Adom Getachew, Maya Gonzalez, Daragh Grant, Lee Harris, Gary Herrigel, Joel Isaac, Felix Kurz, Rachel Kushner, Natalie Leonard, Jonathan Levy, Marcel van der Linden, Rob Lucas, Neil Maclean, Henry Mulheim, Jeanne Neton, Mary Ellen O’Brien, Chris O’Kane, Moishe Postone (†), Thea Riafrancos, Pavlos Roufos, Bill Sewell, Jason Smith, Maureen Smyth, Juliana Spahr, Zöe Sutherland, Ben Tarnoff, Sarah Watlington, Suzi Weissman, Björn Westergard, Gabriel Winant und Daniel Zamora sowie die Teilnehmer des »History and Theory of Capitalism Workshop« und des »Society of Fellows Workshop« an der University of Chicago.1
Mein besonderer Dank gilt Chloe Benanav, Robert Brenner, John Clegg und Charlotte Robertson, die mich beim Forschen und Schreiben durchgehend unterstützt haben. Und schließlich danke ich meinen Redakteurinnen und Lektoren bei der New Left Review – Susan Watkins, Tom Hazeldine, Emma Fajgenbaum und Lola Seaton – und beim Verso-Verlag – Tom Hazeldine (nochmals), Duncan Ranselm und Samuel Stein. Besonders verbunden bin ich Tom, der das Projekt mit einem gestrafften Zeitplan vorangetrieben hat, obwohl die Welt gerade kopfstand.
Dieses Buch ist meiner Frau Chloe gewidmet, mit der ich vom guten Leben kosten konnte.
Aaron Benanav Berlin, Februar 2021
Die rasanten Fortschritte bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz, maschinellem Lernen und in der Robotik scheinen kurz davorzustehen, die Arbeitswelt tiefgreifend zu verändern. Unternehmen wie Tesla wollen in den modernsten Fabriken der Welt auf die Beleuchtung verzichten, denn vollautomatische Produktionsabläufe, die keine menschliche Arbeitskraft mehr benötigen, funktionieren auch im Dunkeln. In grell erleuchteten Messehallen werden unterdessen Roboter präsentiert, die Tischtennis spielen, Kochen, Sex haben und sogar Gespräche führen können. Computer entwerfen heute nicht nur neue Strategien für das Spiel Go, sondern komponieren angeblich auch Sinfonien, die das Publikum zu Tränen rühren sollen. In weiße Laborkittel oder virtuelle Anzüge gekleidet, lernen sie, Krebserkrankungen zu erkennen, und werden schon bald Strategien für Rechtsanwälte ausarbeiten. Durch die USA rollen bereits fahrerlose Trucks, Roboterhunde befördern Militärgerät durch wüste Ebenen. Leben wir in den letzten Tagen menschlicher Plackerei? Stehen wir, wie der amerikanische Science-Fiction-Autor Edward Bellamy formulierte, vor der Aufhebung »des Gesetzes, das den Garten Eden regierte«, weil die Menschen – oder zumindest die reichsten – gottgleich werden?1
Es gibt viele Gründe für Skepsis gegenüber diesem Hype. Zunächst einmal scheitern Maschinen bis heute auf geradezu komische Weise daran, eine Tür zu öffnen oder Wäsche zu falten (was sehr bedauerlich ist); Roboter, die im Shopping-Center für Sicherheit sorgen sollen, stürzen sich stattdessen in den nächsten Brunnen. Digitale Assistenten können zwar Fragen beantworten und Dokumente übersetzen, aber nicht gut genug, um ohne menschliche Hilfe auszukommen; dasselbe gilt für fahrerlose Autos.2 Als 2014 eine Bewegung in den Vereinigten Staaten die Erhöhung des nationalen Mindestlohns auf 15 Dollar forderte, tauchten in San Francisco Plakatwände mit der Warnung auf, durch ein solches Gesetz würden die Beschäftigten von Fast-Food-Ketten arbeitslos und Touchscreens ihre Jobs übernehmen. Das Wall Street Journal sprach von einem »Gesetzentwurf für die Einstellung von Robotern«. In Europa arbeiten viele Fast-Food-Beschäftigte aber bereits Seite an Seite mit Touchscreens und verdienen häufig mehr als ihre amerikanischen Kollegen.3 Ist die ganze Aufregung um die Automatisierung vielleicht übertrieben?
Die Schauergeschichten, die Zeitungen und Magazine zum Thema verbreiten, sind leeres Gerede. Im Lauf der letzten Dekade hat sich jedoch eine einflussreiche sozialwissenschaftliche Theorie entwickelt, die dem eigenen Anspruch nach nicht nur neue Technologien analysiert und deren Zukunft vorhersagt, sondern auch die Folgen des technologischen Wandels für die Gesellschaft insgesamt erforscht. Dieser Automatisierungsdiskurs beruht auf vier Kernaussagen. Erstens werden Arbeiter ihm zufolge schon heute von immer höher entwickelten Maschinen verdrängt, was zu einer steigenden »technologischen Arbeitslosigkeit« führe. Zweitens sei diese Verdrängung ein untrügliches Anzeichen dafür, dass wir an der Schwelle zu einer weitgehend automatisierten Gesellschaft stehen, in der autonome Maschinen und intelligente Computer beinahe die gesamte Arbeit übernehmen. Drittens könne die Automatisierung zwar grundsätzlich die Menschheit von Mühsal befreien, in unserer Gesellschaft seien die meisten jedoch auf Arbeit angewiesen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, weshalb sich ein solcher Traum durchaus als Albtraum erweisen könne.4 Viertens lasse sich daher eine katastrophale Massenarbeitslosigkeit – wie sie 2020, wenn auch aus ganz anderen Gründen, in den Vereinigten Staaten um sich griff – nur durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) abwenden, das die Einkommenshöhe von der individuell geleisteten Arbeit entkoppeln würde.
Verbreitet wird dieser Automatisierungsdiskurs vor allem von Autoren, die sich als Zukunftsforscher verstehen. In ihrem viel beachteten Buch The Second Machine Age behaupten Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee, wir stünden »an einem Wendepunkt«, da durch rasante Entwicklungen »viele Technologien, die es früher nur in Science-Fiction-Storys gab, alltägliche Realität werden«. Dies verspreche zwar eine »beispiellose Fülle«, jedoch gebe es, so ihre Warnung, »kein wirtschaftliches Gesetz, das besagt, dass Arbeitnehmer ausnahmslos oder auch nur mehrheitlich von diesem Fortschritt profitieren«. Im Gegenteil: Da mit der Einführung neuer Technologien die Nachfrage nach Arbeit sinke, stagnierten die Löhne; ein immer größerer Teil des jährlichen Gesamteinkommens fließe an das Kapital und nicht an die Beschäftigten. Das habe eine wachsende Ungleichheit zur Folge, die »unseren Weg ins zweite Maschinenzeitalter verlangsamen könnte«; wenn bloße Rentenabschöpfung weitere technologische Innovationen blockiert, drohe ein »Versagen des Kapitalismus«.5 Ähnlich behauptet Martin Ford in Aufstieg der Roboter, wir steuerten »auf einen Wendepunkt zu«, nach dem »letztlich die komplette Wirtschaft weniger arbeitsintensiv« sein werde. Auch für Ford ist »kein Langzeitszenario […] so angsteinflößend wie das, bei dem sich das globale Wirtschaftssystem an die neue Realität anpasst«, denn dadurch entstünde ein »automatisierter Feudalismus«, in dem »die ›Bauern‹ größtenteils überflüssig« wären und die Eliten unempfänglich für wirtschaftliche Forderungen.6 Bildung und Umschulung werden laut diesen Autoren in einer automatisierten Wirtschaft nicht ausreichen, um die Beschäftigung zu stabilisieren. In irgendeiner Form, zum Beispiel durch eine negative Einkommenssteuer, müsse ein garantiertes Einkommen unabhängig vom Lohn eingeführt werden.7
Begeisterte Aufnahme hat der Automatisierungsdiskurs bei der betont leger gekleideten Elite des Silicon Valley gefunden. Bill Gates plädiert für eine Robotersteuer. Mark Zuckerberg riet Erstsemestern an der Harvard University, »über Ideen wie das Grundeinkommen nachzudenken«, eine politische Maßnahme, von der auch Elon Musk glaubt, sie werde sich als immer »notwendiger« erweisen, da sich die Menschen in mehr und mehr Jobs nicht gegen die Konkurrenz von Robotern behaupten können.8 Den unbemannten schwimmenden Landeplattformen seines SpaceX-Programms gab Musk Namen wie »Of Course I Still Love You« und »Just Read the Instructions« – nach Raumschiffen in Iain M. Banks’ Kultur-Zyklus. Banks schildert in seinen zwiespältig utopischen Science-Fiction-Romanen eine Welt jenseits des Mangels, in der Menschen an der Seite intelligenter Roboter, den »Gehirnen«, ein erfülltes Leben führen und weder Märkte noch Staaten brauchen.9
Auch Politiker und ihre Beraterinnen haben sich den Automatisierungsdiskurs zu eigen gemacht, der den Blick in unsere »digitale Zukunft« mittlerweile maßgeblich prägt. So erklärte Barack Obama in seiner Abschiedsrede als Präsident, die »nächste Welle des wirtschaftlichen Umbruchs« werde nicht vom Welthandel ausgehen, sondern »durch das unerbittliche Tempo der Automatisierung ausgelöst werden, die viele gute Mittelschichtsarbeitsplätze überflüssig macht«. Robert Reich, ehemals Arbeitsminister unter Bill Clinton, äußerte ähnliche Befürchtungen: Wir kämen bald an den Punkt, »an dem die Technologie so viele Jobs beseitigt – nicht nur einfache Tätigkeiten, sondern auch akademische Berufe –, dass wir die Idee eines allgemeinen Grundeinkommens ernst nehmen müssen«. Clintons ehemaliger Finanzminister Lawrence Summers räumte ebenfalls ein, vormals »dumme« Ideen über technologische Arbeitslosigkeit schienen heute angesichts stagnierender Löhne und wachsender ökonomischer Ungleichheit immer vernünftiger. Im Jahr 2020 wurde der Diskurs sogar zur Grundlage einer (wenngleich recht aussichtslosen) US-Präsidentschaftskandidatur: Andrew Yang, unter Obama »Botschafter für Globales Unternehmertum« und mit The War on Normal People selbst Verfasser eines Buchs zum Thema, führte unter dem Slogan »Humanity First« einen futuristischen Wahlkampf, der das BGE erstmals seit zwei Generationen wieder auf die Tagesordnung der US-Politik setzte. Zu Yangs Unterstützern zählte mit Andy Stern ein ehemaliger Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Service Employees International Union, dessen Buch Raising the Floor ein weiteres Beispiel für den Diskurs bietet.10
Yang und Stern versichern ihren Leserinnen zwar wie alle genannten Autoren unermüdlich, der Kapitalismus werde in irgendeiner Form fortbestehen, selbst wenn man sich von den Arbeitsmärkten verabschieden müsse. Gleichzeitig bekennen sie sich zum Einfluss dezidierter Linker auf ihr Denken, die eine radikalere Version des Automatisierungsdiskurses vertreten. So erklären etwa Nick Srnicek und Alex Williams in Die Zukunft erfinden, die jüngste Welle der Automatisierung stehe »im Begriff, die Beschäftigungsanteile erneut drastisch zu verändern«, da sie »praktisch alle Ausschnitte der Wirtschaft« erfasse, allerdings sei nur eine sozialistische Regierung in der Lage, das Versprechen der Vollautomatisierung einzulösen und eine Gesellschaft jenseits von Arbeit und Mangel zu schaffen.11 Peter Frase untersucht in seinem Buch Four Futures aufschlussreich die verschiedenen Gestalten, die eine solche Gesellschaft annehmen könnte – je nachdem, ob das Privateigentum weiterbesteht und ob Ressourcen knapp sind, was ihm zufolge beides weiter der Fall sein kann, auch wenn Arbeitskraft im Überfluss vorhanden ist.12
Wie die liberalen Vertreter des Automatisierungsdiskurses betonen auch diese linken Autoren, der mit dem »Abschied von der Arbeitsgesellschaft« mögliche Fortschritt sei keineswegs »unausweichlich«, selbst wenn sich eine hochentwickelte Robotik durchsetzen sollte.13 Srnicek, Williams und Frase befürworten alle das BGE, allerdings in einer linken Version. Sie verstehen es als Brücke zum »vollautomatisierten Luxus-Kommunismus«, eine Formel, die Aaron Bastani 2014 prägte, um ein mögliches Ziel sozialistischer Politik zu benennen. Sie hatte sich bereits zu einem Meme entwickelt, als er fünf Jahre später, in seinem Buch Fully Automated Luxury Communism, den Entwurf einer automatisierten Zukunft vorlegte, in der künstliche Intelligenz, Solarenergie, Gentechnik, Weltraumbergbau und Fleisch aus der Petrischale eine Welt grenzenloser Freizeit und Selbsterfindung ermöglichen.14 Es bietet ein dringend nötiges Gegengewicht zur linken Rhetorik kollektiver Selbstaufopferung und asketischer Konsumfeindlichkeit.