Über das Buch

Die isländische Schäferin Heiða Guðný Ásgeirsdóttir ist ein Freigeist und eine Kämpferin. Allein mit fünfhundert Schafen auf einer abgelegenen Farm trotzt sie nicht nur Wind und Wetter, sondern auch einem Energieunternehmen, das in ihrem Tal einen Staudamm bauen will. Nach einer Modelkarriere in New York kehrte sie auf die heimatliche Farm zurück. Sie lebt heute eng verbunden mit der Natur in einem Tal am Rande der bewohnbaren Welt.

Steinunn Sigurðardóttir, eine der wichtigsten Autorinnen Islands, erzählt Heiðas bewegte Geschichte mit ebenso großem poetischem wie dramaturgischem Gespür. Sie weckt mit jeder Zeile Sehnsucht nach Island – nach seiner wilden Natur, seiner Einsamkeit und den Menschen. Die Beschreibung von Heiðas unabhängigem Leben auf ihrem Hof, eingebettet in die ursprüngliche Weite Islands, macht dieses Buch zu einem Schatz für alle Naturliebhaber und Island-Enthusiasten.

Steinunn Sigurðardóttir

Heiðas Traum

Eine Schäferin auf Island
kämpft für die Natur

Aus dem Isländischen von Tina Flecken

Carl Hanser Verlag

Der Hof Ljótarstaðir wird schon seit dem zwölften Jahrhundert bewirtschaftet, was man an den Ascheschichten erkennen kann, die bei Ausgrabungen freigelegt wurden. In Island gibt es noch einen weiteren Hof mit demselben Namen, Ljótarstaðir in Landeyjar an der Südküste.

Darüber, wie der Hof zu seinem Namen gekommen ist, kursieren verschiedene Theorien, eine ist, dass er nach dem Siedler Ljótur benannt wurde, der hier unter einem Erdhügel begraben sein soll. Eine andere, dass sich der Hofname auf den Frauennamen Ljótunn bezieht.

Aber die schönste Theorie ist die, an die ich mich halten werde … ich habe sie letztens rein zufällig in einem Heimatmuseum im Norden gehört. Der Museumsmitarbeiter brachte den Hofnamen Ljótarstaðir mit einer alten, mir bis dahin unbekannten Formulierung in Zusammenhang, die sich um Licht dreht. Sie lautet: Birtunni ljótar yfir, was so viel heißt wie die Helligkeit legt sich über.

Das klingt logisch, weil Ljótarstaðir in einer offenen, weiten Landschaft liegt und früh von der Sonne beschienen wird. Nach Snæbýli, dem anderen Hof im Tal direkt am Hang, kommt die Sonne erst später.

Also bedeutet Ljótarstaðir: der Hof, wo die Helligkeit ist. Das ist mein Hof.

***

Auf dem Heimweg freue ich mich jedes Mal, die Anhöhe Fitarholt zu erreichen. Da halte ich manchmal an und lasse den Blick schweifen, nach Hause nach Ljótarstaðir, zu meinen königsblauen Hausdächern, durch das Tal, das Krókur genannt wird. Von dort kann man weit ins Landesinnere schauen, zu den Bergen hinter dem Fluss Tungufljót. Die Aussicht reicht bis zum Mýrdalsjökull-Gletscher, zu den Höhenzügen westlich und nördlich des Hofs, wo die Gipfel Kvalningshnúkar und Fjalldalsbrún aufragen. Dahinter sieht man die Hochlandweiden von Skaftártunga und Álftaver.

Die Gebäude in Ljótarstaðir liegen auf knapp zweihundert Metern Höhe, dahinter steigt das Gelände rasch an. Mein Land, das für isländische Verhältnisse riesengroß ist, besteht größtenteils aus Wildnis, jenseits der Grenzen zum Hochland. Die Ortsnamen zeugen davon, wie schneereich es hier ist: Snjóagil, Schneeschlucht, in Ljótarstaðir und Snjódalagljúfur, Schneetälerklamm, in Snæbýli … und im Frühling wird es erst spät grün. Kaum einer reißt sich darum, in dieser rauen Gegend zu leben, geschweige denn als Einzelkämpfer. In einem Blog habe ich einmal gelesen, mein Hof läge »an der Grenze zur bewohnbaren Welt«. Das hört man natürlich öfter, meistens mit dem Zusatz, dass sich hier doch die Füchse gute Nacht sagen.

Deshalb ist es merkwürdig, geradezu irrwitzig, dass ich von Anfang an um meine Existenz kämpfen musste. Der letzte und weitaus härteste Kampf, der mit dem Energieunternehmen Suðurorka wegen des Búland-Kraftwerks, hält seit 2010 an und führte dazu, dass ich mich gezwungen sah, in die Gemeindepolitik zu gehen. Um die Kommune und mein eigenes Land zu schützen … und mehr als das. Die geplanten Anlagen hätten sich über die gesamte Skaftártunga-Region erstreckt, vom Hochlandcenter Hólaskjól im Norden bis zur Ringstraße im Süden, mit einem kleinen Ausläufer nach Ljótarstaðir – in Form eines sechzig Meter hohen Staudamms in meiner Schlucht. So hoch wie der Turm der Hallgrímskirkja in Reykjavík. Ein zehn Quadratkilometer großer Stausee sollte in vier Kilometern Luftlinie von meiner Waschküchentür entstehen. Auf meinem besten Weideland … wo es im Frühling als Erstes grün wird.

Für eine Einzelbäuerin mit fünfhundert Schafen steht es nicht gerade oben auf der Wunschliste, sich einen zeitraubenden und quasi unbezahlten verantwortungsvollen Posten im Gemeinderat aufzuhalsen. Immerhin ist die Landwirtschaft schon zeitweise ein Vollzeitjob und mehr als das.

Dieser Kampf hat mich unmenschlich viel Kraft gekostet.

Sommer

Traktor

Der Sommer ist eine großartige Jahreszeit, mit seinem Wachstum, dem vielen Licht. Aber ich habe keine Zeit, mich nackt im Tau zu wälzen, wie man es dem Volksglauben nach in der Mittsommernacht tun soll, um heilende Energie zu tanken. Ich muss nachts schlafen und wäre viel zu müde dafür. Im Sommer halte ich mich überwiegend im Haus auf, und zwar im Führerhaus meines Traktors.

Ich bin auf dem Traktor groß geworden. Auf einem Massey Ferguson ohne Bremse. Der hatte allerdings kein Führerhaus, deshalb saß ich unter freiem Himmel, bekam viel Sonne ab und wurde knackbraun. Aber im Führerhaus – keine Chance.

Ich fahre gern Traktor. Dabei kann man noch ganz andere Dinge machen, als zu mähen und schwaden … zum Beispiel sich am Steuer Verse ausdenken.

Wir Schwestern können alle gut reimen. Arndís, die mit siebzehn starb, war auch eine gute Dichterin. Ásta, Fanney und ich gehen öfter zu Poesietreffen und tragen dort zum Spaß Verse vor.

Meine Eltern brachten uns Mädchen systematisch Verse und Gedichte bei. Der Rhythmus bleibt einem im Gedächtnis haften.

Nun entfacht den Renner die eigene Glut.

Der Huf trifft den Pfad wie peitschender Wind.

Die Reiter verstummen und sind auf der Hut.

Wie geschwungene Wipfel die Mähnen sind.

Es brandet ein Schaum um die fauchenden Lippen.

Die Haut spannt sich gläsern auf stählernen Rippen.

Und jede Bewegung schreibt sicher und blind

ihrer Vollendung Ruhm auf die bröckelnden Klippen.

(Rösser von Einar Benediktsson [1864–1940],

übersetzt von Jóhann Jónsson)

Gibt es etwas Eindrucksvolleres? Fantastisch, wie der Rhythmus langsam einsetzt und sich dann immer weiter steigert.

Das Dichterblut haben wir von unserem Urgroßvater mütterlicherseits, Bjarni von Vogur. In der Familie meines Vaters gab es auch gute Dichter, und Papa war unglaublich schlagfertig und scharfzüngig. Mama liebt die isländische Sprache und ist ein Bücherwurm. Früher hat sie auch gern Verse geschmiedet, meint aber, sie hätte es aufgegeben, als meine Schwestern und ich besser wurden.

Ich konnte immer gut Wörter aneinanderreihen und Verse dichten. Schon als Kind habe ich gehört, ob etwas gut oder schlecht gereimt war. Entweder man hat’s, oder man hat’s nicht.

Aber ich mache auch noch andere Dinge auf dem Trecker. Wer so tanzwütig ist wie ich, der tanzt dort natürlich auch. Dafür dürfte das Führerhaus allerdings ein bisschen größer sein. Mein Nachbar hat einen großen Traktor, den er mir mal geliehen hat … das war richtiger Luxus, auf dem zu tanzen.

Wenn es irgendwie möglich ist, mache ich auf dem Traktor Multitasking … ich hänge viel am Handy und schreibe Mails, während ich gleichzeitig schwade, wende und mähe, aber natürlich nur auf dem Feld, nicht auf den Wegen. In der Gemeindepolitik muss man viel telefonieren und bei dem Kampf um das Búland-Kraftwerk auch. Klar, dass die Telefoniererei nicht weniger wurde, nachdem man mich gebeten hatte, bei der Parlamentswahl im Oktober 2016 einen vorderen Listenplatz für die Links-Grünen im Wahlkreis Süd einzunehmen.

Inzwischen kriege ich es sogar hin, beim Treckerfahren auf Snapchat zu posten. Dabei esse ich Obst, werfe die Bananen- und Orangenschalen und Apfelkitsche aus dem Fenster … zur Verzierung des Heus.

Ich habe einen Valtra A95, Jahrgang 2007. Mein guter alter Gráni ist ein Wirtschaftsboom-Traktor, was man am Jahrgang erkennen kann, einer von vielen auf isländischen Bauernhöfen. Er ist der Haupttraktor und wird für alles benutzt bis aufs Heuwenden, dafür nehme ich meinen anderen Traktor, einen Massey Ferguson 165, Jahrgang 1974. Er heißt Grímur und ist der einzige von den alten Treckern aus meiner Kindheit, der noch übrig ist. Die anderen wurden verkauft … den letzten musste ich für die Komplettüberholung von Grímur hergeben, der in einem ziemlich schlechten Zustand war.

Mit dem alten Gráni gehe ich sorgsam um. Meistens ist er sauber und poliert, gut in Schuss, aber natürlich schon ziemlich alt, neun Jahre und viel gefahren. Es ist extrem wichtig, dass der Traktor gut gepflegt wird, er ist ja stunden- und tagelang am Stück mein Arbeitsplatz. Gráni ist ein echter Harlem-Trecker, Typ billig und schlicht, ruckelig und ohne jeden Luxus, dafür aber robust, zuverlässig und wartungsarm. Er tut’s und funktioniert, und das ist völlig ausreichend, ich hätte aber schon gern einen bequemeren und besseren Traktor. Zum Beispiel einen neuen und größeren Valtra. Oder irgendein zuverlässiges, stabiles Modell mit hydraulischer Wendeschaltung. Ein stufenloses Getriebe wäre auch super, gefederte Vorderachse und Luftsitz. Genau das Richtige für eine Frau, die sehr bald ins mittlere Alter kommt. Eine Stereoanlage mit USB-Anschluss und ein etwas komfortablerer Hundeplatz für meinen geliebten Fífill wären das Sahnehäubchen.

Laut Stundenzähler ist Gráni in den letzten neun Jahren durchschnittlich fünfhundertsiebzehn Stunden pro Jahr gelaufen. Das sind circa einundzwanzig Tage und Nächte oder zweiundvierzig zwölfstündige Arbeitstage. Natürlich schwankt die Nutzung je nach Jahreszeit … aber der Sommer findet größtenteils auf dem Trecker statt.

In Island ist es regional unterschiedlich, wie stark Frauen an der Arbeit mit den Landmaschinen beteiligt sind, hier in Skaftártunga war es jedenfalls immer üblich, dass Mädchen Traktor fahren.

In meiner Gegend gibt es grundsätzlich keine Unterscheidung in Männer- und Frauenarbeit. Diese Begriffe kannte ich gar nicht. Als ich sie zum ersten Mal hörte, auf der Landwirtschaftshochschule in Hvanneyri, da dachte ich, das wäre ein Witz. Es hat nur keiner gelacht, außer mir.

Diese Traktorsitze sind eine echte Belastung für den Körper. Man kann zwölf Stunden durchhalten, aber wenn es noch länger wird, tut einem alles weh. Die Heuernte ist so stressig, dass man den Traktor nur im Notfall verlässt … um kurz zu tanken oder etwas zu essen. Dann kommt Mama mit dem Jeep und bringt mir Verpflegung aufs Feld. Heu mache ich zusammen mit meinem Nachbarn Palli … der ist bei der Heuernte auch allein, so wie ich. Wenn wir bei ihm Heu machen und seine Frau auf der Arbeit ist, kümmern sich seine Eltern ums Essen und bringen uns Proviant.

Die lange Sitzerei auf dem ruckelnden Traktor ist natürlich schlecht für den Rücken. Zum Ausgleich hängt man sich zwischendurch mal an den Frontlader, wie Wäsche an der Leine.

Bei Sonne wird es auf dem Trecker unangenehm warm. Meiner ist nicht klimatisiert, so wie bessere Traktoren. Normalerweise kann ich die Fenster nicht auflassen, weil er sehr laut ist, vor allem wenn er schwere Maschinen zieht und bei hoher Drehzahl läuft. Teurere Traktoren haben eine bessere Motorschalldämmung, während so ein Harlem-Trecker wie meiner mehr knattert. Aber ich mag diesen Motor, auch wenn er laut ist. Er ist verlässlich und stark … völlig okay, solange er anspringt und seinen Job macht.

Fífill, mein Schäferhund, den ich jetzt ein knappes Jahr habe, fährt mit mir Trecker, seit er ganz klein war. Mittlerweile ist er schon so groß, dass er fast den gesamten Innenraum einnimmt. Aber er hat schnell gelernt, wie er liegen muss, damit alles passt. Letztens gab es allerdings eine Schrecksekunde, weil Fífill so müde war, dass er sich unabsichtlich gedreht hat und genau auf meinem Fuß auf dem Gaspedal gelandet ist. Der Hund ist so schwer, dass ich mit meinem Fuß Powerlifting machen musste. Aber es war letztendlich nicht wirklich gefährlich, der Traktor fährt ja langsam und hat eine lange Reaktionszeit, außerdem habe ich jahrelange Fahrpraxis.

Ab und zu lasse ich den Hund raus, dann läuft er mit und rennt durch die Gegend. Er springt selbst vom Traktor und würde natürlich auch aus eigener Kraft wieder hochkommen, aber ich will sichergehen, dass ihm nichts passiert. Deshalb stellt er die Vorderbeine aufs Trittbrett, und ich hebe ihn hinten an, sodass er reinkommt. Er hat gerade genug Platz, um sich einmal umzudrehen. Sobald ich wieder eingestiegen bin, stellt er sich unter meine Beine, mit dem Kopf zur Tür, und legt sich hin, den Schwanz auf dem Gaspedal.

Fífill wird noch kräftiger und schwerer werden und bald vierzig Kilo wiegen. Er bekommt zweimal täglich Futter, frisst ein Kilo Innereien am Tag, doppelt so viel wie mein alter Hund. Wenn er ausgewachsen ist, frisst er weniger. Meine Freundin Adda von Herjólfsstaðir hat erzählt, dass Schäferhunde bis zu einem Alter von zwei Jahren wachsen.

Dieser wunderschöne Hund stammt aus einer guten Zucht … er wurde gezüchtet, um perfekt zu sein. Die Züchterin, von der ich ihn habe, züchtet seit zwanzig Jahren Schäferhunde.

Mein Fífill ist ein ganz besonderes Tier, sanft und freundlich und ein unglaublich guter Kamerad. Von der Appetitlosigkeit und dem Gewichtsverlust im Frühjahr hat er sich wieder gut erholt. Zur Lammzeit bin ich natürlich sehr viel draußen, und dann will er immer dabei sein … deshalb hat er nicht genug geschlafen, sich überanstrengt und abgenommen. Jetzt ist er wieder gut genährt und sieht super aus.

Fífill ist mir beim Tanzen nicht im Weg, weil ich auf dem Trecker sowieso nur mit dem Oberkörper tanzen kann. Und er mag es, wenn ich aus vollem Hals singe … ich singe gern, und auf dem Trecker singt es sich besonders gut.

Als ich klein war, haben wir viel gesungen. Es wurde andauernd gesungen, zu Hause und im Auto. Papa hatte eine sehr schöne Tenorstimme, kam ganz hoch und ganz tief. Wenn er Gesang studiert hätte, hätte er es bestimmt weit gebracht. Er konnte auch gut Rímur singen, die traditionellen epischen Gedichte Islands, und wurde bei Festen immer darum gebeten. Mama hat einen richtig schönen Sopran. Sie war immer im Kirchenchor, bis heute. Von uns Schwestern hat keine ihre schöne Stimme geerbt.

Ich höre viel Musik, querbeet, wenn’s sein muss auch Männerchöre, einfach alles. Von isländischem Reggae bis zu Popmusik … und die guten alten Metaller von Guns N’ Roses, Metallica und AC/DC sind sowieso die Besten.

Mama kennt unendlich viele Musicaltexte und alle möglichen anderen Lieder. Wir Schwestern und einige meiner Nichten haben das Jukebox-Syndrom, wie meine Cousine Birna es nennt. Wenn ich einen Namen höre, singe ich den passenden Song dazu. Ein bestimmter Takt, Hammerschläge oder Hufgetrappel, löst bei mir sofort ein Lied aus. Weihnachtspsalme kann ich besonders gut behalten. Die fallen mir aus irgendeinem dubiosen Grund immer ausgerechnet zur Lammzeit ein!

Mein Kopf ist voll mit Songs, Musicaltexten und Gedichten. Aber die Nummer vom Ölfilter des Treckers kann ich mir nie merken.

Heiða als Rednerin

Ich finde es überall schön, wo ich hinkomme, und es fällt mir nicht schwer, das auch zu zeigen. Jeder Ort hat seinen Charme, und mein Bergland, mein Bergsaal bedeutet mir sehr viel. Als ich klein war, hatten die Bauern beim Anblick eines Tautropfens oder eines Felsmassivs keine Tränen in den Augen – oder bemühten sich zumindest hartnäckig, sie zu verbergen. Wenn wir früher Besuch bekamen und die Leute sich die Hälse ausrenkten bei der Aussicht auf die umliegenden Berge und den blauen Fluss und sich darüber ausließen, wie traumhaft schön das alles sei, wurde mein alter Vater ganz verlegen, wechselte das Thema und scheuchte die Gäste zum Kaffee ins Haus, damit sie mit diesem sentimentalen Gequatsche aufhörten.

Ásgeir und die Mädchen

Meine Eltern und wir Schwestern erledigten alle Arbeiten gemeinsam. Papa war geschickt im Aufgabenverteilen und hatte uns immer mit dabei. Was das betrifft, war er wirklich super. Als wir klein waren, zog er uns auf einem Schlitten zum Schafstall – bis wir selbst laufen konnten. Es hieß immer »Ásgeir und die Mädchen«, und wir waren nicht nur zu Hause bei allem dabei … auch wenn in der Nachbarschaft gemeinschaftliche Aufgaben anstanden, durften wir mit.

Meine großen Schwestern waren echte Wikinger. Papa nahm Ásta schon als Teenager mit, wenn die Schafe von den Hochlandweiden getrieben wurden. Sie und Habba von Snæbýli waren die ersten Frauen in Skaftártunga, die beim Schafabtrieb mitmachten, im Jahr 1977. Heutzutage kommen immer ein paar Frauen mit, aber meine Freundin Ella von Úthlíð und ich sind am längsten dabei … vor bald fünfundzwanzig Jahren das erste Mal, damals noch zu Pferde, heute beide mit Quads.

Irgendwann begriff ich, dass es hier in Skaftártunga im Vergleich zu anderen Gegenden viel üblicher war, dass Frauen dieselben Arbeiten machten wie Männer. Jedenfalls dachten Oddný Steina, Ellas Schwester, und ich, es wäre ein Witz, als auf der Landwirtschaftsschule in Hvanneyri das erste Mal von Männerarbeit die Rede war. Und niemand lachte, außer uns.

So ging es den ganzen Winter weiter. Es gab kernige, intelligente Mädels vom Land, die noch nie Trecker gefahren waren, noch nie einen Ölfilter gewechselt hatten, noch nie richtig ausgemistet hatten. Wir hörten andauernd »Männerarbeit! Frauenarbeit!« und waren total irritiert. Oddný Steina ist genauso aufgewachsen wie ich. Dabei waren die Verhältnisse auf unseren Höfen unterschiedlich, weil sie mit zwei Brüdern groß wurde und es bei mir zu Hause nur Mädchen gab, außer im Sommer, da halfen manchmal ein oder zwei Jungs mit. Oddný Steina und ich hatten jedenfalls schon hundertmal Wellblech auf Dächer genagelt, Reifen gewechselt, natürlich auch beim Traktor, und sämtliche Arbeiten genauso gemacht wie die Männer. Das war keine große Sache, und niemand hielt es für etwas Besonderes.

Ich würde niemals all das können, was ich heute kann, wenn man mir als Kind nichts zugetraut hätte. Mir hat nie jemand gesagt, ich könne irgendetwas nicht schaffen, weil ich eine Frau bin. In meinen ersten Jahren in der Landwirtschaft baten mich die Nachbarn ohne Umschweife, bei Zementarbeiten oder was auch immer mit anzupacken. Und bei gemeinschaftlichen Projekten helfe ich mit Maschinen und Werkzeug aus.

Wenn es gut läuft, macht mir jede Arbeit Spaß. Besonders Bautätigkeiten. Ich finde es toll, wenn etwas Großes ansteht. Ein aufwendiger Umbau, ein neues Projekt … dann bin ich ganz in meinem Element. Nur beim Kochen bin ich ein totaler Loser. Dafür kann ich backen, das mache ich dann auch im großen Stil, wenn ich einmal anfange.

Als ich klein war, hat man mir immer gesagt, ich könnte ein eigenes Heim gründen, sobald ich einen Mann hätte. Das habe ich nie verstanden und fragte mich immer: Warum braucht man einen Mann, um ein eigenes Heim zu gründen? Offensichtlich habe ich das immer noch nicht kapiert, nach so vielen Jahren.

Das Wort Bauersfrau mag ich gar nicht und benutze es nie. Es suggeriert, dass die Frau keine Bäuerin ist, sondern die Ehefrau des Bauern. Nur damit das klar ist, ich bin Bäuerin, genau wie andere Frauen in der Landwirtschaft.

Meine Jugendfreundin Ella von Úthlíð, einem Hof hier in Skaftártunga nicht weit von Ljótarstaðir, und ich sind beide unverheiratet und kinderlos und führen einen eigenen Betrieb. Wir haben ungefähr zur selben Zeit den Hof übernommen, mit dreiundzwanzig Jahren. Bei mir war die Kinderlosigkeit eine bewusste Entscheidung. Ob das bei ihr genauso ist oder ob sie auf eine traditionelle Familie hinsteuert, weiß ich nicht. Soweit ich mich erinnere, war das für Ella und mich nie ein Thema. Wir hatten immer genug andere Dinge zu bequatschen.

Das hässliche Entlein

Als Kind war ich ziemlich wehleidig und kränklich und außerdem spindeldürr. Mit meinem Handgelenk stimmte auch irgendetwas nicht … eine Entzündung am Kahnbein, das kommt bei Kindern manchmal vor. Ich bekam Spritzen und musste eine Schiene tragen. Und ich durfte die Hand nicht plötzlich drehen, dann war alles wieder hinüber. Damit schlug ich mich jahrelang herum.

Selbst wenn mein Arm wehtat, musste ich mitarbeiten, und ich schaffte das auch. Trotzdem kam ich mir vor wie ein Versager. Ich war schlapp und schlecht in Sport. Ein Schwächling. Körperlich spät entwickelt. Und das hässlichste Geschöpf auf der Erde. Eine Brillenschlange.

Ich war in Kirkjubæjarklaustur im Internat. Damals wurden die Kinder noch nicht mit dem Schulbus hin- und hergekarrt wie heute, sondern schliefen wochentags in der Schule. Diese Schulwinter waren schwer für mich. Dazu kam noch, dass immer schlecht über die Lehrer geredet und regelrecht von einem erwartet wurde, dass man sowohl die Lehrer als auch die ganze Schule furchtbar fände. Es war einfach üblich, nicht zu der Schule zu stehen.

Natürlich machte es manchmal auch Spaß, aber ich hatte schreckliches Heimweh und fühlte mich oft mies. Man musste ja ganz allein zurechtkommen, als Achtjährige, duschen gehen und sich die Haare waschen. Ich hatte lange Haare, das war ein einziges Fiasko.

Während dieser Internatsjahre war ich nah am Wasser gebaut, und da war ich nicht die Einzige. Es gab immer Geheul und Gejammer, ein Chor weinender Mädchen, wenn wir abends ins Bett sollten.

In Kirkjubæjarklaustur lernten wir auch schwimmen, was natürlich grundsätzlich nicht verkehrt ist. Aber ich war wasserscheu und schwamm nicht gern, das mag ich noch heute nicht besonders.

Ich hatte neben Ella noch weitere gute Freundinnen in der Schule, zum Beispiel Þórdís von Hraungerði aus Álftaver, genannt Dísa, die heute Mathematikprofessorin in Norwegen ist. Dísa und ich durften eine Klasse überspringen, sodass wir ein Jahr kürzer in der Schule waren, aber es waren trotzdem noch zu viele Winter im Internat.

Die Kinder von Dísas Hof wurden in die Schule gebracht und wieder abgeholt, und ich durfte zwei Jahre mitfahren und schlief während dieser Zeit auf dem Hof Ásar bei meiner Schwester Ásta und ihrem Mann Dóri. Dadurch wurde alles viel leichter.

In Kirkjubæjarklaustur las ich mich durch die gesamte Bücherei. Heute habe ich nicht mehr viel Zeit zum Lesen, aber ich mag Bücher und lese schnell. Halldór Laxness ist mein Lieblingsautor, seine Haltung, sein Schreibstil, nicht unbedingt die Herangehensweise. Aber er sagt in einem Satz das, wofür andere eine halbe Seite brauchen.

Ich verschlang sämtliche Bücher und wollte das alles selbst erleben und verkörpern. Die Schäferin mit der Flöte, die den ganzen Sommer die Schafe hütet und alle Vögel und Wasserfälle kennt. Das schönste Mädchen beim Ball in den Heringsjahren, als riesige Heringsschwärme vor der isländischen Küste auftauchten und Scharen von jungen Leuten zum Arbeiten in die Fischerdörfer strömten. Der halb erfrorene Matrose, der bei tosendem Unwetter im Rigg hängt und unvergessene Abschiedsworte spricht, bevor er von den Wellen mitgerissen und nie mehr gesehen wird. Tom Swift, der alles erfinden und bauen kann, was seine Freunde und er für ihre Abenteuer brauchen. Der Junge, dem das Pferd Gustur gehört. Das Mädchen in Weißbrot mit Marmelade. Die englische Rennreiterin, die so schwer verunglückt, als sie ihren geliebten Vater rettet, dass sie nicht mehr reiten kann, ihre Erfüllung aber im Versorgen und Trainieren der Pferde findet, mit denen ihr Mann dann Rennen bestreitet.

Besonders gern las ich Bücher, die in anderen Welten spielen, wie die Narnia-Chroniken, oder lustige Bücher wie die Serie über Elías von Auður Haralds.

Es konnte ziemlich kompliziert sein, mich am Wochenende vom Internat nach Hause und wieder zurück zu verfrachten. Damals war die Schneeräumung noch nicht so gut wie heute, und die Straße zu unserem Hof war einen Großteil des Winters unbefahrbar. Nach Snæbýli kam man leichter, weil dort bei jedem Wetter die Milch abgeholt werden musste und unsere Nachbarn sich auf dem Traktor durch den Schnee kämpften.

Manchmal brachte mich der Schulbusfahrer oder Ellas Vater Valur oder mein Schwager Dóri mit dem Motorschlitten nach Hause. Es kam auch vor, dass ich das letzte Stück durch den Schnee stiefeln musste, von der Brücke, wo sich die Straße Richtung Süden nach Snæbýli und Richtung Norden nach Ljótarstaðir teilt. Diese beiden abgelegenen Höfe sind die einzigen im ganzen Tal, am Fuße des Hochlands. Ljótarstaðir ist der höchstgelegene Hof hinter dem Fluss, wie man sagt … also der höchstgelegene Hof westlich des Tungufljót. Dort endet die Straße.

Als Kind war ich so isoliert, dass ich mir eine imaginäre Freundin zulegte und bis zur Teenagerzeit behielt. Sie hieß María und war eine sehr raumeinnehmende Person. Manchmal schrie ich los, wenn jemand auf sie trat. Das nervte meine Schwester Fanney, aber María hinterließ einen so tiefen Eindruck bei ihr, dass sie später ihre Tochter nach ihr benannte!

Bei uns zu Hause war man darauf bedacht, nicht unnötig oft den Hof zu verlassen … sein Geld zusammenzuhalten. Deshalb gab es bei uns keinen Motorschlitten und auch kein geeignetes Auto, das die Mobilität bei hohem Schnee verbessert hätte.

Ich hätte gern Akkordeon spielen gelernt, aber darauf ging keiner ein. Ich bekam auch nicht die Dinge, die ich mir sehnlich wünschte … wie etwa einen Tretschlitten. Als Fanney anfing zu arbeiten, brachte sie mir alle möglichen tollen Sachen mit, ein ferngesteuertes Auto und eine Puppe aus dem Quelle-Katalog.

Deshalb wollte ich immer, dass Fanneys Tochter María alles bekam, was ich nicht hatte … und schenkte ihr zum Beispiel einen Tretschlitten. Außerdem durfte sie nach Herzenslust mit meinem Quad rumdüsen, sobald sie draufklettern konnte. Erst unter strengen Auflagen, nur rund um den Hof. Sie und mein Neffe Sæmundur spielten endlos mit dem Quad, und ich spendierte Unmengen von Benzin. Mit dem Motorschlitten hatten wir am Anfang auch einen Riesenspaß, wir fuhren und fuhren und kamen kaum mehr ins Haus.

Ich war sechzehn, als meine Freundin Linda ihren letzten Sommer bei uns auf dem Land verbrachte. Sie war zehn Jahre lang jeden Sommer bei uns gewesen, länger als alle anderen. Jetzt war sie in die Jugend-Skinationalmannschaft aufgenommen worden und musste fleißig trainieren. Also trainierten wir gemeinsam, Laufen und Kraftübungen. Linda war ein Muskelpaket, wahnsinnig stark, ich dagegen ein richtiger Spargeltarzan. Das änderte sich in diesem Sommer, und ich wurde kräftiger.

Mit sechzehn bekam ich Kontaktlinsen anstelle der Brille. Das half ein bisschen, mein Selbstbewusstsein aufzupolieren, das, wie gesagt, ziemlich gering war. Es besserte sich nach und nach, und inzwischen habe ich gelernt, auf mich selbst zu vertrauen, wie das wohl in Selbsthilfebüchern heißt. Aber ich war anderen gegenüber lange unsicher, auch wenn man mir das nicht unbedingt anmerkte. Früher war ich so schüchtern, dass mir jeder Small Talk unangenehm war. Durch die Trächtigkeitskontrollen hatte ich dann sehr viel Kontakt mit Leuten, arbeitete, trank Kaffee, aß und übernachtete auf Höfen im ganzen Land, was eine gute Übung für mich war.

Ich war zwei Jahre auf der weiterführenden Schule in Skógar. Damals war ich noch so schlaksig, dass ich nie passende Klamotten fand … ich kam mir vor wie eine Vogelscheuche. Zu allem Überfluss befand ich mich auch noch in dem Stadium, in dem ich mir an allem, was schiefging, die Schuld gab.

Ich war so feige, dass ich es nicht fertigbrachte, von der kleinen Schule in Skógar auf die große Gesamtschule in Selfoss zu wechseln. Stattdessen arbeitete ich bei Jónas auf dem Hof Norður-Hvammur in Mýrdalur mit den Jungpferden und in Kirkjubæjarklaustur im Schlachthof.

Der Hof Norður-Hvammur ist nicht abgelegen, da war immer was los, Schwedinnen als Aushilfskräfte, manchmal schneiten ausländische Touristen herein, eine ganz andere Atmosphäre als zu Hause in Ljótarstaðir, wo sich den halben Winter kein Mensch blicken ließ … alles tief verschneit.

In der ersten Zeit auf Norður-Hvammur muss ich sehr zugeknöpft gewesen sein, man bekam wohl kaum ein Wort aus mir heraus. Und wegen meiner Größe ging ich gebeugt. Zum Glück schmierte man mir das andauernd aufs Brot, ich wurde ständig ermahnt.

Drífa, die Tochter der Familie, und ich wurden schnell Freundinnen und sind es noch heute. Sie ist superwitzig und hätte das Zeug zum Stand-up-Comedian. Sie meinte, ich würde einen Buckel kriegen und meine Brüste würden sich nach innen stülpen, wenn ich weiter so vornübergebeugt gehen würde. Ich erwiderte, das wäre doch okay, dann hätte ich vier Augenhöhlen. Wir stachelten uns gegenseitig an, lachten und alberten ausgelassen in dem winzigen alten Holzhaus.

Normalerweise war dummes Gegacker nicht unbedingt meine Art, jedenfalls erzählte man mir in Norður-Hvammur, ich hätte mich extrem unauffällig verhalten … die Leute hätten sich immer zu Tode erschreckt, wenn ich urplötzlich im ersten Stock aufgetaucht sei. Ich sei mucksmäuschenstill die Treppe in dem alten Holzhaus hinaufgeschlichen, die sonst immer laut knarrte.

Drífas Mutter Droplaug war eine tolle Frau, nicht die übliche Landpomeranze, sondern ein alter Hippie … sie hatte mal in Kopenhagen gelebt und alberte gern mit Drífa und mir herum. Sie schminkte uns zum Spaß so, wie es in ihrer Jugend angesagt war, Sixties-Make-up mit Lidstrich und weißen Lippen. Dann toupierte sie uns die Haare, und wir probierten die passenden Klamotten dazu an. Droplaug fand meine Veränderung so verblüffend, dass sie Tante Kolla anrief, Kolbrún Aðalsteinsdóttir, der die Elite-Modelschule gehörte. Ich ließ mich darauf ein … und wurde sofort zum Fotoshooting eingeladen.

Italienische Fotografen kamen und machten ein Shooting auf einem Gletscher. Ich hatte eine Scheißangst vor diesen fremden Leuten. Das andere Model war eine Isländerin mit wunderschönen roten, krausen Haaren und strahlend grünen Augen. Ich war eher der unschuldige Typ mit blauen Augen und blasser Haut. Die Fotografen überschlugen sich fast vor Begeisterung über den Engel und die Hexe.

Im darauffolgenden Winter nach dem Jahreswechsel besuchte ich einen Kurs in Kollas Modelschule und ein Seminar zur Stärkung des Selbstbewusstseins. Nebenbei arbeitete ich in Keflavík in der Fischfabrik und übernahm auch für ein paar Tage eine Vertretung bei der Müllabfuhr von Suðurnes.

Im April fuhr ich dann zu einem Modelwettbewerb nach New York und landete in der Kategorie Fotoshooting auf dem zweiten Platz. Ich hätte durchaus in New York und Mailand durchstarten können, weil Kolla entsprechende Kontakte hatte. Vielleicht hätte es funktioniert, vielleicht auch nicht. Ein paar große Agenturen kontaktierten mich, aber ich war gerade auf dem Weg nach Hause zur Lammzeit und antwortete deshalb nicht. Danach nahm ich nur noch Modeljobs in Island an, verfolgte die Sache aber nicht konsequent. Ich merkte, dass es mich nicht reizte, Model zu sein.

Trotzdem machte es Spaß, und ich möchte diese Zeit nicht missen, aber ich hatte von Anfang an eine Aversion dagegen, dass Models zum Objekt gemacht werden. Das war mir alles ein wenig zu oberflächlich und sinnfrei. Die Vorstellung, Geld mit Schönsein zu verdienen, fand ich absurd. Außerdem hatte ich keine Lust, nur Grünzeug zu essen und mir auf einem Gletscher den Arsch abzufrieren.

Ich finde es gar nicht so toll, zu hören, dass ich hübsch sei. Es nervt mich sogar ziemlich. Dann denke ich immer: Oh nein, jetzt fängt das wieder an! Ich kann nichts für mein Aussehen, das ist genetisch bedingt. Aber mach mir mal ein Kompliment für etwas, das ich gebaut habe – dann schmelze ich dahin wie Schokolade in der Sonne!

Als Kind hat man mir nie gesagt, ich sei süß. Ich bekam keine Komplimente für mein Äußeres, und meinen Schwestern und mir wurde beigebracht, nicht eitel zu sein. Heutzutage bekommen Mädchen ständig zu hören, wie süß sie sind … geht das nicht allmählich zu weit? Dieses ewige Gesülze auf Facebook zum Beispiel. Bei jedem Mädchen im Kleid geht es los … süßsüßsüß.

Als ich klein war, gab es solche Tüddelei jedenfalls nicht. Die Haare bekamen wir zu Hause geschnitten, von unserer Nachbarin. Ich trug immer die Klamotten meiner Schwestern auf. Aber ich wollte lange Haare haben, und das durfte ich auch.

Mit Kosmetik kann ich überhaupt nichts anfangen, obwohl ich mal Model war. Dieser Kram ist für mich wie Chinesisch. Kosmetikartikel vergammeln bei mir immer, ich tusche mir höchstens mal die Wimpern. Wenn mich einer fragt: »Welche Kosmetika hast du immer in deiner Handtasche?«, würde ich antworten: »Lippenbalsam.«

Dafür habe ich in der Modelbranche gelernt, auf High Heels zu laufen … anscheinend ganz passabel, denn letztens trug ich hochhackige Schuhe – das erste Mal seit ich neunzehn war oder so – und dachte, ich würde mich sofort auf die Fresse legen … aber siehe da, ich stöckelte auf diesen Stelzen durch die Gegend, als hätte ich nie etwas anderes getan.

Dennoch wunderte es mich sehr, dass ausgerechnet ich etwas in der Modelbranche zu suchen haben sollte. Schon damals war es mein Markenzeichen, dass ich für jeden Spaß zu haben war und kein Blatt vor den Mund nahm. Diese Erfahrung war sehr spannend und für mich zweifellos ein Schritt nach vorne. Kolla ist davon überzeugt, dass ich ein gefragtes Model hätte werden können, wobei für sie damals im Vordergrund stand, mein Selbstwertgefühl zu stärken und meine Schüchternheit zu bekämpfen.

Ich selbst glaubte nie daran, meinen Lebensunterhalt vor der Kamera verdienen zu können. Dafür braucht man eine ganz andere Art von Selbstvertrauen. Man marschiert in ein Agenturbüro, zusammen mit einem Haufen Topmädchen mit Topmappen, und ist der festen Überzeugung, immer genau das umsetzen zu können, worum man gebeten wird. Wenn es um einen Wettkampf gegangen wäre, bei dem man einen Hang hochsprinten und ein Schaf einfangen muss, hätte ich keine Minute gezögert. Oder ein Brett festnageln. Aber es war einfach nicht mein Ding, in eine Modelagentur zu stolzieren … hier bin ich, und ich bin die Hübscheste!

Ich mochte und mag noch immer keine Kameras. Wenn man mich aufforderte: »Tanz! Sei ganz natürlich!«, dann verlor ich den Mut. Aber wenn man mir genau erklärte, was ich machen sollte, dann war es kein Problem.

Ich habe es nie bereut, nicht weitergemacht zu haben, und würde nicht tauschen wollen. Die Berufserfahrung, die ich mittlerweile besitze, ist mir viel wichtiger als ein paar Jahre Modelkarriere. Ich denke auch nicht oft an diese Zeit zurück … andere interessieren sich viel mehr für diesen Teil meiner Vergangenheit als ich. Und hier bei uns auf dem Land habe ich mich immer ein wenig für diese Hampelei geschämt … modeln, anstatt Scheiße zu schippen und was Sinnvolles zu machen.

Jedenfalls waren die Modelerfahrung und die Zeit davor, mein Aufenthalt in Norður-Hvammur, eine absolute Umbruchphase für mich … das wirkte auch nach außen so, habe ich gehört. Damals kam ein ganz neuer Mensch zum Vorschein. Dieser Zeit habe ich es zu verdanken, dass ich mich im Herbst danach doch auf die Gesamtschule in Selfoss traute, mein Abitur machte und anschließend auf die Landwirtschaftsschule in Hvanneyri ging.

Die zwei Jahre in Hvanneyri waren eine wunderschöne Zeit. Das Studium war spannend, und es gab natürlich viele Leute, die meine Interessen teilten. Das ist unglaublich wichtig. Außerdem hatten wir jede Menge Spaß und feierten kräftig. Wobei ich am Wochenende meistens nach Hause fuhr, um bei allen möglichen Arbeiten zu helfen. Ausmisten … Schafe eintreiben …

In der Modelbranche merkte ich, dass es geradezu als erstrebenswert galt, eine Bohnenstange zu sein. Ich war so schnell gewachsen, dass ich immer krampfhaft versucht hatte, mich kleiner zu machen. Es war schwierig, Klamotten für mich zu finden, ich war lang und dürr, die Ärmel und Hosenbeine waren immer zu kurz. Was mein Selbstbewusstsein nicht gerade gesteigert hatte. Aber jetzt konnte ich mich sogar darüber aufregen, dass für Leute wie mich keine Kleidung hergestellt wurde. Lange trug ich die schönen Islandpullover, die Mama für mich strickte, und das tut sie noch heute. Ich wartete einfach, bis sie in Mode kamen, und das passierte am Ende sogar.

Am meisten ärgerte es mich, wenn Leute zu mir sagten: »Wow, bist du groß!«

Wirklich unfassbar, wie manche Leute mit einem reden. Was für Bemerkungen man sich anhören muss: »Mann, bist du dünn! Kriegst du nichts zu essen?«

Noch heute stehen Leute vor mir und sagen: »Meine Güte, bist du groß!«

Heutzutage ist mir das scheißegal.

Vor ein paar Jahren war ich bei einer Konfirmation in Akureyri, und wir gingen tanzen, in der Vélsmiðja, da waren alle möglichen Leute. Ein Mann um die fünfzig kam zu mir und glotzte mich an, wie ich in meinem kurzen, engen Kleid und meinen Stiefeln vor ihm stand. Er musterte mich von oben bis unten und meinte: