Planet Girl
»Sollen wir sie wecken?«
»Dann ist sie bestimmt sauer.«
»Ist sie doch eh meist.«
»Ich weiß nicht …«
»Also was jetzt? Ja oder nein?«
Wütend setzte ich mich in meinem Bett auf und fauchte meine beiden Schwestern an: »Könntet ihr das vielleicht außerhalb meines Zimmers diskutieren? Und wenn ihr euch entschieden habt, kommt wieder!«
Meine kleine Schwester Lissy grinste, wies mit der Hand auf mich und meinte zu Lola: »Na bitte, ich sag’s doch!«
Lola, die Ältere, sah mich freundlich an. »Oh, gut. Jetzt, wo du sowieso wach bist, Lou, wir wollten …«
»Was heißt hier sowieso«, unterbrach ich sie. »Ich bin durch euer Gequatsche aufgewacht!«
Böse funkelte ich meine beiden Schwestern an. Es war frühmorgens, samstags, mein Ausschlaftag. Und die beiden standen in meinem Zimmer und diskutierten laut. Lola war durchgestylt wie immer und hatte eine Tasse Kaffee in der Hand. Lissy trug einen Laborkittel und hatte ihre Schutzbrille auf die Stirn geschoben.
Lola warf einen etwas ärgerlichen Blick auf mich und sagte dann zu Lissy: »Ich ruf erst mal die Feuerwehr an, dann sehen wir weiter.«
Lissy nickte. »Gut, und ich führ meinen Versuch zu Ende durch.«
Gemeinsam verließen sie mein Zimmer.
An der Tür drehte sich Lissy noch mal zu mir um. »Lou, du bist ein hoffnungsloser Fall.«
Also, so würde ich das nicht sehen. Ich arbeite an mir und ich mache durchaus Fortschritte. Ich bin bereits wesentlich freundlicher geworden zu meinen Mitmenschen. Obwohl nur wenige meine Freundlichkeit verdient haben.
Ich habe da nämlich ein kleines Problem mit meinem Temperament. Mein Vater nennt es aufbrausend, andere nennen mich aggressiv. Ich nenne es angemessene Reaktion auf die Dummheit der Leute. Und in der letzten Zeit habe ich wirklich nur sehr wenige Leute zum Heulen gebracht. Ich bin auf dem besten Wege, eins von diesen netten Sonnenscheinchen zu werden.
Nur, jetzt musste ich noch mal eine Ausnahme machen und meine Schwestern in Grund und Boden brüllen. Es war einfach unverschämt, frühmorgens diese Nummer vor meinem Bett abzuziehen und mich zu wecken.
Ich sprang aus dem Bett und lief wütend in die Küche. Unsere Küche ist riesig. Sie ist der größte Raum in der Wohnung und das hat dazu geführt, dass Lissy sie als Labor nutzt und Lola als Schminkatelier.
Lissy war über ein Glasgefäß gebeugt, das auf unserm Küchentisch stand, und tropfte eine Substanz in eine Flüssigkeit. Als sich die Flüssigkeit im Glasgefäß färbte, nickte sie zufrieden. Sie war ständig damit beschäftigt, wissenschaftliche Experimente durchzuführen und Explosionen zu verursachen. Mein Vater hatte es ihr schon tausendmal verboten, aber Lissy ließ sich nichts verbieten. Zumindest nicht, wenn er, wie jetzt, verreist war.
»Okay, es funktioniert«, teilte Lissy uns mit.
Sie lief zum Kühlschrank, der bei uns als Ablage, Posteingangskorb und Kommunikationsbörse dient und mit unzähligen kleinen Zetteln übersät ist, und studierte einen Zettel mit einer Versuchsanleitung.
Dann sah sie zwischen Lola und mir hin und her. »Sag mal, kann einer von euch beiden vielleicht mal probieren, ob es bitter schmeckt? Aber nicht zu viel, es ist giftig.«
Ich beschloss, diese Aufforderung mit keiner Antwort zu würdigen, und gratulierte mir zu dieser Reaktion. Lola hingegen winkte ihr nur ungeduldig zu, sie solle still sein. Sie saß auf dem Küchentisch und telefonierte. Den Hörer hatte sie zwischen Schulter und Kinn festgeklemmt und begann, sich die Nägel zu lackieren.
Schließlich fragte sie in den Hörer: »Meinen Sie wirklich, das ist nötig?«
Ein ziemlich unangenehmer Geruch verbreitete sich. Nagellack, Lissys Chemikalien, aber, hm, noch etwas anderes, es roch irgendwie verbrannt.
»Na gut«, sagte Lola ins Telefon. »Okay. Ja. Treppe, kein Aufzug.« Dann drückte sie mit abgespreizten Fingern umständlich auf die Beenden-Taste.
Lissy schaute Lola erwartungsvoll an. »Und?«
Lola zuckte die Schultern. »Wir sollen die Wohnung verlassen.« Sie rutschte vom Tisch und drehte den Verschluss auf das Nagellack-Fläschchen.
»Ich würde lieber hierbleiben und zusehen!«, meinte Lissy.
Lola schüttelte den Kopf. »Das haben die bestimmt nicht so gerne. Los, lasst uns jetzt gehen.«
Meine Schwestern verließen die Küche. Sie standen im Flur und sahen mich abwartend an.
»Was ist?«, fragte Lissy. »Brauchst du ’ne Extraeinladung?«
»Wofür? Worum geht’s?«
»Es brennt!«
»Wo?«
»Badezimmer.«
»Wie kann denn ein Badezimmer brennen?! Das geht doch gar nicht.«
»Offensichtlich doch.«
»Und bei wem brennt’s?«
»Na bei uns!«, meinte Lissy lapidar.
Ich starrte sie ungläubig an.
Lissy schüttelte den Kopf, als würde sie an meinem Verstand zweifeln. »Deshalb hat Lola doch die Feuerwehr angerufen und deshalb haben wir überlegt, ob wir dich wecken sollen.«
»Überlegt?! Ihr habt überlegt, ob ihr mich wecken sollt?«
Ich war fassungslos. Und irritiert. Ich hatte zwar das Gefühl, dass die Umstände eine andere Reaktion von mir forderten, als mich über meine Schwestern aufzuregen, aber mir wollte es partout nicht einfallen.
Dann fiel es mir ein: »Es brennt?!«, schrie ich. »Bei uns?!«
Ich raste an meinen Schwestern vorbei zur Wohnungstür. Bis mir bewusst wurde, dass ich ja noch im Schlafanzug war.
»Ich muss mich anziehen!«, rief ich und sauste zurück zu meinem Zimmer. »Ich kann doch nicht so auf die Straße gehen!« Kurz vor meinem Zimmer blieb ich stehen und dachte nach. »Nein, das ist ein Notfall, da muss man das blanke Leben retten!«, schrie ich und rannte wieder an meinen Schwestern vorbei zur Wohnungstür. Dort stoppte ich und sauste erneut in Richtung meines Zimmers.
Meine Schwestern standen im Flur und sahen mich mit zunehmendem Befremden an, wie ich zwischen Wohnungstür und meinem Zimmer hin und her lief.
Als ich gerade wieder an Lola vorbeihuschte, hielt sie mich am Arm fest. »Hör auf mit deinen Kurzstrecken-Sprints und komm jetzt.«
Ich wollte Lolas Hand abschütteln, doch sie griff fester zu. Lissy nahm meinen anderen Arm und gemeinsam zerrten sie mich aus unserer brennenden Wohnung.
»Erinnere mich daran, dass ich mal ein paar Reaktions- und Intelligenztests mit ihr mache, wenn wir wieder oben sind«, sagte Lissy über meinen Kopf hinweg zu Lola. »Ich befürchte, die haben uns eine Schwester untergeschoben, die nicht schlauer ist als ein Mohnbrötchen.«