Thomas Lindemann

Feuerwehrbedarfsplanung

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2021

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© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

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ISBN 978-3-17-030977-7

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pdf:        ISBN 978-3-17-035396-1

epub:     ISBN 978-3-17-035397-8

mobi:     ISBN 978-3-17-035398-5

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Inhaltsverzeichnis

  1. 1   Einleitung
  2. 1.1   Ziel dieses Buches
  3. 1.2   Inhalt und Aufbau dieses Buches
  4. 1.3   Ausgangslage zur Feuerwehrbedarfsplanung
  5. 2   Wie viel Feuerwehr braucht die Gemeinde?
  6. 2.1   Ziele der Feuerwehrbedarfsplanung
  7. 2.2   Zusammenhänge und Wirkungsbeziehungen in der Feuerwehrbedarfsplanung
  8. 2.3   Grundsätzliche Betrachtung der Bedarfsplanung
  9. 2.4   Outcome-orientierte Planung
  10. 2.5   Qualität der Feuerwehr
  11. 3   Grundlagen der Feuerwehrbedarfsplanung
  12. 3.1   Begriffsbestimmungen
  13. 3.2   Inhalt eines Feuerwehrbedarfsplans
  14. 3.3   Nachvollziehbarkeit von Feuerwehrbedarfsplänen
  15. 3.4   Variantenplanung
  16. 3.5   Zuständigkeiten bei der Feuerwehrbedarfsplanung
  17. 3.6   Akteure, Beteiligte und Interessenvertreter (Stakeholder)
  18. 3.7   Rolle der Aufsichtsbehörden (Kommunalaufsicht)
  19. 3.8   Externe Sachverständige, Gutachter und Berater
  20. 3.9   Folgen eines fehlerhaft aufgestellten Feuerwehrbedarfsplans
  21. 3.10   Prozessablauf und Zeitbedarf für die Feuerwehrbedarfsplanung
  22. 3.11   Überörtliche Planung und interkommunale Zusammenarbeit
  23. 3.12   Fortschreibung von Feuerwehrbedarfsplänen
  24. 4   Planungsgrundlagen
  25. 4.1   Rechtliche Grundlagen der Feuerwehrbedarfsplanung
  26. 4.1.1   Formulierungen in Rechtsvorschriften
  27. 4.1.2   Rechtsverbindlichkeiten in der deutschen Normenhierarchie
  28. 4.1.3   Technikklauseln
  29. 4.2   Planungsgrundsätze
  30. 4.3   Festlegung von Planungszielen
  31. 4.3.1   Planungsfrist
  32. 4.3.2   Taktische Einheit
  33. 4.3.3   Erreichungsgrad
  34. 4.4   Folgen ungeeigneter Planungsziele
  35. 4.5   Empfehlungen der AGBF-Bund
  36. 4.5.1   Kerninhalt der AGBF-Empfehlungen 1998 und 2015
  37. 4.5.2   Wesentliche Änderungen der Fortschreibung 2015
  38. 4.5.3   Anwendungsbereich und -pflicht der AGBF-Empfehlungen
  39. 4.5.4   Argumentationsbasis und Zeitkette zur Herleitung der Hilfsfrist (ORBIT-Studie)
  40. 4.5.5   Kritische Rezension der Argumentationsbasis
  41. 4.5.6   Fazit und Bewertung der AGBF-Empfehlungen
  42. 4.6   Planungsempfehlungen und -vorgaben in den Bundesländern
  43. 4.6.1   Bestimmungen in den Feuerwehrgesetzen der Länder
  44. 4.6.2   Baden-Württemberg
  45. 4.6.3   Bayern
  46. 4.6.4   Berlin
  47. 4.6.5   Brandenburg
  48. 4.6.6   Bremen
  49. 4.6.7   Hamburg
  50. 4.6.8   Hessen
  51. 4.6.9   Mecklenburg-Vorpommern
  52. 4.6.10   Niedersachsen
  53. 4.6.11   Nordrhein-Westfalen
  54. 4.6.12   Rheinland-Pfalz
  55. 4.6.13   Saarland
  56. 4.6.14   Sachsen
  57. 4.6.15   Sachsen-Anhalt
  58. 4.6.16   Schleswig-Holstein
  59. 4.6.17   Thüringen
  60. 4.6.18   Zusammenfassung der länderspezifischen Bedarfsplanvorgaben
  61. 5   Szenarienbasierte Bemessung der Feuerwehr
  62. 5.1   Gefährdungs- und Risikoanalyse
  63. 5.1.1   Zum Gefahren-, Gefährdungs- und Risikobegriff
  64. 5.1.2   Methodische Schwächen und Probleme bei der Risikoanalyse
  65. 5.1.3   Methode für die Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz
  66. 5.1.4   Risikoanalyse nach Grabski et. al.
  67. 5.1.5   Risikoanalyse nach Schubert
  68. 5.1.6   Vereinfachtes Verfahren einer Gefährdungs- und Risikoanalyse
  69. 5.2   Löschwasserversorgung
  70. 5.3   Bemessungsszenarien für die Bedarfsplanung
  71. 5.3.1   Auswahl geeigneter Szenarien
  72. 5.3.2   Grundsätzliche Vorgehensweise
  73. 5.3.3   Beispielhafte Bemessung anhand ausgewählter Szenarien
  74. 5.4   Gefährdungs- und Risikoanalyse der Länder
  75. 6   Einsatzdatenanalyse
  76. 6.1   Datenquellen und -aufbereitung
  77. 6.2   Trendanalyse und repräsentativer Untersuchungszeitraum
  78. 6.3   Zeitliche Verteilung des Einsatzgeschehens
  79. 6.4   Verteilung des Einsatzgeschehens nach Einsatzarten
  80. 6.5   Örtliche Verteilung der Einsatzstellen
  81. 6.6   Zeitanalysen
  82. 6.7   Einsatzfrequenzen und -beteiligung der Feuerwachen und Freiwilligen Feuerwehr
  83. 6.8   Fahrzeugfrequenzen
  84. 6.9   Auswertung der Planungszielerreichung
  85. 6.10   Gleichzeitigkeit von Ereignissen (Duplizitäts- bzw. Simultanitätsanalyse)
  86. 6.10.1   Probabilistische Duplizitätsanalyse mit der Wahrscheinlichkeitsfunktion nach POISSON
  87. 6.10.2   Beispielhafte Anwendung der POISSON-Analyse
  88. 6.10.3   Empirische Duplizitätsanalyse durch Auszählung von Realdaten
  89. 6.11   Anforderungen an die Einsatzdokumentation
  90. 7   Organisation
  91. 7.1   Aufgaben der Feuerwehr
  92. 7.2   Gliederung der Gemeindefeuerwehr
  93. 7.3   Führungsstruktur im Einsatzdienst
  94. 7.4   Fahrzeug- und Funktionsbesetzung von Berufsfeuerwehren
  95. 7.5   Löschzugkonzepte von Berufsfeuerwehren
  96. 7.6   Alarm- und Ausrückeordnung (AAO)
  97. 7.7   Verkehrstechnische Optimierung der Ausrückwege
  98. 7.8   Verfügbarkeits- und Diensthabenensystem
  99. 7.9   Konsequente Zuordnung der Feuerwehrangehörigen zu den wohnortnahen Einheiten
  100. 8   Standortplanung
  101. 8.1   Zeitlich-räumliche Gebietsabdeckung
  102. 8.1.1   „Vorwärts- und Rückwärtsorganisation“
  103. 8.1.2   Geschwindigkeiten zur Fahrzeit-Simulation
  104. 8.1.3   Kreis-Isochronen mit Zirkelmethode
  105. 8.1.4   GIS-gestützte Simulation von Isochronen mit Polygonzügen
  106. 8.1.5   Isochronen durch Realbefahrung
  107. 8.1.6   Isochronen durch kontinuierliches GPS-Tracking
  108. 8.1.7   Isochronen mit Echt-Einsatzdaten
  109. 8.1.8   Erreichbarkeit von Nachbarstandorten
  110. 8.2   Standortfaktoren
  111. 8.3   Bauliche und funktionale Anforderungen an Feuerwehrstandorte
  112. 8.4   Standortstrukturelle Handlungsmaßnahmen
  113. 8.4.1   Standortgründung
  114. 8.4.2   Standortschließung und -zusammenlegung
  115. 8.5   Kompensationsmaßnahmen
  116. 9   Personalplanung
  117. 9.1   Ehrenamtliche Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr
  118. 9.1.1   SOLL-Stärke von Freiwilligen Feuerwehren
  119. 9.1.2   Methoden zur Ermittlung der Alarmverfügbarkeit Freiwilliger Kräfte
  120. 9.1.3   Altersstruktur, Personal- und Verfügbarkeitsentwicklung
  121. 9.2   Zwangsverpflichtete Kräfte der Feuerwehr
  122. 9.3   Hauptamtliche Kräfte der Feuerwehr / Berufsfeuerwehr
  123. 9.3.1   Notwendigkeit von hauptamtlichen Kräften
  124. 9.3.2   Stufen hauptamtlichen Funktionsumfangs
  125. 9.3.3   Ermittlung der bedarfsgerechten Anzahl von hauptamtlichen Funktionen
  126. 9.3.4   (Abwärts-)Spirale der Hauptamtlichkeit
  127. 9.3.5   Einbindung ehrenamtlicher Kräfte in Berufsfeuerwehrstrukturen
  128. 9.3.6   Förderung der hauptamtlichen Kräfte
  129. 9.4   Ermittlung des hauptamtlichen Personalbedarfs
  130. 9.4.1   Zusammenhänge und Vorgehensweise zur Personalbedarfsermittlung
  131. 9.4.2   Ermittlung der Jahresfunktionsstunden
  132. 9.4.3   Ermittlung der Personalausfallzeiten (Anwesenheits- bzw. Abwesenheitsquote)
  133. 9.4.4   Resultierender rechnerischer Personalbedarf
  134. 9.4.5   Personal(ausfall)faktor
  135. 9.4.6   Weiterführende Personalplanung
  136. 9.5   Personelle Maßnahmen
  137. 9.5.1   Wirkungsziel personeller Maßnahmen
  138. 9.5.2   Wirkung motivierender Faktoren
  139. 9.5.3   Maßnahmen zur Gewinnung, Förderung und Erhalt des Ehrenamts
  140. 10   Fahrzeugplanung
  141. 10.1   Wesen des Fahrzeug- und Gerätekonzepts
  142. 10.1.1   Historisch gewachsene Technikausstattung
  143. 10.1.2   Technikausstattung als Identifikationsbild und Motivationsfaktor
  144. 10.1.3   Darstellungsform
  145. 10.2   Einflussfaktoren auf Fahrzeug- und Gerätekonzept
  146. 10.3   Bemessungsgrundsätze
  147. 10.4   Fahrzeugtypen
  148. 10.5   Ableitung des Fahrzeugkonzepts
  149. 10.6   Geräteausstattung
  150. 10.7   Ersatzbeschaffungszyklen
  151. Fazit
  152. Literaturverzeichnis
  153. Stichwortverzeichnis

1           Einleitung

Die Gemeinden sind gemäß den Feuerwehrgesetzen der Länder dazu verpflichtet, eine den örtlichen Verhältnissen entsprechend leistungsfähige Feuerwehr aufzustellen, auszurüsten und zu unterhalten. Die wesentliche Kernfrage, die mit dieser gesetzlichen Forderung aufgeworfen wird, lautet:

Wie viel Feuerwehr braucht die Gemeinde?

Zur bedarfsgerechten Bemessung von Feuerwehren hat sich in den letzten beiden Dekaden die Feuerwehrbedarfsplanung etabliert, welche ein wichtiges Planungsinstrument für die Politik, die Verwaltung und die Feuerwehr selbst, der dieses Fachbuch gewidmet ist, darstellt.

1.1       Ziel dieses Buches

Das vorliegende Fachbuch richtet sich an Angehörige der Feuerwehr, Lokalpolitiker, Verwaltungsmitarbeiter, Aufsichtsbehörden, Lehrende und Studierende sowie an sonstige interessierte Personen, die sich mit den Grundlagen und Methoden der Bedarfsplanung von Feuerwehren vertraut machen möchten. Es handelt sich um ein Fachbuch, welches sowohl als Nachschlagewerk als auch als Lehrbuch zum Gesamtstudium dienen kann.

Bei bundesweit über 10.000 Gemeinden in einer Größenordnung von unter 20.000 Einwohnern, die gegenüber den knapp 700 Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern die deutliche Mehrheit in der Bundesrepublik bilden (vgl. Kapitel 2.3), richtet sich dieses Buch insbesondere an die vielen Freiwilligen Feuerwehren der kleineren Kommunen im Lande, die sich (teilweise zum ersten Mal) gezwungen sehen, eine kritische Bestandsaufnahme der IST-Struktur ihrer Feuerwehr zu erheben und ein fachlich fundiertes sowie zukunftssicheres SOLL-Konzept zu erstellen. Aber auch die Besonderheiten von hauptamtlich besetzten Wachen bis hin zu Berufsfeuerwehren in Großstädten werden intensiv thematisiert.

Dieses Fachbuch soll das notwendige Handwerkszeug sowie die fachlichen Hintergründe auf verständliche Weise darstellen, um die Akteure in den Städten und Gemeinden zur Bedarfsplanung ihrer kommunalen Feuerwehren zu befähigen. Hierbei werden nicht nur die wissenschaftlichen und technischen Grundlagen sowie deren kritische Würdigung, sondern auch aktuelle Debatten in der Fachwelt sowie zahlreiche Erfahrungen aus der Praxis berücksichtigt. Mit einer Übersicht über die verschiedenen Regelungen in den einzelnen Ländern erhebt dieses Buch den Anspruch, bundesweit gleichermaßen Anwendung finden zu können und die »gesamte Bandbreite an Feuerwehr« ganzheitlich abzudecken. Ziel ist es, das für die Bedarfsplanung notwendige Verständnis der Zusammenhänge zu schaffen und anhand von Praxisbeispielen das notwendige Handwerkszeug zur Verfügung zu stellen.

Ziel des Buches kann es von der Natur der Sache her jedoch nicht sein, eine Universallösung zur Bedarfsplanung anzubieten, die als »Blaupause« auf jede Kommune angewendet werden kann. Es liefert keine abschließenden Festlegungen für die »einzig richtige« Methodik und Bedarfsplanlösung. Vielmehr sollen das Grundverständnis vermittelt und Lösungsansätze aufgezeigt werden, mit denen der Leser in die Lage versetzt wird, eigenständig eine Bedarfsplanung durchzuführen, zu begleiten und zu bewerten sowie sich reflektiert auch mit anspruchsvollen Fragen der Bedarfsplanung auseinanderzusetzen.

Da die Feuerwehrbedarfsplanung eng auch mit organisatorischen Aspekten und Einsatzplanung der Feuerwehr verknüpft ist (z. B. Einsatztaktik, Ausrückverhalten, Zuschnitt und Alarmierung der Löschbezirke), handelt es sich auch um ein Grundlagenwerk zur grundsätzlichen, praktischen Organisation der Feuerwehr.

1.2       Inhalt und Aufbau dieses Buches

Das vorliegende Fachbuch beinhaltet drei thematische Schwerpunkte: In den ersten drei Kapiteln stehen die allgemeinen Grundlagen, Prozesse, Theorien und Zusammenhänge im Vordergrund, mit denen das Grundverständnis für die Feuerwehrbedarfsplanung vermittelt werden soll. In Kapitel 4 werden die konkreten Planungsgrundlagen dargestellt, aus denen sich die SOLL-Struktur einer Feuerwehr ableitet. In den Kapiteln 5 bis 10 erfolgt die Darstellung der handwerklichen Umsetzung der einzelnen Planungsschritte, die zur Veranschaulichung mit zahlreichen Praxisbeispielen untermauert werden. Im Fazit wird nochmal eine Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte vorgenommen, mit denen der Leser in die Bedarfsplanungspraxis verabschiedet wird.

Dem eiligen Leser, der sich einen schnellen Überblick über die Zusammenhänge und das Wesen der Feuerwehrbedarfsplanung verschaffen möchte, sei insbesondere das Kapitel 2 nahegelegt.

Bemerkung:

Die in diesem Buch genannten landesbezogenen Rechtsquellen, Ministerien und Zuständigkeiten sind stets in Bezug auf das im gleichen Kontext genannte Bundesland zu verstehen. Der Stand der Rechtsgrundlagen bezieht sich im vorliegenden Buch auf das Jahr 2018 – einzelne Regelungen können sich fortlaufend ändern.

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird im vorliegenden Buch die männliche Sprachform genutzt. Es sind jedoch alle Personen im gleichen Maße gemeint.

Inhaltliche Abgrenzung

Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit der Feuerwehrbedarfsplanung im »klassischen Sinn«, also mit der notwendigen operativen Vorhaltung der Feuerwehr. Damit grenzt sich die »Feuerwehrbedarfsplanung« von der »Organisationsuntersuchung der rückwärtigen Bereiche«, also von möglicherweise hauptamtlich zu besetzenden Stellen im Büro- oder Innendienst, in Werkstätten bis hin zur vollumfänglichen Branddirektion einer Berufsfeuerwehr ab. Ferner ist nicht Gegenstand dieses Buches die Bemessung von Leitstellen, von Werkfeuerwehren oder des Rettungsdienstes. Eine ausführliche Abgrenzung der Inhalte eines Feuerwehrbedarfsplans wird in Kapitel 3.2 vorgenommen.

1.3       Ausgangslage zur Feuerwehrbedarfsplanung

Für eine qualifizierte und effektive Bedarfsplanung ist es essentiell, sich den aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen im Feuerwehrwesen bewusst zu sein, um mit geeigneten Maßnahmen im SOLL-Konzept des Feuerwehrbedarfsplans auf diese reagieren zu können. Nur wer die Herausforderungen kennt und berücksichtigt, kann ziel- und zweckgerichtete Lösungen für die nachhaltige Sicherstellung der kommunalen Gefahrenabwehr finden.

Nachfolgend werden daher die wesentlichen für die Bedarfsplanung relevanten Entwicklungstendenzen im Feuerwehrwesen skizziert, die zusammenfassend in Bild 1 dargestellt sind. Hierzu gehören insbesondere der gesellschaftliche Wandel, das veränderte Einsatzgeschehen sowie die Finanzsituation der Kommunen. Als Kernprobleme der Feuerwehren stellen sich zudem die Sicherstellung des haupt- sowie ehrenamtlichen Personalbestands und die eingeschränkte Alarmverfügbarkeit der Freiwilligen Kräfte dar, die insbesondere durch den gesellschaftlichen Wandel und die veränderte Arbeitswelt bedingt sind.

Gesellschaftlicher Wandel

Die Veränderung der Gesellschaft und ihres Wertesystems, in denen das Feuerwehrwesen eingebettet ist, zeigt sich vielschichtig und in ihrem zukünftigen Verlauf

Bild 1: Aktuelle Herausforderungen im Feuerwehrwesen

nicht abschließend vorhersehbar. Der demografische Wandel, der insbesondere durch einen Bevölkerungsrückgang, eine niedrige Geburtenrate, den Anstieg der Lebenserwartung und eine damit verbundene Alterung der Bevölkerung gekennzeichnet ist, führt zu einer signifikanten Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes wird die Bevölkerungszahl in Deutschland von 82,3 Millionen Menschen im Jahr 2000 je nach Ausmaß der Nettozuwanderung langfristig bis zum Jahr 2060 auf eine Zahl zwischen 67,6 Millionen und 73,1 Millionen sinken (Statistisches Bundesamt, 2015). Dann wird voraussichtlich über ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland über 65 Jahre und weniger als ein Sechstel unter 20 Jahre alt sein.

Diese Bevölkerungsentwicklung hat (auch heute schon) Auswirkungen auf die Aufrechterhaltung des Systems Feuerwehr, da durch den Bevölkerungsrückgang und die Bevölkerungsüberalterung immer weniger ehrenamtliche Kräfte insbesondere in der erwerbstätigen und damit für die Feuerwehr relevanten Altersgruppe zur Verfügung stehen. Wie mit den Alterspyramiden in Bild 2 für die Jahre 2000 und 2060 dargestellt, lag die Bevölkerungszahl der für den Feuerwehrdienst relevanten Personen (im Alter zwischen 18 und 65 Jahren) bei 53,1 Millionen Menschen im Jahr 2000, was einem Bevölkerungsanteil von 64,5 Prozent entspricht. Im Jahr 2060 wird die für den Feuerwehrdienst in Frage kommende Bevölkerungszahl zwischen 35,6 und 39,2 Millionen Menschen liegen, was nur noch einem Anteil von 52,7 bis 53,6 Prozent der dann in Deutschland lebenden Gesamtbevölkerung entspricht. Die Bundesrepublik Deutschland verliert damit zwischen 13,9 und 17,5 Millionen Menschen, die in Bezug auf ihr Alter für den Feuerwehrdienst in Frage kommen, was im Vergleich zu den 53,1 Millionen Menschen im Jahr 2000 einem Verlust von fast einem Drittel (26,2 bis 33,0 Prozent) entspricht.

Bild 2: Altersaufbau der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2000 im Vergleich zum Jahr 2060

Dabei sind insbesondere ländliche, peripher gelegene Gebiete von der demografischen Schrumpfung betroffen. Als einer der Gründe hierfür ist insbesondere die Tendenz junger Menschen, vom Land in die Stadt zu ziehen, um dort zu leben und zu arbeiten, zu beobachten. Neben den von Schrumpfungsprozessen betroffenen Räumen sehen sich Agglomerationsräume mit starkem und unaufhaltsamem Wachstum konfrontiert, das mit einem steigenden Bedarf an Gefahrenabwehrstrukturen einhergeht.

Zudem ist zunehmend eine steigende Anspruchs- und Erwartungshaltung der Bürger zu beobachten. Zwar konnte sich bislang die Feuerwehr in Zeiten, in denen sich Bürger mittlerweile über Ruhestörung durch Einsatzfahrzeuge mit Martinshorn beschweren und die Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber Rettungskräften zunimmt, trotzdem an der Spitze der alljährlichen Liste der angesehensten Berufe (Beamtenbund und Tarifunion (dbb), 2018) halten. Dennoch macht die Entwicklung zu einer »Hochleistungsgesellschaft« auch vor dem Rettungswesen keinen Halt, die mit hohem Anspruchsdenken und wachsendem Sicherheitsbedürfnis eine dienstleistungsorientierte Feuerwehr als universelle Hilfeeinrichtung fordert (»Vollkaskomentalität«). Heutzutage gibt sich der Hilfeersuchende nicht mehr nur damit zufrieden, dass die Feuerwehr »überhaupt geholfen hat«. Etwaige Schlechtleistungen der Feuerwehr1 werden nicht mehr toleriert, sondern beklagt und zumindest mit öffentlicher Imageschädigung sanktioniert (z. B. in der Lokalpresse oder den sozialen Netzwerken). Dieser Trend führt unweigerlich zum Zwang zur Professionalisierung und zur Effektivitäts- und Effizienzsteigerung der Feuerwehr, die zwar durchaus wünschenswert ist, der aber nicht nur im Ehren-, sondern auch im Hauptamt kaum nachgekommen werden kann. Nicht selten führt eine zu große Differenz zwischen dem Anspruch an die Feuerwehr und dem tatsächlich Leistbaren zu Frust und Demotivation bei den Einsatzkräften, denen häufig auch der nötige Dank sowie Wertschätzung ihrer Arbeit vorenthalten bleibt.

Doch die Feuerwehr rückt sogar noch stärker in den Fokus: Veränderte soziale Strukturen haben mittlerweile zu sinkender Nachbarschaftshilfe und Selbsthilfefähigkeit der Bürger geführt. Die Vulnerabilität der Gesellschaft und eines jeden Einzelnen ist gestiegen. Beide Effekte führen dazu, dass immer häufiger staatliche Hilfe (zum Beispiel in Form der Feuerwehr) gesucht wird und die öffentliche Hand stärker belastet wird, als es früher bei selbstorganisierter Hilfe der Fall gewesen ist.

Verändertes Einsatzgeschehen

Die Feuerwehren in Deutschland sehen sich mit einem veränderten Einsatzgeschehen konfrontiert: Zum einen kämpfen viele Feuerwehren mit einem signifikant steigenden Einsatzaufkommen.2 Mehr Einsätze für immer weniger Mitglieder führt zu einer Erhöhung der individuellen Einsatzbelastung des einzelnen Feuerwehrangehörigen, die mitunter an die Grenze des Machbaren und Verträglichen stößt.

Zum anderen werden die Gefahrenlagen immer komplexer. Früher begegneten die Feuerwehren schwerpunktmäßig dem Scheunenbrand sowie dem Verkehrsunfall mit einfach konstruierten Fahrzeugen. Heute müssen Ereignisse und Störfälle bei Kritischen Infrastrukturen sowie Unfälle mit stahlverstärkten Fahrzeugen und alternativen Antriebsarten, bei denen die konventionellen Rettungsmethoden versagen, bewältigt werden – nur um exemplarisch eine schier nicht enden wollende Liste an neuartigen Einsatzlagen zu beginnen.

Hinzu kommen neue, asymmetrische Bedrohungen (z. B. Anschläge) infolge der auch in Europa und Deutschland veränderten Sicherheitslage. Und auch die heftigen wetter- und klimabedingten Extremereignisse der jüngsten Vergangenheiten gehören mittlerweile zum regulären Einsatzaufkommen (orkanartige Stürme, Starkregen, urbane Sturzfluten, Hochwasser u. ä.).

Der Wandel im Einsatzgeschehen wird zudem durch die steigende Vulnerabilität der Gesellschaft und die gleichzeitig sinkenden Bewältigungs- und Anpassungskapazitäten der Bevölkerung ungünstig beeinflusst, sodass sich die Feuerwehren im Laufe der Zeit immer mehr zur universellen Hilfeeinrichtung entwickelt haben (»Mädchen für alles«). Durch den hohen Ausbildungs- und Ausrüstungsstand werden die Feuerwehren in zunehmender Tendenz auch für Aufgaben, die nicht zum traditionellen Kernbereich der Feuerwehrtätigkeiten gehören, in Anspruch genommen und werden als »Lückenbüßer für sachfremde Dienstleistungen« (Deutscher Feuerwehrverband (DFV), 2008) missbraucht.

Mit dem steigenden Einsatzspektrum und dem wachsenden Maß an Komplexität der Schadenszenarien steigen auch die Anforderungen an die Aus- und Fortbildung der Feuerwehrangehörigen. Und auch die immer komplexer gestaltete Technik führt zu einem hohen Aus- und Fortbildungsaufwand, bei dem sich in der Summe die Frage stellt, wie diesem nicht nur ehrenamtlich, sondern auch durch hauptberufliche Kräfte überhaupt noch adäquat entsprochen werden kann. Insbesondere den Freiwilligen Kräften wird dabei abverlangt, sich »noch nebenbei« – also neben dem Hauptberuf des Feuerwehrangehörigen – ständig fortzubilden, um jederzeit eine professionelle Gefahrenabwehr leisten zu können. Dabei gilt es nicht nur das feuerwehrtaktische und -technische Fachwissen stets auf aktuellen Stand zu halten. Auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse, aktuelle Rechtsprechung und sich ändernde politische Rahmenbedingungen müssen im ehrenamtlichen Dienstalltag die notwendige Berücksichtigung finden.

Finanzsituation der Kommunen

Darüber hinaus spielt auch die Finanzsituation der öffentlichen Haushalte eine entscheidende Rolle bei der flächendeckenden und nachhaltigen Sicherung des abwehrenden Brandschutzes und der Hilfeleistung. »Die Gemeinden, Städte und Landkreise in der Bundesrepublik Deutschland befinden sich derzeit in der schwierigsten Finanzsituation seit Beginn der 50er-Jahre.« (Albers & Rohloff, 2007). Es ist vom »Kollaps der Kommunen« (Wisniewska et al., 2002) die Rede, die insbesondere auch im Bereich der Feuerwehr einen teilweise erheblichen Investitionsstau vor sich herschieben. Dabei ist die materielle Ausstattung der Feuerwehr nicht nur ein wesentliches Element zur Zielerreichung eines effektiven Brandschutzes, sondern auch eng mit der Attraktivität des Feuerwehrdienstes verknüpft. Eine überalterte Fahrzeug- und Gerätetechnik stellt ein Motivationshemmnis dar, da sich mit einem 35 Jahre alten TSF wohl kaum für das Ehrenamt Interessierte »hinter dem Ofen hervorlocken« lassen. Das Gleiche gilt für sanierungsbedürftige Feuerwehrhäuser, die nicht nur die Anforderungen der Unfallverhütungsvorschriften verletzen, sondern in denen auch schlicht der Wohlfühlfaktor fehlt.

Aufgrund der angespannten Haushaltssituation wird es auch nicht möglich sein, die sinkenden Mitgliederzahlen und Verfügbarkeitssituationen in den Freiwilligen Feuerwehren durch hauptamtliche Kräfte zu kompensieren.

Sicherung des ehrenamtlichen Personalbestands

Die in Bild 1 aufgeführten Herausforderungen und Entwicklungen hinterlassen ihre Spuren im Personalbestand der Freiwilligen Feuerwehren: Bundesweit ist ein kontinuierlicher Rückgang der Mitgliederzahlen in den Freiwilligen Feuerwehren zu verzeichnen, siehe Bild 3. Die Darstellung der deutschlandweiten Statistik kaschiert dabei die regional unterschiedlich ausgeprägte Intensität des Personalverlustes, der in einigen Gemeinden und Landkreisen deutlich gravierender zu Buche schlägt.

Bild 3: Entwicklung der Mitgliederzahlen der Freiwilligen Feuerwehren 1990 bis 2015 (Quelle: DFV, 2016)

Es wird der Rückgang der allgemeinen Bereitschaft zum Ehrenamt beklagt, von dem auch das Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr betroffen ist. Der Freiwilligensurvey des BMFSFJ (2016) allerdings widerlegt die vermeintliche Interessenlosigkeit der Bevölkerung am Ehrenamt. Demnach ist das freiwillige Engagement in Deutschland nicht etwa rückläufig, sondern in den letzten 15 Jahren um knapp zehn Prozentpunkte angestiegen.

Es hat sich aber durchaus der klassische Weg der »Ehrenamtskarriere« verändert, bei der nach mehr Flexibilität gestrebt wird und bei dem das Motto »Einmal Feuerwehr, immer Feuerwehr!« seine Gültigkeit verliert. Feuerwehrmitglieder anzuwerben ist damit nur ein Teil der Aufgabe. Die bestehenden Mitglieder müssen auch langfristig gehalten werden. Hier sind passgenaue Lösungen für die unterschiedlichen Interessenlagen gefragt. Eine pauschale Aktivitätsverpflichtung im freiwilligen Engagement (»Eintritt und Austritt sind freiwillig, dazwischen ist Dienst«) erscheinen in einer schnelllebigen Zeit mit wechselnden Interessenlagen nicht mehr zeitgemäß. Längere Pausen in persönlichen Umbruchphasen müssen akzeptiert und auch die Möglichkeit zu zeitlich begrenztem Engagement angeboten werden.

Gerade vor dem Hintergrund des veränderten Freizeitverhaltens, des Wertewandels, der Individualisierung sowie Pluralisierung der Lebensformen muss sich die Feuerwehr attraktiv gestalten und auf einen zeitgemäßen Umgang mit Traditionen achten. Zwar nehmen gerade in dörflichen Strukturen die Feuerwehren eine ausgeprägte sozial-gesellschaftliche Rolle im Ort wahr, es hat jedoch nicht jeder Feuerwehrangehörige Lust auf antiquierte Traditionsstrukturen. Wer privat und beruflich stark eingebunden ist und bereits viel Zeit im Dienst- und Einsatzgeschehen der Feuerwehr investiert, ist unter Umständen nicht bereit, auch noch den Maibaum aufzustellen, die Oster- und Martinsfeuer abzusichern und am Traditionsmarsch im Dorf teilzunehmen.

Das breit gefächerte Alternativangebot an Sport- und Freizeitmöglichkeiten bis hin zu den computer- und medienbasierten Individualhobbys konkurrieren mit der Zeit für ein Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr, während auch das Familienleben keine Abstriche zulässt. Bei dem natürlich begrenzten Zeitkontingent wird sich jedes Mitglied unserer Gesellschaft genau überlegen, wie viele Stunden man für welche Aktivität und Verpflichtung einzusetzen bereit ist.

Die Jugendfeuerwehr als Hauptnachwuchslieferant für die Einsatzabteilungen der Freiwilligen Feuerwehren hat ebenfalls zunehmend Schwierigkeiten, auch in Zukunft als Garant für stetigen Mitgliederzulauf zu fungieren. Vielerorts haben die Jugendfeuerwehren mit Nachwuchsmangel zu kämpfen, da auch sie mit anderen Freizeit- und Vereinsangeboten konkurrieren und durch die Etablierung von Ganztagsschulen den Jugendlichen ohnehin weniger Freizeit »übrigbleibt«. Zudem sind zunehmend sinkende Übernahmequoten aus der Jugendfeuerwehr in die Einsatzabteilung zu verzeichnen. Dieser Umstand liegt unter anderem darin begründet, dass viele Jugendliche nach ihrem Schulabschluss – und damit meist im relevanten Übertrittsalter in die Einsatzabteilung – nicht an ihrem Heimatort bleiben, sondern zur Berufsausbildung, zum Studium oder aus persönlichen Interessen (meist in stärker urbanisierte Räume) wegziehen und häufig auch nicht wieder in die Heimatkommune zurückkommen. Hierdurch fehlt der Übertritt in die aktive Wehr.

Durch das Aussetzen der Wehrpflicht mit Wirkung zum 1. Juli 2011 ist eine weitere Einstiegsmöglichkeit in die Freiwillige Feuerwehr weggefallen, in der Wehrpflichtige durch eine mehrjährige Verpflichtung für den Katastrophenschutz einen Wehrersatzdienst leisten konnten. Durch das so geweckte Interesse am ehrenamtlichen Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr blieben viele Wehrersatzdienstleistende auch nach Ablauf ihrer Ersatzdienstzeit der Freiwilligen Feuerwehr als Mitglied erhalten.

Veränderte Arbeitswelt

Mit dem gesellschaftlichen Wandel geht auch eine Veränderung des Arbeitsmarktes einher, die sich in besonderem Maße auf die Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehr auswirkt und maßgeblich die Tagesalarmverfügbarkeit der ehrenamtlichen Kräfte beeinflusst. Die Hauptproblematik besteht darin, dass durch die gestiegene Mobilität und Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt viele Berufstätige ihren Arbeitsplatz nicht mehr wie früher im Wohnort haben, sondern mitunter beachtliche Pendelentfernungen zum Arbeitsplatz zurücklegen und damit für Einsätze der Feuerwehr während der Arbeitszeiten nicht verfügbar sind.

Immer mehr Arbeitnehmer haben zudem keine festen Arbeitszeiten mehr, sondern bestimmen im Rahmen von Gleitzeitregelungen selbst über den Beginn und Ende ihrer täglichen Dienstzeit. Durch diesen Umstand darf es keine Ungleichbehandlung geben (z. B. bei der Freistellungs- und Lohnausfallregelung bei einsatzbedingtem Verlassen des Arbeitsplatzes). Gleichzeitig ist der Grad der Samstagsbeschäftigung gestiegen, durch die sowohl die Alarmverfügbarkeit von Einsatzkräften als auch die Möglichkeit zur Teilnahme an Wochenendlehrgängen eingeschränkt wird.

Vielen Berufstätigen ist trotz der gesetzlichen Regelung, dass sie während der Arbeits- und Dienstzeiten für die Teilnahme an Einätzen sowie Aus- und Fortbildungen freizustellen sind und hieraus keine beruflichen Nachteile erwachsen dürfen (vgl. beispielsweise § 20 BHKG), das Verlassen des Arbeitsplatzes für den Feuerwehrdienst nicht möglich.

Die Gründe hierfür sind mittlerweile vielfältig: Zum einen hat die fortschreitende Arbeitsverdichtung und Rationalisierung in den Betrieben zu einem erhöhten Arbeitsdruck geführt. Während vor einigen Jahrzehnten in vielen Betrieben noch ein gewisser Puffer in der Personalausstattung und den Arbeitsvorgängen vorhanden war, sind Betriebsprozesse und der Mitarbeitereinsatz heutzutage häufig so optimiert, dass sie keine Abweichungen oder Störungen vertragen. Der Waren- und Dienstleistungsmarkt beim Kunden lässt keine verspäteten Lieferzeiten, schlechte Qualität oder unzureichenden Service zu. Daher sind unplanbare Abwesenheiten durch in der Freiwilligen Feuerwehr tätige Mitarbeiter betriebsorganisatorisch nur schwer zu kompensieren.

Aber auch auf den Einzelnen lastet eine spürbar höhere Arbeitsbelastung mit dem Trend der steigenden beruflichen Inanspruchnahme. Selbst Landwirte und andere Selbstständige, die in der Vergangenheit klassischerweise der Garant für stets alarmverfügbares Einsatzpersonal waren, können sich das Verlassen des Arbeitsplatzes nicht mehr im gewohnten Umfang leisten.

Die Befürchtung beruflicher Nachteile durch den Dienst in der Freiwilligen Feuerwehr ist mitunter so groß, dass viele Feuerwehrangehörige sich nicht nur nicht trauen, im Einsatzfall ihren Arbeitsplatz zu verlassen, sondern sogar ihr ehrenamtliches Engagement in Bewerbungsgesprächen verschweigen, da sie befürchten, dass die unplanbaren Abwesenheiten vom Arbeitsplatz den potenziellen Arbeitgeber abschrecken. Die Befürchtung der beruflichen Nachteile führt soweit, dass viele Ehrenamtliche selbst für planbare Lehrgänge eher ihren regulären Jahresurlaub einsetzen, statt ihren Arbeitgeber mit dem gesetzlich zu diesem Zwecke zustehenden Sonderurlaub zu belasten.

Mangel an Qualifikationen

Aber nicht nur die sinkende absolute Anzahl an aktiven Mitgliedern in den Freiwilligen Feuerwehren stellt ein Problem dar. Auch ein Mangel an notwendigen Qualifikationen und der Bereitschaft zur Übernahme spezieller Funktionen ist zu befürchten. Dabei steht nicht nur die Fitness und Atemschutztauglichkeit eines jeden Einzelnen im Vordergrund. Die Zeit, die von jedem einzelnen Feuerwehrangehörigen in die Ausbildung sowie die regelmäßige Fortbildung investiert werden muss, ist mittlerweile ein so hohes Gut, dass die Bereitschaft, diese für den Qualifikationserwerb und -erhalt zu investieren, nur mit modernen, anforderungsgerechten und zielgruppenorientierten Schulungsmaßnahmen erzielt werden kann – welche wiederum (zumeist aus dem Ehrenamt heraus) vorbereitet und dargeboten werden müssen. Dazu kommt ein regelrechter Funktions- und Führungskräftemangel, da die Übernahme verantwortlicher Posten eine besondere Eignung der Person voraussetzt und häufig in einem größeren Zeitaufwand resultiert. Die Feuerwehrangehörigen, die in der Freiwilligen Feuerwehr Führungsaufgaben wahrnehmen, sind häufig auch im Hauptberuf Führungskraft. Bei dieser Doppelbelastung werden die Funktionäre sich im Zweifel für ihre beruflichen Verpflichtungen und gegen das ehrenamtliche Engagement entscheiden. Dabei wird an dieser Stelle deutlich, dass eine spürbare Reduzierung des Bürokratie- und Verwaltungsaufwands notwendig ist, damit mehr Zeit für die eigentliche Tätigkeit im Feuerwehrdienst zur Verfügung steht bzw. die zur Verfügung stehende Zeit effizient eingesetzt werden kann (vgl. »Ehrenamt braucht Hauptamt«, vgl. Kapitel 9.5.3.9).

Sicherung des hauptamtlichen Personalbestands

Auch die Gewinnung geeigneten hauptamtlichen Nachwuchses bei den Berufsfeuerwehren und hauptamtlich besetzten Wachen wird bei der aktuellen Arbeitsmarktsituation zunehmend schwieriger. Alle öffentlichen Bereiche sowie auch die privaten Unternehmen werben um qualifizierten und leistungsstarken Nachwuchs und unterbreiten mitunter die verlockenderen Angebote. Dabei konkurrieren die Feuerwehren als Arbeitgeber nicht nur mit anderen Branchen, sondern auch als Dienststellen untereinander: Es ist daher essentiell, sich als attraktiven Arbeitgeber darzustellen, um nicht nur neues Personal zu gewinnen, sondern auch die mühsam geworbenen, ausgebildeten und ständig weiterqualifizierten Kräfte zu erhalten und nicht an benachbarte Kommunen zu verlieren.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass hohe Anforderungen sowohl an die hauptberuflichen-, aber insbesondere auch an die freiwilligen Feuerwehrangehörigen gestellt werden, die nicht jeder Bürger bereit ist, ehrenamtlich für die Gesellschaft ohne direkte Entlohnung, zu verrichten:

  Ständige Alarmbereitschaft zu jeder Tages- und Nachtzeit, auch an Wochenenden und Feiertagen,

  Übernahme von Verantwortung, die sogar bis zum Entscheiden über Leben oder Tod reicht,

  Eingehen von Risiken,

  Erhalt der körperlichen Fitness,

  Absolvieren von Lehrgängen und Weiterbildungen,

  ständige Fortbildung,

  Pflege von Fahrzeugen, Geräten und Ausrüstungen,

  hohes Engagement und Einsatzbereitschaft,

  Einschränkungen im persönlichen Freizeitverhalten (z. B. Verzicht von Alkoholgenuss, Aufenthaltsort…).

Dabei wird jedem Einzelnen das inzwischen wertvollste Gut unserer heutigen Gesellschaft abverlangt: die Investition von Zeit. Zeit, die damit nicht mehr für Familie, Freunde und Hobbies und andere Privataktivitäten zur Verfügung steht. All dieses kann und darf nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden und muss daher aktiv gefördert und wertgeschätzt werden. Personalfördernde Maßnahmen sind essentiell und unabdingbar für die personelle Sicherstellung der kommunalen Gefahrenabwehr, sodass sie auch im Bedarfsplan aufzuführen und politisch zu beschließen sind (vgl. Kapitel 9.5).

1     Faktische Schlechtleistungen oder aber auch nur von den Erwartungen des Hilfeersuchenden abweichende Leistung.

2     Neben den durchschnittlich insbesondere in großstädtischen Bereichen steigenden Einsatzzahlen kämpfen einige Feuerwehren gerade im ländlichen Bereich auch mit einem zu geringen Einsatzaufkommen. Was auf den ersten Blick kurios anmuten mag, kann sich zu einem ernsthaften Motivationsproblem von Feuerwehrangehörigen entwickeln, wenn die trainierten Fähigkeiten – dem Bürger zum Glück – nie eingesetzt werden können.

2          Wie viel Feuerwehr braucht die Gemeinde?

Wie im Kapitel 2.2 deutlich wird, gibt es eine Vielzahl von Einflussgrößen auf die Bemessung einer Feuerwehr, die nicht alle nur fachlich-technischer Natur sind. Feuerwehr lässt sich nicht vollständig »ausrechnen«. Die Frage, wie viel Feuerwehr sich eine Gemeinde leisten will und kann, ist demnach vor allem auch politisch und ethisch zu beantworten.

Bevor in den anderen Teilen dieses Buches auf die rechtlichen, organisatorischen und methodischen Aspekte sowie auf die konkreten Planungsgrundlagen der Feuerwehrbedarfsplanung eingegangen wird, soll die Aufstellung und Bemessung der Feuerwehr im vorliegenden Kapitel einer grundsätzlichen und ethischen Betrachtung unterzogen werden. Dass zur Festlegung des richtigen Maßes an Sicherheit eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit dem Thema erforderlich ist, wird anhand einiger Extrembeispiele und einer outcome-orientierten Betrachtungsweise verdeutlicht, durch die die Möglichkeiten und Grenzen des Schutzauftrages des Staates auf die Metaebene gehoben wird und Anregungen für den Umgang mit exotischen und schwierigen Einzelfällen der Bedarfsplanung liefern soll.

2.1       Ziele der Feuerwehrbedarfsplanung

Die Aufstellung und regelmäßige Fortschreibung eines Feuerwehrbedarfsplans ist in vielen Bundesländern gesetzlich vorgeschrieben (vgl. Kapitel 4.6.1 Ziffer d). Die Erfüllung dieser gesetzlichen Vorgabe ist jedoch nicht der einzige Grund, warum sich die Aufstellung eines Feuerwehrbedarfsplans lohnt.

Der Feuerwehrbedarfsplan stellt ein multifunktionales Planungsinstrument für die Politik, die Verwaltung und die Feuerwehr dar, mit dem die strategische Ausrichtung der Feuerwehr und die Festlegung des örtlichen Sicherheitsniveaus in Bezug auf die Leistungen des abwehrenden Brandschutzes und der Hilfeleistung erfolgen. Die Erstellung und Fortschreibung von Bedarfsplänen bietet anlassgebend die Gelegenheit für Politik und Verwaltung, sich intensiv mit der Feuerwehr und deren Belange auseinanderzusetzen, die gegenseitigen Bedürfnisse zu artikulieren und gemeinsame strategische Zielvorstellungen festzulegen. Dies ist als Chance für alle beteiligten Seiten zu verstehen, die periodisch wiederkehrt.

Durch den Feuerwehrbedarfsplan wird eine gründliche und nachvollziehbare Bestandsaufnahme der Feuerwehr vorgenommen, in der die gegenwärtige IST-Situation der Feuerwehr verständlich dargestellt, dokumentiert und analysiert wird. Gleichzeitig erfolgt eine objektive bzw. politisch legitimierte Bedarfserhebung (SOLL-Planung), die auf der einen Seite die Feuerwehr vor einer Unterdimensionierung schützt, auf der anderen Seite eine willkürliche Dimensionierung verhindert, die durch »Fürstentümer« und »Selbstverwirklichung« Einzelner entstehen könnte.

Bild 4: Ziele der Feuerwehrbedarfsplanung

Mit dem Feuerwehrbedarfsplan wird eine Überprüfung der Leistungsfähigkeit der Feuerwehr vorgenommen. Er dient damit auch zur Sicherung der Qualität in der Aufgabenerfüllung und schafft Rechtssicherheit bei der gesetzlich geforderten Aufstellung der Feuerwehr.

Dabei wird durch die Feuerwehrbedarfsplanung die verpflichtende Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse sichergestellt. Denn die schablonenhafte Aufstellung einer Feuerwehr nach dem »Schema F«, die die örtlichen Verhältnisse der Gemeinde nicht berücksichtigt, ist gesetzeswidrig (vgl. Kapitel 2.3).

Der Feuerwehrbedarfsplan sorgt damit für Transparenz gegenüber der Politik, der Verwaltung und den Bürgern und schafft gleichzeitig Planungssicherheit für alle an der Sicherstellung der kommunalen Gefahrenabwehr Beteiligten – für die Politik, für die Verwaltung und auch für die Feuerwehr selbst. Der Feuerwehrbedarfsplan dient damit auch zur Rechtfertigung der eingesetzten und der in Zukunft geplanten Ressourcen.

Im Rahmen der Feuerwehrbedarfsplanung erfolgt eine Gefährdungs- oder Risikoanalyse für die Gemeinde , die gegebenenfalls im Kontext einer ganzheitlichen Gefahrenabwehrplanung der Gemeinde (Risikomanagement) auch zu präventiven Maßnahmen außerhalb der Feuerwehrbedarfsplanung führen kann (z. B. Hochwasserschutz, Auflagen für Gewerbetreibende mit besonderem Gefahrenpotenzial, Entschärfung von Unfallschwerpunkten).

Nur mit einem sorgfältig und fachlich fundiert aufgestellten Feuerwehrbedarfsplan kann die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Sicherheit der eigenen Einsatzkräfte sichergestellt werden, die nicht in unkalkulierbare Risiken3 geführt werden dürfen. Hierzu zählt auch der Schutz vor Überforderung4 der Feuerwehr. Andernfalls kann es zu ernsthaften körperlichen und psychischen Schäden kommen, denen es durch eine sorgfältige sowie fachlich und ethisch vertretbare Feuerwehrbedarfsplanung vorzubeugen gilt.

Der Feuerwehrbedarfsplan bildet die Grundlage für die Personal- und Investitionsplanungen (Maßnahmen und Haushalt) der Kommune, auf dessen Basis Personalbedarfsermittlungen erfolgen und die notwendigen finanziellen Mittel in den Haushalt eingestellt werden können. Ferner dient er als Grundlage für die Einsatzplanung und -vorbereitung, indem potenzielle Schadenereignisse und deren Bewältigung szenarienbasiert im Bedarfsplan vorgedacht und bemessen werden. Hieraus resultiert auch die Alarm- und Ausrückeordnung (AAO ). In manchen Bundesländern ist zudem das Vorliegen eines Feuerwehrbedarfsplans Voraussetzung zur Beantragung von Fördermitteln für Fahrzeug- und Gerätebeschaffung sowie für Bauvorhaben.5 Die durch einen Bedarfsplan nachweislich leistungsfähig aufgestellte Feuerwehr kann als Standortfaktor (Standortvorteil)6 (stadt)marketingtechnisch genutzt werden und den Zuzug von Bürgern sowie die Ansiedelung von Unternehmen begünstigen, indem ein hohes Schutzniveau für Mensch und Wirtschaft garantiert und beworben wird. Die Feuerwehrbedarfspläne der einzelnen Kommunen werden durch die übergeordneten Behörden (Aufsichtsbehörden)zur Prüfung der gesetzlichen Aufgabenerfüllung sowie zur Koordinierung der gesetzlich auferlegten Planung des überörtlichen Brandschutzes und der überörtlichen Hilfeleistung genutzt.

2.2       Zusammenhänge und Wirkungsbeziehungen in der Feuerwehrbedarfsplanung

Der Planungsvorgang der Feuerwehrbedarfsplanung mit seinen Einzelschritten ist ein komplexer Prozess, der an dieser Stelle nicht in aller Ausführlichkeit vollständig abgebildet werden kann. Einleitend zu den detaillierten Ausführungen im weiteren Verlauf des Buches sollen vorliegend jedoch die maßgeblichen Zusammenhänge, Wirkungsbeziehungen und Abhängigkeiten der wesentlichen Einflussfaktoren auf die Feuerwehrbedarfsplanung dargestellt werden.

Das Kernelement in der Feuerwehrbedarfsplanung stellen die in kommunaler Eigenverantwortungfestgelegten Planungsziele für die Feuerwehr einer Stadt oder Gemeinde dar (im Feuerwehrsprachgebrauch häufig »Schutzziele« genannt7 ). Die Planungsziele bestehen klassischerweise aus Zielvorgaben zur maximal zulässigen Planungsfrist , mindestens erforderlicher taktischer Einheit (Mannschaft + Gerät)sowie einem mindestens einzuhaltenden Erreichungsgrad, die in der Regel für konkrete Bemessungsszenarien festgesetzt werden. Sie drücken damit aus, wie viele Einsatzkräfte mit welchem technischen Gerät innerhalb welcher Zeit nach Notruf oder Alarmierung an der Einsatzstelle eintreffen sollen und in wie viel Prozent der Fälle diese Vorgaben planerisch einzuhalten ist. Die individuell festgelegten kommunalen Planungsziele repräsentieren das politisch gewollte Versorgungsniveau der Feuerwehr in der Stadt oder Gemeinde.

Bild 5: Zusammenhänge, Wirkungsbeziehungen und Abhängigkeiten in der Feuerwehrbedarfsplanung

Aus den Planungszielen leiten sich die Ausprägungen der vier wesentlichen Merkmale einer Feuerwehr ab, die sich in Organisation, Standorte, Fahrzeuge und Geräte sowie Personal einteilen lassen.

Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Festlegung eines Erreichungsgrads ist fachlich strittig, da sein planerischer Einfluss gering ist und es sich daher vielmehr um ein Controlling-Instrument zur retrospektiven Zielerreichung handelt als um einen wirklichen Planungsparameter (vgl. Kapitel 4.3.3). Ein niedriger realer Erreichungsgrad ist ein Indikator dafür, dass im Gemeindegebiet oder in bestimmten Ortsteilen die Planungsziele regelmäßig nicht erfüllt werden. Sind die eigenen bedarfsplanerischen Mittel ausgereizt, um diese potenziell unterversorgten Gebiete abzudecken, ist auf eine interkommunale Zusammenarbeit (vgl. Kapitel 3.11) hinzuwirken und outcome-orientierte »Kompensationsmaßnahmen«(vgl. Kapitel 2.4) zu treffen.

Einflussgrößen auf die Festlegung der Planungsziele

Bei der Festlegung der Planungsziele steht der Kommune im Rahmen ihrer verfassungsmäßig zugesicherten Selbstverwaltungshoheit ein gewisser Gestaltungsspielraum zu (vgl. Kapitel 2.3). Durch gesetzliche oder aufsichtsbehördliche Vorgabenwirddiesem jedoch ein rechtlicher Rahmen gesetzt. Allerdings gibt es in den meisten Bundesländern weniger rechtsverbindliche Vorgaben als gemeinhin angenommen. So existiert beispielsweise entgegen landläufiger Kenntnis lediglich in zwei Bundesländern eine gesetzliche Hilfsfrist (vgl. Kapitel 4.6.18). Ferner kann sich bei der Festlegung der Planungsziele an Hinweisen und Empfehlungen von Fachverbänden (z. B. AGBF, Landesfeuerwehrverbände) orientiert werden.

In der Vergangenheit wurde die Debatte um das »richtige« Planungsziel sehr technokratisch geführt, indem (vornehmlich durch die Empfehlungen der AGBF) ein Anwendungszwang der von ihnen veröffentlichen Planungsparameter suggeriert wurde, die sich aus vermeintlich naturwissenschaftlich-medizinischen Tatsachenzusammenhängen im Kontext der physiologischen Rauchgasverträglichkeit von Brandopfern abgeleitet haben (vgl. Kapitel 4.5). Zwar hat die postulierte Argumentationskette keinen Bestand mehr, dennoch ist die Feuerwehrbedarfsplanung nicht frei von technischen Sachzusammenhängen. So steht beispielsweise der Zusammenhang zwischen Interventionszeit der Feuerwehr und Schadensausmaß bei einem dynamischen Ereignis außer Frage. Je eher die Feuerwehr an der Einsatzstelle eintrifft, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, erfolgreich eine Schadensbegrenzung vornehmen zu können. Und auch zur Bewältigung eines Einsatzszenarios ist sachlich-logisch ein konkreter Kräfte- und Geräteansatz erforderlich. Zudem liefern immer wieder neue Forschungsergebnisse eine empirische Erkenntnisbasis, auf die bedarfsplanerische Maßnahmen aufsetzen.

Da sich aber nicht alle Festlegungen der Planungsziele vollständig aus technischen oder wissenschaftlichen Erfordernissen ableiten lassen, sondern letztendlich politisch getroffen werden, spielen auch ethische Aspekte eine Rolle bei der Suche nach einem angemessenen Versorgungsniveau der Feuerwehr (vgl. Lindemann, 2016). Feuerwehrbedarfsplanung ist insbesondere auch eine Frage der »Verteilungsgerechtigkeit«, zu der in der Literatur und der Gesellschaft ein intensiver Wertediskurs geführt wird. Die Ethik setzt dort an, wo Rechtsnormen wie auch Sachgründe an ihre Grenzen kommen und sich Gestaltungsspielräume auftun. So etwa bei der Frage, ob es ethisch vertretbar ist, für unterschiedliche Bereiche (gar innerhalb einer Gemeinde) auch unterschiedliche Planungsziele und damit unterschiedliche Versorgungsniveaus festzulegen. Ethisch geboten ist es beispielsweise auch den Einsatzkräften gegenüber sicherzustellen, sie durch eine adäquate Dimensionierung der Feuerwehr nicht unkalkulierbaren Risiken auszusetzen.

Nicht zuletzt unterliegt die Planung der Feuerwehr auch dem Diktat des Machbaren: der normativen Kraft des Faktischen. In den Orten beispielsweise, in denen partout keine tagesalarmverfügbaren oder feuerwehrdiensttauglichen Bürgerinnen und Bürger wohnen und in denen eine hauptamtliche Sicherstellung des Brandschutzes und der Hilfeleistung jenseits jeglicher Verhältnismäßigkeit läge, müssen faktisch längere Eintreffzeiten und die Notwendigkeit zur Selbsthilfe und -rettung akzeptiert werden (vgl. auch Kapitel 2.4).

Einflussgrößen auf das Bemessungsszenario

Das den Planungszielen zugrundeliegende Bemessungsszenario für den Feuerwehrbedarf leitet sich vornehmlich aus dem Gefahrenpotenzial in der Kommune und dem vorherrschenden Einsatzgeschehen ab. In seltenen Fällen führen auch herausragende Einsätze, durch die eine Stadt oder Gemeinde in ihrer Geschichte besonders geprägt wurden (z. B. Flughafenbrand, Zugunfall), dazu, dass sie aus politischen und »bürgerberuhigenden« Gründen Eingang in die Bemessungsszenarien finden.