Alexander MacKenzie
Alexander MacKenzie
REISE DURCH
NORDWESTAMERIKA
Von Montreal zum nördlichen Eismeer und zur Pazifikküste
Herausgegeben von Susanne Mayer
unter Mitwirkung von Ulrich Schlemmer
MacKenzie: Der Abenteurer und die Company
Geschichte des Pelzhandels in Kanada
Alexander MacKenzie’s, Esq., Reisen durch Nordwestamerika
Vorrede des Verfassers
Tagebuch einer Reise ans Eismeer im Jahre 1789
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Tagebuch einer zweiten Reise zum Pazifik 1792–1793
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Literaturhinweis
Bildnachweis
Kanada – das ist für viele nicht nur ein geografischer Begriff, sondern auch ein Traum. In einer Welt der beengten Lebensräume, der bedrohten Tierarten, der verschmutzten Umwelt verbindet sich mit diesem Land die Vorstellung von unzähligen Seen mit glasklarem Wasser, von undurchdringlichen Wäldern, reißenden, sauberen Flüssen, hohen Bergen mit schneebedeckten Gipfeln und einer vielfältigen Tierwelt. Kanada – das ist auch ein Traum von Abenteuer und freiem Leben in unberührter Natur.
Nun sind solche romantischen Vorstellungen heute nur noch bedingt realistisch, denn die Probleme unseres Zeitalters der Energieverknappung haben auch vor Kanada nicht haltgemacht: Riesige Gebiete des Landes werden unter Wasser gesetzt, Staudämme gebaut und Kraftwerke errichtet, wobei Lebensraum für Mensch und Tier zerstört und traditionelle Lebensweise vernichtet wird. Und doch: Noch immer zählt Kanada für viele Europäer zu einem der beliebtesten Auswanderungsziele; noch immer kann Kanada dem einzelnen Menschen genügend Lebensraum bieten. Das zweitgrößte Land der Erde besteht auch heute noch, über 400 Jahre nach Beginn seiner Besiedelung durch Europäer, zu einem beträchtlichen Teil aus unerschlossener Wildnis. Es hat einer völligen Inbesitznahme durch den Menschen und die moderne Zivilisation erfolgreich widerstanden, auch wenn es natürlich kartografisch voll erfasst ist. Noch vor 200 Jahren war das anders. Die ersten Einwanderer konnten sich lediglich in den Küstenregionen festsetzen, denn es verlangte schon außergewöhnlichen Mut, sich in das Innere dieses unwegsamen Landes vorzuwagen. Noch niemand hatte dieses riesige Land von Osten bis zur Pazifikküste durchquert.
Einer der Männer, die diese Herausforderung annahmen, war der Schotte Alexander MacKenzie. Als er im Jahre 1789 zu seiner ersten Expedition aufbrach, konnte er sich über das, was ihn erwartete, nur ein äußerst undeutliches Bild machen. Weder hatte er Landkarten zur Hand noch besaß er genaue Vorstellungen über die Entfernungen, die zurückzulegen waren. Er konnte sich lediglich auf einige spärliche, dazu meist recht unsichere geografische Angaben von Trappern und Indianern stützen, die aus den Wäldern kamen, um in den am Rande der Wildnis errichteten Forts der Pelzgesellschaften ihre Felle zu verkaufen. Im Klaren war sich Alexander MacKenzie nur über Ziel und Zweck seiner Expedition: vom Osten Kanadas aus einen Weg zum Pazifik zu finden. Der erste Versuch schlug fehl; MacKenzie und seine Begleitmannschaft hatten zwar eine Küste erreicht, doch es war die des Nordpolarmeeres. Drei Jahre später startete er eine zweite Expedition, deren Ausgang erfolgreich war.
Heute trägt nicht nur der zweitlängste Fluss Nordamerikas seinen Namen, sondern auch der »District of Mackenzie« im Norden Kanadas, ein Gebiet, größer als England und Frankreich zusammen!
MacKenzie führte auf seinen beiden Forschungsreisen genauestens Buch über die Beschaffenheit des Landes und legte Karten an – damit hat er sich um die geografische und kartografische Erschließung Kanadas, seinerzeit noch größtenteils ein »weißer Fleck«, sehr verdient gemacht. Ganz besonders hat er dazu beigetragen, den Nordwesten des Landes zu erschließen, die »Northwest Territories«. Sie nehmen mit ihren ca. 3,4 Millionen Quadratkilometern unter den heutigen Verwaltungsbezirken Kanadas den größten Raum ein.
Die ersten Menschen, die dieses riesige Gebiet bevölkerten, kamen vor ungefähr 10 000 Jahren über die Landbrücke, die Asien damals mit dem amerikanischen Kontinent verband; in späteren Jahren wurde das Eis der »Beringstraße« zum Verbindungsweg zwischen Asien und Amerika. Diese ersten Einwanderer zogen quer durch Alaska und das Yukon Territory in die Gebiete der Northwest Territories um den Großen Bärensee und den Großen Sklavensee und zogen mit den Herden der Karibus weiter in Richtung Süden bis ins Gebiet der heutigen USA. Die Prärieindianer stammen vermutlich von ihnen ab.
Etwa 2000 Jahre waren die Gletscher in den Territories fast zusammengeschmolzen, die Gebiete entlang des »Mackenzie River«, um den Großen Sklaven- und Großen Bärensee und die westliche Arktisküste eisfrei. Allmählich verschob sich die Waldgrenze weiter nach Norden bis zu ihrem heutigen Verlauf. Das langsam wärmer werdende Klima lockte immer mehr Indianer aus der Prärie in den Norden, wo sie sich hauptsächlich in den wildreichen Waldgebieten aufhielten, feste Jagdgewohnheiten entwickelten und Ansiedlungen gründeten. Einige Stämme folgten den ebenfalls nordwärts ziehenden Karibuherden bis in das Tundragebiet entlang der Küste des Nordpolarmeeres, kehrten aber jeden Winter in die Wälder zurück, wo sie Nahrung und Brennholz finden konnten.
Zu dieser Zeit überquerten auch die Vorfahren der heutigen Eskimos vom Nordosten Asiens her das Eis der Beringstraße und zogen in Richtung Osten durch die kanadische Arktis. Dank ihrer vorzüglich ausgebildeten Jagdtechnik, insbesondere bei der Seehundjagd, konnten sie sich das ganze Jahr über mit Nahrung versorgen und in dieser menschenfeindlichen Region überleben.
Im Verlauf der nächsten Jahrtausende siedelten sich die Indianer immer mehr in den Wäldern an, die Eskimos hingegen im Tundragebiet, auf den nördlichen Inseln und an der Küste des Eismeeres. Um die Jahrtausendwende n. Chr. drangen noch einmal Eskimos über die Beringstraße und Alaska nach Kanada vor. Zu jener Zeit hatten weiter südlich die meisten Indianer ihre festen Gebiete und betrieben zum Teil sogar schon Ackerbau.
Als im 16. Jahrhundert, dem Zeitalter der europäischen Kolonialexpansion und überseeischen Entdeckungen, die ersten Europäer nach Kanada aufbrachten, lebten in den Territories etwa 50 000 Indianer der verschiedensten Stämme und einige Tausend Eskimos.
1535 hatte der Franzose Jacques Cartier das Gebiet um den Sankt-Lorenz-Strom erforscht; für viele seiner Landsleute waren seine Berichte Anreiz genug, ein neues Leben zu wagen und sich dort anzusiedeln. Die Reichtümer der kanadischen Wälder lockten auch bald die Engländer an, doch wurden sie alles andere als willkommen geheißen und mussten vor den ansässigen französischen Siedlern in den Norden ausweichen. Die beiden Kolonialmächte Frankreich und England hatten schnell erkannt, welche Bedeutung die Ausbeutung des riesigen Pelzreichtums für den wirtschaftlichen Aufschwung ihrer Länder haben konnte. Die Geburtsstunde des internationalen Pelzhandels war gekommen. Überall im Osten des Landes errichteten Pelzhändler am Rande der Wildnis ihre Blockhütten, um von hier aus Handel zu treiben. Handelspartner waren die im Nordosten in den Wäldern lebenden sogenannten »Wilden«, die man mit europäischen Gebrauchsartikeln und »Feuerwasser« dazu brachte, im Austausch dafür der »zivilisierten« Welt ihre auf einsamen Jagdzügen erbeuteten Pelze zu liefern.
1670 wurde als Instrument und Repräsentant britischer Kolonialinteressen in Nordamerika die Hudson Bay Company gegründet, die im Laufe der Zeit zu einem der größten Handelsimperien der Erde werden sollte. Ihr erfolgreiches Vorgehen in Kanada beruhte zunächst einmal darauf, dass sie ihre Handelsniederlassungen weiter nach Norden vorschob und sich dabei immer größere Gebiete in der Wildnis der Northwest Territories erschloss. Als der damalige englische König, Karl II., die Bedeutung der Hudson Bay Company für die Wirtschaft Englands erkannte – die Männer der Company hatten den gesamten Pelzertrag des ersten Jahres ihrer Arbeit an den Königshof geschickt –, sagte er ihr seine volle Unterstützung zu. Am 2. Mai 1670 unterzeichnete er eine »Royal Charta«, einen Handelsbrief, in dem der Gesellschaft zu Handelszwecken ein Gebiet von 1,5 Millionen Quadratmeilen – ca. 40 % des heutigen Kanadas – überschrieben wurde. Dies beinhaltete das Handelsmonopol und die Gerichtsbarkeit in diesem Gebiet wie auch das Recht, eine eigene Flagge zu führen.
Natürlich waren diese Besitzansprüche der Engländer den Franzosen ein Dorn im Auge, hatten sie doch als Erste den Fuß in dieses Land gesetzt und damit auch das »Recht« auf dessen Ausbeutung! Immer weiter stießen sie über die Flüsse des Sankt-Lorenz-Strom-Gebietes ins Landesinnere vor, versuchten verzweifelt, den Handelsbestrebungen der Engländer Widerstand entgegenzusetzen und selbst mit den Indianern Geschäfte zu machen. Bis 1713 herrschte zwischen Engländern und Franzosen offener Krieg, wobei beide Teile sich bemühten, die Indianer auf ihre Seite zu ziehen – doch bei den Friedensverhandlungen in Utrecht erlitt Frankreich eine Niederlage: Es musste seine Ansprüche auf die Gebiete der Hudson Bay Company, auf Akadien und Neufundland an England abtreten. Obwohl die Company nun fest etabliert war, hinderte dies die Franco-Kanadier nicht, ihr weiterhin heftig Konkurrenz zu machen. Allerdings waren sie, da die schon erschlossenen östlichen Küstenregionen in englischem Besitz waren, gezwungen, ihre Niederlassungen mehr im Landesinneren anzulegen. Zwar waren auch die Engländer daran interessiert, den Pelzhandel mit im Nordwesten jagenden Indianern auszuweiten, doch ihre in diese Gebiete ausgeschickten Expeditionen waren ziemlich erfolglos. So ging der Kampf um die Vorherrschaft im Pelzgeschäft erbittert weiter, bis im Frieden zu Paris im Jahre 1763 Frankreich seine verbliebenen nordamerikanischen Besitzungen und damit auch Kanada an England abtreten musste.
Doch die Hudson Bay Company sollte sich über ihren Sieg nicht lange freuen können: Schottische Einwanderer hatten ohne staatliche Unterstützung zwei bedeutende private Handelsgesellschaften gegründet, die Montreal Company und die Northwest Company. Beide hatten ihren Sitz in Montreal und verschiedene Niederlassungen im ehemals französischen Kanada. Die Erfahrung französischer Pelzhändler nutzend, stießen sie immer weiter nach Nordwesten vor und schnitten die Hudson Bay Company allmählich von ihren Inlandquellen ab.
Diese neuen Gesellschaften arbeiteten nach einem strengen Leistungsprinzip, das von ihren Angestellten viel Privatinitiative erforderte. So konnten junge Männer nach einer mehrjährigen Lehrzeit in den Kontoren in Montreal zu sogenannten »Junior Clerks« aufsteigen. Die besonders Tüchtigen wurden in die Wildnis zu einer der Niederlassungen der Gesellschaften geschickt, wo sie dem »Postenchef« zur Hand gingen. Bewährten sie sich, avancierten sie zum »Clerk« und konnten nach einer gewissen Probezeit zum Leiter eines Außenpostens mit eigenem Distrikt ernannt werden. Ihr ganzer Erfolg hing nun von ihren Pelzlieferungen nach Montreal ab. Um erfolgreich zu sein, mussten sie neue Fanggebiete erschließen und mit den Indianern, die in ihrem Distrikt auf Jagd gingen, handelseinig werden. Konnten die jungen Postenchefs die Gewinne für ihre Gesellschaft so beträchtlich erhöhen, dass sie unentbehrlich wurden, erklärte man sie zu Partnern, d. h. zu Mitgesellschaftern der Company.
Für viele junge Männer, die diese Laufbahn einschlugen, gab es ein leuchtendes Vorbild: Alexander MacKenzie.
Wahrscheinlich 1755 in Inverness in Schottland geboren – leider gibt es über ihn nur wenige gesicherte biografische Daten –, kam er ungefähr im Alter von zehn Jahren als Halbwaise mit seinem Vater nach New York, wo Verwandte lebten. Als 1775 in Neu-England der Unabhängigkeitskrieg Nordamerikas ausbrach, kämpfte MacKenzies Vater aufseiten der königlichen Truppen Georgs III. und fiel. Der junge Alexander wurde von Verwandten nach Montreal geschickt, wo er 1779 in die Dienste der Montreal Company eintrat. Schon nach zwei Jahren war er persönlicher Sekretär des Direktors der Gesellschaft, Alexander MacLeod, nach vier Jahren bekam er Handlungsvollmacht, und kurz darauf wurde er als Postenchef nach Detroit, damals noch eine kleine Siedlung am Rande der Wildnis, beordert. Hier bewährte er sich so glänzend, dass er nach wenigen Monaten zum Partner der Montreal Company ernannt wurde, allerdings unter der Bedingung, den entlegensten Außenposten der Gesellschaft am Churchill River zu übernehmen. Diese Aufgabe war nicht ungefährlich, da er dabei in einen Distrikt vorstieß, auf den die Northwest Company Anspruch erhob. Denn schon 1773 hatte Joseph Frobisher den Churchill River entdeckt und Thomas Frobisher, der Gründer der Northwest Company, hier eine erste Niederlassung aufgebaut. Alexander MacKenzie jedoch war dieser Aufgabe gewachsen. Er überzeugte seinen Kontrahenten von der Northwest Company, Cuthbert Grant, dass es besser sei, gemeinsame Sache zu machen, und zwar gegen die Hudson Bay Company, in deren Gebiet sie ja beide eingedrungen waren. Diese Taktik leuchtete auch den Handelsherren in Montreal ein; 1784 schlossen sich die Montreal und die Northwest Company unter dem Namen der Letzteren zusammen, um gemeinsam den Kampf gegen das Handelsmonopol der Hudson Bay Company anzutreten.
Da die Hudson Bay Company bis auf die Expedition von Samuel Hearne, die er 1769 im Auftrag dieser Gesellschaft unternommen hatte1, in der Erforschung des Nordwestens von Kanada keine großen Erfolge zu verzeichnen hatte, setzte sich die neugegründete Northwest Company das Ziel, auch in diese Gebiete vorzudringen. Erstens sollten dadurch dem Pelzhandel neue Jagdgründe erschlossen werden, und zweitens wollte man, seit Langem schon ein britisches Anliegen, durch das Landesinnere die westliche Küste Nordamerikas erreichen, um auch dort koloniale Gebietsansprüche geltend machen zu können. Seit dem 15. Jahrhundert hatten sich englische Seefahrer auf die Suche nach einer Nordwestpassage durch den nordamerikanischen Kontinent begeben und versucht, an den Küsten einen schiffbaren Fluss landeinwärts zu finden: 1497/98 John Cabot, 1508/09 Sebastian Cabot, 1576 Martin Frobisher, 1610/11 Henry Hudson, 1612 Thomas Button, 1616 William Baffin, 1631 Luke Fox und 1633 Fox und Thomas James. Neben dem entdeckerischen Reiz würde eine solche Passage auch und vor allem einen kürzeren und direkteren Verbindungsweg in den Südwesten Amerikas bedeuten und damit eine billigere Absatzmöglichkeit für den Pelzhandel mit Asien, vor allem China. Denn der kostenaufwendige Handelsverkehr lief bisher über Quebec, London, Petersburg, Jakutsk und Ochotsk; die kanadischen Pelze machten somit eine Reise fast um die ganze Erde. Zur Zeit Alexander MacKenzies hatte vor allem die 1778/79 von Captain James Cook unternommene Reise Aufsehen erregt. Cook war die pazifische Küste hinaufgesegelt und in jede Bucht eingedrungen, um einen schiffbaren Fluss nach Osten zu finden – doch ohne Resultat. Er hatte im nach ihm benannten »Cooks Inlet« an der Südwestküste Alaskas wegen starken Packeises umkehren müssen. Allerdings berichtete er von großen Pelzvorkommen an dieser Küste.
Der bis dahin wagemutigste Mann der Northwest Company war ein gewisser Peter Pond, der für seine Gesellschaft einen Außenposten am Athabaska-See gegründet hatte und bis an den Peace River und den Großen Sklavensee gekommen war. Auch Cuthbert Grant und Laurent Le Roux, Angestellte der Montreal Company, hatten sich so weit ins Landesinnere vorgewagt. Nach einem längeren Erfahrungsaustausch mit diesen drei Männern fasste Alexander MacKenzie Anfang des Jahres 1789 den Plan, die Suche nach einer Nordwestpassage fortzusetzen. Er hoffte, in der Verlängerung des Peace River einen Fluss zu finden, der in nordwestlicher Richtung verliefe und in Cooks Inlet mündete, und hatte die Absicht, zu Ehren Captain Cooks diesen Fluss »Cook River« zu taufen. Da in diesem wasserreichen Land mit seinen zahllosen reißenden Strömen der Erfolg einer Expedition hauptsächlich davon abhing, ob man den Gefahren der Wildgewässer gewachsen war, bildete MacKenzie seine Mannschaft aus fünf erfahrenen und für ihre Geschicklichkeit berühmten Kanuführern: Charles Ducette, Joseph Landry, François Barrieau, Pierre de Lorme und Johann Steinbrück. Außer dem Preußen Steinbrück hatten alle französische und teilweise indianische Vorfahren. Laurent Le Roux, Clerk der Company, schloss sich ebenfalls der Expedition an. Er wollte bis zum Großen Sklavensee mitkommen und dort eine neue Niederlassung aufbauen. MacKenzie hatte außerdem drei Indianer vom Stamme der Chipewyan angeheuert, die zur Besatzung des Athabaska-Forts gehörten und seit Jahren als Pfadfinder und Dolmetscher in Diensten der Company standen. Der Bedeutendste unter ihnen war zweifellos »English Chief«. Weiße wie Indianer kannten ihn nur unter diesem Namen. Er war im Fort Princeton-of-Wales, einem Posten der Hudson Bay Company, aufgewachsen und sprach fließend Englisch. Ebenfalls zur Equipe gehörten seine beiden Frauen.
Am 3. Juni 1789 brach die Expedition MacKenzie vom Athabaska-See aus auf. Ihre Kanus waren aus Birkenrinde gefertigt, und in diesen leichten, zerbrechlichen Booten sollte sie während der nächsten 100 Tage mehr als 3000 Kilometer zurücklegen. Die Männer und Frauen mussten auf dieser Reise bitterste Kälte ertragen, reißende Stromschnellen und Wasserfälle bezwingen, steile Felsküsten emporklettern und konnten dem Tod oft nur knapp entrinnen. Mit allen Mitteln versuchte das Land, sich den Eindringlingen zu widersetzen. Dazu kamen die Angst vor den Eingeborenen, die noch nie einen Weißen zu Gesicht bekommen hatten und ihnen womöglich feindlich begegneten, und das Unglück, mehrere Male von eingeborenen Führern im Stich gelassen zu werden. Trotz aller Strapazen und Gefahren, die die Mannschaft auf sich genommen hatte, blieb diese Expedition ohne das Ergebnis, das man sich von ihr erhofft hatte. Alexander MacKenzie war aufgrund der ungenauen geografischen Angaben, die ihn die Richtung bestimmen ließen, statt nach Westen (auf dem später nach ihm benannten Fluss) über den nördlichen Polarkreis hinausgekommen. Die Expedition war am 13. Juli 1789 bei 69°14' nördl. Breite an der Küste des Arktischen Ozeans, in der heute so benannten Beaufort-See, gelandet und musste unverrichteter Dinge umkehren.
Nach seiner Rückkehr an den Athabaska-See reiste Alexander MacKenzie im Winter 1791/92 nach London, um dort seine Kenntnisse über astronomische Berechnungen und die Geografie des Westens Nordamerikas zu vertiefen. Er hatte vor, eine zweite Expedition zu wagen.
Am 10. Juli 1792 brach er erneut von Fort Chipewyan, der Niederlassung am Athabaska-See, auf; diesmal waren seine Begleiter Joseph Landry und Charles Ducette (beide zum zweiten Mal dabei), François Courtois, Jacques Beauchamp, François Beaulieux, Baptiste Bisson, zwei indianische Jäger und Dolmetscher, von denen der eine den Namen Cancre trug, und MacKenzies Hund. Zunächst einmal fuhren sie den Peace River hinauf und errichteten dort einen neuen Außenposten, Fort Fork, in dem sie überwinterten. Im Frühjahr 1793 stieß Alexander MacKay zu ihnen, ein Junior Clerk der Company, der sich auf dieser Expedition seine ersten Sporen verdienen wollte. Die eigentliche Entdeckungsreise begann am 3. Mai 1793 und führte den Peace River Cañon hinauf bis an dessen Quelle in den Rocky Mountains. Um über das riesige Felsengebirge zu kommen, mussten die Männer weite Strecken Gepäck und Kanu auf ihren Schultern tragen. Schließlich stießen sie auf den Fraser, über dessen Verlauf MacKenzie damals noch keinerlei Kenntnisse besaß. Er konnte nur hoffen, auf ihm bis an den Pazifischen Ozean zu gelangen. Doch die Berichte dort lebender Indianer überzeugten ihn davon, dass die Reise auf diesem Fluss zu lange und zu beschwerlich würde. Nur mit Mühe gelang es ihm, seine der Expedition schon müden Männer dazu zu bringen, den Fraser wieder ein Stück zurückzufahren und an einer von den Indianern angegebenen Stelle auf dem Landweg nach Westen zu marschieren. Ihr Kanu und einen Großteil des Gepäcks ließen sie zurück und erreichten nach mehreren Tagen den kleinen Fluss Bella Coola. In einem indianischen Kanu, das ihnen dort ansässige Eingeborene zur Verfügung gestellt hatten, gelangten sie zur Mündung des Flüsschens im Queen-Charlotte-Sund. Am 22. Juli 1793 hatten sie, nördlich der Vancouver-Insel, die Küste des Pazifischen Ozeans erreicht. Die Freude über das Gelingen der Expedition war allerdings getrübt, da sie von Küstenbewohnern umringt wurden, die ihnen alles andere als freundlich gesinnt waren; außerdem hatten sie noch einen äußerst mühevollen Rückweg zu bewältigen. – Am 24. August kehrten die Männer unversehrt nach Fort Fork zurück; 107 Tage waren sie unterwegs gewesen und hatten 4500 Kilometer zurückgelegt. Sie hatten zwar die Westküste erreicht, doch die Hoffnung, eine schiffbare Passage von Osten nach Westen zu finden, vom Peace River aus in den Columbia River, dessen Mündung in den Pazifik einst Captain Cook schon entdeckt hatte, zu gelangen, hatte sich nicht erfüllt. Der von MacKenzie begangene Weg war für die Northwest Company nicht effektiv genug, er barg zu viele Schwierigkeiten.
Erst Jahre später entdeckten Simon Fraser (1806/1808), David Thompson (verschiedene Expeditionen zwischen 1792 und 1812) und James Finlay, alle drei in Diensten der Northwest Company, bessere Wege über die Rocky Mountains; es sollte noch über 20 Jahre dauern, bis der Handel in Richtung Pazifikküste organisiert war und jenseits der Felsengebirge neue Außenposten entstanden. Die Besiedelung der Westküste mit weißen Kolonisten begann erst Mitte des vorigen Jahrhunderts, besonders mit der Fertigstellung der transkontinentalen Eisenbahnlinie im Jahre 1886.
Jene Gebiete, die Alexander MacKenzie als erster Weißer betrat, sind auch heute noch zum größten Teil unerschlossen und hauptsächlich von Indianern bewohnt.
Nach seiner Rückkehr ins Fort Chipewyan im Winter 1792 verbrachte Alexander MacKenzie einige Monate mit Pelzgeschäften in der Gegend um den Athabaska-See. Im Jahr darauf fuhr er nach Montreal, um dem Generalgouverneur von Kanada Bericht zu erstatten. Er wurde mit großen Ehren empfangen und seine Expedition als großartige Leistung gewürdigt. Anschließend reiste er nach London, um die Veröffentlichung seiner Tagebücher über die »Voyages« in die Wege zu leiten. Dort empfing ihn Georg III., der ihn in Anerkennung seiner Verdienste um das britische Weltreich am 10. Februar 1802 zum Ritter schlug.
Sir Alexander – wie er sich nun nennen durfte – gewann in den folgenden Jahren immer größere Bedeutung im kanadischen Pelzgeschäft. Sein großes Ziel war die Vereinigung der Hudson Bay Company mit der Northwest Company. Im Jahre 1804 versuchte er zusammen mit einem Londoner Geschäftsmann, die Hudson Bay Company aufzukaufen, was allerdings misslang. 1805 bot er im Namen seiner Gesellschaft der Hudson Bay Company jährlich 2000 Pfund, wenn sie Anteile ihrer Privilegien abtreten würde – was abgelehnt wurde. Sir Alexander, der im Winter in London und im Sommer in Montreal lebte, ließ sich zum Abgeordneten des englischen Bezirks Huntingdon County wählen und bemühte sich 1808, Mehrheitsanteile der Hudson Bay Company zu erwerben, um sie auf diesem Weg mit der Northwest Company verschmelzen zu können. Doch sein Partner, Lord Selkirk, verriet die gemeinsame Sache, indem er durch MacKenzie die meisten Anteile aufkaufen ließ und sich heimlich daranmachte, die Hudson Bay Company zu reorganisieren.
Der Kampf der Northwest Company gegen die Hudson Bay Company, die ihren Herrschaftsbereich immer noch mehr zu vergrößern suchte, wurde immer erbitterter. Sir Alexander hatte inzwischen geheiratet und eine Familie gegründet, mit der er auf einem Landgut in Avoch, Ross-shire, lebte. 1820 verstarb sein größter Feind, Lord Selkirk, doch Sir Alexander konnte daraus für seine Gesellschaft keinen Nutzen mehr ziehen. Er überlebte ihn nur um ein paar Wochen. Am 11. März 1820 erlag er in Mulnair bei Dunkeld einer plötzlichen Krankheit.
Ein Jahr nach seinem Tod zeigte sich der Erfolg seiner Bemühungen: Hudson Bay und Northwest Company schlossen sich unter der Flagge der Hudson Bay Company zusammen. Im selben Jahr (1821) erhielten die vereinigten Gesellschaften vom Parlament in London das Handelsmonopol über folgende Gebiete: 1. das Nord-Department, zwischen der Nordgrenze der USA und der Arktis im Norden, der Hudson Bay im Osten und den Rocky Mountains im Westen; 2. das Süd-Department, zwischen der James Bay, den Provinzen von Ober- und Unterkanada und der östlichen Küste der Hudson Bay; 3. das Montreal-Department, Ober- und Unterkanada und die Königlichen Außenposten, das spätere Labrador, und 4. den Columbia-District.
Lord Selkirk
Im Jahre 1867 kam die kanadische Konföderation zustande. Das Land wurde zu einem selbstständigen Staat deklariert und unter eine eigene Verwaltung gestellt. Für die britische Kolonialmacht und ihren Repräsentanten, die Hudson Bay Company, bedeutete dies das Ende ihrer Regierungsgewalt und der unbegrenzten Ausbeutung in diesem Teil der Erde.
Alexander MacKenzies Reisebericht erschien 1802 in London unter dem Titel: Voyages from Montreal, on the River St. Laurence, through the Continent of North America, to the Frozen and Pacific Oceans; in the Years, 1789 and 1793. With a preliminary Account of the Rise, Progress, and present State of the Fur trade of that Country.
Dieses Werk enthält die Tagebuchaufzeichnungen MacKenzies über beide Reisen. Was dabei besonders auffällt, ist sein Stil: MacKenzie muss mit einer scharfen Beobachtungsgabe ausgestattet gewesen sein, denn es entging ihm nicht die geringste Kleinigkeit. Minutiöse Beschreibungen ermöglichen dem Leser, der Expedition auf auch noch so kleinen Streckenabschnitten zu folgen. MacKenzie notiert jede Windung des Flusses, jede Steigung der zu überwindenden Höhen, berechnet mehrmals täglich die zurückgelegten Etappen und die dafür benötigte Zeit. Er zählt alle Tiere auf, die er zu Gesicht bekommt, beschreibt aufs Genaueste die Vegetation der durchfahrenen Landstriche und schildert bis ins kleinste Detail seine Begegnungen mit den Eingeborenen, ihr Aussehen, ihre Sitten, Waffen und Geräte. Obwohl MacKenzie keinerlei wissenschaftliche Ausbildung genossen hatte und seine Expedition aus geografischen und wirtschaftlichen Gründen unternommen wurde, ist sein botanisches und vor allem ethnologisches Interesse bemerkenswert. Wenn man dazu bedenkt, unter welch schwierigen Bedingungen er seine Aufzeichnungen anfertigen musste, nach all den Strapazen, die sich Tag für Tag wiederholten, körperlich und geistig völlig erschöpft, so ist seine Präzision und sein Durchhaltevermögen geradezu bewunderungswürdig. Was der Leser in seinen Berichten vielleicht vermissen mag, sind Farbe und Stimmung: MacKenzie schildert selten irgendwelche Eindrücke oder persönliche Empfindungen. Kein persönliches Wort verliert er über sich selbst, über seine Gefährten, über das große Abenteuer und die Gefühle, die die Männer nach der täglichen Überwindung zahlloser Gefahren gehabt haben müssen. Auch kein Wort über den eigentlichen Zweck der Expedition, über ihre Probleme und die Zweifel an ihrem Gelingen. Doch geben die Aufzeichnungen dadurch ein wahrheitsgemäßes Bild des spröden Charakters ihres Verfassers wider. Der deutsche Übersetzer des Werkes schreibt 1802 in seinem Vorwort: »Ohne Zweifel würde mancher andere, der solche Entdeckungen gemacht und solche Gefahren und Schwierigkeiten besiegt hätte, es seinem Zwecke angemessener gefunden haben, durch eine mehr für das größere Lesepublikum berechnete Verarbeitung seiner Materialien, allenfalls mit Zuziehung einer geübten Feder, einen vorteilhafteren Eindruck zu machen. Der bescheidene und in der Kunst der Schriftstellerei nicht geübte Verfasser gab der ursprünglichen Tagebuchform den Vorzug und lieferte auf diese Art ein freilich wenig anziehendes, aber des Vertrauens der Leser desto würdigeres Werk, das die nach und nach entdeckten Flüsse und Gegenden nebst deren Bewohner und die täglichen Abenteuer bloß der Zeitfolge nach, jedoch mit aller ihm in seiner Lage möglichen Genauigkeit darstellt.«
Es scheint fast, als habe Alexander MacKenzie seinen Bericht zu einem Handbuch für die ihm auf dem Fuße folgenden Pelzhändler bestimmt, mit der Intention, sie über alle Vorkommnisse, denen sie in diesen Gebieten begegnen könnten, zu informieren.
Als Grundlage für die hier vorliegende Bearbeitung diente die erste deutsche Übersetzung, die schon 1802 in Hamburg erschien. Waren betreffs der Übersetzung Zweifel angebracht, wurde parallel dazu die englische Originalausgabe herangezogen. Etwa ein Viertel des Textes fiel Kürzungen zum Opfer – zum größten Teil Stellen mit akribischen Zeit- und Ortsangaben und etwas ermüdenden Beschreibungen vereinzelter Streckenabschnitte. Dabei sollte jedoch der Verlauf der Reise nicht unterbrochen werden, sodass der Leser, gemäß der Intention MacKenzies, die Expedition Schritt für Schritt verfolgen kann.
Die dem Text hinzugefügten Anmerkungen sollen dazu dienen, die geografischen Angaben MacKenzies mit den heute bekannten Bezeichnungen zu bestimmen, Begriffe aus dem Alltagsleben der sogenannten »Nordmänner« zu erklären und den Verlauf der Reise, soweit im Text nicht ohne Weiteres verständlich, zu kommentieren. Anmerkungen des Verfassers selbst oder des Übersetzers wurden entsprechend gekennzeichnet.
Um die Übersetzung ihres zeitspezifischen Kolorits nicht zu berauben, wurde sie bis auf stilistische, grammatikalische und orthografische Korrekturen unverändert übernommen, lediglich bei allzu antiquierter Diktion etwas modernisiert. Eigennamen und geografische Bezeichnungen wurden, wenn sie in ihrer englischen Schreibweise in deutschen Atlanten und Lexika zu finden sind, wieder rückübersetzt bzw. dem Original entnommen.
Sicher ist dem aufmerksamen Leser nicht entgangen, dass im Titel des Werks von Alexander MacKenzie nicht nur seine beiden Reisen aufgeführt sind, sondern auch eine Abhandlung über Entwicklung und Organisation des kanadischen Pelzhandels: … With a preliminary Account of the Rise, Progress and present State of the Fur trade of that Country. Diese »Abhandlung« dient sowohl zum Verständnis der Zustände im Pelzgeschäft Nordamerikas der damaligen Zeit als auch der Ansichten MacKenzies über neue Möglichkeiten. Außerdem werden hier Begriffe erläutert, die in den Reiseberichten ganz selbstverständlich verwendet werden und die dem Leser nicht unbedingt bekannt sind. Deshalb erschien es mir sinnvoll, den Reiseberichten eine bearbeitete Kurzfassung jener auch von MacKenzie als Einführung gedachten »Geschichte des Pelzhandels« voranzustellen. – Leider kam aus Platzgründen eine Aufnahme des gesamten Textes nicht in Frage. – Durch diese nachfolgende Kurzfassung wird dem Leser ein leichterer Zugang zu den Reiseaufzeichnungen ermöglicht, und zudem kann der Charakter von MacKenzies Gesamtwerk doch einigermaßen bewahrt werden. Textgrundlage ist die in einer Reihe verschiedener Reisebeschreibungen veröffentlichte Ausgabe: Alexander Mackenzie’s Reise nach dem nördlichen Eismeere … (Weimar 1802).
Susanne Mayer
1Samuel Hearne, Abenteuer im arktischen Kanada. Auf der Suche nach der Nordwest-Passage 1769–1772. Edition Erdmann.
Als 1763 den Engländern Kanada abgetreten wurde, hatten die Clerks der Hudson Bay Company, die seit 1670 an der nördlichen und nordwestlichen Küste dieser Gegend ihre Niederlassungen hatten, nur die Ufer einiger Flüsse untersucht, die von Süden her in jenen Meerbusen münden; ebenso hatten sie dessen westliche und nördliche Buchten und Einfahrten erforschen lassen, jedoch ohne die seit Langem gesuchte Durchfahrt zu finden und ohne irgendeinen Gewinn für die Geografie zu erzielen. Die französischen Pelzhändler und Kundschafter waren dagegen von Montreal aus weit nach Westen vorgedrungen und hatten am großen Winnipeg-See und an dem ansehnlichen Fluss Saskatchewan Winterhütten oder mit Palisaden umgebene »Ostrogs« genannte Forts angelegt. Diese Entdeckungen blieben aber den europäischen Geografen verborgen: entweder, weil die kanadischen Abenteurer Gründe hatten, die Quellen ihres Handelsgewinns geheim zu halten, oder weil sie zu roh und ungebildet waren, die Lage der von ihnen bereisten Landstriche anzugeben. Weiter als oben angegeben waren die Kanadier unter französischer Herrschaft nicht gekommen. Doch sollen damals schon zwei Pelzhändler versucht haben, jenseits des Saskatchewan bis an die Südsee2 vorzudringen. Da man aber nicht weiß, welchen Weg sie wählten, wie weit ihnen ihr Vorhaben gelang und sich ihre Namen nicht erhalten haben, ist es wahrscheinlich, dass sie unter den Wilden ihr Grab fanden.
Am Ende des Siebenjährigen Kriegs waren die westlichen Grenzen Kanadas weiter ausgedehnt, als die neuen Herren des Landes mutmaßten3, und die äußersten Niederlassungen der Pelzhändler lagen auf 53° nördl. Breite und 102° westl. Länge; doch dauerte es Jahre, ehe die Engländer den durch den Krieg unterbrochenen Handel mit den Indianern wieder aufnahmen. Gründe dafür waren die Sprachschwierigkeiten mit den Eingeborenen, deren feindliche Gesinnung, da die meisten von den Franzosen gegen die neuen Herren aufgehetzt worden waren, und Kosten, Gefahren und Zeitaufwand bei der Instandsetzung der zerstörten kanadischen Handelsplätze. Um 1766 wagten es dann schließlich Kaufleute aus Montreal, den beinahe vergessenen Fußstapfen der Franzosen zu folgen und mit den Indianern bei der Grande Portage (großer Trageplatz) am Oberen See zu handeln. Einer von ihnen, ein gewisser Jakob Finley, drang bis zum Saskatchewan und sogar bis an die Felsengebirge4 vor, die eine Weiterfahrt auf dem Peace River verhinderten. Finley kam reich beladen mit Pelzwerk zurück, und diese Erfolge des westlichen Verkehrs ermunterten bald andere Kaufleute, ebenfalls jene Gegenden aufzusuchen, sodass sich die Pelzhändler von Jahr zu Jahr vermehrten, jedoch ohne miteinander in Verbindung zu stehen. Durch die allzugroße Konkurrenz und die Bemühungen der Händler, sich gegenseitig die Kunden abspenstig zu machen, verminderte sich der bisherige Gewinn, zumal 1774 die Hudson Bay Company als mutiger Nebenbuhler auftrat. Bisher hatte sie nur an der Hudson Bay Handel getrieben, wohin große Scharen von Eingeborenen mit den Erträgen ihrer Jagdzüge zu ziehen pflegten, nun ließ sie die in ihren Diensten stehenden Pelzjäger ebenfalls das westliche Kanada durchstreifen. Sie zerstreuten sich überall in den südwestlichen Gebieten und besetzten die alten Niederlassungen der ehemaligen kanadischen Händler.
Auch der amerikanische Krieg, der um diese Zeit ausbrach5, hatte nachteiligen Einfluss auf den Pelzhandel. Doch hauptsächlich schadeten ihm die Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Interessenten, an denen auch die Eingeborenen teilnahmen, die oftmals unter ihnen lebende Kaufleute ausplünderten oder totschlugen. Dazu kam, dass sich unter den westlichen Stämmen die Blattern ausbreiteten und verheerende Wirkungen zeigten; ganze Stämme starben hinweg, und viele Überlebende verließen ihre alten Jagdgründe. Da die Pelzhändler nun nicht mehr ihre mitgebrachten Waren absetzen und gegen Pelze eintauschen konnten, geriet der gesamte kanadische Pelzhandel ins Stocken.
Doch gab es einzelne Kaufleute, die aus dieser Misere ihre Vorteile zogen, so unter anderen ein gewisser Frobisher, der Gründer der Northwest Company. Er hatte das Glück gehabt, nahe den Quellen des Churchill auf eine Gruppe Indianer zu stoßen, die, reich mit Pelzen beladen, auf ihrem gewohnten Weg zu der Niederlassung der Hudson Bay Company an der Hudson Bay6 waren. Frobisher bot ihnen seine Waren an und überzeugte sie von dem Vorteil, mit ihm und seinen Gefährten zu handeln, da sie dadurch den weiten Weg zur Hudson Bay nicht mehr machen müssten, der nur unter den größten Strapazen zurückgelegt werden konnte. Die Eingeborenen wurden um so lieber mit ihm handelseinig, als sie nun ihre alten Schulden bei der Hudson Bay Company nicht mehr abtragen mussten. – Frobisher wagte sich auch weiter nach Nordwesten als andere. Er erreichte den See La Crosse (55°26' nördl. Breite, 108° westl. Länge) und beschiffte danach den Athabaska River, der sich in den Athabaska-See verliert. Hier ist gegenwärtig ein Hauptsitz des westlichen Pelzhandels.
Um den bislang so einträglichen Handel mit den Eingeborenen in festere Bahnen zu lenken, gründeten mehrere Kaufleute im Jahre 1784 die Handelsgesellschaft von Montreal. Anfangs bestand sie nur aus 16 Mitgliedern oder Aktieninhabern, deren Einlagen lediglich aus Waren bestanden, die man den Eingeborenen zum Tausch gegen Pelze anbieten wollte. Diese bestellten sie aus England und transportierten sie im Frühjahr zu den westlichen Niederlassungen; dort nahmen sie die bisher eingetauschten Pelzwaren in Empfang, brachten sie nach Montreal zurück und schickten sie nach London zum Verkauf. Die im Innern des Landes zwischen Oberem See und Athabaska-See in ihren Blockhäusern verstreut lebenden Pelzhändler wurden entweder Teilhaber dieser Gesellschaft oder traten als Clerks, Dolmetscher, Wegweiser oder Kanuführer in deren Dienste. Letztere erhielten eine ihrer anstrengenden Tätigkeit angemessene Bezahlung, und die angesehensten und vermögendsten unter ihnen wurden nach Verlauf einiger Jahre in die Gesellschaft aufgenommen oder am Gewinn beteiligt. Das eingetauschte Pelzwerk musste jährlich im Frühjahr über die vielen Flüsse und Seen des westlichen Kanadas an die Grande Portage gebracht werden, wo sich dann einige Agenten der Montreal Company mit den benötigten Tauschwaren einfanden, die Abrechnungen vornahmen und eventuell für neue Leute sorgten, um den Handel dauernd in Schwung zu halten.
Im Jahre 1788 bestand der Handelsfonds der Gesellschaft aus 40 000 Pfund Sterling; 1799 waren es 120 000 Pfund.
Wegen des weiten Weges, den die europäischen Handelsartikel und die kanadischen Retourwaren zurücklegen müssen, wegen des langen Winters, der die kanadischen Flüsse fast die Hälfte des Jahres unbeschiffbar macht, und wegen der hohen Transportkosten, die dem Wert der Handelsgüter etwa entsprechen, konnte die Gesellschaft erst nach Verlauf einiger Jahre mit einem Gewinn rechnen.
Handel im Jahre 17987: |
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Bestellungen der Tauschartikel nach London |
25. Okt. 1796 |
Waren aus London verschifft |
März 1797 |
Ankunft der Waren in Montreal |
Juni 1797 |
Dortige Sortierung und Verpackung in Ballen, Versand von Montreal aus |
Mai 1798 |
Ankunft im folgenden Winter bei den Pelzhändlern, gegen Pelzwerk der Indianer eingetauscht |
1798–1799 |
Pelzwerk kommt in Montreal an, |
Sept. 1799 |
wird nach London verschifft, dort verkauft, |
März und April 1800 |
bezahlt |
Mai oder Juni 1800 |
Die zum Handel benötigten Waren bestanden aus verschiedenen groben Stoffen, wollenem Zeug, Decken, Waffen, Pulver und Blei, Rauch- und Schnupftabak, Manchesterstoffen, Leinwand, allen Gattungen von Eisenwaren, eisernen und kupfernen Kesseln, Eisenblech, seidenen und baumwollenen Schnupftüchern, Strümpfen, Schuhen, Hüten und aus Kattun. Branntwein und Lebensmittel wurden in Kanada eingekauft.
Der Ertrag der kanadischen Wildnis, der im Jahre 1799 nach England versandt wurde, setzte sich folgendermaßen zusammen:
Biber |
160 000 Felle |
Bären |
2 000 Felle |
Fuchs |
15 000 Felle |
Junge Fische (geräuchert) |
4 000 |
Otter |
4 600 Felle |
Musquash (Biberkatze) |
17 000 Felle |
Marder |
32 000 Felle |
Mink (Sumpfotter) |
1 800 Felle |
Lachshäute |
6 000 Felle |
Wolferine (Wolfsbär; Katzenart) |
600 Felle |
Fischer (Wieselart) |
150 Felle |
Racoon (Waschbär) |
100 Felle |
Wolf |
3 800 Felle |
Elch |
700 Felle |
Reh |
750 Felle |
Gegerbte Rehfelle |
100 Felle |
Büffel |
500 Felle |
In den ersten Jahren, als der Pelzhandel wieder Aufschwung hatte, wurde in Montreal Pelzwerk für 225 000 Pfund Sterling gehandelt. Allerdings kam dies aus zwei verschiedenen Gebieten, teils von Detroit, teils von der Grande Portage. Davon gingen etwa ein Achtel aller Biberfelle, ein Drittel der Otterfelle und etwa die Hälfte der Felle junger Füchse in die amerikanischen Freistaaten, weil sie von dort leichter und schneller nach China abgesetzt werden konnten. Denn geht der Versand von London aus, ist es sehr schwer, dafür in China Retourware zu bekommen; sie kann nur auf die Schiffe der Ostindien-Company geladen werden, die mit den Chinesen Handelsbeziehungen hat. Außerdem müssen Privatkaufleute außer der Fracht an diese Gesellschaft noch einen gewissen Prozentsatz an Waren bezahlen. Auf amerikanischen Schiffen hingegen findet das Pelzwerk schnelleren Absatz, die Retourwaren werden ohne jede Einschränkung verladen und innerhalb Jahresfrist verkauft; vielleicht geht künftig das gesamte nordamerikanische Pelzwerk den Weg über New York und Philadelphia nach China!
Der Biber – meistgejagtes Pelztier
Die Anzahl der mit diesem Pelzhandel Beschäftigten beläuft sich auf 1300 Mann: 50 Clerks oder Handelsbedienstete der Gesellschaft, 71 Dolmetscher, 1120 Kanuführer und 35 Wegweiser. Da die Waren in Kanus aus Rinden transportiert werden, ist bei acht bis zehn Fahrzeugen immer ein Wegweiser oder Führer vonnöten. Ein Teil der angeführten Mannschaft bringt den Sommer über, von Mai bis Ende September, die Waren von Montreal an die Grande Portage, der andere Teil kommt aus dem Landesinneren, schafft die eingetauschten Pelze dorthin und nimmt die Waren des ersteren mit zurück. Ein Wegweiser erhält für diese Reise 800 bis 1000 Livres nebst Kleidung und Kost. Die Kanuführer sind, je nach Geschicklichkeit, in drei Klassen unterteilt und bekommen zwischen 200 und 600 Livres nebst Decken, einem Hemd, Paddel und Lebensmitteln. Sie dürfen auch ein wenig Handel treiben. Diejenigen, die von der Grande Portage aus weiterreisen und den Winter über im Landesinneren bleiben, erhalten doppelten Sold und auch mehr Kleidungsstücke. Die eigentlichen Pelzhändler oder Clerks, die unter den Eingeborenen leben, werden jahresweise angestellt. Manche bleiben bis zu drei Jahren in den Niederlassungen. Die Handelsdiener oder Lehrlinge8 müssen sich auf fünf oder sieben Jahre verpflichten, die Geschäfte der Gesellschaft in den nordwestlichen Niederlassungen zu regeln, und erhalten dafür 100 Pfund Sterling nebst Kleidung und Kost. Haben sie ausgelernt und ist keine Stelle frei, um weiterhin bei der Gesellschaft zu bleiben und für sie Handel zu treiben, so bekommen sie 300 Pfund Sterling Abfindung. Die Kanuführer, die in den verschiedenen Niederlassungen gebraucht und auch Nordmänner oder Winterer genannt werden, haben ein jährliches Gehalt von 400 bis 1200 Livres. Neben doppelter Kleidung haben sie Anspruch auf 14 Pfund Tabak und andere Kleinigkeiten. Normalerweise leben mit den Kanuführern der untersten Klasse etwa 700 indianische Frauen und Kinder. Auch diese müssen von der Gesellschaft ausgehalten werden.
décharge.portage;