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Herstellung und Verlag:

Books on Demand GmbH, Norderstedt 2015

ISBN: 978-3-7412-1340-3

1. Auflage, 2016

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Nachdem nun der zweiwöchige Aufenthalt meines Freundes Johannes Gericke beendet ist, hier in meiner Heimatstadt Tangermünde beendet ist und Johannes Gericke wieder auf den Weg zurück nach Rom ist, in das Flugzeug nach Rom gestiegen ist, um dort in der so genannten ewigen Stadt wieder zu lehren, zu dozieren, an der Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz, nun endlich nach Johannes Gerickes Weggang, nach seinem Abschied aus Tangermünde habe ich die Zeit gefunden, all das niederzuschreiben, von mir weg zu schreiben, was mich die letzten zwei Wochen während Johannes Gerickes Aufenthalt bewegt hat, durch Johannes bewegt hat, durch seine Gespräche bewegt hat, durch seine Art wie er sprach, denn fast immer ist nicht das entscheidend, was wir sagen, sondern wie wir es sagen, im Leben geht es nicht um das Was, sondern um das Wie, um den Stil, die Form, die Beschaffenheit, endlich nun nach diesen zwei Wochen kann ich mich in Ruhe hinsetzen, beobachte ab und an die Strahlen der Sonne auf die Tangerniederungen, die Elbwiesen, die Landschaft bei Tangermünde, die eine der schönsten Landschaften der Welt für mich ist, für immer mehr Touristen ist, auch für Menschen wie Johannes Gericke ist, Menschen wie er, die nicht mehr in der Großstadt atmen können, nicht mehr denken können, nicht mehr fühlen können, nur noch dumpf, platt, am Boden sind, wie man so schön sagt. Wenn du am Boden bist, dann komm in die Altmark, hatte ich zu Gericke gesagt, wenn du nicht mehr kannst, komm nach Tangermünde, dieser Ort gibt dir neue Kraft, dieser Ort gibt dir Ruhe, dieser Ort bringt dir deine Gelassenheit zurück, wenn du nicht mehr kannst, dann musst du deine Koffer packen, oder noch besser, gar keine Koffer packen, einfach fahren, drauf los fahren, und du musst den Ort wechseln, wenn du innere Orte nicht wechseln kannst, dann müssen es eben die äußeren Orte sein, jeder Ortwechsel ist ein Wechsel des Raumes, letztlich hat mich in meinem Leben keine Frage so sehr beschäftigt wie die Frage nach inneren und äußeren Räumen, nach der Beschaffenheit meines inneren Raumes und das nie enden wollende Interesse an meinem äußeren Raum, den ich teile, mit meinen mir nahestehenden Menschen teile, mit den in Tangermünde lebenden Menschen teile, und den ich nun auch für zwei Wochen mit Gericke teilte, geteilt habe, Johannes Gericke, der für zwei Wochen in Tangermünde runter kam, wie man so schön sagt, der vollkommen zur Ruhe kam. Du kannst gar nicht anders als in dieser Stadt zur Ruhe zu kommen, hatte ich zu Johannes gesagt, du kannst gar nicht anders als deinen Pulsschlag senken zu lassen und deine Atmung zu vertiefen, es fängt mit der Luft hier an, hatte ich zu Johannes gesagt, keine Abgase, keine Industrie, keine Schadstoffe, keine Menschenmassengiftstoffe, nur Elbwasser, Wiesen, blühende Felder, das ist es nun, was du im Frühjahr, im frühen Sommer zu riechen, zu atmen bekommst, reine Luft, gute Luft, Tangermünde mit seiner tausendjährigen Geschichte, mit seiner Altstadt, mit den Gassen, mit seinem lebendigen Mittelalter bringt dich dann sowieso runter, hatte ich zu Johannes gesagt, von der Millionenstadt Rom in die Kleinstadt Tangermünde, das ist es, was du jetzt brauchst, hatte ich zu Gericke gesagt, genau das, denn es ist die einzige Art mit Gericke zu reden, eindringlich, deutlich, manchmal auch überzogen, radikal, weil Gericke ein durch und durch radikaler Typ ist, ein radikaler Denker, ein radikal Handelnder, Johannes Gericke, der Experte für Kunstgeschichte, für Literatur, Johannes Gericke, der geschieden lebende Universitätsprofessor, der in Rom wahrscheinlich nur wieder eine Zwischenstation gefunden hat, der immer reisen muss, immer aktiv ist, aktiv im Sinn des Unstetig-Seins, an keinen Ort der Welt wirklich angekommen ist, und auch nicht in Tangermünde ankommen wird, vielleicht wird er hier für eine Zeit zur Ruhe kommen, vielleicht wird er hier zur Ruhe kommen, für eine Weile zur Ruhe kommen, und vielleicht nimmt er diese Ruhe dann mit nach Rom, in die Welt, ich denke schon, dass ihm diese zwei Wochen hier in Tangermünde guttaten, dass diese zwei Wochen für ihn erhellend, beruhigend, befriedigend waren, für mich waren es zwei inspirierende Wochen, mich bereichernde Wochen, es ist für mich ein großer Glücksfall, Johannes Gericke vor fünf Jahren getroffen zu haben, damals noch in meiner Rolle als Student der Bildungswissenschaft, ihn als Gastdozent kennengelernt zu haben, und es ist nach wie vor ein großer Glücksfall so einen Menschen wie ihn als Freund zählen zu dürfen, auch wenn wir uns selten sehen, viel zu selten sehen, ist unsere Freundschaft tief und für uns beide ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens, unseres Denkens geworden, Johannes Gericke, der bis heute zwar dutzende Schriften zur Kunstgeschichte, besonders der mittelalterlichen Kunstgeschichte, und auch zur Literatur verfasst hat, aber der mir immer noch sagt, dass er bis heute nichts wirklich entscheidendes gesagt oder geschrieben hat, nichts, was ihn bewegt, wirklich bewegt. Letztlich unterrichte ich an einer Universität heranwachsende Kunststudenten, ich erschließe ihnen die Kunst, die Räume der Kunst, die nahezu unendlich verschachtelten Räume der Kunst und dennoch sage ich ihnen eigentlich nichts, sagte Gericke zu mir, letztlich habe ich alles über die Kunst gesagt, was es dazu zu sagen und zu schreiben gibt, und doch habe ich nichts gesagt, ich habe alles über die Formen der Welt gesagt, alles über die Kunstformen der Welt gesagt, aber was habe ich damit wirklich gesagt, fragte mich Gericke, wir können so viel reden wie wir wollen, wir können versuchen, so viel zu sagen wie wir wollen, und doch bleiben wir am Ende immer stammelnd, immer nichtssagend, kein Gedanke hat mein Leben mehr beeinflusst als der Gedanke, dass der Raum der Stille, der Raum des Schweigens mehr sagt als jedes gesprochene, geschriebene Wort dieser Welt, und es ist eine zentrale Erkenntnis meines Lebens, meines Fühlens, meines Denkens, dass dieser stille Raum für die allermeisten Menschen nicht hörbar ist, nicht mehr hörbar geworden ist, die allermeisten Menschen haben keinen Zugang mehr zu diesem Raum, wenn sie ihn denn überhaupt einmal hatten, einmal als Kind hatten, als Säugling, im Mutterleib, wer weiß schon wann, wann überhaupt, es gibt in Tangermünde diese Räume der Stille, aber es sind nur solche Räume, weil wir in diesen Räumen besser zu unserer inneren Stille einkehren können, aber ein Mensch, der keine innere Stille hat, wird sie an keinem äußeren Ort dieser Welt finden, und auch ich muss mir jeden Tag aufs Neue eingestehen, dass ich mich nach diesen Räumen der Stille sehne, auch nach meiner inneren Stille sehne, dass ich es aber immer noch nicht gelernt habe, nicht richtig gelernt habe, zur Ruhe zu kommen, wirklich zur Ruhe zu kommen, vielleicht kommt das in ein paar Jahren, vielleicht auch nie, in mir ist es immer wild, ist es immer in Bewegung, ich muss mein Leben in Bewegung sehen, ich muss die Bewegung spüren, ich kann nicht stillstehen, auch diese Zeit hier in Tangermünde wird für mich nur ein Intermezzo sein, ein schönes Intermezzo sein, ja, es ist toll, mit dir Zeit zu verbringen, Michael, es ist anregend, produktiv, hatte Gericke zu mir gesagt, aber es ist auch eine Zeit, die für mich nur der nächste Schritt zu etwas anderem ist, ich kann hier nicht so verweilen, kann hier nicht wie du verweilen, ich konnte noch nie in meinem Leben lange an einem Ort bleiben, hatte Gericke zu mir gesagt. Hier unterbrach er seine Gedanken, sein Gesagtes und schaute mit ruhigem, vertieftem Blick auf die Ufer der Elbe, auf die Sandbuhnen, auf die Reiher, die ganz in der Nähe aufflogen und unvermittelt redete Gericke dann wieder auf mich ein. Letztlich denke ich seit einigen Jahren diesen einen Gedanken immer wieder, diesen einen Gedanken, der immer wieder mein Leben und mein Arbeiten, mein wissenschaftliches Arbeiten beherrscht und doch haben ich zu diesem Gedanken noch nichts geschrieben, noch niemanden davon erzählt, weil die Zeit noch nicht gekommen war, weil die Zeit noch nicht gekommen ist, das, was in mir ist, ist dazu nur skizzenhaft, nur bruchstückhaft und doch will ich alles zusammenfügen, einmal alles in einem Buch zusammenfügen, vielleicht in einer Art Geschichte, vielleicht treffen sich zwei Typen wie wir irgendwo in einer Kleinstadt an der Ostsee oder sonst wo und sie erzählen über diesen einen Gedanken in all seinen Ausschattierungen, vielleicht lasse ich in diesem Buch auch nur einen erzählen, immer wieder erzählen, aber ich glaube auch, dass ich dieses Buch die nächsten Jahre nicht schreiben werde, nicht schreiben kann, aus Zeitnot, auch aus der Haltung heraus, dass mein Geschriebenes nicht das wiedergeben kann, was in mir ist, vielleicht schreibst du eines Tages den Gedanken auf, die Gedanken auf, alle Gedanken auf, Michael, vielleicht solltest du das irgendwann machen, warum nicht, redete Johannes auf mich ein, vielleicht wäre das wirklich das Beste, es wäre das Beste, wenn ich oder wenn du einen Weg fänden, das niederzuschreiben, woran ich innerlich schon seit einigen Jahren wälze, es ist mir letztlich auch egal, wer es schreibt, in unseren Gesprächen kann ich mein Ich und dein Ich, kann ich meine Gedanken und deine Gedanken nicht mehr auseinanderhalten, und da wir beide nicht eitel strukturiert sind, nicht egozentrisch strukturiert sind, sondern weil wir beide ebenso strukturiert sind wie wir strukturiert sind, macht es am Ende keinen Unterschied wer schreibt, es zählt nur, dass geschrieben wird, mich beschäftigt nichts so sehr wie dieser eine Gedanke, dass in meinem Leben die Angst immer die zentrale Rolle gespielt hat, aktuell immer noch spielt und wohl auch immer spielen wird, ich habe über nichts so sehr nachgedacht wie über die Angst, ich weiß alles über die Angst, über meine Angst, über deine Angst, über die Angst der Menschen, über die Angst der Menschen in allen Lebensbereichen, in allen Situationen, Konstellationen, und ich glaube, dass es Zeit ist, über diese Gedanken zu sprechen, über die Angst zu sprechen, denn nur dann, wenn wir versuchen, etwas in Worte zu fassen, können wir diesem Prozess eine Form geben, eine mögliche Form geben, eine Form von vielen geben, eine Form, über die sich sprechen lässt, die etwas zeigt, und wenn ich etwas zeigen möchte, wenn ich etwas in Worte gießen möchte, dann ist es der Gedanke, dass unsere moderne Gesellschaft eine Gesellschaft ist, die durch nichts anderes als die Angst zusammengehalten wird, eigentlich wollte ich immer sagen, dass unsere Gesellschaft auch durch die Liebe zusammengehalten wird, dass die Liebe der wahre Zusammenhalt unserer Gesellschaft, unserer modernen Gesellschaft ist, dass es die Liebe ist, die Liebe alles ist, aber das ist Blödsinn, das ist Bullshit, das ist Quatsch, Michael, glaube nicht, dass es die Liebe ist, die diese Gesellschaft zusammenhält, wenn du das denkst, dann hast du den ersten Fehler und den folgeschwersten Fehler schon gemacht, zu denken, dass es nicht etwa um die Angst geht, sondern um etwas anderes, vielleicht geht es manchen Menschen im Leben, in ihrem Leben um etwas andereswillkanndie Liebe ist der Stille-Ort und zugleich ist die Liebe ein sprachloser Nicht-Ort, ein Nicht-Ort, von dem man nicht sprechen kannich kann dir alles über die Angst sagenwirklichmussbeherrschterst dannerkennenbrechenallesinnere RevolutionRevolution des Herzensmit sich selbstmit der Gesellschaftmit den allermeisten Menschen um einen herumden einen Wegeinenalledieallesnichts,sein solltenwerdennichtskönnenkannwelchermuss,wahre FamilielächerlichVergessenErinnerungweil ich es nicht wissen kann, interessiert es mich nichtdas immerwährende Wechseln der Form als Formgeberdie Suche nach dem Weg selbst ist die reine Angstwer mit sich selbst im reinen ist und dadurch in sich selbst ruht, der sucht nicht, sondern findet permanent.ich habe keine Wertung mehr vorgenommen, ich habe nur noch Geschichten gesehen, gehört, ich habe immer nur Geschichten gesehen, von Menschen, die von sich und ihrem Weg erzählendie alles entscheidende Kunst ist innerlich, gedanklich zwischen allen bekannten Geschichten wechseln zu könnendu bist der Geschichtenzuhörer, der Geschichtenformer und der Geschichtenerzählerwirklichwirklichwirklichwirklichnichtswirklich