Hochhausmusik

Von Dietmar Cuntz

 

Inhaltsverzeichnis:

Hochhausmusik

Anhang

Der Familienbetrieb Brighton Verlag®

Impressum

 

 

1

Manchmal kann ein verdächtiges Geräusch unter hunderten von Nebengeräuschen schlechter erkannt werden, als ein einzelner Zigarettenstummel an einer belebten Bushaltestelle gefunden werden kann. Ein Hochhaus in Frankfurt am frühen Sonntagabend bietet eine Fülle von Lärmquellen, Staubsaugergeräusche, Schleudern einer Waschmaschine, Jaulen eines Hundes, Fernsehprogramm, Musik aus dem Radio und nicht zuletzt der Klavier-spielende Mieter. Das Pfeifen eines Wellensittichs geht in diesem Klangbrei genauso unter wie der aufgesetzte Schuss aus einer Glock 17.

 

Ein zwölfstöckiges Hochhaus in der Bernadottestraße Frankfurt an einem regnerischen Oktoberabend saugt alle Geräusche in sich auf und lässt die Mieter doch nicht erkennen, was wirklich geschieht. Zu undeutlich sind die Geräusche, um zugeordnet werden zu können. Ein dumpfer Ton, das Rattern der Waschmaschine oder das Dröhnen von Discoklängen. Mancher Ton versiegt bevor er eingeordnet werden kann. Das menschliche Gedächtnis ist begrenzt und kann sich schon nach wenigen Sekunden nicht mehr an einen besonderen Klang erinnern und ihn noch weniger zuordnen. Alles wird durch neue Eindrücke verwischt.

Marie Walz, eine ältere, über achtzigjährige, Mieterin im siebten Stock dieses Hauses, hatte nach langer Zeit mal wieder das Bedürfnis auf ihrem Klavier zu spielen. Sie übte einige leichte Stücke von Mozart und Schumann. Tief versunken war sie in ihrem Spiel und spürte, dass sich ihre Finger beim Spielen lockerten und leicht über die Tasten glitten. Plötzlich wurde sie durch einen Knall unterbrochen. Was hatte dieses Geräusch zu bedeuten? Sie stand auf und legte die Klaviernoten zur Seite. Eine gewisse Angst überkam sie. Zwar war sie es gewohnt, verschiedene, laute und aufdringliche Geräusche zu hören. Sie lebte bereits über dreißig Jahre in diesem Haus und hatte einiges erlebt. Aber dieser Knall, der für den Bruchteil einer Sekunde sämtlichen anderen Lärm übertönte, ließ ihr keine Ruhe. Sie beschloss, eine Nachbarin, die im zweiten Stock wohnte, zu fragen. Vielleicht hatte diese ebenfalls den Knall gehört und wusste, was er zu bedeuten hatte.

Marie zog ihre Schuhe und Jacke an und suchte nach ihrem Wohnungsschlüssel. In ihrer Aufregung brauchte sie einige Zeit, um ihn zu finden. Kann ich die Wohnung überhaupt verlassen? Sie wusste nicht, was sie außerhalb ihrer Wohnung erwarten würde. War es nicht besser, die Wohnungstür zu verschließen und die Nachbarin anzurufen? Einige Minuten saß sie auf ihrer Couch und grübelte, was zu machen wäre. Schließlich griff sie zu ihrem Handy und rief ihre Nachbarin Bertha Krause an. Sie ließ es über zwei Minuten klingeln und gab schließlich auf. Bertha war anscheinend nicht zu Hause - oder sie hörte ihr Telefon schlichtweg nicht. Ihre Nachbarin war für sie die nächste und eigentliche Bezugsperson in diesem Haus. Obwohl Marie bereits so lange hier lebte, hatte sie nur wenig Kontakte zu den Nachbarn. Von den über vierzig Mietparteien, die hier wohnten, kannte sie vom Namen höchstens fünf und vom Sehen auch nicht mehr als vielleicht zwölf Personen. Es war ein ständiger Wechsel. Viele ihrer Nachbarn, die etwa zur selben Zeit wie sie eingezogen waren und längere Zeit hier gelebt hatten, waren zwischenzeitlich verstorben oder in ein Pflegeheim gezogen. Bertha und sie waren eigentlich die letzten Mieter, die so lange hier lebten, oder sollte man sagen, überlebten.

Natürlich könnte sie jetzt auch den Hausmeister anrufen, der im neunten Stock eine Wohnung hatte. Aber sie bezweifelte, ob er überhaupt zu Hause war und den Knall gehört hatte. Marie tat nichts dergleichen. Sie setzte sich wieder ans Klavier und versuchte erneut, einen harmonischen Klang zu erzeugen. Ihre Finger gehorchten ihr nicht. So beweglich wie sie vor einigen Minuten gewesen waren, so verkrampft und schwerfällig waren sie jetzt. Es wollte ihr nicht gelingen, wieder einen Rhythmus zu finden und zu einem flüssigen Spiel zu kommen. Grausam hörte sich dieses Geklimper an.

Genervt und enttäuscht brach sie ihre Übung ab, klappte den Deckel verärgert auf die Tasten und setzte sich wieder auf die Couch. Sie hatte üble Laune und dachte wieder an den lauten Knall, der sie so jäh und unsanft unterbrochen hatte. Traurig und nachdenklich nippte sie an einem Tee, den sie vor einiger Zeit aufgebrüht und auf einem Stövchen warmgehalten hatte und wärmte ihre Hand an der Tasse. Es gelang ihr nicht, an andere Dinge zu denken, zu sehr hatte sie dieses Geräusch in den Bann gezogen. Sie griff nach ihrem Handy und wählte die Notrufnummer.

Es meldete sich eine weibliche Stimme. „Notruf Frankfurt, was ist passiert?“ „Ich habe gerade einen lauten Knall gehört, vermutlich ein Schuss“, erklärte Marie aufgeregt. „Wie ist ihr Name und wo wohnen Sie?“, fragte die Frau in einem beruhigenden Ton. „In der Bernadottestraße Nummer 166a“ „Und ihr Name?“ „Marie Walz, siebter Stock.“ „Gut, bleiben Sie in ihrer Wohnung, wir schicken jemand vorbei.“ Noch bevor Marie etwas entgegnen konnte, war das Gespräch beendet worden. Marie legte das Telefon auf den Tisch zurück. Wie lange würde es dauern, bis Polizeibeamte kommen würden? Die Stimme am Telefon klang nicht danach, als hätte man es eilig, ihrer Bitte zu entsprechen. Marie vermutete, dass Beamte des Reviers in der Nordweststadt benachrichtigt werden würden und, obwohl dieses nur etwa fünfhundert Meter entfernt lag, frühestens in einer halben Stunde aufkreuzen würden. Bis dahin konnte einiges passieren. Vor allem konnte der Schütze dann längst das Haus verlassen haben.

Marie ging zum Fenster und betrachtete hinter ihren durchsichtigen Gardinen den Bereich vor dem Haus. Graue und düstere Stimmung breitete sich aus, ein ungepflegter Vorgarten, der mit Sperrmüll vollgestellt war. Einige alte Schränke und Matratzen, die zur Entsorgung abgestellt worden waren. Sicher standen diese Sachen schon einige Tage dort. Der Eingang zum Haus war völlig dunkel und wirkte gespenstisch. Einige Minuten sah sie auf die Straße und wartete aufgeregt auf den Polizeiwagen. Nur wenige Fahrzeuge kamen aus dem Ollenhauer-Ring, um über die Bernadottestraße in Richtung Nordwestkrankenhaus zu fahren. Und auch aus der anderen Richtung kamen kaum Fahrzeuge.

Erst nach etwa zwanzig Minuten sah Marie einen Streifenwagen, der in die Straße einbog. Das Fahrzeug hielt vor dem Haus auf der Fahrbahn an. Anscheinend überlegten der Fahrer und seine Begleiterin, ob sie einen Parkplatz suchen sollten. Der Motor wurde abgeschaltet, die Beleuchtung jedoch nicht. Das Fahrzeug blieb auf der Straße stehen. Marie betrachtete die Polizeibeamten, die langsam und ohne besondere Eile ausstiegen und zu dem Haus schauten. Es fand eine kurze Unterhaltung statt, deren Worte sie nicht verstehen konnten.

Anschließend liefen die Polizeikommissare Ellen Witt und Claudio Zagallo auf das Haus zu. Sie suchten auf der Klingelanlage nach dem Namen Walz im siebten Stock. Da es kein Licht im Außenbereich des Hauses gab, brauchten sie etwas Zeit, um den Namen zu finden. Sie klingelten bei Marie Walz. Diese versicherte sich über die Sprechanlage, dass es sich tatsächlich um Polizisten handelte und öffnete anschließend die Haustür. Die Beamten fuhren mit dem Aufzug in den siebten Stock und suchten anschließend die Wohnung von Marie.

 

Als Marie die Schritte von Personen auf ihrer Etage hörte, öffnete sie vorsichtig die Tür einen Spalt. Mit einer Kette hatte sie die Tür vor einer weiteren Öffnung abgesichert. „Sind Sie Frau Walz?“, fragte Ellen Witt und wies sich mit einem Ausweis aus. „Ja, ich habe Sie gerufen“, erwiderte Marie und öffnete den uniformierten Beamten die Tür vollständig, nachdem sie die Kette gelöst hatte. Sie gab den Polizisten ein Zeichen, die Wohnung zu betreten. „Kommen Sie in die Wohnung, wir müssen nicht auf den Flur sprechen.“ Ellen Witt und ihr Kollege folgten dieser Aufforderung und gingen in Maries Wohnung. Gemeinsam mit Marie setzten sie sich an einen Tisch im Wohnzimmer. „Was genau haben Sie gehört?“, fragte Kommissarin Witt, die die Aufregung von Marie spürte und versuchte, sie durch einen sachlichen Ton zu beruhigen. „Ich war vertieft ins Klavierspielen und habe plötzlich einen lauten Knall gehört. Ich bin mir sicher, dass es ein Schuss war.“ „Warum?“ „Weil es sich so angehört hat.“ „Gab es noch andere Geräusche, auf die sie während des Spielens geachtet haben?“ Marie überlegte. „Irgendwo lief eine Waschmaschine, ein Fernseher. Da ich das Fenster gekippt hatte, habe ich gelegentlich Fahrzeuge und Flugzeuge gehört. Aber nicht weiter darauf geachtet. Irgendwelche Geräusche gibt es immer.“ „Und der Knall hat sie erschreckt?“ Marie nickte. „Wissen Sie, woher er kam? Unter Ihnen oder in den oberen Stockwerken?“ „Ich bin mir sicher, dass er von unten kam.“ „Kann er auch von der Straße gekommen sein?“ Marie grübelte, daran hatte sie bisher nicht gedacht. „Ich glaube, ich habe kurz danach aus dem Fenster gesehen und nichts bemerkt. Deshalb bin ich mir eigentlich sicher, dass er aus dem Haus kam.“ „Hat kurz danach jemand das Haus verlassen?“ Marie zuckte mit den Schultern. „Weiß ich nicht, erst nach zehn Minuten habe ich wieder aus dem Fenster gesehen.“

Die Kommissare sahen sich an. Beide hatten keine große Lust auf eine aufwendige Befragung der Nachbarn. Aber zumindest mit zwei oder drei Nachbarn konnten sie sprechen, wenn sie schon hier waren. „Wir werden versuchen mit anderen Nachbarn hier im Haus zu sprechen...und kommen später nochmal zu Ihnen“, erklärte Kommissarin Witt. „Was soll ich machen?“ „Bleiben Sie in Ihrer Wohnung. Wir sind im Haus. Wenn Sie etwas Verdächtiges hören, rufen Sie an!“ Die Kommissarin gab Marie eine Karte, auf der die Telefonnummer des Polizeireviers stand. „Unter dieser Nummer erreichen Sie uns.“

Die Kommissare standen auf und verließen Maries Wohnung. Marie sah den Beamten verängstigt nach. Sie hatte nicht das Gefühl, dass die Polizisten mehr als eine kurze Routineüberprüfung durchführen würden. Wenn sie niemand antreffen würden, würden sie nichts weiter unternehmen.

 

2

Kommissar Pepe Socz saß in seiner Wohnung und spielte einige Sonaten von J.S. Bach auf seiner Geige. In letzter Zeit hatte er wieder die Ruhe gefunden, sich mit der Musik zu beschäftigen. Es gab keine drängenden Ermittlungen und er hielt sich tagsüber überwiegend in seinem Büro auf, um ungeklärte Fälle, die bereits seit längerer Zeit auf eine Lösung warteten, weiter zu bearbeiten. Ohne sichtbare Erfolge. Bei einigen Ermittlungen waren er und seine Kollegin Bintje Hoop trotz zäher und geduldiger Recherchen nicht weitergekommen. Trotzdem hielt es ihr Vorgesetzter, Hauptkommissar Niels Horn, für erforderlich, dass sie weitere Ermittlungen vornahmen.

Lea Schwarz, Pepes Lebensgefährtin, war voll ausgelastet mit der Sorge um Ralfs und Antonias Tochter Emma. Ralf und Antonia, die vor einem halben Jahr Eltern geworden waren, brauchten viel Unterstützung.

Ralf, der vor kurzem 22 Jahre alt geworden war, litt unter einer epileptischen Enzephalopathie, einer Erkrankung des Gehirns, die zu einer dauerhaften geistigen Behinderung führt. Zwar hatte er in den letzten Jahren einige Fortschritte gemacht. So hatte er gelernt, sich selbst zu waschen und anzuziehen. Aber er hatte weiterhin große Schwierigkeiten, sich verständlich zu machen und mit Geld umzugehen. Einkäufe konnte er nur in Begleitung erledigen. Antonia, die er vor einem halben Jahr geheiratet hatte, war körperlich behindert. Sie konnte nicht laufen und war auf einen Rollstuhl angewiesen. Ralf und Antonia ergänzten sich und halfen sich gegenseitig dabei, ihre Schwierigkeiten auszugleichen. Einkäufe und den Haushalt erledigten sie gemeinsam. Antonia erhielt Unterstützung durch einen Pflegedienst, der sich auch um ihre Tochter Emma kümmerte. Außerdem war Lea, Ralfs Mutter, täglich einige Stunden bei ihnen. Sie hatte sich für ein halbes Jahr von ihrem Job in der Galerie freistellen lassen.

 

Ralf und Antonia hatten ihre Wohnung im siebten Stock eines Hochhauses in der Nordweststadt nach praktischen Gesichtspunkten eingerichtet. Es musste darauf geachtet werden, dass Antonia sich mit ihrem Rollstuhl gut bewegen und alles gut erreichen konnte. Außerdem musste aus Rücksicht auf Ralfs Erkrankung dafür gesorgt werden, dass alles übersichtlich war und sich nicht zu viele Gegenstände im Raum befanden.

Auch Pepe wurde eine Rolle in diesem Programm zugewiesen. Er hatte, soweit ihm dies dienstlich möglich war, die Aufgabe, täglich abends zwei Stunden Ralf und Antonia zu betreuen und für Emma zu sorgen. Pepe hatte unter Anleitung von Lea die Versorgung eines Kleinkindes erlernt. Er wechselte die Windeln von Emma, fütterte und badete sie und beruhigte sie, wenn sie schrie. Dies war eine deutliche Entlastung für Ralf und Antonia, die sich in dieser Zeit um sich selbst kümmern konnten. Seine Beziehung zu Lea war in letzter Zeit sehr harmonisch und sie freuten sich über ihre Aufgaben. Mit voller Hingabe verrichteten sie ihren Dienst bei Ralf, Antonia und Emma und waren so oft in deren Wohnung, dass es dem jungen Paar manchmal schon lästig wurde.

Ralf und Antonia sagten anfangs nichts, gaben ihnen nach einiger Zeit aber unmissverständlich zu verstehen, dass ihnen die häufigen Besuche zunehmend lästig werden würden. Sätze wie „Müsst ihr täglich kommen“, oder „Das können wir auch allein“ mussten sich Lea und Pepe immer öfter anhören. Lea hatte Schwierigkeiten zu begreifen, dass Ralf und Antonia trotz ihrer Behinderungen manchmal ihre Ruhe haben und mit ihrer Tochter allein sein wollten. Im Gegensatz zu Lea und Pepe kam Antonias Mutter nur selten zu Besuch und wurde dann von Antonia und Ralf stürmisch empfangen. Pepe und Lea brauchten einige Zeit, um zu merken, dass ihre permanente Anwesenheit dem jungen Paar auf die Nerven ging. Vertraulich wandte sich Antonia bei einer Gelegenheit an Pepe. „Ihr müsst wirklich nicht so oft kommen. Es ist zwar gut gemeint, aber wir fühlen uns kontrolliert. Das kannst du doch sicherlich verstehen, oder?“ Pepe traf diese Aussage völlig überraschend. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Zuerst wollte er widersprechen, spürte aber nach einiger Überlegung, dass Antonia grundsätzlich Recht hatte. Natürlich wollten beide auch ihren privaten Raum haben, in dem sie sich entfalten konnten. Allein schon der Liebe wegen. Pepe sprach dieses Thema vorsichtig bei Lea an, spürte jedoch, dass sie große Probleme hatte, auf den Wunsch nach Entfaltung und Ungestörtheit der beiden Rücksicht zu nehmen. „Pepe, du siehst doch selbst, wie unselbständig die beiden sind. Außerdem freuen sie sich immer, wenn wir ihnen helfen. Denk alleine daran, wie schwierig es ist, Emma zu wickeln, zu baden und zu füttern.“ „Sicher nicht einfach, aber ich glaube, dass es Antonia und Ralf auch langsam lernen“, widersprach Pepe. „Antonia kann Emma nicht tragen und bei Ralf habe ich Angst, dass er Emma fallen lässt. So einfach ist das nicht!“, antwortete Lea verständnislos und schüttelte den Kopf. Pepe versuchte sie zu beschwichtigen. „Sicherlich brauchen sie noch einige Zeit, um das allein zu bewältigen ... aber wir müssen ihnen einen Freiraum lassen.“ Nach kurzem Wortgefecht schwiegen Lea und Pepe, da sie merkten, dass der andere seine Einstellung nicht ändern wollte oder konnte. Pepe nahm sich vor, in den nächsten Tagen erneut behutsam mit Lea darüber zu sprechen. Irgendeine Gelegenheit würde sich sicher ergeben, bei der er Lea vor Augen führen konnte, dass Antonia und Ralf durchaus in der Lage waren für einige Stunden allein für Emma zu sorgen. Nachts waren sie schließlich auch mit Emma allein.

3

Die Kommissare Ellen Witt und Claudio Zagallo versuchten, Nachbarn in dem Haus anzutreffen. Zuerst klingelten sie bei sämtlichen Nachbarn, die im gleichen Stockwerk wie Marie Walz wohnten. Anscheinend war niemand zu Hause. Über die Treppe gingen sie nach unten. Im sechsten Stockwerk hörten sie Geräusche, die aus Wohnungen kamen. Sie läuteten wiederholt hartnäckig, aber niemand war bereit, ihnen die Tür zu öffnen. Unentschlossen sah Kommissarin Witt ihren Kollegen an. „Sollen wir es mit Nachdruck versuchen, oder besser in den unteren Stockwerken weitermachen?“ Zagallo überlegte. „Gehen wir besser nach unten, die Bereitschaft Auskunft zu geben, scheint bei diesen Mietern nicht besonders groß zu sein.“ Sie gingen in den fünften Stock. Hier konnten sie nicht feststellen, ob sich überhaupt Mieter in ihren Wohnungen befanden. Im vierten Stock hatten sie Glück. Der schrille und laute Klingelton schreckte einen Mieter auf. Er öffnete verärgert die Tür. „Was soll dieser Lärm? Wer sind Sie überhaupt?“ Jetzt war es an Zagallo, den erregten Bewohner, der drohend eine Bierflasche auf die uniformierten Polizisten richtete, zu beruhigen. Er zeigte dem Mann seinen Ausweis. „Alles in Ordnung. Wir haben nur eine Frage, die sie sicherlich ohne weiteres beantworten können. Dann lassen wir sie in Ruhe.“ Der Mieter, Lars Prinz, ein breitschultriger Mann Ende vierzig, stand breitbeinig in der Türöffnung und starrte verärgert vor sich hin. „Was gibt`s?“ „Haben Sie in der letzten Stunde einen Schuss gehört?“, beeilte sich Zagallo seine Frage loszuwerden. Prinz grinste hämisch und verächtlich. „Und wenn, was geht es mich an.“ Zagallo und Witt waren einige Bosheiten und unwirsche Personen gewöhnt. Jetzt spürten sie, dass sie ihrer Befragung etwas Nachdruck verleihen mussten. „Haben Sie einen Schuss gehört, oder nicht? Kurze Frage, kurze Antwort“, hakte Zagallo nach. „Ja, vor etwa einer Stunde ist geschossen worden.“ „Und wo?“ „Sie wollten eine Frage stellen... Und die habe ich beantwortet“, erwiderte Prinz zornig. „Und wir machen das Theater nicht länger mit. Gerne können Sie uns auch zum Revier begleiten“, entgegnete Zagallo, der ebenfalls eine Drohgebärde einnahm und wie im Reflex seine rechte Hand zu seiner Dienstpistole in der Halftertasche gleiten ließ. Auch dies beeindruckte Prinz nicht. „Es war wahrscheinlich im zweiten oder dritten Stock“, schrie er wütend und schlug mit voller Wucht die Tür zu, so dass sie Zagallo, der damit nicht gerechnet hatte, an der Stirn traf. Wie begossene Pudel standen die Polizeibeamten vor der Tür und überlegten, ob sie einen weiteren Versuch bei Prinz unternehmen sollten. Sie entschieden sich, andere Mieter zu befragen. Im gleichen Stockwerk öffnete kein weiterer Mieter und es war unklar, ob überhaupt jemand anwesend war.

„Gehen wir in den dritten Stock. Nach der barschen Auskunft von Prinz könnte ein Schuss gefallen sein“, räusperte sich Zagallo und rieb sich die Stirn. „Hast wohl einen harten Schlag bekommen“, erwiderte seine Kollegin und sah sich den geröteten Fleck an. Zagallo nickte. „Müsste mal gekühlt werden.“ Sie gingen die Treppe nach unten in den dritten Stock.

Leise Geräusche, die von einem Fernseher kamen, hörten sie aus einer Wohnung. Die Kommissare sahen sich unentschlossen an. „Vielleicht sollten wir anders vorgehen, um eine Auskunft zu bekommen“, meinte Ellen Witt nachdenklich. „Versuchen wir es auf die ruhige sachliche Art“, stimmte Zagallo zu, der durch den Schlag gegen den Kopf noch mitgenommen und leicht erregt war. Kommissarin Witt klingelte an der Wohnungstür vorsichtig. Dann warteten sie einige Zeit und versuchten auf Geräusche aus der Wohnung zu achten. „Ich glaube, dass sich jemand bewegt hat.“ Zagallo rümpfte die Nase. „Warten wir noch etwas, dann läuten wir nochmal.“ Schritte näherten sich der Tür. Die Gegensprechanlage wurde betätigt. „Wer ist da?“, fragte eine ängstliche Stimme. Witt klopfte leicht an die Tür. „Wir stehen schon vor Ihrer Tür. Polizei Nordweststadt. Bitte öffnen Sie.“

Die Schritte bewegten sich von der Tür weg. „Versuch es nochmal!“, forderte Zagallo seine Kollegin auf. Witt zögerte. Zagallo wurde unruhig. „Was ist? Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zumindest einen weiteren Nachbarn zu befragen.“ Zagallo legte seinen Zeigefinger auf die Klingel und ließ es einige Sekunden läuten. In der Wohnung wurde eine Tür zugeschlagen. Die Polizisten überlegten, was sie tun sollten. Während Kommissarin Witt eher dazu neigte, noch abzuwarten und dem Nachbarn etwas Zeit zu geben, wurde Zagallo zunehmend unruhig. „Warum kann er uns nicht kurz die Tür öffnen und mit uns sprechen? Es ist immer dasselbe in diesen Häusern.“ Witt funkelte ihn an. „Es gehört auch für uns eine gewisse Rücksichtnahme zum Job. Du kennst ihn nicht. Weißt du, warum er uns nicht öffnet?“ Sie erntete einen verächtlichen und herablassenden Blick. „Dann mach es eben auf deine Tour“, erklärte Zagallo und entfernte sich beleidigt einige Schritte. Witt klingelte erneut und klopfte gegen die Tür. „Bitte öffnen Sie kurz, wir werden Sie nicht lange belästigen. Eins, zwei Routinefragen.“ Zagallo lächelte verächtlich. Er glaubte nicht, dass sie etwas erreichen würde. Witt war von ihrem Kollegen genervt. Sicherlich schmerzte seine Wunde am Kopf und das rüde, unverschämte Verhalten des Mieters aus dem vierten Stock. Aber das gehörte schließlich zum Job dazu, schließlich waren sie nicht als Erzieher im Kindergarten tätig. „Wenn du keine Lust hast, mitzumachen, dann halte dich raus!“, keifte sie ihn an. „Oder du gehst zu unserem 14. Revier und machst eine Strafanzeige gegen Prinz wegen Körperverletzung.“ Zagallo machte eine abwertende Geste.

In der Wohnung wurde eine Tür geöffnet und es näherte sich jemand der Wohnungstür. Witt passte diesen Moment ab und klopfte vorsichtig.

 

 

„Sind Sie Herr Herbst?“, fragte Kommissarin, nachdem sie das Namensschild neben der Tür gelesen hatte. „Wer soll ich sonst sein?“, erwiderte eine unsichere männliche Stimme. „Dann öffnen Sie uns bitte die Tür. Wir sind Kommissare vom 14. Revier und müssen einen Vorfall klären.“ Witt hatte das Gefühl, dass Herbst direkt hinter der Tür stand und sich nicht entschließen konnte, ob er sie öffnen sollte, „Woher weiß ich, dass Sie tatsächlich Polizeibeamte sind?“ „Wenn Sie die die Tür einen Spaltbreit öffnen, können wir Ihnen unsere Ausweise zeigen“ Roger Herbst verharrte unentschieden hinter der Tür. „Haben Sie Angst?“, tastete sich Witt weiter nach vorn. Von innen war ein Stöhnen und Seufzen zu hören. „Ich kann nicht jedem die Tür öffnen.“ „Sollen Sie auch nicht, aber wir sind bereit, uns auszuweisen. Wenn Sie aus ihrem Fenster sehen, können Sie vielleicht auf das vor dem Haus geparkte Polizeifahrzeug sehen. Wir sind damit vor einigen Minuten gekommen, weil wir von einem Mieter gerufen wurden.“ „Warum sind Sie gerufen worden?“, fragte Herbst. „Weil eine Nachbarin aus dem siebten Stock einen Schuss gehört hat.“ „War Sie sich sicher?“ „Das kann ich nicht beurteilen. Haben Sie denn auch einen Schuss gehört?“ „Ja, vor etwa zwanzig Minuten kam ein Schuss aus dem Stove.“ „Wo ist der Stove?“ „Der Stove ist der Trockenraum im Keller.“ „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie im dritten Stock Geräusche aus dem Keller hören können. Sind Sie sicher?“ „Ja, und kurz darauf ist jemand die Treppe nach oben gelaufen und ein anderer hat das Haus verlassen.“ „Jetzt haben Sie Angst, dass sich der Schütze noch im Haus aufhält?“ Aus der Wohnung kam keine Antwort. Witt wartete einige Minuten. „Haben Sie sonst noch was bemerkt?“ Wieder keine Antwort. Witt sah ihren Kollegen an, der weiterhin missmutig auf einer Treppenstufe kauerte. „Bleib ruhig da hocken, aber sag mir wenigstens, was du denkst.“ „Ich denke, das ist nicht mehr unsere Zuständigkeit, lass uns den Kriminaldauerdauerdienst einschalten. Denen fällt sicher ein Szenario ein, wie sie die Situation klären können. Immerhin haben wir drei unterschiedliche Aussagen, die alle einen Schuss bestätigten.“ Witt dachte nach. „Wird wahrscheinlich das Beste sein, bevor wir den Rest des Abends hier verbringen.“

Zagallo rief beim Kriminaldauerdienst an. Pepe Socz, der an diesem Abend Bereitschaftsdienst hatte, meldete sich. „KDD, Kommissar Socz“, blaffte Pepe ins Telefon, als wäre er gerade beim Essen eines Matjesbrötchens unsanft gestört worden. „Hier ist PM Zagallo vom 14.Revier. Wir sind wegen eines Vorfalls in der Bernadotte 166a und brauchen Ihre Hilfe.“ „Was ist passiert?“ „Eine ältere Dame meldete einen Schuss in ihrem Haus und zwei andere Mieter haben ebenfalls Schüsse bestätigt.“ „Und...dann prüfen Sie doch nach, woher die Schüsse kamen“, erwiderte Pepe unwirsch. „Es ist ein Hochhaus mit über vierzig Parteien. Unsere bisherigen Gespräche waren nicht sehr aufschlussreich. Vielleicht haben Sie als Kriminalkommissar eine Idee.“ Pepe merkte, dass seine Kollegen Unterstützung benötigten. Wahrscheinlich hatten sie bisher wenig Erfahrung damit, wie Ermittlungen zu strukturieren sind. Außerdem schienen sie auch im Aushorchen von mundfaulen Mietern noch einigen Lernbedarf zu haben. Auch er musste ja schließlich hin und wieder Lehrgeld zahlen. „Gut, warten Sie vor dem Haus ich komme in einigen Minuten.“ Zagallo beendete das Gespräch. „Er meint, er wäre in einigen Minuten da“, informierte er seine Kollegin.

„Setzen wir uns ins Auto und warten auf ihn“, schlug er anschließend vor. Kommissarin Witt nickte und gemeinsam gingen sie die Treppe nach unten und suchten in den unteren Stockwerken nach verdächtigen Spuren. Anschließend verließen sie das Haus und setzten sich in ihren Dienstwagen. Die Stimmung unter ihnen war nach dem kurzen aber heftigen Schlagabtausch vor einigen Minuten angespannt. Kommissarin Witt fühlte sich von ihrem Kollegen durch seine unbeherrschte und ungeduldige Art in die Enge getrieben. Zagallo schmerzte seine Beule an der Stirn und er hatte schlechte Laune. Sie warteten etwa zwanzig Minuten bis Kommissar Pepe Socz auf seinem Fahrrad kam. Er grüßte seine Kollegen von der Streife. Dann schloss er sein Fahrrad an einem Laternenfahl an und betrachtete einen kurzen Moment das Hochhaus.

„Wird nicht einfach sein, herauszufinden, wo geschossen wurde. Gibt es schon Anhaltspunkte?“ „Die ältere Dame, die den Notruf wählte, meinte, in einem unteren Stockwerk. Ein Mieter aus dem dritten Stock war sich sicher, dass im Trockenraum geschossen wurde.“ „Also im Keller?“ Die Polizeibeamten nickten. „Wie kommen wir ins Haus?“ „Wir können bei Frau Walz im siebten Stock klingeln. Sie hatte uns gebeten, informiert zu werden.“ Pepe klingelte ohne weiteres Zögern bei Marie Walz. „Haben Sie etwas festgestellt?“, fragte sie, da sie davon ausging, dass es sich um die Polizisten handelte, mit denen sie gesprochen hatte. „Ich bin Kommissar Socz, wir müssen nochmal mit Ihnen sprechen.“ Kurz darauf wurde ihnen die Tür geöffnet und sie fuhren mit dem Aufzug in den siebten Stock. Marie Walz öffnete vorsichtig ihre Tür, als sie Schritte hörte und bat die Polizisten in ihre Wohnung.

Pepe zeigte seinen Ausweis. „Die Kollegen haben mit zwei Nachbarn gesprochen. Diese haben ebenfalls einen Schuss gehört. Wir sind noch am Prüfen, woher der Schuss kam. Ein Nachbar aus dem dritten Stock war sich sicher, dass der Schuss aus dem Trockenraum kam.“ „Meinen Sie Herbst?“ „Ja, wir haben mit Herbst gesprochen, er wollte seine Tür nicht öffnen.“ „Herbst ist blind“, entfuhr es Marie Walz. „Das lässt darauf schließen, dass er sich besser als andere auf Geräusche konzentriert“, fügte sie hinzu. Pepe nickte. „Stimmt, er versucht seine Defizite auszugleichen...Wir werden den Trockenraum überprüfen.“ Marie sah Pepe erschrocken an. Sie zitterte. „Nein, Sie können mich nicht hier allein lassen! Es wäre mir lieber, wenn Sie einen Kollegen schicken würden, der meine Wohnung bewacht.“

Pepe spürte, dass sich Marie sehr ängstigte. „Das ist leider nicht möglich.“ „Wir müssen nicht alle gleichzeitig in den Keller gehen. Ich kann im Treppenhaus bleiben“, schlug Ellen Witt vor. Zagallo und Pepe nickten. „Dann brauchen wir den Schlüssel für den Keller und den Trockenraum“, erklärte Pepe.

 

Marie Walz stand auf und suchte ihren Schlüssel. Schon vor einer Stunde, als sie ihre Nachbarin aufsuchen wollte, hatte sie nach ihrem Schlüssel gesucht und ihn nicht gefunden. Marie wurde nervös. „Ich habe ihn verlegt. Wer weiß, wohin ich ihn gelegt habe.“ „Beruhigen Sie sich. Wir helfen Ihnen beim Suchen“, erwiderte Ellen Witt. Sie stand ebenfalls auf und unterstützte die Mieterin bei der Suche. „Denken Sie nach! Haben Sie ihn vielleicht in eine Handtasche oder Jackentasche gesteckt?“ Marie zitterte und war verzweifelt. „Ich kann mich nicht erinnern.“

„Wann haben Sie zuletzt die Wohnung verlassen?“ „Marie grübelte. „Gestern war ich nicht draußen, Freitag auch nicht...Was habe ich am Donnerstag gemacht?“ Mit großer Bestürzung stellte Marie fest, dass ihr die Erinnerung an die letzten Tage fehlte. „Darf ich in Ihren Taschen nachsehen?“ „Ja, vielleicht finden Sie ihn.“ Ellen Witt durchsuchte eine Jacke, die an der Garderobe hing und eine Tasche, die sich auf der Couch befand. Einige Zeit suchten sie gemeinsam nach dem Wohnungsschlüssel. Auch Pepe und Claudio Zagallo beteiligten sich.

Ellen Witt setzte die Suche im Schlafzimmer fort. Sie öffnete sämtliche Schubladen des Nachttischschränkchens und schüttelte die Bettdecke und das Kissen aus. Dann sah sie unter dem Bett nach. Eine dicke Staubwolke kam ihr entgegen und sie musste kurz die Luft anhalten. Unter dem Bett lagen benutzte Tempos und Teebeutel. Versteckt befand sich an einem kaum einsehbaren Platz ein Schlüsseletui. Sie benötigte einen Kleiderbügel, den sie aus dem Kleiderschrank holte, um das Etui unter dem Bett hervor zu fischen. In dem Etui befand sich tatsächlich ein Schlüsselbund. Marie Walz, die das Geschehen aufmerksam beobachtete, sich aber an der Suche nicht beteiligen konnte, erschrak, als sie das Etui erkannte, das von einer dicken Staubschicht umhüllt war. „Das kann doch nicht sein! Dort hätte ich ihn nicht vermutet. Was ist nur mit mir passiert?“ Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen und jammerte. „Ich hätte nicht geglaubt, dass ich so vergesslich werden könnte. Wann habe ich den Schlüssel zuletzt benutzt?“ „Das muss dem Staub nach zu urteilen schon einige Tage her sein“, vermutete Ellen und tröstete sie. „Keine Sorge, wir suchen jetzt einen Platz, an dem Sie ihn regelmäßig hinlegen können.“

Dann wandte sich Ellen an ihre Kollegen. „Es ist wohl besser, wenn ihr allein in den Trockenraum geht. Ich bleibe noch etwas bei Frau Walz und werde später ins Treppenhaus gehen.“

Pepe und Claudio nickten. Pepe ließ sich von Marie Walz noch den Schlüssel für den Trockenraum zeigen und verließ anschließend gemeinsam mit Claudio Zagallo die Wohnung. Sie fuhren mit dem Aufzug in den Keller und fanden wenig später den Trockenraum. Er war verschlossen. Pepe schaltete das Kellerlicht ein und schloss den Trockenraum auf. Zagallo betätigte den Lichtschalter. In dem Raum hing an einer durchgehenden, etwa fünf Meter langen Wäscheleine, die Wäsche der Hausbewohner. Unterschiedliche Wäschestücke, von Kinderunterwäsche bis zu Bettbezügen und über achtzig einzelne Strümpfe.

Pepe kannte diese Trockenräume aus einer früheren Wohnung in Frankfurt Fechenheim. An sich empfand er die Einrichtung eines Trockenraums als eine sinnvolle Einrichtung, besonders dann, wenn er sich in der Nähe der Waschmaschine befand. Der Ärger über die Wäscheständer in der Wohnung konnte so vermieden werden. Gelegentlich verschwand etwas an Wäsche, weil ein Nachbar versehentlich einen Strumpf als seinen eigenen angesehen hatte.

Pepe und Claudio betrachteten den Raum. In der Ecke konnten sie eine große Blutlache entdecken. Sie besahen sich diese Stelle genauer. „Sieht danach aus, als wäre vor kurzer Zeit etwas passiert“, urteilte Claudio. „Nach der Menge zu urteilen, dürfte es sich nicht um Nasenbluten oder eine Handverletzung handeln. …Ich werde die Spurensicherung benachrichtigen. Wir sollten den Weg zum Aufzug und den Aufzug nach weiteren Blutspuren untersuchen“, schlug Pepe vor. Claudio nickte und reichte Pepe sein Handy.

Pepe rief seine Kollegen im Polizeipräsidium an. „Wir brauchen einige Leute von der Spurensicherung. Schickt sie in die Bernadotte 166a“ „Ist es eilig?“, fragte eine Kommissarin. „Wäre schon ganz nett, wenn jemand in den nächsten dreißig Minuten erscheinen würde.“ „Okay, ich gebe den Auftrag weiter“, erwiderte die Kommissarin und beendete das Gespräch.

Ein Einsatz von Pepe am Sonntagabend, zur Sendezeit vom Tatort, bedeutete eine gewisse Dringlichkeit, da er seit vierzig Jahren ein Fan dieser Serie war. Sie gab die Bitte von Pepe an die Spurensicherung weiter. Auch dort war man nicht begeistert über den Auftrag. „Wahrscheinlich ist Pepe mal wieder in ein Wespennest geraten und ist auf der Suche nach der einen Wespe, die das Unheil anrichtet. Diese Welt ist ungerecht“, meinte Jakob Müller in leicht lyrischer Form, der Pepe schon seit einigen Jahren kannte und ihn schon bei einigen Ermittlungen unterstützt hatte.

 

Pepe und Claudio gingen über die Treppe ins Erdgeschoss und warteten vor der Haustür auf das Eintreffen der Mitarbeiter der Spurensicherung. Claudio telefonierte mit seiner Kollegin Witt. „Im Trockenraum haben wir eine größere Blutlache gefunden, warten jetzt auf die Spusi. Konntest du im Treppenhaus etwas hören, oder andere Mieter sehen?“ „Bisher war alles ruhig und niemand zu sehen. Im vierten Stock wurde eine Tür geöffnet, dachte schon Prinz verlässt seine Wohnung.“ „Und?“ „Ich bin runtergerannt, Türen im vierten waren verschlossen. Vielleicht hat er nur mal kurz die Tür geöffnet, um zu sehen was los ist. Vielleicht sollten wir gemeinsam im Treppenhaus warten. Ich bleibe im fünften Stock, wäre gut, wenn du dich im zweiten oder dritten postierst. Was macht Kommissar Socz?“ „Socz sichert den Eingang ab und wartet auf die Spurensicherung.“ Zagallo dachte kurz über den Vorschlag seiner Kollegin nach und hielt dies für eine gute Überlegung. Er ging in den zweiten Stock.

Nach zwanzig Minuten trafen zwei Mitarbeiter der Spurensicherung ein, Ernst Konrad und Leo Bucht. Pepe begrüßte sie. „Ich zeige euch gleich den Trockenraum. Dort sollten wir beginnen.“ Konrad und Bucht nickten und folgten Pepe in den Keller. Sie betrachteten die Blutlache im Trockenraum. Konrad und Bucht zogen Schutzkleidung und Handschuhe an. „Wichtig für die weiteren Ermittlungen ist die Frage, wohin die Blutspur führt und ob das Opfer noch selbst flüchten konnte.“ „Du willst herausfinden, ob der Verletzte das Haus verlassen hat, oder in eine Wohnung geflüchtet ist“, fragte Konrad. „Falls er dazu überhaupt noch in der Lage war“, erwiderte Pepe.

Konrad und Bucht untersuchten den Trockenraum und nahmen Abdrücke vom Boden des Raums. Sie sprühten auf den Fußboden Luminol, um Blutspuren zu finden. Kurz darauf zeigten sich einige Reaktionen in Form einer bläulichen Chemolumineszenz. Auch winzige Tropfen ließen sich durch diese Methode nachweisen. Die Spur führte aus dem Trockenraum zum Aufzug. Auch im Aufzug ließen sich Spuren, die mit dem bloßen Auge nicht sichtbar waren, erkennen. Pepe hielt sich im Hintergrund und wartete die erste Beurteilung von Konrad ab. Er überlegte, ob er seine Kollegin Bintje um Unterstützung bitten sollte. Aber kurz darauf verwarf er diesen Gedanken wieder. Schließlich war noch völlig ungeklärt, ob ein Verbrechen stattgefunden hatte.

Nach einer halben Stunde ging Ernst Konrad zu Pepe. „Im Aufzug konnten wir Spuren finden, aber wohin sie führen…“ „Habt ihr den Ausgang untersucht?“, hakte Pepe nach. „Klar, den Weg vom Aufzug zum Ausgang, etwa drei Meter, haben wir zuerst überprüft.“ „Und?“ „Keine Spuren. Im Aufzug sind Schuhabdrücke zu finden mit Anhaftungen von Blut.“ „Also ist jemand in die Lache im Trockenraum getreten?“ „Vermutlich, aber ich wäre vorsichtig mit Schlussfolgerungen. Wenn jemand im Aufzug Plastiktüten über die Schuhe gestülpt hätte, könnte er weitere Spuren vermieden haben.“ „Was schlägst du vor?“ „Wir suchen weiter in den einzelnen Stockwerken.“ „Dein Kollege könnte den Weg vor dem Eingang überprüfen“, schlug Pepe vor. „Ja, auch daran haben wir gedacht.“ Ernst Konrad ging wieder zu seinem Kollegen.

Pepe wurde unruhig. Er war jetzt über eine Stunde in diesem Haus und vermutete, dass im Keller ein Blutbad angerichtet worden war. Er ging davon aus, dass sich sowohl das Opfer als auch der Täter, sofern es einen gab, noch im Haus aufhalten würden. Vor dem Haus konnten keine Blutspuren gefunden werden. Wenn er sicher gehen wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als systematisch vom Erdgeschoss bis zum Dachgeschoss sämtliche Wohnungen zu überprüfen. Aber dieser Aufgabe waren weder er noch die Streifenpolizisten vom 14. Revier gewachsen. Außerdem musste er sich bei einer solchen Aktion absichern. Eine komplette Durchsuchung aller Wohnungen in diesem Haus an einem Sonntagabend um 22.00 Uhr musste in jeder Hinsicht gerechtfertigt sein. Es musste ein Team von mindestens vier Personen gebildet werden und ein Mitarbeiter eines Schlüsseldienstes hinzugezogen werden. Außerdem brauchte er einen Durchsuchungsbeschluss. Pepe malte ein Szenario aus. Wahrscheinlich würde der Leiter dieser Aktion darauf bestehen, dass die Straße abgesperrt werden müsste. Mit Sicherheit würde die Presse darüber berichten und es wäre mit sensiblen Ermittlungen vorbei. Pepe verließ das Haus und betrachtete es von außen. Von den etwa vierzig Wohnungen waren nur fünf beleuchtet. Geräusche waren aus den Wohnungen nicht zu hören.

Als er wieder das Haus betrat, hörte er im Treppenhaus ein Gespräch von Ellen Witt mit einer anderen Person. Sie drängte darauf, den Aufzug zu benutzen, was ihr von der Polizistin verwehrt wurde. Pepe ging nach oben und kam zu diesem erhitzten Gespräch dazu. „Haben sie gegen acht einen Knall gehört?“, fragte er die Mieterin. „Ja, aber ich habe mir nichts dabei gedacht“, antwortete Lydia Zyllis. „Ich wohne seit einiger Zeit im dritten Stock und bin solche Geräusche gewohnt.“ „Trotzdem muss ich Sie bitten, vorerst Ihre Wohnung nicht zu verlassen und sich für weitere Gespräche zur Verfügung zu halten“, forderte Pepe die Mieterin mit Nachdruck auf. Lydia Zyllis sah Pepe forsch an und wollte widersprechen. Pepes scharfer Blick gab ihr jedoch zu verstehen, dass dies sinnlos war. Deshalb kehrte sie in ihre Wohnung zurück.

Ernst Konrad kam von unten die Treppe hoch. „Ich habe mir gerade nochmal die Blutlache im Trockenraum angesehen. Ein erheblicher Blutverlust. Ich finde, du solltest einen Forensiker kommen lassen, um die Auswirkungen einer solchen Menge beurteilen zu lassen. Außerdem konnte ich ein Projektil finden, dass in der Wand steckte.“ „Danke, jetzt sind wir deutlich weiter.“

Pepe rief in der Rechtsmedizin Frankfurt an. Dr. Adrian Fröhlich nahm den Anruf entgegen. „Hallo Adrian, ich brauche dringend deine Unterstützung und vor allem deinen Sachverstand.“ „Hallo Pepe, was ist passiert? Hast du gerade einen langweiligen Tatort verfolgt und jetzt Fragen?“ „Nein, ich befinde mich im tatsächlichen Leben. Ermittlungen hautnah.“ „Und welche Frage hast du, vielleicht lässt sie sich telefonisch beantworten.“ „Mit Sicherheit nicht! Es geht darum, die Folgen eines erheblichen Blutverlustes zu beurteilen.“ „Welche Menge?“ „Sieh Sie dir selbst an, Bernadotte 166a.“ Pepe legte auf, da ihm nicht nach einem weiteren Smalltalk mit Adrian war. Adrian hatte genug Informationen, um sich selbst ein Bild zu machen.

Gemeinsam mit Ernst Konrad ging Pepe in den Trockenraum, um sich die Stelle anzusehen, an der das Projektil in der Wand steckte. Nach ihrer Einschätzung befand sie sich in einer Höhe von 1,60 Meter. Konrad nahm Maß. „1,63 Meter, entweder ein kleiner Mann oder er wurde von oben in die Stirn getroffen.“ Pepe nickte und betrachtete die Blutlache. „Anschließend muss er gestürzt sein und blutete. Konnten Haare oder Haarpartikel gefunden werden?“ „So weit sind wir noch nicht. Es wurde noch keine genaue Analyse gemacht. Aber deine Vermutung ist nicht abwegig. Wenn er dort mit dem Kopf auf den Boden gefallen ist, ist nicht auszuschließen, dass Spuren der Kopfhaut gefunden werden.“ Einen Moment dachte Konrad nach. „Lass uns in Ruhe eine Analyse vornehmen und kümmere dich besser um die Absicherung des Tatortes!“ Pepe verstand. Ernst Konrad wollte nicht voreilig Schlüsse ziehen, die er später revidieren musste.

Er verließ den Trockenraum und ging im Treppenhaus nach oben. Im dritten Stock traf er die Polizeikommissare Zagallo und Witt, die ihn erwartungsvoll ansahen. „Wie ist Ihr Plan?“, fragte Ellen Witt. Pepe zuckte unentschieden mit den Schultern. „Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Nachdem wir das Projektil und die Blutlache gesehen haben, müssen wir von einer Gewalttat ausgehen. Ein Forensiker ist auf dem Weg, um aus der Blutmenge Erkenntnisse zu gewinnen. Ich fürchte, es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als systematisch alle Wohnungen im Haus zu durchsuchen und gleichzeitig in der Umgebung nach etwas verdächtigem Ausschau zu halten.“ Zagallo lachte. „Gute Idee, aber ich fürchte, diese Aufgabe übersteigt unsere Kräfte.“ Pepe nickte. „Sicherlich, aber bis weitere Kräfte eintreffen, können wir schon mal anfangen.“

 

Pepes Handy klingelte. Kriminaloberkommissar Niels Horn rief an. Pepe nahm den Anruf entgegen. „Hallo Niels, mach`s kurz, ich bin beschäftigt.“ „Habe es gerade erfahren und deshalb rufe ich auch an. Wurde gerade benachrichtigt und gebeten, zu prüfen, ob du Unterstützung brauchst." „Natürlich brauche ich Unterstützung, schick Bintje und zwei weitere Kollegen, die mir bei der Durchsuchung von vierzig Wohnungen helfen können. Außerdem könntest du diese Aktion von oben absegnen lassen und mir die Presse vom Hals halten.“ „Du willst also nicht von Henrich Lambs überrascht werden?“, spaßte Niels. Pepe murmelte etwas Unverständliches, was sich wie ein Fluch anhörte. Niels lachte. „Ich kümmere mich um deine Spezialwünsche. Ich wünsche dir eine angenehme Nacht. Ermittelt ohne Umwege!“, gab er schließlich noch als Rat und beendete das Gespräch.

Pepe steckte sein Handy zurück in die Jackentasche. Wenige Minuten später klingelte Pepes Handy erneut. Aufgeregt meldete sich Bintje. Noch bevor er etwas sagen konnte, schrie sie, sodass Pepe das Handy schnell von seinem Ohr wegziehen musste. „Hey Pepe, muss das sein? Jetzt hast du nach langer Zeit mal wieder Dienstbereitschaft und ziehst mich gleich mit rein. So steigst du nicht in meinem Ansehen.“ „Schon gut“, versuchte Pepe Bintje zu beruhigen, „Wir sitzen eben in einem Boot.“ Einige Zeit kam keine Antwort. Pepe ging, nachdem er ein leises Knistern hörte, davon aus, dass Bintje gerade einen Glückskeks auspackte. Bintje las: „Auch wenn zwei Personen in einem Boot sitzen, muss einer die Richtung bestimmen.“ „Klasse Bintje, der erste Glückskeks mit Tiefgang seit langem. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit. Bis gleich.“ Bintje murmelte einen Fluch und beendete das Gespräch.

4

Wenig später erhielt Pepe eine SMS von Niels. „Die Durchsuchung sämtlicher Wohnungen in der Bernadotte 166a wurde genehmigt. Du kannst beginnen.“ In einer weiteren SMS erhielt er eine Fotografie des Durchsuchungsbeschlusses. Pepe überlegte, ob er antworten sollte. Noch wartete er auf Bintje und zwei weitere Kollegen. Vor deren Ankunft würde er nichts veranlassen. Schließlich wusste er nicht, wie gut er sich auf die Polizeikommissare Witt und Zagallo verlassen konnte. Sie machten auf ihn zwar einen kompetenten Eindruck, aber nach seiner Einschätzung bisher noch nicht mit Ermittlungen in Mordfällen erfahren. Pepe rief Lea an, die wahrscheinlich schon einige Zeit auf ihn wartete. Er hatte versäumt, sie über seinen Auftrag zu benachrichtigen. Als er die Wohnung verließ, befand sie sich noch bei Ralf und Antonia und wollte eigentlich nur mal dort vorbeischauen. „Hallo Pepe, wo steckst du?“, meldete sich Lea. „Ich wurde aufgefordert, eine Routineermittlung in einem Hochhaus in der Nordweststadt zu machen. So wie es aussieht, wird es wohl eine größere Sache. Ich warte auf Bintje und zwei weitere Kollegen. Kann länger dauern.“ „Pass auf dich auf“, erwiderte Lea. Nach einigen weiteren netten und freundlichen Worten beendeten sie das Gespräch.

Pepe stand auf dem Gehweg vor dem Haus und konnte einen Streifenwagen sehen, der ihm entgegenkam. Bintje und zwei weitere ihm bekannte Kollegen konnte er erkennen. Der Wagen hielt direkt hinter dem Fahrzeug, mit dem die Kommissare Witt und Zagallo gekommen waren. Beide Fahrzeuge standen am Fahrbahnrand. Die Kommissare Bintje Hoop, Rainer Sommer und Sonny Winter stiegen aus. Sie grüßten Pepe. „Dann können wir jetzt beginnen“, forderte Pepe seine Kollegen auf. „Wie wollen wir vorgehen?“, fragte Bintje. Sie ging davon aus, dass Pepe genügend Zeit hatte, einen Plan auszuarbeiten, der ein strukturiertes Vorgehen bis hin zu den Einzelheiten einschloss. Pepe überlegte. „Ich schlage vor, wir fangen im Erdgeschoss an. Wenn die Wohnungen nicht geöffnet werden, müssen wir sie selbst öffnen. Sonny verfügt über gute Erfahrungen, da er einige Zeit bei einem Schlüsseldienst gearbeitet hat. Für den Einbau eines neuen Schlosses müssen wir dann den Schlüsseldienst Max beauftragen.“

„Hast du einen Durchsuchungsbeschluss?“, hakte Bintje nach. „Ja, Niels hat mir vor wenigen Minuten mitgeteilt, dass die Durchsuchung aller Wohnungen richterlich genehmigt wurde.“ „Ich möchte nicht wissen, welche Kosten bei dieser nächtlichen Aktion entstehen“, seufzte Bintje. „Das ist nicht unsere Sache.“ Auf ein Zeichen folgten die Kriminalkommissare Pepe in das Haus. Ellen Witt und Claudio Zagallo, die sich im oberen Teil des Treppenhauses befanden, wurden von Pepe telefonisch benachrichtigt. „Wir beginnen jetzt im Erdgeschoss. Falls ihr verdächtige Geräusche hört, meldet euch.“ „Hier ist alles gespenstisch ruhig“, antwortete Zagallo müde.

Pepe erhielt einen Anruf von Dr. Adrian Fröhlich, der ebenfalls vor dem Haus eingetroffen war. Pepe öffnete ihm die Haustür und führte ihn in den Trockenraum. Bintje und die anderen Kollegen klingelten unterdessen in den Wohnungen im Erdgeschoss. Niemand meldete sich. Pepe kam hinzu. „Ich schlage vor, Rainer geht zu den Polizeikommissaren Witt und Zagallo. Sobald jemand in den oberen Stockwerken öffnet, geht er mit ihnen in die Wohnung. Sonny brauchen wir hier unten, um die Türen zu öffnen.“ „Guter Vorschlag“, stimmte Sonny zu. „Habt ihr eure Waffen entsichert?“ Pepe und Bintje sahen sich an und nickten. „Gut, dann können wir beginnen“, raunte Sonny. Pepe klingelte Sturm und rief anschließend: „Bitte öffnen Sie unverzüglich die Tür. Andernfalls müssen wir die Tür gewaltsam öffnen.“ Es erfolgte keine Reaktion.

 

„Pepe, nach meinem Eindruck handelt es sich um eine Firma. Oder kannst du dir vorstellen, dass jemand Enta Prizo GmbH heißt?“ Bintje lächelte. „Auch wenn es sich um Firmenräume handelt, kann sich trotzdem jemand dort aufhalten“, erwiderte Pepe trotzig. „Am Sonntagabend um zehn, ...eher unwahrscheinlich.“ Pepe und Bintje sahen sich bissig und etwas missgelaunt an. „Das fängt ja gut an“, dachte sich Bintje. „Wenn wir in diesem Tempo fortfahren, werden wir drei Tage brauchen.“ Pepe spürte, dass Bintje auf einen schnellen Erfolg aus war. Deshalb bestand er nicht darauf, die Tür der Enta Prizo GmbH zu öffnen. „Gut, gehen wir zur nächsten Wohnung. Falls wir nichts finden, wird uns nichts anderes übrig bleiben ...“

Bintje nickte und zog einen Glückskeks aus ihrer Tasche. Sie las:

„Die Suche endet immer dort, wo du begonnen hast. Du kommst aus dem Nichts und gehst ins Nichts.“ Pepe lachte. „Lass uns später darüber nachdenken. Da ist sicherlich was dran.“ Bintje schmunzelte, enthielt sich jedoch einer Bemerkung.

Die Räume der Enta Prizo befanden sich direkt gegenüber des Aufzugs und des Eingangs zum Treppenhaus. Die Wohnungen dieses Hauses waren so angeordnet, dass sich in jeder Etage fünf Wohnungen befanden, zwei Wohnungen links und zwei Wohnungen rechts von der Wohnung, die gegenüber der Aufzugstür lag. Sonny Winter deutete nach links und Bintje und Pepe folgten ihm. Vor der Wohnung, die sich äußerst links befand, war kein Namensschild angebracht. Pepe klingelte. Nachdem nicht geöffnete wurde und er auch keine Geräusche aus der Wohnung hörte, fragte er sich, ob die Wohnung vermietet war. „Sollen wir sie aufbrechen?“ „Warum bist du so unentschlossen? So kenne ich dich nicht“, blaffte Bintje ihn an.