Für die lieben Kollegen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2020 Karlheinz Huber

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7519-2866-3

Inhalt

VORWORT

Immer, wenn mal im täglichen Arbeitsstress etwas Luft ist, erzähle ich gerne von früher. Kleine Anekdoten aus meinem damaligen Berufsleben. Ab einem gewissen Alter hat man natürlich einiges zu erzählen. Da mein Berufsleben ziemlich bunt vonstattenging (ich bereue keine einzige Sekunde davon!), habe ich natürlich viel zu erzählen. Meistens sind die Geschichten lustig oder einfach nur unglaublich. Jedenfalls wurde anschließend immer viel gelacht oder zumindest ungläubig der Kopf geschüttelt.

Doch wie könnte man die vielen kleinen Geschichten in einem Buch verarbeiten, und vor allem: Wie geht man mit Namen von Personen und Firmen um?

Auch sollte es sich nicht unbedingt um meine detaillierte berufliche Lebensgeschichte handeln, sondern die eigentlichen „Geschichten“ sollten im Mittelpunkt stehen.

Sollte die Geschichte als Tagebuch, also in der Gegenwartsform, geschrieben werden? Oder wäre es besser, sie als Lebenslauf in der Vergangenheitsform zu schreiben?

Wie der Titel schon verrät, habe ich mich für die Vergangenheitsform entschieden.

Um daraus eine richtige Geschichte zu machen, muss auch tief in die Vergangenheit zurückgeblickt werden. Natürlich müssen „meine“ Lebensmomente darin vorkommen. Aber keine Angst, liebe aktuelle oder Ex-Chefs (Chefin), es werden keine Namen genannt, immer nur der Anfangsbuchstabe. Ob es auch der richtige Anfangsbuchstabe ist, bleibt mein Geheimnis!

Natürlich sind alle Geschichten wahr, nur Ort und Zeitpunkt sind der gewählten Inhaltsstruktur unterstellt. Erinnerungslücken habe ich mit meiner künstlerischen Freiheit gefüllt. Die wahren Geschichten des echten Lebens sind immer noch die Besten!

Ich möchte mich an der Stelle ganz klar distanzieren bezüglich jeder Diskriminierung des anderen Geschlechts, sogenannten Ausländern oder andersdenkenden Menschen. Ich respektiere jedes Individuum, und sollte sich jemand angegriffen oder verletzt fühlen, tut es mir leid, das lag nicht in meiner Absicht. Ich möchte Sie bitten, ebenfalls zu berücksichtigen, dass es sich um ein Männerbuch handelt und daher der Ton manchmal etwas rau ist, aber das gehört zur Geschichte.

Noch etwas zur Thematik „Compliance“: Viele der Geschichten sind in der heutigen Zeit undenkbar. Aber damals waren wir noch nicht so weit. Ich persönlich respektiere den Compliance- Gedanken und stehe voll dahinter. Die Bilder sind von mir persönlich fotografiert und somit mein Eigentum. So, die Rechtsanwaltsklausel ist auch bedient. Endlich kann es losgehen.

Viel Spaß nun beim Lesen wünscht der freundliche Herr Huber.

FÜR BERUFSUNKUNDIGE

Um die wichtigste Frage vorwegzunehmen:

„Nein,

wir

isolieren

keine

Kabel!“

Wir leisten mit unserer Arbeit einen wichtigen Beitrag für den Umweltschutz. Wir helfen, Energieverluste vorzubeugen und zu reduzieren, und somit sparen wir auch Kosten.

Angenommen, in einem Kraftwerk gibt es keine Isolierung. Der Wirkungsgrad würde sich erheblich verschlechtern, und nebenbei würde es niemand – temperaturbedingt - innerhalb der Gebäude aushalten. Auf Dauer würden sich viele Aggregate verabschieden. Eigentlich wie in Ihrem Heizungskeller – oder? Wenn die Rohrleitungen und der Heizkessel nicht isoliert sind, steigen die monatlichen Kosten um ein Vielfaches, und im Keller wird es viel zu warm.

Zum Verständnis dieses Buches reicht diese Aussage. Der Einstieg wird etwas langatmig werden, aber die Geschichten werden immer anspruchsvoller und interessanter. Also halten Sie durch; ich verspreche Ihnen, dass Sie nicht enttäuscht werden.

Sollten Sie doch mehr wissen wollen, habe ich einige gekürzte Informationen zusammengestellt.

Sollten Sie an den fachspezifischen Informationen nicht interessiert sein, dürfen Sie gerne zur Einleitung weiterblättern, ich werde deshalb nicht böse sein.

Folgende Berufsbezeichnungen gab/gibt es:

Der inoffizielle Begriff „Feinblechdesigner“ gefällt mir persönlich am besten.

Warum eigentlich diesen Beruf wählen?

Ich wollte Abwechslung bei der Arbeit und viel sehen und erleben. Das habe ich auch, denn ich habe gesehen wie:

Chemie, Medikamente, Milch, Saft, Alkohol, Fleisch, Mohrenköpfe, Kartoffelchips, Billardkugeln, Aluminium, Stahl, Atomstrom, Steinkohlestrom, Braunkohlestrom, Gasstrom, Gase, Baumaschinen, Automobile, Windeln, Papier, Kartonagen, Waschmittel, Weichspüler Seife, Parfüm, Fett, Wursthaut, Müllverstromung, Kaugummi, Autoreifen, Kosmetik, Eis, Keramik, Porzellan, Cola, Benzin, Möbel, Kunststoffe, Kleidung, Bier, Wein, Dynamit usw. usw. usw. hergestellt wird.

Und es war sehr interessant.

Auszug Bundesarbeitsagentur für Arbeit

1979: Anerkennung des Berufs Isolierer/in

1997: Ausbildungsordnung für den Beruf Industrie-Isolierer/in

Aufhebung des Vorläuferberufes Isolierer/in

Industrie-Isolierer/innen stellen vorwiegend für große industrielle Anlagen Wärme-, Kälte- und Schalldämmungen her. Sie fertigen die dafür notwendigen Stütz- und Trag-konstruktionen und bringen die Dämmstoffe an.

Industrie-Isolierer/in ist ein dreijähriger anerkannter Ausbildungsberuf in der Industrie.

Beschäftigung in erster Linie in Betrieben, die kälte-, wärme- und schalldämmende Einrichtungen für industrielle Produktionsanlagen installieren oder fertigen, in Betrieben unterschiedlicher Branchen, wo Produktionsanlagen oder Maschinen gegen Wärme- und Kälteverlust oder Lärm isoliert werden. Darüber hinaus findet man auch Beschäftigung im Hochbau, im Ausbau und der Haustechnik, in den Bereichen Wärmedämmung und Schallisolierung.

Auszug Wikipedia

Der Industrie-Isolierer ist ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf nach Berufsbildungsgesetz.

Die Ausbildungsdauer zum Industrie-Isolierer beträgt in der Regel drei Jahre. Die Ausbildung erfolgt an den Lernorten Betrieb und Berufsschule.

Der Beruf ist mit dem zweijährigen Ausbildungsberuf Isolierfacharbeiter in einer gemeinsamen Ausbildungsordnung zum 1. August 1997 in Kraft getreten. Es handelt sich um eine Stufenausbildung, d. h. die ersten beiden Ausbildungsjahre lernen Industrie-Isolierer und Isolierfacharbeiter dieselben Inhalte.

Arbeitsgebiet:

Industrie-Isolierer stellen Wärme-, Kälte- und Schalldämmungen her. Falls erforderlich, bauen sie zuvor geeignete Stütz- und Tragekonstruktionen, um anschließend den passenden Dämmstoff auszuwählen. Sie bringen diese Dämmstoffe in die Konstruktionen ein und schützen die Materialien mit Blechen oder anderen Werkstoffen vor äußeren Einflüssen.

Ihren Arbeitsplatz finden Industrie-Isolierer in großen Industrieanlagen, Kraftwerken, in der chemischen Industrie, aber auch auf Schiffen.

Erläuterung zu den verwendeten Fachbegriffen:

Leider ist es nicht immer möglich, ohne spezielle Fachbegriffe auszukommen. Natürlich habe ich versucht, diese Begriffe verständlich zu beschreiben.

Trotz allem habe ich zum besseren Verständnis Bemerkungen eingearbeitet und extra formatiert.

Beispiel:

(Bemerkungstext)

Für mehr Informationen empfehle ich das Internet. Mit den von mir verwendeten Beschreibungen kann man in der Regel alles wiederfinden.

Google sei Dank!

EINLEITUNG

Hallo, da ich jetzt in einem stattlichen Alter angelangt bin, möchte ich Euch meine Geschichte als Isolierer (oder wie immer Ihr es nennen wollt) erzählen.

Wie ich überhaupt dazu kam, diesen glorreichen und seltenen Beruf zu lernen. Wie ich vom Gesellen den Aufstieg zum Bauleiter schaffte. Und natürlich die glorreiche Zeit als Projektleiter.

Meine Erinnerung hat mich nicht im Stich gelassen – im Gegenteil.

Je intensiver ich nachdenke, desto mehr kleine und große Anekdoten fallen mir ein - und es werden immer mehr. Ich habe mit einem Buch voller Stichwörter angefangen und war selbst überrascht, was ich noch alles zusammenreimen konnte. Dann habe ich ein Vorselektieren vorgenommen, aber so, wie ich mich kenne, werde ich beim Schreiben noch den ein oder anderen Einfall mitverarbeiten und die Reihenfolge mehrmals über den Haufen werfen. Aber so bin ich halt.

Jetzt lehne ich mich gemütlich zurück und beginne, Euch die Geschichte eines Isolierers zu erzählen. Vielleicht sehen sich einige selbst wieder in der einen oder anderen Geschichte, was ich mir sehr gut vorstellen kann.

Damit es auch eine richtige Geschichte wird, muss natürlich etwas ausgeholt werden. Und da meiner einer viel zu erzählen hat, fangen wir doch einfach mal an - am besten mit dem Anfang.

JUGEND

Geboren wurde ich im Jahre 1961, in der Zeit der guten alten Deutschen Mark.

Im zarten Alter von zehn Jahren musste ich miterleben, wie mein Vater fast jeden Samstag im Blaumann das Haus verließ. Mit zwölf Jahren durfte ich nach langem Betteln endlich mitgehen. Schnell wurde mir klar, dass er ein Zubrot verdiente. Heute sagt man dazu Schwarzarbeit – aber ich sehe das immer noch anders. Keiner von den Firmen wollte in die Ein- oder Mehrfamilienhäuser gehen und dort Isolierung um die Heizungsrohre wickeln. Die kleinen Jobs waren einfach nicht lukrativ genug. Aber als Einmannbetrieb konnte man sich etwas dazu verdienen. Man musste aber geschickt und schnell sein, und ich war am Anfang alles andere als das. Aber mit der Zeit lernte ich, wie man den richtigen Zuschnitt für die Wellpappmatten errechnet und wie man sie dann mit Wickeldraht perfekt und gerade auf die Rohrleitungen wickelt. Denn dann gab es auch wenig Probleme, das Isogenopak als Oberflächenschutz aufzubringen. Nur das Stechen der Kunststoffverbindungen in das Isogenopak fiel mir schwer - zu wenig Muskelkraft vorhanden!

Mit der Zeit bekam ich aber den Dreh heraus, und dann warteten schon die nächsten Herausforderungen auf mich. Die Bögen waren keine, denn Fertigbögen anzubringen war einfach, aber die Stutzen waren eine ziemliche Tüftelei. Es dauerte sehr lange, bis ich das Augenmaß mit der Schere und dem Schnitt vereinen konnte. Die einfache Variante, mit den Manschetten, war mir zu primitiv.

„Übung macht den Meister“, sagte mein Vater immer, und er hatte Recht!

Die Glaswolle auf dem Karton war zwar etwas unangenehm und machte sich mit kleinen roten Pünktchen auf der Haut bemerkbar, aber daran gewöhnte man sich recht schnell. Irgendwann, als ich einmal warten musste, um abgeholt zu werden, bin ich sogar darin eingeschlafen.

Positiv war die Erhöhung des Taschengeldes, denn der Traum vom ersten Moped kam schneller näher als geplant.

Ohne Gerüste lernt man schnell akrobatische Übungen, und vor allem das Laufen mit der Leiter. Improvisationstalent war ebenfalls oft gefragt, und was man alles mit einer Rolle Wickeldraht machen kann? - Unglaublich! Wenn es dann im Winter auf dem Bau kalt wurde, bekam man noch für umsonst zusätzliche Abwehrkräfte – zwangsläufig.

Negativ war natürlich die Tatsache, dass es im Bau keine sanitären Einrichtungen gab. Dixi war noch nicht erfunden. So musste man sich anderweitig zu helfen wissen.

Jedenfalls machte mir die Sache immer mehr Spaß, und Kohle gab es auch noch. So kam es, dass ich meinen Vater fragte, ob ich in den Ferien einmal mitkommen dürfte, wenn er „richtig“ arbeiten geht. Eigentlich ging ich davon aus, dass es nicht machbar wäre, aber ich hatte mich getäuscht. Gleich am ersten Ferientag durfte ich mit ihm nach Frankfurt fahren.

Die Firma W. aus meiner Stadt hatte dort den Auftrag, im neuen Posthochhaus am Bahnhof die Isolierung zu montieren. Der Bauleiter (es sollte später mein bester Lehrmeister werden!) begrüßte mich herzlich und drückte mir sofort einen Eimer mit verschiedenfarbigen Klebebändern sowie einer Schere in die Hand.

Dann ging er mit mir in den Versorgungsschacht im Erdgeschoß und zeigte mir, welche Blechisolierung ich mit welcher Farbe Klebebandes markieren sollte. Das tat ich dann auch, Schacht für Schacht und Stockwerk für Stockwerk. Nach sechs Stunden

kam der Bauleiter zu mir und sagte, ich sei für heute von der Arbeit befreit, da ich einen so tollen Job gemacht hätte.

Bis zum Feierabend war aber noch viel Zeit. Was tun? Ich machte mich einfach auf den Weg in die Frankfurter Innenstadt. Zum Bahnhof zurückzufinden war recht einfach, also ging ich drauflos durch die größte Straße, die vom Bahnhof wegführte, die Kaiserstraße. Nach wenigen hundert Metern sah ich in einer Seitenstraße komische Schaufenster, die mich magisch anzogen. Darin standen leicht bekleidete Mädchen, die sich einen Spaß daraus machten, mich kleinen (damals noch unschuldigen!) Jungen ständig zu rufen. Mit hochrotem Kopf lief ich davon und schaute mir lieber die vielen Bilder an den Eingängen der Bars an. Plötzlich hatte ich es sehr eilig, erwachsen zu werden. In zwei Wochen lernte ich Frankfurt kennen, denn immer nach sechs Stunden Arbeit durfte ich auf Erkundungsreise gehen.

Später durfte ich noch nach Grünstadt in eine besondere Fabrik mitgehen. Dort wurden weiße Halbschalen aus Styropor um die Rohrleitungen gewickelt. Arbeiten durfte ich dort nicht so richtig. Nur helfen, sauber zu machen. Aber das war uninteressant! Denn die Arbeiter dort fütterten mich immer mit ihrem Herstellungsprodukt. Es handelte sich um eine Eisfabrik für die Amerikaner. Dort wurde das Eis für alle in Deutschland stationierten Amerikaner hergestellt, und es war gutes Eis – sehr gutes Eis.

Ein anderes Mal waren wir in einer Strumpffärberei im Odenwald. Dort durfte ich auch nicht arbeiten, denn die Fabrikarbeiterinnen bestanden darauf, mich mit Essen und Trinken zu verwöhnen. Ich sei noch zu klein zum Arbeiten. Aber bald schon würde ich groß sein, und bald schon stand das Schulpraktikum an.

Ich wusste genau, was ich wollte!

Nicht - wie alle - in die „kleine chemische Fabrik“ in Ludwigshafen. Nein, ich wollte Isolierer werden! Bei der Firma, in der mein Vater arbeitete. So kam es, dass ich mich dort bewarb, um mein Schulpraktikum zu machen. Herr L., der Montageleiter, war überrascht, aber glücklich, so dass ich an einem schönen Frühlingsmontag mein Praktikum begann.

PRAKTIKUM

Ich fuhr mit dem Fahrrad in die Firma. So stand ich alleine vor einem Gebäude, das eher wie ein Wohnhaus aussah. Ein Wohnhaus mit einer angebauten Lagerhalle und einer zusätzlichen Halle im Hinterhof. Herr L. nahm mich persönlich in Empfang und führte mich zuerst in die Hinterhofhalle.

Dort wurde das Material gelagert. Ich bin mir sicher, dort wurde das Spiel Tetris erfunden! Ok, Tetris wurde erst 1985 erfunden, aber hier musste es seinen Ursprung haben. Der Lagerist war ein freundlicher, etwas korpulenter Herr und übernahm mich. Er schaute mich stirnrunzelnd an und fragte mich nach meiner Schuhgröße. Dann verschwand er in einer Kammer und kam kopfschüttelnd zurück. Als ich die Hose, die Jacke und die Schuhe anzog, wusste ich, warum. Alles viel zu groß für mich Knirps von 153 Zentimetern. Mit drei Paar Wollsocken passten die Schuhe, mit mehreren Umschlägen auch die Hose. Nur dem Arbeitskittel fehlten kräftige Schulterblätter. ‚Gott sei Dank, kein Spiegel‘, dachte ich noch, und schon gingen wir zusammen in die andere Halle – die Werkstatt.

Dort standen unglaubliche Maschinen herum. An mehreren Werkbänken standen Männer und bearbeiteten Bleche. An den Wänden hingen überall Modelle, die aussahen wie Fische oder Doppelberge. Das war alles im ersten Moment sehr verwirrend für mich, aber ich wollte es ja so. Dann wurde ich Herrn S. vorgestellt, der die nächsten zwei Wochen für mich zuständig war.

Herr S. war ein sehr netter Mann, der irgendwie gleich einen Sohn in mir sah. Wir verstanden uns auf Anhieb prächtig, und er brachte mir in kleinen Schritten die Blechverarbeitung näher. Ich durfte, natürlich mit Handschuhen, Blechverkleidungen zusammenschrauben.

Er erklärte mir, dass es sich bei den Blechen um die Verkleidung eines Auspuffrohres an einem großen LKW handelte und nach Brasilien verschifft würde. Und so schraubte ich einige Tage voller Stolz Bleche für Brasilien zusammen. Langsam lernte ich immer mehr Arbeiter kennen. Als ich St. kennenlernte, bekam ich gehörigen Respekt vor den Maschinen. St. hatte eine Hand in die Rundmaschine gebracht und alle Finger verloren. Aber nicht nur das war interessant. Auch seine Geschichten, die er in der Pause erzählte, waren höchst bemerkenswert.

Zum Beispiel erzählte er, dass er natürlich mit seinem Handicap keine „gescheite Frau“ bekommen könnte und sich mit dem begnügen musste, was ihm das Leben so gab. So hatte er eine Frau kennengelernt, die gehbehindert war und zu sich nach Hause mitgenommen. Dort hatte er sie in die Badewanne gesetzt und ist Zigaretten holen gegangen. Unterwegs traf er einen Kumpel von früher und ist in einer stadtbekannten Kneipe hängengeblieben. Die arme Frau in seiner Badewanne hatte er vergessen. Sie konnte sich aus ihrer misslichen Lage nicht selbst befreien, saß also in der Wanne und musste warten. Acht Stunden später kam St. zu Hause an und musste sich natürlich einiges anhören. Er hat sie nie mehr wiedergesehen – was ja auch verständlich ist.

Natürlich haben wir ihm die Geschichte nicht geglaubt – aber wir wurden eines Besseren belehrt. Am nächsten Morgen schmückte ein beschriftetes Leintuch den Eingang der Firma.

Ich zitiere:

„Hier arbeitet das größte Arschloch der ganzen Stadt“.

Wir fanden das mehr als angemessen, und allen war klar, dass es für St. noch ein Nachspiel vor Gericht geben würde. Natürlich war St. an diesem Tag nicht unbedingt gut drauf, und irgendwie musste anscheinend der Frust noch raus. Kollege P. hatte ein großes Radio auf dem Regal an seinem Arbeitsplatz stehen. In einer angemessenen Lautstärke wurde aktueller Pop gesendet. Auf einmal schritt St. auf P. zu und schrie ‚er solle die Scheiß-Musik ausmachen‘. Natürlich dachte P. nicht im Traum daran. Im Gegenteil, er machte die Musik lauter. Auf einmal stand St. vor dem Radio und schlug mit mehreren Hammerschlägen das Radio kurz und klein. Dann schnaubte er verächtlich, drehte sich um und verschwand.

Hier gefiel es mir - hier war was los!

Am letzten Tag wollten mich die Kollegen natürlich auch veräppeln. Zuerst sollte ich die Feierabendschablone suchen, dann die Siemens-Lufthaken. Aber ich fiel nicht darauf herein. Sprachlos war ich, als ich helfen sollte, Bleche abzuladen. Die schweren Rollenbleche wurden auf dem LKW umgekippt und dann mit einem Holzbalken zu zweit abgeladen. Im Boden auf dem Hof war eine große Klappe mit einer steilen Treppe nach unten, dort wurden die Bleche gelagert. Das war ein harter Job, und das war nicht das Einzige, was hart war. Alles wurde in Handarbeit hergestellt, und viele Maschinen wurden ebenfalls von Hand betrieben.

Mich faszinierte die Tatsache, aus zweidimensionalen Teilen etwas Dreidimensionales zu gestalten. Grundvoraussetzungen für diesen Beruf, erklärte mir Herr S. am letzten Tag, wären gute Mathematikkenntnisse und ein gutes räumliches Vorstellungs-vermögen. Bei mir war beides vorhanden.

Spätestens, nachdem ich von Herrn L. noch 50,- DM zum Abschied in die Hand gedrückt bekam, war mir klar: ‚Das will ich machen‘.

Und so kam es, dass ich mit fünfzehn Jahren meine Lehre bei der Firma W. begann.

LEHRZEIT

1. Lehrjahr

Das erste Lehrjahr war hart, sehr hart. Zumindest war die Firma mittlerweile nach M. umgezogen, in eine neue moderne Halle mit einem Aufenthaltsraum. Viel angenehmer als im Praktikum - und auch viel mehr Mitarbeiter. Herr S. war auch noch da und freute sich, mich zu sehen. Er würde vorerst mein Ausbilder sein, was auch mich freute. Es gab jetzt auch einen Werkstattleiter, Herr P., der hinter einer Glasscheibe alles in der Werkstatt von seinem Büro aus sehen konnte. Die anderen würde ich noch kennenlernen. Aber zuerst musste ich mich wieder einkleiden.

Der Lagerverwalter musste lachen, als er mich sah. Er wunderte sich, dass ich immer noch so klein wäre – aber dafür konnte ich ja nichts. Wenigstens die Schuhe passten mittlerweile. Aber die Hosen und die Jacken mussten immer noch mehrmals umgekrempelt werden. Damit würde ich noch eine Weile leben müssen.

Dann ging es los, und mir wurde eine Blechschere in die eine und eine Stück Blech in die andere Hand gedrückt. Das Spiel nannte sich Halbkreise ausschneiden und dauerte den ganzen Tag. Das Spiel wurde am nächsten Tag fortgesetzt und wurde nicht nur langweilig; mir schmerzten die Finger, der Arm und noch viel mehr Stellen am Körper.

Am dritten Tag fragte ich höflich nach, wann ich denn nun endlich an die Maschinen dürfte. Aber mein Ausbilder lachte nur und sagte etwas von ‚Muskelaufbau‘ und so einem dämlichen Zeug wie ‚da müssen alle durch.‘ Frustriert fuhr ich nach Hause, so hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Am nächsten Morgen musste ich, wie zukünftig immer (bis ich endlich sechzehn wurde und Moped fahren durfte) vom Bus in die Bahn umsteigen. Am Umsteigepunkt befand sich ein Kiosk, welcher immer schon früh geöffnet hatte. Dort standen jeden Morgen mindestens drei Männer im gehobenen Alter, jeder mit einer Flasche Bier und einem Unterberg in der Hand. Sie redeten nur über ihren Scheißjob, und dass ohne Alkohol das Ganze nicht mehr zu ertragen sei.

An diesem Morgen schwor ich mir, dass ich nicht so enden wollte. In der Firma griff ich frohen Mutes zu den Scheren und schnitt weiterhin Halbkreise aus, ohne zu murren, auch wenn es höllisch weh tat. Damit musste ich meinen Ausbilder, Herrn S., beeindruckt haben, denn am Freitag lobte er mich und versprach mir, dass am Montag eine andere Arbeit auf mich warten würde.

Gut gelaunt kam ich am Montag in die Firma. Voller Tatendrang, hochmotiviert, um dann schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen zu landen. Herr S. war nicht da, und der Werkstattmeister gab mir ungeniert einen Besen in die Hand und schickte mich damit ins Lager. Frustriert lief ich ins Lager und machte große Augen. Mineralwolle-Ballen lagen wild durcheinander, und unser Lagerverwalter stand kopfschüttelnd vor dem riesigen Haufen. Als er mich mit dem Besen sah, musste er lachen, wünschte mir viel Spaß und lief davon.

Da stand ich nun – ich Hänfling - und ein riesiger Berg Glaswolle vor mir. Es half ja nix, also in die Hände gespuckt, und zur Mittagspause war wieder alles fein säuberlich aufgestapelt.

Der Lagerverwalter kam zu mir, und als er sah, dass ich fertig war, nahm er mich zur Seite und sagte: „Pass auf, das war eine Spitzenleistung und deshalb hast Du es verdient, Deine Mittagspause hier zu verlängern. Ruhe Dich aus und ich bringe Dir Deine Tasche. Zum Feierabend kommst Du wieder in die Werkstatt – ok?“

Am nächsten Tag durfte ich wieder die Werkstatt kehren. Höflich fragte ich, ob es denn keine sinnvollere Arbeit geben würde. Der Werkstattmeister nickte nur und drückte mir einen Zettel in die Hand. Und so kam es, dass ich den Rest der Woche damit beschäftigt war Bier, Brötchen, Zeitungen und anderes mehr für die Gesellen einzukaufen. Dann kam mein neuer Freund, der Besen, wieder zum Einsatz.

Am nächsten Montag kam mein Ausbilder wieder zurück, und ab da wurde es endlich besser. Ich durfte Blechteile zusammenschrauben und bekam die ersten Aufrisse zu sehen. Dann kam der große Tag und ich durfte zum ersten Mal eine Handschlagschere (mechanische Hebelschere zum Zurechtschneiden von Blechen) bedienen. Respektvoll schaute ich erst einmal genau zu. Dabei wurde mir schnell klar‚ dass es das Wichtigste ist, die Hand nicht abzuschneiden. Der erste Schnitt verlief etwas problematisch, da ich den Kniff, das Obermesser zum Tisch zu ziehen, noch nicht richtig heraushatte. Aber mit der Zeit wurde es immer besser.

Fröhlich legte ich kurz vor Feierabend noch ein kleines Blechstück auf und schnitt. Leider hielt ich das Stück nicht richtig fest, und so sprang das andere Ende des Bleches nach oben, genau in mein Handgelenk. Zuerst erschrak ich, dann hob ich meinen Arm hoch und schaute mir die doch recht kleine Wunde genauer an.

Ok, kein Blut! Dann klappte ich das Handgelenk nach unten und schaute in die nun offene Wunde.

Eine pulsierende Ader war das Letzte, was ich sah, dann wurde ich auf der Werkbank liegend wieder wach. Ich hatte Glück: Einen Millimeter tiefer und ich hätte die Hauptschlagader getroffen! Die Wunde wurde mit einem Stich genäht, und mein Respekt gegenüber dem Werkstoff ‚Blech‘ wuchs schlagartig. Für die nächsten zwei Wochen bekam ich nur leichte Arbeit, und ich war froh, dass die Wunde so schnell verheilte.

Bald schon sollte ich meinen ersehnten ersten Baustellenbesuch bekommen. Ich fuhr mit einem Herrn H. im Bus mit Material nach Ludwigshafen. Wir kamen in einer Siedlung mit vornehmen Einfamilienhäusern an. Herr H. erklärte mir, dass alle Häuser hier an das Fernwärmenetz angeschlossen wurden. Jetzt mussten in allen Kellern die Anschlüsse isoliert werden. Zum Teil mit Blech, der Rest mit Wellpappmatten und Isogenopak. Da kannte ich mich ja aus, und deshalb freute ich mich auf diese Arbeit. Die ersten Tage waren wirklich toll. Herr H. montierte die Bleche und ich machte den Rest. Alle Hausbesitzer waren freundlich zu uns. Das eine oder andere Mal bekamen wir Kaffee und Kuchen serviert.

In einem Haus schaute ich mir länger eine Wand im Keller an, bis mich die Hausbesitzerin ansprach und mir den Anblick erklärte: „Mein Mann plant an dieser Wand Riemchenfliesen zu verlegen. Um zu sehen, wie es später aussieht und welche Menge benötigt wird, hat er einfach die Fliesen schon mal mit Bleistift an die Wand gemalt“. Ich schaute sie noch verwirrter an als vorher. Sie seufzte nur und ließ mich alleine. Man muss sich das mal vorstellen: Da malt jemand die Riemchen an die Wand mit Bleistift, und vor allem mit FUGEN!

Und so gingen wir von Haus zu Haus, bis uns eine hübsche Frau im mittleren Alter im Bademantel die Tür öffnete.

Sie nahm mich bei der Hand und führte mich in die Küche. Dort befanden sich eine Tasse Kakao, zwei süße Teilchen und eine Sportzeitschrift. Ich schaute sie verdutzt an, dann verschwanden sie und Herr H.! ‚Ok‘, dachte ich. ‚Besser als arbeiten‘, und so ging auch dieser Tag vorüber.

Natürlich dauerte die Arbeit bei der Frau viel länger als in den anderen Häusern – aber mir war es wurscht. Der Kakao und die Teilchen waren gut, und bald schon war die schöne Zeit vorbei.

Die Fernwärmeleitungen lagen unter den Straßen, und dort waren auch die Abgänge zu den Häusern. Natürlich mussten auch diese isoliert werden. Da es sich um einen kleinen Betonraum handelte, der über einen Gully zu erreichen war, hatte ich die Ehre, als Kleinster in der Firma, diese Arbeiten durchzuführen. Trotz guten Zuredens meines Gesellen handelte es sich um eine Scheißarbeit! Heiß, wenig Sauerstoff und verdammt eng! Ich verfluchte meine Berufswahl, aber nur bis zu dem Zeitpunkt, als ich erfuhr, wie es meinen Freunden in der großen Fabrik so ergeht. Den ganzen Tag nur feilen bis man Blasen an den Fingern hatte, Bier holen oder kehren, kehren und nochmals kehren. ‚Willkommen im ersten Lehrjahr‘, dachte ich und nahm es, wie es kam.

Die Berufsschule war auch sehr interessant. In einer Klasse waren alle drei Lehrjahrgänge untergebracht. Wenn unser Lehrer den Leuten im dritten Lehrjahr etwas erklärte, verstanden wir im ersten Lehrjahr nur Bahnhof, und umgekehrt langweilten sich die Älteren.

Da wir ja eine exotische Gruppe waren, kamen die Leute unserer Klasse aus allen Teilen der Pfalz. So trafen wir uns immer am Hauptbahnhof und liefen dann gemeinsam zur Berufsschule.

Aber erst, nachdem wir ein Gläschen Bier in der Bahnhofskneipe getrunken hatten! Wir waren dann wenigstens gut drauf, um den Tag besser zu ertragen.

Und so ging das erste Lehrjahr vorbei. Bald schon sollte ich Bekanntschaft mit einer Sickenmaschine machen – bald!

(Eine Maschine mit zwei waagerechten Achsen, an deren Ende man verschiedene Rollen befestigen kann. Sie dient zur Herstellung von Decksicken oder zum Bördeln, also zur Verformung der Bleche. Die obere Achse wird von Hand nach unten auf die feststehende untere Achse gedrückt. Somit wird die Verformung des Bleches schrittweise erhöht bzw. vertieft. Die elektrische Maschine wird in der Regel über einen Fußschalter gesteuert, gibt es aber auch in einer mechanischen Ausführung.)

2. Lehrjahr

Als ich in die Werkstatt kam und stolz mein zweites Lehrjahr begann, bekamen wir Zuwachs. Zwei neue Lehrlinge, P. und J., wurden eingestellt. Wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut, und das sollte auch lange so bleiben. Es begann die Zeit der Streiche.

Jeder teilte aus und musste einstecken. Aber wenn jemand gegen uns Drei war, musste er dran glauben. Wir hatten einen Gesellen, Herr W., der etwas hochnäsig war und ständig versuchte, uns als Bedienung oder Laufburschen auszunutzen. Einmal schickten wir ihn zu seinem Auto, weil er angeblich das Licht brennen gelassen hatte. In der Zeit schraubten wir sein komplettes Werkzeug auf der Werkbank fest. Zum Teil verwendeten wir vorbereitete Schrauben mit Wickeldraht - es musste ja schnell gehen. Die anderen Gesellen schmunzelten nur, und einer sagte sogar, dass es ihm Recht geschehe. Als er zurückkam und feststellte, was wir getan hatten, fluchte er so laut, dass der Montageinspektor aus seinem Büro in die Werkstatt kam. Zuerst schmunzelte er, denn er kannte ja seine Pappenheimer. Doch dann musste er Stärke beweisen – aber alle deckten uns. Keiner petzte, und der liebe Herr W. wurde etwas freundlicher zu uns.

Mich selbst erwischte es zweimal. Ab und zu mussten die Schraubenzieher und die Reißnadel neu angeschliffen werden. Ich stand voll konzentriert am Schleifstein, und natürlich hatten mir meine ‚Freunde‘ ihre Werkzeuge auch zum Schleifen gegeben. Nach zwanzig Minuten intensiver Arbeit wollte ich wieder zurücklaufen, aber ein schmatzendes Geräusch erweckte meine Aufmerksamkeit. Jeder Schritt wurde von diesem Geräusch begleitet. Vorsichtig schaute ich auf meine Schuhe hinab und begann zu lachen.

Die lieben Kollegen hatten meine Schuhe komplett mit der grauen Farbe der Lüftungsbauer angemalt. Na, danke. Aber ich war auch manchmal nicht so nett – im Leben gleicht sich ja bekanntlich alles aus.

Das zweite Mal war schmerzhaft, und jetzt kommt die angesprochene Bekanntschaft mit der Sickenmaschine. Die Rollen für Kastensicke (mit den zwei Rollen wurde ein U in das Blech geformt) waren eingelegt, da ich Mäntel für Flanschkappen bearbeitete. In meinem jugendlichen Leichtsinn stellte ich den Abstand der beiden Rollen so ein, dass mein Daumen problemlos zwischen die obere und die untere Rolle passte. Was ich dann auch demonstrativ tat. Und nicht nur einmal – so lange, bis es jeder gesehen hatte.

Dann drehte ich mich um, als mir J. etwas zurief. In dem Moment verkleinerte P. den Abstand der Rollen. Als dann mein Daumen wieder zwischen die Rollen kam, hatte ich ein perfektes Kastensickenprofil in meinem Daumennagel. Etwas Blut tropfte auch heraus, und ich konnte zusehen, wie der Bluterguss unter dem Fingernagel sich immer dunkler färbte. Diesmal fiel ich nicht in Ohnmacht, aber nur deshalb, weil Herr S. zu mir eilte und mich dann auch in die Unfallklinik fuhr. Dort wurde der Nagel von einem unbeherrschten Arzt entfernt, und zwar mit dem dritten Skalpell. Die ersten beiden schmiss er fluchend in die Ecke. Na ja, ich habe es überlebt und ging am nächsten Tag natürlich wieder arbeiten. Eine Woche Böden ausschneiden an der Handkreisschere. War nicht so toll, aber dafür verwöhnten mich meine beiden Kumpels, denn das schlechte Gewissen machte ihnen zu schaffen.