Cover

Mit Plan durch die Klimakrise

Jahrhundertsturm, Jahrtausendflut, verdorrte Böden, Insektenplagen – extreme Wetter- und Naturereignisse treten inzwischen im Jahresrhythmus auf und finden längst nicht mehr nur in fernen Ländern statt. Und dennoch sind dies erst Vorboten! Umweltexperte Claus-Peter Hutter führt uns eindringlich vor Augen, wie weit der Klimawandel schon vorangeschritten ist, womit wir in den nächsten Jahren noch rechnen müssen und welche Strategien für ein Leben unter verschärften Bedingungen wir alle angehen müssen. Wir alle können und müssen etwas tun. Jeder Tag zählt!

»Klimaschutz muss zu Hause, in jedem Dorf, in jeder Stadt anfangen. Claus-Peter Hutter zeigt konkret, was Sie als Einzelne tun können!« Arved Fuchs, Polarforscher

»Dieses Buch verdient es, von vielen Menschen gelesen zu werden; es ist verständlich geschrieben, reduziert die Komplexität, ohne dadurch banal oder unseriös zu werden« Prof. Dr. Klaus Töpfer

»Viel zu lange hat man auf uns Wissenschaftler nicht gehört – Dieses Buch zeigt mit vielen Beispielen, wie wir die Herausforderung Klimawandel meistern können« Prof. Dr. Mojib Latif, Klimaforscher

Claus-Peter Hutter

Klima-
krise:

Die Erde
rechnet ab

Wo wir handeln müssen
und was wir tun können,
um unsere Zukunft zu retten

WILHELM HEYNE VERLAG
München

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel

Die Erde rechnet ab im Ludwig Verlag.

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Der Wilhelm Heyne Verlag, München, ist ein Verlag der
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Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Ulrike Strerath-Bolz

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

unter Verwendung eines Fotos von © Kativ / Getty Images

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

ISBN: 978-3-641-27335-4
V001

www.heyne.de

All jenen Menschen gewidmet, die in den armen Regionen der Erde schon jetzt unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden. Menschen, die allzu oft Opfer der von ihnen nicht verursachten Erderwärmung sind und beim Kampf um das nackte Überleben in letzte Naturparadiese vordringen und selbst zu Tätern werden …

Inhalt

Der Klimawandel ist da – und was jetzt?

Gedanken über Nachgedachtes

Wenn das Klima krank macht

Angriff der Insekten und anderer Plagegeister

Urlaub, Unwetter, Unbehagen

Wo und wie machen wir künftig Urlaub?

Kluge Vorsorge statt blindes Vertrauen

Wie wir uns auf kleine und große Katastrophen besser vorbereiten können

Essen 4.0 – wie essen wir in der Zukunft?

Landwirtschaft, die das Land krank macht

Zwischen sengender Sonne und Sturmzeiten

Von der Notwendigkeit einer neuen Stadtstrategie

Wasser ist Leben

Selbstverständliches neu denken, schützen und schätzen

Energie – aber wie?

Nichts wird bleiben, wie es war und ist

Grüne Lungen in Gefahr

Was wird aus unseren Wäldern?

Was wird aus unserem Naturerbe?

Klima-Killer Mensch

Eine zweite Erde gibt es nicht

Was ist was? Das kleine Klima-ABC

Wer macht was? Nützliche Adressen

Anmerkungen

Literatur

Der Autor

Dank

NatureLife-International Stiftung für Umwelt, Bildung und Nachhaltigkeit

Der Klimawandel ist da – was jetzt?

Gedanken über Nachgedachtes

»How dare you...?«

Greta Thunberg

Tränen in den Augen, mit zitternder Stimme steht am 23. September 2019 ein 16-jähriges Mädchen vor Staats- und Regierungschefs aus aller Welt, die sich versammelt haben, um das Klima dieser Welt zu retten. Sie schleudert ihnen vom Podium aus den Satz zu, der in die Geschichte eingehen wird: »How dare you…?« Wie könnt ihr es wagen? »Menschen leiden, Menschen sterben, ganze Ökosysteme kollabieren...«

Greta Thunberg ist die Gallionsfigur der Bewegung „Fridays for future“. Mögen die Ideen der bunten Akteure für Manche auch unausgegoren und teilweise etwas verrückt klingen – sie beweisen jedenfalls eines: vor allem junge Menschen sind in Sorge um den Planeten. Doch viel zu viele sind immer noch erschreckend sorglos. Sorglos und unvorbereitet. Mit jedem Tag den wir nicht nützen um uns auf den Klimawandel einzustellen, verschwenden wir Zeit.

Stellen Sie sich vor, Sie kommen an eine vielbefahrene Kreuzung. Irgendwo in Hamburg, Berlin, Köln, Frankfurt, München, Stuttgart, Zürich oder Wien oder wo auch immer. Wie aus dem Nichts werden Sie Zeuge eines Auffahrunfalls. Sie realisieren, dass es wohl Verletzte gibt, diese aber nicht in der Lage sind, ihren Wagen zu verlassen. Ganz klar rufen Sie, wie hoffentlich auch andere Menschen, die Augenzeuge geworden sind, über Ihr Mobiltelefon Erste Hilfe. Doch bis Hilfe kommt, kann es dauern. Ganz klar: Jetzt sind Sie gefordert. Beherzt wollen Sie Ihre Signalweste anziehen. Doch wo ist sie nur? In Sekundenbruchteilen schießt Ihnen die alles entscheidende Frage durch den Kopf: Wie gehen die Erste-Hilfe-Griffe noch gleich…? Dann sind Sie schon an einem der drei beteiligten Autos und versuchen hilflos, ein bewusstloses Unfallopfer aus dem Wagen zu ziehen. Es gelingt Ihnen gemeinsam mit anderen Passanten, zwei Menschen zu bergen. Da sind auch schon die Signale der Einsatzfahrzeuge von Notarzt und Polizei zu hören. Endlich! Gott sei Dank.

Wie hilflos und wenig vorbereitet wir in solchen Situationen doch sind. Situationen, bei denen es um Leben und Tod geht.

Und nun stellen Sie sich vor, dass plötzlich sintflutartiger Regen über Ihrer Wohngegend niederprasselt. Schon nach kurzer Zeit stehen Kellerräume, Tiefgaragen, Unterführungen unter Wasser, Gulls quellen über und verwandeln Straßen und Wege in reißende Bäche. Sind Sie darauf vorbereitet? Haben sich solche Sturzfluten lokal oder regional begrenzt nicht immer in anderen Gegenden abgespielt – fern Ihrer Alltagsrealität? Was kann, ja was muss als Erstes zur Rettung von Leib und Leben getan werden? Wie kann anderen geholfen werden und wie ist das eigene Hab und Gut zu schützen?

Zurück zur Unfallkreuzung. Mittlerweile sind zwei Fahrzeuge mit Notarzt und Sanitätern eingetroffen. Gezielt kümmern diese sich, unterstützt von den ebenfalls eingetroffenen Feuerwehrleuten, um die Befreiung der anderen, noch in ihren Wagen eingeschlossenen und ebenfalls bewusstlosen Verletzten. Die Retter sind gut geschult, jeder weiß, was er zu tun hat. Und das ist gut so, denn nur durch schnelles Handeln kann Leben gerettet werden. Was wäre, wenn Sanitäter und Ärzte erst noch lange diskutieren und überlegen oder im Handbuch nachschauen müssten, ob ein Opfer wiederbelebt werden muss, ob die Blutung am abgedrückten, weil eingequetschten Unterschenkel gestillt werden muss oder, oder, oder … In Notsituationen sind Diskussionen völlig fehl am Platz. Hilflose Helfer verringern die Überlebenschancen der Unfallpatienten.

Und jetzt stellen Sie sich den Patienten Erde vor. Spätestens seit der Club of Rome 1972 mit der Studie Die Grenzen des Wachstums vor den Folgen von Naturvernichtung, Umweltverschmutzung und den damals noch nicht unter dem Begriff »Klimawandel« bekannten Problem gewarnt hat, hätten die »Helfer« von Mutter Erde reagieren müssen. Allerspätestens seit der ersten Weltumweltkonferenz – 1992 in Rio de Janeiro –und den Mahnungen des Weltklimarates (Intergovernal Panel on Climate Change, IPCC, 2007) weiß unsere Gesellschaft um die Gefahr, die dem Patienten Erde droht. Wir – und damit meine ich jeden Einzelnen – müssen aktiv in die »Rettungsaktion Erde« einsteigen, bevor der Patient stirbt. Wer in verantwortlicher Position zur Info-Elite gehört, in Regional-, Landes- und Länderregierungen politische Verantwortung trägt, in der Wirtschaft eine Führungsposition besetzt, sich in internationale Gremien einbringt oder einfach nur in seinem Verein »mitspielt«, muss im Namen der Erde handeln. Als Privatperson mit Vorbildcharakter verhalten wir uns falsch, wenn wir so tun, als sei alles in bester Ordnung!

Am Ende holt der »Unfall« uns alle ein. Und zwar dann, wenn wir während einer Hitzeperiode nicht genügend Wasser im Haus haben, wenn Sturzfluten unser Hab und Gut wegspülen oder unsere Lieben nicht mehr wissen, wo sie nach der Katastrophe die Nacht verbringen sollen. Wir können uns nicht auf Politiker und all die hilflosen »Amtsträger« verlassen, die schon viel zu lange darüber diskutieren, welche Hilfsmaßnahmen für den Patienten Erde nun die richtigen sind.

Unter anderem finden solche Diskussionen auf Klima-Konferenzen statt. Auf die erste Welt-Umwelt- und Klimakonferenz in Rio de Janeiro 1992 – dort sollte eine »Strategie« zur nachhaltigen Entwicklung beschlossen werden – folgten über zwanzig weitere Klima-Konferenzen. Mal mit exotischen Zielen wie Kyoto, Marrakesch, Bali, Lima, mal ganz schlicht wie in Paris oder Bonn. Es wird viel geredet, diskutiert und zu Papier gebracht. Hundertneunzig Staaten haben mittlerweile Klimaschutzpläne vorgelegt. Der Berg kreißt – und gebiert nach einem Vierteljahrhundert nicht einmal eine Maus. Ja, ein Vierteljahrhundert: Sage und schreibe fünfundzwanzig Jahre diskutieren und lamentieren die »Retter«! Nicht auszudenken, was das für unsere Unfallopfer aus der Beispielgeschichte heißen würde.

Es ist später als wir denken

Dabei meinen es die meisten Teilnehmer der Klima-Konferenzen ja wirklich gut. Tausende von ihnen kommen da zusammen, allein an der Konferenz in Madrid Ende 2019 waren sechsundzwanzigtausend Menschen beteiligt! Doch am Ende hat die Erde weiter Fieber – und die Temperatur steigt immer mehr an. Es ist notwendig, dass sich die Weltgemeinschaft austauscht und um Lösungen ringt, doch irgendwann muss man auch zu Resultaten und zum Handeln kommen. Natürlich ist es richtig, dass Verantwortliche aus Politik und Wirtschaft sich treffen, doch es bleibt nicht mehr viel Zeit für Small Talk und Eiertanz, Befindlichkeiten und Taktiererei. Wertvolle Zeit für aktives Handeln ist längst verloren gegangen. In der Zwischenzeit leiden Millionen von Menschen unter den Folgen, Flora und Fauna liegen im Sterben: Der Patient Erde muss dringend auf die Intensivstation – und keiner bildet eine Rettungsgasse…! Im übertragenen Sinne stehen alle an der Unfallkreuzung und diskutieren. Jeder tut so, als ginge uns der Patient nichts an. Dabei ist es unsere Mutter, die da liegt: Mutter Natur leidet.

Tatsächlich liegt die Unfallkreuzung im Global Village immer direkt vor unserer Haustür – auch wenn die verheerenden Hurrikans »nur« Mittelamerika und Florida betreffen, wenn die Taifune – wie man die Wirbelstürme im pazifischen Raum nennt – über zehntausend Kilometer von Deutschland entfernt über die Philippinischen Inseln hinwegfegen. Sie haben Namen wie die Spielkameraden unserer Kinder. Sie heißen Harvey, Jose, Ophelia, Irma und Maria – und bringen den Tod mit sich. Die Folgen der Tropenstürme etwa in Florida und Mittelamerika waren verheerend. So viele Hurrikans, wie 2017 in nur wenigen Wochen die betroffenen Regionen verwüstet haben, gab es seit Menschengedenken noch nie. Wenn das die letzten Zweifler am Klimawandel nicht sehen und die Konsequenzen daraus nicht wahrhaben wollen, ist ihnen – und uns allen – nicht mehr zu helfen. Was den Klimawandel anbelangt, ist es später, als die meisten denken. Oder haben wir uns an die Schreckensnachrichten bereits gewöhnt? Und wenn uns schon die Tropenstürme nicht warnen, warum schrecken wir nicht auf angesichts von Sturm »Friederike« im Januar 2018, exakt elf Jahre nach dem ebenso verheerenden Jahrhundertsturm »Kyrill«?

Handeln ist angesagt: auf allen Ebenen der Politik, der Weltwirtschaft und natürlich bei jedem Einzelnen. Da stimmen kleine Zeichen der Hoffnung fast schon wieder froh: Verantwortungsbewusste Menschen in den Vereinigten Staaten ignorieren in Sachen Klimaschutz das absurde Verhalten ihres Präsidenten; verschiedene Bundesstaaten halten konsequent am Kurs des Klimaschutzes fest. Ein »Jetzt erst recht«, das Mut macht! Es geht schlicht und einfach darum, ganz undogmatisch konsequent zu sein und die Chancen zu nutzen. Denn das Zeitfenster, das uns noch bleibt, ist relativ klein.

Was bedeutet das alles für uns »ganz normale Menschen«? Für Menschen, die nicht auf Klima-Konferenzen herumsitzen? Für Menschen, die langsam spüren, dass sich das Klima verändert? Für Menschen in der Land- und Forstwirtschaft, die nach Trockenperioden und Ernteausfällen nur einen Bruchteil ihres Einkommens »ernten«? Für Menschen, deren Hab und Gut bei den immer häufigeren »Unwetterkatastrophen« vernichtet wurde und wird? Wie sieht unser Alltag angesichts des Klimawandels heute aus? Und morgen? Ist der Klimawandel nicht längst im Alltag angekommen? Im eigenen Garten, in der Stadt und dem vertrauten Urlaubsland? Die Zeichen sind da, wo wir früher Ski gefahren sind und heute die Gletscher schmelzen, wo die Bäume immer früher blühen und die Blüten dann wegen des Spätfrostes erfrieren. Oder dort, wo idyllische Dorfbäche zu reißenden Flüssen werden, wo über Jahrhunderte geschaffene Werte vernichtet werden. Und ja: wo Menschen sterben! Das ständig wiederholte Mantra mancher Meteorologen »alles nur Wetter« wollen besorgte Menschen schon lange nicht mehr glauben.

Selber handeln ist angesagt. Aber wie können wir unseren Alltag gestalten, um nicht zu Klimaopfern zu werden? Wie können wir uns vorbereiten?

Wir haben nur noch ein kleines Zeitfenster zum Handeln

Bürgerinnen und Bürger müssen sich in Eigenverantwortung auf den Klimawandel einstellen. Wir dürfen uns nicht mehr hinter bürokratischen Strukturen zurückziehen, können uns nicht mehr allein auf das öffentliche Gemeinwesen verlassen! Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass die Lebensbedingungen in Deutschland künftig »unbequemer« werden. Was kann, ja, was muss unsere wohlstandsgesättigte Gesellschaft tun, um den Menschen in anderen Regionen der Erde zu helfen? Es ist eng geworden im »Global Village«, und die Auswirkungen des Klimawandels zwingen Menschen immer häufiger dazu, ihre Heimat zu verlassen. Auch in Afrika, Asien und Südamerika wollen Väter und Mütter ein erträgliches Auskommen haben und ihren Kindern eine Zukunft ermöglichen.

Dieses Buch hat nicht zum Ziel, längst wissenschaftlich untermauerte Tatsachen wieder und wieder zu wiederholen. Über die Fakten besteht bei 99 Prozent der Wissenschaftler und mittlerweile auch bei den allermeisten Politikern keine Zweifel mehr. Nein, dieses Buch ist geschrieben worden, um zum Handeln aufzurufen, egal, ob Sie ganz privat zu Hause etwas tun wollen, oder ob Sie als Funktionsträger in einer gesellschaftlich relevanten Position etwas tun müssen. Es reicht längst nicht mehr, die Menschen dazu aufzufordern, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, den Energieverbrauch zu senken und unseren Alltag klimaneutral zu gestalten. Wir brauchen einen alltagstauglichen Krisenplan, damit wir nicht blind in die Klimafalle laufen. Der Klimawandel ist da – wir müssen uns darauf einstellen.

Wir wissen wirklich genug

Wir wissen, dass der Planet Erde ein »Sensibelchen« ist. Im Laufe von Millionen Jahren ist es immer wieder vorgekommen, dass durch eine geringfügige Verlagerung der Erdachse Klimaschwankungen verursacht wurden. Doch die jetzige Katastrophe ist von Menschen gemacht. Sie entsteht aus der Kombination von natürlichen Schwankungen und menschengemachten Gefahren. Ignoranz, Nichtstun und bewusste Leugnung von Klimaschwankungen sind lebensgefährdend. Wenn wir nicht zu »Dinosauriern« werden wollen, muss bald etwas geschehen. Wenn zu den normalen Klimaschwankungen, die es immer wieder gegeben hat, noch eines »draufgesetzt« wird, wäre dies, als ob man Unfallopfern mit schweren Verletzungen oder einem Herzinfarktpatienten mitteilen würde, dass es bei seinem Zustand nun auf ein amputiertes Bein, eine HIV-Infektion oder eine Hepatitis-B-Erkrankung auch nicht mehr ankommt.

Denn das Zeitfenster schließt sich. Vielleicht bleiben uns noch zehn oder zwanzig Jahre. Zehn oder zwanzig Jahre, in denen wir – wir alle! – zweierlei tun müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass der Klimawandel sich nicht noch mehr verschlimmert. Und wir müssen lernen, uns auf die jetzt schon eintretenden Folgen einzustellen. Für uns und für nachfolgende Generationen.

Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich inmitten von Apfel-, Birnen- und Zwetschgenbäumen, die mein Vater mit meinem Opa 1960 auf der familieneigenen Obstwiese gepflanzt hat. Aus einem Acker wurde so ein kleines grünes Paradies. Was das mit dem Klimawandel zu tun hat? Sehr viel! Obstwiesen wie diese sind nämlich kleine »Frischluftzellen« und CO2-Senken. Viele solche Flächen stabilisieren zusammen regional das Klima. Aber es geht mir auch noch um etwas anderes! Seit der Zeit um 1960, in der die Menschen im Nachkriegsdeutschland noch mehr als heute mit und nicht gegen die Natur gearbeitet haben, hat sich sehr viel verändert.

1960 gab es noch keine bemannte Raumfahrt; erst im April 1961 umkreiste der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin die Erde. Ab 1968 flogen dann im Rahmen des Apollo-Programms erste Menschen ins Weltall, und 1969 erfolgte die erste Mondlandung – staunend blickte man vom Mond auf die Erde. Heute haben wir ein dichtes Netz von Satelliten und können im Gegensatz zu früheren Generationen die Auswirkungen unserer Eingriffe in die Natur erkennen und bewerten. Wir kommunizieren in Echtzeit und können die Schäden menschlichen Handelns aus dem All dokumentieren. Wir sehen die brennenden Urwälder, erleben live und in Farbe, wie sich die Rodungsflächen der Holzplünderer in die grüne »Lunge« fressen. Der Blick aus dem All auf unsere Welt müsste uns schockieren! Fast auf den Quadratmeter genau sehen wir, was wir anrichten. Heute ist es sogar möglich, auf einer Entfernung zwischen 56 und 40 Millionen Kilometern mittels Raumsonden auf dem Mars Gesteine zu analysieren. Noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte seit der Erfindung der ersten einfachen Schrift vor rund sechstausend Jahren, ja seit dem »Auftreten« der Species Homo sapiens überhaupt, war die Menschheit so wie wir heute in der Lage, nicht nur Ereignisse festzuhalten und somit für spätere Generationen erschließbar zu machen, sondern wie wir heute in Echtzeit zu kommunizieren, die durch Menschen gemachten Eingriffe in die Natur und das Erdsystem zu dokumentieren, zu analysieren und vor allem zu reflektieren. Das unterscheidet uns ganz wesentlich von den Menschen vor uns.

Tatsächlich wissen wir aufgrund archäologischer Funde, dass immer dann, wenn eine Erdregion von Menschen besiedelt wurde, erhebliche Eingriffe in die Natur stattfanden. Mit gravierenden Folgen: Die einzigartige Megafauna Australiens mit bis zu sieben Meter langen Echsen, kleinwagengroßen Schildkröten, zwei Tonnen schweren Wombats und drei Meter hohen, bis zu 500 Kilogramm schweren Laufvögeln war schon bald nach der Besiedlung des Kontinents vor fünfzig- bis sechzigtausend Jahren restlos ausgerottet. Und in Neuseeland wurden binnen kürzester Zeit von den ersten Siedlern die bis zu 250 Kilogramm schweren Riesenstrauße (Moas) und andere Großtiere vernichtet. In Südamerika verschwanden innerhalb von sechshundert Jahren nach der ersten Besiedlung (die vor zehn- bis zwölftausend Jahren stattfand) Tiere wie das Wollhaarmammut, das Riesenfaultier und das Riesengürteltier. Und auch das Thema Raubbau an den Wäldern ist nicht neu: Weil die verheerenden Folgen des eigenen Tun und Handelns noch nicht erkannt werden konnten, holzten Phönizier, Ägypter, Griechen, Römer und andere Völker rund um das Mittelmeer die noch vor viertausend Jahren üppigen Wälder ab, um Holz für ihre Kriegs- und Handelsflotten zu gewinnen. Verkarstung und veränderte Einflüsse auf das regionale und lokale Klima sind noch heute die langfristigen Folgen.

Eins jedoch hat sich geändert, und das ist in unserem Bewusstsein noch viel zu wenig angekommen: Im Gegensatz zu unseren Vorfahren wissen wir heute, welche Folgen nicht nachhaltiges Handeln hat. Und wir haben die technologischen Möglichkeiten, dem entgegenzusteuern.

Die Zehntausend-Jahre-Chance

Wir müssen nur begreifen, dass uns erstmals seit dem Ende der letzten Eiszeit vor zehntausend Jahren die Handlungsoptionen gegeben sind, uns auf den Klimawandel einzustellen. Die Ausgangslage ist traurig genug: Unser Leben in der Zukunft ist ein Leben auf einem von der Menschheit schon nahezu zerstörten Planeten. Trotzdem: politische Ignoranz! Das zeigte sich erneut bei der Weltklimakonferenz im Dezember 2019 in Madrid. Wieder einmal wurden konkrete Maßnahmen blockiert. Die Ökobremser waren u.a. Australien, die USA und Brasilien. Wir rasen weiter Richtung Klimakatastrophe. Doch wir haben keinen »Planeten B«…! Deshalb müssen wir mit unserer im All rotierenden Heimstatt pfleglicher umgehen als in den letzten zehntausend Jahren.

Klima ist natürlich kein Menschenwerk: Wir wissen, dass Vulkanausbrüche viele Tausend Kilometer vom Eruptionsort entfernt das Wetter verändern können. Beim Ausbruch des Vulkans Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa im Jahr 1815 legte sich eine Aschewolke über weite Teile der Welt; in großen Gebieten Deutschlands, der Schweiz und der Britischen Inseln kam es zu einem Sommer ohne Sonne – einhergehend mit einer Hungerskatastrohe, die viele Menschenleben forderte und die Überlebenden zum Auswandern gezwungen hat. Das ist gerade 200 Jahre her. Wir können noch so sehr mit seismologischer Technik Vulkane und Erdbeben-Hotspots überwachen, so wissen wir dennoch nicht, wann wieder ein derartiges Unglück passiert. Doch menschengemachte Klimaveränderungen müssen wir verhindern! Die schon erfolgten Eingriffe in den Klimahaushalt der Erde sind nicht mehr rückgängig zu machen; die Folgen treten jetzt ein. Doch weitere klimaschädliche Entwicklungen sind vermeidbar. Wir wissen genug!

Eine zweite Chance wird die Menschheit nicht mehr bekommen, weil es dann ganz einfach zu spät ist.

Wo wir stehen

Jahrhundertdürre, Jahrhundertsturm, Jahrtausendflut? Die Bilder vom anderen Ende der Welt haben apokalyptische Ausmaße: Im Januar 2020 steht der Südosten Australiens in Flammen. Bei den seit Herbst 2019 wütenden Buschbränden haben viele Menschen ihre Häuser verloren, mussten evakuiert werden. Mehr als eine Milliarde Tiere (Insekten, Amphibien, Fledermäuse nicht mitgerechnet) sind nach Angaben der Universität von Sidney verbrannt. Rauchschwaden umhüllten das Opernhaus in Sydney, die berühmte Harbour Bridge war kaum noch zu sehen; die Temperaturen stiegen mancherorts auf über 46 Grad. Auch im tropischen Queensland wüteten die Buschbrände. Ein Flammeninferno von bisher nie gekanntem Ausmaß. Insgesamt wurde Wald- und Buschland auf Flächen im Ausmaß der Gebiete von Baden-Württemberg und Hessen zusammen vernichtet. Im August 2019 verbrannten im Amazonasgebiet binnen fünf Tagen über 10.000 Quadratkilometer Wald. Im Oktober bedrohten verheerende Waldbrände in Kalifornien 50.000 Menschen und zerstörten ganze Siedlungen. An Weihnachten 2019 hat der Taifun Phanfone auf den Philippinen eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Über 130.000 Einwohner mussten ihre Wohnungen verlassen; In vielen Regionen hat es vier Jahre nicht geregnet. Nur einige Beispiele von mittlerweile unzähligen Naturkatastrophen. Extreme Wetterereignisse treten inzwischen im Halbjahresrhythmus auf. Verdorrte Böden, Hochwasser und Schlammfluten, Insektenplagen – das alles gehört mittlerweile zum Alltag, und die Nachrichten darüber lassen uns bereits abstumpfen. Dabei sind das erst die Vorboten für ein Ende der Welt, wie wir sie kennen. Schon jetzt ist nichts mehr, wie es einmal war.

Das ist ganz einfach wissenschaftlich untermauert. »Der Klimawandel ist längst nicht mehr eine Erfindung grüner Moralapostel oder selbst ernannter Untergangspropheten. Er findet bereits statt und lässt sich weltweit beobachten«, sagt etwa Dr. Lutz Spandau, langjähriger Vorstand der renommierten Allianz Umweltstiftung.

Unter dem Titel »Klima: Grundlagen, Geschichte und Projektionen« wurden von der Stiftung die Aspekte Klima und Mensch sowie die zu beobachtenden Klimatrends zusammengefasst. Fakten, die wir alle kennen sollten. Mit freundlicher Genehmigung der Allianz Umweltstiftung werden die Kernpunkte nachfolgend in gekürzter, leicht ergänzter Fassung aufgeführt.

Klimageschichte und Klimatrends im Zeitraffer

Auch die letzten Zweifler am Klimawandel müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Jahre 2010 bis 2019 das wärmste Jahrzehnt seit Beginn der Wetteraufzeichnung waren. Doch blicken wir noch weiter zurück:

Schon kleine globale Temperaturschwankungen haben große Wirkungen

Prägt der Mensch das Klima?

Folgen und Fakten

Die Erde im Hitzestress

Es ist später, als wir denken – machen wir Ernst mit der Anpassung

Die Fakten sprechen für sich. So ist klar, dass der weitere Temperaturanstieg auf der Erde gebremst werden muss, und es ist auch klar, dass dies nur durch eine drastische Einschränkung der Nutzung fossiler Energieträger machbar ist. Während hier die Staaten, die Weltwirtschaft und jeder Einzelne in seinem persönlichen Bereich aufgefordert sind, schnell zu handeln, darf parallel keine Zeit verloren werden, Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zu ergreifen. Denn der Klimawandel ist ganz einfach da, das ist Fakt! Während Einzelne in manchen Bereichen nur eingeschränkte Möglichkeiten haben, Einfluss auf träge Politiker oder verantwortungslose Ignoranten und Geschäftemacher zu nehmen, gibt es beim viel zu sehr vernachlässigten Bereich der Klimawandel-Anpassung viele Bereiche und Punkte, bei denen wir alle selbst handeln können und müssen. Oberstes Ziel muss es sein, mit den unweigerlichen und sich noch verschärfenden Folgen des Klimawandels besser zurechtzukommen. Und zwar jetzt. Denn morgen kann schon alles anders sein, und Nichthandeln kommt teuer zu stehen. Teuer in finanzieller Hinsicht ohnehin: den Staat, die Steuerzahler und damit auch wieder jeden Einzelnen. Und zum anderen – Beispiele gibt es in anderen Regionen der Erde schon viel zu viele – zahlen wir für die Folgen des Nichthandelns mit Verlust an Lebensqualität, Armut, Krankheiten oder dem Tod viel zu vieler Menschen.

Als ich zusammen mit der Hamburger Journalistin Eva Goris 2009 das Buch Die Erde schlägt zurück – wie der Klimawandel unser Leben verändert – Szenario 2035 schrieb, wurden wir von manchen ungläubig belächelt. Der Fiction-Teil des Buches war nur schwer zu ertragen. In die Zukunft projizierte Ereignisse wie die Welle der Klimaflüchtlinge, die Zunahme von sintflutartigen Regenfällen auch in Mitteleuropa sowie anhaltende Dürren mit Hungersnöten wurden oft ungläubig belächelt. »Das alles kommt viel schneller, als wir alle denken«, sagte dagegen der frühere Bundesumweltminister und spätere Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme, UNEP), Prof. Dr. Klaus Töpfer bei der Buchvorstellung in Berlin. Leider haben wir recht behalten.

Natur kennt keine Demokratie

Was wir vor zehn Jahren im Szenario auf das Jahr 2035 gelegt hatten, wurde schneller zur Realität, als wir uns das vorstellen konnten. Und so ist es später, als wir alle denken. Daran ändern auch Einschätzungen von Ökobremsern in Politik und Wirtschaft nichts, ebenso wenig wie Wahlergebnisse und Abstimmungen in lokalen, regionalen oder nationalen Parlamenten. All das hat keinen Einfluss auf die Quittung der Natur, mit der die Erde jetzt gnadenlos abrechnet.

Denn Natur kennt keine Demokratie. Sie hat ihre eigenen Gesetze. Gesetze, die wir zum Teil noch gar nicht alle kennen. Schließlich haben wir die Funktion von Ökosystemen noch gar nicht begriffen. Da kann ein Gemeinde- oder Stadtratgremium noch so einmütig beschließen, dass dieses Haus, jene Gewerbehalle oder eine Sportanlage am Rande des rechtlich ausgewiesenen Überschwemmungsgebietes in einer Flussaue eine zu vertretende Maßnahme ist, die in der Gesamtabwägung der Natur nicht schadet.

Das Gejammer ist dann groß, wenn die Natur nach ihren eigenen Gesetzen zurückschlägt und beim nächsten Hochwasserereignis sich die zuvor »einstimmig« vom Tisch gefegten Bedenken von Natur- und Klimaschützern im Nachhinein als berechtigt erweisen. Es sind eben nicht nur die »großen Sünden«, die die Folgen des Klimawandels verschlimmern; es sind auch die vielen kleinen Maßnahmen, die oft mit einem Federstrich genehmigt werden und große Folgen haben. Beides – die großen und die kleinen Sünden – können wir uns einfach nicht mehr leisten.

Beim Schutz vor den Folgen des Klimawandels muss im Kleinen begonnen werden. Nicht anders ist es bei gravierenden Eingriffen. Wenn ein nationales Parlament oder ein selbstherrlicher Diktator beschließen, Waldgebiete abzuholzen, Flüsse zur Energiegewinnung aufzustauen – am Ende kennt die Natur keine Gnade.

Doch was kann man im privaten Umfeld tun, um sich in Zeiten des Klimawandels zu behaupten? Was müssen Städte und Gemeinden tun, um für Bürgerinnen und Bürger das Leben zukunftstauglich zu halten und zu gestalten? Wo müssen Regierungen gegenlenken?

Dieses Buch will Handlungsempfehlungen geben und positive Beispiele und Strategien zur Anpassung an den Klimawandel aufzeigen. Es versteht sich als Appell an die Verantwortlichen in Verwaltungen, Politik und Wirtschaft. Die Kapitel orientieren sich an unseren Lebenswelten; ihr Inhalt ist als eine Sammlung konkreter Handlungsvorschläge und realisierbarer Anregungen zu verstehen.

Und ja, es werden darüber hinaus weitere Handlungsoptionen gebraucht. Überall und jetzt. Denn mit jedem Morgen, jedem Tag, an dem nicht gehandelt wird, verschlimmert sich die Situation. So wie wir uns um unsere Gesundheit kümmern müssen, müssen wir uns jetzt auch um unsere Klimazukunft kümmern! Die Zeit ist knapp!

Claus-Peter Hutter