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8., erweiterte und aktualisierte Auflage 2019
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© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-034896-7
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-034897-4
epub: ISBN 978-3-17-034898-1
mobi: ISBN 978-3-17-034899-8
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Für die 7. Auflage haben wir alle Kapitel inhaltlich grundlegend überarbeitet, um neuere Entwicklungen aktualisiert und das Lehrbuch auch strukturell in einigen Teilen neu gestaltet. Wir sind dankbar, dass die folgenden neuen (Ko-)Autoren uns bei dieser Aufgabe unterstützt haben: Klaus Beck, Indre Maurer, Emilio Marti, Simon Oertel und Elke Weik.
Gegenüber der 6. Auflage haben wir die Struktur des Lehrbuches in vier Punkten geändert. Die Theorien der Managementlehre, Taylorismus, Human Relations Bewegung und Organisationspsychologie werden nun gestrafft in einem Kapitel vorgestellt und diskutiert. Wir haben zwei neue Kapitel aufgenommen: »Interpretative Theorien: Sprache, Kommunikation und Organisation« und »Netzwerktheorien«. Für diese neuen Theorien musste das Kapitel zur Strukturationstheorie leider weichen.
Wir danken den folgenden Personen sehr herzlich für die wertvollen Hinweise und Anregungen, die sie den Autoren dieses Buches für die Überarbeitung ihrer jeweiligen Kapitel gegeben haben: Jessica Chromik, Isabella Reichert, Stefan Sigmund, Norbert Steigenberger und Hendrik Wilhelm. Elke Schäfer danken wir für die Erstellung der Satzvorlage und des Literaturverzeichnisses.
Friedrichshafen und Köln, im Mai 2014
Alfred Kieser und Mark Ebers
Für die 8. Auflage haben wir alle Kapitel inhaltlich grundlegend überarbeitet und um neuere Entwicklungen aktualisiert. Die mit der 7. Auflage neu gestalteten Schwerpunktsetzungen und Autorenschaften haben wir beibehalten.
Wir danken Elke Schäfer, Luise Burhoff und Lisa Kilian für das Korrekturlesen der Kapitel, die Unterstützung bei der Erstellung der Satzvorlage und des Literaturverzeichnisses.
Mannheim und Köln, im November 2018
Alfred Kieser und Mark Ebers
1 Wissenschaftstheorie der Organisationstheorie
Andreas Georg Scherer und Emilio Marti
2 Max Webers Analyse der Bürokratie
Alfred Kieser
3 Managementlehren – von Regeln guter Praxis über den Taylorismus zur Human Relations-Bewegung
Alfred Kieser
4 Die Verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie
Ulrike Berger, Isolde Bernhard-Mehlich und Simon Oertel
5 Der Situative Ansatz
Alfred Kieser
6 Institutionenökonomische Theorien der Organisation
Mark Ebers und Wilfried Gotsch
7 Evolutionstheoretische Ansätze in der Organisationslehre – Die Population Ecology-Theorie
Michael Woywode und Nikolaus Beck
8 Neoinstitutionalistische Ansätze in der Organisationstheorie
Peter Walgenbach
9 Interpretative Theorien: Sprache, Kommunikation und Organisation
Elke Weik
10 Netzwerktheorie
Mark Ebers und Indre Maurer
11 Organisationen in Luhmanns Systemtheorie
Wil Martens und Günther Ortmann
Man vergisst immer wieder,
auf den Grund zu gehen. Man setzt
die Fragezeichen nicht tief genug.
Ludwig Wittgenstein (1984b)
Mit »Organisationen« werden Menschen tagtäglich konfrontiert. In der Ausbildung, bei der Arbeit, in der Freizeit, bei der Religionsausübung sowie in vielen anderen Lebensumständen erlebt sich der Mensch als Teil einer Organisation, sieht sich als Individuum den Möglichkeiten und Zwängen einer Organisation ausgesetzt. Dies gilt im besonderen Maße für die Wirtschaft und die in der Wirtschaft tätigen Individuen. Bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen sind die Menschen darauf angewiesen, ihre Handlungen aufeinander abzustimmen. Organisationen stellen ein herausragendes Instrument dar, eine solche Koordination vorzunehmen. Dass dies nicht immer einfach ist und daher auch nicht immer gelingt, wissen wir aus unserer eigenen Erfahrung im Umgang mit Organisationen oder können es der Wirtschaftspresse entnehmen, die regelmäßig von Fällen berichtet, in denen die Koordination scheitert.
Die Organisationstheorie soll nun das Entstehen, das Bestehen und die Funktionsweise von Organisationen erklären bzw. verstehen. Sie dient damit (implizit oder explizit) der Verbesserung der Organisationspraxis. Selbstverständlich haben alle Menschen bereits ein intuitives Alltagswissen davon, wie Organisationen funktionieren. Das Wissen der Organisationstheorie soll sich von diesem Alltagswissen durch ein systematischeres Vorgehen und durch Nachvollziehbarkeit unterscheiden. Wer jedoch erstmals eine Organisationsvorlesung besucht oder ein entsprechendes Lehrbuch zu Rate zieht, wird verwundert feststellen, dass es die Organisationstheorie gar nicht gibt. Vielmehr findet sich in den meisten Organisationslehrbüchern eine Vielzahl an organisationstheoretischen Ansätzen, die selbst bei näherer Betrachtung nur wenig gemeinsam haben und in vielen Fällen sogar widersprüchlich zueinander sind. Warum gibt es nun so viele verschiedene organisationstheoretische Ansätze? Warum können sich die Forscherinnen und Forscher nicht auf einen konsistenten Ansatz einigen?
Dazu muss man sich erstens vergegenwärtigen, dass Organisationen hochkomplexe soziale Gebilde sind, in denen viele Probleme auftreten können, die einer theoretischen Durchdringung wert sind. Der Gegenstandsbereich der Organisationstheorie ist so breit, dass darunter eine Vielzahl von Teilaspekten fällt, die nur schwer unter ein gemeinsames Dach einer wie auch immer gearteten »Supertheorie« zu integrieren sind. So lassen sich etwa die Beziehungen zwischen Individuum und Organisation thematisieren, zwischen Gruppe und Organisation, das Verhältnis von Organisation und Umwelt, das Verhältnis von Organisationsstrukturen und -prozessen, das Verhältnis von Organisation und alternativen Koordinationsformen (z. B. marktliche Austauschbeziehungen), die Beziehungen zwischen verschiedenen Organisationen, die Rolle von Machtprozessen in Organisationen, der Wandel von Organisationen etc. In der Literatur hat sich inzwischen hierfür eine Kategorisierung nach der Analyseeinheit durchgesetzt (vgl. z. B. Astley/Van de Ven 1983; Hage 1980; Pfeffer 1982). Je nachdem, ob sich die Theorien mit dem Verhalten von Individuen in Organisationen, dem Verhalten ganzer Organisationseinheiten und ihrer Strukturen oder aber mit den Beziehungen zwischen Organisationen und der Umwelt beschäftigen, unterscheidet man zwischen Mikro-, Meso- und Makrotheorien der Organisation (Hage 1980). Die Breite und Vielfalt an Themen reicht aber noch nicht aus, um zu verstehen, was einer Integration unter einer einheitlichen Perspektive prinzipiell im Wege steht.
Hinzu kommt nämlich zweitens, dass jeder dieser Teilaspekte wiederum aus der Perspektive verschiedener Wissenschaftsverständnisse beleuchtet werden kann. Jeder organisationstheoretische Ansatz arbeitet (explizit oder implizit) auf der Basis eines bestimmten Wissenschaftsverständnisses. Nun variieren diese Wissenschaftsverständnisse stark zwischen den verschiedenen organisationstheoretischen Ansätzen. Organisationsforscherinnen und -forscher haben offenbar kein gemeinsames Verständnis davon, was es heißt, Wissenschaft zu betreiben. Sie kommen mit unterschiedlichen Methoden zu ganz verschiedenen, zum Teil sogar widersprüchlichen Ergebnissen. Auch über den Zweck der Forschungstätigkeit besteht keine Einigkeit. Diese unterschiedlichen Wissenschaftsverständnisse werfen die grundsätzliche Frage auf, ob überhaupt und in welchem Sinne »objektive Erkenntnis« möglich ist. Genau mit dieser Problematik beschäftigt sich die Wissenschaftstheorie, die im Zentrum der folgenden Überlegungen steht.
Wir gehen zuerst auf den Zweck der Wissenschaftstheorie ein ( Kap. 1.2). Die Wissenschaftstheorie dient der Reflexion der Organisationstheorie, indem sie (teilweise implizite) Wissenschaftsverständnisse explizit macht und so eine Systematisierung und kritische Beurteilung ermöglicht. Anschließend beschreiben wir das vorherrschende Wissenschaftsverständnis: das Subjekt-Objekt-Modell ( Kap. 1.3). Dieses Wissenschaftsverständnis liegt vielen organisationstheoretischen Ansätzen zugrunde, etwa dem Situativen Ansatz ( Kap. 5). Andere Ansätze kritisieren dieses Wissenschaftsverständnis jedoch. Interpretative, kritische und postmoderne Ansätze ( Kap. 9) äußern methodische und normative Kritik am Subjekt-Objekt-Modell ( Kap. 1.4). Funktionalistische Ansätze ( Kap. 11) und Rational Choice Ansätze forschen auf der Basis von nochmals anderen Wissenschaftsverständnissen, die das Verhältnis zwischen individuellem Verhalten und gesellschaftlichen Institutionen grundverschieden verstehen ( Kap. 1.5). Nach diesem Systematisierungsversuch gehen wir noch auf die Frage ein, wie diese verschiedenen Wissenschaftsverständnisse kritisch beurteilt werden können und was dies für das Verhältnis zwischen ihnen bedeutet ( Kap. 1.6). Wir erläutern das Inkommensurabilitätsproblem sowie den Orientierungsvorschlag des methodischen Konstruktivismus.
Die Wissenschaftstheorie dient der Beschreibung und der kritischen Distanzierung vom faktischen Wissenschaftsbetrieb, sei es in der Organisationstheorie oder anderen Wissenschaften. Sie stellt eine Reflexion über Wissenschaft dar, indem sie zwei Grundfragen zu beantworten versucht (vgl. Steinmann/Scherer 2000):
(1) Welchen Zwecken dienen die Wissenschaften und welchen Zwecken sollen sie dienen?
(2) Welche Mittel setzen die Wissenschaften zur Erreichung dieser Zwecke ein und welche Mittel sollen sie einsetzen?
Hervorzuheben ist dabei, dass beide Fragestellungen sowohl die bloße Beschreibung der Wissenschaftspraxis (deskriptive Wissenschaftstheorie bzw. Wissenschaftssoziologie) als auch die kritische Anleitung der Wissenschaftspraxis (normative Wissenschaftstheorie bzw. Wissenschaftstheorie im eigentlichen Sinne) umfassen. Das Verhältnis von Organisationspraxis, Organisationstheorie und Wissenschaftstheorie lässt sich also wie folgt beschreiben ( Abb. 1.1). Die Organisationstheorie dient der Reflexion der Organisationspraxis. Sie fragt danach, wie die Organisationspraxis betrieben wird und wie sie betrieben werden sollte. Die Wissenschaftstheorie dient dagegen der Reflexion über die Organisationstheorie: Wie wird die Organisationstheorie betrieben und wie sollte sie sinnvoller Weise betrieben werden?
Abb. 1.1: Zum Verhältnis von Wissenschaftstheorie, Organisationstheorie und Organisationspraxis (vgl. Tsoukas/Knudsen 2003)
Wenn hier von »der« Wissenschaftstheorie die Rede ist, so darf dies allerdings nicht zur Annahme verleiten, es gäbe ein allgemein anerkanntes Wissenschaftsverständnis. Vielmehr setzen unterschiedliche organisationstheoretische Ansätze unterschiedliche Mittel (Methoden) ein und verfolgen unterschiedliche Zwecke. Dies hängt damit zusammen, dass ihre Forschung (implizit oder explizit) auf unterschiedlichen Wissenschaftsverständnissen aufbaut (Burrell/Morgan 1979; Gioia/Pitre 1990). In der wissenschaftstheoretischen Debatte werden diese Wissenschaftsverständnisse auch als Paradigmen bezeichnet (Kuhn 1962). Jedes Wissenschaftsverständnis (oder Paradigma) gibt – explizit oder implizit – eine bestimmte Antwort auf die oben formulierten Grundfragen der Wissenschaftstheorie.
Bezüglich der Zwecke der Wissenschaft (erste Grundfrage) existieren einerseits organisationstheoretische Ansätzen, die die Welt erklären bzw. verstehen wollen. Ihnen liegt gemäß Jürgen Habermas (1968) ein technisches oder praktisches Erkenntnisinteresse zugrunde. Diese Forschung dient (implizit oder explizit) der Stabilisierung und Optimierung des Status quo eines sozialen Systems. Andere organisationstheoretische Ansätze wollen die Welt hingegen verändern. Sie sind durch ein emanzipatorisches Erkenntnisinteresse motiviert. Sie sehen den Zweck der Wissenschaft darin, den Status quo eines sozialen Systems kritisch zu hinterfragen und Alternativen aufzuzeigen, die den Menschen mehr Freiheit und Selbstbestimmung in der Gemeinschaft mit anderen ermöglichen ( Kap. 1.4.2). Zugleich werden damit auch gesellschaftstheoretische Fragen berührt (zu den Erkenntnisinteressen, siehe auch Marti/Scherer 2016).
Bei den Mitteln der Wissenschaft (zweite Grundfrage) lassen sich verschiedene ontologische, epistemologische und methodologische Grundannahmen unterscheiden. In der Ontologie wird der Charakter des Untersuchungsgegenstands erörtert. Hier steht zur Debatte, ob der Untersuchungsgegenstand unabhängig vom erkennenden Subjekt existiert (Realismus) oder ob er erst durch das erkennende Subjekt erzeugt bzw. durch eine soziale Konstruktion mehrerer Subjekte konstituiert wird (Nominalismus). Bei der Epistemologie geht es um die Frage, wie sich (wahres) Wissen über den Untersuchungsgegenstand erlangen lässt (Scherer/Does/Marti 2015). Hier stehen sich unterschiedliche Wahrheitstheorien gegenüber, so z. B. die »Korrespondenztheorie der Wahrheit«, die Wissen als »Abbild« der Welt begreift, und die »Kohärenztheorie der Wahrheit«, nach der Wissen durch logische Ableitung aus vorhandenem Wissen generiert wird ( Kap. 1.3). Schließlich thematisiert die Methodologie, welche Methoden sich zur Untersuchung eines Gegenstandes einsetzen lassen. Zentral ist dabei die Frage, ob sich die Organisationspraxis mit naturwissenschaftlichen Methoden untersuchen lässt oder ob dafür eine eigenständige kulturwissenschaftliche Methode erforderlich ist ( Kap. 1.4.1).
Unterschiedliche organisationstheoretische Ansätze bauen also auf unterschiedlichen Wissenschaftsverständnissen auf, die sich hinsichtlich der verfolgten Zwecke (Erkenntnisinteressen) und eingesetzten Mittel (Grundannahmen zur Ontologie, Epistemologie und Methodologie) unterscheiden. Im nächsten Abschnitt diskutieren wir das am weitesten verbreitete Wissenschaftsverständnis: das Subjekt-Objekt-Modell.
Das Verhältnis zwischen der Forscherin oder dem Forscher (»erkennendes Subjekt«) und dem »Erkenntnisobjekt« ist schon lange Gegenstand kontroverser Debatten in Philosophie und Wissenschaftstheorie. Das »Subjekt-Objekt-Modell« bezeichnet dabei ein Wissenschaftsverständnis gemäß dessen sich die Sozialwissenschaften weitgehend an den in den Naturwissenschaften gebräuchlichen Vorgehensweisen orientieren sollen. Das Subjekt-Objekt-Modell hat sich als Synthese aus dem Grundlagenstreit zwischen »Rationalismus« und »Empirismus« entwickelt (vgl. Hollis 1994). Der Empirismus geht davon aus, dass der Mensch mit seinem sinnlichen Wahrnehmungsapparat einen unmittelbaren Zugang zur »Realität« hat und dadurch Gewissheit über seine Erkenntnis erlangen kann. Er lässt die Induktion zu, d. h. den Schluss von einem singulären Satz über ein Ereignis, dessen Wahrheit durch Wahrnehmung festgestellt wird, auf allgemeingültige Sätze. Dagegen postuliert der Rationalismus, dass über die Wahrheit von Aussagen über die Wirklichkeit allein aus Vernunftgründen »a priori« entschieden werden kann, so dass sich die Realität gleichsam »logisch« erschließt. Durch Deduktion, d. h. durch die logische Ableitung von weiteren Sätzen aus den als allgemeingültig unterstellten Axiomen, lassen sich größere Aussagesysteme entwickeln.
Im Spannungsfeld zwischen Empirismus und Rationalismus hat die Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts mehrere Varianten des »Subjekt-Objekt-Modells« hervorgebracht. Wichtig ist hierfür erst einmal der logische Empirismus der 1920er und 1930er Jahre. Der logische Empirismus unterscheidet zwischen analytischen Sätzen, die den Regeln der Logik entsprechen, und empirischen Sätzen, die sich an der Realität überprüfen lassen (Carnap/Hahn/Neurath 1979). Empirische Sätze versteht er dabei als »Abbilder« realer Gegenstände und definiert die Wahrheit von Sätzen als Übereinstimmung mit der »Realität« (Korrespondenztheorie der Wahrheit). Diese Annahme wird jedoch bereits innerhalb des logischen Empirismus in der sog. »Protokollsatz-Debatte« kritisiert. So argumentiert Otto Neurath (1979), dass sich sog. »Protokollsätze«, mit denen die Wahrnehmung eines Sachverhalts sprachlich repräsentiert (»protokolliert«) werden soll, nicht mit der Wirklichkeit selbst vergleichen lassen, da Sätze immer nur mit Sätzen, nicht aber mit sprachfreien Entitäten vergleichbar sind. Die Korrespondenztheorie der Wahrheit weicht daher einer Kohärenztheorie, der zufolge die Wahrheit einer Aussage als widerspruchsfreie Übereinstimmung mit einem System anderer (wahrer) Aussagen definiert ist. Nun müssen wissenschaftliche Aussagen »mit möglichst vielen Protokollaussagen« übereinstimmen (Neurath 1979).
Karl Popper und Hans Albert entwickeln diese Überlegungen im sog. kritischen Rationalismus weiter. Der kritische Rationalismus stellt ebenfalls eine Synthese aus Empirismus und Rationalismus dar, wenn auch mit einer anderen Gewichtung. Popper (1968, 1969) erkennt zwar die Erfahrung als entscheidende Geltungsinstanz wissenschaftlicher (empirischer) Aussagen an. Er verwirft jedoch die Induktion als wissenschaftliche Methode, weil ein Induktionsprinzip als allgemeingültiges Gesetz nicht aus sich selbst heraus begründet werden kann. Popper (1979) lässt ausschließlich die Deduktion zu, also die logische Folgerung eines Satzes aus einem bereits gültigen Satz. Hier stellt sich allerdings das Problem des Anfangs: Wie soll ein erster (gültiger) Satz, aus den sich alle weiteren Sätze ableiten, überhaupt begründet werden? – Jeder Versuch, einen solchen Anfang zu setzen, muss (i) in einer zirkulären Begründung des Anfangs, (ii) einem infiniten Regress oder (iii) einer willkürlichen Setzung enden (»Münchhausen-Trilemma«) (vgl. Albert 1980). Da es demzufolge keine absoluten Anfangssätze gibt, aus denen sich alles Wissen deduzieren lassen könnte, strebt Popper statt der Verifikation die Falsifikation an. Aus zu prüfenden Theorien sollen durch Deduktion empirisch gehaltvolle Sätze (Hypothesen) abgeleitet werden. Wenn diese Hypothesen an der Erfahrung scheitern, gelten sie als falsifiziert, womit die zugrundeliegenden Theorien zu verwerfen sind. Werden die Hypothesen dagegen bestätigt, so gelten die Theorien als bewährt. Eine endgültige Verifizierung ist nicht möglich. Popper (1972) ist jedoch der Überzeugung, dass durch das systematische Verwerfen von »falschen« Theorien ein kumulatives Anwachsen des Wissens erfolgt (für dieses Verständnis von »Theorie« vgl. auch Bacharach 1989; Whetten 1989).
Das Subjekt-Objekt-Modell ist damit im Kern beschrieben. Die wichtigsten Charakteristika lassen sich anhand folgender Punkte zusammenfassen (vgl. Kunneman 1991):
(1) Die »Realität« und deren unveränderliche Struktur (bestehend aus gegebenen Entitäten und Beziehungen zwischen diesen) existieren vor jeder menschlichen Erkenntnis und sind dem erkenntniserlangenden Subjekt objektiv vorgegeben (ontologische Grundannahme).
(2) Die Erkenntnis dieser Struktur ist prinzipiell möglich. Das Subjekt erlangt Erkenntnis über die Realität durch systematische Beobachtungen. Auf der Basis dieser Beobachtungen überprüfen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Gesetze und Theorien, mit deren Hilfe sich die Erscheinungen der realen Welt kausal erklären lassen (epistemologische Grundannahme).
(3) Die wissenschaftliche Methode liefert Regeln, mit deren Hilfe ein Lernprozess initiiert und kontrolliert werden kann. Auf dieseWeise wird ein Erkenntnisprozess in Gang gesetzt, der das verfügbare Wissen über Natur und Kultur stetig vermehrt (methodologische Grundannahme).
(4) Der mit Hilfe dieses Lernprozesses erzielte Erkenntnisfortschritt ermöglicht immer bessere Problemlösungen und trägt so zum gesellschaftlichen Fortschritt bei. Die Legitimität von gesellschaftlichen Normen kann jedoch – gemäß dem Wertfreiheitspostulat – nicht wissenschaftlich erörtert werden (philosophische Grundannahme).
Diese wissenschaftstheoretischen Diskussionen blieben nicht ohne Folgen für die Organisationstheorie. Auch dort setzt sich in den 1950er und 1960er Jahren zunächst eine Orientierung an den Methoden der Naturwissenschaften durch. Die Rezeption des Subjekt-Objekt-Modells findet ihre stärkste Ausprägung bei der Entwicklung des Situativen Ansatzes, der sich im Laufe der 1960er Jahre als bis heute dominierende Forschungsrichtung der Organisationstheorie in den USA herausschält (Donaldson 1996a, 1996b) ( Kap. 5). Der Situative Ansatz beruht auf der Annahme einer statischen Konzeption der Organisation und ihrer Umwelt. Die Organisation, so die Annahme, wird in ihren Strukturen durch die Charakteristika ihrer jeweiligen Situation determiniert, bspw. durch die Umwelt (Burns/Stalker 1961; Lawrence/Lorsch 1967), Technologie (Woodward 1965), Größe (Blau 1970a; Pugh/Hickson/Hinings/Turner 1969) oder Strategie (Chandler 1962). Die empirische Forschung will diese Wirkungszusammenhänge untersuchen und in Form von Gesetzen beschreiben. Lex Donaldson (1996a) bringt diesen Anspruch klar zum Ausdruck: »Organizations are to be explained by scientific laws in which the shape taken by organizations is determined by material factors […] These laws hold generally across organizations of all types and national cultures. The organization adopts a structure that is required by the imperatives of its situation.«
Neben dem Situativen Ansatz forschen auch andere organisationstheoretische Ansätze auf der Grundlage des Subjekt-Objekt-Modells, wie z. B. der Taylorismus oder die Human Relations-Bewegung ( Kap. 3).
Im Folgenden präsentieren wir die Kritikpunkte, die gegen das Subjekt-Objekt-Modell vorgebracht wurden, und zeigen auf, welche alternativen Wissenschaftsverständnisse aus dieser Kritik hervorgegangen sind (die Ausführungen orientieren sich an unseren Überlegungen aus Scherer 2003). Während das Subjekt-Objekt-Modell in den Naturwissenschaften auf große Akzeptanz gestoßen ist, werden in den Sozialwissenschaften schon seit langer Zeit Vorbehalte gegen dieses Wissenschaftsverständnis formuliert. Diese Vorbehalte stützen sich auf andere Forschungstraditionen, wie z. B. die Dialektik, den Historismus oder die Hermeneutik (vgl. zum Überblick Habermas 1968, 1985b; Kunneman 1991). Innerhalb der Organisationstheorie motivierte dies einerseits interpretative Ansätze (vgl. z. B. Daft/Weick 1984; Hatch/Yanow 2003; Isabella 1990; Osterloh 1993; Smircich/Stubbart 1985). Andererseits rückten auch normativ-ethische Fragestellungen in den Fokus (vgl. z. B. Alvesson/Willmott 1992a; Löhr 1991; Shrivastava 1986; Steinmann/Löhr 1994). Während interpretative und kritische Ansätze (in Abgrenzung vom Subjekt-Objekt-Modell) eigene Wissenschaftsverständnisse entwickeln, stellen postmoderne Ansätze die privilegierte Rolle der Wissenschaft grundsätzlich in Frage. Postmoderne Ansätze sehen wissenschaftliche Forschung bloß als eine menschliche Ausdrucksform, die nicht privilegiert werden sollte gegenüber anderen menschlichen Ausdrucksformen wie Malerei, Musik oder Lyrik. Im schlimmsten Fall sei die Wissenschaft sogar ein ungerechtfertigter Gebrauch von Macht (vgl. z. B. Feyerabend 1987) ( Kap. 9).
Eine erste Kritiklinie zielt auf die methodischen Annahmen des Subjekt-Objekt-Modells ab. Dabei wird argumentiert, dass der naturwissenschaftliche Zugang nicht geeignet ist, um soziale Phänomene zu erfassen. Die Naturwissenschaften hantieren mit unbelebter Materie. Der Forschungsgegenstand der Sozialwissenschaften dagegen konstituiert sich aus Akteurinnen und Akteuren, die selbst reden und handeln (Hollis 1995). Die zu erforschende soziale Realität ist kommunikativ vorstrukturiert und entsteht und verändert sich im Verlauf des Forschungsprozesses, ohne dass dies durch den Forschenden vollständig kontrolliert werden kann (Giddens 1984b). Das sog. »Forschungsobjekt« der Sozialwissenschaften ist so gesehen gar kein Objekt: Es hat und macht seine eigene Geschichte und bringt dabei seine Subjekthaftigkeit zur Geltung.
Ein objektiver, neutraler Zugang von außen – aus der Perspektive eines Beobachtenden – ist daher gar nicht möglich. Die »Sphäre der vergänglichen Dinge und des bloßen Meinens« (Habermas 1969) lässt sich auf diese Weise nicht erschließen. Für die Sozialwissenschaften werden daher interpretative Methoden als Alternative vorgeschlagen, mit denen ein verstehender Zugang gesucht wird (zum Überblick vgl. Giddens 1984b; Hatch/Yanow 2003; Osterloh 1993). Diese Methoden schließen im Wesentlichen an die Tradition der Hermeneutik an, d. h. an die Textauslegung in den Geisteswissenschaften. Sie tragen der Subjekthaftigkeit des Forschungsgegenstandes insofern Rechnung, als mit ihnen versucht wird, redend die subjektiven Sinngehalte der handelnden Akteurinnen und Akteure gleichsam aus der Perspektive einer teilnehmenden Person zu erschließen.
In der Organisationstheorie gewinnen diese Ideen in den 1970er Jahre an Bedeutung, als das Subjekt-Objekt-Modell im Allgemeinen und der Situative Ansatz im Speziellen zunehmend hinterfragt werden (vgl. z. B. Benson 1977; Clegg/Dunkerley 1980; Schreyögg 1978; Silverman 1970; Zey-Ferrell 1981). Alternative Ansätze werden vorgeschlagen, die der methodischen Kritik am Subjekt-Objekt-Modell Rechnung tragen. Im Gegensatz zum Situativen Ansatz sehen sie die Organisation als eine Entität an, die im Wesentlichen durch kulturelle und politische Prozesse erhalten und verändert wird. Während der Situative Ansatz nach objektiven Gesetzmäßigkeiten sucht, die gleichsam hinter dem Rücken der Akteurinnen und Akteure deren Verhalten bestimmen, machen die neueren Ansätze deutlich, dass Organisationen nach Regeln ablaufen, die durch das Handeln der Akteurinnen und Akteure selber geschaffen und verändert werden (vgl. Benson 1977). Die organisatorische Wirklichkeit ist aus dieser Perspektive nicht objektiv vorgegeben, sondern Ergebnis einer sozialen Konstruktion (vgl. Reed 1992).
Mit einer derartigen Position wird die ontologische Grundannahme des Subjekt-Objekt-Modells verändert (vgl. Chia 1997). Das dem interpretativen Ansatz zugrundeliegende Wissenschaftsverständnis geht davon aus, dass soziale Realitäten nicht als »harte Fakten« gegeben sind und entsprechend erforscht werden können, sondern von den Mitgliedern einer sozialen Gemeinschaft (unterschiedlich) konstruiert und interpretiert werden. Soziale Sachverhalte werden daher nicht als gegenständliche Einheiten, sondern als durch das Handeln der Akteurinnen und Akteure entstehende Regeln und Bedeutungen betrachtet. Beim Forschen geht es demnach nicht um ein objektives Beobachten (wie im Subjekt-Objekt-Modell), sondern um ein Teilnehmen, durch das die subjektiven Sinngehalte der Akteurinnen und Akteure erfragt werden. Forschende müssen dabei eine Interpretation der Interpretationen der Akteurinnen und Akteure vornehmen (»doppelte Hermeneutik«) (vgl. Giddens 1984b). Während Forschung im Sinne des Subjekt-Objekt-Modells Theorien gewöhnlich durch großzahlige quantitative Untersuchungen zu stützen trachtet, setzt interpretative Forschung auf eine oder wenige Fallstudien. Das Verfahren ist dem Charakter nach mehr induktiv: Die Forschenden eröffnen den Untersuchungsprozess möglichst unbefangen ohne Formulierung einer Ausgangshypothese oder Theorie. Diese sollen sich erst im Verlauf des Befragungs- und Auswertungsprozesses ergeben und durch abermalige Interviews mit den Befragten immer wieder abgeglichen werden. Isabella (1990) illustriert diesen Ansatz in mustergültiger Weise, wenn sie untersucht, wie das Management organisationale Ereignisse während einer organisatorischen Umbruchsphase deutet. Durch Interviews mit 40 Managerinnen und Managern versucht sie zu verstehen, wie und warum gewisse Interpretationen vorgenommen werden und wie dadurch das Handeln der beteiligten Personen orientiert wird (zum dazugehörigen Verständnis von »Theorie« vgl. z. B. Sutton/Staw 1995; Weick 1995b).
Damit ist das Wissenschaftsverständnis von interpretativen Ansätzen umrissen ( Kap. 9). Ein ähnliches Wissenschaftsverständnis findet sich auch bei Max Weber. Weber (1972) geht es ebenfalls um eine »Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend versteht« ( Kap. 2). Ähnlichkeiten bestehen auch zu neoinstitutionalistischen Ansätzen. Letztere betonen mit Berger und Luckmann (1966), dass die soziale Realität – mit all ihren Institutionen – sozial konstruiert ist ( Kap. 8). Damit schreiben sie subjektiven Sinngehalten ebenfalls eine zentrale Rolle zu.
Trotz aller methodologischer Unterschiede zum Subjekt-Objekt-Modell halten interpretative Ansätze an dem Interesse fest, das Entstehen und den Bestand sozialer Ordnung zu ergründen. Sie beschäftigen sich nicht mit dem Problem sozialer Konflikte und der Legitimierung sozialen Wandels, sondern damit, wie über die subjektiven Sinngehalte der Akteurinnen und Akteure und deren Interpretationsprozesse soziale Ordnung entsteht (vgl. Burrell/Morgan 1979). Damit orientieren sich interpretative Ansätze – ebenso wie Ansätze, die auf dem Subjekt-Objekt-Modell aufbauen – am Status quo sozialer Ordnung, nicht jedoch an deren Kritik und Veränderung (Reform) (vgl. Willmott 1990).
Auch die normativen Annahmen des Subjekt-Objekt-Modells können hinterfragt werden. Mit der normativen Kritik werden die sozialphilosophischen Grundannahmen dieses Wissenschaftsverständnisses bezweifelt. So wird eingewendet, dass die am Subjekt-Objekt-Modell orientierte sozialwissenschaftliche Forschung sich einseitig auf die Interessen der Mächtigen ausrichtet und ihnen die sozialtechnologischen Mittel zum Erhalt ihrer Macht zur Verfügung stellt. Konflikte mit anderen Interessenträgern werden nur insoweit berücksichtigt, wie ihr funktionaler Beitrag zur Erhaltung des sozialen Status quo erfasst und kontrolliert werden kann. Eine kritische Beurteilung des Status quo sozialer Systeme wird dagegen unter Verweis auf das Wertfreiheitspostulat zurückgewiesen (Burrell/Morgan 1979). Damit verschließen sich die Sozialwissenschaften aber einer expliziten Erörterung dessen, was sie implizit immer schon vorentschieden haben. Dies betrifft die Grundentscheidungen darüber, was in der sozialen Welt als gut und was als schlecht angesehen werden soll bzw. wie der Interessenausgleich stattfindet. Dies betrifft dann auch das Problem, wie Konflikte gelöst werden und welche Interessen dabei zur Geltung kommen sollen. Wissenschaft im Sinne des Subjekt-Objekt-Modells dient demnach nicht einer wertneutralen »objektiven« Erkenntnisgewinnung, sondern ist implizit immer schon Ausdruck eines bestimmten Erkenntnisinteresses, es ist nämlich dem Interesse an technischer Verfügbarmachung der Welt verpflichtet. In der dialektischen Tradition wird dagegen versucht, einem emanzipatorischen Erkenntnisinteresse Geltung zu verschaffen. Dies bedeutet, dass mit wissenschaftlicher Arbeit auch Kritik an den bestehenden Gesellschaftsverhältnissen und ihrer gegenwärtigen Machtverteilung ermöglicht werden soll (Habermas 1969; Willmott 1997, 2003).
Anhängerinnen und Anhänger einer »kritischen Theorie« richten sich primär gegen das Subjekt-Objekt-Modell und die darauf aufbauenden organisationstheoretischen Ansätze. Zugleich weisen sie auf Schwächen der interpretativen Ansätze hin (eine aufschlußreiche Diskussion zwischen Vertreterinnen und Vertretern von kritischen und interpretativen Ansätzen findet sich in Putnam/Bantz/Deetz/Mumby/Van Maanen 1993). An den bisher besprochenen Ansätzen kritisieren sie, dass diese den Status quo sozialer Systeme nicht hinterfragen. Nach Auffassung der kritischen Ansätze ist jede Forschung durch bestimmte Erkenntnisinteressen motiviert (Habermas 1968). So basiert Forschung im Sinne des Subjekt-Objekt-Modells auf einem technischen Erkenntnisinteresse. Das produzierte Wissen dient demzufolge der Prognose und Kontrolle von sozialen Sachverhalten (Willmott 2003). Interpretative Ansätze sind dagegen durch ein praktisches Erkenntnisinteresse motiviert. Ihr Wissen soll die intersubjektive Verständigung fördern. Habermas (1968) ergänzt diese beiden Erkenntnisinteressen durch ein drittes Erkenntnisinteresse: das emanzipatorische Erkenntnisinteresse, das die kritischen Ansätze verfolgen und dabei die beiden anderen Erkenntnisinteressen kritisch begleiten. Forschung mit diesem Erkenntnisinteresse zielt darauf ab, den Status quo kritisch zu hinterfragen und zu verändern. Dazu untersucht sie, ob bestimmte Institutionen und Praktiken, welche häufig für selbstverständlich gehalten und nicht hinterfragt werden, in ungerechtfertigter Weise zur Unterdrückung und Ausbeutung bestimmter Gruppen beitragen (Marti/Scherer 2016; Willmott 2003).
Die sozialkritischen Diskussionen in der Philosophie bringen in den 1970er Jahre auch in der Organisationstheorie einen grundlegenden Wandel mit sich. Es setzt sich langsam die Auffassung durch, dass das Überleben von sozialen Systemen nicht in der gleichen Weise objektiv feststellbar ist, wie das Überleben biologischer Entitäten. Was »Überleben« bezogen auf soziale Systeme bedeutet, wird vielmehr kulturell definiert und ist nicht in den Strukturen einer Gesellschaft ein für alle Mal festgelegt (vgl. Habermas 1971). Die Definition der Bedeutung von »Überleben« eines sozialen Systems kann daher als ein politischer Beeinflussungsprozess verstanden werden, in dem Machtprozesse und die Interessen der beteiligten Akteurinnen und Akteure eine große Rolle spielen (Benson 1977). Im Gefolge dieser Einsicht entzünden sich Diskussionen darüber, wer das Überleben sozialer Systeme und die hierfür notwendigen Mittel definieren darf (z. B. wie lässt sich ein Existenzminimum in der Gesellschaft definieren und sicherstellen? Wie findet ein sozial gerechter Interessenausgleich statt?). In dieser Diskussion wird die Legitimationsgrundlage sozialer Herrschaft thematisiert, wodurch sich das Forschungsinteresse von der sozialen Ordnung und ihren Funktions- und Überlebensbedingungen hin zum Interesse an der Legitimierung der sozialen Ordnung selbst verschiebt (Clegg/Dunkerley 1980). Mit diesen Diskussionen werden also nicht nur die methodischen Mängel der ontologischen Grundannahmen des Situativen Ansatzes aufgedeckt, sondern wird auch die Legitimität seines Forschungsinteresses angezweifelt. Während in den 1960er und 1970er Jahren vielfach noch ganz selbstverständlich angenommen wird, dass die Erhöhung der Produktivität der Unternehmen zu einer Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse beiträgt, so werden diese normativen Grundannahmen im Laufe der 1970er Jahre immer mehr in Frage gestellt und z. B. die Gewinnerzielung und Gewinnverteilung problematisiert (Clegg 1981; Clegg/Dunkerley 1980; Silverman 1970). Diese ersten Versuche kulminierten später in den sog. »Critical Management Studies« (Alvesson 1987b; Alvesson/Deetz 1996, 2000; Alvesson/Willmott 1992b, 1995, 2012; Deetz 1995), welche die Organisationstheorie im Sinne des Subjekt-Objekt-Modells scharf kritisieren.
Auch bei anderen organisationstheoretischen Ansätzen lassen sich die zugrundeliegenden Forschungsinteressen hinterfragen. Bei der Verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie könnte die Kritik bspw. daran ansetzen, dass sich dieser Ansatz primär auf jene Strukturen und Prozesse fokussiert, die dem Systembestand dienen, womit negative Auswirkungen auf das Individuum unterbeleuchtet bleiben (für diese Kritik siehe Kapitel 4). Bei Taylors Managementlehre wiederum lässt sich hinterfragen, inwiefern diese Theorie nicht primär der Herrschaftssicherung des Managements dient und die Entscheidungsspielräume der involvierten Personen ungerechtfertigt einschränkt ( Kap. 3).
Der Begriff »Postmodernismus« lässt sich nur schwer definieren. Einerseits wird der Begriff in der organisationstheoretischen Literatur in unterschiedlicher Weise verwendet (Boje/Gephart/Thatchenkery 1996; Calás/Smircich 1997; Hassard 1993a, 1993b; Kilduff/Mehra 1997; Norris 2000). Andererseits würde jede fixe Definition einem der Grundgedanken der postmodernen Ansätze widersprechen. Trotzdem kann man unterscheiden zwischen der »Postmoderne« als Epoche (teilweise als »Postmodernität« bezeichnet) und der »Postmoderne« als einer neuen Form der Epistemologie (»postmoderne Philosophie«) (Hassard 1993a, 1993b; Parker 1992). Im Folgenden geht es um letztere.
Postmoderne Ansätze wenden sich gegen realistische Vorstellungen von der Welt als bestehend aus vorgegebenen Entitäten und deren Beziehungen und von Wissen über die Welt als strukturgleiches Abbild dieser Entitäten und Beziehungen. Stattdessen wird argumentiert, dass die Welt und unser Wissen über sie durch unsere gemeinsame Sprache konstituiert wird. Hassard (1993a) formuliert dies wie folgt: »We can only ›know the world‹ through the particular forms of discourse our language creates.« Soweit ähnelt die Argumentation jener der interpretativen und kritischen Ansätze. Sie orientiert sich an der Einsicht Ludwig Wittgensteins (1984a), dass wir keine Sprache lernen und keine