Avery
Wütend starrten meine Eltern mich an. Das Einzige, was ich tun konnte, war auf den Boden zu starren. Der konnte wenigstens nicht böse auf mich werden.
"Sieh uns an." Die Stimme meines Vater hallte durch die Eingangshalle und war das Einzige, was man hören konnte.
Zögerlich hob ich meinen Kopf, nur um in die kalten, wütenden grauen Augen meines Vaters zu schauen.
"Wo warst du?" Seine Stimme war kalt und vorwurfsvoll. Mir war klar, dass er es wusste.
"Unterwegs." Meine Stimme war nur ein leises Flüstern. Verächtlich lachte mein Vater auf und kam ein paar Schritte auf mich zu. Kurz vor mir blieb er stehen.
"Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass wir so dumm sind und nichts mitbekommen?" Es war mehr eine Frage, als eine Aussage. Anscheinend erwartete mein Vater auch eine Antwort.
"Tust du das?", schrie er mich nun an. Ich hasste es angeschrien zu werden.
"Nein", flüsterte ich.
"Und wieso tust du es trotzdem?" Sein Blick lag wütend auf mir. Er sah mich an, als wäre ich eine Schande für die Familie.
Was ich in seine Augen womöglich bereits war.
"Weil...weil..."
"Weil?"
"Weil ich ihn liebe.", platzte es aus mir heraus. Kurz darauf bereute ich es. Das war eindeutig die falsche Antwort. Das spürte ich auch kurz darauf an meiner Wange.
Ein lautes Klatschen hallte durch die Halle. Schmerz verzehrt verzog ich mein Gesicht. "Liebe. Dass ich nicht lache. Du hast keine Ahnung davon! Wie alt bist du? Du bist erst 16! Also lass den Humbug. In diesem Haus, gibt es keinen Platz für Liebe!'' Für Väterliche Liebe anscheinend auch nicht.
"Wie lange hast du schon etwas mit ihm am Laufen?", knurrte er bedrohlich. Ich antwortete nicht.
"Wie lange?", schrie er nun.
"Ein Jahr", flüsterte ich ängstlich und wich ein paar Schritte zurück.
"Was? Ein Jahr? Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Das wird Nachwirkungen haben mein Fräulein. Du wirst diesen Kerl nie wieder sehen!"
"Aber..."
"Wehe du sagst jetzt auch nur ein Wort! Wenn ich diesen Kerl irgendwo in deiner Nähe sehe, werde ich dafür sorgen, dass seine Zukunft im Eimer ist. Und das willst du doch nicht. Hab ich recht?" Ich nickte eingeschüchtert.
"Ja, Vater."
"Braves Mädchen. Dein Handy gibst du für eine Woche ab. Fernsehverbot hast du auch. Und ab jetzt, wirst du nirgendwo mehr hingehen, ohne Richard."
"Was? Dad! Ich bin 16!"
"Das weiß ich! Aber du scheinst uns gerade nur ins Verderben zu führen! So lange bis du mir gezeigt hast, dass du dich vernünftig verhalten kannst, gehst du mit Richard durch die Straßen." Ich funkelte ihn böse an. Das war jetzt doch jetzt nicht sein Ernst!
"Du darfst jetzt gehen!"
Wütend drehte ich mich um und rannte die Treppe hinauf, wo meine Etage lag. Wir waren reich. Sehr reich. Und ich hasste es! Ich hatte alles, was ein Mädchen sich wünschen konnte, doch eines hatte ich nicht. Liebe.
1 Jahr später
Avery
Mit müden Schritten, ging ich in die Küche und erschreckte mich sogleich. Auf dem Sofa lag niemand anderes als mein Stiefbruder Elias. Ich erschreckte mich so sehr, dass ich sogleich leise aufschrie und mir an mein empfindliches Herz fasste. Der Ton, den ich von mir gab, reichte jedoch aus, um ihn aufzuwecken. Auch er schien sich leicht erschrocken zu haben.
Kein Wunder. Er lebte auch erst seit gestern hier. Er, seine Mutter und sein anderer Bruder Ryan waren gestern bei uns eingezogen. Seit meine Mutter vor einem halben Jahr an Krebs gestorben war, war ich nicht mehr ich selbst. Sie war die Einzige, die mich in meiner Meinung noch etwas unterstützt hatte. Doch die Neue von meinem Vater ging gar nicht. Sie war genauso wie mein Vater: störrisch, rechthaberisch und vor allem Geldgeil. Sie arbeitete mit meinem Vater in einer Firma und wenn ich ehrlich war, hatte ich das Gefühl, dass mein Vater schon was mit ihr hatte, als Mama noch gelebt hatte.
"Wieso schläfst du auf dem Sofa?", fragte ich Elias, immer noch unter Schock. Er blinzelte ein paar mal und gähnte daraufhin laut. "Die Frage ist wohl eher, wieso schläfst du nicht auf dem Sofa?" Belustigt sah ich ihn an.
"Weil ich vielleicht ein Bett habe?", sagte ich und ging zu dem Kaffeeautomaten, der in unserer großen Küche stand und drückte auf den Knopf für einen normalen Kaffee mit etwas Milch und Zucker. Kurz darauf hielt ich auch schon meinen Becher in der Hand. War schon praktisch, wenn man so einen Automaten hatte. Dort war alles drin. Verschiedene Sorten von Kaffee, Kakao, und Tee. Neben dieser Maschine stand noch eine Saftmaschine. Dort gab es verschiedene Säfte und Getränke, wie Fanta, Cola und Sprite. Also eigentlich ein halber Supermarkt.
"Falls du dich erinnerst, mein Bett ist noch nicht da.", sagte Elias und nahm mir meinen Becher aus meiner Hand.
"Hey, das war meiner", beschwerte ich mich.
"Ich habe ungemütlich geschlafen, ich darf das.", sagte er und nahm sich einen Schluck aus meinem Becher. Genervt sah ich ihn an.
"Ach ja? Dann darfst du das..." Ich stieß einmal von unten gegen den Kaffeebecher, sodass, so gut wie der ganze Inhalt, heraus kippte, "...auch sauber machen." Der Kaffee war nicht heiß, sondern angenehm warm, sodass er davon keine Verbrennungen abbekommen sollte. Hastig sprang Elias zurück und ließ nun den ganzen Becher auf den Boden fallen, sodass nun auch der restliche Inhalt auf dem Boden verteilt war.
Entsetzt sah er mich an. In dem Moment kam mein Vater mit Yvonne, meiner Stiefmutter, herein. Sofort sah mein Vater mich leicht hasserfüllt an.
"Was hast du wieder für eine Schweinerei gemacht?", rief er wütend. Wieso dachte er immer sofort, dass ich an allem Schuld war?
"Ich...ich..."
"Nur Unruhe stiften kannst du.", warf nun auch Yvonne ein.
Ich wusste ganz genau, dass sie sich auf die Veranstaltung bezog, bei der ich sie kennengelernt hatte. Ich war gestolpert und hatte eine antike Vase zerstört, die dort irgendwo herumstand, indem ich diese herunter riss, als ich gestolpert war und sie auf dem Boden in tausend Teile zersprang. Diese Vase war anscheinend ziemlich teuer. Aber hey, wenn wir uns schon eine Kaffeemaschine leisten können, dann doch wohl auch eine alte Vase oder? Auch, wenn diese angeblich von Queen Victoria stammen sollte. Konnte doch sowieso keiner nachweisen.
Wenn ich jemandem eine Vase schenkte, kostete die keine halbe Million. Und Queen Victoria war doch auch nur ein Mensch. So wie ich.
"Es tut mir ja leid", flüsterte ich. Ich hatte das Gefühl, dass seit dem mein Vater herausgefunden hatte, dass ich mit einem aus dem Dorf zusammen war, er mich als Schande ansah. Was wahrscheinlich auch der Fall war. Jedoch wollte ich das nicht so ganz wahrhaben.
"Mach das sauber. In einer halben Stunde, erwarten wir Besuch!", fauchte er mich an und ich zuckte zusammen.
"Sie war es nicht. Ich war es." Überrascht sah ich zu Elias, der sich neben mich gestellt hatte. Mein Vater und Yvonne wirkten ebenfalls überrascht.
"Du? So etwas macht doch sonst nur Ryan."
"Es war ein Versehen", murmelte er.
"Dann räumt das weg. Selena hat heute frei. Ihre Tochter hat Geburtstag oder so etwas."
"Geburtstag? Tochter? Ihr Sohn wird heute eingeschult!"
"Wie auch immer." Ich fand es erschreckend, wie wenig mein Vater über das Leben seiner Angestellten wusste. Aber bei ihm wunderte mich gar nichts mehr. Selena war eine so liebe Frau. Und manchmal nahm sie auch ihren sechs jährigen Sohn Jason mit zu uns. Ich beschäftigte mich dann oft mit ihm. Mein Vater war ja so gut wie immer außer Haus. Ich fand es verwunderlich, dass er heute überhaupt da war.
"Macht das weg.", sagte er bevor er mit Yvonne den Raum verließ.
"Wieso hast du das getan?", fragte ich an Elias gewandt, da ich es seltsam fand, dass er sich für mich eingesetzt hatte.
"Es war doch meine Schuld.", beteuerte ich.
"Ja, aber zum Teil auch meine, da ich es dir weggenommen habe. Außerdem hat er kein Recht so mit dir zu reden.", schnaubte er.
"Ach, daran bin ich gewöhnt", sagte ich und holte einen Lappen, um den Kaffee aufzuwischen.
"Ich kann das auch machen.", bot Elias mir an.
"Elias, mal wieder so nett wie eh und je.", hörte man aus dem Türrahmen. Dort stand ein verschlafener Ryan.
"So wirst du nie ein Mädchen abbekommen."
Elias lachte auf.
"Und mit deinem Verhalten, wirst du nie ein Mädchen abbekommen, welches dich wirklich liebt."
Nun war Ryan an der Reihe aufzulachen.
"Wahre Liebe. Du hast wohl zu viele Märchen gehört! So etwas gibt es gar nicht. Wahre Liebe, dass ich nicht lache."
Ich biss mir auf die Lippen, um die Tränen zu verhindern.
Ich vermisste Noah so unglaublich. Ein Jahr ist es jetzt her, dass ich ihn das letzte mal gesehen habe. Ich wüsste nur zu gerne, wie es ihm geht. Seit einem Jahr, verfolgte mich Richard auf Befehl meines Vaters auf Schritt und Tritt. Er war zwar nett, aber hielt sich trotzdem an die Regeln meines Vater. Und eine davon besagte eben: An diesem Ort ist kein Platz für Liebe.
****
"Hey, wohin geht ihr?", fragte ich an Elias und Ryan gerichtet, während ich die Treppe runter hopste. Ich hatte festgestellt, dass es gar nicht so schlecht war mit den beiden. Zumindest mit Elias. Ryan war...naja, etwas gewöhnungsbedürftig. Er schien wohl der Player von den beiden zu sein, während Elias der etwas Nettere war.
"Zur Schule?", fragte Ryan verwirrt.
Ach stimmt ja, die Sommerferien waren zu Ende. Und die Schule fing wieder an.
"Schule?", fragte ich dennoch verwirrt. Ich hätte erwartet, dass die beiden genauso wie ich Privatunterricht bekamen.
"Ja? Wieso bist du noch nicht fertig?" Verlegen schaute ich zu Boden.
"Ich gehe nicht zur Schule. Eher gesagt ich darf nicht."
"Was?"' fragten beide verwirrt. "Papa erlaubt es nicht."
"Moment...Du gehst nicht zur Schule?" Ich schüttelte meinen Kopf.
"Nein, ich könnte dort Leute kennen lernen, die nicht gut für mich sind."
"Und wie..."
"Hab Privatunterricht."
"Privatunterricht? Hm...und wie ist es so?", fragte Ryan.
"Langweilig."
"Also genauso wie Schule.", meinte Ryan schulterzuckend und verschwand in der Küche.
"Ist das nicht...irgendwie komisch?"
"Was meinst du?"
"Naja, nicht zur Schule zu gehen. Dort trifft man all seine Freunde. Dort findet man doch überhaupt erst Freunde."
Ich schaute erneut zu Boden und zuckte dann mit den Schultern. "Ich war seit der 7. Klasse nicht mehr in der Schule, also habe ich auch nicht wirklich Freunde."
Dass ich Noah kennengelernt hatte, war auch eher Zufall. Das erste Mal, hatte ich ihn im Park getroffen und dann das zweite Mal in einem Laden. Damals hatte mein Vater mich noch alleine gehen lassen.
"Du...du warst seit der 7. Klasse nicht mehr dort?" Ich nickte.
"Würdest du denn gerne wieder zur Schule gehen?", fragte Elias mich und ich nickte wie wild.
"Ja, ich würde so gerne wieder zur Schule gehen."
"Ist gar nicht so toll.", rief Ryan aus der Küche. Elias und ich gingen ebenfalls in die Küche, in der Selena am Herd stand und Pancakes machte.
"Hey", begrüßte ich sie.
"Brauchst du Hilfe?", fragte ich.
Sie lächelte mich freundlich an.
"Ich werde dafür bezahlt, also nein." Ich zuckte mit den Schultern und setzte mich zu den Jungs an den Tisch.
"Ich will auch in die Schule.", sage ich und seufzte.
"Ach was, so toll ist es gar nicht. Die tausend Weiber die an einem hängen und..."
"Ryan. Nicht jeder ist so ein Weiberheld wie du. Und tu bloß nicht so, als würde es dir nicht gefallen." Ryan grinste nur in sich hinein.
"Was hältst du davon, wenn du mit zur Schule kommst?"
"Ich darf nicht", sagte ich und seufzte erneut.
"Wenn ich mit deinem Vater rede?", schlug Elias vor. Ich schnaubte belustigt auf.
"Mein Vater? Das kannst du vergessen. Und wenn, müsste ich mit Richard gehen. Nichts gegen ihn, aber ich werde bestimmt nicht in die Schule gehen, wenn ein zwei Meter Riese mir überall hin folgt."
"Warte, ich werde mit ihm reden."
"Das kannst du gleich vergessen."
"Ich denke nicht. Ich habe noch was gut bei ihm.", sagte er mit einem Lächeln und verschwand daraufhin in dem Büro meines Vater, der heute ausnahmsweise mal zu Hause war. Wenn mein Vater tatsächlich zustimmen sollte, dann wäre es kein Problem in die Schule zu gehen. Mein Vater war einer der einflussreichsten Geschäftsmänner in dieser Gegend. Ihm würde kein Mensch einen Wunsch abschlagen. Ein Anruf und ich wäre an der Schule eingeschrieben.
Selena stellte einen Teller Pancakes vor mich hin.
In dem Moment kam Yvonne, mit einer Maske auf dem Gesicht, ins Zimmer herein.
"Celine, Essen! Pronto", sagte sie und klatschte in die Hände.
Ich rollte genervt mit den Augen.
"Sie heißt Selena", versuchte ich sie zu korrigieren.
"Mir doch egal. Ich will mein Essen haben."
"Warten sie bitte noch einen Moment Miss, ich muss es noch zubereiten."
"Ist das ihr Ernst? Sie sind ja zu nichts zu gebrauchen.", sagte sie abwertend. Genervt schnaubte ich auf.
"Hier, kannst meine haben.", sagte ich und schob ihr meine Pancakes herüber. In dem Moment kam Elias grinsend ins Zimmer.
"Ob du es glaubst oder nicht, du gehst in die Schule."
"Was?"
"Du gehst zur Schule. Unter einer Bedingung."
"Die wäre? Sag nicht, Richard kommt mit?"
"Nope. Ich spiele deinen Bodyguard."
"Was?", fragte ich mit großen Augen.
"Du hast richtig gehört. Zieh dich an, oder willst du im Einhorn T-shirt gehen?"
Ich schüttelte meinen Kopf. Dann fing ich erst an zu begreifen, was er gerade gesagt hatte und kreischte laut auf.
"Ahhh. Du verarscht mich doch.", hüpfend lief ich auf ihn zu und schloss ihn in meine Arme.
"Nein, und jetzt geh und zieh dich an. Sonst kommen wir direkt am ersten Tag zu spät."
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. So schnell ich konnte, lief ich die Treppe herauf, um mir etwas anzuziehen. Aber was nur? Ich wollte mit meinen Markenklamotten nicht so eingebildet herüber kommen, also zog ich mir einfach eine Jeans und einen Pullover an. Unten stellte ich mich neben Elias und sah ihn erwartungsvoll an.
"Hast du keine Schultasche?", fragte er belustigt. Oh. Schnell lief ich wieder hoch, um eine Tasche zu suchen. Es musste dann wohl doch eine Michael Korks Tasche hinhalten, weil die anderen entweder zu klein, zu abgenutzt oder hässlich waren.
Elias sah mich grinsend an.
"Kommst du? Ryan ist schon losgefahren." Sie haben beide ihre eigenen Autos. Kein Wunder. Ich stieg in Elias Opel Astra ein und wurde ganz hibbelig. Ich würde in die Schule gehen.
"Hör auf zu zappeln."
"Aber ich bin aufgeregt. Ich war seit der 7. Klasse nicht mehr auf einer Schule."
****
Nervös sah ich mich um. So viele Menschen war ich nicht gewohnt. Die meisten Menschen, die ich in letzter Zeit gesehen hatte, waren auf einer kleinen Wiese im Park. Und das waren nicht viele. Ich meine, wo soll ich denn auch sonst hingehen? Ins Kino? Schwimmen? Erstens, war das ohne Freunde doch sowieso langweilig und zweitens hatten wir ein Heimkino und ein Schwimmbecken bei uns zu Hause.
"Jetzt komm schon.", forderte Elias mich auf.
"Ich...ich habe Angst.", gab ich zu. Ich wusste doch gar nicht mehr, wie das an der Schule so abläuft.
"Ach, keine Sorge. Du wirst ganz schnell Freunde finden, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen.", sagte er und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter.
"Und jetzt, lass uns zur Aula gehen und unsere Stundenpläne abholen." Gesagt getan. Ich war überrascht. So wie es aussah, war ich tatsächlich an dieser Schule angemeldet. Ich hatte ehrlich gesagt gedacht, dass Elias mich angelogen hatte. Es war mir auch immer noch schleierhaft, wie er das so schnell hin bekommen konnte.
Ich schaute auf meinen Stundenplan. Erste Stunde: Geschichte.
Konnte ich mit leben. Elias hatte jedoch Mathe. Da hatte mein Vater wohl etwas nicht bedacht. Elias und ich hatten unterschiedliche Stundenpläne. Beschützen konnte er mich so ganz sicher nicht. Aber, was mein Vater nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Elias lief mit mir zu meinem Raum und wünschte mir viel Glück, bevor er dann selbst verschwand. Zögerlich ging ich in den Raum, in dem schon eine Menge anderer Menschen saßen und suchte mir zögerlich einen Platz, ganz hinten in der Ecke. Kurz darauf setzte sich ein murrender Junge neben mich. Dann sah er mich an.
"Du musst die Neue sein oder?", fragte er mich. Ich nickte.
"Ja, mein Name ist Avery."
"Cooler Name. Meiner ist Brad. Also wird so wie Brot, auf Englisch ausgesprochen. Ich bin aber kein Brot." Verwirrt sah ich ihn an. "Ja, das sehe ich.", sagte ich lächelnd. Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf.
"Okay, das klang jetzt ein bisschen blöd von mir. Aber, also, ich hoffe du findest mich nicht zu bescheuert?"
"Nein, keine Sorge.", erwiderte ich lachend und lächle ihn schüchtern an.
"Das freut mich", er lächelte ebenfalls.
Die Lehrerin kam zur Tür herein und setzte sich an den Tisch.
Sie sah ziemlich jung und nett aus.
"Guten Tag, mein Name ist Frau Henschel und ich bin eure Geschichtslehrerin. Ich muss eben noch ein paar Sachen holen, die ich im Lehrerzimmer vergessen habe. Unterhaltet euch doch so lange darüber, was ihr in den Ferien gemacht habt." Dann verschwand sie aus dem Raum. Brad sah mich fragend an.
"Was hast du in den Ferien gemacht?", fragte er mich interessiert.
"Ehm...gelesen."
"Die ganzen Ferien?", fragte er verwirrt. Ich nickte.
"Obwohl, ein paar Filme und Serien habe ich auch gesehen."
"Du warst also die ganze Zeit zu Hause?", fragte er und ich nickte erneut.
"Echt?"
"Ja, und du?"
"Ich war in Italien, mit ein paar Freunden und in Spanien."
"Echt? Ist bestimmt toll." Ich lächelte gequält. Ich würde echt gerne mal alleine ins Ausland fahren. Frau Henschel kam wieder herein, mit einem Haufen Blätter.
"Lest euch die Texte durch und fertigt eine Formale Analyse an. Aber jeder nur eine Quelle. Daraufhin tut euch in Gruppen zusammen und besprecht die einzelnen Quellen." Ich fing an mir den Text durch zu lesen. Den kannte ich schon. Den ersten Weltkrieg konnte ich in- und auswendig. Mit meinem Hauslehrer hatte ich das Thema schon durch genommen. Somit hatte ich die Aufgabe auch ziemlich schnell fertig.
"Du bist schon fertig?", fragte Brad mich verwirrt. Ich nickte und biss in meinen Apfel.
"Ich kann das Thema schon."
"Echt? Auf welcher Schule warst du denn?"
"Ich hatte Privatunterricht."
"Echt?" Ich nickte. Die beiden Mädels, die vor uns saßen, drehten sich plötzlich zu uns um.
"So siehst du auch aus.", sagte das Mädchen vor mir verachtend. Sofort sah ich unsicher zu Boden.
"Casey, sei nicht so gemein, nur weil sie mehr weiß als du.", gab Brad genervt von sich.
"Mehr wissen als ich? Dass ich nicht lache."
"Stimmt, so ziemlich jeder ist besser als du."
Sie warf Brad einen bösen Blick zu.
"Besser, als in Mathe durchzufallen. Ich hatte immerhin eine 3- und keine 6."
"Eine 6+. Ich kann halt kein Mathe.", gab er grummelnd von sich.
"Das wissen wir alle.", sagte Casey.
"Und wir wissen alle, dass Casey immer recht hat.", gab das andere Mädchen von sich.
"Klappe Julie.", zischte Brad. Casey sah uns die ganze Zeit genervt an.
Nachdem der Unterricht vorbei war, traf ich mich mit Elias auf dem Pausenhof.
"Und, wie war deine erste Stunde?", fragte er mich.
"Ganz okay."
"Neben wem saßt du?", fragte er mich erneut über meine erste Stunde aus.
"Brad." Er spuckte sein Wasser aus, welches er gerade noch im Mund hatte.
"Brad? Brad L'Ametti?"
"Keine Ahnung, wie er mit Nachnamen heißt. Hab mir nur Brad gemerkt. Casey saß übrigens auch dort. Ich mag sie nicht.", sagte ich mit einem Schulterzucken und setzte mich auf eine Bank.
"Okay...warte, Casey Stirnley?"
"Keine Ahnung."
"Brad L'Ametti ist der Junge der Schule."
"Und du bist kein Junge oder was?", fragte ich belustigt.
"Doch, aber er ist der beliebteste Junge der Schule. Basketball
Star und so ein Zeug."
"Casey scheint den nicht zu mögen."
"Die mochten sich noch nie. Keine Ahnung was mit denen los ist."
"Aber ansonsten steht jedes, und ich meine jedes Mädchen auf ihn...und Ryan."
"Ryan? Ernsthaft? Was spielt er? Handball? Schach?"
"Football...Er ist der..."
"Lass mich raten, Quarterback?"
"Nein, das ist Noah. Er ist der Running-Back." Bei dem Namen Noah verschluckte ich mich leicht. Scheiße. Ich vergaß, dass er auch auf dieser Schule sein könnte. Ach was. Er war mit Sicherheit nicht auf dieser Schule. Es gab mehrere Noahs. Hoffentlich.
Avery
Ich stand vor der Ausgabe in der Mensa und wusste nicht so recht, was ich tun sollte. So viele Menschen.
"Kannst du mal weiter gehen?", fragte ein kleiner Junge genervt. "Ich will auch noch was essen." Zögerlich ging ich weiter nach vorne. Ich war total alleine, da Elias, im Gegensatz zu mir, keinen Nachmittagsunterricht hatte. So viel zum Thema, er solle meinen Bodyguard spielen.
"Was wollen sie denn?", fragte mich eine Dame hinter der Theke.
"Ehm...was steht denn zur Auswahl?", fragte ich zögerlich.
"Spagetti und Kürbissuppe."
"Ich nehme Spagetti." Sie nickte nur und gab mir einen Teller mit Spagetti. Dazu holte ich mir noch einen Salat und Heidelbeerjoghurt als Nachtisch. Nun sah ich mich unsicher um. Ich hätte doch zu Hause bleiben sollen. So viele Leute.
Und ich hatte keine Ahnung, wo ich mich hinsetzen sollte. Ich hatte Angst, mich an einen falschen Platz zu setzen. In Filmen oder Büchern wird darum doch immer ein großes Drama gemacht. Da setzt sich die Neue an den falschen Platz und ja...ihr wisst schon, was dann passiert. Oder? Also sah ich mich um. Das hier war irgendwie so eine total typische Schule, wie aus den Büchern, oder Filmen, die ich bis jetzt gesehen oder gelesen hatte. Ja, ich hatte viel Freizeit.
"Hey, du bist die Neue oder?", fragte mich jemand. Ich drehte mich um und sah Casey dort stehen.
"Ja. Und du Casey?", fragte ich unsicher und sie nickte.
"Ja, du siehst ganz okay aus, willst du dich zu uns setzen?" Ich sah okay aus? Was sollte das denn heißen?
"Wie meinst du das, ich sehe okay aus?"
"Na ja, du hast eine gute Figur und deine Haare sehen toll aus.
Dein Gesicht, na ja, mit ein bisschen Make-Up sollte man das hin bekommen. Also kommst du?" Etwas verwirrt sah ich sie an. In Geschichte war sie noch total unfreundlich zu mir. Aber ich zuckte mit den Schultern und folgte ihr. Ich wusste ja sonst nicht, wo ich sitzen sollte. Sie ging an einen Tisch und ich fühlte mich total unwohl. Alle waren sehr geschminkt...und dann kam, ich, mit meiner Wimperntusche und...ja, das war' s.
"Hey Leute, das ist..." Fragend sah sie mich an.
"Avery", beendete ich ihren Satz. Sie nickten alle und starrten auf meinen Teller.
"Du isst Spagetti mit Bolognese und Joghurt?", fragten sie entsetzt.
"Äh.. ja?", sagte ich verwirrt. Was war daran denn schlimm?
"Das ist doch total ungesund." Ich sah auf deren Teller. Ein grünes Blatt und...ein paar Karotten.
"Im Gegensatz zu euch, bin ich kein Kaninchen.", sagte ich nur und setzte mich.
"Kaninchen? Hä?", fragte eine von ihnen und eine andere rollte mit den Augen.
"Weil Kaninchen Möhren essen, du Dussel." Ich fing an zu essen. Es schmeckte gar nicht mal so schlecht, wie das Schulessen immer in den Büchern beschrieben wurde. Es schmeckte echt gut.
"Schaut mal, wer dort sitzt", sagte eine von ihnen kichernd.
Verwirrt schaute ich sie an.
"Wen meint ihr denn?"
"Aria. Sie ist mal so was von Out. Sie hat keine Freunde und hockt immer alleine an einem Tisch. So ein Loser.", sagte eine von ihnen und lackierte sich weiter ihre Fingernägel. Die Karotten waren alle schon weg.
"Und woher wisst ihr das? Dass sie uncool ist?", fragte ich. Casey schnaubte auf.
"Hast du sie dir schon mal angesehen? Das reicht doch."
Ich schaute zu dem Mädchen, welches alleine an einem Tisch saß. Sie stocherte gelangweilt in ihrem Essen herum und schien ein Buch zu lesen. Sie hatte dunkelblonde Haare und schien sehr in ihr Buch vertieft zu sein.
"Ich verstehe nicht, was daran falsch sein soll." Alle sahen mich mit großen Augen an.
"Bist du bescheuert? Hast du mal ihre Klamotten gesehen? Und wie sie sich schminkt? Das sieht ja widerlich aus.", rief eine von denen entsetzt.
"Ich wette um 100€, dass ihr ohne Schminke deutlich schlimmer aussieht als sie", sagte ich, nahm mein Tablett und stand auf.
"Was tust du?", fragte Casey mit zusammen gekniffenen Augen. "Mir mein eigenes Bild von ihr machen.", sagte ich und ging auf den Tisch zu, an welchem das Mädchen saß.
"Hey", sagte ich voller Elan und setzte mich ihr gegenüber.
Sie zuckte zusammen und sah mich mit großen Augen an.
"Hey?", fragte sie unsicher.
"Was liest du?", fragte ich sie, um ein Gespräch anzufangen.
Sie sah mich leicht verängstigt an.
"Die Magd des Gutsherrn. Du solltest nicht hier sitzen."
"Wieso nicht?"
"Ich bin nicht beliebt. Der Außenseiter. Total out."
"Das weiß ich, das hat mir Casey´s Clique gerade verklickert."
Ihre Augen wurden noch größer.
"Casey? Was machst du dann hier? Bei mir? Was sollst du mir ausrichten? Ich weiß, dass ich hässlich bin."
"Was? Ich soll dir gar nichts ausrichten. Und ich finde nicht, dass du hässlich bist." Skeptisch sah sie mich an.
"Was genau willst du dann hier?"
"Ich will dich kennenlernen."
"Ich bin uninteressant."
"Ich ebenfalls, wir haben schon eine Gemeinsamkeit."
"Wieso?"
"Was?"
"Was willst du mit einem Loser wie mir?"
"Ich will mir meine eigene Meinung bilden."
"Na dann, viel Spaß."