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Buch

Die Hälfte aller Ehen endet mit Scheidung. Dies ist für den spirituellen Meister Osho kein Anlass zur Klage, sondern zum Neubeginn. In unserer Zeit, in der alle alten Moralvorstellungen obsolet geworden sind, sieht er die Chance, die Bestimmung des Menschen neu zu definieren. In seinem provokativen Buch entwirft er eine Vision der Liebe. Von Mann und Frau fordert er, sich aus ihrer gegenseitigen Sklaverei zu lösen und einander die Freiheit zu schenken. Freiheit und Liebe fügen sich in Oshos Vision untrennbar zusammen. Doch auch das Alleinsein gehört dazu. Für Osho steht das Alleinsein nicht im Gegensatz zum Geliebtwerden, sondern ist dessen Ergänzung. Liebe, Freiheit, Alleinsein – das ist die Triade der Erfüllung des Individuums in der modernen Gesellschaft.

Autor

Osho wurde 1931 in Indien geboren. Im Alter von 21 Jahren erlebte er eine Erleuchtung. Bevor er als spiritueller Lehrer hervortrat, unterrichtete er Philosophie an der Universität von Jabalpur, Indien. Seit den 1960er-Jahren lehrte er spezielle Meditationstechniken. Er erhielt vor allem von westlichen Suchern großen Zulauf und gründete 1974 einen Ashram in Pune (Poona). Ab 1981 lebte und lehrte er in Oregon, USA. 1987 kehrte er nach Indien zurück. Osho starb 1990 in Pune.

OSHO

Liebe, Freiheit,
Alleinsein

Aus dem Englischen
von Rajmani Müller

Zusammengefasst aus Textausschnitten verschiedener Werke
von Osho
Veröffentlicht mit Genehmigung der Osho International Foundation
Bahnhofstraße 52, 8001 Zürich, Schweiz

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Deutsche Erstausgabe April 2002
© 2002 der deutschsprachigen Ausgabe
Arkana, München
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Str. 28, 81673 München
© 2000 Osho International Foundation,
www.osho.com/copyrights
Umschlaggestaltung: Design Team München
Umschlagabbildung: Premium/Panorama Porträt
von Osho auf der Rückseite:
Osho International Foundation
Redaktion: Gerhard Juckoff
WL · Herstellung: WM
Satz/DTP: Martin Strohkendl, München

ISBN 978-3-641-27561-7
V003

www.goldmann-verlag.de

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INHALT

VORWORT

TEIL I: LIEBE

1Wahre Liebe

2Selbstliebe – der erste Schritt

3Warum Selbstsucht eine Tugend ist

4Wahre Liebe ist an nichts gebunden

Fragen

Bitte sprich über den Unterschied zwischen gesunder Selbstliebe und egoistischem Stolz

Warum tut Liebe so weh?

Wie kommt es, dass die Inschrift am Tempel von Delphi »Erkenne dich selbst« und nicht »Liebe dich selbst« lautet?

Wie kann ich besser lieben?

TEIL II: VON DER BEZIEHUNG ZUM SICHBEZIEHEN

5Flitterwochen, die nie zu Ende gehen

6Die drei Dimensionen der Liebe

7Lasst Raum zwischen euch

8Das Koan der Beziehung

Fragen

Wie kann ich wissen, ob eine Frau wirklich in mich verliebt ist und kein Spiel mit mir treibt?

Wenn die Eifersucht, das ganze Besitzergreifen und Festklammern, all diese Bedürfnisse, Erwartungen, Wünsche und Illusionen wegfallen, was bleibt dann noch übrig von meiner Liebe?

Was ist der Unterschied zwischen Mögen und Lieben, zwischen Gernhaben und Lieben? Und worin besteht der Unterschied zwischen gewöhnlicher und spiritueller Liebe?

Es gibt viele Menschen, die ich liebe, ohne dass ich mich ihnen verpflichtet fühle. Wie kann ich vorhersehen, ob ich jemanden morgen auch noch lieben werde?

Selbst wenn manchmal so ein Gefühl wie Liebe in meinem Herzen auftaucht, denke ich schon im nächsten Augenblick: »Das ist keine Liebe, das ist nur meine ganz verborgene Lust auf Sex und dergleichen.«

Im Osten wird immer wieder betont, wie wichtig es sei, in der Liebesbeziehung bei einem einzigen Partner zu bleiben. Im Westen treibt man heutzutage von einer Beziehung in die nächste. Welches von beiden befürwortest du?

In letzter Zeit beginne ich zu begreifen, dass selbst mein Geliebter für mich ein Fremder ist. Gleichzeitig ist da eine ungeheure Sehnsucht, die Getrenntheit zwischen uns zu überwinden

TEIL III: FREIHEIT

9Tabula rasa

10Die große Sklaverei

11Hütet euch vor den Päpsten!

12Gibt es ein Leben nach dem Sex?

13Das Ende der Familie

Fragen

Du hast gesagt, Liebe kann uns frei machen. Was wir aber normalerweise sehen, ist, dass Liebe zu einer Fessel wird, und statt uns zu befreien, bindet sie uns nur noch mehr. Bitte sage uns etwas über Gebundensein und Freiheit

Mein Freund hat immer seltener Lust auf Sex, und das beunruhigt und frustriert mich. Manchmal ist das so stark, dass ich aggressiv gegen ihn werde. Was kann ich machen?

Mein Sexleben ist in letzter Zeit sehr ruhig geworden. Es ist nicht so, dass ich keinen Sex wollte oder nicht den Mut hätte, Frauen darauf anzusprechen, aber es passiert einfach nicht. Was mache ich falsch?

Wie weiß ich, ob es Gelassenheit oder Gleichgültigkeit ist, was in mir heranwächst?

Siehst du als Gesellschaftsmodell für die Zukunft eine einzige große Kommune oder eine ganze Reihe von Kommunen? Und wie könnte sich deren Beziehung untereinander gestalten?

TEIL IV: ALLEINSEIN

14Alleinsein ist dein wahres Wesen

15Wir sind uns selbst fremd

16Die Freiheit, für sich allein zu stehen

17Der Löwe und das Schaf

Fragen

Ich habe nie irgendwo dazugehört, bin nie ein Insider gewesen, habe mich nie eins mit jemandem gefühlt. Warum bin ich mein Leben lang so eine Einzelgängerin?

Warum fühlt es sich wirklicher an, wenn ich traurig bin, als wenn ich glücklich bin? Ich wünsche mir so sehr, echt und authentisch zu sein und keine Masken zu tragen, aber das scheint sehr viel Ablehnung durch andere zu bringen. Kann man denn so allein sein?

Je tiefer ich in Meditation komme und in der Betrachtung dessen verweile, was ich wirklich bin, umso mehr Schwierigkeiten habe ich, eine Beziehung aufrechtzuerhalten. Ist das etwas, womit man rechnen muss, oder habe ich irgendetwas falsch gemacht?

18Vorsicht – ein Mönch und zwei Frauen!

Nachwort: LEBE DAS PARADOX

Über den Autor

Der Meditation Resort

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VORWORT

In Platons Symposion sagt Sokrates:
Wer sich in den Mysterien der Liebe übt, der wird nicht nur ein Abbild berühren, sondern die Wahrheit selbst. Um diesen Segen der menschlichen Natur zu erfahren, findet sich kein besserer Helfer als die Liebe.1

Mein ganzes Leben lang habe ich auf tausenderlei Art die Liebe kommentiert, aber immer mit der gleichen Botschaft. Doch etwas Grundlegendes ist zu beachten: Liebe ist nicht das, wofür ihr sie haltet. Ebenso wie Sokrates rede ich von einer anderen Liebe.

Die Liebe, die ihr kennt, ist nichts als ein biologischer Drang; sie hängt von eurer Chemie und euren Hormonen ab und ist sehr leicht zu beeinflussen. Eine kleine Veränderung in eurer Chemie – und die ganze Liebe, die ihr für die »höchste Wahrheit« gehalten habt, ist verschwunden. Was ihr »Liebe« nennt, ist nichts als sexuelle Begierde. Diesen Unterschied muss man sich merken.

Sokrates sagt: »Wer sich in den Mysterien der Liebe übt …« Die Begierde kennt keine Mysterien, sie ist ein einfaches biologisches Spiel. Jedes Tier, jeder Vogel, jeder Baum kennt es. Diese Liebe, in der es Mysterien gibt, muss mit Sicherheit etwas völlig anderes sein als die Liebe, mit der ihr normalerweise vertraut seid.

Wer sich in den Mysterien der Liebe übt, der wird nicht nur ein Abbild berühren, sondern die Wahrheit selbst.

Diese Liebe, die euch mit der Wahrheit selbst in Berührung zu bringen vermag, entsteht nur aus dem Bewusstsein – nicht aus dem Körper, sondern aus dem innersten Sein. Begierde entsteht in eurem Körper, Liebe entsteht in eurem Bewusstsein. Weil aber die Menschen ihr Bewusstsein nicht kennen, setzt sich dieses Missverständnis immer weiter fort. Deswegen halten sie die Begierde ihres Körpers für Liebe.

Nur ganz wenige Menschen auf dieser Welt haben die Liebe erfahren. Es sind jene, die ganz still, ganz friedlich geworden sind … In dieser Stille, in diesem Frieden kommen sie mit ihrem innersten Sein, mit ihrer Seele in Berührung. Und sobald ihr mit eurer Seele in Berührung kommt, ist Liebe nicht mehr eine Beziehung, sondern etwas, das euch wie ein Schatten begleitet. Dann seid ihr, wo ihr auch hingeht und mit wem ihr auch zusammen seid, immer erfüllt von Liebe.

Dagegen ist das, was ihr jetzt Liebe nennt, auf eine bestimmte Person gerichtet und auf diese beschränkt. Die Liebe ist aber kein Phänomen, das sich beschränken ließe. Man kann sie in der offenen Hand halten, aber nicht in der Faust. Sobald ihr die Hände schließt, sind sie leer. Sobald ihr sie öffnet, steht euch die ganze Existenz offen.

Sokrates hat Recht: Wer die Liebe kennt, kennt auch die Wahrheit, denn das sind nur zwei verschiedene Namen für ein und dieselbe Erfahrung. Solange ihr die Wahrheit nicht erkannt habt, solltet ihr nicht meinen, die Liebe zu kennen.

»Um diesen Segen der menschlichen Natur zu erfahren, findet sich kein besserer Helfer als die Liebe«.

TEIL I

LIEBE

Es wird dich überraschen zu hören, dass die Worte love und »Liebe« von dem Sanskritwort lobha abstammen, und lobha bedeutet »Gier«. Es könnte Zufall sein, dass die Worte aus einem Sanskritwort entstanden sind, das »Gier« bedeutet, aber ich denke, dass es doch kein Zufall ist. Dahinter muss es ein Geheimnis geben, irgendeinen alchemistischen Grund. In der Tat, wenn Gier verarbeitet und gut verdaut wird, entsteht daraus Liebe. Aus eben dieser Gier, lobha, wird, richtig verarbeitet, Liebe.

Liebe ist ein Teilen und Geben, Gier ist Horten. Gier will nur haben und gibt nie. Liebe kennt nur Geben und will nie etwas dafür zurück haben; sie ist bedingungsloses Teilen. Es könnte also diesen alchemistischen Grund geben, weshalb aus lobha das Wort »Liebe« wurde. Im Hinblick auf die innere Alchemie trifft es zu – aus Gier, lobha, wird Liebe.

1

 

WAHRE LIEBE

Liebe bedeutet nicht das, was man gemeinhin darunter versteht. Gewöhnliche Liebe ist nur eine Verkleidung, hinter der sich die wahre Liebe verbirgt. Wahre Liebe ist etwas völlig anderes. Gewöhnliche Liebe ist ein Fordern, wirkliche Liebe ist reines Geben. Sie kennt kein Fordern, nur die Freude des Gebens.

Gewöhnliche Liebe täuscht viel vor. Wahre Liebe täuscht überhaupt nichts vor – sie ist einfach. Gewöhnliche Liebe hat etwas an sich, dass einem beinahe schlecht werden könnte, etwas Klebriges, Triefendes, Sirupartiges – so ein Schatzi-Schmatzi-Schmus. Es macht dich krank. Wirkliche Liebe ist Nahrung; sie stärkt die Seele. Gewöhnliche Liebe ist bloß Futter für das Ego – nicht für das wirkliche Selbst, sondern für das unwirkliche Selbst. Das Unwirkliche nährt immer nur Unwirkliches, wohlgemerkt, und das Wirkliche nährt Wirkliches.

Werde zu einem Diener der wirklichen Liebe. Dies bedeutet, zu einem Diener der Liebe in ihrer höchsten und reinsten Form zu werden. Gib und teile alles, was du bist. Verschenke es, und habe Freude am Schenken. Tue es nicht, als wäre es eine Pflicht, denn sonst geht die ganze Freude verloren. Und habe nie das Gefühl, der andere sei dir zu irgendetwas verpflichtet – niemals, nicht einen Augenblick. Liebe erwartet niemals Dank. Im Gegenteil, wenn der andere deine Liebe annimmt, bist du es, der sich zu Dank verpflichtet fühlt. Liebe ist immer dankbar, dass sie angenommen wird.

Liebe erwartet keinen Lohn, nicht einmal ein Dankeschön. Wenn von der anderen Seite Dankbarkeit kommt, ist der Liebende immer überrascht. Es ist eine angenehme Überraschung, weil keine Erwartung da war.

Wirkliche Liebe kann nicht frustriert werden, weil von vornherein keine Erwartung da ist. Und unwirkliche Liebe kann nie erfüllt werden, weil sie so stark auf Erwartungen aufgebaut ist, dass alles, was man tut, immer dahinter zurückbleibt. Die Erwartungen sind so groß, dass kein Mensch sie je erfüllen kann. Darum führt die unwirkliche Liebe immer zu Frustration, und wirkliche Liebe bringt immer Erfüllung.

Wenn ich sage: »Werde zu einem Diener der Liebe«, dann soll das nicht heißen, dass du zum Diener eines anderen Menschen werden sollst – nein, ganz und gar nicht. Ich sage nicht, dass man zum Diener der geliebten Person werden soll. Was ich sage, ist, dass ihr zu einem Diener der Liebe werden sollt. Ihr solltet euch der reinen Idee der Liebe verschreiben. Dein Geliebter, deine Geliebte ist nur eine Erscheinungsform dieser reinen Idee, und die ganze Existenz besteht im Grunde aus Millionen von Erscheinungsformen dieser reinen Idee. Eine Blume ist eine solche Form, der Mond eine andere, dein Liebster eine weitere. Dein Kind, deine Mutter, dein Vater – sie alle sind verschiedene Formen, Wellen auf dem Ozean der Liebe. Aber werde nie zum Diener eines geliebten Menschen. Halte dir immer vor Augen, dass deine Geliebte, dein Geliebter nur eine winzige Ausdrucksform des Ganzen ist.

Diene also der Liebe durch den geliebten Menschen, dann wirst du dich nicht an ihm festhalten. Und wenn man nicht an dem Menschen, den man liebt, festhält, kann die Liebe ihren höchsten Gipfel erreichen. Sobald man sich festhält, stürzt man ab. Festhalten ist wie die Schwerkraft, Nichtfesthalten ist Gnade, ein Losgelöstsein. Unwirkliche Liebe ist nur ein anderer Name für Festhalten, Gebundenheit; wirkliche Liebe ist frei und ungebunden.

Unwirkliche Liebe kümmert sich ständig um den anderen, sie ist viel zu besorgt. Wirkliche Liebe ist umsichtig, aber nicht besorgt. Wenn du einen Menschen wirklich liebst, nimmst du Anteil an seinen wahren Bedürfnissen, aber du kümmerst dich nicht unnötig um seine törichten, unsinnigen Fantasien. Du wendest dich aufmerksam seinen Bedürfnissen zu, aber du bist nicht dazu da, ihm seine unrealistischen Wünsche zu erfüllen. Du wirst nichts erfüllen, was ihm tatsächlich schaden könnte. Du wirst zum Beispiel nicht sein Ego befriedigen, auch wenn das Ego jede Menge Forderungen stellt. Jemand, der sich zu sehr um den anderen kümmert und sich an ihn klammert, wird ihm seine Egoforderungen erfüllen – und das wäre Gift für den Menschen, den er liebt. Umsichtig zu sein bedeutet, dass du zwischen einem wirklichen und einem Egobedürfnis unterscheiden kannst und es ihm nicht erfüllst.

Liebe kennt Anteilnahme, aber keine Bemutterung. Manchmal ist sie auch hart, weil es manchmal nötig ist, hart zu sein. Manchmal ist sie sehr distanziert. Wenn es hilft, distanziert zu sein, ist sie distanziert. Manchmal ist sie sehr kühl. Wenn es nötig ist, kühl zu sein, ist sie kühl. Was immer auch nötig ist – Liebe ist umsichtig, aber nie bemutternd. Sie wird kein unwirkliches Bedürfnis erfüllen und sie wird keine vergiftend wirkende Idee im anderen unterstützen.

Strebe nach dieser Liebe, meditiere darüber, experimentiere damit! Liebe ist das größte Experiment im Leben, und wer sein Leben lebt, ohne mit der Liebesenergie zu experimentieren, wird niemals erfahren, was das Leben eigentlich ist. Er bewegt sich nur an der Oberfläche und geht nie in die Tiefe.

Was ich lehre, orientiert sich an der Liebe. Ich könnte ganz leicht auf das Wort »Gott« verzichten, kein Problem. Aber auf das Wort »Liebe« kann ich nicht verzichten. Wenn ich zwischen den Wörtern »Liebe« oder »Gott« wählen müsste, würde ich die Liebe wählen. Gott kann ich vergessen, denn jeder, der die Erfahrung der Liebe macht, macht automatisch auch die Erfahrung Gottes, aber nicht umgekehrt. Wer über Gott nur nachsinnt und über ihn philosophiert, wird vielleicht nie zur Erfahrung der Liebe gelangen – und damit auch nicht zur Erfahrung Gottes.

2

 

SELBSTLIEBE – DER ERSTE SCHRITT

Einer der tiefsinnigsten Lehrsätze des Gautama Buddha lautet:
Liebe dich selbst und beobachte – heute, morgen, immer.

Genau das Gegenteil ist euch beigebracht worden, von sämtlichen Traditionen der Welt – von jeder Kultur, jeder Gesellschaft, jeder Kirche. Sie alle sagen: »Liebe die anderen, liebe nicht dich selbst.« Und hinter diesen Lehren steckt eine gewisse raffinierte Strategie.

Liebe ist Nahrung für die Seele. So wie Essen den Körper nährt, ist Liebe Nahrung für die Seele. Ohne Essen wird der Körper schwach, ohne Liebe wird die Seele schwach. Und kein Staat, keine Kirche, kein Establishment hat je gewollt, dass die Menschen eine starke Seele haben, denn ein Mensch mit spiritueller Energie wird immer rebellisch sein.

Liebe macht euch rebellisch, revolutionär. Liebe gibt euch Flügel, damit ihr euch hoch emporschwingen könnt. Liebe gibt euch Einsicht in die Dinge, und dann kann euch niemand mehr täuschen, ausbeuten, unterdrücken. Doch die Priester und die Politiker leben von eurem Blut; sie können durch Ausbeutung überleben.

Alle Priester und Politiker sind Parasiten. Sie haben eine sichere Methode gefunden, um euch mit hundertprozentiger Garantie spirituell schwach zu machen: Sie bringen den Menschen bei, sich selbst nicht zu lieben. Wer sich selbst nicht lieben kann, kann auch niemand anders lieben. Es ist eine sehr hinterlistige Methode. Sie sagen: »Liebet euren Nächsten«, denn sie wissen, wenn ihr euch selbst nicht liebt, dann könnt ihr überhaupt nicht lieben. Und sie wiederholen ständig: »Liebet euren Nächsten! Liebt die Menschheit, liebt Gott, liebt die Natur, liebt eure Ehefrau, euren Ehemann, eure Kinder, eure Eltern.« – Nur nicht euch selbst! Denn wer sich selbst liebt, sei selbstsüchtig, so sagen sie. Sie verdammen nichts so sehr wie die Selbstliebe.

Und sie haben dafür gesorgt, dass ihre Lehre total logisch aussieht. Sie sagen: »Wer sich selbst liebt, wird zu einem Egoisten. Wer sich selbst liebt, wird narzisstisch.« Aber das ist nicht wahr.

Wer sich selbst liebt, entdeckt, dass er egolos ist. Erst durch den Versuch, andere zu lieben, ohne sich selbst zu lieben, erst durch die Bemühung, andere zu lieben, entsteht das Ego. All diese Missionare und Sozialreformer, die Diener der Menschheit – sie haben die größten Egos auf der Welt. Das ist natürlich, weil sie sich für etwas Besseres halten. Sie sind keine gewöhnlichen Menschen – nur gewöhnliche Menschen lieben sich selbst! Sie hingegen lieben ihre Mitmenschen, sie lieben die großen Ideale, sie lieben Gott.

Und ihre ganze Liebe ist falsch, weil ihre ganze Liebe überhaupt keine Wurzeln hat.

Wer sich selbst liebt, macht damit den ersten Schritt zur wirklichen Liebe. Es ist so, als wenn man einen Kieselstein in einen ruhigen See wirft: Die ersten Wellenkreise entstehen um den Kiesel herum, ganz nahe am Stein. Das ist natürlich, wo sollten sie sonst entstehen? Von da aus breiten sie sich immer weiter aus, bis zu den fernsten Ufern. Verhindert man diese Wellen nahe an dem Stein, dann gibt es keine weiteren Wellen. Dann braucht man nicht zu hoffen, dass irgendwelche Wellen bis ans fernste Ufer gelangen könnten, unmöglich.

Die Priester und die Politiker wurden sich dieses Phänomens bewusst: Wenn man die Menschen daran hindert, sich selbst zu lieben, zerstört man ihre ganze Liebesfähigkeit. Dann wird alles, was sie für Liebe halten, nur eine Pseudoliebe sein. Es mag Pflichtgefühl sein, aber nicht Liebe. Und Pflicht ist ein so hässliches Wort. Die Eltern erfüllen ihre Pflicht an ihren Kindern, damit die Kinder dann ihrerseits ihre Pflicht an den Eltern erfüllen. Die Frau erfüllt ihre ehelichen Pflichten gegenüber dem Ehemann, der Mann erfüllt seine ehelichen Pflichten gegenüber der Ehefrau. Aber wo bleibt die Liebe?

Liebe weiß nichts von Pflicht. Pflicht ist eine Bürde, eine Formalität. Liebe ist eine Freude, ein Schenken. Liebe ist ohne Formalitäten. Ein Liebender hat nie das Gefühl, er hätte genug getan. Ein Liebender hat immer das Gefühl, es wäre noch mehr möglich gewesen. Ein Liebender hat nie das Gefühl, der andere sei ihm zu Dank verpflichtet. Im Gegenteil, er fühlt: »Ich bin es, der zu danken hat, weil meine Liebe angenommen wurde. Ich bin dem anderen zu Dank verpflichtet, dass er mein Geschenk angenommen hat; er hätte es auch ablehnen können.«

Jemand, der aus Pflichtgefühl handelt, denkt: »Ich bin etwas Besseres, ich bin spirituell, ich bin außergewöhnlich. Seht nur, wie ich den Menschen diene!« Solche Diener der Menschheit sind die scheinheiligsten Leute auf der Welt und die heimtückischsten. Wenn wir diese Diener der Menschheit loswerden könnten, wären die Menschen von einer schweren Last befreit. Sie würden sich sehr erleichtert fühlen und könnten wieder tanzen und singen.

Aber man hat euch jahrhundertelang die Wurzeln gestutzt und euch vergiftet. Man hat euch davor Angst gemacht, euch selbst zu lieben. Das ist aber der erste Schritt in der Liebe, die allererste Erfahrung. Wer sich selbst liebt, respektiert sich selbst. Und wer sich selbst liebt und respektiert, der respektiert auch andere, weil er weiß: »Die anderen sind genau wie ich. So wie ich mich über Liebe, Respekt und Würde freue, genauso freuen sich auch die anderen.« Und er wird sich bewusst, dass wir an der Basis überhaupt nicht verschieden sind; wir sind eins. Wir unterliegen alle demselben Gesetz. Buddha sagt: »Wir leben unter demselben ewigen Gesetz – Aes dhammo sanantano.« In den Details mögen wir uns ein wenig unterscheiden – das bringt eine schöne Abwechslung –, aber an der Basis sind wir alle Teil dieser einen Natur.

Wer sich selbst liebt, genießt die Liebe so sehr und sie macht ihn so glücklich, dass die Liebe anfängt überzufließen und auch andere zu erreichen. Es kann gar nicht anders sein! Wer in der Liebe lebt, muss sie mit anderen teilen. Man kann nicht immer nur sich selbst lieben, denn eines wird absolut klar: Wenn es so schön und ungeheuer ekstatisch ist, einen Menschen, sich selbst, zu lieben – wie viel mehr Ekstase hat man noch zu erwarten, wenn man erst anfängt, seine Liebe mit vielen, vielen Menschen zu teilen!

Langsam werden die Wellen immer größere Kreise ziehen. Zuerst liebst du andere Menschen, dann fängst du auch an, die Tiere, die Vögel, die Bäume, die Felsen zu lieben. Du kannst das ganze Universum mit deiner Liebe erfüllen. Ein einziger Mensch reicht aus, um das ganze Universum mit Liebe zu füllen – so wie ein einziger Stein den ganzen See mit Wellen zu füllen vermag. Ein kleines Steinchen!

Nur ein Buddha kann sagen: »Liebe dich selbst.« Kein Priester und kein Politiker kann damit einverstanden sein, denn das würde ihr ganzes Gebäude zum Einsturz bringen, den ganzen Apparat ihrer Ausbeutung. Wenn man es den Menschen verwehrt, sich selbst zu lieben, wird ihre spirituelle Kraft, ihre Seele von Tag zu Tag schwächer. Der Körper mag wachsen, aber es gibt kein inneres Wachstum, weil die innere Nahrung fehlt. Der Mensch bleibt auf den Körper beschränkt, er lebt praktisch ohne Seele – oder nur mit dem Potenzial, mit der Möglichkeit einer Seele. Seine Seele bleibt ein Same und muss ein Same bleiben, wenn sie nicht den richtigen Boden der Liebe findet. Und den kann sie nicht finden, wenn man diese dumme Vorstellung befolgt: »Du sollst dich nicht selbst lieben.«

Auch ich lehre, dass ihr euch zuerst selbst lieben müsst. Das hat nichts mit dem Ego zu tun. Im Gegenteil, die Liebe ist ein solches Licht, dass darin kein Platz ist für die Dunkelheit des Ego. Wenn du zuerst andere liebst und deine Liebe auf andere konzentrierst, lebst du im Dunkel. Richte dein Licht zuerst auf dich selbst, werde dir selbst ein Licht. Lass dieses Licht deine innere Dunkelheit, deine innere Schwäche vertreiben. Lass die Liebe zu einer ungeheuren Kraft, einer spirituellen Kraft in dir werden.

Und wenn deine Seele ihre volle Kraft erlangt hat, dann weißt du, dass du nicht stirbst, dass du unsterblich bist, dass du ewig bist. Die Liebe gibt dir den ersten Blick in die Ewigkeit. Die Liebe ist die einzige Erfahrung, die alles Zeitliche transzendiert – darum haben Liebende keine Angst vor dem Tod. Die Liebe kennt keinen Tod. Ein einziger Augenblick der Liebe ist mehr als eine ganze Ewigkeit.

Doch die Liebe muss beim Anfang anfangen. Die Liebe muss mit diesem ersten Schritt beginnen:

Liebe dich selbst.

Verurteile dich nicht. Man hat dich so sehr verurteilt und all diese Urteile hast du dir zu Herzen genommen. Und jetzt fügst du selbst dir weiter Schaden zu. Du denkst, du hättest keinen besonderen Wert, du wärst keine wunderbare Schöpfung Gottes, du würdest hier gar nicht gebraucht. Aber das sind alles nur vergiftende Gedanken, mit denen man euch vergiftet hat. Schon mit der Muttermilch hat man euch vergiftet. Und so war die ganze Vergangenheit, die ganze Menschheit hat unter einer dunklen, finsteren Wolke von Selbstverdammnis gelebt. Wie könnt ihr wachsen, wenn ihr euch selbst verurteilt? Wie könnt ihr jemals reif werden? Und wenn ihr euch selbst verachtet, wie könnt ihr da die Göttlichkeit der Existenz wertschätzen? Wenn ihr das Göttliche in eurem Innern nicht wertschätzen und verehren könnt, werdet ihr niemals im Stande sein, das Göttliche auch in anderen zu verehren. Das ist unmöglich.

Du kannst dich nur als Teil des Ganzen erfahren, wenn du große Achtung vor dem Göttlichen besitzt, das in dir wohnt. Du bist der Gastgeber, Gott ist dein Gast. Wenn du dich selbst liebst, erkennst du: Gott hat dich zu seinem Instrument erwählt. Indem er dich zu seinem Instrument erwählt hat, zeigt er dir bereits seine Achtung und Liebe. Indem er dich erschaffen hat, beweist er seine Liebe für dich. Er hat dich nicht zufällig gemacht. Er hat dich mit einer Bestimmung gemacht, einem bestimmten Potenzial, einer bestimmten Fülle, die du verwirklichen sollst. Ja, Gott hat den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen. Der Mensch muss zu einem Gott werden. Solange der Mensch nicht selbst zu einem Gott wird, kann es keine Erfüllung, keinen Frieden für ihn geben.

Aber wie kannst du zu einem Gott werden? Die Priester sagen, du seist ein Sünder. Eure Priester sagen, dass ihr verdammt seid, dass ihr in die Hölle kommen werdet. Und sie machen euch große Angst davor, euch selbst zu lieben. Das ist ihr Trick, um die Liebe direkt an der Wurzel abzuschneiden. Das sind sehr gerissene Leute. Der Beruf des Priesters ist der gerissenste auf der Welt. Sie sagen: »Liebe deinen Nächsten.« Aber diese Liebe wird künstlich und unecht sein, Heuchelei, reine Show.

Sie sagen: »Liebe die Menschheit, liebe dein Land, dein Vaterland, liebe das Leben, die Existenz, Gott.« Alles große Worte, aber völlig ohne Bedeutung. Ist dir die Menschheit je begegnet? Es begegnen dir immer nur einzelne Menschen. Aber schon den ersten Menschen, der dir begegnete, hast du verurteilt – und das bist du.

Du hast dich selbst nie geachtet, nie geliebt. Nun verschwendest du dein ganzes Leben damit, andere zu verurteilen. Darum sind die Leute so gut im Kritisieren. Sie entdecken Mängel bei sich selbst, und wie könnten sie es vermeiden, dieselben Mängel auch bei anderen zu finden? Ja, sie finden sogar jede Menge Fehler und übertreiben diese noch und lassen sie möglichst groß erscheinen. Das ist wohl der einzige Ausweg. Um ihr Gesicht zu wahren, scheint ihnen gar nichts anderes übrig zu bleiben. Darum gibt es so viel Kritik und einen solchen Mangel an Liebe.

Ich halte dies für eine der tiefgründigsten Aussagen Buddhas, und nur ein Erwachter kann euch eine solche Erkenntnis geben.

Er sagt: »Liebe dich selbst …« Das kann zum Ausgangspunkt einer radikalen Transformation werden. Habe keine Scheu, dich selbst zu lieben. Liebe dich ganz und gar, und du wirst dich wundern: Der Tag, an dem du alle Selbstverurteilung und Selbstverachtung los bist, der Tag, an dem du die Vorstellung der Erbsünde los bist, der Tag, an dem du dich als wertvoll und von der Existenz geliebt erfährst, wird ein unendlich segensreicher Tag sein! Von diesem Tag an wirst du anfangen, die Menschen in ihrem wahren Licht zu sehen, und du wirst Mitgefühl haben. Doch es wird kein antrainiertes Mitgefühl sein, sondern ein natürliches, spontanes Überfließen.

Wer sich selbst liebt, findet auch leicht zur Meditation, denn Meditation bedeutet, mit sich allein zu sein. Wenn ihr euch selbst hasst – und das tut ihr, denn das hat man euch so beigebracht, und ihr habt es mit religiösem Eifer befolgt … Wenn ihr euch selbst hasst, wie könnt ihr es mit euch allein aushalten? Meditation bedeutet nichts anderes, als dein wunderbares Alleinsein zu genießen. Dich selbst zu feiern – darum geht es in der Meditation.

Meditation ist keine Beziehung. Der andere wird überhaupt nicht gebraucht, man ist sich selbst genug. Man ist gebadet im eigenen Licht, im eigenen Glanz. Man erfreut sich einfach daran, dass man lebt, dass man ist.

Das größte Wunder auf der Welt ist, dass du bist, dass ich bin. Zu sein ist das größte Wunder. Und Meditation öffnet die Türen zu diesem großen Wunder. Doch nur wer sich selbst liebt, kann meditieren; sonst wird er sich meiden und immer vor sich selbst davonlaufen. Wer möchte schon ein hässliches Gesicht ansehen? Wer möchte schon ein hässliches Wesen näher ergründen? Wer möchte schon tief in den eigenen Schlamm hinabtauchen, in die eigene Dunkelheit? Wer möchte sich schon in die Hölle begeben, die er in sich findet? Lieber möchte er das Ganze hinter schönen Blumen verstecken. Lieber läuft er ständig vor sich selbst davon.

Darum suchen die Menschen ständig die Gesellschaft von anderen; sie können nicht mit sich allein sein. Darum wollen sie immer mit anderen zusammen sein, und dazu ist ihnen jede Art von Gesellschaft recht, wenn sie nur die eigene Gesellschaft vermeiden können. Dazu ist ihnen alles recht. Sie sitzen stundenlang im Kino, um sich irgendeinen dummen Film anzuschauen. Sie lesen stundenlang Krimis und vertun ihre Zeit damit. Sie lesen immer wieder die gleiche Zeitung, nur um eine Beschäftigung zu haben. Sie spielen Karten, spielen Schach, nur um die Zeit totzuschlagen. Als hätten sie zu viel Zeit!

Wir haben nicht zu viel Zeit. Wir haben nicht genug Zeit, um zu wachsen und uns unseres Daseins zu erfreuen!

Das ist eines der Grundprobleme, und es kommt von der falschen Erziehung: Man vermeidet sich selbst. Die Leute sitzen wie festgeklebt auf ihrem Sessel vor dem Fernseher, vier, fünf, ja sogar sechs Stunden lang. Der Durchschnittsamerikaner sitzt täglich fünf Stunden vor dem Fernseher, und diese Krankheit verbreitet sich nun auf der ganzen Welt. Was gibt es denn da zu sehen? Und was habt ihr davon? Damit macht ihr euch höchstens die Augen kaputt.

Aber es war schon immer so, auch bevor es das Fernsehen gab. Es gibt ja genug andere Dinge. Und das Problem ist immer das Gleiche: Wie vermeidet man sich selbst? Denn man fühlt sich so hässlich.

Aber wer hat euch denn so hässlich gemacht? Eure so genannten religiösen Leute, eure Päpste und Priester. Sie tragen die Schuld, dass eure Gesichter so verzerrt sind. Sie haben es geschafft, alle Menschen hässlich zu machen.

Von Geburt ist jedes Kind schön, aber dann machen wir uns daran, ihm seine Schönheit zu rauben. Wir verkrüppeln und lähmen es in vielfacher Hinsicht, verbiegen seine Gestalt, stören sein Gleichgewicht. Früher oder später ist dieser Mensch dann so von sich angewidert, dass er bereit ist, sich mit jeder Gesellschaft zufrieden zu geben. Möglicherweise geht er dann sogar zu Prostituierten, nur um sich selbst zu vermeiden.

»Liebe dich selbst«, sagt Buddha. Dieser Satz kann die ganze Welt verwandeln. Er kann unsere ganze hässliche Vergangenheit beiseite räumen und ein neues Zeitalter einleiten. Dies kann der Anfang einer neuen Menschheit werden.

Das ist der Grund, warum ich so sehr für die Liebe eintrete. Aber die Liebe beginnt bei dir selbst. Nur von da kann sie sich weiter ausbreiten, und das tut sie von ganz allein – du brauchst nichts zu tun, damit sie sich ausbreitet.

»Liebe dich selbst«, sagt Buddha und er fügt sogleich hinzu: »… und beobachte.« Das ist Meditation, dies ist Buddhas Ausdruck für Meditation. Doch die erste Voraussetzung ist, dich selbst zu lieben – und dann zu beobachten. Wenn du dich nicht liebst und trotzdem anfängst, dich zu beobachten, könntest du auf den Gedanken kommen, Selbstmord zu begehen. Viele Buddhisten haben Selbstmordgedanken, weil sie dem ersten Teil dieses Lehrsatzes keine Beachtung schenken. Sie springen sofort zum zweiten Teil: »Beobachte dich selbst.« Tatsächlich habe ich keinen einzigen Kommentar zum Dhammapada – wie die Reden Buddhas genannt werden – gefunden, der diesem ersten Teil des Satzes Beachtung geschenkt hätte: »Liebe dich selbst.«

Sokrates sagt: »Erkenne dich selbst« – Buddha sagt: »Liebe dich selbst.« Doch was Buddha sagt, ist viel wahrhaftiger, denn solange man sich selbst nicht liebt, kann man sich unmöglich selbst erkennen. Die Erkenntnis kommt erst später, wenn der Boden dafür von der Liebe bereitet wurde. Die Liebe schafft erst die Möglichkeit zur Selbsterkenntnis. Liebe ist der rechte Weg, um sich selbst zu erkennen.

Einmal weilte ich bei einem buddhistischen Mönch, Jagdish Kashyap, der inzwischen gestorben ist. Er war ein guter Mensch. Wir sprachen über das Dhammapada und kamen auf diese Stelle zu sprechen. Und er fing gleich an, über das Beobachten zu reden, als hätte er den ersten Satz überhaupt nicht gelesen. Kein traditioneller Buddhist wird diesem ersten Teil des Satzes je Beachtung schenken; man lässt ihn einfach links liegen.

Ich sagte zu Bhikshu Jagdish Kashyap: »Moment mal! Du übersiehst etwas ganz Wesentliches. Das Beobachten ist erst der zweite Schritt, und du machst ihn zum ersten. Es kann aber nicht der erste Schritt sein!«

Er las die Stelle noch einmal und sagte dann mit umwölktem Blick: »Mein ganzes Leben lang lese ich das Dhammapada, und dieses Sutra muss ich millionenfach gelesen haben. Das Dhammapada ist mein tägliches Morgengebet, ich kann es in- und auswendig. Aber mir ist noch nie aufgefallen, dass dieses ›Liebe dich selbst‹ den ersten Teil der Meditation darstellt und das Beobachten den zweiten Teil.«

Dasselbe trifft für Millionen von Buddhisten auf der ganzen Welt zu – und auch für die Neo-Buddhisten im Westen. Die Zeit für Buddha im Westen ist gekommen; der Westen ist jetzt bereit, Buddha zu verstehen. Aber auch dort wird der gleiche Fehler gemacht. Man übersieht völlig, dass Selbstliebe die Voraussetzung für Selbsterkenntnis und Selbstbeobachtung ist. Denn solange du dich selbst nicht liebst, kannst du nicht wirklich nach innen schauen. Du wirst es vermeiden. Dann kann dein »Beobachten« sogar zu einer Methode werden, dich selbst zu vermeiden.

Zuerst heißt es: Liebe dich selbst, dann erst folgt: Beobachte – heute, morgen, immer.

Schaffe dir ein liebevolles Umfeld. Liebe deinen Körper, liebe deinen Verstand. Liebe all deine Funktionen, deinen ganzen Organismus. Mit »Liebe« ist gemeint, alles zu akzeptieren, wie es ist. Versuche nichts zu unterdrücken. Wir unterdrücken nur, was wir hassen. Wir unterdrücken nur etwas, das wir nicht wahrhaben wollen. Unterdrücke nichts, denn wie willst du es beobachten, wenn du es unterdrückst? Wir können unserem Feind nicht ins Auge sehen, nur unserem Liebsten. Nur wenn du ein Liebhaber deiner selbst bist, kannst du dir in die Augen schauen, ins eigene Gesicht, in die eigene Wirklichkeit.

Beobachten bedeutet Meditation, es ist Buddhas Bezeichnung für Meditation. »Beobachte!« – Das ist Buddhas Weckruf. Er meint damit: Sei aufmerksam, sei bewusst, sei nicht unbewusst! Verhalte dich nicht wie im Schlaf. Benimm dich nicht ständig wie eine Maschine, wie ein Roboter. Aber so sind die Menschen.

Michael war gerade in seine neue Wohnung eingezogen und beschloss, sich mit den Nachbarn von gegenüber bekannt zu machen. Als er klingelte und die Tür aufging, war er hocherfreut, eine schöne, junge Blondine mit üppigen Kurven in einem durchsichtigen Negligé zu erblicken.

Michael warf ihr einen coolen Blick zu und sagte dann ganz spontan: »Hallo! Ich bin der neue Zucker von gegenüber. Hätten Sie mal ’ne Tasse Nachbar für mich?«

Die Menschen leben total unbewusst. Sie haben keine Ahnung, wie sie reden und was sie tun. Sie sind unaufmerksam und beobachten sich nicht. Sie schauen nicht richtig hin und gehen immer von irgendwelchen Annahmen aus. Sie haben keinen Durchblick, können ihn gar nicht haben. Durchblick bekommt man erst, wenn man sehr bewusst ist. Dann kann man sogar mit geschlossenen Augen sehen. Aber so wie ihr jetzt seid, könnt ihr nicht mal mit offenen Augen sehen. Ihr ratet und vermutet, interpretiert und projiziert.

Susi liegt beim Psychiater auf der Couch. »Machen Sie einfach mal die Augen zu und entspannen Sie sich«, sagt der Doktor. »Wir machen jetzt ein Experiment.«

Er zieht ein ledernes Schlüsseletui aus der Hosentasche, öffnet dessen Reißverschluss und schüttelt die Schlüssel. »Woran erinnert Sie dieses Geräusch?«, fragt er Susi.

»Sex«, flüstert sie.

Dann schließt er das Etui wieder und berührt damit ihre Handfläche. Susi erstarrt.

»Und das?«, fragt der Psychiater.

»Sex«, murmelt Susi nervös.

»Öffnen Sie wieder die Augen«, sagt der Psychiater, »und jetzt sagen Sie mir bitte: Warum hat das, was ich eben gemacht habe, Sie an Sex erinnert?«

Zaghaft öffnen sich Susis zitternde Augenlider. Ihr Blick fällt auf das Schlüsseletui in der Hand des Psychiaters. Sie wird knallrot und stottert: »Ja, also, ehm … Ich dachte, das erste Geräusch war der Reißverschluss Ihrer Hose.«

Der Verstand projiziert ständig; er projiziert sich selbst. Der Verstand kollidiert ständig mit der Wirklichkeit und gibt allem seine eigene Färbung, Form und Gestalt. Der Verstand erlaubt dir nie, das zu sehen, was ist. Er erlaubt dir nur, das zu sehen, was er sehen will.

Früher dachten die Wissenschaftler, unsere Augen, Ohren, die Nase und alle anderen Sinne, einschließlich des Verstandes, seien nichts anderes als Pforten zur Wirklichkeit, eine Brücke zur Realität. Doch heute sieht man das anders. Heute sagt man, unsere Sinne und der Verstand seien keine Pforten zur Wirklichkeit, sondern eher ein Schutz davor. Nur zwei Prozent der Wirklichkeit dringen durch diesen Schutzfilter bis zu dir durch, 98 Prozent werden draußen gehalten. Und diese zwei Prozent sind, wenn sie bis zu dir durchkommen und dein Wesen erreichen, nicht mehr dasselbe. Sie müssen so viele Barrieren überwinden und mit so vielen Dingen in deinem Denken übereinstimmen, dass es nicht mehr dieselbe Wirklichkeit ist, wenn es dich erreicht.

Meditation bedeutet, deinen Verstand beiseite zu legen, damit er nicht mehr mit der Wirklichkeit kollidiert, sondern dich die Dinge so sehen lässt, wie sie wirklich sind.

Weshalb mischt sich dein Verstand überhaupt ein? Weil dein Verstand, dein Denken von der Gesellschaft erzeugt wurde. Er ist der Vertreter der Gesellschaft in dir; er steht nicht zu deinen Diensten, vergiss das nicht. Es ist zwar dein Verstand, aber er steht nicht zu deinen Diensten. Er ist Teil einer Verschwörung gegen dich. Die Gesellschaft hat ihn konditioniert, sie hat dir viele Dinge in den Kopf gesetzt. Es ist zwar dein Verstand, aber er ist nicht mehr dein Diener, sondern fungiert als Diener der Gesellschaft. Wenn du Christ bist, dann fungiert dein Verstand als Vertreter der christlichen Kirche. Bist du Hindu, dann ist dein Verstand Hindu, bist du Buddhist, dann ist er Buddhist. Die Wirklichkeit ist aber weder christlich noch hinduistisch, noch buddhistisch. Die Wirklichkeit ist einfach, wie sie ist.

Ihr müsst all diese Denkweisen beiseite schieben: das kommunistische Denken, das faschistische Denken, das katholische Denken, das protestantische Denken … Es gibt dreitausend Religionen auf dieser Welt – die großen Religionen und kleinere Religionen und ganz kleine Sekten und Sekten innerhalb von Sekten – alles in allem etwa dreitausend. Demnach gibt es dreitausend verschiedene Denkweisen, dreitausend Geistesarten – aber nur eine Wirklichkeit, eine Existenz, eine Wahrheit!

Meditation bedeutet, den Verstand beiseite zu tun und zu beobachten. Der erste Schritt – »Liebe dich selbst« – wird eine enorme Hilfe sein. Wenn du dich liebst, machst du vieles rückgängig, was die Gesellschaft dir eingepflanzt hat. Dann bist du schon ein ganzes Stück freier von den gesellschaftlichen Konditionierungen.

Und der zweite Schritt: »Beobachte.« Einfach Beobachten. Buddha sagt nicht, was man beobachten soll. Alles! Wenn du gehst, beobachte, dass du gehst. Wenn du isst, beobachte, dass du isst. Wenn du unter der Dusche stehst, beobachte, wie das Wasser, das kühle Wasser auf dich herabfällt, wie seine Kühle dich berührt und ein Zittern über deinen Rücken läuft … Beobachte alles – heute, morgen, immer.

Und irgendwann kommt der Augenblick, wo du sogar im Schlaf beobachten kannst. Das ist der Gipfelpunkt des Beobachtens. Der Körper schläft, aber der Beobachter ist wach und beobachtet still den schlafenden Körper. Das ist die höchste Form der Beobachtung. Bisher ist genau das Gegenteil der Fall: Dein Körper ist wach, aber du schläfst. Dann wirst du wach sein und dein Körper wird schlafen.

Der Körper braucht Ruhe, aber das Bewusstsein braucht keinen Schlaf. Das Bewusstsein ist bewusstes Sein. Wachheit ist seine wahre Natur. Der Körper ermüdet, denn der Körper unterliegt dem Gesetz der Schwerkraft. Es ist die Schwerkraft, die dich müde werden lässt. Darum ermüdest du bald, wenn du schnell läufst oder Treppen steigst, denn die Schwerkraft zieht dich nach unten. Ja sogar Stehen macht müde, Sitzen macht müde. Nur wenn du flach liegst, in der Horizontalen, kann sich der Körper ein bisschen ausruhen, weil er dann mit dem Gesetz der Schwerkraft harmoniert. Im Stehen, in der Vertikalen, arbeitest du dagegen, denn das Blut strömt zum Kopf, gegen das Gesetz, und das Herz muss schwer pumpen.

Das Bewusstsein unterliegt aber nicht dem Gesetz der Schwerkraft, und darum wird es nie müde. Die Schwerkraft (oder Gravitation) hat keine Macht über das Bewusstsein; es ist nicht wie ein Fels, es hat kein Gewicht. Es unterliegt einem völlig anderen Gesetz – dem Gesetz der Gnade, oder wie der Osten es nennt, dem Gesetz der Levitation. Die Gravitation bezieht sich auf das, was nach unten zieht, und die Levitation auf das, was nach oben zieht.

Unser Körper wird ständig nach unten gezogen; darum landet er letzten Endes im Grab. Dann erst kommt er wirklich zur Ruhe – Staub zu Staub, er kehrt zu seinem Ursprung zurück. Dann hat die ganze Aufregung ein Ende, alle Konflikte hören auf. Die Atome des Körpers kommen erst im Grab zur wahren Ruhe.

Doch die Seele schwingt sich höher und höher empor: In dem Maße, in dem du achtsamer wirst, wachsen dir Flügel – dann gehört dir der ganze Himmel.

Der Mensch ist die Verbindung von Erde und Himmel, Körper und Seele.

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WARUM SELBSTSUCHT EINE TUGEND IST

Wer nicht selbstsüchtig ist, kann auch nicht altruistisch sein, vergiss das nicht. Merke dir: Wer nicht selbstsüchtig ist, kann auch nicht selbstlos sein. Nur wer durch und durch selbstsüchtig ist, kann auch selbstlos sein. Das muss man verstehen, denn es erscheint paradox.

Was heißt es, selbstsüchtig zu sein? Die erste grundlegende Bedingung ist, dass du in deiner Mitte bist. Die zweite grundlegende Bedingung ist, dass du immer danach strebst, glücklich zu sein. Wenn du in deiner Mitte bist, wirst du bei allem, was du tust, von dir selbst ausgehen. Dann vermagst du auch anderen zu dienen – aber nur, weil es dir Freude macht. Dann tust du es nur, weil du es wirklich gerne machst, weil es dich beglückt und befriedigt. Du tust es, weil du dich dabei spürst. Du tust es nicht aus Pflicht, nicht etwa, um der Menschheit zu dienen. Du fühlst dich nicht als großer Märtyrer, der sich aufopfert. Das ist alles Unsinn. Es macht dich einfach auf deine Art glücklich, es fühlt sich für dich gut an. Dann gehst du vielleicht in ein Krankenhaus und dienst den Kranken, oder du gehst zu den Armen und dienst ihnen – aber nur, weil du es liebst. Auf diese Weise wächst du. Tief innerlich fühlst du dich still und glücklich und zufrieden mit dir selbst.