Staatsrecht aus Verwaltungsperspektive

für Prüfung und Berufseinstieg

von

Felix Bruckert

Professor Dr. jur. Michael Frey, Mag. rer. publ.

 

Verlag W. Kohlhammer

1. Auflage 2021

 

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

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ISBN 978-3-17-040936-1

 

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pdf: ISBN 978-3-17-040937-8

epub: ISBN 978-3-17-040938-5

 

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Vorwort zur ersten Auflage

Dass das Verwaltungsrecht in einem besonders engen Verhältnis zum Staats- und Verfassungsrecht steht, hat bereits Fritz Werner mit dem Titel seines berühmten Aufsatzes „Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht“ im Jahr 1959 prägnant auf den Punkt gebracht. In der verwaltungsrechtlichen Tätigkeit und Fallbearbeitung spiegeln sich staats- und verfassungsrechtliche Elemente auf vielfältige, wenn auch teilweise versteckte, Weise wider. Nur selten kann ein verwaltungsrechtlicher Fall gelöst werden, ohne zumindest kurz an die Prüfung von Grundrechten zu denken. Manche Verwaltungsrechtsgebiete sind gar vollumfänglich von grundrechtlichen Auswirkungen durchzogen. Man denke an das Versammlungsrecht und den Brokdorf-Beschluss des BVerfG, der beinahe als Lehrbuch für die Anwendung des Versammlungsgesetzes gelten kann.

Staatsrecht hat für die Verwaltung(spraxis) also hohe Bedeutung. Gleichwohl bereitet die Anwendung staatrechtlicher Grundsätze in der Fallpraxis nicht selten Probleme. Das mag zum einen an der großen Fülle des staatsrechtlichen Stoffes (Staatsrecht I, II und III) liegen, welche die Verwaltung neben der auch sonst überwältigenden Stofffülle des Fachrechts zu bewältigen hat. Zum anderen wird Staatsrecht – naheliegenderweise – zumeist aus Sicht der Verfassungsorgane erläutert, eingebettet in Verfahren vor dem BVerfG. Für die untere Verwaltungsbehörde folgt hieraus ein enormer Aufwand an Auswahl und Übertragung der für sie wichtigen Aussagen auf den Einzelfall.

Es war den Autoren seit langem ein Anliegen, die wichtigsten Aspekte des Staatsrechts aus Perspektive der Verwaltung aufzuarbeiten und deren Einbau in die Einzelfallprüfung zu erläutern. Das vorliegende Buch beschränkt sich daher stark auf diejenigen Prinzipien und Grundsätze des Staatsorganisationsrechts und diejenigen Grundrechte, die in der verwaltungsrechtlichen Fallbearbeitung am häufigsten relevant werden. Die Darstellung erfolgt knapp und prägnant, ohne breite Ausführungen von Streitständen. Nach einem kurzen Überblick wird der Fokus auf zentrale Fragen des Prüfungsauf- und -einbaus gelegt. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit ausgewählten Problemen erfolgt im zweiten Teil. Er ist mit zahlreichen Anmerkungen und „Merk-Kästen“ sowie Vertiefungshinweisen für die Verwaltungspraxis angereichert. So soll den Leserinnen und Lesern das notwendige Wissen in aufeinander aufbauenden Schichten vermittelt werden. Die Fälle des zweiten Teils werden durch die kostenlos zur Verfügung gestellten Online-Fälle ergänzt, auf sie wird an den entsprechenden Stellen hingewiesen. Hinweise zum Zugang zu den Online-Fällen befinden sich zu Beginn des zweiten Teils.

Die Autoren bedanken sich ganz besonders bei Herrn Prof. Dr. Heinz-Joachim Peters für die kollegiale Unterstützung bei der Entstehung dieses Werkes. Unserem Lektor, Herrn Ass. Jur. Stefan Bahnert, gebührt Dank für die angenehme und zielführende Zusammenarbeit.

Die Autoren hoffen, dass dieses Buch den Zugang aktueller und künftiger Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter zum Staatsrecht erleichtert. Sie freuen sich über Verbesserungsvorschläge und Kritik (Felix.Bruckert@Outlook.de; Frey@HS-Kehl.de).


Heidelberg/Kehl, im April 2021

Felix Bruckert

Michael Frey

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur ersten Auflage

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einführung

Erster Teil Staatsrecht in der Fallbearbeitung der Verwaltung

1. Kapitel Für die Fallbearbeitung relevante Elemente des Staatsorganisa­tions­rechts

A.Überblick über die Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 GG

I.Das Bundesstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG

1.Inhalt des Bundesstaatsprinzips

2.Der Verwaltungsaufbau im Bundesstaat

II.Die Gewaltenteilung, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG

III.Das Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG

1.Normenhierarchie

2.Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

3.Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

4.Rechtssicherheit

B.Effektiver Rechtsschutz

C.Die Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht als Grundlage des Prüfprogramms

2. Kapitel Grundrechte des deutschen Verfassungsrechts

A.Funktionen der Grundrechte

I.Der Standardfall: Grundrechte als Abwehrrechte

II.Schutzpflichten des Staates

III.Leistungs- und Teilhaberechte

IV.Weitere Funktionen

B.Prüfung der Grundrechte

I.Zur Reihenfolge der Grundrechtsprüfung

II.Zur Prüfung von Freiheitsgrundrechten in ihrer Funktion als Abwehrrechte

1.Eröffnung des Schutzbereichs

2.Eingriff in den Schutzbereich

3.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs

III.Zur Prüfung von Freiheitsgrundrechten in ihrer Funktion als Schutzrechte

1.Schutzbereich: Herleitung des Schutzgehalts

2.Eingriff: Unterlassen einer möglichen Handlung

3.Rechtfertigung: Schranke und Untermaßverbot

IV.Zur Prüfung von Gleichheitsrechten

1.Fallgestaltungen

2.Grundsätzlicher Prüfungsaufbau, Willkürformel und neue Formel

C.Einbau der Grundrechte in die verwaltungsrechtliche Fallbearbeitung und Aufbauschemata

I.Grundsätzliches

1.Rechtsgrundlage: Grundsätzlich keine Normverwerfungskompetenz der Verwaltung – auch nicht bei Verletzung von Grundrechten

2.Tatbestand: Auslegung und Subsumtion

3.Rechtsfolge: Ermessensgrenze

II.Aufbauschemata für die inzidente Prüfung von Grundrechten im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme

III.Besonderheiten der Schutzkonstellationen

1.Schutzansprüche als Zusatzfrage

2.Schutzansprüche als Hauptfrage

3.Rechtbehelfssituation

3. Kapitel Einzelne Grundrechte

A.Freiheitsrechte

Art. 1 Abs. 1 GGMenschenwürde

Art. 2 Abs. 1 GGAllgemeine Handlungsfreiheit

Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GGAllgemeines Persönlich­keitsrecht

Art. 2 Abs. 2 S. 1 GGRecht auf Leben und körperliche ­Unversehrtheit

Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 GGFreiheit der Person

Art. 4 Abs. 1, 2 GGGlaubensfreiheit

Art. 4 Abs. 1 GGGewissensfreiheit

Art. 5 Abs. 1 S. 1 GGMeinungs- und Informationsfreiheit

Art. 5 Abs. 1 S. 2 GGPresse, Rundfunk und Film

Art. 5 Abs. 3 S. 1 GGKunstfreiheit

Art. 5 Abs. 3 S. 1 GGWissenschaftsfreiheit

Art. 6 Abs. 1, 2 GGEhe-, Familien- und Elternrecht

Art. 8 Abs. 1 GGVersammlungsfreiheit

Art. 11 Abs. 1 GGFreizügigkeit

Art. 12 Abs. 1 GGBerufsfreiheit

Art. 13 GGUnverletzlichkeit der Wohnung

Art. 14 Abs. 1 und 3Eigentum und Erbrecht

B.Gleichheitsrechte

Art. 3 Abs. 1 GGAllgemeines Gleichheitsrecht

Art. 3 Abs. 2, 3 GGBesondere Diskriminierungsverbote

Zweiter Teil Fallübungen

1. FallVerspätete Hundesteuer

2. FallWer entscheidet hier eigentlich was?

3. FallReiten im Walde

4. FallGrenzen der Toleranz

5. FallDie Studentenpartys

6. FallProzession im Naturschutzgebiet

7. FallKopftuchverbot

8. FallSilhouetten in der Fußgängerzone

9. FallRechts vor links?

10. FallVertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

11. FallWürstchenbauchladen

12. FallJahrmarkt mit Hindernissen

13. FallDer rücksichtslose Vermieter

14. FallZugang zur Stadthalle

Stichwortverzeichnis

Die Online-Fälle können unter http://dl.kohlhammer.de/978-3-17-040936-1 abgerufen werden.

Literaturverzeichnis

I.Zum Staatsrecht

BeckOK GG, Beck’scher Onlinekommentar zum Grundgesetz, Epping/Hillgruber (Hrsg.), 46. Ed. 2021, C. H. Beck, München

Detterbeck, Öffentliches Recht, 11. Auflage 2018, Vahlen, München

Gröpl/Windthorst/von Coelln, Studienkommentar GG, 4. Auflage 2020, C. H. Beck, München

Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III: Demokratie – Bundesorgane, 3. Auflage 2005, C. F. Müller, Heidelberg

Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX: Allgemeine Grundrechtslehren, 3. Auflage 2011, C. F. Müller, Heidelberg

Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage 2020, C. H. Beck, München

Kingreen/Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, 36. Auflage 2020, C. F. Müller, Heidelberg

Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, 92. EL 2020, C. H. Beck, München

Morlok, Parteiengesetz, 2. Auflage 2013, Nomos, Baden-Baden

Von Münch/Mager, Staatsrecht II Grundrechte, 7. Auflage 2018, Kohlhammer, Stuttgart

II.Zum Allgemeinen Verwaltungsrecht

BeckOK VwGO, Beck’scher Onlinekommentar VwGO, Posser/Wolff (Hrsg.), 56. Ed. 2021, C. H. Beck, München

BeckOK VwVfG, Beck’scher Onlinekommentar VwVfG, Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), 50. Ed. 2021, C. H. Beck, München

Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Auflage 2020, C. H. Beck, München

Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Auflage 2020, C. H. Beck, München

Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Auflage 2019, Nomos, Baden-Baden

Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Auflage 2020, C. H. Beck, München

Schoch/Schneider, VwGO Kommentar, 39. EL 2020, C. H. Beck, München

Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG Kommentar, 9. Auflage 2018, C. H. Beck, München

III.Zum besonderes Verwaltungsrecht

Aker/Hafner/Notheis, Gemeindeordnung Gemeindehaushaltsverordnung Baden-Württemberg, 2. Auflage 2019, Boorberg, Stuttgart

BeckOK BeamtR He, Beck’scher Onlinekommentar Beamtenrecht Hessen, Brinktrine/Masuch (Hrsg.), 14. Ed. 2021, C. H. Beck, München

BeckOK GewO, Beck’scher Onlinekommentar Gewerberecht, Pielow (Hrsg.), 52. Ed. 2020, C. H. Beck, München

BeckOK KommR, Beck’scher Onlinekommentar Kommunalrecht BW, Dietlein/Pautsch (Hrsg.), 12. Ed. 2021, C. H. Beck, München

BeckOK LBO BW, Beck’scher Onlinekommentar Bauordnungsrecht Baden-Württemberg, Spannowsky/Uechtritz (Hrsg.), 16. Ed. 2021, C. H. Beck, München

BeckOK PolG BW, Beck’scher Onlinekommentar Polizeirecht Baden-Württemberg, Möstl/Trurnit (Hrsg.), 21. Ed. 2021, C. H. Beck, München

BeckOK UmweltR, Beck’scher Onlinekommentar Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt (Hrsg.), 57. Ed. 2020, C. H. Beck, München

Bruckert/Frey/Kron/Marz, Besonderes Verwaltungsrecht, 2020, Kohlhammer, Stuttgart

Engel/Heilshorn, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 11. Auflage 2018, Nomos, Baden-Baden

Ennuschat/Wank/Winkler, Gewerbeordnung Kommentar, 9. Auflage 2020, C. H. Beck, München

Erbguth/Mann/Schubert, Besonderes Verwaltungsrecht, 13. Auflage 2019, C. F. Müller, Heidelberg

Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB Kommentar, 140. EL 2020, C. H. Beck, München

Führ, Gemeinschaftskommentar zum Bundesimmissionsschutzgesetz, 2. Auflage 2019, Carl Heymann, Köln

Jarass, Bundesimmissionsschutzgesetz Kommentar, 13. Auflage 2020, C. H. Beck, München

Kenntner, Öffentliches Recht Baden-Württemberg, 3. Auflage 2021, Nomos, Baden-Baden

Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Auflage 2020, C. H. Beck, München

Kloepfer, Umweltrecht, 4. Auflage 2016, C. H. Beck, München

Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung Kommentar, 85. EL 2020, C. H. Beck, München

Michel/Kienzle/Pauly, Das Gaststättengesetz, 14. Auflage 2003, Carl Heymann, Köln

Plate/Schulze/Fleckenstein, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 8. Auflage 2018, Kohlhammer, Stuttgart

Ruder, Polizeirecht Baden-Württemberg, 8. Auflage 2015, Nomos, Baden-Baden

Schönleiter, Gaststättengesetz Kommentar, 2012, Nomos, Baden-Baden

Stephan/Deger, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 7. Auflage 2014, Boorberg, Stuttgart

Stober/Eisenmenger, Öffentliches Wirtschaftsrecht – Besonderer Teil, 17. Auflage 2019, Kohlhammer, Stuttgart

Abkürzungsverzeichnis

   
a. A. anderer Ansicht
Abs. Absatz
APR Allgemeines Persönlichkeitsrecht
Art. Artikel
   
BauGB Baugesetzbuch
Bd. Band
BImSchG Bundesimmissionsschutzgesetz
bspw. beispielsweise
BVerfG Bundesverfassungsgericht
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
BW Baden-Württemberg
bzgl. bezüglich
bzw. beziehungsweise
   
d. h. das heißt
DVO Durchführungsverordnung
   
f. folgend
ff. folgende
   
GastG Gaststättengesetz
GastVO BW Gaststättenverordnung (Baden-Württemberg)
GBl. Gesetzblatt
gem. gemäß
GemO BW Gemeindeordnung (Baden-Württemberg)
GewO Gewerbeordnung
GewOZuVO BW Verordnung der Landesregierung über Zuständigkeiten nach der Gewerbeordnung (Baden-Württemberg)
GG Grundgesetz
ggf. gegebenenfalls
GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
   
h. A. herrschende Ansicht
h. M. herrschende Meinung
Hs. Halbsatz
   
i. d. R. in der Regel
i. H. v. in Höhe von
i. S. d. im Sinne des
i. S. v. im Sinne von
i. V. m. in Verbindung mit
inkl. inklusive
insb. insbesondere
   
KAG BW Kommunalabgabengesetz (Baden-Württemberg)
   
LGastG BW Landesgaststättengesetz (Baden-Württemberg)
LKrO BW Landkreisordnung (Baden-Württemberg)
LV BW Verfassung des Landes Baden-Württemberg
LVG BW Landesverwaltungsgesetz (Baden-Württemberg)
LVwVfG Landesverwaltungsverfahrensgesetz (Baden-Württemberg)
LVwVG BW Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz (Baden-Württemberg)
   
m. a. W. mit anderen Worten
m. w. N. mit weiteren Nachweisen
   
o. g. oben genannt
OVG Oberverwaltungsgericht
OWiG Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
   
PolG BW Polizeigesetz (Baden-Württemberg)
PZU Postzustellungsurkunde
   
Rspr. Rechtsprechung
Rn. Randnummer
   
S. Seite/Satz
s. siehe
SchG BW Schulgesetz (Baden-Württemberg)
sog. sogenannt
str. streitig
StrG BW Straßengesetz (Baden-Württemberg)
   
u. a. unter anderem
umstr. umstritten
   
v. a. vor allem
VG Verwaltungsgericht
VGH Verwaltungsgerichtshof
VwGO Verwaltungsgerichtsordnung
VwV Verwaltungsvorschrift
VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz

Einführung

1Als Staatsrecht werden diejenigen geschriebenen und ungeschriebenen Rechtssätze angesehen, die die Grundordnung des Staates regeln. Dies sind in Deutschland im Wesentlichen die Regelungen des Grundgesetzes. Staatsrecht wird typischerweise in die Bereiche Staatsorganisationsrecht (Staatsrecht I) und Grundrechte (Staatsrecht II) unterteilt.

Zum Staatsorganisationsrecht gehören im deutschen Staatsrecht die Regelungen über die Staatszielbestimmungen, die Verfassungsorgane und die Staatsfunktionen, außerdem die hier nicht behandelten Verfahren vor dem BVerfG (z. B. die Verfassungsbeschwerde).

Grundrechte beinhalten zentrale Vorgaben für staatliches Handeln. Sie gewährleisten Freiheit und Gleichheit, begrenzen in ihrer Funktion als Abwehrrecht das Ausmaß staatlichen Handelns und umfassen in ihrer Funktion als Leistungs- und Teilhaberechte Ansprüche des Einzelnen gegen den Staat. Im Grundgesetz stehen sie im I. Abschnitt, den Artikeln 1 bis 19. Es finden sich auch ähnliche Rechte außerhalb dieses Abschnittes, sie heißen „grundrechtsgleiche Rechte“.1

Daneben befasst sich das Staatsrecht III mit der Verzahnung von Verfassungs- und Völker- sowie Unionsrecht. Also bspw. mit der Frage, wann Europarecht in Deutschland anzuwenden ist, oder inwiefern Unionsrecht Vorrang vor nationalem Recht genießt.

2Im Zentrum des Staatsrechts stehen typischerweise die Verfassungsorgane und Verfahren vor dem BVerfG. Auswirkungen des Staatsrechts auf Einzelmaßnahmen der Verwaltung werden häufig nur am Rande erörtert. Daher gestaltet es sich für die Verwaltung oft schwierig, sich die konkreten Auswirkungen der staatsrechtlichen Vorgaben für ihr Verhalten abzuleiten.

Der Staatsaufbau, Gesetzgebungskompetenzen, Staatszielbestimmungen (etwa der Tierschutz, Art. 20a GG) wie auch Grundrechte können aber maßgeblich das Handeln der öffentlichen Verwaltung beeinflussen. Das betrifft in etwa den Hauptfall der Begrenzung eines Ermessenspielraums der Verwaltung, aber auch die Auslegung gesetzlicher Tatbestandsmerkmale oder die Frage, ob die Verwaltung einschreiten muss oder nicht. Gleichwohl ist die Perspektive der Verwaltung in zentralen Punkten von denen der Gesetzgebung und Rechtsprechung zu unterscheiden. Daher ist es für die Arbeit in der Verwaltung wichtig, das Staatsrecht auch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

3Unterschiede machen sich schon im Prüfungsschema etwa einer grundrechtlichen Prüfung bemerkbar. Grundrechte werden typischerweise aus der dreistufigen Schutzbereichs-Eingriffs-Rechtfertigungs-Prüfung aus Sicht des BVerfG erörtert. Hierbei kommen die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts nur selten und nur inzident zur Sprache. Die Verwaltung geht jedoch zunächst von der Anwendung des einfachen Rechts aus und muss grundrechtliche Einflüsse dann inzident in dieser Prüfung abarbeiten.

Ferner darf die Verwaltung (formelle) Gesetze nicht einfach unangewendet lassen, selbst wenn sie das Gesetz als verfassungswidrig anerkennt (fehlende Normverwerfungskompetenz). Die Prüfung von Gesetzen spielt aus Praxissicht daher keine oder allenfalls eine stark untergeordnete Rolle.

4Weitere Unterschiede ergeben sich aus der Stellung der Verwaltung als Teil der Exekutive: Als ausführende Gewalt sieht sich die Exekutive den Vorgaben des Gesetzgebers und der Kontrolle durch die Gerichte gegenüber.

Der Gesetzgeber konkretisiert die abstrakten Vorgaben des Grundgesetzes für bestimmte Lebensbereiche durch einfache Gesetze. Er regelt jedoch keine Einzelfälle, sondern erlässt abstrakte Normen, die für eine Vielzahl von Fällen gelten. Ohne Gesetz darf die öffentliche Verwaltung grundsätzlich nicht handeln (sog. Vorbehalt des Gesetzes: „kein Handeln ohne Gesetz“).2 Ferner darf sie nur innerhalb der Gesetze handeln (sog. Vorrang des Gesetzes: „kein Handeln gegen das Gesetz“).

Die Rechtsprechung nimmt hingegen eine Kontrolle des Verwaltungshandelns im Nachhinein vor. Sie prüft das Verwaltungshandeln grundsätzlich vollumfänglich, in bestimmten – gesetzlich angeordneten – Fällen bleiben der Verwaltung gerichtlich nicht oder nur teilweise überprüfbare Spielräume. Dazu zählen insb. Beurteilungs- und Ermessensspielräume.

5Während der Gesetzgeber die wesentlichen Regelungen für eine unbestimmte Anzahl an Fällen vorgibt und Richter Maßnahmen prüfen, die bereits erlassen wurden, müssen sich Verwaltungsmitarbeiter damit auseinandersetzen, wie Gesetze auf den Einzelfall anzuwenden sind, welche Maßnahmen im konkreten Fall möglich und rechtmäßig wären und welche von diesen Maßnahmen die zweckmäßigste darstellt.

Staatsrechtliche Vorgaben beeinflussen diese Entscheidung. Die Verwaltung muss insb. alle betroffenen Grundrechte und Staatszielbestimmungen erfassen, in nachvollziehbarer Weise für den konkreten Fall gewichten und zueinander ins Verhältnis setzen. Dazu ein einleitendes

6Beispiel: E beantragt für sein Eiscafé eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis nach § 16 Abs. 1, 2 StrG BW zur Außenbewirtung mit 20 Sitzplätzen inkl. Tischen. Das Eiscafé befindet sich am Beginn einer Fußgängerzone. Dort ist die Straße noch nicht so breit wie im späteren Verlauf der Fußgängerzone.

7Im Beispielsfall darf die Verwaltung handeln, weil der Gesetzgeber mit § 16 Abs. 1, 2 StrG BW eine Rechtsgrundlage für den Erlass der Sondernutzungserlaubnis geschaffen hat. Die abstrakten tatbestandlichen Voraussetzungen, die der Gesetzgeber dort normiert hat („Sondernutzung einer Straße“), liegen vor. Für den Fall, dass die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, hat der Gesetzgeber der Verwaltung Ermessen eingeräumt (§ 16 Abs. 2 S. 1 StrG BW: „nach pflichtgemäßem Ermessen“). Im Rahmen dieses Ermessens muss die Verwaltung alle Handlungsmöglichkeiten berücksichtigen und alle konkret betroffenen Interessen, insb. Grundrechte, ermitteln.

8Als Handlungsmöglichkeiten kommt von der Versagung der Erlaubnis über eine nur beschränkte Erlaubnis (bspw. nur 14 Sitzplätze) über eine Erlaubnis mit Nebenbestimmungen (bspw. befristet auf drei Monate) bis hin zur antragsgemäßen Erteilung eine Vielzahl an Maßnahmen in Betracht, die der Verwaltung vom Gesetzgeber ermöglicht wurden. Es liegt nun an der Verwaltung, die zweckmäßige Maßnahme zu finden. Sie kann dabei der Berufsfreiheit einen hohen Stellenwert einräumen und eine Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen von 20 Stühlen inkl. Tischen erlassen. Sie kann aber einzelfallabhängig auch der Bewegungsfreiheit den Vorrang einräumen und nur eine Erlaubnis für 16 Plätze erlassen.

9Hat sie sich etwa für den Erlass der Erlaubnis für nur 16 Plätze entschieden, kann das Verwaltungsgericht auf eine Klage hin nur überprüfen, ob die Behörde ihr Ermessen gar nicht, zweckwidrig oder unter Missachtung der gesetzlichen Grenzen ausgeübt hat.3 Begeht die Verwaltung keiner dieser drei Ermessensfehler, kann sie sowohl die eine als auch die andere Entscheidung erlassen.

10Diese Überlegungen spiegeln sich in der Erstellung eines Gutachtens sowie dem Schreiben eines Bescheides wider. In Gutachten, in denen ähnlich der Richterperspektive nach der Rechtmäßigkeit einer konkreten Maßnahme gefragt wird, sind Grundrechte und Staatszielbestimmungen nur als Grenze der Entscheidung zu prüfen.

In der Praxis bzw. in praxisorientierten Fallgestaltungen ist hingegen nach der zweckmäßigen Entscheidung gefragt. Dann müssen nicht nur die Grenzen des Handelns ermittelt, sondern auch der Ermessensspielraum „mit Leben gefüllt“ werden. Hierbei können Elemente des Staatsorganisationsrechts (bspw. Vertrauensschutz) oder Grundrechte die Entscheidung beeinflussen.

11Auf der anderen Seite befassen sich viele der „klassischen“ staatsrechtlichen Fälle mit Problemen der Verfassungsorgane oder betreffen hauptsächlich die Gesetzgebung. Sie sind für die Verwaltung nur von untergeordneter oder mittelbarer Relevanz.