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© 2016 Britta Rodde

Satz, Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH

ISBN: 978-3-7431-8624-8

»He! Was machst du hier?«, rief Tom. Es kam keine Antwort. »He! Du da! Was machst du in meinem Revier und wer bist du?«, fragte er noch einmal. Wieder antwortete der andere nicht. Tom wurde langsam nervös. »Wenn du nicht gleich verschwindest, hole ich Verstärkung!«, fauchte er. »Mach doch, was sollen die mir schon anhaben!«, entgegnete der andere. »Arroganter Bengel«, dachte Tom. »Nun sag mir doch wenigstens, wer du bist!«, versuchte er es noch einmal. Der andere reckte seine Nase in die Höhe und schaute ihn von oben herab an: »Redet er etwa mit mir, einfach so?«, fragte er gestelzt. »Ja, wie denn sonst? Und warum redest du so geschwollen? Ich bin Tom, und wer bist du?« »Tom, und wie weiter?«, wollte der andere wissen. »Tom, nichts weiter. Was denn noch? Tom reicht!« Er war dem fremden Kater zwischenzeitlich recht nahe gekommen. »Scheint ein stattlicher, gepflegter Bursche zu sein, wohl irgend so ein reicher Schnösel«, dachte Tom, »und das hier in meiner Straße!« »Wie heißt du und woher kommst du? Nun antworte mir endlich! Oder brauchst du eine schriftliche Aufforderung?« Allmählich verlor Tom die Geduld. »Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich einfach so anspricht«, sagte der andere, »aber gut. Darf ich mich vorstellen: Maurice von Maukatztanien!« Tom schaute ihn fragend an: »Mau… was? Von wo?« »Man spricht es nicht ›Mau-rice‹, sondern ›Mo-rice‹ aus, das ist Französisch«, erklärte der fremde Kater.

»Wozu brauche ich Französisch? Hier reden wir Klartext, Fremdsprachen spricht hier keiner!«, entgegnete Tom. »Okay, Maurice, nun sag schon, was du hier willst. Ich habe dich noch nie in dieser Straße gesehen.« Erst jetzt bemerkte Tom, dass dieser Maurice sogar feine Schuhe trug und sich einen Pullover um die Schultern gehängt hatte. »Hier trägt auch keiner Schuhe oder solche«, er machte eine abfällige Pfotenbewegung, »Klamotten!«, sagte Tom. »Na, glaubst du, ich laufe hier ohne Schuhe herum? Das ruiniert meine Pfoten und die frisch manikürten Krallen«, antwortete Maurice. Tom schüttelte den Kopf. »Na, das kann ja was geben«, dachte er, »so ein feines Bürschchen hier in dieser Gegend!« »Also, woher kommst du und was tust du hier?«, fragte Tom. »Ich bin aus Maukatztanien und scheine mich verirrt zu haben«, antwortete Maurice. »Maukatztanien? Wo soll denn das liegen? Noch nie gehört. Ich weiß nur, dass es ganz weit weg ein anderes Land geben soll, da sprechen die Bewohner auch eine andere Sprache. Aber das Land heißt anders, und mehr kenne ich nicht. Muss ich auch nicht, da kommen wir eh nicht hin«, brummte Tom. »Ich bin froh, wenn wir in dieser Straße alles im Griff haben. Übrigens, ich bin hier der Chef!« Tom baute sich vor Maurice auf, kam aber an seine Größe nicht heran. Er war ein durchschnittlich großer Straßenkater mit nicht besonders gepflegtem Fell, ein Stück seines Ohrs fehlte ihm und er hatte eine Wunde an der Nase, vom letzten Kampf mit einer rivalisierenden Bande. »Ah so, er ist hier der Chef. Das trifft sich gut, dann kann er mich mitnehmen zu seinem Schloss und mir etwas zu essen bringen lassen, ich verhungere fast.« »Zu meinem Schloss? Was willst du Heini eigentlich?« Tom musterte Maurice abfällig. »Ich habe kein Schloss, nur einen Schuppen, wo wir uns alle treffen.« »Nun gut, dann bringe er mich dorthin«, sagte Maurice. Tom seufzte, die Redeweise dieses Katers war gewöhnungsbedürftig. »Dann komm«, forderte er Maurice auf und deutete mit dem Kopf die Richtung an. »Wir müssen hier lang. Vielleicht finden wir auch noch was zu essen für dich.« Maurice drehte sich um und stolzierte los, eine imposante Erscheinung mit glänzendem grauen Fell und einem dicken, buschigen Schwanz. Wie selbstverständlich ging er voraus und Tom trottelte hinterher. »Und nun?«, fragte Maurice nach einer Weile und schaute sich um. »Da lang«, sagte Tom und zeigte die Straße hinunter, »bei dem Baum links, da ist ein leer stehendes Haus mit einem Schuppen, da sind die anderen.« »Ah, die Untertanen sind also dort?«, sagte Maurice. Tom schüttelte nur noch den Kopf.

Maurice blieb vor einem schmiedeeisernen, verrosteten Tor stehen und wartete offensichtlich darauf, dass es sich öffnete. Aber nichts passierte. »Da wirst du morgen noch stehen, es wird nicht von selbst aufgehen. Los, hier durch!«, sagte Tom und sprang durch ein Loch im Zaun. »Ich ruiniere mir ja mein Fell, wenn ich da hängen bleibe!«, protestierte Maurice. »Nun stell dich nicht so an! Los, ab durch den Zaun!«, drängelte Tom. Maurice seufzte, aber er wand sich durch das Loch und passte sehr auf, dass sein Fell mit nichts in Berührung kam. »So, jetzt noch quer durch den Garten, siehst du, dahinten ist der Schuppen«, erklärte Tom. »Hier könnte der Gärtner auch mal wieder tätig werden. Sie haben Ihr Personal offensichtlich nicht im Griff!«, tadelte Maurice. »Und dann diese vielen Insekten, Hauptsache es sticht mich nichts.« Mittlerweile zweifelte Tom daran, dass es eine gute Idee gewesen war, diesen Maurice von Irgendwas hierher mitzunehmen. »Ich habe kein Personal«, erklärte Tom, »nur Kumpel!« »Was sind denn Kumpel?«, fragte Maurice. »Na, Freunde«, antwortete Tom. »So etwas besitze ich nicht«, sagte Maurice. »Klar, kann ich mir auch nicht vorstellen«, dachte Tom, er verkniff es sich aber, das laut zu sagen. »Autsch! Mich hat was gestochen!«, kreischte Maurice, »Hilfe, ich brauche Hilfe!« »Nun stell dich nicht so an, an einem Mückenstich ist noch keiner hier gestorben.« Tom ging unbeirrt weiter. »Jetzt komm schon und kümmere dich nicht um die Mücken, Flöhe sind schlimmer.« »Flöhe? Alles, aber keine Flöhe!«, rief Maurice aus. Ihm wurde ganz elend bei diesem Gedanken. »Wo bin ich bloß gelandet?«, fragte er sich.

Sie kamen vor einem heruntergekommenen Schuppen an, die Fenster waren fast alle kaputt, Unkraut hatte sich überall davor breitgemacht, die Tür hing in den Angeln und von drinnen hörte man Stimmen. »So, dann mal rein in die gute Stube!«, sagte Tom. Er machte mit der Pfote die Tür auf und ging voraus. Maurice war es offensichtlich gewohnt, als Erster durch eine Tür zu gehen, und schüttelte den Kopf. »Was für ein Benehmen die Leute hier haben«, murmelte er leise vor sich hin. Drinnen sah es auch nicht besser aus, ein Durcheinander von alten Gartengeräten, ein ausgedienter Rasenmäher, eine Werkbank und ein paar verrostete Werkzeuge. Ein paar Holzkisten standen im Kreis angeordnet, und einige Decken, die sehr schmuddelig aussahen, lagen darauf. Maurice sah auch ein paar verbeulte Blechnäpfe mit Essensresten herumstehen. »Also, eine Tischkultur haben sie auch nicht«, empörte sich Maurice in Gedanken, »und ich soll hier was essen?«

Auf den Kisten saßen oder lagen ungefähr fünfzehn Katzen, alle nicht sonderlich gepflegt, und schauten teils gelangweilt vor sich hin. Einige putzten sich, andere schliefen. »Ah, der Chef ist wieder da!«, rief einer der Kater. »Wo hast du denn den her?«, fragte er und deutete auf Maurice. »So ein feines Bürschchen, was will der denn hier? Der passt doch gar nicht in unsere Gegend.« Der Kater richtete sich auf der Kiste auf, streckte sich und schaute Maurice argwöhnisch an. »Kalle, das ist … Ach, stell dich selber vor«, sagte Tom, »mit diesem komischen Namen.« Mittlerweile waren alle Kater wach geworden und schauten den Fremden fragend an. »Ich freue mich über Ihre Gastfreundschaft«, begann Maurice. »Darf ich mich vorstellen?« Er verbeugte sich und sagte: »Maurice von Maukatztanien, sehr erfreut!« Die Kater begannen zu kichern: »Wer ist das? Und was für ein seltsamer Name: Maurice?« »Nicht ›Mau-rice‹, man spricht es ›Mo-rice‹ aus, das ist Französisch«, erklärte Tom. »Das braucht hier kein Kater«, sagte Kalle. »Hab ich ihm auch schon gesagt«, warf Tom ein, »aber was soll’s!« »Und was für feine Klamotten der trägt, hab noch nie einen Kater mit Schuhen gesehen«, sagte August, ein roter Kater. »Lächerlich!«, kommentierte er. »Nun wollen wir uns erst mal anhören, woher er kommt und wie er überhaupt hierhergekommen ist. Aber vorher soll er noch was essen«, merkte Tom an. »Oh, gut! Etwas gedünsteter Fisch und etwas Käse als Nachspeise wäre mir genehm«, sagte Maurice. Die Kater begannen zu grölen. »Noch nie habe ich einen gedünsteten Fisch von Weitem gesehen! Bin froh, wenn ich mal ’ne Dose Thunfisch finde, in der noch was drin ist. Ist aber auch schon lange her«, sagte Kalle. »Dann soll er sich doch eine Maus fangen«, schlug August vor, »es rennen ja genug im Garten herum, oder einen Frosch, der tut es auch.« »Igitt!« Maurice verdrehte angewidert die Augen. »Nein, dann ziehe ich es vor, lieber gar nichts zu speisen.« »Sunny«, Tom brüllte eine weiße Katze an, die etwas abseits saß, »hol mal was zu essen für Maurice!« »Wieso schreien Sie die Dame denn so an?«, fragte Maurice. »Geht man bei Ihnen so mit Damen um?« »Nein«, sagte Tom, »aber sie ist weiß und so gut wie taub, so wie weiße Katzen eben meistens taub sind.« »Was sagst du?«, fragte Sunny. »Ich soll mir was zu essen holen? Wieso? Ich hab doch erst gegessen.« »Nein, nicht für dich! Schau mal, ob du was für unseren Gast findest«, erklärte Tom. »Okay, mach ich.« Sie sprang von der Werkbank und schlich durch die Tür. »Bin gleich wieder da«, sagte sie im Hinausgehen.

Tom bot Maurice einen Platz auf einer der Kisten an. Maurice nahm die daraufliegende Decke herunter und setzte sich auf die Kiste, nicht ohne vorher mit der Pfote einmal darübergewischt zu haben. »Ist es dir hier nicht fein genug?«, fragte August. »Bist wohl Besseres gewohnt?« Maurice sagte lieber nichts. Die anderen starrten ihn an und warteten nun auf seine Geschichte. Da ging die Tür auf und herein kam Sunny mit einer zappelnden Maus in der Schnauze. »Hab iff gefunden, war nifft einfach, hat wiff gewehrt wie eine Ratte«, sagte sie etwas undeutlich, aber wer kann schon vernünftig sprechen mit einer Maus in der Schnauze? Sie stand vor Maurice und wollte ihm die Beute geben, da zeterte die Maus los: »He! Was erlauben Sie sich! Lassen Sie mich sofort runter! Was glauben Sie, wen Sie vor sich haben?« »Henri, du bist es«, rief jetzt Maurice, »wie schön, dich wiederzusehen!« »Du kennst die Maus?«, fragte Tom. »Das ist Henri, mein Kammerdiener«, antwortete Maurice. »Dein was?«, sagte Tom ungläubig, er glaubte, nicht richtig gehört zu haben. »Mein Diener, er hilft mir beim Ankleiden und begleitet mich überallhin«, erklärte Maurice. »Aber das ist was zu essen«, sagte Kalle kopfschüttelnd. »Wenn du ihn nicht willst, dann esse ich ihn.« »Oh gnädiger Herr, retten Sie mich vor diesen ungehobelten Katern!«, schrie Henri. »Mein Prinz! Das könnt Ihr nicht zulassen!« »Lass ihn runter, Sunny. Er scheint wohl mit Maurice bekannt zu sein«, sagte Tom. Sunny ließ Henri vor Maurice Füße fallen. Henri fiel sofort in Ohnmacht und lag auf dem Rücken, die blank geputzten Stiefel nach oben gestreckt. »Der trägt auch Schuhe! Das wird ja immer verrückter«, rief August aus, »’ne Maus in Stiefeln! Dann muss man die vor dem Essen erst noch ausziehen!« Maurice fächelte dem armen Henri mit der Pfote etwas Luft zu, Henri kam langsam wieder zu sich und richtete sich auf. »Oh mein Herr, Ihr untertänigster Diener Henri ist wieder für Sie da«, säuselte Henri. »So ein Rumgeseiere!«, kommentierte August. »Das muss er so machen«, sagte Kalle lachend und buffte August in die Seite, »sonst frisst er ihn!« »Also mehr zu essen haben wir nicht«, sagte Tom, »tut mit leid.« »Gut, aber wir essen keine Mäuse«, erklärte Maurice, »sie sind seit Jahrhunderten unsere Angestellten. Wir bevorzugen Fisch und Gemüse.« »Bah! Fisch lass ich mir gefallen, aber Grünzeug?« Kalle schüttelte den Kopf.

»Also, wo kommt ihr denn nun her?«, fragte Tom. »Ich sagte ja bereits, dass wir aus Maukatztanien kommen. Wir haben einen Ausflug gemacht«, begann Maurice, »ich, Henri und noch ein weiterer Mausdiener. Jeder von uns hatte einen Flughund aus unserem Fuhrpark dabei.« »Was? Einen fliegenden Hund? Das wird immer besser!«, lachte August. Auch die anderen Kater kicherten. »Flughunde sehen aus wie riesige Mäuse mit Flügeln, mit ihnen fliegen wir von einem Ort zum anderen«, erklärte Maurice. »Du willst uns veräppeln, fliegende Riesenmäuse, wo gibt’s denn so was?«, fragte August. »Doch, doch! Früher hatten wir Schildkröten im Einsatz, aber die waren uns zu langsam, daher haben wir auf Flughunde gewechselt«, entgegnete Maurice ganz ernsthaft. »Wer’s glaubt!«, entgegnete Tom kichernd. »Wir wollten die Grenzen unseres Landes erkunden«, erzählte Maurice weiter. »Wir hatten ein altes Buch im Schloss gefunden, in dem stand, dass es hinter unserem Land noch ein weiteres gibt. Urahnen hatten dieses Land wohl einmal gesehen und wir waren neugierig geworden.« »Du hast ein Schloss?«, fragte Sunny, die plötzlich wohl doch ganz gut hören konnte. »Nicht ich, meine Eltern, der König und die Königin von Maukatztanien, ich bin der Prinz und wohne dort mit ihnen«, sagte Maurice. »Du bist in