IMPRESSUM

Verruchte Küsse eines Gentleman erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2003 by Kathryn Seidick
Originaltitel: „In His Lordship’s Bed“
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL GOLD EXTRA JUBILÄUM
Band 1 - 2016 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Christopher Muth

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A., Vitalii Tiagunov / Shutterstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733778330

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Eleanor Oglesby war eine wahrhaftige Träumerin.

Sie träumte von Schlössern und Märchenprinzen, von guten Feen und bösen Zauberern. In diesen Fantasien konnte sie sich verlieren und die reale Welt um sich herum vergessen.

Zumindest manchmal.

Nur leider nicht heute.

Heute war der Tag, an dem Eleanor Oglesby gegen ihren Willen aus London verbracht wurde, und das auf dem Höhepunkt in der Ballsaison, in der ein gesellschaftliches Ereignis auf das andere folgte. So fand sie sich in einer unzulänglich gefederten Mietkutsche wieder, als Begleitung ihrer älteren Schwester, die anlässlich ihrer bevorstehenden Niederkunft zum Familiensitz ihres Ehemanns reiste. Der Gedanke, dass das Kind vorzeitig kommen und Walter die Geburt verpassen könnte, war für Francesca vollkommen unerträglich, wie sie Eleanor erklärt hatte.

Zumindest würde Francesca bei ihrem Landaufenthalt mit einem Sohn oder einer Tochter beglückt werden … nein, selbstverständlich mit einem Sohn. Schließlich war das der Wunsch ihres Gatten Walter Fiske, und daher hatte es auch so zu geschehen.

Eleanor dagegen würde nicht nur ihr Exil noch bis zum Geburtstag des Königs – am Ende der Saison – erdulden müssen, sondern im Anschluss daran eine weitere beschwerliche Reise per Kutsche zurück zu ihrem Elternhaus.

Es war keineswegs so, dass Eleanor ihre Schwester nicht liebte oder keine Babys mochte. Doch von der Aussicht, ihren selbstgefälligen und herrischen Schwager Walter wiederzusehen, war sie nicht sonderlich erbaut. Zudem war auch die bisherige Ballsaison für sie nicht allzu gut gelaufen, angesichts der Tatsache, dass Eleanor eine zierliche Brünette mit braunen Augen war, dieses Jahr aber große, blauäugige Blondinen als Debütantinnen bevorzugt wurden.

Sie entsprach also nicht dem neusten Trend. Am traurigsten aber war der Gedanke, dass sämtliche Gentlemen, die sie als attraktiv befand, sich nun wie sabbernde Hündchen um die schlanken, blonden Debütantinnen rissen, nur weil diese eben dem diesjährigen Schönheitsideal entsprachen. Die Hälfte dieser blauäugigen Frauenzimmer kicherte kleinmädchenhaft, und der Rest mochte wohl dumm wie Bohnenstroh sein. Aber gegen die Mode konnte man nun mal nichts ausrichten. Diese Erkenntnis machte Eleanor nicht nur schwermütig, sondern ließ sie auch am Verstand der Männerwelt im Allgemeinen zweifeln.

Trotz allem liebte sie die Stadt, ja sie vergötterte London geradezu. Und ihre allererste Ballsaison wäre so herrlich geworden, hätte Francesca sich nicht genau diese Zeit ausgesucht, um Walter einen Erben zu schenken. Womöglich hatte sie dies sogar absichtlich getan, hatte die Monate genau an den Fingern abgezählt – Francesca war nicht besonders gut im Rechnen –, nur um sicherzugehen, dass sie mitten in Eleanors erster Ballsaison niederkommen würde. So ein Mensch war Francesca.

Da ihre Mutter vor langer Zeit starb, war es an ihr gewesen, Eleanors Erziehung zu übernehmen. Die heimlichen Knuffe und Zwicker, die gemeinen Bemerkungen, mit denen Francesca sie schikanierte, weil sie ihre vier Jahre jüngere Schwester für eine Bürde hielt, waren Eleanor noch gut in Erinnerung.

Aber irgendwann waren sie beide erwachsen geworden. Francesca war jetzt dreiundzwanzig und seit zwei Jahren verheiratet. Diese beiden Jahre, die Eleanor allein mit ihrem Vater in Kent verbracht hatte, waren möglicherweise die glücklichsten ihres Lebens gewesen.

Was daran lag, dass ihr Vater ein begeisterter Jäger, passionierter Angler und Billardspieler war, der zusammen mit seinen Kumpanen literweise Portwein in sich hineinschüttete, was ihn quasi die ganze Zeit über vom Haus fernhielt, sodass Eleanor sich selbst überlassen blieb.

Was natürlich nicht anging, schließlich musste jemand auf sie aufpassen. Und sie brauchte eine Anstandsdame für die Ballsaison. Jemand musste auf ihre Aufmachung, ihre Kleidung und ihre Frisur, aber auch auf ihr Benehmen achten. Jemand musste all ihre Einladungen genaustens überprüfen, nicht, dass das arme Kind am Ende versehentlich einer Einladung folgte, bei der es sich in einer dunklen Ecke des Vauxhall Lustgartens wiederfand oder an irgendeinem schlüpfrigen Maskenball teilnahm, bei dem sich verschleierte Mätressen unter die Mitglieder des ton mischten.

Wer wäre besser dafür geeignet, hatte ihr Vater vor seinem Aufbruch nach Schottland befunden, als ihre sensible und weise Schwester und deren edler, hochanständiger Gatte? Somit wurden Eleanor und Francesca wieder miteinander vereint, eine Aussicht, die keine der beiden sonderlich in Freudentaumel versetzte.

So bekam Eleanor Tanzstunden und auch Benimmunterricht, den sie überwiegend als peinlich empfand. Während dieser Zeit hatten sich Francesca und ihr auf Sparsamkeit bedachter Walter im Oglesby-Haus in Mayfair einquartiert.

Eleanor konnte es kaum noch erwarten, endlich zu debütieren, während Francesca sich die ganze Zeit bitterlich beklagte, wie sich ihre Figur veränderte, wie ihre Knöchel anschwollen und dass ihr geliebter Walter unerwartet zum Landsitz seines Vaters reisen musste, weil dort irgend etwas mit der Bewässerung der Felder nicht stimmte.

Seit Walter sie also zurückgelassen hatte, war es an Eleanor allein gewesen, sich um Francescas Wohlergehen zu kümmern. Francesa, die offenbar glaubte, sie wäre die erste Frau auf der Welt, die ein Kind bekommen würde, betonte wieder und immer wieder, was ihr Eleanor für all die Jahre schuldig war, die Francesca damit verbracht hatte, so ein eigenwilliges, undankbares Gör wie sie aufzuziehen.

„Etwa dafür, dass du mich immer gekniffen hast, wenn niemand hinsah? Um dann so zu tun, als hättest du keinen blassen Schimmer, warum ich weine?“, fragte Eleanor sie mit zuckersüßem Lächeln. Daraufhin hatte Francesca drei Tage lang nicht mehr mit ihr gesprochen, was Eleanor mehr als recht gewesen war.

Doch nun redete Francesca wieder mit ihr. Die ganze Zeit. Diese beschränkte Person hörte einfach nicht auf, vor sich hin zu plappern.

Sogar bei der rumpligen und ungemütlichen Fahrt über Land in dem, was Walter als komfortables Reisegefährt bezeichnet hatte, quasselte sie wie ein Wasserfall. Alles, was Eleanor tun konnte, war, die Augen zu schließen und zu hoffen, dass ihr das sehnige Hammelragout, das sie drei Stunden zuvor in einem schäbigen Gasthof zu sich genommen hatte, nicht wieder hochkommen würde.

„Du wirst dich natürlich meinen Anweisungen fügen, Eleanor, solange wir in Fiske Hall sind. Und in der Zeit meiner Niederkunft tust du, was Mrs. Thistledown dir sagt. Sie ist schon eine Ewigkeit bei uns und duldet keinerlei Unfug von so einem launischen jungen Ding wie dir, das kann ich dir versichern.“

„Natürlich, Francesca“, erwiderte Eleanor und musste den Mund zusammenpressen, denn der Hammel kündigte bereits seine Rückkehr an.

„Und dass du Walter nicht mehr heimlich hinter seinem Rücken ‚Fiske Pfennigfuchser‘ nennst. Ich habe es genau gehört, letzte Woche, als er uns den Reiseplan erläutert hat. Mit dieser Kutsche hier ist alles in bester Ordnung.“

„Aber sie riecht nach Schweiß und fauligem Heu“, meinte Eleanor. „Anstandshalber möchte ich dich vorwarnen, Francesca. Wenn ich das Fenster nicht einen Spalt weit öffnen kann, wird mir schlecht. Ich meine, richtig schlecht.“

„Herrgott, hör schon auf zu quengeln und öffne das Fenster. Aber sollte ich mir eine Erkältung einfangen, bist du daran schuld. Immerhin bin ich es, die den Erben in sich trägt.“

„Wie könnte ich das vergessen“, seufzte Eleanor. „Du reibst es mir ja dauernd unter die Nase.“ Sie schob die Koffer und Reisetaschen auf der abgewetzten Polsterbank neben sich zur Seite und rutschte hinüber, um das Fenster herunterzuschieben, das, wie sie feststellte, klemmte. „Das hätte ich mir ja denken können.“

Sie türmte den Berg an Gepäck auf die andere Seite, um dort das Fenster zu öffnen. Es ließ sich ebenso wenig bewegen. Weiteren Bemühungen kam Francesca mit der Feststellung zuvor, dass die Fenster auf ihrer Seite der Kutsche nicht geöffnet würden, unter keinen Umständen.

Eleanor nahm ein Spitzentaschentuch aus ihrem Retikül und betupfte damit ihre Oberlippe, auf der ihr Schweißperlen standen. Alles an ihr war verschwitzt, und sie sehnte sich so sehr danach, sich in einer heißen Badewanne einzuweichen, dass allein der Gedanke daran sie den Tränen nahe brachte

„Meine Bonbons, Eleanor“, sagte Francesca im Befehlston. „Sie sind unter deinem Sitz, in der Dose.“

„Ich verstehe nicht“, meinte Eleanor. Ihre Laune war auf dem Tiefpunkt, obwohl sie eigentlich ein höflicher Mensch war. „Sagst du mir das nur, damit ich Bescheid weiß? Wo könnten sie in dieser jämmerlich engen Kutsche auch sonst sein, außer auf meiner Seite, die schon völlig mit Gepäck überladen ist? Das mich, ganz nebenbei bemerkt, total einquetscht. Oder wolltest du mir mitteilen, dass du schon wieder Hunger hast und es zu schätzen wüsstest, wenn ich, dein liebes Schwesterlein, so freundlich wäre, unter den Sitz zu langen, die Dose zu angeln, sie zu öffnen und dir ein paar Bonbons anzubieten?“ Sie verengte ihre Augen zu Schlitzen. „Vielleicht möchtest du ja, dass ich sie dir auch noch vorkaue?“

„Kein Wunder, dass die Männer kein Interesse an dir zeigen“, gab Francesca garstig zurück. „Das liegt nicht an deinem Haar und deiner Augenfarbe. Sondern daran, dass du ein grässliches, grässliches Kind bist. Das merkt doch jeder.“

„Süßes gefällig?“, fragte Eleanor mit zuckersüßer Stimme, machte den Deckel der Dose auf und hielt sie ihrer Schwester unter die Nase.

So ging es zwei Tage lang. Dabei hätte es lediglich eine Fahrt von einem Tag sein müssen, wenn sie bessere Pferde gehabt hätten. Mit den beiden Schindmähren jedoch, die vorgespannt waren, war es bereits spät, als die Kutsche am Abend endlich in ein dunkles, nachtschlafendes Dorf hineinrumpelte und stotternd vor einem heruntergekommenen und zweifelsohne billigen Gasthof zum Halten kam.

„Entzückend, das ist ja noch schicker als unser letztes Nachtquartier“, bemerkte Eleanor und spähte durch die trüben und unbeweglichen Fenster der Kutsche hinaus auf den dreckigen Hof, auf dem ein schmuddeliger Stallbursche argwöhnisch ihre Kutsche beäugte, als wolle er sagen: „Was habe ich damit zu tun?“

„Deinen Sarkasmus kannst du dir schenken, Eleanor“, ermahnte Francesca sie. „Walter ist eben sparsam. Man wird nicht dadurch reich, dass man sein Geld für eine temporäre Unterkunft hinauswirft.“

„Oder für trockene Betten, saubere Toiletten, genießbares Essen und dergleichen“, grummelte Eleanor, als sie den Türschlag öffnete und die Stufen hinabstieg. Sie hatte schon mitbekommen, dass der angeheuerte Kutscher es nicht zu seinen Pflichten zählte, ihnen dabei auch nur im Entferntesten zu helfen. Wenn man jedoch berücksichtigte, was Walter diesem Mann zahlte, war Eleanor schon dankbar, dass er sich bei ihren Zwischenstopps zumindest um das Gepäck kümmerte.

Sie trat in den Hof – was wörtlich zu verstehen war, denn ihre Halbstiefel versanken gut zwei Zoll tief im Matsch – und bot Francesca ihre Hand an. „Mach schon, Francesca. Du stöhnst doch schon seit mindestens einer Stunde, endlich auf Toilette gehen zu können. Pass auf beim Aussteigen. Das ist der reinste Sumpf hier.“

„Ach herrje.“ Francesca verzog das Gesicht, als auch sie halb im Matsch einsackte. „Ich wusste nicht, dass es geregnet hat.“

„Hat es auch nicht. Ich will mir gar nicht vorstellen, was diesen Hof so matschig gemacht hat. Aber beeil dich bitte, Francesca. So unglaublich es klingt – ich glaube, hier duftet es irgendwo ganz köstlich. Könnte das etwa Roastbeef und Yorkshire Pudding sein?“

Sie waren schon auf halbem Weg zur Tür des Gasthofes, als drei Männer erschienen. Einer von hielt ihnen hilfsbereit die Tür auf.

„Vielen Dank, Sir. Ich … meine Güte, sind Sie nicht Nicholas Marley, Earl of Buckland? Aber natürlich sind Sie es. Verzeihen Sie meine Direktheit. Ich bin Francesca Oglesby Fiske, die Gattin von Walter Fiske.“

Eleanor sah, wie Lord Buckland Francesca anstarrte, die ungelenk versuchte, einen Knicks vor ihm zu machen.

Hübsch, aber nicht helle, so war Francesca, ging es Eleanor durch den Kopf, während sie rasch nach dem Ellbogen ihrer Schwester griff und ihr beim Aufrichten half, bevor sie noch in den Schlamm fallen würde.

Lord Buckland verbeugte sich und stellte dann seine beiden Begleiter vor. Allerdings stellte er sie nur Francesca und nicht Eleanor vor. Zum einen vermutlich, weil Francesca ihnen Eleanor ebenfalls nicht vorgestellt hatte. Und zum anderen, weil er die verschwitzte und mitgenommen aussehende Eleanor für ein Dienstmädchen hielt und nicht für Francescas Schwester.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, soweit es Walter betraf, war sie genau das: ein überflüssiges Dienstmädchen. Angesichts der Überzahl an Zofen in Fiske Hall war er der Meinung, es wäre nicht nötig gewesen, noch ein weiteres aus dem Haus seines Schwiegervaters mitzunehmen, zumal man es im Anschluss ja auch wieder zurückschaffen musste.

Dass Lord Buckland sie ignorierte, war typisch für ihn, diesen eingebildeten und widerlichen Kerl. Eleanor hatte bei mehr als einem Ballabend aus der Ferne beobachtet, wie dieser groß gewachsene, dunkelhaarige und nebenbei außerordentlich gut aussehende Mann das Meer von Bewunderinnen durchquert und Wellen von Seufzern und Wunschträumen in seinem Fahrwasser hinterlassen hatte.

Er war genau die Art Mann, die sie verabscheute – wenn er nicht gerade in ihren Träumen vom schönen Prinzen vorkam, der sie als Prinzessin aus dem einsamen Turmverlies befreite.

Die beiden Schwestern betraten die schummrige Eingangshalle des Gasthofes. Buckland und seine Begleiter folgten hinter ihnen, um dann ohne ein Wort des Abschieds zu verschwinden. Eleanor hätte ihre vierteljährliche Apanage darauf verwetten können, dass die Männer das private Speiseseparee dieses elenden Lochs, das sich Gasthof schimpfte, gemietet hatten.

Sie nahm noch den himmlischen Bratenduft wahr, bevor sich die Tür hinter Buckland schloss. Insgeheim verwettete sie ihre nächste Apanage darauf, dass der Earl sogar seinen eigenen Koch mitgebracht hatte. Und vermutlich würde die Mahlzeit, die man ihr und Francesca im Schankraum vorsetzen würde, aus etwas bestehen, das von Arthritis befallen durch den Wald gehoppelt war, um dann praktischerweise direkt vor der Hintertür der Küche kurz vor dem Abendbrot an Altersschwäche zu verenden.