Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Vorwort
Kreuzfahrt der Tränen
Mütter an sich
Gebührenterror
Depperltest
Bahnvision
Hektik des Alltags
Ausreden
Steuerprüfung
Partner Hund
Letzte Verkünder
Haarree gutt!
Krötentunnel
Kommunales for Beginners
Visionen
DIN-Normen und anderes
Feuerlöscher!
Und wenn nichts mehr geht – saufen?
Finale Communale
Germanischer Optimismus
Linksfahrerentschuldigungsblues
Bahngedanken
Jubiläen müssen auch sein
Bahnausreden
Sackgassen
Mobile Sprechhilfen
Der ADAC macht das schon
Kreuzfahrt II
Ängste
Klimawandel
Der Film zum Absturz
Der Psycho-Workshop
Verbindliche Auskunft
Mit einer Stimme
Streikland
Weltspartag
Europa wird zum Stier
Tu felix Austria
Visa – die Freiheitsaffäre
Völler fehlt
Zu viele auf einmal
»Liebe ist …?!«
Novembriges
Allgemeine Gewöhnung
Hochzeitsbedingte Scheidungen
Rettungsversuche
Hitlisten
Multiple Eheschließung
Nine-Eleven
Krisen der Freundschaft
Die Welt liebt ihn
Die Mission vor »Mission accomplished«
Tsunami-Hilfe
Erziehungsdramen
Schlagzeilen
Tücken der Technik
Du bist Deutschland
Workshops
Glückskeks
Börsenschwankungen
Pope down
Forsthaus Falkenau
Nachwort
Copyright
Vorwort zum Vorwort
»Auf nachstehenden Blättern wird ein kleiner bunter Geschichtenstrauß dargereicht. Er ist unter schlichten Leuten aufgeblüht und soll Menschen einfachen Gemütes erfreuen. Das schmale Erzählgebund enthält Stücke mannigfacher Art, angefangen vom empfindsamen Märchen bis zum pfiffigen Schwank, und von der frommen Legende bis zur derben Schnurre. Die verschiedenen Stücke gewähren einen Blick in das Erzählgut, das einst in der Spessarter Landschaft umwanderte.
Wie? Heute noch solche Geschichtlein bieten? Erst recht. In der Unrast gegenwärtiger Tage flüchten wir zuweilen in eine Hürde traulicher Besinnlichkeit sowie heiterer Unbekümmertheit. Jawohl, die kurze Ausruh’ bei unserer Volksdichtung kann neue Spannkraft für das schwere, zermürbende Tagewerk sein.«
Dieses kleine Vorwort klingt, als habe der Bundespräsident persönlich zur Feder gegriffen. Es ist aber entnommen dem schmucken Band Das Wirtshaus zu Rohrbrunn von Valentin Pfeifer – visionärer und rhetorisch bestechender als jeder Berliner Redeversuch unseres hochverehrten Bundes-Horst.
Vorwort
»Sagen Sie mal – was machen Sie eigentlich tagsüber?«
Das ist so eine Lieblingsfrage, die man als reisender Kabarettist nach der Vorstellung häufig gestellt bekommt. Schon ist man in ein prickelndes Gespräch verwickelt, nebenan, beim Lieblingsitaliener des Veranstalters in Bad Oeynhausen oder Georgsmarienhütte (etwas anderes hat um diese Zeit ohnehin nicht mehr geöffnet).
»Sagen Sie mal – was machen Sie eigentlich tagsüber?«
Im Moment sitze ich gerade auf der Terrasse einer Einliegerwohnung in Saint-Laurent-du-Var in der Nähe von Nizza und beneide die flanierenden Urlauber, die sich in die azurblauen Fluten an der Promenade des Anglais stürzen, während ich schwitzend darüber nachdenke, welches Vorwort am besten zu jenem Œuvre passen könnte, das ich der Meinung meiner Agentur zufolge unbedingt schreiben sollte: »Hör mal – du hast tagsüber eigentlich genug Zeit – da könntest du doch mal Texte der letzten Jahre zusammensuchen, neue Texte dazustellen und ein Buch daraus machen, das fällt dir zwischendurch doch nicht schwer, oder?«
Und dann kommt das, was einem oft so schwer fällt, in die Quere – nicht Nein sagen zu können. Ich hätte sagen sollen: »Doch, das fällt mir schon schwer, denn wenn ich das mache, dann ist August, und eigentlich wollte ich etwas entspannen, weil im September geht doch die Tour wieder los, und dann stehen nach der Vorstellung fremde Menschen vor mir, die dann von mir wissen wollen, was ich eigentlich tagsüber so mache, und darauf muss ich mich mental vorbereiten«, aber das habe ich nicht gesagt, ich habe dummerweise gesagt: »Nein.« Was von der Gegenseite eindeutig als ein Ja!, also als Zustimmung, gewertet wurde, obwohl ich eigentlich Nein! gemeint hatte. Ich teile dieses Schicksal mit vielen Menschen. Nicht Nein sagen zu können. Das kriegt man in der Kindheit so mit. Man quengelt rum und sagt, wenn man etwas nicht will, spontan das Richtige, nämlich: »Nein!« Schon wird man angepflaumt: »Och, nun sag doch nicht immer Nein!«
Dann befolgt man das, man will ja ein liebes Kind sein, und leidet oftmals darunter bis zum Ende seiner Tage. Später, nach den ersten Lebensniederlagen und etlichen Sitzungen beim persönlichen Therapeuten seines Vertrauens, wird man dann darauf getrimmt, sich dieses Verhaltensmuster für teures Geld wieder abzutrainieren, nachdem sich durch das jahrelange Nicht-Nein-Sagen-Können Katastrophe um Katastrophe über einem aufgetürmt hat: die erste Ehe – bei ganz hoffnungslosen Fällen sogar Zweit-, Dritt- oder Viertehe.
Eigentlich ist es schön hier, in Saint-Laurent-du-Var: Man hat einen wunderbaren Blick auf das zentrale Bergmassiv der Region Alpes-Maritimes, und wenn ich nicht an diesem blöden Vorwort sitzen würde, könnte ich mich ganz fürchterlich angenehm langweilen, mitten im August. Gerade suppt mir ein vorzüglicher Schluck 05er Comte Lafond aus der Appellation Sancerre Contrôlée über eines der lose um mich herumwehenden Skriptblätter – Aufzeichnungen von 1997. Was damals los war: Der Dicke war noch Kanzler, Angela noch sein Mädchen, die A-Klasse von Mercedes stolperte über den Elch-Test … ach ja – und dann war da auch noch …
Kreuzfahrt der Tränen
Es gibt in letzter Zeit immer mehr Menschen, die sich fragen: Was kann die SPD eigentlich, außer in regelmäßigen Abständen ihre Kanzler und Parteivorsitzenden wegzumeucheln, unzufrieden und beleidigt durch die Gegend zu stapfen und ansonsten – wie jetzt – innerhalb der Großen Koalition möglichst wenig in Erscheinung zu treten, um Angela Merkel das breite Feld der Selbstdarstellung zu überlassen? Solche Vorwürfe sind ungerecht. Die SPD leistet sich nicht nur einiges, sie macht auch viel. Vor allem für altgediente Genossinnen und Genossen. Als Kabarettist ist man immer neugierig, und so wurde ich hellhörig, als Mitte der 90er Jahre das Angebot kam, als Bordbelustigung mit auf eine SPD-Kreuzfahrt zu gehen. Die SPD macht Kreuzfahrten? Dass sie ab und an baden geht, das ist hinlänglich bekannt – aber wer weiß schon, dass die Partei sich einen eigenen Reiseservice hält, der vom Trekking im Unteren Weserbergland über Silvester in Shanghai bis hin zu Veteranenreisen ins ehemalige Königsberger Heimatlandgefühl so ziemlich alles bereithält, was des Sozen Herz begehrt. Gut, auch die CSU hält sich ein parteieigenes Reisebüro, allerdings sind die Christsozialen über organisierte Wallfahrten nach Altötting und frömmelndes Gemeinschaftsschluchzen im Herrgottswinkel noch nicht hinausgekommen. 1997 stand ein tolles Angebot im Raum: Mittelmeerkreuzfahrt. Ablegehafen Nizza. Anlegehafen Nizza. Dazwischen Sonne, ein paar Auftritte an Bord der MS »Dalmacija«, ein mit kroatischer Besatzung unter karibischer Flagge dümpelnder Kleinschoner – kurz: Es versprach ein entspanntes Engagement zu werden, nicht wie im Jahr zuvor im rauen Nordmeer, eine Reise, die unter dem Motto stand:
Haut’s vom Tisch den Sechser-Pack,
Ist raue See im Skagerrak!
Zwölf Tage an Bord. Das hat nur einen Nachteil: Man kann nicht weg. Man ist seinem Publikum rund um die Uhr ausgeliefert: »Hören Se mal – wir können wegen der Dünung den Hafen nit anlaufen! Macht doch mal solange Programm, ihr seid doch im Preis mit drin – oder nit? Also!«
Galas, also geschlossene Veranstaltungen, gehören ohnehin zum Lieblingsrepertoire – du wirst einem Publikum zum Fraß vorgeworfen, das nicht weiß, was es erwartet, und lieber einen trinken würde … das muss nicht immer gut ausgehen. Wie früher in der Schule, wenn der Deutschkurs ins Kino durfte. Tod in Venedig. Der Film ist so schon langweilig genug. Hätten wir ihn während des Unterrichts sehen dürfen, hätte er uns vielleicht gefallen. Aber abends in unserer karg bemessenen Schülerfreizeit kollektiv ins Kino zur Zwangsvorstellung. Nö. Selbst Emmanuelle, Teil 5 oder Bilitis oder Zärtliche Cousinen mit der weichgezeichneten Anja Schüte wären da durchgefallen. Mir haben sich zwei Galavorstellungen bleibend eingeprägt – einmal eine Weihnachtsfeier für die »Transportgemeinschaft Lieferbeton MainMörtel GmbH«: 60 Betonmischerfahrer mit Ehefrauen. Ich hatte noch versucht, das Ganze am Anfang etwas aufzulockern, sachbezogen gewissermaßen:
Das Jesuskind kommt heut ganz fix -
Wir bringen’s mit dem Ready-Mix!
Danach haben wir uns alle ratlos durch die folgende Stunde gequält – das war’s. Es gibt Tiefpunkte im Leben, da muss man ganz stark sein. Rex Gildo hat das irgendwie nicht verkraftet. Nach einem Vollplayback-Auftritt mit anschließender Autogrammstunde in einem südhessischen Möbelhaus sah er keinen Ausweg mehr, als sich aus seinem Toilettenfenster in die Tiefe zu stürzen. Ein finales: »Hossa!« Und aus war die Fiesta. Ein Schlagersänger wäre vielleicht auch bei dem zweiten Event, der Jahresgeschäftsführertagung der »Bernau AG«, angebrachter gewesen. Aber gut – der Zweite Hauptgeschäftsführer des Unternehmens hatte mich bei einem Auftritt in Stuttgart gesehen und gemeint: »Das ist genau das Richtige für uns!«
Ich hätte an die Betonmischer denken sollen. Nun muss man wissen, dass die Geschäftsführer bei der Jahreshauptversammlung der »Bernau AG« allesamt ehemalige selbständige Besitzer mittelständischer Elektrogeschäfte gewesen waren, bevor sie, aus welchen Gründen auch immer, in selbst- oder unverschuldete Finanznöte geraten waren, aus denen sie der innerdeutsche Heuschreck herausgekauft hatte, um sie als willfährige Marionetten, sprich: Geschäftsführer, zum Wohle der »Bernau AG«, weiterzubeschäftigen. Mein Auftrittsauftrag war klar umrissen: 20 Minuten nach der Suppe, dann zwei Stunden Pause, dann noch einmal 20 Minuten vor dem Dessert. Aus dem Amuse-Gueule wurde aber nichts. Ich stürmte nach der Suppe – wenn ich mich recht erinnere, war es Tomatenconsommé mit Fleischeinlage – die hilfspodestmäßig zusammengezimmerte Notbühne: »So, einen wunderschönen guten Abend …«
Weiter kam ich nicht, denn schon vor meinem ersten Gag über die Rentenpolitik von Norbert Blüm (ein absoluter Bringer zu der Zeit, obwohl noch niemand ahnen konnte, wie es einige Jahre danach mit dem demographischen Faktor erst richtig den Bach runtergehen sollte), stürmte der Erste Geschäftsführer der »Bernau AG«, also der Chef in Person, der nicht nur Bernau hieß, sondern auch noch in Bernau bei Berlin residierte und nun auch noch auf Gut Bernau bei Garmisch-Partenkirchen seine Jahresgeschäftsführerhauptversammlung einberufen hatte – ja, das ist gelebte Corporate Identity -, er, Herr von und zu Bernau ohne Ribbeck und Havelland, stürmte zu mir auf die Bühne, auf der ohnehin nur wir beide Platz hatten, und herrschte mich an: »Kommen Sie mal mit!«
Herr Bernau zog mich hinter die Bühne und meinte: »Es mag wohl sein, dass mit Ihnen vereinbart war, dass Sie nach der Suppe sprechen – aber damit eins klar ist: Vor mir spricht hier niemand!«, um dann persönlich das Hilfspodest zu erklimmen. Und schon donnerte der Vorberliner Heuschreck los: »Ich will mal annehmen, dass die Suppe allen gemundet hat, und wir sind ja auch alle froh, heute Abend hier zu sein, um die Geschäftsentwicklung der ›Bernau AG‹ gebührend zu begehen … wir alle wissen ja, wie es um das Unternehmen bestellt ist, heute Morgen hatten wir ja die letzte Notierung an der Börse – na, Herr Müller, stehen Sie doch mal auf … Sie haben den Kurs doch sicher präsent, wie wir alle hier, nicht wahr?«
Er hatte ihn natürlich nicht präsent, danach war die Stimmung völlig im Eimer, und ob Herr Müller seinen Job als Geschäftsführer seines ehemaligen Betriebs über den Tag hinaus noch ausführen durfte, das wage ich zu bezweifeln, aber wir sind ja alle nicht zum Spaß auf dieser Welt. Oder wie meine Lieblingstante immer zu sagen pflegte: »Das Leben ist kein Wünsch dir was!«
Die Musiker, mit denen ich mich während meiner Zwangspause hinter der Bühne unterhielt, empfanden ebenso. Ich hatte sie erst gar nicht gesehen, nur gehört, weil sie hinter einem geschlossenen Vorhang spielen mussten, um von dem Hauptevent des Abends, dem Chef, nicht abzulenken. Selbstredend, dass auch erst getanzt werden durfte, nachdem Herr Bernau und seine Ich-AG sich ins Schlafgemach zurückgezogen hatten. Ich würgte mich dann kurz vor dem Dessert – wie vertraglich vereinbart – noch einmal kurz auf das erhöhte Podest, murmelte etwas von: »Ich weiß nicht, ob Sie mich noch kennen, ich war vorhin schon mal ganz kurz da …« Die Reaktion war verhalten. Vielleicht hätte ich nicht nachfragen sollen, ob irgendjemand dem armseligen Herrn Müller mittlerweile die neueste Börsennotierung mitgeteilt hatte. Am nächsten Morgen überreichte mir der Zweite Geschäftsführer dann kühlen Blickes den Scheck:
»War ja wohl nichts gestern Abend!«
Aha, dachte ich noch, His Master’s Voice. Seitdem überlege ich mir jedes Mal, ob ich bei einem vermeintlich selbständigen kleinen Einzelhändler meinen USB-Stick kaufe oder besser gleich zu Media Markt stolpere.
Zurück zur Krönung einer geschlossenen Veranstaltung – einer Kreuzfahrt! Schon die Gespräche an Bord sind bezaubernd:
»So viel Besteck! Wie isst man denn da jetzt bei Kreuzfahrten? Ich kenne mich da ja nicht aus … von innen nach außen, oder?«
»Das kommt ganz auf den Seegang an.«
»Wie meinen Sie das jetzt?«
»Kleiner Scherz …«
Ein kleiner Small Talk nach der Kraftbrühe »Dolores«:
»Kraftbrühe? Des is doch kaa Kraftbrühe! Schmeckt irgendwie nach … Kartoffelsuppe … mit Spargelgeschmack. E Kraftbrühe is des net! Awwer salzig isse!«
»Woher soll so en jugoslawische Schankkellner ach wisse, was e Kraftbrühe is?«
»Nett sind se ja, vom Personal. So freundlich und so bemüht.«
»Na ja – die sind halt auch froh, wenn se aus ihrm Elend deheim emal rauskomme für e paar Woche …«
»Apropos Elend …«
»Nein, bitte, kein Wort jetzt zur Partei …«
»Wisse Sie, de Oskar, mer kann ja üwwer ihn denke, was mer will – awwer des is halt doch noch aaner von uns!«
»Wir waren mal in Florida. Die ganze Zeit hatten wir uns auf das versprochene 5-Sterne-Hotel gefreut, und dann waren das nur vier! Ein lausiges 4-Sterne-Hotel! Wir haben dann aber geklagt, gegen den Veranstalter …«
»Des Soziale und der kleine Mann, des liecht doch dem Oskar mehr am Herze als wie dem Schröder …«
»Also, wenn ich dazu mal was anmerken darf: Der Service in 4-Sterne-Hotels ist ja oftmals besser als der in 5-Sterne-Hotels.«
»Ja – und auch persönlicher!«
»Persönlich hab ich geche den Schröder eigentlich nix … es is mir halt nur … vom Herze her, da is halt der Oskar …«
»Nun hör doch mit dem Springbrunnen endlich mal auf!«
»Springbrunnen?«
»Lafontaine!«
»Ach so.«
»Wir waren ja schon oft auf Reisen, aber eines kann ich Ihnen sagen: Die besten Schälrippchen der Welt, die hat’s auf Djerba.«
»Ach?«
»Ja. Auf Djerba.«
»Das würde man auch nicht auf Anhieb vermuten …«
»Habt ihr eigentlich schon geübt mit eurer Schwimmweste?«
»Dat is doch erst morjen!«
»Ja, aber – es könnt doch sein, dass heut schon was passiert! Wir sind doch schon ausgelaufen, jetzt stell dir mal vor, es passiert was, und wir haben noch nicht geübt …«
»Wenn der Lafontaine drankommt, passiert überhaupt nichts. Der ist schneller wieder weg, als wie er drangekommen ist. Der ist Saarländer und Jesuitenzögling – das ist eine gefährliche Kombination!«
»Der Geißler war ja auch bei den Jesuiten.«
»Ja, aber der ist kein Saarländer! Die wären damals doch viel lieber bei den Franzosen geblieben, von wegen ›Dolce Vita‹ und so …«
»Grad beim Auslaufe, da passiert oft am meiste. Des is wie beim Fliegen. Wenn du erst mal in der Luft bist, dann ist gut. Aber bei Starts und Landungen, gerade da passiert’s oft.«
»Wenn dat Fluchzeuch abstürzt, dann nutzt dir deine Schwimmweste aber auch nix mehr. Bruhaha!«
»Grad beim Schiff, da geht des oft auch ganz schnell, hab ich gelesen. Des geht ruck, zuck.«
»Ach was – so ein Schiff sinkt doch nicht in zehn Minuten.«
»Das stimmt nicht – da müssen Sie nur mal die Fährunglücke in den letzten Jahren nehmen. Allein die ›Estonia‹, die ist so schnell gesunken, das haben die nicht einmal gemerkt!«
»Da waren ja auch die Tore vorne offen, weil der Russe eine Bombe zwischen die Scharniere geklemmt hat. Unser Schiff hat ja keine Tore.«
»Und wat sollte der Russe für ein Interesse haben, uns in die Luft zu sprengen?! Bruhahaha!«
»Trotzdem. Es bleibt e bisje e komisches Gefühl …«
»Herr Ober, ich hatte doch Limonade bestellt. Ja, Limonade – das hier ist aber Saft … verstehen Sie mich überhaupt?«
»Unser Schwiegersohn, der ist ja beim Max-Planck-Institut beschäftigt, da macht der in Meeresbiologie und Forschung …«
»Orange ist das, ja, Saft – aber doch keine Limonade!«
»Und der hat sich jetzt, des gefällt unserer Tochter auch so gut, der hat sich jetzt ganz intensiv mit den Gesängen der Buckelwale beschäftigt …«
»Besonders laute Geräusche machen die Buckelwale ja, wenn der Japaner in die Nähe kommt, mit seinen Harpunen. Da sind die am Quieken! Bruhaha!«
»Ich weiß, dass das beim Tischgetränk net dabei is, ich zahl’s ja extra, die Limonade …«
»So weit kommt’s noch. Teuer genug, die Kreuzfahrt. Obwohl wir Frühbucherrabatt bekommen haben!«
»Das mit den Buckelwalen, ich hab mich dann da auch ein bisschen damit beschäftigt, die Gesänge, das ist, als würden die miteinander reden. Das ist so ganz subtil, hat unser Schwiegersohn gesagt …«
»Da lasse Se den Orangensaft halt da, in Gottes Namen!«
»Der versteht doch sowieso nur Bahnhof!«
»Haben die eigentlich nur Fremde hier im Personal?«
»Und sehr intelligent, die Buckelwale.«
»Sollen Delphine ja auch sein.«
»Aber die verfangen sich immer so oft in den Thunfischnetzen, gell.«
»Ja, furchtbar.«
»Dann können sie so intelligent nicht sein. Sonst würden sie das ja wohl merken! Was mich aber viel mehr interessieren würde: Wie kommt der Thunfisch vom Netz in die Dose? Ist dat wie beim Strom und der Steckdose? Bruhaha!«
»Trink net so viel von dem Rotwein. Die anderen wollen auch noch was abhaben.«
»Da bestellen wir nach!«
»Und nachher kannst du wieder nicht schlafen.«
»Na – Hauptsache, wir kriegen nicht wieder so einen Seegang wie beim letzten Mal.«
»Auf der Donau ist es immer ganz ruhig …«
»Die Donau, des is ja auch en Fluss …«
»In erster Linie liegt es immer am Schiff. Als wir mit der ›Peter Pan‹ unterwegs waren – die lag auf See wie ein Brett. Wie ein Brett!«
»Da war aber auch extrem ruhige See, fast kein Unterschied zur Donau …«
»Nur die Weinberje haben jefehlt rechts und links … bruhaha!«
»Ich hatte oft schon mit der Seekrankheit zu kämpfen, da hatten wir noch gar nicht abgelegt! Wir sind ja mit dem Nachtzug gekommen, aus Frankfurt … und ich bin da in des Stockbett, des war, ich hab gedacht, wie e Koje. Und dann hat sich auch schon alles gedreht …«
»Oh je …«
»Und bis ich naus uff de Gang komme bin … dann stand auch noch e Tasche im Weg … zum Glück war des meine … da hab ich dann direkt …«
»Das ist aber unangenehm. Da kannst du aber froh sein, dass es deine eigene Tasche war …«
»Schon, aber unter mir, da … hat doch noch e andere Frau … und die hat das direkt mitgekriegt, wie ich da …«
»Peinlich. Da bin ich aber froh, dass mir das nicht passiert ist …«
»Das kann noch kommen!«
»Ich muss e bisje Wasser in mein Orangesaft … ohne Kohlensäure, des vertrag ich net … deshalb wollt ich ja auch die Limonade …«
»Sagen Sie mal, Herr Ober – eines würde mich ja mal interessieren: Sie sind doch aus Bosnien. Müssen Sie da nicht an die Front jetzt? Oder gibt es bei Ihnen auch so etwas wie Kriegsdienstverweigerung? Ersatzdienst. Da haben wir Sozialdemokraten uns in Deutschland immer für eingesetzt. Wissen Sie, gerade ein Land mit solch einer Vergangenheit: Sie werden dort unten doch sicher gebraucht!«
»Hermann, jetzt lass doch …«
»Man wird doch noch mal fragen dürfen! Das muss einen doch interessieren! Wir schicken unsere Kameraden runter nach Somalia, rüber nach Kambodscha – und wenn das so weitergeht weltweit, dann ist das ja erst der Anfang! Wir fliegen Futter nach Sarajevo, da pfeifen denen die Kugeln um die Ohren, und der macht sich hier einen flotten Lenz! Verbrennt sich vielleicht mal am Konvektomat in der Küche, aber das war es dann. Da wird man doch mal fragen dürfen! Und nicht einmal Deutsch kann er …«
»Hermann, bitte, reg dich net uff, des is net gut für mei Kopfweh …«
»Gell, du hast scho wieder …«
»Es gibt da jetzt Kopfschmerztabletten mit Koffein – die sollen sehr wirksam sein!«
»Da kann ich’s doch gleich mit Kaffee versuche. Ich mein, gesünder als Kaffee is so eine Medizin ja auch nicht …«
»Aber Kaffee weitet die Gefäße.«
»Das stimmt. Das sagt mein Hausarzt auch immer.«
»In Djerba, als wir das letzte Mal dort waren, da haben die uns einen Kaffee vorgesetzt, das war eine Frechheit.«
»Seitdem – nie wieder! Das reißen die Schälrippchen auch nicht mehr raus.«
»Das war eine Frechheit, der Kaffee, ja.«
»Dabei sollte man doch grad’ von dem Afrikaner meine, dass der wüsst, wie mer en Kaffee macht, des wär doch des Gleiche, als wenn mir net wüsste, wie Bier geht.«
»Na ja … bei dem Afrikaner, des is ja auch mehr Mokka, womit der sich auskennt.«
»Und das Bier im Übrigen – viel zu warm!«
»Morgens, da schmeckt mir der Kaffee sowieso net so …«
»Obwohl man im Urlaub viel mehr Kaffee vertragen kann, wegen der Entspannung!«
»Ich nehme da lieber noch einen Klaren extra nach dem Essen, das entspannt mich mehr. Und – im Übrigen: Nicht nur im Urlaub. Bruhaha!«
»Ich vertrag zwar auch mehr Kaffee im Urlaub, aber – wenn er mir doch net schmeckt, was soll ich mache?«
»Was mir in Frankreich immer getrunke hawwe, des war gut – des war ja mehr so vier Fünftel Wasser mit einem Fünftel Pernod. Oder umgekehrt, des weiß ich gar net mehr so genau. Aber des hat geschmeckt!«
»Der Engländer weiß ja bis heute noch nicht, wie man einen anständigen Kaffee macht. Der kommt von seinem Tee nicht los …«
»Der Pernod, des – der war sehr gut. Sonst nur Landwein. Den hat mein Mann immer gleich im 5-Liter-Kanister aus dem Supermarkt geholt … Süppämaschee heiße der ja in Frankreich. Und haben sogar sonntags geöffnet, oft …«
»In Köln, da hatte mir einen Ausflug auf dem Rhein gemacht – da hatte ich auch wieder so Kopfschmerzen. Bevor wir losgefahren sind schon.«
»Das ist vielleicht aber auch das Klima! Gerade in der Kölner Bucht, da drückt es ja meistens.«
»Das kann natürlich sein.«
»Ich sage immer: Trink dir dann ein paar Kölsch, danach ist das Einzige, was noch drückt, die Blase. Bruhaha!«
»Unser Schwiegersohn, der mit den Walen – die sind ja sehr engagiert. Neulich hatten sie eine Aktion, da war sogar der Dietmar Schönherr mit dabei. Des war fürs Fernsehen. Da war unser Schwiegersohn auch ganz kurz mit im Bild. Haben wir aufgenommen. Das haben wir jetzt auf Video.«
»Kölsch haben die hier wohl nicht an Bord, oder?«
»Ist der Dietmar Schönherr eigentlich immer noch in Nicaragua?«
»›Pivo‹ sagt der Jugoslawe zum Bier, oder? ›Pivo‹ …«
»Das sind doch jetzt keine Jugoslawen mehr, deshalb hat’s dort doch auch die Konflikte …«
»Daran ist doch nur der Genscher schuld. Das vergessen die meisten! Wenn der nicht so übereilt die einen auf dem Balkan anerkannt hätte, dann wären die anderen doch gar nicht auf die Idee gekommen, auch so werden zu wollen. Das hat der Genscher doch alles nur gemacht, um zu punkten für die nächste Wahl. Und deshalb haben wir immer noch den Kohl am Hals.«
»Na ja, nächstes Jahr klappt’s vielleicht. Zeit wär’s ja, aber wen stellen wir bloß auf?«
»Komm mir nicht schon wieder mit deinem Lafontaine …«
»Der spricht uns halt aus der Seele …«
»Aber der ist alt geworden … sehr alt …«
»Na ja, so ein Attentat, das steckt man nicht so leicht weg …«
»Ich mein doch den Dietmar Schönherr … des war emal so en stattliche Mann … aber der ist alt worn …«
»Der Fischsalat ist lecker!«
»Na ja – mit Thunfisch? Politisch müssten wir den Salat eigentlich zurückgehen lassen!«
»Vielleicht ist ja noch ein bisschen Delphin dabei, der sich intelligenterweise in das Netz verschwommen hat, bevor er sich gleich mit hat eindosen lassen. Bruhaha!«
»Nein, jetzt mal im Ernst …«
»Jaja, du hast da schon Recht. Aus politischen Gründen müssten wir das ablehnen.«
»Aber mach das mal dem Jugoslawen klar! Auf dem Balkan hauen die sich den Schädel ein, und wir sorgen uns um die artgerechte Aufzucht von Thunfischsalat.«
»Aber er schmeckt schon sehr gut, der Fischsalat.«
»Unser Schwiegersohn … die haben sehr früh geheiratet …«
»Für Kinder ist es auch besser, wenn sie junge Eltern haben …«
»Du kannst den Thunfisch ja an den Rand hinlegen.«
»Ihre beruflichen Ziele hat sie halt zurückgestellt. Die ist jetzt ganz für die Kinder da …«
»Sie können meinen Salat gerne noch haben – ich mag sowieso keinen Thunfisch …«
»Gut, auch da kriselt’s natürlich schon mal … wie in jeder guten Ehe halt …«
»Jaja …« »Schon als Kind hab ich keinen Thunfisch gemocht. Auch keine Sardinen. Nur Bratheringe, das war das Einzige.«
»Unser Sohn hat sich Anfang des Jahres getrennt von seiner Frau. Auseinandergelebt halt …«
»Das sage ich meiner Frau auch immer – wenn wir alte Fotos von früher betrachten, und wenn wir uns dagegen heute so im Spiegel angucken … da haben wir uns auch ganz schön … auseinander … entwickelt. Bruhaha! Und trotzdem sind wir noch zusammen.«
»Die Jugend heute gibt einfach zu schnell auf …«
»Bratheringe nicht. Höchstens mit Bratkartoffeln. Nur mir Bratkartoffeln.«
»Die besten Bratkartoffeln gibt’s bei der Bahn. Wenn die in der Pfanne … durch das Rütteln der Gleise … da werden sie so richtig gleichmäßig …«
»Bei der Bahn machen sie doch heute alles in der Mikrowelle. Das ist doch alles eingeschweißt. Schon wegen der Hygienik.«
»Trotzdem.«
»Bei den ganze AIDA-Schiffe, die mit dem Kussmund …«
»Ach, die sind doch nur was für die jungen Leute!«
»Lass mich doch emal ausrede!«
»Ich sag doch gar nix!«
»Bei den AIDA-Schiffe, des hat mir der Roman erzählt …«
»Der ist für die Art von Schiffe doch auch schon zu alt...«
»Jetzt lass mich doch emal ausreden!«
»Ich sag doch gar nix!«
»Der hat da auch mal so einen Kurztrip gemacht, sechs Tage, von Mallorca und wieder zurück – da wird des ganze Obst in Hamburg eingeschweißt und dann im Flugcontainer nach Palma geschafft.«
»Auch die Mango?«
»Auch die Mango.«
»Aber die könnte die doch direkt vor Ort kaufe.«
»Das hat der Roman auch gesagt. Aber jetzt stell dir vor, ein Passagier hat dann was während der Kreuzfahrt. Oder danach.«
»Du meinst, vom Essen her?«
»Genau. Dann könnte der ja klagen und sagen, es käme vom Essen.«
»Logisch.«
»Wenn aber alles vorher in Hamburg kontrolliert worden ist …«
»Ach so.«
»Dann kann der klagen, so viel er will. Nutzt ihm nichts, weil, es war ja verschweißt.«
»Ja, so eine Gesellschaft muss sich ja auch absichern. Gerade bei uns Deutschen. Da klagt ja jeder gleich. Kostet ihn ja nichts.«
»Hat ja Rechtsschutz.«
»Das ist ja das Dilemma. Jeder Depp kann doch heute klagen bei uns – auch wenn es um gar nichts geht.«
»Wo kommt eigentlich das Essen bei uns an Bord her?«
»Keine Ahnung.«
»Der Thunfisch war aus der Dose. Das steht mal in jedem Fall fest. So was schmeck ich sofort.«
»Was gibt’s bei uns eigentlich zum Nachtisch?«
»Profiteroles oder so … hat auf der Karte gestanden … das ist so ein französisches Gebäck, glaube ich.«
»Was immer hilft, wenn es in der Ehe mal kriselt, meine Tochter hat das dann auch gemacht, sind ja Haustiere.«
»Wir haben seit letztem Jahr einen Birma-Kater zu Hause.«
»So?«
»Ja.«
»Entschuldigung – der Birma-Kater, das ist doch eine Mischung zwischen Siam und … Perser – oder?«
»Nein, Karthäuser!«
»An Weinschaum sind die ganz lecker! Bruhaha! Weinschaum – da sagt der Italiener ja Zabaione für!«
»Das kann sein – ich kenn mich da nicht so aus. Meine Schwester, wie die noch gelebt hat, die hat nur ganz normale Hauskatzen gehabt.«
»Unsere Nachbarn, die haben eine Britisch Kurzhaar, die heißen so, obwohl sie eigentlich aus Frankreich sind. Lustig, gell?«
»Ich kann mit Katzen gar nichts anfangen … Allergie … nein, das geht gar nicht …«
»Profiteroles … hoffentlich ist da kein Glutamat drinne … Glutamat sollte man unbedingt vermeiden, da kann man Nackenstarre von kriegen.«
»Ob das der Wirkstoff ist, aus dem sie auch Viagra machen? Bruhaha!«
»Na ja, insgesamt ist es ein ganz schöner Reiseauftakt. Und das Wetter scheint auch zu halten.«
»Und trotzdem: Irgendwie hat die Kraftbrühe nach Kartoffelsuppe geschmeckt …«
Dann wird gelöffelt und gelöffelt … um sich dann den weltpolitisch wirklich wichtigen Themen zuzuwenden:
»Auf Malta treffen wir uns doch mit dem Bürgermeister von Valletta, oder?«
»Das hat uns die Reiseleitung so gesagt, ja.«
»Den müssen wir unbedingt fragen, wie das auf Malta mit dem Schulsystem geregelt ist. Mich interessiert das immer kolossal, wie das in anderen Ländern mit dem Bildungssystem gehandhabt wird …«
»Meine Frau war Lehrerin, müssen Sie wissen, die ist seit einem Jahr pensioniert …«
»Bildung – dafür hat sich der Dietmar Schönherr auch immer eingesetzt. Gerade in Nicaragua!«
»Seine Frau, die Vivi Bach, die malt ja auch …«
Und dann geht es an die Bar. Dort hängen sie alle zwangsläufig ab. Und es gibt kein Entrinnen. Natürlich darf auch der eine oder andere deftige Witz nicht fehlen: »Ah – Sie sind doch der Kabarettist! Da wissen Sie ja, nä, warum der Nikolaus so einen jroßen Sack hat, nä?«
Natürlich kennt man den Witz, aber man muss so tun, als hätte man ihn noch nie gehört, sonst ist die Stimmung im Eimer, und er kramt noch bescheuertere, noch bekanntere Witze aus irgendeiner seltsamen Hirnwindung, also tut man überrascht:
»Nein, keine Ahnung.«
»Er weiß nicht, warum der Nikolaus so einen großen Sack hat? Weil er nur einmal im Jahr kommt! Bruhahaha!«
Brüller. Ein echter Brüller.
So war es zumindest auf all meinen Kreuzfahrten.
Diesmal war alles ein wenig anders. 31. August 1997. Ein Schicksal erschütterte die Menschheit – das tragische Ende von Diana, Lady Di, der von Stund an als »Königin der Herzen« verehrten Behelfs-Queen aus England. Das stupide Blondchen mit dem unschuldigen Augenaufschlag, diesem waidwunden Dackelblick, das allzeit verletzte Rehkitz, wurde über Nacht in den Status einer Heiligen erhoben, nur weil sie plötzlich nicht mehr war. 245 SPD-Rentner strömten an ihrem Ablebetag auf die MS »Dalmacija« zu, die Hälfte von ihnen wusste noch gar nicht, was passiert war, die andere Hälfte hatte wohl etwas davon gehört, davon waren wiederum 50 Prozent teilnahmslos zur Tagesordnung übergegangen (die Ehemänner) oder einigermaßen paralysiert (die Ehefrauen). Getuschel, Gerüchte, Gewisper … der Rest der Mitreisenden sollte es durch uns erfahren. Üblicherweise stellt sich die Crew vor dem Ablegen den Passagieren vor. Auch wir Bordkomiker. Zunächst aber natürlich der Kapitän, der seinen Standardspruch schallplattengleich bei jeder Abfahrt aus sich herausquellen ließ: »Winschen wir, dass Poseidon ist auf unsere Seite und immer eine Handbreit Wasser unter den Kiel.«
Komisch – jedes Mal musste ich bei dieser Ansprache an meinen alten Turnlehrer denken, der mich im Sportunterricht der allgemeinen Belustigung preisgegeben hatte -, zu meiner Zeit hieß Sport noch »Leibeserziehung«, doch bis heute habe ich nicht verstanden, was Bockspringen oder Felgaufschwung mit Leibeserziehung zu tun haben sollen, von Völkerball ganz zu schweigen – mein Sportlehrer hatte mir, ich muss zugeben: Leichtathletik habe ich immer gehasst, spätestens, nachdem mir beim Rumblödeln während des Kugelstoßens die Eisenkugel auf die Füße gedonnert und mir beim Hochsprung die Eisenstange ins Gemächt geknallt war … über eine wohlwollende Vier im Zeugnis hatte ich es deshalb in Sport nie gebracht … mein Sportlehrer, wie Kapitän Josip Radovan aus dem ehemaligen Jugoslawien, gab beim Hochsprung immer die Losung aus:
Kommst auf Latte, kriegst schon Fimf!
Ich war der springende Flop – ohne Fosbury. An meinen Sportlehrer musste ich also denken, als der Kapitän uns eine Handbreit Wasser »unter den Kiel« wünschte. Danach kam das Team vom Reiseservice der SPD, das über die Landausflüge (fakultativ!) informierte – das steht bei jeder Reise, bei allen Ausflügen immer in Klammern:
Fakultativ!
Es gibt Begriffe, die verstehe ich einfach nicht. Wenn ich in Hotels über die Nottreppe nach unten husche – ich nehme den Aufzug nur in Notfällen, man soll sich ja bewegen, gerade ich, um so das, was ich in meiner Kindheit während der Leibeserziehung versäumt habe, nachzuholen -, in diesen kargen Hoteltreppenhäusern, mit den zusammengerollten Schläuchen, falls es einmal brennen sollte, lese ich immer voller Erstaunen:
Steigleitung, trocken.
Ich habe bis heute nicht begriffen, was das heißen soll. Denn – wenn es einmal brennen sollte, dann darf ich doch wohl erwarten, dass aus dieser Steigleitung, die, nehme ich einmal an, als Löschvorrichtung gedacht ist, genügend kostbares Nass sprudelt, um eine größere Katastrophe rechtzeitig abzuwenden. Beim Tanken brauche ich auch immer sehr lange, bis ich meinen Tankvorgang beendet habe, weil neben dem Schlauch über der transparenten Kugel, diesem Schauglas, immer steht:
Blasenfrei zapfen.
Ich weiß nicht, was passieren könnte, sollten einmal ein paar Blasen in diesem Schauglas sichtbar werden, aber ich behalte es immer genauestens im Auge, um ja nichts verkehrt zu machen. Die fakultativen Landgangprogramme – das ist ja alles nicht so einfach: Die Reisepässe müssen für die Dauer der Kreuzfahrt am Informationsdeck abgegeben werden, damit aber ein Ausflug ins Landesinnere möglich wird, müssen die Reisepässe für die Dauer der Kreuzfahrt durch Landgangsmarken ersetzt werden, die als hafenbehördlich genehmigter Ersatz für den Ausweis einen fakultativen Landgang überhaupt erst ermöglichen. Um das zu erklären … das dauert. Das macht man am besten direkt nach Ankunft der Passagiere, weil diese durch die Anreise noch so geschwächt sind, dass häufige Zwischenfragen erfahrungsgemäß unterbleiben.
»Liebe Gäste! Im Namen des SPD-Reiseservice heißen wir Sie an Bord herzlich willkommen. Liebe Genossinnen und Genossen – hier einige Informationen zu den von euch gebuchten Landgangsausflügen. Bitte bedenken Sie, dass, bevor wir mit der Ausbootung beginnen können, zunächst die Vorbereitungen zur Ausbootung abgeschlossen sein müssen. Für die Ausbootung empfehlen wir bequeme, flache Schuhe mit hohen Absätzen … äh, hohe Schuhe mit bequemen, flachen Absätzen.
Teilnehmer am Landgangprogramm Malta (8) sind von der Ausbootung ausgenommen.
Teilnehmer am Landgangprogramm Malta (6) achten bitte bei Ihren Landgangsvorbereitungen darauf, am Landgangsmarkenbrett nur die Landgangsmarke mit der Ihnen zugewiesenen Langsga…Landgangsnummer mitzunehmen. Diese Landgangsnummer ist nicht mit der Kabinennummer identisch und ersetzt nicht den üblichen Landgangsgutschein für fakultative Landgangsfahrten.
Unabhängig davon verfügen die lokalen Hafenbehörden über eigene Landgangsmarken-Ausweisersatzkarten, die beim Landgang mitgeführt und am Ende des Landgangs ans Landgangsmarkenbrett eingebootet werden müssen.«
Danach herrschte erst einmal Ratlosigkeit im Publikum, was auch so beabsichtig zu sein schien, damit das üppige Bordprogramm rasch abgehandelt werden konnte: Die Morgengymnastik für Senioren, Bingo am Nachmittag, Kreatives Gemüseschnitzen mit Orlando, die vorbereitenden Diavorträge für die Landgangsausflüge (natürlich »fakultativ«!) und das kulturelle Begleitprogramm. Das war das Stichwort. Das kulturelle Begleitprogramm für die Reise waren mein Kollege Andreas Giebel und ich. Na ja, nicht nur. Sitte bei SPD-Kreuzfahrten ist es nämlich stets (»Reisen bildet!«), auch altgediente Promi-Genossen mitzunehmen, deren Hauptaufgabe es ist, die gute alte Sozialdemokratenzeit der 70er Jahre zu verklären und tränenreich den Salzgehalt der Meere zu mehren. Ich erinnere mich an gemütliche Gelage an Bord mit Horst Ehmke, der fabelhafte Anekdoten aus seiner Kanzleramtsministerzeit unter Willy Brandt zu erzählen wusste – der war diesmal leider nicht dabei. Dafür der ehemalige Kurzpressesprecher der Regierung Schmidt, als diese in den letzten Zügen lag: Klaus Bölling. Ein in der Wolle entfärbter Sozialdemokrat, dem eines Abends auf dem Lido-Deck unter sternenklarem Himmel der Satz entfuhr: »Wissen Sie – das Einzige, das meiner Familie im Namen immer gefehlt hat, das war das ›von‹.«
Andreas und ich mussten uns nun dem Publikum vorstellen, wer wir sind, was uns erwartet – und da war ja nun die Sache mit dem jähen Ende von Lady Di am 13. Pfeiler im Alma-Tunnel von Paris. Andreas hatte gleich die Lösung parat: »Du, Urban, geh – du machst doch immer das Aktuelle, woaßt, des is net so meins, des mit der Lady Di, des sagst scho du, oder?« Ich konnte wie immer nicht Nein! sagen – schon hatte ich die Arschkarte gezogen. Nachdem Andreas die Gäste charmant auf Karl-Moik-doublehafte Weise auf die Reise eingestimmt hatte, übergab er sich an mich mit den schmeichelhaften Worten: »Ja, und du, liebes Urberl, du hast den Leuten, glaub ich, jetzt noch a bisserl was Aktuelles zum Erzählen, oder?«
Ich ahnte nicht, welche Schwierigkeiten ich auf mich laden sollte. Ich dachte, die nehmen das locker, von wegen was haben wackere Sozialdemokraten mit einer verstaubten, klassenfeindlichen Monarchie am Hut? Andererseits – warum schiffen sich 245 SPD-Rentner ausgerechnet in Nizza ein, an der Côte d’Azur, ein seit jeher klassisches Urlaubsziel der Arbeiterbewegung? Hatte allein diese Tatsache das Standesdenken der »Royal Rose of England« so verletzt, dass sie es vorzog, im Landesinneren zu verunglücken? Ich war versucht, möglichst emotionslos an die Sache heranzugehen: »Guten Abend, meine Damen und Herren – ich sehe einige bekannte Gesichter hier, wir kennen uns ja noch von der Nordmeerkreuzfahrt … wie ihr wisst, bin ich anscheinend als apokalyptischer Reiter für die Überbringung der schlechten Nachrichten zuständig. Beim ›Bunten Abend‹ auf der Rückfahrt nach Cuxhaven damals durfte ich als Eilmeldung das Ableben von Erich Honecker verkünden …«
Aus der ersten Reihe vernahm ich ein genuscheltes: »Der Honecker, der war ja aus Wiebelskirchen. Das liegt im Saarland. Da ist der Oskar ja auch her! Ach, der Oskar.« Ich hab dann kurz eingeworfen: »Ja, und der wird dem Honecker im Alter von der Aussprache auch immer ähnlicher …«
Es ist immer blöd, Zwischenrufe aus der ersten Reihe entgegenzunehmen, das lernt man im Laufe der Jahre, weil man gar nicht bedenkt, dass der Rest im Saal nicht so genau mitbekommt, was man mit der ersten Reihe gerade an Privatfehden auszufechten hat. Schon hob Gemurmel an … »Was? Was? Was hat er gesagt?« Ich hab dann nur kurz gemeint, das wäre jetzt nicht weiter von Bedeutung, es ging nur um Oskar Lafontaine … schon ging ein Seufzen durch das weite Rund.
»Ach ja, der Oskar … schade, dass der nicht …«