Wiener Vorlesungen
Band 199
Vortrag im RadioKulturhaus aus Anlass der Verleihung des Paul Watzlawick Ehrenringes am 15. Oktober 2020
Copyright © 2020 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
ISBN 978-3-7117-3019-0
eISBN 978-3-7117-5438-7
Informationen zu den Wiener Vorlesungen unter
www.wienervorlesungen.at
Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unter
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Picus Verlag Wien
Die Wiener Vorlesungen
Die Einbildungen. Das Zwiespältige. Die Geselligkeit
Bibliografie
Der Autor
Vor mehr als dreißig Jahren wurde ein ebenso unverwechselbares wie hochkarätiges Wissenschaftsformat ins Leben gerufen: die Wiener Vorlesungen. Fächerübergreifend setzen sie sich mit den großen wissenschaftlichen und intellektuellen Fragen unserer Zeit auseinander und bereichern so den Kulturkalender der Stadt Wien um einen wichtigen Erkenntnisraum.
Als Forschungsstandort und Universitätsstadt hat Wien eine Spitzenposition im mitteleuropäischen Raum inne und sieht es auch in ihrer Verantwortung, Impulsgeberin für aktuelle und zukunftsrelevante Fragestellungen zu sein. Die gesellschaftspolitische Relevanz von Wissenschaft steht dabei außer Frage: Bildung und Wissen sind wesentliche Grundlagen für ein selbstbestimmtes Leben und für eine funktionierende demokratische Zivilgesellschaft. Als ein sich ständig weiterentwickelndes Projekt der Aufklärung waren und sind die Wiener Vorlesungen »geistiger Initialzünder« für einen offenen und öffentlichen Diskurs, der nicht nur innerhalb wissenschaftlicher Zirkel geführt wird, sondern ein breites Publikum als Beitrag für eine offene Gesellschaft erreicht.
Auch nach drei Jahrzehnten geben die Wiener Vorlesungen Anstöße für Kontroversen und behandeln jene Themen, die für die Stadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner besonders relevant sind. Ein an Fakten und Informationen übersättigter Raum, die oft rasche Folge wissenschaftlicher Erkenntnisse und die mitunter damit einhergehenden Problematiken verlangen einen stärkeren öffentlichen Diskurs über die Voraussetzungen und Folgen von Forschung. Hier bietet das lebendige und innovative Veranstaltungsformat der Wiener Vorlesungen ein Navigationssystem und fungiert als »Informationskatalysator« für neue Erkenntnisse aus zeitgenössischen Forschungswerkstätten und Labors. Es kann dazu beitragen, Dimensionen abzuschätzen, Fragen zu bewerten und Entscheidungen zu treffen. Und vielleicht auch zum richtigen Handeln in unübersichtlichen Zeiten zu kommen.
Die Wiener Vorlesungen werden künftig insbesondere Wissenschaftlerinnen noch stärker einbeziehen. Der weiblichen Stimme der Forschung Gehör zu verschaffen, ist bedauerlicherweise nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Wir arbeiten daran, auch in diesem Bereich Vorurteile abzubauen.
Die Schauplätze der Wiener Vorlesungen sind vielfältig wie das Programm selbst: Sie verwandeln das Rathaus in eine temporäre offene Stadtuniversität ebenso wie sie eine Vielzahl anderer Orte in vielen Bezirken der Stadt zu Stätten der Bildung und des aktiven Austauschs transformieren.
Im Fokus der Wiener Vorlesungen steht mehr denn je die Kommunikation mit einem offenen und neugierigen Publikum. Es werden daher prominente Denkerinnen und Denker im Sinne einer zeitgemäßen Wissenschaftsvermittlung eingeladen, ihre Erkenntnisse und Einsichten mit der Bevölkerung zu teilen und einen offenen Dialog zu führen. Dazu ist kein Studium nötig, das ideale Publikum hat kein Alter, keine Titel, aber eine große Wachheit und eine unbändige Neugier auf das Neue, das Unbekannte und brennende gesellschaftliche Fragen.
So bieten die Wiener Vorlesungen einen faszinierenden Einblick in die Werkstatt der Wissenschaft, der die Vielfalt des Gesellschafts- und Geisteslebens unserer Zeit widerspiegelt und den Blick für die Differenziertheit und Diversität der Gegenwart schärft.
Veronica Kaup-Hasler
Stadträtin für Kultur und Wissenschaft
Es gibt etwas in den Texten von Paul Watzlawick, das bei mir immer schon nicht nur Sympathie und Bewunderung hervorgerufen hat, sondern auch das Gefühl einer sehr grundlegenden philosophischen Übereinstimmung. Es ist dieser Tonfall einer erstaunlichen Heiterkeit, mit der Watzlawick seine Erkenntnisse vorträgt. Das macht seine Bücher zu einer so angenehmen und anregenden Lektüre und lässt einen fast ein wenig neidisch auf eine Zeit zurückblicken, in der Gelehrte offenbar öfter als heute mit so viel Humor und Leichtigkeit zu schreiben vermochten.
Die Heiterkeit in Watzlawicks Texten aber ist nicht alleine eine ästhetische Qualität, die als solche sicherlich entscheidend zur Beliebtheit und Verbreitung seiner Bücher beigetragen und dadurch dafür gesorgt hat, dass wissenschaftliche Erkenntnisse – was ja nicht so oft vorkommt – auch tatsächlich eine große Zahl jener Menschen erreicht haben, die diese Erkenntnisse bitter nötig hatten.
Watzlawicks Heiterkeit erscheint mir darüber hinaus vielmehr auch als die Durchführung eines philosophischen Programms; als ein Stück praktizierter Philosophie. Denn in diesem Stil steckt eine These. Wer so schreibt, muss davon überzeugt sein, dass Heiterkeit und Wahrheit keinen Gegensatz bilden – dass etwas also, weil es heiter ist, nicht weniger wahr sein muss; und umgekehrt, ganz im Gegensatz zum Sprichwort, dass etwas, nur weil es traurig ist, noch lange nicht wahr zu sein braucht.
Klarerweise ist umgekehrt auch nicht alles, was erheitert, bloß deshalb schon wahr. Aber das Entscheidende bei Watzlawick besteht darin, von der grundsätzlichen Nichtausschließung zwischen dem Heiteren und dem Wahren auszugehen. Denn damit wird einer bis in die Gegenwart wirkmächtigen Philosophie widersprochen. Diese Philosophie behauptet, dass wir grundsätzlich von zwei erstrebenswerten Dingen immer nur eines um den Preis des anderen haben könnten – also entweder die Wahrheit oder aber die Heiterkeit; entweder die Freiheit oder aber das Glück, entweder die Klugheit oder aber die Schönheit et cetera. Zu dieser grundlegenden Zweiteilung gelangt diese Philosophie deshalb, weil sie die Welt abwertet. Die Welt, die wir kennen, ist in den Augen dieser Philosophie immer nur der Schatten oder das dürftige, defiziente Nachbild einer anderen, idealen. Nur dort, in der anderen, idealen Welt würden die Dinge, die hier als so notwendig unvereinbar gesetzt sind, geeint auftreten können. Bezeichnen wir diese abwertende Weltsicht als Idealismus. Dann wird klar, dass Watzlawick, schon alleine darin, dass er keine Angst um seine Klugheit hat, wenn er heiter schreibt, ein Gegner dieses Idealismus sein muss; und somit ein Verbündeter jener philosophischen Haltung, die ich in einem sehr allgemeinen, auf die Philosophie der Antike wie der Gegenwart bezogenen Sinn als Materialismus beschrieben habe.1
In der Gegenwart, insbesondere in jenen Jahren, die Watzlawick nicht mehr erlebt hat, begegnen uns viele aktuelle Formen der Weltabwertungsphilosophie des Idealismus. Zum Beispiel gibt es Leute, die meinen, man könne die Wahrheit ohnehin nicht erreichen und solle sich darum lieber einer unverbindlichen und beliebigen postmodernen Spaßkultur hingeben. Andere wiederum hängen die Wahrheit so hoch, dass sie meinen, ihr nur durch ununterbrochenes Zweifeln und absichtliches Nichterreichen Genüge tun zu können – so machen es zum Beispiel jene Dekonstruktivistinnen und Dekonstruktivisten, die als Ergebnis immer auf ein Unentschieden aus sind und sich darin sogar für besonders schlau und kritisch halten, während sie sich in Wahrheit wohl eher nur über die eklatante politische Harmlosigkeit ihres Zeitvertreibs namens Dekonstruktion hinwegtäuschen. (Watzlawick hat bekanntlich über diesen philosophischen Typus in anderem Zusammenhang gespottet, als er bemerkte, es gebe Menschen, die ihre Ziele so »bewunderungswürdig hoch« setzten, dass sie sich eben dadurch ersparen, sie durch mühevolle Schritte jemals erreichen zu müssen.2) Und dann gibt es natürlich auch noch diejenigen, die sich einbilden, die Wahrheit wäre so unendlich kompliziert, dass man ihr unmöglich mit einer Leichtigkeit und Verständlichkeit im Stil des Schreibens gerecht werden könnte. Auch diese Autoren, die man in den derzeitigen Kulturwissenschaften leider nur allzu häufig antrifft, sind insofern nicht nur, ganz im Gegensatz zu Watzlawick, unbeholfene, stillose Schreiber sowie mut- und gedankenlose Zweitbenutzer bereits gedroschener Theoriephrasen; sondern eben in ihrer irrigen Annahme von der Unvereinbarkeit komplexen Denkens mit klarer und geschmeidiger Darstellung sind sie auch idealistische Abwerter der Welt.
Übrigens ist dieses grundsätzliche Abwerten der Welt, wie es der philosophische Idealismus regelmäßig vollzieht, eben durch seine Grundsätzlichkeit auch vollkommen unkritisch. Der Idealismus meint, alles Großartige und Erstrebenswerte könne in dieser, unserer schlechten Welt nur scheitern. Eine kritische Haltung dagegen sieht, wie leicht zu erkennen ist, anders aus. Denn nur wenn man davon ausgeht, dass gute, lebenswerte Verhältnisse in dieser Welt auch für alle herstellbar sind, dann kann man es den bestehenden Verhältnissen ankreiden, dass sie nicht so sind. Nur dann, wenn das Gute, Wahre und Schöne nicht als unvereinbar bestimmt und in ihrem Zusammentreffen auf eine spätere Welt verschoben sind, kann man von dieser Welt und den bestehenden Verhältnissen etwas fordern: »Gibt es ein Leben vor dem Tod?« – das ist (in den Worten Wolf Biermanns) die Frage des philosophischen Materialismus. Diese Position lässt sich, wie ich meine, alleine schon an der eleganten Form von Watzlawicks Überlegungen ablesen.