Barbara Sternthal

PITTEL + BRAUSEWETTER

Seit 1870

150 Jahre Bauen im Zentrum Europas

Aula im Finanzministerium

INHALT

Vorwort der Geschäftsführer

KAPITEL 1

GRÜNDUNG UND ETABLIERUNG 1870–1898

KAPITEL 2

MIT EISENBETON IN DIE ZUKUNFT 1898–1918

KAPITEL 3

NACH DEM GROSSEN KRIEG 1918–1926

KAPITEL 4

TURBULENZEN 1927–1939

KAPITEL 5

BAUEN IN ZEITEN DES KRIEGES 1939–1945

KAPITEL 6

NACH DEM KRIEG 1945–1955

KAPITEL 7

WIRTSCHAFTSWUNDER UND KONSOLIDIERUNG 1956–1979

KAPITEL 8

»QUALITÄT, KOMPETENZ, VERLÄSSLICHKEIT, NACHHALTIGKEIT« 1979–1992

KAPITEL 9

ZUKUNFTSORIENTIERT 1993– 2020

Chronologie, Stammbaum, Zweigstellen, Bibliografie, Personenregister

VORWORT

ADOLF BARON PITTEL war ein für seine Zeit ungewöhnlicher Unternehmer. Anders als die meisten seiner fast ausschließlich gewinnorientierten Zeitgenossen sah er die Arbeitswelt als einen ständigen Prozess des Gebens und des Nehmens. Als Unternehmer, so seine Philosophie, trug er Verantwortung, und zwar nicht nur für die Qualität seiner Produkte, sondern ganz besonders für seine Mitarbeiter. In einer Epoche, in der Bau- und Fabrikarbeiter oft genug menschenunwürdig leben mussten und in der ein Arbeitsunfall nicht selten geradewegs in die Armut führte, richtete Pittel eine freiwillige Sozial- und Altersversorgung für die rund zweihundert Menschen ein, die er in seinem Unternehmen beschäftigte. Pittel tat dies Jahre, bevor der Staat eine nennenswerte Sozialgesetzgebung auf den Weg brachte. Wir wissen aus alten Dokumenten auch, dass sich Adolf von Pittel darüber hinaus um die Familien jener kümmerte, denen bei der Arbeit in seinem Unternehmen ein Unglück zugestoßen war.

Als Pittels Kooperation mit Victor Brausewetter so weit gediehen war, dass die beiden einen Gesellschaftsvertrag schlossen und damit Pittel & Brausewetter (damals noch mit einem &-Zeichen und noch nicht mit dem heute vertrauten +) aus der Taufe hoben, war die Versorgung der Arbeiter weiterhin gesichert. Darüber dürfte es zwischen den Partnern keine Diskussion gegeben haben, denn Adolf von Pittel und Victor Brausewetter waren sich als technisch versierte Bauunternehmer nicht nur darüber einig, gemeinsam neue Wege des Bauens mit dem damals innovativen Baustoff Beton zu beschreiten. Sie teilten auch eine ähnliche Weltsicht, in der gewinnsüchtiger Egoismus auf Kosten der Mitarbeiter nichts verloren hatte. Das Unternehmen war für beide eine Art zweite Familie, in der sie als Unternehmensgründer die Rolle der Väter übernahmen, die sich um das Wohlergehen jener zu kümmern hatten, die sich ihnen anvertraut hatten und schließlich viel von der Leistung erbrachten, die wiederum die Bauunternehmung aufblühen ließ. Das Einvernehmen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei Pittel & Brausewetter war schon damals so gut, dass sich nicht selten auch die nächste Generation um Arbeit im Unternehmen bemühte. Waren die Voraussetzungen gegeben – Ausbildung, Fleiß, Einsatzbereitschaft –, wurden die Kinder oder Neffen und Nichten gern aufgenommen. Geben und Nehmen eben und gegenseitiges Vertrauen – nur so konnte es funktionieren.

Das war der Geist, in dem unser Unternehmen vor 150 Jahren gegründet wurde. Unsere Gründerväter waren engagierte, innovative und schöpferische Menschen mit Herz, die, durchaus gewinnorientiert rechnen konnten, für die das menschliche Maß aber immer Priorität hatte. Diese Eigenschaften verstanden sie weiterzugeben – Pittel vor allem an den jüngeren Victor Brausewetter, dieser an seine Söhne und an die engsten leitenden Mitarbeiter, die mit derselben Einstellung Filialen und vor allem Baustellen in halb Europa führten und den Namen Pittel & Brausewetter gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu einem Garant für Qualität und Verlässlichkeit machten.

Der innere loyale Zusammenhalt unseres Unternehmens, zu dem in den 1920er-Jahren die erste Generation Kohout und Heinlein stieß und später, eine Weile nach dem Zweiten Weltkrieg, auch Hans Brünner, war sicher ein Grund dafür, dass wir auch die schwierigsten Zeiten überlebt haben.

NEBEN DIESEM FRÜHEN, geradezu modern anmutenden Teambewusstsein waren es natürlich das ständig wachsende Know-how und die Kompetenz innerhalb des angebotenen Leistungsspektrums, die Pittel & Brausewetter um die vorvorige Jahrhundertwende zu einem der innovativsten Bauunternehmen der damaligen Monarchie machten. Ob es der damals brandaktuelle Einsatz von Beton für den Kanalbau am Ende des 19. Jahrhunderts war, die flammenden Plädoyers, die Leopold Heinlein für den Bau von Betonstraßen bereits in den 1920er-Jahren hielt, die außerordentlichen Kompetenzen hinsichtlich des Kraftwerkbaus, die mit der technischen Entwicklung immer Schritt hielten und unser Unternehmen noch heute auszeichnen: Niemals ging es um schnelle Erfolge, sondern immer um eine solide Basis und profundes Wissen, um Verlässlichkeit und Qualität. Einigkeit über diese Geschäftsgebarung herrschte nicht nur zwischen Adolf von Pittel und Victor Brausewetter, sondern auch zwischen den Generationen.

Doch keine Branche agiert im leeren Raum. Historische Ereignisse prägen nicht nur einzelne Menschen, sondern natürlich auch Unternehmen. Und so war auch Pittel & Brausewetter wohl oder übel Entscheidungen ausgesetzt, die Monarchen, Minister, Kanzler oder Präsidenten auf dem politischen Parkett trafen. So kam es, dass ein in weiten Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie agierendes Unternehmen nach dem Ersten Weltkrieg gezwungen war, sich fast völlig neu aufzustellen. Der Verlust der Zweigstellen konnte durch eine faszinierend kreative Firmenpolitik – mit kluger Risikobereitschaft geleitet vor allem von Benno Brausewetter, der sich der Zustimmung seines Vaters gewiss sein konnte – kompensiert werden. Doch die Zeit stand nicht still, und der „Anschluss“, das Dritte Reich sowie dessen Folgen trafen auch unser Unternehmen an seinem Lebensnerv. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, hatte Pittel & Brausewetter nicht nur viele Mitarbeiter aus allen Unternehmensbereichen auf den Schlachtfeldern verloren, auch das materielle Fundament unseres Unternehmens war in arge Mitleidenschaft gezogen: Gebäude, Maschinen- und Fuhrpark – vieles war zerstört, vieles beschädigt, und die große Holding, die aus zahlreichen Zweigstellen in vielen europäischen Städten bestanden hatte, war zerschlagen und verloren. De facto stand man im Mai 1945 vor dem Nichts. Eine Kapitulation vor diesen Zeitumständen aber stand nicht zur Diskussion. Man befand sich buchstäblich am Rande eines Abgrunds – und begann von vorne: Viktor jun., Benno und dessen Sohn Karl Brausewetter sowie Emanuel Kohout und Leopold Heinlein, nun auch bereits deren Söhne Otto und Gerhard sowie Hans Brünner, der 1951 zum Team stieß, schufen die Basis für einen erfolgreichen Neuanfang. Die Mitarbeiter kamen zurück, und auch wenn es noch eine Weile dauerte, bis man sie wieder ihren Kenntnissen und ihrer Leistung gemäß entlohnen konnte: Es ging ums Überleben, und dafür waren alle bereit, sich mit vollem Einsatz zu engagieren. Einmal mehr bewiesen die Firmenleitung und ihr Team, dass die schwierige Ära die beiden wesentlichen Standbeine von Pittel & Brausewetter nicht in Mitleidenschaft gezogen hatte: Kompetenz und Kontinuität. Parameter, die bis heute nichts an Bedeutung für unser Unternehmen eingebüßt haben.

IN DIESEM BUCH, das Sie hier vor sich haben, wird die Geschichte von Pittel+Brausewetter eingebettet in die jeweiligen Zeitumstände erzählt: 150 Jahre, in denen viele Menschen zum Gedeihen, zur Weiterentwicklung, zu Stabilität und zur Qualität unseres Bauunternehmens beigetragen haben. Es waren dies nicht nur die Träger der bekannten Namen, also die Mitglieder der Familien Pittel, Brausewetter, Kohout, Heinlein und Brünner – es war jede einzelne Mitarbeiterin, jeder einzelne Mitarbeiter in all diesen 150 Jahren, die und der durch Arbeit, Wissen, Einsatz, Einfallsreichtum, Teamfähigkeit und Verlässlichkeit zum Aufbau, zum Gelingen und zum Erfolg von Pittel+Brausewetter beigetragen hat.

Was läge daher näher, als dieses Buch zu unserem Firmenjubiläum Ihnen allen zu widmen: den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Pittel+Brausewetter.

WOLFGANG MAKOVEC UND WOLFGANG FÜRHAUSER WIEN, IM SOMMER 2020

SAMMELKANAL DER STADT WIEN, 1897
In den Jahren zwischen 1888 und 1914 kanalisierte Pittel & Brausewetter 112 Städte und Gemeinden der österreichisch-ungarischen Monarchie. In 21 Fällen handelte es sich sogar um Gesamtkanalisationen, wie uns Victor Brausewetter in seinen Erinnerungen wissen lässt.

SCHLOSSBRUNN-KOLONNADE IN KARLSBAD
Zwischen 1. Oktober 1911 und 1. Mai 1912 – also außerhalb der Kursaison – entstand diese Kolonnade nach Plänen des Architekten Johann Friedrich Ohmann. Sie umfasste die bereits 1769 entdeckte Heilquelle unter dem Schlossturm.

PRATERSTERN IN WIEN
Für Pittel & Brausewetter war der Praterstern im zweiten Bezirk Wiens eine wichtige Adresse: Um 1900 errichtete man hier einen Viadukt für die neue Stadtbahn, in den 1950er-Jahren war das Unternehmen wesentlich an der großflächigen Umgestaltung des Platzes beteiligt.

WOHNANLAGE LIESING
Beim Entwurf der 123 Wohnungen auf dem Areal der ehemaligen Brauerei dachte der Architekt Johannes Kaufmann die Kunst am Bau gleich mit. Im Bild ein Teil der Windskulpturen von Martin Walde.

HAUPTBAHNHOF WIEN
Drei Linien des Transeuropäischen Netzes kreuzen sich unter den markanten Rautendächern. Ihr stilisiert wellenförmiger Rhythmus symbolisiert die Welt- und Musikstadt Wien.

KAPITEL 1

GRÜNDUNG UND ETABLIERUNG

1870–1898

VORAUSSETZUNGEN

Als im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom Donnerstag, 23. Juni 1870, unter der Rubrik »Firma-Protokollirungen« (sic!) veröffentlicht wurde, Adolf Baron Pittel habe am 1. Jänner 1870 gemeinsam mit zwei Geschäftspartnern eine »Offene Gesellschaft« gegründet und ins Handelsregister eintragen lassen, befand sich ein aufregendes Jahr in seiner glänzenden Mitte. Die Zeichen standen auf Aufbruch, viele Ereignisse der Jahreschronik versprachen eine neue Ära, und nicht wenige wirken bis heute weiter. In Wien wurde im Jänner 1870 das von Theophil Hansen entworfene Musikvereinsgebäude mit einer Konzertserie der Extraklasse, an der unter anderem die Pianistin Clara Schumann mitwirkte, eröffnet, in New York begann man mit der Errichtung der weltweit als Wunder der Ingenieurskunst bestaunten Brooklyn Bridge und in den Schlachthöfen von Cincinnati kamen erstmals Fließbänder zum Einsatz. In München wurde Richard Wagners Walküre uraufgeführt, in Berlin die Deutsche Bank und in Hamburg die Commerzbank gegründet.

In diesem Jahr – 1870 – befand man sich schon weit in jenem »langen 19. Jahrhundert«, dessen Beginn man mit 1789 ansetzt, als die Französische Revolution die Vorherrschaft des Adels durchbrach, was zu einer europaweiten Entwicklung führte, die erst mit den politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen in der Folge des Ersten Weltkriegs ein Ende fand. Die Pfeiler, auf denen dieses ungewöhnliche Jahrhundert ruhte, hießen Industrialisierung, Rationalisierung, Liberalisierung, Nationalismus und ein dominierender bürgerlicher Unternehmergeist. Die Macht der Kirche wurde zurückgedrängt und machte Wissenschaft und Bildung Platz, zu denen nun – ganz den Idealen der Aufklärung entsprechend – auch breitere Schichten Zugang bekamen. Der alte Adel, reich und mächtig geworden in einer vorwiegend agrarischen Wirtschaft, in der vor allem riesiger Landbesitz zählte, verlor an Terrain. Ein selbstbewusstes Bürgertum dagegen investierte, wo immer möglich, in bahnbrechende Innovationen. Thomas Jeffersons berühmtes Briefzitat – »Mir sind die Träume der Zukunft lieber als die Geschichte der Vergangenheit« – verdichtete sich zum Motto der Epoche. Besonders die letzten drei, vier Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts bildeten eine wesentliche Zäsur in der Zivilisationsgeschichte: Dank wissenschaftlicher Erkenntnisse konnte sich der Mensch von der jahrhundertelang vorgegebenen Ordnung emanzipieren, konnte Schranken durchbrechen und sich selbst endlich als Homo faber, als schaffender Mensch, begreifen. Adolf von Pittel und Victor Brausewetter, die beide für sich und gemeinsam Produktionskräfte entfalteten, die nachhaltig aus dem Jahr 1870 bis in unsere Gegenwart weiterwirken, könnten durchaus als Prototypen dieser neuen Gesellschaftsordnung gelten.

ÖSTERREICH HATTE SICH im 19. Jahrhundert ebenfalls enorm gewandelt. Nach der Revolution von 1848 saß nun zwar ein blutjunger Kaiser auf dem Thron, doch die Hoffnungen, er würde wenigstens ansatzweise politisch liberal denken und einige Forderungen erfüllen, die durch die Aufständischen gestellt worden waren, lösten sich schnell in Luft auf. Ganz im Gegenteil, mit dem gerade einmal achtzehnjährigen Kaiser Franz Joseph begann der österreichische Neoabsolutismus und damit der Rückschritt zum absolutistischen Obrigkeitsstaat.

Dazu kam, dass sich der Kaiser in den ersten beiden Jahrzehnten seiner Regentschaft nicht gerade mit außenpolitischen Erfolgen geschmückt hatte: Er hatte nicht nur die Lombardei und Venetien verloren, sondern 1866 mit der verlorenen Schlacht bei Königgrätz auch die hegemoniale Macht im Deutschen Bund eingebüßt. Die Kriege waren teuer, die Staatsschulden hoch, der Kaiser sowohl in seinem eigenen Reich als auch im Ausland alles andere als beliebt. Die Stimmung in der Monarchie war teilweise so schlecht, dass manche lautstark der Hoffnung Ausdruck zu geben wagten, der Kaiser möge doch endlich zugunsten seines weitaus beliebteren Bruders Maximilian abdanken. Er tat es nicht, musste aber letztlich Kompromisse eingehen. Aufgewachsen und erzogen mit der felsenfesten Überzeugung, dem gottgewollten kaiserlichen Willen hätten sich die Untertanen submissest zu fügen, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als einerseits den nationalistischen und andererseits den liberalen Kräften im Staat bis zu einem gewissen Grad nachzugeben.

Das habsburgische Vielvölkerreich, nach Russland der zweitgrößte Staat Europas, erstreckte sich über nahezu 700.000 Quadratkilometer, auf denen knapp 52 Millionen Menschen lebten. Die Bevölkerung setzte sich unter anderem aus Deutschen und Ungarn, Polen, Slowaken, Tschechen, Serben, Slowenen, Rumänen, Juden, Italienern und aus so exotisch klingenden Ethnien wie Bunjewatzen, Huzulen oder Kraschovanern zusammen. Sie alle hatten unterschiedliche Sprachen, oft verschiedene Religionen, immer unterschiedliche Traditionen. Kaiser Franz Joseph sah sich selbst als ersten Beamten seines Staates, den zu verwalten ihm so betrachtet wohl manchmal fast unmöglich schien.

Das jedoch war nur eine Seite der Medaille, die andere zeigte eine Reihe von wirtschaftlichen Reformen in den ersten Jahren der Regierung Kaiser Franz Josephs, die zu einer Belebung der Konjunktur führten. Die Grunduntertänigkeit der Bauern wurde aufgehoben und auch die Zwischenzolllinie mit Ungarn. Die Gewerbeordnung von 1859 war enorm liberal und verlangte für die meisten Gewerbe nicht mehr als eine Anmeldung. Ausgenommen davon waren übrigens nicht nur die Buchdrucker und Buchhändler, das Gast- und Schankgewerbe und der Personentransport, sondern auch das Baugewerbe, die allesamt nach wie vor als regulierungsbedürftig betrachtet wurden und also konzessionspflichtig waren. Man plante ein Bündnis mit dem Deutschen Zollverein, was schließlich auf die Gründung eines großen mitteleuropäischen Marktes abzielte. Doch so hochfliegend die Pläne, so ernüchternd die Realität: Die vorhin beschriebenen außenpolitischen Fehlschläge und die innenpolitische Verfassungskrise zogen schließlich auch die Wirtschaft in Mitleidenschaft.

ERST 1867 – im Jahr, in dem der zweiundzwanzigjährige Victor Brausewetter sein Studium an der Polytechnischen Schule in Hannover abschloss – war vor diesem Hintergrund der Ausgleich mit Ungarn gelungen und die Realunion zweier Staaten, die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, ins Leben gerufen worden – ein Ereignis, das mit der Krönung Kaiser Franz Josephs und Kaiserin Elisabeths zu Königen von Ungarn am 8. Juni 1867 einen festlichen Höhepunkt fand.

Ende des Jahres 1867 erhielt zu guter Letzt auch die österreichische Reichshälfte eine Verfassung, zu der ein Grundrechtekatalog gehörte, der seinen Namen verdiente: Nahezu zwanzig Jahre nach den Aufständen von 1848 gab es nun im Rahmen der Dezemberverfassung ein Staatsgrundgesetz, in dem die Rechte der Staatsbürger festgehalten waren.

So unterschied sich jenes Österreich, in dessen Heer Adolf von Pittel als Soldat gedient hatte und in dem Victor Brausewetter aufgewachsen war, wesentlich von jenem Staat, in dem die beiden sich ab 1870 schließlich zu erfolgreichen Unternehmern entwickelten. Das Reich der Habsburger bestand nun aus zwei Hälften: Cisleithanien, die österreichische, und Transleithanien, die ungarische Reichshälfte. Man hatte sich auf eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik geeinigt, auf eine Handels- und Zollunion, eine gemeinsame Währung und die gegenseitige Anerkennung von Patenten – rechtliche Rahmenbedingungen, die letztlich auch für Pittel & Brausewetter und die ab den späten 1880er-Jahren gegründeten Filialen des Unternehmens von Bedeutung waren.

Während liberale und konservative Kräfte noch zäh um Autonomie und Verfassung rangen, standen die Zeichen in Wien auf Aufbruch. Die Stadt scheint in den 1860er- und 1870er-Jahren eine einzige riesige Baustelle gewesen zu sein, seit der Kaiser mit einem Handschreiben 1857 seinem Innenminister aufgetragen hatte, die Stadtmauern schleifen zu lassen, den solcherart gewonnenen Raum samt dem anschließenden Glacis sinnvoll zu verbauen und nicht zuletzt auch »auf die Regulierung und Verschönerung Meiner Residenz- und Reichshauptstadt Bedacht zu nehmen«. Dabei ging es nicht einfach um ästhetische Kriterien, ja noch nicht einmal darum, durch massive Investitionen in die Infrastruktur die Wirtschaft anzukurbeln. Es waren ganz wesentlich militärische Kriterien, die in den Überlegungen des Kaisers – damals gerade siebenundzwanzig Jahre alt – und seiner Ratgeber Priorität hatten. Angesichts des prächtigen Boulevards, der sich einem Band gleich um die Wiener Innenstadt zieht und der mit seiner Grandezza bis heute zu faszinieren vermag, vergisst man leicht, dass zu den ersten geplanten Ringstraßenbauten vier mächtige Kasernen zählten. Nur zwei wurden ausgeführt, nur eine blieb erhalten.

Wien scheint in den 1860er- und 1870er-Jahren eine einzige riesige Baustelle gewesen zu sein, seit der Kaiser mit einem Handschreiben 1857 seinem Innenminister aufgetragen hatte, die Stadtmauern schleifen zu lassen, den solcherart gewonnenen Raum samt dem anschließenden Glacis sinnvoll zu verbauen und nicht zuletzt auch »auf die Regulierung und Verschönerung Meiner Residenz- und Reichshauptstadt Bedacht zu nehmen«. Zu sehen ist hier das alte Fischertor in der Stadtmauer, das sich dort befand, wo heute Salzgries und Marc-Aurel-Straße ineinandermünden.

Das gesamte Areal der ehemaligen Stadtmauer und des Glacis umfasste rund 300 Hektar, wovon etwas mehr als 21 Prozent als Baufläche gewidmet waren. Darauf entstanden innerhalb von etwa fünf Jahrzehnten rund 850 Bauobjekte, von denen ein Viertel Bombenangriffen am Ende des Zweiten Weltkriegs zum Opfer fiel.

Die Bau-Commission, zuständig für die Vergabe der Bauparzellen, unterstand dem Innenministerium, das – in stilistischen Fragen ein Sprachrohr des Kaisers – eine größtmögliche harmonische Gesamtwirkung des Rings anstrebte. Platz war somit weder für kommunale Partikularinteressen noch für ästhetische Experimente. Moderne Materialien wurden historistischen Stilen untergeordnet, und erst ganz am Schluss der Bauzeit entstand mit Otto Wagners Postsparkassengebäude auch an der Ringstraße ein klares Bekenntnis zur Moderne.

Natürlich ist die Bautätigkeit an einem einzigen, wenn auch noch so prächtigen Straßenzug samt den angrenzenden Arealen für den enormen wirtschaftlichen Aufschwung in der österreichisch-ungarischen Monarchie nicht ausschlaggebend. Dennoch bildet sie den Zeitgeist des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts geradezu seismografisch ab – nicht zuletzt dank diesem, wie der Historiker Helmut Andics es formulierte, »himmelstürmenden Optimismus«, der nicht nur die Bautätigkeit an der Ringstraße, sondern die Gründerzeit insgesamt prägte. Zwischen 1867 und 1873 wurden mehr als eintausend Aktiengesellschaften an der Wiener Börse konzessioniert, und auch wenn der Großteil rein spekulativer Natur war, so zeigt sich an der Anzahl doch die Lust am Aufbruch, an der Innovation und ganz allgemein die »Euphorie des Fortschritts«.

Ein wesentlicher Parameter für den Fortschritt war der Ausbau des Eisenbahnnetzes in der Monarchie. Am Beginn standen Wagemut und Unternehmergeist, mit Sicherheit auch die Freude an dieser neuen unerhörten Geschwindigkeit, aber vor allem natürlich wirtschaftliche Überlegungen. Doch diese atemberaubend schnelle Möglichkeit zur Beförderung von Gütern und sogar Menschen war enorm teuer. Und so stellt sich die Geschichte des Eisenbahnbaus in Österreich als ein abwechselnd von privater und dann wieder staatlicher Hand finanziertes Unternehmen dar, das besonders für den Binnenhandel in den weitläufigen Gebieten der Monarchie von außerordentlich großer Bedeutung war. Zwischen 1866 und 1873 wurde das Schienennetz der Monarchie erweitert, und allein in der österreichischen Reichshälfte wuchs der Streckenumfang innerhalb von bloß sechs Jahren (1867 bis 1873) von knapp über 4.000 Kilometer auf mehr als 9.000 Kilometer an.

Der Höhepunkt der Gründerzeit dauerte nicht länger als fünf Jahre. Er begann 1868 und zeichnete sich durch einen Aufschwung gleich in mehreren Sparten aus: Dampfkraft und Kohleförderung florierten ebenso wie die Stahl- und Eisenindustrie, und Rübenzucker wurde zu einem der wichtigsten Exportgüter der Doppelmonarchie. Daneben wuchsen an der Ringstraße die wichtigsten staatlichen Gebäude empor – Staatsoper, Akademie der bildenden Künste, das Rathaus, Teile der neuen Hofburg, Kunst- und Naturhistorisches Museum.

Die Kehrseite der Medaille war, dass die Lebenshaltungskosten in dieser Ära stark stiegen. Für die Königswarter, die Epstein, Ephrussi oder Todesco, die sich ihre Ringstraßenpalais errichten ließen, kein Problem, wohl aber für jene, die mit vollem Einsatz bauten.

Arbeitskräfte waren im Wien dieser Ära höchst begehrt. Und die sehr oft ungelernten Tagelöhner und Tagelöhnerinnen kamen in großer Zahl aus den Kronländern – aus Italien, Ungarn, Kroatien und vor allem aus Böhmen. Die Hoffnung der meisten war groß, die Ernüchterung ebenfalls. Gearbeitet wurde nicht selten achtzehn Stunden an zumindest sechs Tagen pro Woche. Wenn Fertigstellungstermine näher rückten, wurde auch am Sonntag gearbeitet. Nur zum Kirchgang gab es zwei Stunden frei, und angeblich waren die Sonntagsmessen nie besser besucht als damals. Selbst nachts wurde gearbeitet. Dann hoffte man auf einen klaren Mond. Verbarg er sich hinter Wolken, wurden Fackeln aufgestellt.

Der Lohn für einen solchen Arbeitstag: rund ein Gulden für Männer, bestenfalls achtzig Kreuzer für eine Frau. Gearbeitet wurde an rund 230 Tagen im Jahr, solange es eben warm und trocken genug war, um zu bauen. Für den Rest des Jahres konnten Arbeiter und ihre Familien nur hoffen, genug gespart zu haben, um über die Runden zu kommen. Das allerdings war fast unmöglich: Gegen das Jahreseinkommen eines Arbeiters von rund 270 Gulden standen beispielsweise jährliche Mietkosten von circa 230 Gulden. Dazu kamen die Wohnungsnot und daher ununterbrochen steigende Mieten. Wien platzte aus allen Nähten, nachdem seine Einwohnerzahl sprunghaft angestiegen war und sich zwischen 1857 und 1890 von 700.000 auf 1,4 Millionen Menschen verdoppelt hatte. Wer viel Glück hatte, konnte in einer der neuen, schlampig gebauten Zinskasernen in einer der Vorstädte eine Zimmer-Küche-Wohnung für sich und seine Familie bezahlen, wer weniger Glück hatte, mietete für ein paar Stunden Schlaf das Bett eines anderen, der gerade bei der Arbeit war. Wer kein Glück hatte, schlief auf der Baustelle.

»Die Ringstraßenpaläste«, schrieb der Kulturpublizist Friedrich Pecht 1873, »sehen alle so aus, als ob ihre Besitzer unter der Haustüre ständen und mit den Händen in den Taschen die harten Thaler klimpern ließen.« So falsch ist dieses Bild nicht, sieht man sich nur ein paar Zahlen an: Der Ziegelfabrikant Heinrich Drasche bezahlte allein für das Ringstraßengrundstück gegenüber der Hofoper, wo er den Heinrichhofs errichtete, rund 37.000 Gulden – noch nicht eingerechnet das Honorar für den Architekten Theophil Hansen und die Kosten für den Bau selbst (so schlugen etwa die Errichtung der Hofoper mit sechs, das Burgtheater mit acht und die beiden Hofmuseen mit dreizehn Millionen Gulden zu Buche). Drasche konnte sich das Karree leisten, denn der Ziegelbedarf lag um 1870 bei jährlich 330 Millionen Stück und diese wurden zu einem Preis von bis zu 34 Gulden pro tausend Stück verkauft. Ein Lehrer verdiente damals bestenfalls 500 Gulden pro Jahr, womit er selbst von einem bescheidenen Häuschen auf der grünen Wiese nur träumen konnte.

DER »GREAT SPURT« – geprägt von Fortschrittseuphorie, Fabrik- und zahlreichen Bankengründungen, um den steigenden Kapitalbedarf zu decken – fand ein jähes Ende, als man ihn der Welt vorführen wollte. Zuvor hatte man auf dem Gelände des Wiener Praters noch unter Hochdruck an den Bauten für die Wiener Weltausstellung, die am 1. Mai 1873 eröffnet werden sollte, gearbeitet und als glänzenden Mittelpunkt die gigantische Rotunde in die Höhe gezogen. Darüber hinaus waren an der Ringstraße zahlreiche Hotelbauten errichtet worden, um dem erwarteten Ansturm von Besuchern aus aller Welt Herr zu werden. Man hatte sogar intensive Infrastrukturmaßnahmen ergriffen, das Pferdetramwaynetz ausgebaut, die Donauregulierung ein gutes Stück vorwärtsgebracht und die Errichtung der Wiener Hochquellenwasserleitung abgeschlossen.

Die Preise für Lebensmittel und alltägliche Konsumgüter, die Mieten und die Börsenkurse hatten im Frühjahr astronomische Höhen erreicht, während die Realeinkommen gleichzeitig gesunken waren. Die Krise war unverkennbar da und führte am Freitag, dem 9. Mai 1873, zu einem heftigen Kurssturz. Als der Sommer eine Missernte brachte und darüber hinaus die Cholera ausbrach, die in Wien dreitausend Opfer forderte und den Besucherstrom zur Weltausstellung abreißen ließ, hatte sich der Glaube an eine ewigwährende Hochkonjunktur endgültig als reine Illusion erwiesen.

DIE ANFÄNGE IM TRIESTINGTAL

Das niederösterreichische Triestingtal lag in angenehmer Distanz zur hypertrophen, überhitzten Nervosität der Reichs- und Residenzstadt. Etwas mehr als fünfzig Kilometer trennten das Tal von Wien, eine schwache Tagesreise also. Gesunde Strukturen, die darauf warteten, in die richtigen Bahnen gelenkt zu werden, und Rohstoffe in ausreichender Menge. Ein Ort, an dem sich einem innovativen Geist genügend Möglichkeiten boten, die Zukunft nach eigenen Ideen mitzugestalten, anstatt auf fahrende Züge zu springen. Denn von verschlafener, ländlicher Idylle konnte hier, am südlichen Saum des Wienerwalds, kaum die Rede sein. Seit dem Mittelalter wurde die Wasserkraft der Triesting für Mühlen und Schmieden genutzt, und ab dem späten 18. Jahrhundert siedelten sich in der Gegend zunehmend Industriebetriebe an, die zum Teil klingende Namen trugen. Da entstand bereits 1760 ein Eisenhammer samt Messerfabrik, wo damals bereits an die 12.000 Klingen pro Jahr produziert wurden. Achtzig Jahre später wurde das Werk zur berühmten Pottensteiner Baumwollspinnerei umfunktioniert, die im Wesentlichen bis 1981 bestand. Das Gebäude, ein veritables Architekturdenkmal früher Industriekultur, gibt es noch heute, auch wenn hier längst die Straßenmeisterei eingezogen ist.

Direkt neben Pottenstein liegt Berndorf, das untrennbar mit dem Namen Krupp verbunden ist. Hermann Krupp hatte hier gemeinsam mit Alexander von Schoeller – Gründervater nicht nur der Schoeller-Bleckmann Stahlwerke, sondern auch der Schoellerbank – eine Metallwarenfabrik etabliert, die später Hermanns Sohn Arthur führte. Arthur Krupp, eng mit Adolf von Pittel befreundet, ist bis heute im Stadtbild Berndorfs präsent – mit der Schule, deren jedes Klassenzimmer eine andere historische Epoche darstellt, dem Stadttheater Berndorf sowie dem Krupp-Mausoleum und dem Hermann-Krupp-Denkmal, ein reizvoll-zierliches Säulentempelchen am Ufer der Triesting.

ALS ADOLF FREIHERR VON PITTEL nach dem Ende des Zweiten Schleswig-Holsteinischen Kriegs, in dem Österreich an der Seite Preußens einen der vielen durch nationale Bestrebungen ausgelösten Krieg ausgefochten hatte, seinen Abschied vom Militär nahm, zog er nach Kaumberg im Triestingtal. Er war kaum dreißig Jahre alt, hatte in der k. u. k. Technischen Militärakademie eine hervorragende Ausbildung genossen, war Pionier im Genie-Korps gewesen und verfügte solcherart über ein beachtliches und vor allem fundiertes technisches Wissen. Es brachliegen zu lassen wäre eine Schande gewesen. Viel naheliegender war es in diesem innovatorischen Klima, das die Zeit um 1870 prägte, das umfangreiche Wissen um Material, Statik und Gebrauchsarchitektur zum Brotberuf zu machen.

Der kleine Ort Weißenbach an der Triesting hält die Erinnerung an Adolf Baron Pittel bis heute in Ehren. Vorne links die Zementfabrik des innovativen Industriellen, rechts im Hintergrund die neugotische Herz-Jesu-Kirche, die er errichten ließ.

Zement war der Werkstoff der Zukunft. Die Nachfrage war enorm, und die Infrastruktur des Triestingtals, wie der Baron sie vorfand, geradezu ideal. Zuerst erwarb er 1869 im rund zehn Kilometer von Kaumberg entfernten Taßhof (es gehört heute zu Altenmarkt an der Triesting) von Johann Beihol ein seit 1852 bestehendes Werk und brachte es auf den neuesten technischen Stand, um hier Romanzement – ein im Wasser härtendes Bindemittel aus natürlichen Puzzolanen, das noch heute für Restaurierungsarbeiten und, da es schwefelfrei ist, für Wasserbauten verwendet wird – zu erzeugen. Die Ressourcen für den Rohstoff fand er in einem Steinbruch direkt oberhalb des Werks.

Das Jahr 1870 schließlich wurde das zentrale Jahr der Veränderungen und des Neubeginns: Adolf von Pittel verlegte seinen Privatwohnsitz nach Pottenstein und gründete gleichzeitig sein vielversprechendes Unternehmen. Gemeinsam mit August Braun, einem Ingenieur in Pottenstein, und Nicanore Rella, einem Kaufmann in Wien, wurde die offene Handelsgesellschaft Adolf Baron Pittel & Comp. ins Handelsregister eingetragen. Zweck der Handelsgesellschaft war der Betrieb einer Zementfabrik mit zu Beginn vierzehn Arbeitern.

BARON ADOLF PITTEL

ADOLF VON PITTEL, der als innovativer Fabrikant und als ein für seine Zeit ungewöhnlich sozialer Arbeitgeber in die Geschichte einging, stammte aus einer niederösterreichischen Familie mit starker Affinität zum Militär. Sein Großvater besetzte als Ober-Feldkriegscommissär eine hohe Position in der Armeeverwaltung. Sein Vater Christoph, geboren 1789 in Krems an der Donau, erhielt seine Ausbildung in der k. k. Technischen Militärakademie und war Ende 1805 als »Corpscadet« an der Verteidigung Wiens gegen die Truppen Napoleons beteiligt. Im Sommerfeldzug von 1815 schlug sich Christoph Pittel an der Spitze seiner Mannschaft derart wagemutig und erfolgreich, dass er mit dem Ritterkreuz des Maria-Theresien-Ordens, dem damals höchsten militärischen Ehrenzeichen, gewürdigt wurde. Entsprechend den Ordensstatuten folgte vier Jahre später die Erhebung in den erblichen Freiherrenstand. Im Mai 1830 heiratete Baron Christoph von Pittel Wilhelmine von Camuzzi, die Tochter eines bayrischen Beamten, mit der er vier Söhne und zwei Töchter hatte: August, Heinrich, Florentina, Julius, Adolf und Henriette. Alle Söhne traten in den Militärdienst, beide Töchter heirateten Soldaten.

Ende der 1830er-Jahre war Christoph von Pittel in Böhmen stationiert, und zwar in Josefov, wo am 17. März 1838 sein jüngster Sohn Adolf zur Welt kam. Ob dieser als Halbwüchsiger die Militärlaufbahn freiwillig oder aufgrund der Familientradition einschlug, wissen wir nicht. Sicher ist, dass er sich als technisch ebenso begabt wie sein Vater und die älteren Brüder erwies und ebenso wie diese eine militärisch-technische Ausbildung erhielt, und zwar an der k. k. Genie-Akademie, die sich zwischenzeitlich nicht in der Wiener Stiftgasse, sondern im südmährischen Klosterbruck befand.

Adolf von Pittel schloss die Genie-Akademie im Sommer 1856 erfolgreich ab, wurde vorerst als »Unterlieutnant 2. Klasse« zum 8. Geniebataillon abkommandiert und in den folgenden Jahren mit schöner Regelmäßigkeit befördert. Am kläglich verlorenen Sardinischen Krieg 1859 in Norditalien nahm Adolf von Pittel ebenso teil wie 1864 am Deutsch-Dänischen Krieg. Zwei Jahre später quittierte er, mittlerweile im Rang eines Hauptmanns, den Dienst. Es waren gesundheitliche Gründe, die den gerade erst achtundzwanzigjährigen Mann dazu zwangen, nachdem er drei Jahre zuvor, im Oktober 1861, einen Buben aus der Hochwasser führenden Salzach gerettet hatte. Seine Courage brachte ihm eine chronische Lungenerkrankung ein und Rückenverletzungen, an denen er sein Leben lang laborieren sollte.

Aus der Bahn werfen ließ sich Adolf von Pittel davon nicht. Voller Tatendrang und technisch versiert, begann er 1869 seine postmilitärische Karriere mit dem Aufbau einer riesigen Zementfabrik im Triestingtal, wo er vorerst Romanzement und später Portlandzement sowie eine Reihe von Zementwaren (darunter Grabsteine, Stufen, Randsteine, Balustraden und vieles mehr) herstellte. Am Beginn stand der Kauf einer alten Kalkerzeugungsanlage, die Pittel zur Romanzementfabrik umbaute.

Das Jahr 1870 wurde zum Schlüsseljahr: Er heiratete Leopoldine de Collin-Tarsienne – eine Ehe, die sich als ausgesprochen glücklich herausstellen sollte – und gründete gemeinsam mit Nicanore Rella, Kaufmann in Wien, und Ingenieur August Braun aus Pottenstein die Offene Handelsgesellschaft Adolf Baron Pittel & Cie. Was der vorausschauende Mann gemeinsam mit dem Bauunternehmer Peter Giacomozzi in diesem Jahr ebenfalls erreichte, war die offizielle »Bewilligung zur Vornahme technischer Vorarbeiten für Abzweigungen von der Linie Leobersdorf–St. Pölten«: Adolf von Pittel hatte auf einer ausgedehnten Reise durch Frankreich und England ein paar Jahre zuvor auch gesehen, dass schwere Lasten nicht mehr mit Ochsenkarren, sondern überall mit der Bahn transportiert wurden. Ab 1877 war die Trasse der Südwestbahn in Betrieb und hatte direkt an den Werksanlagen Pittels eine Haltestelle.

Die Ehe zwischen Adolf von Pittel und Leopoldine de Collin-Tarsienne stellte sich als ausgesprochen glücklich heraus, blieb aber leider kinderlos.

Schrittweise wurde die Fabrik ausgebaut, neue Anlagen dazugekauft und adaptiert und die Infrastruktur zwischen Steinbruch, Mühlen und Öfen verbessert. Pittel war in seiner Region nicht nur einer der größten Arbeitgeber mit teilweise bis zu zweihundert Beschäftigten, er war auch beliebt, sozial und integriert. Als sich Adolf und Leopoldine von Pittel 1878 entschlossen, nach Weißenbach zu übersiedeln, kam das dem ganzen Ort zugute. Auf Pittels Initiative und über weite Strecken auch von ihm finanziert, entstanden in den folgenden Jahren ein Schwimmbad, eine Parkanlage, ein Erholungsheim, Wohnhäuser für seine Arbeiter, die Pfarrkirche, die auf neuestem technischen Stand in Betonbauweise errichtet wurde, ein Krankenhaus und ein Kindergarten. 1886 ließ Pittel außerdem das erste Elektrizitätswerk mit einer Leistung von 51 kW in seiner Weißenbacher Fabrik errichten, und 1897 ging die Installierung der elektrischen Straßenbeleuchtung in Weißenbach – der zweite Ort Niederösterreichs, der über eine solche verfügte – ebenfalls auf die Initiative Adolf von Pittels zurück.

Im Jahr 1895 wurden die Zementproduktionsstätten des Triestingtals zur Aktiengesellschaft der Kaltenleutgebener Kalk- und Zementfabrik umgewandelt, an deren Spitze Adolf von Pittel agierte, der außerdem federführend an der Gründung des Bundes österreichischer Industrieller (die heutige Industriellenvereinigung) mitwirkte.

Doch Pittels Gesundheitszustand war anfällig und er begann sich langsam aus allen Unternehmen zurückzuziehen. Sein Tod am 6. Jänner 1900 kam dennoch unerwartet und war nicht nur für seine Frau und sein Triestingtaler Unternehmen ein Schock, sondern auch für seinen Geschäftspartner in Wien, Victor Brausewetter. Auch Weißenbach wusste, was es verloren hatte, und stiftete eine Büste, die 1902 enthüllt wurde und noch heute auf dem Kirchplatz steht.

Leopoldine von Pittel, einer sanften und feinfühligen Frau, war es nicht gegeben, zusammenzuhalten, was ihr Mann aufgebaut hatte. Konjunktureinbrüche, der Erste Weltkrieg und die Wirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit setzten auch den letzten Resten von Pittels Betrieb arg zu. Krank, auf Pflege angewiesen und so gut wie mittellos starb Leopoldine von Pittel im September 1929.

Bei der von Adolf Baron Pittel gestifteten Herz-Jesu-Kirche in Weißenbach an der Triesting handelt es sich um eine neugotische Saalkirche, die nach Entwürfen des Architekten Ludwig Schöne errichtet wurde.

Die Nachwelt flicht ihren Helden Kränze: Diese Büste ist Teil einer Denkmalanlage für Adolf Baron Pittel, dem Weißenbach nicht nur seine katholische Pfarrkirche, sondern auch die Anbindung an das Bahnnetz zu verdanken hat.

Die frühen Jahre von Pittels jungem Unternehmen waren eine Abfolge von Zukäufen, Erweiterungen und Veränderungen in der personellen Zusammensetzung der Firmenleitung. Nicanore Rella trat bereits 1872 wieder aus der Firma aus, blieb ihr aber in finanzieller Hinsicht noch zumindest bis 1876 erhalten, da er Pittel für die Expansion Kapital lieh. Nicanore Rella gründete ebenfalls ein Bauunternehmen – N. Rella & Neffe – und blieb Adolf von Pittel nicht bloß als Kapitalgeber, sondern auch freundschaftlich verbunden. Ein weiterer Neffe Nicanores, Attilio Rella, trat bald darauf in das Unternehmen ein und wurde später zu einem der Prokuristen ernannt.

Im selben Jahr, als Rella sich aus dem Geschäft zurückzog, erwarb Pittel in Weißenbach an der Triesting um 7.000 Gulden eine Sägemühle, die er in eine Zementmühle umbauen ließ. Finanzieren musste Pittel sowohl den Kauf als auch die Werksadaptierung mithilfe von Krediten, wobei ihm – von Rellas Unterstützung abgesehen – einen Teil der benötigten Summe seine Schwägerin Louise von Negrelli lieh und einen weiteren Caspar Greitner, Bäcker und Bürgermeister von Weißenbach. Der technische Aufwand ist nicht zu unterschätzen, denn das Rohmaterial wurde im örtlichen Steinbruch abgebaut und mittels eines Seilschrägzugs ins Tal gebracht, bevor die Weiterverarbeitung im Werk erfolgen konnte. Rund 2.000 Tonnen Zement wurden hier jährlich produziert.

EIN ERFOLGREICHER INDUSTRIELLER im damals noch abgelegenen Triestingtal, dessen Güter vor allem in Wien und in Ungarn abgesetzt wurden, musste ein vitales Interesse daran haben, Transporte nicht nur wirtschaftlich, sondern auch schnell organisieren zu können. So nimmt es nicht weiter wunder, dass sich Adolf von Pittel stark für den Ausbau der Verbindungsstrecke zwischen Westbahn und Südbahn engagierte, für die er bereits 1869 die später tatsächlich realisierte Trasse von Leobersdorf über Hainfeld bis St. Pölten vorgeschlagen hatte.

Das Unternehmen war nicht einfach, denn der Ausbau des Bahnnetzes in der Habsburgermonarchie wurde lange Zeit durch Privatgesellschaften organisiert und finanziert. Der Nachteil dieses privatwirtschaftlichen Eisenbahnnetzes war, dass sich viele der an den privaten Bahngesellschaften beteiligten Finanziers und Aktionäre verspekulierten, sodass besonders im Krisenjahr 1873 zahlreiche Bahnunternehmen derartig rote Zahlen schrieben, dass nur eine Notverstaatlichung sie retten konnte. Ähnliches lässt sich auch von der für Baron Pittel so wichtigen Leobersdorfer Bahn berichten: Im November 1874 wurde die Konzessionsurkunde für Bau und Betrieb dieser Bahn ausgestellt, ab 1876 war die k. k. priv. niederösterreichische Südwestbahn – so ihr offizieller Titel – auf staatliche Unterstützung angewiesen, die letztlich aber auch nichts nützte, sodass der Staat im Jahr 1878 die gesamte Bahnanlage übernahm.

Für Victor Graf Wimpffen, einen der Bahnaktionäre mit gewaltigen Eigeninteressen, war das wohl eine Erleichterung: Der Mann, der sich auf seine Weise um das Triestingtal so verdient machte wie Adolf von Pittel, konnte sich nun auch finanziell ganz der durchaus erfolgreichen und hohe Gewinne versprechenden Entwicklung der Region als Sommerfrischedestination widmen. Und für Adolf von Pittel war der verstaatlichte Betrieb mit Sicherheit ein verlässlicherer Partner als die marode Aktiengesellschaft, zumal der Bedarf an Zement in den folgenden Jahren beträchtlich anstieg, sodass er seine Werksanlagen ständig erweitern musste. Das allerdings entschied er bereits mit seinem kongenialen neuen Partner Victor Brausewetter.

Im Jahr 1878 hatte Adolf von Pittel seinen Wohnsitz nach Weißenbach verlegt und war jetzt Alleininhaber der Firma, nachdem auch August Braun ausgeschieden war. Neben Romanzement verarbeitete er nun auch bereits Portlandzement. Dieser Zement wurde aus einem künstlichen Gemisch von Kalkstein und Ton hergestellt und immer wieder in seiner Zusammensetzung verändert. Benannt hat ihn sein Erfinder, der Brite Joseph Aspdin, nach der südenglischen Isle of Portland. Kunststeine aus Portlandzement sollen ausgehärtet ursprünglich nämlich dem einst beliebten Portland-Stein ähnlich gesehen haben, aus dem in London nach dem großen Brand von 1666 zahlreiche Bauten errichtet wurden. Pittel erzeugte nun darüber hinaus Kunststeine – Torpfeiler, gefärbte Pflasterplatten für Bäder und Dielen, Säulen, Gesimse, Grabplatten und Grufteinfassungen, aber auch Senkgruben, Wasserbehälter und Brunnendeckplatten. Sogar ein spezielles farbiges Marmormuster wurde entwickelt, dessen Herstellung ein wohlgehütetes Betriebsgeheimnis war. Und um dem ständig zunehmenden Bedarf von Zement gerecht werden zu können, expandierte Pittel in Weißenbach in einem beachtlichen Umfang. Er erwarb weitere Grundstücke, errichtete Wohnhäuser für seine Arbeiter und Angestellten und darüber hinaus auf seinem Firmengelände eines der ersten Elektrizitätswerke auf dem Boden der österreichisch-ungarischen Monarchie.

AUFBRUCH

Woher einander Adolf von Pittel und Victor Brausewetter tatsächlich kannten, ist ein ungelöstes Rätsel. Für einen bestimmten Zeitabschnitt vor allem der 1870er-Jahre übernimmt hier also der Konjunktiv: Dass die beiden im Zweiten Schleswig-Holsteinischen Krieg zusammenarbeiteten, wie in der Festschrift der Herz-Jesu-Kirche in Weißenbach zu lesen ist, ist eher unwahrscheinlich: Pittel war der Sohn eines Offiziers und strebte vorerst dieselbe Karriere wie sein Vater an, bevor er sich aus dem aktiven Militärdienst zurückzog. Brausewetter dagegen stammte aus einem bürgerlichen Haus, das kaum militärische Affinitäten hatte. Und durch den Altersunterschied von sieben Jahren müsste man die beiden doch in eher unterschiedliche Chargen einordnen – kaum anzunehmen, dass sie gemeinsam gedient haben könnten.

Viel eher besteht da schon die Möglichkeit – selbst wenn auch das nicht mehr als eine unbestätigte Vermutung, allerdings mit einem gewissen Wahrscheinlichkeitsgehalt, darstellt –, dass die beiden eines schönen Tages dank der vielfältigen Kontakte eines anderen Victor Brausewetters aufeinandergetroffen waren. Dieser Victor Brausewetter, ein Onkel von Pittels späterem Geschäftspartner, hatte die Doblhoff’sche Terrakottafabrik in Wagram bei Leobersdorf übernommen und war damit geschäftlich enorm erfolgreich. Bevor sich Theophil Hansen dem Industriellen Heinrich Drasche und damit der Wienerberger Ziegelfabrik zuwandte, arbeitete er vorwiegend mit Brausewetter, der sich vor allem um die Herstellung von Terrakottadetails für zahlreiche historistische Bauten verdient machte, darüber hinaus Entwürfe renommierter Bildhauer realisierte und seine Produkte in großem Stil exportierte. Das Unternehmen florierte und brachte natürlich vielfältige gesellschaftliche Kontakte mit sich. Dass Victor Brausewetter (der Onkel) außerdem Architekt war – der Beruf, den er eigentlich ausüben wollte, wäre er in Wien nicht vom Fleck weg als Geschäftsführer der Terrakottafabrik engagiert worden –, ließ weitere Beziehungen entstehen, da er das Entwerfen von Bauten nie ganz aufgegeben hatte. So konzipierte Victor Brausewetter beispielsweise eine Villa für Thomas von Cornides in Weißenbach an der Triesting, deren Bau er auch beaufsichtigte. Cornides wiederum, Besitzer einer Metallwarenfabrik, verkaufte einige Jahre später eine Mühle an Adolf von Pittel. Ob sich hier das »missing link« befindet?

Tatsache ist, dass Victor Brausewetter, unser Firmen-Mitbegründer, in seinen Erinnerungen, die er 1925 für die Zeitschrift Beton und Eisen verfasste, von seinem »langjährigen Freund Adolf Baron Pittel« schrieb und davon, dass sie »ununterbrochen in geistigem Verkehre« standen. Fakt ist auch, dass Adolf von Pittel und Victor Brausewetter ihre Berufslaufbahnen nahezu gleichzeitig in Angriff nahmen. Während Pittel mit seinem Zementwerk nach und nach das Triestingtal eroberte, absolvierte Victor Brausewetter zuerst ein Technikstudium an der Polytechnischen Schule in Hannover, bevor er eine Stelle bei der österreichischen Staatseisenbahngesellschaft antrat.

Victor Brausewetters erste Aufgabe bei der Bahn hielt ihn noch in Wien, wo er als Bauführer-Stellvertreter an der Errichtung der Stadlauer Eisenbahnbrücke über die Donau beteiligt war. Der Auftrag war durchaus eine Herausforderung, denn noch war die Donauregulierung in vollem Gange. Wie breit das Flussbett hier sein würde, war ebenso wenig geklärt wie die Breite des Überschwemmungsgebiets. Dennoch war die Brücke von zentraler Bedeutung, war sie doch als unverzichtbares Bindeglied zwischen dem Getreide im Marchfeld und Wien geplant.

Zuerst verlief hier die Tyrnauer Pferdeeisenbahn, danach dirigierte Victor Brausewetter von Bratislava aus den Umbau in eine Lokomotiveisenbahn, und zwar für die private Gesellschaft Waagtalbahn.