Über dieses Buch:
Noch immer träumt sie von seinen glühenden Berührungen und fordernden Küssen … Wie durch ein Wunder überlebt die junge PR-Managerin Cherish einen Flugzeugabsturz, doch von Conor, ihrer große Liebe und dem Piloten der Maschine, jede Spur fehlt. Dann aber hört sie Gerüchte, dass Conor noch lebt – und für den Absturz verantwortlich sein soll. Kann Cherish ihm noch trauen? Auch die schöne Sydney wird von den Schatten ihrer Vergangenheit verfolgt: Als ihr rachsüchtiger Ehemann aus dem Gefängnis entlassen wird, bittet sie den geheimnisvollen Alec Porter um Hilfe, der die Machenschaften ihres Mannes damals aufdeckte. Schon bald verstricken sich Sydney und Alec in ein ebenso gefährliches wie prickelndes Spiel …
»Unübertroffen und unverwechselbar!« Romantic Times
Über die Autorin:
Olga Bicos wurde in Havanna geboren, studierte Jura in Berkley und arbeitete als Firmenanwältin in einem Medienunternehmen in Los Angeles, bevor sie sich ganz der Schriftstellerei zuwandte. Abenteuerlustig und weit gereist, lebt sie heute mit ihrer Familie in Kalifornien. Für ihre gefährlich-charmanten Helden wurde Olga Bicos für den begehrten K.I.S.S. Award der Romantic Times nominiert.
Olga Bicos veröffentlichte bei dotbooks auch den prickelnden Liebesroman »Passion – Süßes Verlangen« sowie die historischen Liebesromane »Die Farbe der Kaktusblüte«, »Die Liebe des Lords« und »Die Lady und der Gentleman«.
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Sammelband-Originalausgabe Juni 2020
Copyright © der enthaltenen Neuausgabe »Fever - Gefährliche Liebe«: Die amerikanische Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel »Perfect Timing« bei Zebra Books, Kensington Publishing Corp., New York, Copyright © 1998 bei Olga Gonzales-Bicos; Copyright © der deutschen Erstausgabe unter dem Titel »Herz im Feuer« 2000 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Bertelsmann GmbH; Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München
Copyright © der enthaltenen Neuausgabe »Fever - Eiskalter Kuss«: Die amerikanische Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel »Heat of the Moment« bei Zebra Books, Kensington Publishing Corp., New York, Copyright © 2001 bei Olga Gonzales-Bicos; Copyright © der deutschen Erstausgabe unter dem Titel »Verborgene Glut« 2002 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH; Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München
Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München
Published by Arrangement with Olga Gonzalez-Bicos
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung zweier Bildmotive von © shutterstock / kiuikson / Tobias Arhelger
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-96655-074-1
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Olga Bicos
Bad Boy - Games of Passion
Zwei Romane in einem Band
dotbooks.
Countdown: 30 Tage; 22 Stunden; 15 Minuten
Der Horizont neigte sich und verschwand in einer leuchtend-blauen Ferne. Einen schwerelosen Augenblick später raste ihm die Erde entgegen. Conor Mitchell spürte die Gravitation, die ihn am Sitz festnagelte, und zog den Steuerknüppel zwischen die Beine. Behutsam schob er ihn nach vorn und lauschte dem verstärkten Surren des Propellers. Der Sicherheitsgurt schnitt in seine Brustmuskeln.
Selig beobachtete er, wie sich das Firmament waagrecht vor ihm erstreckte. In diesem Moment kannte er keine Sorgen.
»O Gott, o Gott, o Gott ...«
Das Gebet knisterte in seinem Kopfhörer, und er schaute auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten. Sie wird's nicht schaffen. »Jetzt haben Sie Ihren Mann im Visier, Elise. Wenn Sie auf ihn schießen möchten – das ist der richtige Augenblick.«
»Wie konnte ich mir das nur einreden?« Die Stimme der Frau, die neben ihm in der militärischen Übungsmaschine saß, klang nicht hysterisch, sondern sachlich. »Und diese Kamera zeigt direkt auf mein Gesicht. Das hab ich mir gewünscht – eine bleibende Erinnerung an meine Kotzerei.«
»Konzentrieren Sie sich aufs Ziel. Sie müssen daran glauben, daß Sie ihn vom Himmel runterholen können.« Manchmal funktionierte so ein Ablenkungsmanöver.
Auf einem der beiden Displays liefen die irisierenden grünen Linien im Zentrum zusammen, das die Maschine vor Conors Flugzeug markierte. Das elektronische Suchsystem hatte das Ziel gefunden, und Elise drückte ab. »Stirb, David, stirb!«
»Ein direkter Treffer«, sagte er ins Kopfhörermikrophon. Gehorsam raste die ›feindliche‹ Maschine senkrecht nach unten und zog einen Rauchschleier hinter sich her, während die Bordkamera die Aktion aufzeichnete, einen zweifellos erfolgreichen Hit für Elise Waldens nächste Dinnerparty. »Toller Job, Elise, genau der richtige Killerinstinkt.« Conor schaltete vom Jäger zum Gejagten um. Nicht jeder wußte das zu schätzen. Aber manche Leute, wie Elise, wollten alles auf einmal in der Tasche haben.
»Ich glaube, jetzt wird mir schlecht«, sagte sie.
Alles klar. »Marc«, erklärte er seinem Schwager, »ein Bravo-Alpha-Romeo-Foxtrott.« Zu seiner Kundin gewandt, fügte er hinzu: »Nun landen wir.«
»Gott – sei – Dank.«
Marc düste vorbei, vollführte in der Marchetti SF260 ein paar perfekte Loopings. Hinter dem militärischen Übungsflugzeug wirbelten Rauchspiralen. Bewundernd schaute Conor zu. Sein Schwager Marc war schon immer ein eleganter Pilot gewesen. »Bald müßte Ihr Mann nachkommen«, informierte er Elise, die neben ihm schwitzte.
Fünfzehn Minuten später landete er auf dem Rollfeld von Chino. Die etwa fünfundvierzigjährige Elise Walden saß auf einer Bank vor dem Hangar der Dogfights Incorporated, einer Flugschule, die ihren Kunden für viel Geld die Illusion verschaffte, sie könnten eine militärische Übungsmaschine fliegen, im ›Top Gun‹-Stil. Sie hatte ihren Fallschirm und den Helm neben sich gelegt. Ermattet ließ sie den Kopf zwischen die Knie hängen. Auch ihr Fliegeranzug gehörte zur Show.
Conor reichte ihr einen Pappbecher mit Wasser und wartete geduldig. Als sie sich aufrichtete, lächelte sie schwach. »Ich komme mir so albern vor«, gestand sie, nahm den Becher entgegen und strich verlegen durch ihre Locken, die den Helm irgendwie überlebt hatten. Was man heutzutage alles mit Haarspray machen kann, dachte er. »Den ganzen Vormittag haben Sie mir im Unterricht erklärt, wie's sein würde.« Sie umklammerte den Becher mit beiden Händen. »Ehrlich – ich dachte, ich würde da oben sterben.«
»So was passiert manchmal«, erwiderte er und gab ihr zu verstehen, sie sei nicht die erste, der in einer Siebenhundertstundenmeilen-Achterbahn übel geworden war.
»Alles hab ich mir ganz genau gemerkt. Und ich konnte mir vorstellen, wie ich in diesem Cockpit sitzen würde. Ich glaubte, diesmal würde ich David keinen Grund geben, mir eine Lektion zu erteilen. ›Warum mußtest du unbedingt deinen Willen durchsetzen, Schätzchen?‹« äffte sie ihren Ehemann nach. »›Tommy statt dessen hätte so gern mitgemacht.‹ Das ist unser Sohn. Klar, bei solchen Aktivitäten bleiben die Jungs viel lieber unter sich. Vermutlich fühlte ich mich ausgeschlossen.« Sie schüttelte den Kopf. »Und ich war mir so sicher, ich würde es schaffen.«
Blinzelnd schaute Conor zum Himmel hinauf. Auch an diesen Teil der Prozedur war er gewöhnt. Danach schütteten sie ihm immer ihr Herz aus, ganz egal, ob der Flug gut oder schlecht gewesen war. Er führte sie ganz nahe an etwas heran, das sie nie zuvor erlebt hatten – eine Begegnung mit dem Tod oder dem Paradies. Es spielte keine Rolle. Nachher wollten sie immer reden. »Da sind Marc und Ihr Mann.« Er sah seinen Schwager aufs Rollfeld springen und einen Daumen hochrecken. »Schauen Sie doch, Elise.«
Als ihr Mann mit Marcs Hilfe aus dem Cockpit taumelte, runzelte sie die Stirn. Sie spürte sofort, daß da etwas nicht stimmte. Langsam stand sie auf und trat neben Conor. Beide beobachteten, wie David Walden – Leiter der Finanzabteilung eines multinationalen, auf elektrische Geräte spezialisierten Konzerns – ein paar unsichere Schritte machte. Dann drehte er sich hastig um und übergab sich.
Conor dachte, seine Kundin würde einen Schock erleiden. Aber sie lächelte. »Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch«, begann sie mit leiser Stimme, fast im Flüsterton. »Seit zwanzig Jahren bin ich verheiratet, und ich liebe meinen Mann.« Sie gab ihm den Pappbecher zurück. »Soeben haben Sie ein üppiges Trinkgeld verdient.«
»Oh, ich bemühe mich stets, meine Kundschaft zufriedenzustellen.«
»Armer David!« rief sie laut genug, daß ihr Mann es hörte, und eilte zu ihm. »Soll ich dir helfen?«
Conor schüttete das restliche Wasser aus dem Becher und sah es auf dem heißen Boden verdampfen. Ein weiterer schöner Tag in der Chino-Hölle. Er setzte eine Fliegerbrille auf und schlenderte zu den vertrauten Palmen und Hangars, die den vierschrötigen Tower umgaben. Sicher war's besser, wenn sich sein Schwager allein um die Waldens kümmerte. Marc konnte gut mit Leuten umgehen und sorgte stets für den richtigen Nervenkitzel, wenn er ihnen schreiend befahl, den Feind aufzuspüren und abzuknallen. Dadurch verlieh er der Show eine reale Atmosphäre. Dieses Theater war nicht Conors Stil.
Hinter ihm flimmerte die Hitze über der Start- und Landebahn wie eine Fata Morgana. Der Himmel leuchtete taubenblau, ›glasklar‹, wie's die Piloten nannten. Keine einzige Wolke. Bei diesem Wetter gewann man den Eindruck, in die Unendlichkeit zu schauen.
An solchen Tagen vermißte er's am schmerzlichsten – das totale High, wenn man der Schwerkraft trotzte, Sauerstoff aus der Maske saugte und ausprobierte, wie man die physikalischen Gesetze besiegen konnte. Einmal hatte er gelesen, sogar eine Bewußtseinsstörung bei intensiven Trainingsmanövern würde einen berauschen. Man glaubte zu sterben, sah jenen Tunnel voller Licht, und das ganze Leben raste wie ein Film an einem vorbei. Manche Piloten wurden süchtig nach dieser Euphorie, bevor ihre Sinne schwanden.
Vielleicht war er ebenfalls süchtig. Ganz egal, wie viele Stunden er in der Marchetti verbrachte – was er früher genossen hatte, ließ sich nicht wiederholen.
Hinter ihm erklangen Marcs Schritte. Sein Schwager winkte Walden zu, der in sein Mercedes-Coupé stieg, auf den Arm seiner Frau gestützt. »Eins muß man ihm lassen, Conor – er hat's durchgestanden. Ist sie ausgeflippt?«
»Sie war okay«, erwiderte Conor, zerknüllte den Pappbecher und warf ihn in eine der Metalltonnen, die als Abfalleimer benutzt wurden. Mit seiner knappen Antwort deutete er an, sein Passagier habe fast gekotzt und Marc müsse seine Show in Zukunft etwas sanfter gestalten. In solchen Dingen sollte man sich absprechen.
»Weißt du, daß du zu dünn bist?« Marc musterte ihn prüfend.
»Tatsächlich?« Mit seinen eins achtundachtzig wog Conor hundertneunzig Pfund. Also war er keineswegs dünn.
»Geradezu dürr. Das hat Geena erst heute morgen festgestellt. Sie sorgt sich um dich. Morgen abend mußt du bei. uns essen.«
Sie stiegen zum ersten Stock des Tower-Komplexes hinauf, wo die Schule Büroräume gemietet hatte. Natürlich wußte Conor genau, was seine Schwester Geena wollte. Er lächelte. Guter alter Marc ... »Morgen abend? Eigentlich sollte ich arbeiten.«
Daheim auf dem Schreibtisch wartete Millers Dissertation, ›Fortschrittliche Entwicklungstechnik von Verbundwerkstoffen bzw. Materialkombinationen‹. Diese Zusammensetzung von Materialien war Conors Spezialgebiet, über das er an der Universität Vorlesungen hielt, um künftige Ingenieure auf die hohen Ansprüche des modernen Berufslebens vorzubereiten. Damit konnte er jedoch Marc nicht beeindrucken, und so wartete er auf einen erneuten Anlauf seines Schwagers.
Als Conor nach der Türklinke griff, hielt Marc ihn zurück und führte ihn zu einem Fenster.
Im Sonnenlicht glänzte Marcs Haar wie eine Signallampe und erinnerte Conor an den Spitznamen, den Geena ihrem Mann verpaßt hatte. Lucky. Zunächst war Marc ein bißchen pikiert gewesen. Er hatte geglaubt, sie würde auf sein Glück anspielen und sich einbilden, sein Vater – ein Air-Force-Colonel im Ruhestand – hätte ihm einen Studienplatz an der angesehenen Akademie verschafft, wo sie sich zum erstenmal begegnet waren. Aber sie hatte ihn eines Besseren belehrt. »Du siehst wie Lucky aus, der Kobold auf der Lucky-Charmes-Cornflakesschachtel.« Klar, das dichte rote Haar und die Sommersprossen ...
Wahrscheinlich hatte er sie in jenem Augenblick zu lieben begonnen. Er war Wachs in ihren Händen. Deshalb erledigte er auch all ihre Drecksarbeit.
Nun nahm er seine Fliegerbrille ab und blinzelte in die Sonne. »Tust du mir einen Gefallen und kommst morgen abend zum Dinner?«
Conor zog eine Zigarre aus der Brusttasche seines Fliegeranzugs und zündete sie an. Im Büro duldete Geena keinen Rauch, und er vermutete, das Gespräch würde eine Weile dauern. Deshalb wollte er sich jetzt ein paar Züge genehmigen. »Wird sie mir gefallen?«
Seufzend zuckte Marc die Achseln. »Du kennst ja deine Schwester. Sieht wie Cindy Crawford aus und hat Sandra Day O'Conors Verstand. Ganz zu schweigen von ihrer gewinnenden Persönlichkeit.«
»Versteht sich von selbst ...« Conor schaute auf die Rollbahn hinaus und beobachtete eine Citabria, die riskante Landemanöver übte.
»Nun zermartere ich mir das Gehirn, um rauszufinden, wie ich es ausdrücken kann: ›Kumpel, du bist mir was schuldig.‹ Und ich komm einfach nicht drauf.«
Conor rollte die Zigarre im Mund umher und staunte, daß er das Dinner überhaupt in Erwägung zog. Dauernd versuchte Geena, ihn zu verkuppeln.
Aber vielleicht hatte sie recht. Über ein Jahr war verstrichen. Genug Zeit für endloses Wenn und Aber und irgendwelche Prognosen. »Lasagne?« fragte er.
Marc grinste. »Natürlich, deine Lieblingsspeise.«
Die Zigarre zwischen den Zähnen, schlug Conor auf die Schulter seines Schwagers. Die beiden Männer betraten das Gebäude. Aus der Klimaanlage wehte ihnen lauwarme Luft entgegen. Letzte Woche war die Garantie abgelaufen, zwei Tage, bevor Marc das Leck im Kühlmittelbehälter entdeckt hatte.
Trotz vieler solcher Ärgernisse bot die Flugschule ein Zuhause. Vor knapp anderthalb Jahren hatte Conor eingewilligt, sich ins Cockpit eines militärischen Ausbilders zu setzen. Marc und Geena hatten ihre gesamten Ersparnisse in die Schule gesteckt. Darin lag das Problem – sie konnten alles verlieren. Deshalb brauchte Marc Conor zu seiner Hilfe. Mit harter Arbeit und innovativer Finanzierung würden sie's schaffen.
Marc ging zu seiner Frau und küßte sie auf den Mund. Nach zwölf Ehejahren machte er immer noch eine Show daraus. Grinsend schaute Conor zu. Geena, eine flachbrüstige Sophia Loren, erwiderte den Kuß ihres Rotschopfs – alle drei Kinder sahen wie Marc aus.
Die Augen zusammengekniffen, spähte Conor durch den Zigarrenrauch und trat vor die weiße Tafel, um die Termine in der nächsten Woche zu studieren. Rote und grüne und blaue Stecknadeln. Alles ausgebucht. Dafür lohnte sich das Leben, dachte er. Die Schule zu retten – Geena, Marc und den Kindern zu helfen. Nächstes Jahr würde Dogfights Gewinn abwerfen. Zum Glück. Das Studium der drei Kinder kostete später sicher ein Vermögen.
»Weg mit dem Ding, Conor.«
Unschuldig drehte er sich um und nahm die Zigarre aus dem Mund.
Ehe er sich verteidigen konnte, entwand Geena ihm ungerührt die Zigarre, drückte sie im Aschenbecher aus und gab sie ihm zurück. Er verkniff sich einen Kommentar. Eine dominikanische Marke. Nicht die beste, aber auch nicht schlecht. Er steckte das Ärgernis in seine Brusttasche und wandte sich Marc zu, um nach den Montagsterminen zu fragen.
Und da sah er's. Ein Frauengesicht, das den Bildschirm des Fernsehers im Hintergrund des Büros beherrschte.
Einen schwerelosen Augenblick später raste ihm der Boden entgegen.
Geena hatte den Ton fast abgeschaltet. Blitzschnell griff er nach der Fernbedienung, die auf ihrem Schreibtisch lag. Und drückte auf den Lautstärkeknopf. Sie saß an einem Tisch in einem kleinen Auditorium voller Reporter. Wie immer wirkte sie sehr professionell. Und zwar bevorzugte sie Kostüme mit Röcken, die das Knie knapp bedeckten, weil sie glaubte, man würde sie ernster nehmen, wenn sie sich korrekt kleidete. »Cher«, sagte er und sprach den Namen aus wie das französische chère.
»Ist sie's?« fragte Geena und trat hinter ihn.
»Die Liebe meines Lebens.«
Auch Marc gesellte sich hinzu und stieß einen leisen Pfiff aus.
Sie sah aus wie früher – und doch nicht. Kürzeres Haar, das sie kaum hinter die Ohren stecken konnte. Das Engelsgesicht etwas schmaler. Nicht hager, nicht wie diese Models mit den ausgeprägten Wangenknochen. Aber der Babyspeck, mit dem er sie so oft gehänselt hatte, war verschwunden.
Damals hatte er ihr Gesicht nett gefunden. Süß. Das Mädchen von nebenan. Mit ›glasklaren‹ blauen Augen. Conor hatte die dunklen Haare und Augen seiner italienischen Mutter geerbt. Von seiner linken Braue zog sich eine zwölf Zentimeter lange Narbe bis zur Wange. Nur zu gut konnte er sich vorstellen, welchen Eindruck sie zusammen erweckt hatten. Der große böse Wolf führt das arme kleine Schaf aus.
Vor anderthalb Jahren hatten sie sich zuletzt getroffen.
»Im Augenblick können wir noch keine Fakten bekanntgeben.« Cherish Malone sprach direkt in die Kamera, mit ruhiger, entschiedener Stimme, die auszudrücken schien, sie würde niemals lügen oder Halbwahrheiten erzählen. Dieser vertrauenerweckende Tonfall war ihr größtes Plus in der PR-Branche. »Natürlich sind wir erschüttert über die Ereignisse des heutigen Tages, und wir werden die genaue Ursache der Tragödie ermitteln. Wir wollen alle nötigen Schritte unternehmen, um diese wichtigen Nachforschungen voranzutreiben.«
»Hatten Sie vor dem Crash Funkkontakt mit der Crew?«
»Wie viele Leute waren an Bord?«
Die Fragen wurden direkt an Cher gerichtet. Aber sie übergab das Mikrophon dem älteren Mann an ihrer Seite – Chuck Odell, Manager und Senior-Vizepräsident von Marquis Aircraft. Offenbar näherte sich die Pressekonferenz allmählich dem Ende. Cher blinzelte nicht einmal im Blitzlichtgewitter. Wie ein braves kleines PR-Mädchen überließ sie Chuck die abschließenden Erklärungen. Das war legitim. Einer Märchentante von ihrem Kaliber traute niemand zu, die ganze Wahrheit zu verraten.
»Außer dem Piloten und dem Kopiloten waren der Bordingenieur und der Testexperte in der Maschine«, verkündete Chuck mit ernster Miene.
»Hat jemand das Unglück überlebt?«
Chuck wechselte einen Blick mit Cher und schüttelte den Kopf.
Aus allen Richtungen wurden Fragen abgefeuert. Conor las wachsende Panik in Chucks Augen. Wie auf ein Stichwort ergriff Cher wieder das Mikrophon. »Wenn wir den XC-23 WingMaster bergen, werden wir uns ein genaues Bild machen. Derzeit können wir nur vermuten, wie oder warum das Flugzeug abgestürzt ist.«
»Verdammt.« Conor bemerkte die Angst, die in ihrer Stimme mitschwang, schaltete den Ton des Fernsehers aus und wandte sich ab. »Ich gehe in mein Büro.«
»Klar!« rief Geena ihm nach. »Warum solltest du dir die Frau, die du beinahe geheiratet hättest, auf dem Bildschirm anschauen?«
Ohne zu antworten, warf er die Tür mit der Ferse zu.
Er versuchte sich einzureden, sie sei ein Geist, eine TV-Figur, die keine Rolle in seinem Leben gespielt habe. Irgendeine Schauspielerin, von der er lange genug geträumt hatte, daß die Phantasiebilder vertraut wirkten ... Bis ihm eine innere Stimme die Tatsache zuflüsterte: Cher war kein Geist.
In seiner Brust breitete sich jener wohlbekannte bleierne Druck aus. Er wollte unbedingt die Bilder aus der Vergangenheit verdrängen. Cher – der Unfall ...
Als er an seinem Schreibtisch saß, bemühte er sich vergeblich, seine frühere gelassene Stimmung heraufzubeschwören. Statt dessen dachte er voller Zorn an ihre Briefe. Diese verdammten Briefe. Jede Woche einer. Immer mit der Donnerstagspost. Cherish war überpünktlich. Und er las sie alle und sagte sich immer wieder, da er nicht antwortete, bestände der Kontakt eigentlich nicht mehr.
Da waren die allgegenwärtigen Hintergrundgeräusche des NASA-Kanals im Fernseher, während er in seinem Dogfight-Büro arbeitete – ein tragbares Fernsehgerät befand sich in der Universität mit demselben Programm. Er gab vor, nicht auf ihren Namen zu horchen, nicht zu hoffen, er würde sie sehen – so wie vorhin.
Zwang. Besessenheit. Cherish Malone.
Besonders erinnerte er sich an einen Brief, den er auswendig kannte.
Liebstes Arschloch, nur damit Du weißt, wie bedauernswert ich bin – diese Genugtuung gönne ich Dir ... Ich habe bis zum Morgengrauen gewartet. Natürlich bist Du nicht aufgetaucht.
Vor anderthalb Jahren hatte er Cherish Malone vor dem Traualtar stehen lassen.
Er wußte alles über sie. Daß sie die lässigen Gesten im Fernsehen vor dem Spiegel einstudierte – daß sie Billard spielte und ihrem Vater in inniger Haßliebe verbunden war – daß sie von einem Ingenieursdoktorat geträumt und dann beschlossen hatte, der Öffentlichkeit das Marquis-Aircraft-Image zu verkaufen. Diese Informationen entnahm er den Briefen, die er immer wieder las – nicht weil er's wollte, sondern weil er ihr's schuldig war.
Und er wußte, was sie seit dem Unfall am schmerzlichsten bedrückte. Ihre Todesangst vor dem Fliegen, ein schlimmes Handikap für die PR-Managerin einer Fluggesellschaft.
Das alles verdankte sie dem Mann, dessen Charakter sie in jenem Brief kurz und bündig beschrieben hatte.
Conor, Du Idiot, Du hast mir das Herz gebrochen.
Die grellen Lampen verbreiteten eine unerträgliche Hitze im Auditorium.
»Würdest du mir bitte noch ein Glas Wasser eingießen, Chuck?« Ein Feuerwerk von Fragen stürmte auf Cherish ein, und sie nickte dem neuen Reporter vom Aviation Weekly zu, hoffte wider besseres Wissen auf ein Stichwort, das sie nutzen könnte, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
»Betrachten Sie den Unfall als ernsthaften Rückschlag?«
Nein, dachte sie irritiert. Wenn alle unsere Flugzeuge abstürzen, finde ich meinen Job viel interessanter. Aber sie verzichtete auf diesen sarkastischen Kommentar und konzentrierte sich auf ihre Antwort. Normalerweise hätte sie's Chuck überlassen, den Kurs zu bestimmen. Aber so viel er auch von der Technologie verstand – aggressiven Journalisten war er nicht gewachsen. »Bedenken wir, daß der XC-23-WingMaster-Prototyp in dieser Entwicklungsphase bereits einundzwanzig einwandfreie Flüge absolviert hat«, begann sie, um die Presse wieder in die richtige Bahn zu lenken. Unbeantwortete Fragen würden unangenehme Spekulationen heraufbeschwören. Aber bevor die Maschine geborgen wurde, konnte sie den Leuten nicht viel erzählen. »Der XC-23 wird das Flugwesen revolutionieren, indem er das Verhältnis zwischen Auftrieb und Luftwiderstand verbessert. Immerhin sind die neuen Tragflügel um dreißig Prozent leichter.«
Lori, ihre beste Freundin und Medienspezialistin bei Marquis, trat unter dem Tisch gegen ihr Schienbein. Im Gegensatz zur Ingenieurin Cherish war sie eine reine PR-Expertin, auf technologischem Gebiet ahnungslos und das Sicherheitsventil, das den Fachjargon abblockte. Was Lori nicht verstand, würde niemals Schlagzeilen machen.
»Mit unserer neuen Tragflächenkonstruktion sollen die Maschinen effektiver gestaltet werden.« Cherish wählte ihre Worte sehr sorgfältig. Wenn man der Raumfahrt in Südkalifornien eine positive Presse verschaffen wollte, konnte man genausogut auf die Wiederkunft Christi warten. Das heißt, jeder Crash wurde sofort auf den Titelseiten breitgetreten. »Die WingMaster verbraucht um ein Drittel weniger Treibstoff – was nicht nur der Umwelt zugute kommt, sondern auch die Flugkosten senkt. Unsere Tragflügelkonstruktion wird die United States dorthin führen, wo sie hingehören – an die Spitze einer enorm wettbewerbsorientierten Branche. Dadurch entstehen neue Arbeitsplätze, und wir befinden uns auf dem modernsten technologischen Stand.«
Der leidenschaftliche Klang ihrer Stimme war kein PR-Trick. Drei Jahre lang hatte sie dem XC-23-Programm ihr Herzblut geopfert – beinahe ihr Leben. Vor anderthalb Jahren war sie an Bord des Prototyps Phase eins gewesen, der bei einem simplen Demonstrationsflug abstürzte. Eine Wiederholung der Challenger-Tragödie. Drei Menschen hatten den Tod gefunden, und es war ein Wunder des Himmels, daß sie noch lebte.
Wie die Ermittlungen ergaben, war der Absturz auf einen Pilotenfehler zurückzuführen – der einzige Grund, warum das Programm nicht aufgegeben wurde. Die Firma hatte – zusammen mit Reck Enterprises, dem wichtigsten Vertragspartner für die WingMaster – hart an der Entwicklung des Prototyps Phase zwei gearbeitet, um der Air Force ein Spitzenprodukt zu liefern. Und bis zu diesem Tag war Cherish überzeugt gewesen, sie hätten es geschafft.
Um etwas Zeit zu gewinnen, nahm sie einen Schluck Wasser. Vielleicht konnte Reck Enterprises, ein Zwanzig-Milliarden-Dollar-Konzern, den Crash auch dann verkraften, wenn das XC-23-Programm die staatlichen Zuschüsse einbüßte. Marquis Aircraft nicht. Im Augenblick wurden zweitausend Arbeitsplätze von Schlagzeilen gefährdet, die das Pentagon womöglich veranlaßten, den Geldhahn zuzudrehen.
»Was den heutigen Unfall betrifft ...«, fuhr sie fort und versuchte, in ruhigem, sachlichem Ton zu sprechen. »Bevor wir die genaue Ursache kennen, sind die Konsequenzen noch nicht zu beurteilen ...« Am Eingang entstand Unruhe, lautes Stimmengewirr übertönte Cherish' Stimme. Sie beobachtete eine heftige Wellenbewegung, geradewegs durch das Gedränge im Auditorium der Edwards-Air-Force-Base, wo die improvisierte Pressekonferenz stattfand. Wie Moses das Rote Meer, zerteilte ein Mann die Wogen.
»Was, zum Teufel, macht er hier?« flüsterte Chuck, eine Hand auf dem Mikrophon. »Wollte er die Medien nicht uns überlassen?«
Russell Reck, Präsident und Generaldirektor von Reck Enterprises, bahnte sich einen Weg zum Podium, die berühmte Hakennase vorgereckt. Kluge braune Augen straften einen vollen, kindlichen Schmollmund Lügen.
Dieses Gesicht hatte Cherish oft genug auf den Time- und Newsweek-Titelblättern gesehen, und sie hätte es überall sofort erkannt. Russell Reck zählte zu den kleinen Kapriolen der Natur. Angesichts der gebeugten Schultern, der dünnen Gestalt und der sorgsam gestylten, aber unscheinbaren mausgrauen Haare war man nicht sonderlich beeindruckt. Bis man sich an die Milliarden erinnerte.
Irgend jemand stellte einen Stuhl neben Cherish, und sie rückte näher zu Lori, um Russell Platz zu machen.
»Du meine Güte!« wisperte Lori. »Der Zerstörer höchstselbst!«
Während er sein braunes Kaschmirjackett aufknöpfte, zweifellos in Mailand maßgeschneidert, nahm er Platz, nickte Cherish zu und zog das Mikrophon zu sich herüber. »Gestatten Sie mir bitte, mich vorzustellen – falls mich jemand noch nicht kennt.« Die perfekt manikürten Hände auf dem Tisch, strahlte er unerschütterliches Selbstvertrauen aus. Trotz seiner durchschnittlichen Erscheinung verströmte er eine machtvolle Aura, die das Publikum sofort zum Schweigen brachte. »Ich bin Russell Reck, Präsident und Generaldirektor von Reck Enterprises. Zusammen mit der Regierung und Marquis Aircraft ist meine Firma für das Konzept und die Entwicklung von XC-23 verantwortlich.« Er zog ein Papier aus seiner Brusttasche und faltete es auseinander. »Hier habe ich die neuesten Fakten über den Absturz unserer Testmaschine. Wenn es meine Kollegen erlauben, würde ich die Informationen gern an die Presse weitergeben.« Er musterte Cherish von der Seite und wartete auf eine Reaktion. Aber sie saß reglos da, fand momentan keine Worte.
Die Raumfahrtkonzerne arbeiteten oft an diversen Projekten zusammen. Zum Beispiel Lockheed Martin und Boeing am F-22 Raptor, wobei LockMart als bedeutsamerer Vertragspartner fungierte. Aber das Teamwork in dieser Branche war riskant. Wie in einem ›Indiana Jones‹-Film mußte man die richtigen Steine wählen, auf die man stieg. Sonst würden einem vergiftete Pfeile um die Ohren fliegen. Vor allem kam's drauf an zusammenzuhalten, wenn was schiefging, und eine geschlossene Front zu bilden. Cherish starrte das Papier an, glaubte in einen dunklen Abgrund zu blicken und wartete auf den Fausthieb, der sie in die Tiefe stoßen würde.
Allzulange mußte sie nicht warten.
»Heute morgen um sieben Uhr fünfzehn«, fuhr Reck selbstbewußt fort, »funkte der XC-23-Pilot an den Tower, sie würden ein lautes Geräusch hören, worauf sie sofort die Kontrolle über die Maschine verloren und im Spiralflug abstürzten. Das war die letzte Nachricht, die der Tower empfing.«
Cherish' leichtes Wollkostüm schien sich in eine Zwangsjacke zu verwandeln, die ihr den Atem nahm. An diesem Morgen hatte die PR-Managerin von Reck Enterprises angerufen und gefragt, ob Marquis Aircraft die Pressekonferenz für beide Firmen übernehmen würde. Das war ungewöhnlich. Aber Cherish hatte Chuck informiert und die erforderlichen Maßnahmen getroffen. Wieso also tauchte Russell Reck mit einer vorbereiteten Rede auf?
»Trotzdem empfingen wir weitere Flugdaten«, erklärte er. »Infolge unserer ersten Analyse muß die Maschine plötzlich nach rechts vom Kurs abgewichen und abgestürzt sein, vielleicht aufgrund eines technischen Fehlers.«
Ms. Malone spürte, wie sich Chuck an ihrer Seite versteifte. Eine plötzliche Kursänderung? Ein technischer Fehler?
»Da wir mit unseren Partnern eng zusammenarbeiten«, fügte Reck hinzu, »hoffen wir die Ursache des Fehlschlags zu ergründen, sobald es in technologischer Hinsicht möglich ist. Bei diesen Bemühungen werden wir von der Regierung unterstützt. Während ich zu Ihnen spreche, überfliegen zwei Hubschrauber die Unglücksstelle, und ein Bergungsteam hat bereits seine Arbeit aufgenommen.«
Cherish' Mund wurde staubtrocken. Bevor sie zum Edwards-Stützpunkt gefahren war, hatte sie die Air Force angerufen. Dabei war keine Bergungsaktion erwähnt worden, nur die geplante Einberufung eines Untersuchungsausschusses.
Langsam ließ Reck seinen Blick über die Gesichter der Reporterinnen und Reporter wandern, um sich zu vergewissern, daß alle an seinen Lippen hingen. Wie gelähmt saß Cherish da – unfähig, ihre Angst zu bekämpfen. Sicher wird er Marquis die Schuld in die Schuhe schieben. Und die Regierung unterstützt ihn. Klar, der kleinere Partner muß den Sündenbock spielen.
»Noch irgendwelche Fragen, die Chuck und ich beantworten können?«
Eine Sekunde später wurden sie mit Fragen bombardiert, und das Stimmengewirr schwoll zu schrillem Geschrei an. Aus den Augenwinkeln beobachtete Cherish, wie Reck auf eine Frau im gelben Kostüm zeigte, die im ersten Glied der Meute stand. Wie im Zeitlupentempo sah sie die CNN-Reporterin ihre Notizen konsultieren und den Mund öffnen. »Also vermuten Sie, die Ursache des Absturzes ...«
»Wenn ich etwas einwerfen darf ...«, fiel Cherish ihr ins Wort und formulierte blitzschnell ihr Verteidigungsplädoyer. »In diesem innovativen XC-23-Projekt haben Marquis und Reck Enterprises engstens zusammengearbeitet.« Bla, bla, denk nach, denk nach. »Für uns ist es ein Privileg, Hand in Hand mit Reck zu forschen, einer Firma, die alle Entwicklungsstufen unserer Tragflügelkonstruktion überwacht hat und mit der wir alle Erfolge teilen.« Genauso wie den Mißerfolg, den sie uns anlasten. Sie drückte Recks Hand, als wären sie zwei Kumpel, die in schwierigen Zeiten zusammenhielten. »Sicher wird Russ mir zustimmen, trotz des heutigen Fehlschlags, wenn ich betone, daß unser gegenwärtiges Team, von der Air Force unseres Landes zusammengestellt, die Luftfahrt in militärischer und kommerzieller Hinsicht äußerst positiv beeinflussen wird.«
Neben ihr kritzelte Lori auf ihren gelben Notizblock: Soll ich jetzt ›God Bless America‹ singen?
Die Kollegin lächelte verkniffen. Niemand würde Marquis in einen Hinterhalt locken. Niemals. Soweit es möglich war, suchte sie einen intensiven Blickkontakt mit einzelnen Presseleuten. »Ladies und Gentlemen, wir bauen modernste X-Maschinen. Zweifellos liegen die Zeiten hinter uns, wo sie einfach vom Himmel herabfielen, so wie in den fünfziger Jahren. Die Sicherheit ist unser Hauptanliegen. Aber gewisse Risiken bleiben bestehen.«
»Risiken, die menschliches Leben wert sind?« fragte die CNN-Reporterin.
»Natürlich ergreifen wir alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen.« Das stimmte. Sonst würde Cherish nicht an diesem Projekt mitarbeiten. »Die WingMaster wird in den USA enorme Vorteile bringen. Natürlich nicht auf Kosten von Menschenleben. Die letzte Entwicklungsphase wird unterbrochen, bis wir die genaue Ursache des Fehlschlags kennen. In diesem Punkt wird Russ meine Meinung teilen.« Gewinnend lächelte sie Reck an, mit dem sie bisher kaum ein Wort gewechselt hatte. »Es wäre verantwortungslos, über den heutigen Zwischenfall zu sprechen ...« Um Gottes willen, habe ich wirklich ›Zwischenfall‹ gesagt? »... ohne demselben Expertenteam zunächst die Analyse sämtlicher Daten zu ermöglichen und die Resultate abzuwarten, die der Untersuchungsausschuß vorlegen wird. Nicht wahr, Russell?«
Reck nahm ihr das Mikrophon aus der Hand. Zum erstenmal fielen ihr seine mandelförmigen Augen auf, mit fast identisch proportionierten oberen und unteren Lidern. Eidechsenaugen, entschied sie, und bei diesem Gedanken fühlte sie sich etwas besser. Nicht einmal die Milliarden konnten seine Eidechsenaugen kaschieren.
»Gewiß wäre es verfrüht, irgendwelche Fragen nach der Ursache des Unfalls zu beantworten.« Reck sprach so selbstsicher wie zuvor, trotz des kleinen Rückziehers. »Lassen Sie mich einfach nur beteuern, daß die Angelegenheit mit jener Sorgfalt behandelt wird, die ihr zusteht.«
»Wie Sie wissen, setzt sich der Untersuchungsausschuß aus unabhängigen Experten zusammen«, ergänzte Cherish, weil sie glaubte, dieser Punkt würde sich für Marquis positiv auswirken. »Hoffentlich können wir Ihnen auf der Pressekonferenz heute nachmittag genauere Informationen liefern. Danke, Ladies und Gentlemen, das wär's ...«
»Ms. Malone!« Im Hintergrund des Raums überschrie ein älterer Reporter, den sie nicht kannte, die Stimmen der anderen. »Wann sind Sie zum letztenmal geflogen?«
Was für eine seltsame Frage ... »Wie bitte?«
Der Mann wiederholte seine Frage, und Cherish spürte, wie sich alle Blicke auf sie richteten. Die meisten Leute im Auditorium kannte sie. Freundschaftliche Kontakte mit der Presse gehörten zu ihrem Job, und sie hatte geglaubt, ihre Kooperationsbereitschaft würde sie vor solchen Fragen schützen. Diesmal offenbar nicht. Es wäre ein leichtes, die Gründe dafür herauszufinden. Pikante Gerüchte verbreiteten sich schnell: Die PR-Managerin von Marquis hatte eine irrationale Angst vorm Fliegen. Aber warum wurde gerade sie attackiert, eine Mitarbeiterin, die im XC-23-Projekt nur eine Nebenrolle spielte? »Abgesehen von meinen persönlichen Erfahrungen ...«
»Stimmt es, Ms. Malone, daß Sie seit über einem Jahr nicht mehr fliegen, weil Sie den Flugzeugen Ihrer Firma mißtrauen? Was der heutige Crash zu beweisen scheint. Marquis ist für viele Tragflügelkonstruktionen der Linienmaschinen verantwortlich, die heutzutage den Himmel bevölkern. Warum liefern Sie uns keine Insiderinformationen, die Sie von diesen Flugzeugen fernhalten? Im Interesse der Allgemeinheit?«
Unter dem Tisch drückte Lori ihre Hand. »Woher Sie Ihr Wissen beziehen, weiß ich nicht.« Cherish' Stimme klang etwas zu aggressiv. »Aber in den letzten fünfzehn Jahren wurde keine einzige Verkehrsmaschine mit Marquis-Konstruktionen in einen Unfall verwickelt.«
»Vor achtzehn Monaten ...« Der Reporter blätterte in seinen Notizen. »... waren Sie an Bord der ersten XC-23 WingMaster, des Prototyps Phase eins. Bei diesem Demonstrationsflug kam es zum Crash ...«
»Nun schweifen wir vom Thema ab«, mischte sich Chuck ein. »Jener Zwischenfall kann nicht ...«
»Sind damals drei Menschen gestorben?«
»Ein Pilotenfehler ist wohl kaum ...«
»Sind Sie seither in einer Ihrer Firmentypen geflogen, Ms. Malone?«
»Seither bin ich überhaupt nicht mehr geflogen.«
Entschlossen beugte Chuck sich vor. »Das gehört auch gar nicht zu den Aufgaben unserer PR-Managerin. Fast jede Woche benutze ich eins unserer Flugzeuge ...«
»Der Prototyp Phase eins ...« Auch ohne die Hilfe des Mikrophons füllte Russell Recks Stimme den Raum. »... litt niemals unter technischen Problemen. Nicht einmal an einer verstopften Toilette.« Nervöses Gelächter erklang und lockerte die angespannte Atmosphäre. Reck warf Cherish einen vielsagenden Blick zu, der ihr bedeuten sollte, diesmal dürfe sie ihn nicht unterbrechen. »Wie der Untersuchungsausschuß festgestellt hat, war jener Absturz auf einen Pilotenfehler zurückzuführen.« Die Hände gefaltet, neigte er sich vor, und die eindringliche Körpersprache erzielte ungeteilte Aufmerksamkeit. »An jenem Tag verlor Ms. Malone beinahe ihr Leben. Der Pilot zog sie ebenso wie den Kopiloten aus der Flammenhölle, und sie sah drei Menschen sterben – darunter meinen Partner Henry Shanks.« In regloser Stille hallte der Name wider. »Ms. Malone ist Ingenieurin und kennt die Technologie, die hinter diesen Jets steckt. Statistisch gesehen sind sie die sichersten Verkehrsmittel. Aber nach dem Trauma jenes Unglücks verstehe ich Ms. Malones Abneigung gegen das Fliegen.« Was er damit ausdrücken wollte, war völlig klar – kein vernünftiger Mensch durfte ihr diese Aversion verübeln.
»Vielen Dank, Ladies und Gentlemen.« Chuck erhob sich und unterband alle weiteren Fragen. »Damit ist unsere Pressekonferenz beendet. In drei Stunden sehen wir uns wieder. Sollten wir schon früher zu neuen Erkenntnissen gelangen, geben wir Ihnen Bescheid!«
Hastig wandte sich Cherish an Russell Reck, der jetzt neben ihr stand, und lächelte gezwungen. »Unser Team wird Sie um eine Kopie Ihrer telemetrischen Nachrichten bitten.« Damit meinte sie die während des Testflugs zum Boden gefunkten experimentellen Daten. »Sicher werden wir die Krise mit vereinten Kräften meistern und den Schaden für unsere beiden Firmen in Grenzen halten.« Ehe er antworten konnte, erklärte sie Chuck: »Gerade habe ich Russell angekündigt, Sie würden zusammen mit seinen Leuten die Flugdaten auswerten.«
Chuck Odell – Ende Fünfzig, mit weißem Haar und hellblauen Augen – setzte sein Bulldoggengesicht auf. Früher war er Ringer im griechisch-römischen Stil, Mittelgewichtsklasse, gewesen und hatte an Olympischen Spielen teilgenommen. Immer noch gut in Form, erweckte er plötzlich den Eindruck, er könnte mühelos ein paar Runden absolvieren. »Mit Informationen, die nicht allen Teammitgliedern bekannt sind, sollte man nicht an die Öffentlichkeit gehen.«
»Mein Fehler, Chuck.« Der ›Zerstörer‹ lächelte dünn.
Bevor Chuck sich auf ihn stürzen und der Presse ein Spektakel bieten konnte, packte Cherish seinen Arm und gab Lori ein Zeichen. Die Einssechziggestalt der Assistentin zwängte sich energisch durch die Menge. Noch nie hatte Cherish eine Frau gesehen, die sich mit Neunzentimeterabsätzen so schnell bewegte. Offenbar kam's auf die Kraft der Zehen an.
Lächelnd nickte Cherish den Reporterinnen und Reportern zu, versprach weitere Informationen – und betete um bessere Antworten bei dem nächsten Meeting. Sie behielt Loris ›aubergine‹ getöntes Haar im Auge (»Um Himmels willen, warum hast du mir nicht gesagt, daß es violett ist?«), und die wippenden Löckchen erschienen ihr wie ein Leuchtturm. Erst an der Tür drehte sie sich um und hielt nach Reck Ausschau.
In Sechserreihen umringten sie ihn, Mikrophone und Recorder hochgereckt, um jedes Wort einzufangen. Aber die Eidechsenaugen erwiderten Cherish' Blick. Langsam hob sie eine Hand und winkte ihm zu. Das könnte er geplant haben, dachte sie plötzlich, die Attacke des Reporters, seine eigene Rettungsaktion.
»Dieser Bastard!« fauchte Chuck und hielt ihr die Tür auf. »Cherish, ich schwöre dir – die haben behauptet, die telemetrischen Daten seien belanglos.« Wie alle Versuchsmaschinen war die XC-23 WingMaster mit Belastungsmessern und Beschleunigern ausgestattet worden. Die Belastungsmesser leiteten ihre Informationen an ein Datenerfassungssystem weiter – einen Computer, der die Messungen alle Zehntelsekunden aufnahm und speicherte. Dann wurden sie telemetrisch zum .Boden gefunkt. Reck Enterprises leitete die Testflüge, besaß alle Daten und war verpflichtet, Chuck darüber zu unterrichten. »Angeblich waren die Nebengeräusche zu laut. Die erzählten mir, bevor sie die Daten rausgefiltert hätten, könnten sie gar nichts feststellen. Jetzt wär's nur sinnloses Geknister.« Erbost schüttelte er den Kopf.
Sinnloses Geknister, das Russell Reck gegen Marquis verwenden wollte.
»Seltsamerweise waren Recks Leute unerreichbar oder zu beschäftigt, um an der Pressekonferenz teilzunehmen«, bemerkte Cherish.
»Genau.« Lori hob die sorgsam gezupften Brauen.
»Aber ich kann noch immer nicht glauben, daß sie uns absichtlich im unklaren ließen«, seufzte Chuck. »Übrigens, Cherish, du hast da drinnen gute Arbeit geleistet.«
Die Stirn gerunzelt, beobachtete Cherish immer noch den Zerstörer und wunderte sich über ihre plötzliche Verwirrtheit. In dieser Branche war die Verwirrtheit des einen der Fallschirm ihres Gegners. Hinter Lori folgte sie Chuck zum Ausgang. »Finden wir selbst raus, was da schiefgelaufen ist.«
Spätabends saß sie an ihrem Schreibtisch im Marquis-Büro, den Kopf in die Hände gestützt. Sie erwartete den Kollaps. Früher hatte sie die Minibars in den Hotelzimmern geplündert, um solche Phasen zu überstehen, und mit Hilfe der süßen kleinen Fläschchen ihr Zittern und gelegentliche Tränenausbrüche bewältigt. Aber jetzt unternahm Lori alle Reisen. Nach ihrem Absturz hatte ihr die böse Erinnerung manchmal den Atem geraubt. Ihr Körper schien nicht mehr zu wissen, wie man Luft holt. Mühsam hatte sie sich eingeredet, ihre Atemwege seien intakt, und sie müsse nur Sauerstoff in die Lungen saugen. Das ist alles. Du kannst es, Mädchen.
Sie blickte auf. Wieder einmal bekämpfte sie einen beklemmenden Luftmangel. Es war ein langer Tag gewesen. Drei Pressekonferenzen hatte sie verkraftet, und die beiden anderen waren besser verlaufen, nachdem sich Recks Leute kooperationsbereit gezeigt und zugegeben hatten, die Daten sollten genauer analysiert werden, bevor sie der Öffentlichkeit irgendwelche Theorien über die Unfallursache präsentierten. Gegen Mitternacht hatten sie die Arbeit beendet. Nur Lori war im Büro des Edwards-Stützpunktes zurückgeblieben, um einige Punkte zu checken.
Erschöpft schloß Cherish die Augen und dachte an die Crew – jene letzten Sekunden – die armen Familien! Nach einer Weile legte sie ihre Hände auf den Schreibtisch. Sie zitterten immer noch, Streß, hätte die Ärztin diagnostiziert, was natürlich zu ihrer Angst vorm Fliegen paßte. Die teure, langwierige Therapie – und sie schaffte nicht einmal die Phantasieübungen. Stellen Sie sich vor, Sie würden ganz ruhig die Gangway zur Tür des Flugzeuges hinaufsteigen ...
Ja. Genau. Und zwei Sekunden später – litt sie an Atemnot.
Mit geballten Fäusten stand sie auf. »Wenn sonst nichts hilft – ich habe immer noch meine Arbeit.« Sie ging zu den Aktenschränken, öffnete eine Schublade, wühlte in den Ordnern, bis sie die Aufschrift Ballas fand. Die Augen geschlossen, beschwor sie Eric Ballas' Bild herauf, das Gesicht des Charmeurs, das dichte weiße Haar, und auf der anderen Seite des Mittelgangs im Transportjet. Erst an diesem Morgen hatte sie ihn in ihrem Alptraum gesehen.
Vor seinem Tod war er ein Mitglied des XC-23-WingMaster-Teams gewesen. Seine Firma Joystick hatte das spezielle Material aus Graphit und Epoxydharz entwickelt, mit dem die Struktur des Prototyps verstärkt worden war. Cherish begann in der Akte zu blättern, studierte Texte und Berechnungen. Zu diesen Papieren gehörten auch die Aufzeichnungen über ihre letzte Arbeit als Ingenieurin, ein kleines, aber aufregendes Programm, von Erics Firma und Marquis gemeinsam entwickelt, das die Erforschung synthetischer Metalle betraf – die neueste, interessanteste Theorie über die Zusammensetzung von Materialien. Nach Erics Meinung gehörte den synthetischen Metallen die Zukunft der Raumfahrt, und Cherish hatte ihm beigestimmt.