Schon zu Beginn ihrer beinahe 100-jährigen Geschichte waren Städtische Wohnhausanlagen auch Orte der Begegnung und des nachbarschaftlichen Miteinanders. Mit seiner großen sozialen Durchmischung ist der Gemeindebau heute ein lebendiger Ausdruck unserer offenen (Stadt-)Gesellschaft. Hier treffen viele unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Einstellungen, Haltungen und Interessen aufeinander.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von wohnpartner sind Tag für Tag für eine gute Nachbarschaft in Gemeindebauten im Einsatz. Dabei lernen sie viele Mieterinnen und Mieter persönlich kennen, erhalten Einblicke in ihren Alltag, leben mit ihren Sorgen mit und unterstützen, freuen sich mit ihnen über Erfolge und pflegen ein wertschätzendes und freundschaftliches Miteinander der Mietergemeinschaft.
Kein Gemeindebau gleicht dem anderen. Gemeindebauten haben immer ihre eigene Geschichte. Diese Geschichte wird von den Bewohnerinnen und Bewohnern geschrieben. Niemand weiß das besser als die Teams von wohnpartner. Die Kolleginnen und Kollegen haben daher Mieterinnen und Mieter zu ihren persönlichen Erinnerungen an ihr Leben in „ihrem“ Gemeindebau befragt. Das Spektrum ist groß: Manche leben schon ihr ganzes Leben lang an diesem Ort und können sich kein anderes Zuhause vorstellen, andere sind erst vor Kurzem in ihre Wohnung gezogen und haben hier eine neue Heimat gefunden. Dazwischen gibt es viele Facetten, die wir für Sie im vorliegenden Buch in 100 Geschichten verpackt haben. Es sind lustige, traurige, berührende, Mut machende Geschichten – wie sie manchmal nur das Leben im Gemeindebau schreibt.
Josef Cser
Geschäftsführer Wohnservice Wien
Claudia Huemer
Bereichsleiterin wohnpartner
Mit der Fertigstellung der ersten Städtischen Wohnhausanlage vor rund 100 Jahren legte die Stadt Wien den Grundstein für eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Wien, die alte Hauptstadt des untergegangenen Kaiserreichs, erlebte damals nach dem Ersten Weltkrieg eine schwere Krise. Die Wohnungsnot war gewaltig, die Mieten teils unerschwinglich, die hygienischen Bedingungen waren miserabel und Krankheiten grassierten, drei Viertel aller Wiener Wohnungen waren heillos überbelegte Ein- oder Zwei-Zimmer-Wohnungen.
Um diese Missstände abzustellen, begann die Stadtregierung unter dem ersten sozialdemokratischen Bürgermeister Wiens, Jakob Reumann, mit dem Bau von Gemeindewohnungen. Unter dem Motto „Licht, Luft und Sonne“ wurden moderne Wohnhausanlagen errichtet, deren begehrte Wohnungen gesunde Lebensbedingungen und eine hohe Wohnqualität für ihre Bewohnerinnen und Bewohner ermöglichten – und das bei äußerst leistbaren Mieten.
Ein Jahrhundert „Rotes Wien“ später wohnen nun rund 60 Prozent der Wienerinnen und Wiener im geförderten Wohnbau und knapp eine halbe Million im Gemeindebau, nicht selten seit mehreren Generationen. Die Wiener Wohnbaupolitik hat heute eine preisdämpfende Wirkung auf den gesamten Wohnungsmarkt, ist die größte Förderung der Mittelschicht in der Stadt und ist ein Sicherheitsnetz nach unten und ein Sprungbrett nach oben.
Ebenso zeichnet es den Gemeindebau aus, dass er ein Biotop des Wienerischen geworden ist. Der vielseitige Charakter unserer wunderbaren Stadt findet sich wohl nirgendwo sonst so sehr in seiner Reinform wie im Wiener Gemeindebau; das Miteinander in diesen „Dörfern in der Großstadt“ ist wirklich etwas ganz Besonderes. Am besten – liebe Leserinnen und liebe Leser – Sie überzeugen sich im vorliegenden Buch selbst davon.
Mit herzlichen Grüßen
Kathrin Gaál
Stadträtin für Wohnen, Wohnbau,
Stadterneuerung und Frauen
Soziales & Zusammenleben
Die Kinder von der Engerthstraße
350 Mal Willkommen
Am Murhoferweg hilft man zusammen
Kochen öffnet das Herz
Die ewige Liebe der Hunde
Das schöne Leben in Hirschstetten
Hier gibt’s keine Außerirdischen
Chillen und das Leben geniessen
Das, was man selber angreift
Das Herzstück von Wien
Mir gefällt alles
Die Abrüstung der Worte
In kurzer Zeit ist viel passiert
Gemeinschaft Gemeindebau
Die Natur vor der Tür
Man kann hier lachen
Nie lockerlassen
In der Mitte der Gemeinschaft
Der Segen der Kinder
Kontaktbesuchsdienst Donaustadt
Margareten ohne Partnergewalt
Ein freundliches Gesicht
Es fühlt sich zusammen an
Der Weg zur Freundlichkeit
Gegrüßt soll wieder werden
Man soll nie vergessen, woher man kommt
Architektur & Infrastruktur
Simmeringer Vogelperspektive
Das Erbe des Metzleinstalerhofes
Der Zauber des Gemeinschaftsraums
Am Fuß des Rosenhügels
Der Garten war das Highlight
Das Wirtshaus im Gemeindebau
Einfach a guade Stimmung
Das Floridsdorf von damals
Am Nordrand
Der Sozialmarkt im Quarinhof
Die Damen von der Stiege 8
Die Blumenhändlerin vom Rabenhof
Die Einkaufsstraße vor der Tür
Eine Küche für alle
Große Aufgaben
Die Wohnmaschine
Ich will, dass die Leute stolz sind
Grünoase in der Stadt
Warten auf Herbert Prohaska
Die Friseurinnen vom Albin-Hirsch-Platz
Ich würd hier auch gern wohnen
Leise war ma ned
Tanzcafé mit Liftboy
Handwerk und Begabung
Wer im Gemeindebau lebt, kann was erzählen
Ohne Harmonie funktioniert nichts
Kunst & Kultur
Das Theater am Boulevard Erdberg
Kunst macht was Schönes im Hirn
Ein besonderes Objekt
Kinder an die Macht
Wir waren alle füreinander da
Der Tausendsassa vom Paul-Speiser-Hof
Wo man die Löwen brüllen hört
Aizhan und die Seele der Musik
Stimmen aus der Brigittenau
Der gute Geist vom Karl-Seitz-Hof
Alles für die Fisch’
Ein Fest für Körper und Geist
30 Jahre Schöpfwerk Schimmel
Zu Besuch in Indien
Die Meinungen im Alfred-Klinkan-Hof
Bücher für alle
Kunst führt dazu, dass Menschen sich öffnen
Heimweh nach Wien
Donaustadt upcyceln
Japanische Feuerkunst
Spiderman am Schöpfwerk
Der Sound des Gemeindebaus
Ein syrischer Wiener in der Schweiz
Geschichte & Gegenwart
Um die Gemeindebauten beneidet uns die ganze Welt
Ein gelungenes Leben
Die Rückkehr der Hofgemeinschaft
Das Wohnwunder
Durchs Reden kommen d‘Leit zsamm
Früher wor’s wüd
Ich wollt nicht weg aus Meidling
90 Jahre Charly-Marx-Hof
Das Dorf in der Großstadt
Von der Fabrik zur Siedlung
Über die Hasenleiten loss i nix kumman
Do bin i auf die Barrikaden
Der kleine UNO-Gemeindebau
Ich bin stolz, hier zu wohnen
Ein Leben lang Gemeindebau
Geschaffener Lebensraum
Eine begnadete Ecke
Kolschitzky, Kreisky und der Bärlipark
Waschhalle mit Geschichte
Was für ein Geschenk
Die Freunde von der 39er-Stiege
Über der Donau geht die Sonne auf
Zum Wohle die Tat
Die kleine Stadt in Favoriten
Es lebe der Gemeindebau
Dank
Die Herausgeber
Impressum
Eine Gruppe von Kindern aus dem Kurt-Heller-Hof in der Leopoldstadt soll an diesem Nachmittag ein bisschen über ihr Leben im Gemeindebau in der Engerthstraße erzählen. Im Gegensatz zu den älteren Bewohnerinnen und Bewohnern, die ihre Kindheit ebenfalls hier verbracht haben, kennen sie keine Überschwemmungen mehr und haben noch nie Leute mit einer Zille durch ihre Straße fahren gesehen. Aber das heißt nicht, dass sie nichts zu erzählen hätten! Zur Wohnzufriedenheit gibt es etwa gleich zu Beginn ein paar klare Ansagen:
„Meine Familie und ich wohnen hier alle schon seit drei Jahren. Ich fühle mich hier gut.“
„Es ist echt cool hier.“
„Am meisten, weil der Park hier in der Nähe ist.“
„Und weil hier ein Laden in der Nähe ist. Ich geh da manchmal einkaufen.“
„Da kann man sich manchmal auf die Schnelle ein Eis kaufen.“
„Ich fahr hier manchmal mit meinem Pennyboard spazieren.“
Bei der Frage, wie viele Kinder sich hier regelmäßig auf der Grünfläche treffen, gehen die Meinungen dann allerdings leicht auseinander:
„So 30.“
„Nein, mehr als 30; 50 oder 60.“
„Nein, 70 oder 80!“
Wichtiger als die genaue Anzahl ist den Kindern aber ohnehin die Stimmung:
„Die Kinder im Park sind echt nett zueinander. Manchmal gibt’s halt auch Probleme.“
„Ja, manchmal nervt es, dass es gleich alle angeht, wenn zwei streiten.“
„Manchmal kämpfen die Teenager auch miteinander. Aber wir sagen ihnen dann, dass sie aufhören und sich vertragen sollen.“
Und hilft das?
„Manchmal.“
KURT-HELLER-HOF
Engerthstraße 249–253
1020 Wien
Errichtet 1981–1983
272 Wohnungen
Geplant von Carl A. J. Hala, Adolf Hoch, Karl Leber, Heinrich Matha
Dass auch Kinder von den Angstmacher-Kampagnen der Boulevardmedien nicht unbeeindruckt bleiben, zeigt dann die Antwort eines eigentlich sehr lebensfroh und gut gelaunt wirkenden jungen Mädchens:
„Es gibt ja viele Entführer hier und deshalb nehm ich zur Sicherheit immer mein Handy mit, falls was passiert. Das steht nämlich in der Zeitung, das mit den Entführern.“
Zum Glück spielen im Alltag der Kinder von der Engerthstraße andere Dinge eine größere Rolle, beispielsweise das Thema Haustiere: Kathi zum Beispiel hat eine Katze, darf sie aber nicht mit in den Hof nehmen, damit sie nicht abhaut. Und natürlich können auch Haustiere Probleme machen:
„Wir haben zwei Papageien. Ein grünes Mädchen und einen blauen Jungen. Das Mädchen is so eine Zicke.“
„Wir haben zwei Aquarien zu Hause. Leider haben früher die großen Fische die kleinen gefressen, drum haben wir jetzt eben zwei Aquarien.“
„Bei mir zu Hause ist alles zerkratzt von unserer Katze. Wenn wir essen, attackiert sie auch unser Essen. Wir haben sie mit zehn Tagen gekriegt, jetzt ist sie elf Wochen alt.“
Und die Nachbarn im Gemeindebau?
„Die sind eh nett. Eine Oma, die wohnt über uns und ist richtig nett. Wir kennen sie nicht so gut, aber sie ist sehr nett.“
„Unter uns wohnt eine Oma, die ist ziemlich alt, aber sehr nett, die gibt mir immer Süßigkeiten.“
Lauter nette Omas im Gemeindebau? Fast. „Dafür haben wir eine unter uns, die ist ganz fies. Die kommt sich immer beschweren, und ihre letzte Beschwerde hat fünf Stunden gedauert.“
Bei der Frage nach seinem Lieblingsort muss ein kleiner Bub nicht lange nachdenken:
„In meiner Wohnung ist mein Bett das Schönste.“
Dann ist aber langsam genug gefragt worden, ein Mädchen unterbricht das Interview höflich, aber sichtbar ungeduldig:
„Ich will sagen: Wann macht ihr denn Spaß? Ich würde nämlich gern in den Prater gehen.“
Prater ist nicht geplant (obwohl er ganz nah wäre), aber ja, auch Spaß muss sein, deshalb erzählen die Kinder ein paar Witze. Zum Beispiel den von der Schnecke auf der Straße, zu der die andere Schnecke sagt …, aber lassen wir das.
Am Ende wird es noch einmal ernsthaft, auch das haben die Kinder von der Engerthstraße nämlich drauf:
„Ich möchte, dass jeder viel Gemüse isst, damit wir alle gesund bleiben.“
„Und ich hoffe, dass es den Gemeindebau, so wie er jetzt ist, auch in der Zukunft geben wird.“
Da soll noch einer sagen, die junge Generation weiß nicht zu schätzen, was sie hat.
„Die Kinder im Park sind echt nett zueinander.“
Würde man schreiben, dass es seit 2010 im Bohmannhof in der Donaustadt einen Hobbyraum gibt, dann wäre das vor allem eines: eine groteske Untertreibung. Denn wenn man Frau Kornelia Schrammel – Mieterin in der Melangasse und zwei Funktionsperioden lang auch Mieterbeirätin – nur ein wenig zuhört, wie sie von ihrem Engagement erzählt, dann versteht man: Frau Schrammel hat einen Raum genommen, ihn mit Leben gefüllt und ihr Wohnhaus damit nachhaltig verändert.
„2008 bin ich dem Mieterbeirat beigetreten und bin natürlich emsig gewesen. Damals bin ich auf diesen Gemeinschaftsraum gestoßen, der wirklich zugemüllt war, jeder hat da seinen Mist entsorgt. Ich hab dann mit Wiener Wohnen gesprochen und gebeten, dass ich den Raum haben kann. Dann ist das entrümpelt und sauber gemacht worden und ich bin Wiener Wohnen wirklich dankbar dafür, weil ich ausprobieren wollte, ob ich das schaffe, die Mieter an einen Tisch zu bekommen. Da wir ja mittlerweile alle Nationen im Haus haben, ist das natürlich ein bisschen schwierig. Für mich gibt’s aber keine Ausländer, für mich sind das alles einfach Menschen.“
Frau Schrammel schaffte es – und noch einiges mehr: „2010 hab ich hier notdürftig eröffnet, mit einem Tapezierertisch, wo ich ein bissl was zum Essen aufgetischt hab. Und so ist das dann immer mehr geworden: Weihnachtsveranstaltungen, Basteleien, Faschingsfeste für die Kinder et cetera. wohnpartner is mir dabei eine große Hilfe gewesen, ansonsten hab ich das alles alleine gemacht. Ich bin halt so gestrickt, dass mir immer wieder was einfällt, und ich versuch über die Kinder die Erwachsenen zu mobilisieren, weil nur so geht es.“ Natürlich stellte und stellt Frau Schrammel den Raum auch anderen Mieterinnen und Mietern zur Verfügung:
„Im ganzen Haus haben die Mieter die Möglichkeit, den Raum zu nutzen, zum Beispiel für Geburtstagsfeiern, dafür holen sie von mir den Schlüssel. Sie dürfen alles benutzen, und wenn sie mit Feiern und Saubermachen fertig sind, bekomm ich den Schlüssel wieder zurück. Die Kinder, mit denen ich hier, wie sie klein waren, Feste gemacht hab, die sind jetzt schon 14, 15 Jahre alt. Es is irre, ich weiß nicht, wo die Zeit hingerannt ist“, sagt die engagierte Mieterin wehmütig und ist doch hörbar glücklich über das, was ihr in den letzten Jahren hier gelungen ist. „Aber heuer hab ich auch noch einiges vor, der Erste-Hilfe-Kurs, der hier vom sozialmedizinischen Dienst durchgeführt wurde, war ein toller Erfolg, und die Polizei hätt ich auch gern da, die Feuerwehr, die MA 48 – das is halt alles Arbeit und das dauert, bis man’s organisiert. Auch zu Halloween wollen die Kinder wieder eine gute Kürbissuppe von mir haben, und zu Weihnachten hab ich vor, mit den Kindern Bastelarbeiten zu machen und einen Christbaum damit zu schmücken. Und dann würd ich von den Erwachsenen gerne Spenden für die Stiftung Kindertraum sammeln, das ist mir ein Herzenswunsch, weil man da schwerkranke Kinder unterstützt.“
Auch bei der Aktion „Willkommen Nachbar“ war und ist die rührige Donaustädterin aktiv, denn: „Das hat mich sofort interessiert, ich hab Brot und Salz mitgenommen, mit wohnpartner gemeinsam hab ich die Mappe mit wichtigen Dokumenten für die Neuzuzüge befüllt. Wenn ich davon red, dann krieg ich eine Gänsehaut, weil mir das so wichtig ist.“
Kornelia Schrammel ist immer im Einsatz für die Nachbarschaft
„Wenn ich davon red, dann krieg ich eine Gänsehaut, weil mir das so wichtig ist.“
Unglaubliche 350 Familien hat Frau Schrammel nämlich schon begrüßt, die ihre ungebrochene Begeisterung für Nachbarschaftshilfe so erklärt: „Es ist jedes Mal faszinierend, neue Leute kennenzulernen. Das darf man nicht als Arbeit sehen. Entweder man macht’s gern oder man macht’s gar nicht. Und wenn man Vorurteile gegen andere hat, dann braucht man’s gar nicht machen. Wichtig wär, dass wir alle an einem Strang ziehen, gerade im Gemeindebau. Ich wohn da seit 1983, da bin ich als Erste in den Bau eingezogen. Und ich find’s ganz wichtig zu wissen, wer is mein Nachbar. Weil wenn du was brauchst, wenn was passiert, wenn du in Urlaub fährst, sollst du mutig genug sein, anzuklopfen. Und ich glaub, grad in Zeiten wie diesen sollten wir wieder enger zusammenrücken und einer für den anderen da sein.“
An diesem Beispiel wird deutlich, dass es Menschen wie Frau Schrammel braucht, um das Konzept Gemeindebau mit Leben zu füllen. Alles Gute für die nächsten 350 „Willkommen Nachbar“-Besuche, Frau Schrammel!
Frau Fleck ist ein Phänomen: Auf einem Auge fast blind, kümmert sich die rüstige ältere Dame trotzdem jeden Tag selbst um das Blumenbeet, das zur Zier des Muhrhoferweges geworden ist, seit sie es betreut. Und das ist noch nicht alles: Da Frau Fleck offenbar einen grünen Daumen hat, züchtet sie auch Zitronenbäumchen. Wobei das Wort Bäumchen angesichts der prachtvollen Pflanze, die sie den Besuchern präsentiert, geradezu eine freche Untertreibung ist: „Der Stock ist vier Jahre alt und aus einem Kern gezogen“, erzählt Frau Fleck. „Ich hab noch einen anderen, der hat hundert Blüten!“ Solche Erfolge kommen freilich nicht von ungefähr, Frau Fleck ist täglich schon in aller Früh für ihre Blumen und Pflanzen da – und ihre Tiere versorgt sie auch: „Wenn ich aufsteh, ist der erste Weg das Fenster aufmachen, die Zeitung holen und zu den Blumen gehen. Dann schau ich, wer braucht ein Wasser. Dann kommen meine Vogerln dran. Wei waun meinen sieben Wellensittichen was ned passt, dann gibt’s an Wirbel. Dene g’hert des Wohnzimmer allein“, lacht Frau Fleck. Und fügt lebenslustig hinzu: „Mir mocht des ois so an Spaß!“
Frau Fleck wohnt seit 44 Jahren am Muhrhoferweg in Simmering, noch länger aber ist Frau Kainz hier zu Hause. Sie hat sich ebenso wie Herr Bugdajci zu Frau Fleck auf das sonnige Bankerl gesellt, von wo aus man einen guten Blick auf die Blumenbeete hat.
„Ich bin schon 1974, bei Fertigstellung hier eingezogen“, berichtet Frau Kainz. „Ursprünglich komm ich aus Bruck an der Leitha und hab für die Postsparkasse gearbeitet. Mein Mann war Kranführer und hat die Wohnungen hier schon während des Baus sehen dürfen. Für die fünf Kinder, die wir hatten, war’s klein, aber wir haben zwei Kinderzimmer aus der Wohnung gemacht und als Eltern im französischen Doppelbett im Wohnzimmer geschlafen. Jetzt, wo die Kinder ausgezogen sind, samma froh, dass wir keine größere Wohnung haben, weil was würden wir jetzt damit machen?“ Frau Fleck und Frau Kainz kennen sich schon „eine Ewigkeit“, wie Letztere erzählt. „Wir machen auch ununterbrochen Fotos von ihren Blumen, und die stell ich dann auf Facebook, um zu zeigen, wie schön die Blumenkastln hier bei uns sind. Oft sicht ma die Frau Fleck gor ned, weil sie auf allen Vieren sich um ihre Blumen kümmert“, lacht Frau Kainz, und Frau Fleck und Herr Bugdajci lachen mit.
Um zu zeigen, wie schön die Blumenbeete am Murhoferweg sind, teilt Frau Kainz oft Fotos auf Facebook
Täglich ist Frau Fleck schon in aller Früh für ihre Blumen und Pflanzen da
Herr Bugdajci, der Dritte im Bunde, ist 1999 mit seiner Frau und zwei Kindern in eine Drei-Zimmer-Wohnung am Muhrhoferweg gezogen, vorher lebte er in Favoriten. Nach Wien kam er als Kind mit seinen Eltern aus der Türkei. „Ich bin hier wunschlos glücklich“, strahlt er, „von einem Zimmer in eine Drei-Zimmer-Wohnung zu kommen, das ist schon was. Wir schauen immer gegenseitig rüber, mit der Frau Kainz und der Frau Fleck, ob eh das Licht brennt und alles in Ordnung ist, sonst rufen wir an.“
„Waun meinen sieben Wellensittichen was ned passt, dann gibt’s an Wirbel.“
Überhaupt, am Muhrhoferweg hilft man zusammen: Herr Bugdajci hat Frau Fleck erst kürzlich das Schlafzimmer ausgemalt und einen neuen Boden gelegt, und auch bei der Gartenarbeit geht er ihr gerne zur Hand.
Einer allerdings fehlt heute in der Runde der Nachbarn, und die ursprünglich aus der Wachau stammende Frau Fleck, die am Muhrhoferweg ganze acht Kinder großgezogen hat, wird ein bisschen traurig, wenn sie von Herrn Werner erzählt, der ebenso lange hier gelebt habe wie sie und vergangenes Jahr verstorben ist: „Er war krank, und ich hab ihn gepflegt. Ich hab ihn gewaschen, auf die Toilette getragen, ihm Suppe gekocht – aber er wollt nix mehr essen. Dann hab ich ihn ins Spital führen lassen, und bald darauf is er verstorben.“
Dürfte sich die Runde der Bewohnerinnen und Bewohner des Muhrhoferwegs etwas wünschen, so wäre es mehr Ruhe, die es hier am Stadtrand früher in Hülle und Fülle gegeben habe – die auch während des Gespräches regelmäßig über die Köpfe ziehenden Flugzeuge aus Schwechat sind in den letzten Jahrzehnten naturgemäß nicht weniger geworden. Und auch die kleinteilige Infrastruktur sei hier früher besser gewesen, erzählt Frau Fleck: „Der Autobus is weg, die Bank hat zugesperrt und das Röntgenzentrum hat zugesperrt.“
Der Eindruck, der bleibt, ist dennoch der einer funktionierenden Nachbarschaft auf einem ziemlich grünen Flecken Erde – und natürlich Frau Flecks wunderbare Blumenbeete.
Herr Bugdajci schaut auf seine Nachbarn und hilft auch gerne bei der Gartenarbeit
MURHOFERWEG
Murhoferweg 1–5
1110 Wien
Errichtet 1971–1973
495 Wohnungen
Geplant von Franz A. Bayer, Anton Holtermann, Franz Kahrer, Karl Musil, Otmar Patak, Walter Schneider
Es ist ein regnerischer Tag Ende März, an dem die kleine Kochgruppe im wohnpartner-Lokal in der Engerthstraße 230 wieder einmal zusammengefunden hat. Das vorläufig letzte Treffen soll es sein, deshalb steht auch eine Frage vor allen anderen im Raum:
War’s das? Oder wollen wir weiterkochen?
Die wohnpartner-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter wollen die Antwort darauf ganz den Köchinnen und Köchen überlassen, die aus den umliegenden Gemeindebauten hierhergekommen sind; die meisten davon haben sich erst in dieser Gruppe kennengelernt.
„Aber beim gemeinsamen Kochen lernt man was dazu.“
Von Pariser Schnitzel über Bananenbrot bis hin zu Börek und Hong-Kong-Nudeln ist hier in den vergangenen Monaten ausgesprochen international gekocht worden, ein Ausdruck der unterschiedlichen Herkunftsländer der versammelten Hobbyköche.
Mit dem Gemeindebau sind sie heute alle verbunden, aber alle in unterschiedlicher Weise.
Frau Kaplan aus der Türkei etwa lebt seit 1998 in einer Gemeindewohnung, mit der sie sehr zufrieden ist. Sehr ausgeprägt sind ihre Erinnerungen daran, wie es im Vergleich dazu im Privatmietverhältnis war. Mit ihren fünf Kindern musste sie ins Tröpferlbad gehen, weil kein Badezimmer vorhanden war. Heute wohnt sie sehr viel besser, „nur ein Balkon wäre schön“, antwortet sie verschmitzt auf die Frage, ob es offengebliebene Wohnwünsche gibt.
Frau Sim wiederum, in Malaysia geboren und aufgewachsen, erzählt vom Community-Housing, das es auch in ihrer Heimat gibt. Der Sprung zum Wiener Gemeindebau, in dem sie seit 2010 mit ihrem Wiener Ehemann lebt, sei ihr deshalb nicht schwergefallen. Am gemeinsamen Kochen gefällt ihr, dass sie auch andere Gerichte ausprobieren kann: „Ich liebe Börek!“
Frau Sims Mann kann sich noch lebhaft daran erinnern, wie es war, als Kind mit seinen Eltern auf 20 Quadratmetern wohnen zu müssen. „Man ist im Gemeindebau den Vermietern nicht ausgeliefert“, bringt er seine Lebenserfahrung in unterschiedlichen Wohnformen auf den Punkt. Wobei er Probleme, die es auch gebe, durchaus nicht verschweigen will: Der Raum im Gemeindebau sei eben eher knapp bemessen, die Vergabe erfolge nach der Personenzahl und die Generation seiner Enkel sei mehr Platz gewöhnt – deshalb ziehe es die jungen Leute heute wieder eher in Privatmietverhältnisse.
Die fünfzigjährige Frau Jermy kann von dieser Vergabe nach Personenzahl ein Lied singen – ein fröhliches allerdings: Sie lebt schon seit ihrer Geburt im Gemeindebau, ist aber immer wieder umgezogen, weil ihre Eltern mit den fünf Kindern schrittweise in den Genuss größerer Wohnungen kamen.
Und auch Frau Sommer ist eine alteingesessene Gemeindebau-Bewohnerin. Seit 1975 lebt sie schon hier im 2. Bezirk und langsam, so sagt sie, stürben ihr alle weg, die damals eingezogen sind. Auch deshalb kommt sie gerne zum gemeinsamen Kochen hierher: „Unter Leuten sein, des brauch ich!“ Viele würden heute nur über die Ausländer jammern und seien undankbar für das, was sie haben: „Aber Lachen funktioniert in allen Sprachen. Meine Nichte aus Vorarlberg versteh ich auch bis heute nicht, so ist das halt. Aber beim gemeinsamen Kochen lernt man was dazu.“
Dazu kann Frau Kim, die wie Frau Sim aus Malaysia stammt, nur wissend nicken: „Kochen öffnet das Herz, nicht nur den Geist“, bringt sie ein wenig asiatische Weisheit in die kulinarische Runde, in der es heute unter anderem einen köstlichen Eintopf gibt, den die wohnpartner-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter für dieses womöglich letzte Treffen der Kochgruppe kredenzt haben.
Und, war’s das jetzt? Zum Abschluss soll doch bitte aufzeigen, wer bestimmt wiederkommt, sollte es mit den regelmäßigen Kochtreffen doch weitergehen.
Da schnellen auf einmal alle Hände in die Luft.
Franziska Wachet und die anderen Hundebesitzerinnen sind sich einig: Es funktioniert nur mit gegenseitigem Respekt
In den Einkaufsarkaden in der Siebenbürgerstraße im 22. Bezirk hat sich eine Gruppe von Hundebesitzerinnen versammelt. Es ist ein recht kühler Herbsttag, aber wer einen Hund hat, ist es gewöhnt, bei jedem Wetter den Bedürfnissen seines Haustieres den Vorrang einzuräumen. Und so scheint keine der Damen ein Problem mit der hohen Dosis kalter Frischluft zu haben.
Womit es schon eher ein Problem gebe, das seien die Leute in der Wohnhausanlage, die keine Hunde mögen. Insbesondere Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, so erzählt eine Hundebesitzerin unter dem zustimmenden Nicken der anderen, hätten oft Angst vor Hunden, weil sie aus den Heimatdörfern ihrer Eltern nur Streuner kennen würden, die oft Tollwut hätten. Sei es, wie es sei, die Mitarbeiter des türkischen Imbisses im Ekazent zeigen jedenfalls wenig bis keine Berührungsängste mit der Hundegruppe und stellen den anwesenden Damen gerne Sessel zur Verfügung, damit bequemer über das Leben mit Hund im Gemeindebau philosophiert werden kann.
Probleme, zweiter Teil: Die aus Sicht mancher Besitzerinnen mangelnde Ausstattung der Gegend mit Hundezonen. Zwar gebe es eine nahegelegene Hundezone in der Polgarstraße, das schon, aber die Besitzer der kleinen Hunde fühlen sich dort mitunter von den großen bedroht. „Es bräuchte zwei Hundezonen: eine für die Riesen und eine für die Kleineren. Mehr kleinere Hundezonen wären ein Traum.“ Womit schon ein erster Wunsch für die Zukunft der Hundehaltung im Gemeindebau formuliert wäre.
Schwierigkeiten, Teil drei: Ein aus Sicht der Hundebesitzerinnen skurriles Schild in ihrer Wohnhausanlage, auf dem das Folgende zu lesen sei: „Halten Sie Ihren Hund von Rasen und Gehsteig fern.“ Dass ihr Hund wohl irgendwo gehen müsse, entweder am Rasen oder aber am Gehsteig, müsse doch auch den Menschen einleuchten, die ein solches Schild produzieren, meint die Besitzerin eines recht kleinen Vierbeiners. Dass die Hunde hier im Bau nicht auf die Grünflächen gehen sollen, ist ihr bekannt, in der Praxis aber schwer umsetzbar: „In der Stadt am Beton geht’s ma ned.“ Womit natürlich nicht das Spazierengehen, sondern der Stoffwechsel gemeint ist, dessen Produkt sie im Erfolgsfall selbstverständlich umgehend per Plastiksackerl entsorge.
Wer einen Hund hat, ist wie Silvia Rucek daran gewöhnt, bei jedem Wetter vor die Tür zu gehen
Es gibt also eine Reihe Probleme, für die die Anwesenden allerdings nicht nur die Hundelosen, sondern ebenso die rücksichtslosen Hundebesitzer in der Verantwortung sehen, von denen an diesem Nachmittag keiner erschienen ist (wahrscheinlich war es ihnen zu kalt). „Die, die den Kot nicht wegräumen, sorgen damit dafür, dass alle Hundehalter ein schlechtes Image haben.“
Ebenso oft komme es vor, dass unerfahrene Hundehalter sich die falsche Rasse zulegen würden, nämlich eine, zu deren artgerechter Haltung sie gar nicht in der Lage wären: „Das liegt dann aber am Mensch und nicht an der Rasse. Deshalb sind die Listenhunde auch ein Blödsinn. Aber viele Leute haben keine Ahnung, was sie sich anschaffen und was die Rasse braucht.“
Dass es jedenfalls nur mit gegenseitigem Respekt funktionieren könne, gerade im Gemeindebau, darin sind sich alle anwesenden Damen einig: „Von Hundehaltern zu anderen und umgekehrt.“
Noch mehr Einigkeit gibt es nur darüber, dass die Hunde die ganzen Probleme, die man ihretwegen mit anderen Gemeindebaubewohnerinnen und -Bewohnern hat, in jedem Fall mehr als wert seien, denn: „Menschen können enttäuschend sein, aber ein Hund wird dich immer lieben.“
Es gibt Gemeindebauten mit hoher Wohnzufriedenheit – und dann gibt es die Quadenstraße 65–67 in Hirschstetten. In den 1970er-Jahren als zweiter Bauteil der Plattenbausiedlung Ziegelhofstraße projektiert, steht die Wohnhausanlage auf einer vormals von Hirschstettener Landwirten genutzten Fläche.
Ist es die Nähe zu den Blumengärten oder dem Hirschstettener Badeteich, die diese Zufriedenheit auslöst? Was immer es sein mag, die Bewohnerinnen und Bewohner der Quadenstraße fühlen sich in ihrem Zuhause nicht einfach nur wohl, sie sind regelrecht begeistert von ihrem Gemeindebau:
„Eine Gemeindewohnung ist erstrebenswert, sie ist ein sozialer Aufstieg!“
„Die Wohnung war wie ein Palast.“
„Ich habe vom Balkon aus dem siebten Stock geschaut und habe einen super Ausblick über Wien gehabt – die Lichter der Stadt warn wie Weihnachten!“
Das ist nur eine kleine Auswahl der Sätze, die fallen, wenn es um die Erinnerungen der Bewohnerinnen und Bewohner an ihren Einzug in der Quadenstraße geht.
Auch das Thema Hof mit Spielplatz, das in anderen Wohnhäusern wegen möglicher Lärmbelastung oft ambivalent diskutiert wird, stößt hier in Hirschstetten nur auf Zuspruch:
„Man freut sich, hinunterzugehen! Der Hof ist wie unser Garten, wir besuchen uns gegenseitig im Garten!“
„Wir machen auch Feiern, jeder nimmt was mit.“
„Der Kinderlärm unten ist herrlich, da merke ich immer, es wird warm.“
Wo die Stimmung so gut ist, klappt es natürlich auch mit dem nachbarschaftlichen Zusammenhalt:
„Was machst du, wenn du alleine bist, keine Angehörigen hast?“
„Ganz einfach: Dann komm ich bei dir ausmalen, und du kommst zu mir mit dem Schlagbohrer!“
Wenn das Leben doch nur überall so schön wäre wie hier in der Quadenstraße.
„Ihr könnt es euch einmal anschauen, und wenn’s blöd ist, dann könnt’s ja wieder gehen“, sagt eine der wohnpartner-Mitarbeiterinnen zu den etwas scheuen Jugendlichen, die sich im Gemeinschaftsraum des Ella-Lingens-Hofes in Liesing eingefunden haben, um von ihrem Leben hier im Gemeindebau zu erzählen.
So blöd wird es dann gar nicht. Zum Beispiel erzählen die Jugendlichen sehr gerne von dem Sommerfest hier, das ihnen großen Spaß macht, und wo die älteren Mädchen auch bei den aufgebauten Stationen mithelfen: „Ich hab letztes Jahr beim Kinderschminken mitgearbeitet, das war gut.“
Die meisten von ihnen leben schon ihr Leben lang im Ella-Lingens-Hof, nur einer ist gebürtiger Ottakringer und erst seit zwei Jahren hier. Wo ist es schöner, in Liesing oder in Ottakring?
„Hier. Hier gibt’s mehr Kinder und es is mehr los.“ Und wie ist es mit den älteren Hofbewohnerinnen und Hofbewohnern? Konflikte? „Ja, wenn wir mit den Boxen Musik hören.“
Ballspielen und Fahrradfahren sei im Durchgang verboten, erklärt eine Mitarbeiterin der Kinderfreunde, die mit den Kindern aus dem Ella-Lingens-Hof arbeitet. „Aber die Fahrradroute verläuft nun einmal genau da, und wenn es regnet, dann ist das genau der Bereich, wo sich die Kids treffen.“ Zur Schule fahren die Jugendlichen alle um die 40 Minuten in eine Neue Mittelschule in der Carlbergergasse. Wie fühlen sie sich in Wien generell?
„Normal.“
„Ich fühl mich gut.“
„Ich auch: Es gibt hier ja keine Außerirdischen.“
Das stimmt natürlich. Und die Zukunftswünsche sind dann dafür wieder sehr down to earth:
„In Alterlaa gibt’s eine Sporthalle. Es wär super, wenn’s das hier auch geben würd.“
„Ich hab letztes Jahr beim Kinderschminken mitgearbeitet, das war gut.“
ELLA-LINGENS-HOF
Steinergasse 36
1230 Wien
Errichtet 1997–1999
491 Wohnungen
Geplant von Atelier Geiswinkler und Geiswinkler, Roland Hagmüller, Architekturbüro Henke und Schreieck, Architekturbüro Hermann & Valentiny, Peter Nigst, Hugo Potyka
Die engagierte Betreuerin im Jugendzentrum Ju19teen, das sich mitten im Gemeindebau in der Sieveringer Straße 25 befindet, hat viel zu erzählen: von der sozialen Heterogenität des 19. Bezirks, der Bedeutung von Rückzugsorten für Jugendliche oder dem ganz unterschiedlichen Ausbildungs-Background ihrer Kolleginnen und Kollegen, die in dem gemütlichen, an eine WG erinnernden Jugendzentrum als Betreuerinnen und Betreuer tätig sind.
„Unser Standort hat viel mit der Gemeindebaunähe zu tun, weil wir zu 99 Prozent mit Kids aus den Gemeindebauten arbeiten. Solche Einrichtungen werden im Idealfall dort errichtet, wo am meisten Bedarf da ist. Man könnte glauben, im 19. Bezirk gibt’s viele gut situierte Familien, da braucht man das nicht. Mit denen arbeiten wir natürlich auch nicht. Aber die Stadt Wien hat die Standorte der Gemeindebauten so konzipiert, dass es eine soziale Durchmischung gibt, und hier in diesem Eck gibt es viele Gemeindebauten.
Wenn man Kindern und Jugendlichen einen Raum bietet, dann öffnen sie sich auch für Themen, die ihnen wichtig sind. Hier sind sie keinem Druck ausgesetzt, sie müssen nichts leisten, haben keine Voraussetzungen zu erfüllen, sondern können so sein, wie sie eben sind. Die Themen in der Arbeit mit den Jugendlichen sind unterschiedlich. Das Thema Freizeitgestaltung ist zum Beispiel wichtig für Kinder, deren Eltern nicht alles bezahlen können. Da schafft es dann Teilhabe an der Normalität der Gesellschaft für die Kinder, wenn wir mit ihnen Ausflüge machen, sie Kinofilme sehen können et cetera.
Die allermeisten Kinder, die zu uns kommen, stammen aus Familien mit Migrationshintergrund, viele sind aber hier geboren. Vor zwei Jahren hat das Zentrum geöffnet, und damals gab es hier auch eine Einrichtung vom Georg-Danzer-Haus für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Manche Kids von dort docken jetzt immer noch hier an.“
Die Jugendlichen, die an diesem Nachmittag nach und nach in kleinen Grüppchen in das Zentrum tröpfeln, sind anfangs ein bisschen wortkarg, tauen aber rasch auf, als sie erfahren, dass sie gerne auch anonym von ihrem Leben erzählen können:
„Wir dürfen uns falsche Namen ausdenken? Dann heiße ich Manfred!“
Auf die Frage nach der Lebensqualität im Gemeindebau sind Manfred und seine anonymen Freunde sich einig: „Uns geht’s gut hier.“
Und was ließe sich noch verbessern?
„Man könnte in den Höfen zumindest einen Trinkbrunnen einbauen. Sonst muss man zum Wassertrinken immer nach Hause gehen.“
Probleme mit älteren, lärmempfindlichen Mieterinnen und Mietern? Ja, die gebe es tatsächlich, bestätigt Manfred: „Zuerst informieren sie unsere Eltern, wenn wir zu laut sind. Und wenn wir dann immer noch draußen sind, rufen sie die Polizei. Zum Beispiel, wenn wir im Park Fußball spielen. Aber ich finde, die Leute müssen das doch mitbedenken, wenn sie neben einem Park wohnen wollen.“
Sie alle besuchen die Mittelschule Pirkergasse gleich ums Eck; Berufswünsche sind vorhanden und werden klar artikuliert:
„Ärztin!“ „Ingenieur!“ „Architekt!“
Und wie würde der angehende Architekt einen Gemeindebau konzipieren?
„Es sollte auf alle Fälle ein Lift da sein für Leute, die es schwer haben, Treppen zu gehen. Und er muss viele Fenster haben, das ist auch ökologisch hilfreich, das Licht tagsüber von der Sonne zu bekommen“, lautet die eloquente Auskunft.
An diesem Nachmittag sind vielleicht ein Dutzend Jugendliche da, insgesamt sollen es aber um die 25 sein, die regelmäßig kommen. Was lockt sie hierher? Die Antwort ist einfach:
„Hier kann man chillen und das Leben genießen. Zu Hause geht das nicht.“
„Und es gibt WLAN, das ist auch wichtig.“
Gibt es vielleicht noch etwas, was in der Geschichte über das Jugendzentrum Ju19teen auf keinen Fall fehlen darf?
„Ich heiße Manfred. Mein Name muss dabei sein.“
Beatrix Vasicek und Sabina Schneider leben seit 2002 im Gemeindebau in der Grenzackerstraße zwischen Wienerberg und Laaer Berg in Favoriten. Das Paar zog damals mit ganzen sieben Kindern hier ein: zwei leiblichen und fünf Pflegekindern: „Es war sehr schwierig am Anfang. Schon die ersten Blicke, als wir eingezogen sind, waren nicht angenehm.“
Zu dem Zeitpunkt, erzählen die beiden Frauen, hätten sie noch als Schwestern gegolten, bald habe sich das aber geändert. „Die Kinder haben einen guten Beitrag geleistet, dass wir anerkannt wurden, weil wir großen Wert auf gute Erziehung sowie Freundlichkeit und Höflichkeit der Kinder gelegt haben.“ Dadurch habe sich die Atmosphäre hier nach und nach zu einem sehr guten und angenehmen Wohngefühl für die Familie entwickelt. Auch die Buben von Hausbesorger Wolfgang Mayer hätten sich gut mit ihren Kindern verstanden, was einen wesentlichen Beitrag zur Integration in der Anlage geleistet habe.
Herr Mayer selbst hat einen angenehm pragmatischen Zugang zur Lösung nachbarschaftlicher Probleme: „I hob mit kan Mieter do irgend a Problem. Und wenn’s wos geben hot, hob is immer söwa greglt.“
Mayer, der selbst seit dem Jahr 2000 hier lebt, erinnert sich an die Veränderungen in der Grenzackerstraße in den vergangenen zwei Jahrzehnten: „Damals ham wir ja noch Hasen hier gehabt, die sind bis zum Fenster gekommen.“ Der Umbau des Verteilerkreises habe sie dann vertrieben, aber: „Jetzt hamma noch Enten, Igel, Hamster und Marder.“
Auch nicht so übel! „Du bist mitten in der Stadt und trotzdem am Land und in der Natur, das is wunderbar“, bestätigt Mayer.
Was Herrn Mayer, Frau Vasicek und Frau Schneider im Rückblick immer noch überrascht, ist die positive Entwicklung des nachbarschaftlichen Klimas in der Grenzackerstraße, seit die drei ihren gemeinsamen Plan in die Tat umgesetzt und ein Gemeindebaufest veranstaltet haben. Wolfgang Mayer erzählt: „Viele haben Kuchen gebacken und mitgebracht, jeder hat was beigetragen. Es sind 283 Leute gekommen, viel mehr, als ich geglaubt hätte. Zwei Tage vorher hab ich mir noch gedacht, warum tu ich mir das an, weil’s wirklich viel Arbeit war. Aber am Tag des Festes hab ich gewusst: Dafür hab ich’s gemacht und das mach ich jederzeit wieder.“
Als Beatrix Vasicek und Sabina Schneider in die Grenzackerstraße gezogen sind, galten sie vielen als Schwestern
Viele Leute seien damals bis ganz zum Schluss geblieben und hätten am Platz getanzt, schwärmt Mayer, der auch verrät, dass er inzwischen schon zahlreiche Anfragen für ein neues Fest erhalten hat – das er dieses Jahr anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Gemeindebaus in der Grenzackerstraße organisieren will.