Reihe: Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, Band 7
Hrsg. von Claus Bernet
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© 2013 (Erstauflage), Claus Bernet.
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Berlin, 25. August 2016 (5. Auflage)
Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7322-1286-6
Die Kunst der Zeit um 1900 war geprägt von Innovationen und Experimenten. Etwas Neues sollte her! Die Epoche, die Strömungen wie den Jugendstil, die Secession, Art deco und Art nouveau umfasst, hat einige der schönsten Kunstwerke hervorgebracht, vor allem wohl auf dem Gebiet der Sakralkunst in Form von Kirchenfenstern, Fresken und Steinmetzarbeiten. Diese Arbeiten sind so gut wie nie in den großen Zentren des Jugendstils - also Brüssel, Wien, Prag oder Paris - entstanden, sondern abseits, oft in Kleinstädten oder auf dem Lande. Allerdings mit Ausnahme der USA: dort leisteten sich in den reich gewordenen Kirchen der Ostküste einige Gemeinden die schönsten Glasfenster des neuen Stils, die dann über England (arts and crafts movement) nach Europa kamen.
Wann die Epoche zeitlich einsetzt ist ebenso umstritten wie ihr Ende. Im Bereich der Jerusalems-Kunst sind einige Jugendstilwerke lange nach dem Höhepunkt dieser Stilrichtung entstanden. Denn auf dem Lande setzte sich diese Richtung stark zeitversetzt durch, und der Erste Weltkrieg sowie die darauf folgende Weltwirtschaftskrise hat einige Bauprojekte um Jahrzehnte verzögern lassen. So konnten beispielsweise die Wandmalereien der Kirche von Eimsheim (Rheinhessen) sogar erst 1947, also ein halbes Jahrhundert nach dem Entwurf, fertiggestellt werden.
Nicht wenige Jugendstilarbeiten, vor allem auf dem Gebiet der Innenausstattung, sind dem Brutalismus und Purismus der 1960er Jahre zum Opfer gefallen. Einige der schönsten Jeruslalems-Leuchter gingen damals für immer verloren, genauso, wie heute die Werke aus den 1960er Jahren still und leise ihren Weg auf den Dachboden oder den Abfallcontainer finden. Es ist paradox: der Jugendstil, der eine Ästhetik für eine Elite schaffen wollte, erfreut sich heute bei der Masse großer Beliebtheit, wird aber von Kunsthistorikern noch immer skeptisch betrachtet; die ornamentlose Moderne hingegen, die dezidiert für die Masse gedacht war, wird inzwischen, außer in der Kunstwissenschaft, überwiegend abgelehnt und als hässlich empfunden.
Heute wird also der Jugendstil wieder gefeiert: Jugendstilbauten sind gefragt, Fidusbilder erzielen Höchstpreise und viele Gemeinden erinnern sich daran, wie schön ihre Kirchen einst einmal waren. Zum Glück haben sich überraschend viele Werke erhalten, unter denen die Malereien des Russen Nicholas Roerich, die Ausstattungen von Hermann Schaper (der die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin mit Mosaiken schmückte) oder die Fenster von Tiffany zu den besten Arbeiten des Jugendstils überhaupt zählen. Davon kann hier natürlich nur eine kleine Auswahl gebracht werden, die aber belegt, dass auch um 1900 das Himmlische Jerusalem ein, vielleicht sogar der zentrale Gegenstand der christlichen Ikonographie war.
Bild 1
Den Auftakt zu vielen weiteren ähnlichen Jugendstil-Glasfenstern, vor allem in Nordamerika, gab dieses Fenster mit dem Titel „The New Jerusalem“/“Das neue Jerusalem“ oder auch „The descent of the Kingdom of God“, „die Herniederkunft des Reich Gottes“. Es zeigt ein klassizistisches Haupttor Jerusalems mit mehreren kristallinen Kuppeln in hellen Farben, zwischen die sich ein Regenbogen spannt. Das Bild zeigt, dass dieser Bogen die Stadt nicht überspannt, sondern das dieser Bogen mit seinem Scheitelpunkt nach unten gesetzt ist. Auf typisch christliche Motive – wie Engel, Kreuze, Agnus Dei etc. – wurde hier ganz verzichtet, wodurch das Fenster etwas leblos wirkt.
Das Kunstwerk ist Bestandteil der berühmten Trinity Church in Bostons Innenstadt und wurde von dem Meister John La Farge (1835-1919) einige Jahre nach Fertigstellung der Kirche 1878 hergestellt. Die Baukommission der Kirche hatte sich einstimmig für La Farge ausgesprochen, der hier fünf Meisterwerke ablieferte: „Christ Blessing“ oder „Christ in Majesty“ (Fenster 1) wurde schon 1883 fertig gestellt, das zweite, „IEROSOLYMA“ oder „The New Jerusalem“ (Fenster 16; hier zu sehen) 1884; das dritte, „Purity“, im Gemeindehaus 1885, das vierte, „Presentation of Mary at the Temple“ (Fenster 3) 1888 und zuletzt „The Resurrection“ (Fenster 15) vierzehn Jahre später 1902.
Edgar D. Romig: The story of Trinity Church in the city of Boston, Boston 1964.
Helene Barbara Weinberg: John La Farge and the decoration of Trinity Church, Boston, in: Journal of the Society of Architectural Historians, 33, 1974, S. 323-353.