SÖNKE ROEVER

Auszeit

unter Segeln

Ein Sommer auf der Ostsee

 

 

 

 

 

 

 

 

Delius Klasing Verlag

 

1. Auflage

ISBN 978-3-7688-8301-6

Copyright © 2010 by Delius, Klasing & Co. KG, Bielefeld

 

Die Printausgabe dieses Werkes wurde mit der

ISBN 978-3-7688-2628-0 herausgegeben.

 

Fotos: Sönke Roever

 

Karten: Inch3, Bielefeld

 

Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

www.kreutzfeldt.de

 

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk, auch Teile daraus, nicht vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

 

www.delius-klasing.de

 

 

 

 

Für meine Eltern,

die es mir ermöglicht haben,

mit beiden Beinen fest im

Leben zu stehen.

 

Inhalt

 

8Prolog

10Leinen los

15Rund Rügen

25Einsamer Inselurlaub

32Polen ist einmalig

43Wir leben in den Tag hinein

46Mit fünfzig Knoten nach Nida

55Willkommen in Lettland

60So haben wir das nicht gebucht

66Unter Segeln

80Tallinn-Tage

88Kurs Suomi

96Baden, Barbecue, Bananaboot

105HIPPO muss reichen

113Herrentour

123Versorgungsengpass

134Posteingang

138Tag- und Nachtfahrt

144Party in Vaasa

149Zeitlos in den Norden

158Mittsommernacht am Nordkap

169Barbara, Harry und Holger

178Zu viel Südwind

186Am Tag erleben – bei Nacht bewegen

193Höga Kusten

198Dunkle Nächte ohne Lichtmaschine

209Leben im Fünf-Knoten-Takt

219Wetterwillkür

227Heimspiel

237Fernweh statt Heimweh

242Bergenbahn

248Eine ganz übersichtliche Hochrechnung

257Salzbuckel

266Hintergrundinformationen zum Törn

271Danke!

Prolog

Du willst noch leben irgendwann,

wenn nicht heute, wann denn dann?

Denn irgendwann ist auch ein Traum zu lange her!

 

(Wolfsheim im Lied Kein Zurück)

 

 

Ich bin Ins-Büro-Geher. Irgendwo in der New Economy. Morgens hin, nachts zurück und am nächsten Tag das gleiche Spiel. Tagein, tagaus. Fünf Tage unter der Woche und manchmal am Wochenende.

Etliche Jahre geht das schon so, und es macht grundsätzlich Spaß. Und dennoch: Ist das alles? Wo sind die großen Abenteuer, die langen Segelurlaube geblieben, die ich aus meiner Kindheit mit meinen Eltern in Skandinavien kenne? Sie werden in 25 Urlaubstage pro Jahr gepresst und der Kopf mit der Illusion gefüttert, dass eines Tages alles anders wird.

Im August 2003 gibt es diesen Tag. Zum ich-weiß-nicht-wie-vielten Mal philosophieren mein engster Freund Helmut und ich darüber, dass wir mal ausbrechen sollten. Er ist 27, zwei Jahre jünger als ich, und mit seinem Studium zum Bauingenieur fast fertig. Gemeinsam sind wir seit zwölf Jahren auf Elbe, Nord- und Ostsee unterwegs. Erst auf einem Folkeboot und seit acht Jahren auf meiner Ohlson 8:8 HIPPOPOTAMUS. Mehr als drei Wochen Urlaub am Stück haben Studium oder Job aber nie zugelassen.

Beim abendlichen Bier im Cockpit kommt das Thema »Alltag behalten oder Traum leben?« mal wieder zur Sprache. Einziger Unterschied zu sonst: Wir haben uns diesmal vorgenommen, zu einem Ergebnis zu kommen. Obwohl wir Pro und Contra abwägen, fällt uns die Entscheidung leicht. Wir haben offensichtlich schon zu oft darüber nachgedacht und den Pfad zum Ergebnis vorgezeichnet.

Am Abend steht fest: Wir tauschen Audimax und Büro gegen die Cockpitbank und gehen ein halbes Jahr lang Segeln. Einmal um die ganze Ostsee herum – gegen den Uhrzeigersinn – mit der Strömung. 3500 Seemeilen. Zehn Länder. Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn wir erst Familie haben, wird ein solches Vorhaben deutlich schwieriger, und bis zur Rente zu warten ist auch keine Alternative. Helmut unterbricht sein Studium, ich kündige den Job.

Ob wir unseren Traum am Ende auch wirklich so gelebt haben, kann ich nicht sagen, weil ich das Buch während der Reise an Bord schreiben werde. Aber hier und heute – im April 2004 in Hamburg – ist es unsere feste Absicht, das Meer in der Mitte Nordeuropas zu umrunden. Ostern geht es los und Anfang September wollen wir pünktlich zum Hamburger Yachthafenfest wieder in Hamburg sein. Aber das erzähle ich alles mal in Ruhe – irgendwann unterwegs. In jedem Fall wünsche ich viel Spaß beim Lesen und Miterleben unserer Reise.

 

Sönke Roever

 

PS: Wenn Sie weitere Bilder von unserem Törn ansehen möchten, finden Sie diese in Anlehnung an die Kapitelstruktur auf unserer Internetseite:

www.Hippopotamus.de

Leinen los

Noch nie war das Ablegen so schön. Der Motor springt an – wie immer. Wir lösen die Leinen – wie immer. Ich lege den Gang ein und gebe langsam Gas – wie immer. Und doch ist es anders. Es ist der 9. April 2004 und wir stechen endlich in See. Es geht los. Fünf Monate Segeln liegen vor uns. Ein Traum wird wahr. Aber statt uns richtig zu freuen, sind wir ziemlich mit uns selbst beschäftigt. Alles kommt uns so unwirklich vor. Geht es wirklich los? Jetzt?

An Land bleiben die letzten bekannten Gesichter zurück. »Gute Reise und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel«, hallt es zu uns herüber. Die Sonne scheint und die Elbe zeigt sich von ihrer besten Seite. Halber Wind und die Strömung fließt mit. Es wirkt, als ob sich die Marketing-Abteilung der Elbe noch einmal so richtig ins Zeug legt, damit wir nicht zur Konkurrenz »Ostsee« aufbrechen. Wir geben vorübergehend nach, segeln erst mal nur bis Stadersand. Letzte Vorbereitungen abschließen, bevor wir endgültig mit der Abendtide dem Mare Balticum entgegenreisen.

Diese erste Nacht ist dunkel – verdammt dunkel. Ostern ist zwar das Fest, das auf den ersten Vollmond nach Frühlingsanfang folgt, aber eben dieser zeigt sich nicht. Erst ab halb drei soll er erscheinen. Das steht zumindest im Tidenkalender. Somit ist außer Sternen, unseren Instrumenten im Cockpit und dem wiederkehrenden Lichtwurf der Richtfeuer auf der Elbe keine Lichtquelle vorhanden. Letztere erhellen in monotonen Intervallen die Wände im Cockpit und das feuchte Deck. An Land ist es nicht anders. Einzig das Atomkraftwerk Brokdorf fällt mir dort auf. Es scheint orangegelb in die Dunkelheit hinein und ist ein guter Anhaltspunkt für unseren Kurs. Etliche Dampfer sind unterwegs und wir müssen sehr aufmerksam sein. Rote Positionslaternen bedeuten entgegenkommende Schiffe, grüne stehen für mitlaufende Frachter. Die Luft ist klar. Ein toller Sternenhimmel zeigt sich über uns. Unzählige Himmelskörper säumen das Firmament, mehr, viel mehr als über der Stadt. Als Großstädter bekomme ich das viel zu selten zu sehen. Aber jetzt sind sie alle da. Sogar der Planet Merkur steht querab. Der Große Wagen befindet sich genau über uns und das »Himmels-W« Kassiopeia leuchtet backbord voraus. Orion mit seinem Gürtel aus drei Sternen und Aldebaran strahlen knapp über dem Horizont. Es ist kalt. Eben über null Grad. Ich spüre, wie die Kälte außen an meiner Jacke entlangkriecht und sich an den Fingerkuppen sammelt. Der hohe Kragen der Segeljacke ist ein guter Schutz bei diesen Temperaturen. Ich trage Handschuhe und Fleecesocken sowie einige Lagen Pullover und halte mich hauptsächlich unter der Sprayhood auf. Dort tauen die Füße wieder auf.

Wir laufen hoch am Wind und machen fünf Knoten Fahrt durchs Wasser. Groß und Fock ziehen uns durch die wellenlose Finsternis und wir sind überwältigt vom Gefühl loszufahren. Sicherlich könnten die Temperaturen wärmer sein, aber das ist egal. Es geht endlich los. Lange haben wir darauf hingearbeitet. Acht Monate. Bis heute musste immer irgendwas erledigt werden. Und nun erledigen wir einfach nur unseren Kurs. Keine Kisten an Bord schleppen, keine Visa organisieren, keine Löcher bohren und Beschläge montieren, keine neuen Geräte anschließen oder Pinsel schwingen. Einfach nur nach Brunsbüttel segeln. Das ist fast zu simpel für uns. Herrlich einfach ist das. Mir reicht das allerdings nicht, um zu verstehen, dass es gerade beginnt. Mein Kopf ist viel zu voll. Hauptsächlich mit Fragen. Habe ich an alles gedacht? War die Entscheidung richtig? Was kommt danach? Ich weiß es nicht. Ist im Moment auch egal. Trotzdem kommt mir alles mehr wie einer unserer Wochenendtörns vor. Aber das wird sich wohl mit der Zeit noch ändern. Brunsbüttel erreichen wir kurz nach Mitternacht. Wir sind das einzige Schiff in der Schleuse zum Nord-Ostsee-Kanal.

Am nächsten Morgen wird übrigens bereits die erste Frage beantwortet. Ich habe nämlich nicht an alles gedacht. Ohne Diesel ist so eine Kanalfahrt eine recht kurzweilige Angelegenheit. Also – leere Kanister zusammenbinden, über die Schulter werfen und an der nächsten Kreuzung Daumen raus. Es läuft besser als erwartet. Der erste Wagen hält. Roter Ford Kombi. Keine Ahnung welches Modell. Wäre es ein Schiff, wüsste ich es. Der Fahrer ist Mitte fünfzig, trägt schwarze Haare und Schnauzer, dazu eine gleichfarbige Lederjacke und Karohemd.

»Das Problem mit dem Diesel kenne ich. Ist echt schlecht zu bekommen hier. Bin selbst Segler, helfe euch gerne.«

Er ist ehemaliger Berufsskipper und inzwischen aus gesundheitlichen Gründen in Frührente. Sein Schiff, die BOREAS, ist ein weißer, elf Meter langer, sieben Tonnen schwerer Eigenbau aus Holz und liegt im alten Hafen von Brunsbüttel. Im Sommer wollen er und seine Frau nach Schottland. Ich beginne von unserer Ostsee-Tour zu erzählen. Er ist begeistert und fährt mich spontan auch wieder zum Hafen zurück. Danke noch mal an dieser Stelle.

Stichwort »Ostsee«: Permanent wurden wir in den Wochen und Monaten der Vorbereitung gefragt: »Wieso denn Ostsee und nicht Mittelmeer?« Gute Frage. Die Antwort ist ganz einfach: weil die Ostsee wunderschön und enorm abwechslungsreich ist. Wir freuen uns auf Rügen, die Felseninsel Bornholm in Dänemark, die Wanderdünen in Polen und Litauen, die alten Hansestädte Riga und Tallinn in Lettland und Estland, das Einklarieren in Russland, die hellen Nächte in Finnland, den Göta-Kanal mit seinen über fünfzig Schleusen in Schweden und die einsamen Schärenbuchten in Norwegen. Außerdem ist die Ostsee sehr weitläufig. Unsere nicht segelnden Freunde denken immer nur von Hamburg bis zum Timmendorfer Strand und gucken uns mit fragenden Gesichtern an:

»Dafür braucht man doch kein halbes Jahr!«

Doch! Brauchen wir. »Das ist so, als wenn man zu Fuß um Deutschland herumgeht«, erwidert Helmut darauf gern. Schließlich wollen wir bis zum Ende unseres Törns über 3500 Seemeilen (rund 6500 Kilometer) – das nur als Anmerkung für die nicht segelnden Freunde – im Kielwasser lassen.

Die Weiterfahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal verläuft unspektakulär und eintönig wie die anderen sechzig Male zuvor auch. Zu oft bin ich hier schon durchgefahren. Es ist einfach nicht mehr spannend oder aufregend, knapp hundert Kilometer nur geradeaus zu fahren. Es ist sogar noch langweiliger als sonst, weil so früh im Jahr noch nichts los ist. Die Bäume tragen keine Blätter, am Ufer stehen nur vereinzelt Angler, und wir werden von genau einem – ja, einem einzigen – Sportboot bis Kiel überholt. Hätte ich ein Rätselheft, wäre es mir schutzlos ausgeliefert. Ich versuche die Zeit unter Deck mit sinnvollen Dingen totzuschlagen statt mich am sonnigen Wetter zu erfreuen. Wir haben acht Grad und am Himmel türmen sich blaue »Schleswig-Holstein-Wolken«. Kennen Sie die? Das sind diese Wolkentürme, die man auf der H-Milch-Packung von Aldi findet.

Bis Hochdonn bei Kilometer 25 habe ich aus unserem Wust an Schrauben, Muttern und sonstigen Kleinteilen immerhin schon mal ein übersichtliches Sortiment in zwei Sortierkästen gemacht. Dafür ist der Mülleimer voll.

Zwischen Kilometer 25 und 40 packen wir die restlichen Abschiedsgeschenke aus. Im Survival-Pack von Kerstin und Christian befindet sich ein Foto von den beiden. Ich hänge es spontan in der Pantry auf. Nun fahren sie mit uns. Von meiner Tante gibt es ein von ihr verfasstes Kochbuch in Form eines Schnellhefters: »Auszug aus Sabines schneller schmackhafter schlitzohriger Schiffsküche«. Ich bin gespannt auf den Nudelsalat mit Apfel und Helmut auf den Linsentopf. Etliche Männermagazine haben wir auch bekommen. Besonders viel Spaß macht uns ein Blatt namens Matador. Dort zeigt sich die 20-jährige Industriekauffrau Sandra aus Regensburg recht freizügig. Der Clou ist, wenn man mit dem Finger über ihren Rücken streicht, kann man ihr Parfüm riechen. Kein Scherz! Es stimmt. Dennoch ist der Informationsgehalt dieser Blätter eher gering und so überleben sie die Kanalfahrt am Ende nicht.

Da bietet das »Merkblatt über deutsche Zollbestimmungen für Schiffsführer von Wassersportfahrzeugen« einen deutlich höheren Unterhaltungswert. Im Abschnitt 2.2 heißt es:

»Abgabenfreier Schiffsbedarf darf nur in Mengen bezogen werden, die dem Bedarf für die bevorstehende Reise entsprechen. Bei der Bemessung des Bedarfs sind etwa noch an Bord vorhandene Bestände zu berücksichtigen. Für Tabakwaren, Alkohol und alkoholhaltige Getränke sowie Kaffee und Kaffeeauszüge werden je Person und Tag die folgenden Mengen als angemessen angesehen: 40 Zigaretten oder 10 Zigarren oder 50 Gramm Rauchtabak, 0,5 Liter Spirituosen, 1 Liter Wein, 60 Gramm Röstkaffee oder 30 Gramm Kaffeeauszüge.«

Interessante Mengenverhältnisse. Wenn wir das befolgen und jeder bis zum Ende unserer Reise jeden Tag zehn Zigarren, einen halben Liter harten Alkohol und einen Liter Wein zu sich nimmt, werden wir das Ende unseres Törns vermutlich beide nicht erleben. Mal davon abgesehen, dass dann keiner von uns das Schiff führen könnte, weil wir ständig einen Rausch ausschlafen müssten. Lustige Vorstellung. Dennoch – wir werden die Hinweise beim »Lebensmittel«-Bunkern in Kiel beherzigen.

Ab Kilometer 40 beginnen wir als Einstimmung auf St. Petersburg VOLGO-BALT-Schiffe zu zählen. Das sind kleine russische Frachter, die vor Rost ihre eigentliche Farbe nicht mehr preisgeben. Nummer 192 und Nummer 102 haben wir bis Kiel im Sack. Die restlichen Kilometer verlaufen ähnlich. Für solche Dinge ist der Kanal eben gut. Welcher Segler kennt nicht den Spruch für alle unerledigten Aufgaben: »Das machen wir im Kanal!« Er hat folglich auch gute Seiten. Und außerdem bringt er uns zur Ostsee – unserer Heimat für die kommenden Monate.

Und so folgt in Kiel-Holtenau, was folgen muss: Völlig überhastet poltere ich aus der Kajüte, zwei Bier in der Hand. Ist zwar erst 13 Uhr, aber vor uns gehen gerade die Schleusentore auf.

»Mensch, Helmut, ist dir klar, dass wir jetzt die Ostsee betreten und von nun an keine Strecke mehr doppelt befahren?«

»Nein, das war nicht ganz klar.«

»Darauf müssen wir anstoßen. Wir sind quasi am ersten Ziel unserer Reise, obwohl sie noch gar nicht richtig angefangen hat!«

»Stimmt! Prost – auf uns und das, was vor uns liegt!«

»Möge unser Abenteuer beginnen.«

Rund Rügen

Laboe, Fehmarn und Gedser sind unsere ersten Stationen. Sicherlich kann ich dazu mehr aufschreiben, aber das würde nur langweilen. Es ist nämlich überhaupt nicht abwechslungsreich. Seit Kiel haben wir einfach jeden Tag Sonne und Flaute. In Zahlen heißt das: schon über dreißig Stunden unter Motor seit Hamburg. Ein unerwarteter Start für unser Unternehmen. Hatten wir doch mit Nebel, Kälte, Regen und viel Wind gerechnet. Und jetzt? Dauerflaute! Uns macht das zu schaffen. Wir sind nun mal kein Motorboot.

»So ist das Wetter. Einfach immer wieder anders«, sagt Helmut.

Wir nutzen daher die etlichen Seemeilen unter Motor: Helmut kann inzwischen den Grundton C »c«-flüssig aus der Trompete hervorbringen, und bei mir reichen die Akkorde auf der Gitarre immerhin schon für 4 x A, 4 x D und 4 x E, dann wieder von vorne. Dazu sei gesagt, dass Helmut mir während unserer Tour das Gitarrespielen und ich ihm im Gegenzug das Trompetespielen beibringen will. Auf dem Papier sind wir außerdem Angelexperten – die Praxis muss das noch bestätigen –, und das Schiff ist ordentlich wie nie. Wir haben alles gründlich geputzt und sauber gemacht. Einzig über unser Echolot zerbrechen wir uns den Kopf. Es meldet ab 30 Grad Schräglage auf dem Steuerbordbug keine Wassertiefe mehr. Das liegt daran, dass wir es nicht senkrecht einbauen konnten und es in seiner Einbau-Position 15 Grad nach Backbord zeigt. Uns war beim Einbau bewusst, dass das aufgrund des Abstrahlwinkels zu Ausfällen führen kann, aber ehrlich gesagt haben wir das nicht so eng gesehen und somit unterschätzt.

Trotzdem geht es uns exzellent. Wir kriegen das in den Griff. Wenn nicht morgen, dann übermorgen. Das lassen wir einfach mal auf uns zukommen. Ich stelle fest, dass sich in der kurzen Zeit schon eine gewisse Gleichgültigkeit bei uns entwickelt hat. Wir haben uns an Bord bestens eingelebt. Das Leben ist einfach und wunderschön. Wir tragen keine Uhren mehr und richten uns nach der Sonne. Hamburg ist geistig sehr weit weg, aber es fühlt sich immer noch wie zu Hause an, weil bisher keine bordeigene Getränkequelle versiegt ist und wir überall jene Lebensmittel nachbekommen, die wir gerne verwerten. Spannend wird es erst, wenn der Krabbensalat und die Gulaschsuppe aufgebraucht sind. Was dann? Neue Kulturen, andere Spezialitäten – warum nicht? Darauf freue ich mich schon die ganze Zeit. Und dennoch kann es nicht schaden, ein Stück Heimat in Form von eben diesen Lebensmitteln im Gepäck zu haben. Wie heißt es so schön: Heimat ist kein Ort – Heimat ist ein Gefühl. Im Moment kann ich mir auf jeden Fall überhaupt nicht vorstellen, dass die Tour irgendwann mal zu Ende ist. Und das ist gut so.

 

 

 

Aber zurück zum Hier und Jetzt. Gedser ist das Ende der Welt. Schon mal dort gewesen? Wenn nein, nichts verpasst. Wenn ja, geht es Ihnen vielleicht wie uns. Gedser ist farblos – hat kein Gesicht, keine Persönlichkeit. Ein liebloser Ort. Der Hafen ist schön, keine Frage, aber der Rest? Ein Kaff, fünf Häuser breit und dreihundert Häuser lang – dominiert durch einen Fährterminal. Linienverkehr mit Rostock – dreimal täglich. Zahlreiche Brummis donnern über die Hauptstraße zum Terminal oder kommen von dort. Früher gab es auch einen Eisenbahnanschluss. Jetzt wächst Gras über die Gleise und die Schwellen verrotten. Die Anlage wirkt hässlich und gar nicht einladend. Industrielandschaft. Auf den Straßen treffen wir kaum Menschen.

»In Gedser hält man sich nur auf, wenn man einer Bestimmung folgt. Welcher auch immer«, beschließt Helmut.

Wir haben keine außer Diesel zu besorgen, und den gibt es schon im Yachthafen. Ist nicht böse gemeint, aber wir wissen einfach nicht, was man in Gedser soll, und verlassen den dänischen Hafen nach einer Nacht wieder mit dem Ziel Mecklenburg-Vorpommern.

Laut GPS sind es noch 18 Seemeilen bis zu unserer Ansteuerungsmarke vor Hiddensee – einem Bleistiftkreuz auf der Seekarte. Es ist Flaute. Kein Lüftchen regt sich, kein Windhauch ist zu erkennen. Unsere Wimpel hängen schlaff herunter wie Lametta an einem Weihnachtsbaum, und die Ostsee sieht aus wie ein großer bleierner Teich. Eine glänzende, spiegelglatte, dunkelblaue Fläche. Das Einzige, was diese Eintönigkeit durchbricht, ist der Schatten unseres Mastes, der sich auf der Wasseroberfläche abzeichnet. Die Sonne knallt herab. Hoch über uns ist der Himmel tiefblau und je weiter der Blick nach unten wandert, desto mehr gleicht sich dieses Blau dem des Wassers an, bis beide annähernd die gleiche Farbe haben. Der Horizont ist daher nur schwer auszumachen. Dunst steht über der Wasseroberfläche, nirgendwo ist Land zu sehen, und wir sind fast ganz allein hier draußen. Lediglich ein kleiner roter Dampfer mit weißem Aufbau in einigen Seemeilen Entfernung streift unseren Weg. So geht das schon fünf oder sechs Stunden. Es ist Mitte April und ich kann nach wie vor nicht glauben, dass wir solche Bedingungen haben. Wo ist das berühmte Aprilwetter? Die Temperaturen schwanken zwischen zehn und zwölf Grad. Wir tragen keine Jacken, nur Pullover, weil wir uns einfach schon daran gewöhnt haben. Eben war ich kurz auf Socken auf dem Vorschiff und habe gemerkt, wie warm das Deck von der Sonne ist. Nachts ist es aber immer noch höllisch kalt. Um die vier Grad haben wir morgens im Schiff. Dann können wir unseren gefrierenden Atem sehen. Glücklicherweise haben wir Fleece-Unterwäsche. Die ziehen wir morgens an und abends vor dem Schlafengehen wieder aus. Ohne ist es einfach noch zu kalt. Es kostet mich jedes Mal eine gehörige Portion Überwindung, unter die kalte Bettdecke zu schlüpfen. Meinetwegen kann der Sommer kommen. Vor allem frage ich mich, wann wir endlich mal Wind bekommen. Das kann doch nicht ewig so weitergehen. Helmut sieht es ähnlich. Im Logbuch notiert er:

»Wann kommt endlich Wind? In Gedser mussten wir noch einmal unseren Dieseltank auffüllen, damit wir die 60 Seemeilen bis Hiddensee unter Motor meistern können. Den geplanten Zwischenstopp im Hafen von Darßer Ort auf halber Strecke mussten wir leider verwerfen. Laut den Meldungen für Seefahrer im Anschluss an den Wetterbericht auf DP07-Seefunk ist der Hafen mangels Befahrbarkeit bis auf Weiteres gesperrt. Die See ist ruhig. Kein Seegang. Gefrühstückt und abgewaschen wird während der Fahrt. Der Autopilot summt, und wir versuchen uns an den mitgenommenen Instrumenten. Ich beschäftige mich mit dem Zustandebringen von Trompeten-Tönen, und Sönke lernt das schnelle Umgreifen zwischen den Akkorden A-Dur, E-Dur und D-Dur auf der Gitarre. Das reicht für My Bonny is over the Ocean. Schönes Lied.«

Gegen Abend hat der Wind ein Einsehen mit uns. Bei der Ansteuerungsmarke vor Hiddensee werden wir erlöst. Eine leichte Abendbrise aus Nordost setzt ein, was dazu führt, dass wir vor Freude über das Ende der Tage ohne Wind nun fast alles machen.

»Klar bei Spinnaker!«, rufe ich Helmut zu.

Kurz darauf steht das Sechzig-Quadratmeter-Tuch gut gefüllt über dem Vorschiff. Allerdings dreht der Wind kurze Zeit später auf Ost und kommt nun vorlicher ein. Spinnaker bergen? Nein! Kommt nicht in Frage. Das reizen wir aus. HIPPOPOTAMUS fängt an zu laufen. Erst vier, dann fünf und schließlich sogar sechs Knoten. Was für eine Genugtuung. Wir knüppeln das Schiff an seine Grenze und surfen zeitweilig 50 Grad am scheinbaren Wind zwischen den roten und grünen Tonnen der engen Fahrwasser hinter Hiddensee durch. Hätte ich nicht für möglich gehalten, aber es geht!

»Mensch Helmut, das machen wir uns jetzt zunutze! Guck mal, auf dem letzten Stück verläuft unser Kurs durch den Vitter Bodden genau nach Norden, also mit halbem Wind. Wir lassen den Spi einfach oben.«

»Großartige Idee!«

Kurz darauf wird uns beiden allerdings klar, dass ich keine gute Idee hatte. Schließlich muss der Spinnaker auch irgendwann mal wieder runter. Dazu muss bekanntlich der Wind von hinten kommen. Unsere Augen suchen die Seekarte ab und wir stellen fest, dass für das Manöver nur eine Stelle in der engen Rinne infrage kommt: der Abzweig nach Vitte. Zu unserer Überraschung können wir nicht abbiegen – wir haben unseren Plan ohne Berücksichtigung anderer Verkehrsteilnehmer gemacht. An besagtem Punkt werden wir nämlich in aller Seelenruhe von einem Fahrgastschiff überholt und ein Fischer kommt uns entgegen.

»Sich da jetzt durchzwängen? Unmöglich, dann gibt es hier Kleinholz«, fasst Helmut die Situation treffend zusammen.

Und so sausen wir mit Vollgas an Vitte vorbei. Erst eine Seemeile später in der Hafeneinfahrt von Kloster können wir den immer noch prall gefüllten Spinnaker bergen. So erfahren wir zwangsweise, dass der Hafen von Kloster viel sehenswerter ist als der von Vitte. Daher war die Idee mit dem Spinnaker doch ganz gut. Manchmal läuft eben alles zusammen.

 

 

Unter Spinnaker durch den Vitter Bodden

 

Vor der Reise habe ich mich immer wieder gefragt, wann so ein Urlaub beginnt. Beim ersten Gedanken daran? Beim Packen? Beim Stauen? Beim Auslaufen? Beim »Betreten« der Ostsee oder gar erst, wenn wir Deutschland verlassen? Wenn wir sonst in See stachen, dann kamen wir immer irgendwo an – zum Beispiel im ersten ausländischen Hafen –, doch wir sind immer noch in »Good Old Germany«. Trotzdem beginnt unser Abenteuer jetzt – nachdem zum ersten Mal der Spinnaker oben war. Es ist unspektakulär: Ich sitze mit einem Fläschchen Bier im Cockpit und schaue mir unsere Umgebung an. Im ganzen Hafen ist es absolut still. Helmut hockt mir gegenüber und wir schweigen. Wenn ich ihn ansehe, strahlt er weit über beide Ohren hinaus und ich muss auch lachen. Ich weiß, was das bedeutet. Unendliche Freude und Bewusstsein über das eigene Glück. Wir kennen uns schon zu lange, als dass das noch Worte braucht. Warum hier? Warum jetzt?

Ich glaube, es ist so, weil wir einfach nur dasitzen – ohne eine Beschäftigung. Vorher haben wir immer noch etwas am Boot zu tun gehabt. Sachen weiter einräumen und für alles einen geeigneten Platz finden. Nun sind sämtliche Kisten ausgepackt, die Dinge verstaut und wir haben zum ersten Mal seglerisch alles aus dem Schiff rausgeholt.

Hiddensee ist eine landschaftlich reizvolle Insel, die von weitem so aussieht, als ob da was fehlt. Das nördliche Ende ist bergig und ragt 70 Meter über den Meeresspiegel hinaus. Der Süden ist flach und lang gezogen. Der Wechsel zwischen Anhöhe und Flachland findet abrupt statt. Ungewollt.

»Als wenn jemand den Übergang geklaut hat«, beschreibt Helmut die Insel.

»Mich erinnert es eher an eine Spülbürste, die auf dem Rücken liegt, und hier am Nordende ragen die Borsten in den Himmel. Auf Modelleisenbahnen gibt es das Phänomen auch oft. Da wird einfach ein Berg aufgestellt, damit sich ein Tunnel ergibt, wo keiner hingehört.«

Das Erscheinungsbild macht uns neugierig und wir versuchen rauszukriegen, wie dieser Hügel entstanden ist. Auf einer Informationstafel am Hafen werden wir fündig:

»Entstanden ist der Dornbusch während der letzten Eiszeit vor ca. 12 000 Jahren. Gletscher verfrachteten ein aus Lehm, Ton, Mergel, Sand und Geröll bestehendes Geschiebe aus dem skandinavischen Raum in dieses Gebiet und lagerten es als eine Stauchendmoräne hier ab. «

Die Insel Hiddensee ist abwechslungsreich: Steile Sandklippen umranden die Tannenwälder, saftige Wiesen und Hecken erstrecken sich zwischen einer Hand voll Dünen und es wächst endlos viel Schilf in den seichten Ausläufern der Gewässer. In gleichmäßigen Abständen stehen knallgelbe Schilder, auf denen eine schwarze Eule abgebildet ist. Sie weisen darauf hin, dass dies ein Naturschutzgebiet ist.

Der Hafen von Kloster, am Fuß der Endmoräne, ist klein und eckig. Ich schätze, dass hier im Sommer maximal 25 Schiffe Platz finden. Alles ist neu: das Toilettengebäude, das Hafenmeisterbüro, die Strom- und Trinkwasseranschlüsse und sogar die Spundwand des Fähranlegers. Aufbruchstimmung in eine neue Ära in der Geschichte von Kloster. An diesem Morgen werden die Regale für das Büro des Hafenvorstehers geliefert.

Mit Kloster haben wir ungewollt einen guten Ausgangspunkt für unseren Spaziergang zum Leuchtfeuer Dornbusch gewählt. Es sind nur knapp zwei Kilometer bis zu seinem Fuße.

Wie wäre es mit ein paar Daten zum 27 Meter hohen Turm mit der Kennung »2,4 Sekunden hell – 7,6 Sekunden dunkel«? Er wurde 1888 gebaut. Bereits 1891 bildeten sich erste Risse im Verblendmauerwerk und fortan mussten ständig Ausbesserungsarbeiten durchgeführt werden, sodass er 1926 einen Betonmantel erhielt und seither zwölfeckig ist. Nach dem Aufstieg über 102 Stufen durch das enge Treppenhaus genießen wir einen herrlichen Ausblick über die Insel.

Beim Abstieg stoße ich auf einer kleinen Zwischenetage auf das Gästebuch des Bauwerks. Monique, 15 Jahre, aus Magdeburg bestätigt meine Behauptung: »Die Aussicht ist der Wahnsinn – wirklich schön. Ich hoffe, dieser Turm bleibt weiter so erhalten. Alles Gute und liebe Grüße.« Das hoffe ich auch.

Glücklicherweise sind wir gleich morgens aufgebrochen und mit Einsamkeit belohnt worden. Einige Bundesländer haben Osterferien und im Laufe des Tages nimmt die Touristendichte auf Hiddensee sehr stark zu. Wenn sie nicht mit einem der zahlreichen Fahrgastschiffe aus Stralsund oder Schaprode eintreffen, dann per Wassertaxi oder mit dem Fahrrad am Deich entlang aus Vitte. Helgoland ist im Vergleich dazu ein Ruhepol, und das, obwohl es hier nicht einmal einen zollfreien Einkauf gibt. Die Situation scheint auch einige Bürger von Kloster gelegentlich zu überfordern. Folgenden Dialog, der sich beim Versuch, unseren Müllbeutel in einem Restaurant loszuwerden, zwischen einem Kellner und mir abspielte, möchte ich daher nicht für mich behalten:

»Entschuldigung, ich habe eine Frage. Am Hafen gibt es noch keine Mülleimer. Kann ich unseren Beutel vielleicht in ihre Tonne werfen?«

»Du bist wohl bescheuert!«

»Entschuldigung. Haben Sie Angst, dass Ihre Tonne dann voll ist?« »Quatsch, die ist groß genug, aber ich bezahle ja schließlich dafür.« »Klar, verstehe ich, was würde es denn kosten, den Müll bei Ihnen zu lassen?«

»Darum geht es nicht!«

»Und nun? Wie lösen wir das Problem?«

»Keine Ahnung – das muss die Gemeinde lösen, die holt doch die ganzen Leute hierher! Ich kann Ihnen da nicht helfen!«

»Aha, vielen Dank und einen schönen Tag noch.«

Wir setzen unsere Reise über Barhöft nach Stralsund fort. Ein guter Zeitpunkt, die Windfahnensteuerung auszuprobieren. Das ist ein Autopilot, der rein mechanisch nur mit der Kraft des Windes arbeitet. Wir haben ihn erst kurz vor der Tour montiert, damit wir auf langen Schlägen nicht die ganze Zeit lenken müssen, sondern auch mal ein Buch lesen oder eine Suppe kochen können. Ich stelle die Pinne fest und aktiviere das zusätzliche Ruderblatt, das an die Windfahne gekoppelt ist. Es funktioniert auf Anhieb. Das Schiff hält einen konstanten Winkel zum Wind. Nach ein paar Tonnenpaaren haben wir genug Übung, dass wir mittig zwischen den Fahrwassermarkierungen durchlaufen. Nur der Wind darf nicht drehen. Sonst fahren wir in eine andere Richtung. Denn der Winkel zum Wind bleibt bei dieser Steuermethode immer gleich. Dies ist nur eine von vielen Veränderungen, die wir extra für den Törn am Schiff vorgenommen haben. Außerdem gibt es endlich einen elektrischen Kühlschrank, eine neue Bordtoilette, Maststufen, Leesegel, einen Anker mit Winde am Bug, einen Cockpittisch, Lifeleinen, einen Heckkorbgrill und einen Außenbordmotor für unser Beiboot. Schließlich ist dies unser Zuhause für eine lange Zeit, und da wollen wir uns wohl fühlen.

Apropos Zuhause: HIPPOPOTAMUS ist eine Segelyacht vom Typ Ohlson 8:8, 1977 in Schweden gebaut, 8,80 Meter lang, 2,85 Meter breit, 1,56 Meter tief und vier Tonnen schwer. Die Segelfläche beträgt 43,5 Quadratmeter.

Den Schiffsnamen habe ich aus England mitgebracht. Ich war dort für ein Praktikum und fand das Wort »Hippopotamus« einfach lustig. Insbesondere die vielen wiederkehrenden Buchstaben hatten es mir angetan. Hafenmeister und Schleusenwärter bringt der Name regelmäßig zur Verzweiflung. Ich erwische sie immer wieder dabei, wie sie einfach nur »Hippo« auf die Quittung schreiben. Übersetzt bedeutet der Begriff übrigens nichts anderes als »Nilpferd«. Deswegen ziert den Rumpf auch auf jeder Seite ein über zwei Meter langes Flusspferd.

Das Schiff habe ich seit acht Jahren. Damals war ich 21. Wie ich in so jungen Jahren dazu komme? Nein, ich habe keine reichen Eltern und ich habe nicht im Lotto gewonnen. Das kam anders. Als Kind segelte ich in den Schulferien und am Wochenende mit meinen Eltern. Spätestens mit 14 hatte ich überhaupt keine Lust mehr dazu – insbesondere auch, weil ich immer seekrank wurde und mit meinem Mageninhalt die Fische fütterte, sobald wir den Hafen verließen. Stattdessen bin ich lieber mit der Kirchengemeinde auf Jugendreisen nach Italien oder Holland gefahren. Meinem Vater war es – so glaube ich heute – ein Dorn im Auge, dass der Sohnemann nicht weiter zur See fuhr, und er handelte entsprechend bei der ersten Gelegenheit.

Im August 1989 gab es einen sehr starken Orkan, der im Hafen von Wendtorf an der Kieler Förde heftige Schäden anrichtete. Papa kaufte damals spontan für ’n Appel und ’n Ei ein Internationales Folkeboot, das eine Woche unter Wasser gelegen hatte und entsprechend aussah. Er war der Meinung, dass ich mit seiner Hilfe das Schiff aufarbeiten könnte und hinterher ein Boot zur Verfügung hätte. Ich verspürte diesen Drang nicht. So stand es mehr als ein Jahr lang zwischen Blumen und Büschen bei uns im Garten, wurde von den Vögeln als Nistplatz geliebt und nichts passierte.

Mit der Zeit fand ich doch Gefallen an Vaters Idee und der mit ihr verbundenen Unabhängigkeit. Schließlich haben Papa, Mama, meine Freunde und ich das Boot in mühevoller Kleinarbeit wieder klar gemacht. 1992 ging es im Alter von 17 Jahren auf die erste eigene Sommertour durch die dänische Inselwelt! Das war der Beginn meiner Segelsucht.

Vier Jahre später beschlossen meine Eltern, dass meine jüngere Schwester die gleiche Chance haben sollte wie ich. Papa hatte von einer stark beschädigten Ohlson 8:8 gehört, die günstig zu haben war. Es fehlte bei dem Schiff an Steuerbord auf einer Länge von ca. vier Metern die Verbindung zwischen Rumpf und Deck. Wie ich da so stand und dieses Wrack mit ihm zusammen ansah, begann ich zu überlegen, dass es ja auch meines werden könnte.

»Papa, was hältst du davon, wenn ich die Baustelle kaufe und meine Schwester das Folkeboot nimmt?«

Ihm gefiel die Idee, und ich war eine Woche später Besitzer dieses Schrotthaufens!

Seit jenem Abend im November 1995 sind über 900 Arbeitsstunden in die Ohlson gegangen, 600 von mir, 200 von Helmut und 100 von anderen Mitseglern. Im Juli 1996 habe ich das Boot zum ersten Mal zu Wasser gebracht und in den Wochen danach mit Helmut und einigen Freunden die westschwedischen Schären erobert. Irgendwann hatte ich auch die letzte Darlehensrate bei meinen Eltern abgestottert, und seitdem genieße ich die Unabhängigkeit auf eigenem Kiel.

Dass das Schiff mal ein Totalschaden war, sieht man nicht mehr. Einzig dass die Steuerbordseite etwas steifer als die Backbordseite segelt, erinnert mich hin und wieder daran. Das Segeln hat mich bis heute nie wieder losgelassen. Es ist ein fester Bestandteil meines Lebens geworden.

In Stralsund kommt meine Freundin Judith für das Wochenende an Bord. Da der Südostwind uns seit Hiddensee scheinbar nicht mehr verlässt, kreuzen wir mit ihr durch den Strelasund und finden Gefallen am Bodden. Er ist landschaftlich wunderschön, aber um diese Jahreszeit seglerisch zu eng. Ein Beispiel: In der Seekarte steht:

»Fahrzeuge, die den Greifswalder Bodden während der Heringsfischerei im Frühjahr durchfahren, dürfen nur die Zwangswege benutzen.«

Wir nehmen das nicht so ernst, weil wir nun mal kreuzen müssen und folglich Platz brauchen. Kurz darauf stellen wir fest, dass wir in ein Meer von Fischerbojen hineingesegelt sind. Normalerweise ist das nicht schlimm, weil sich die Netze in ausreichender Tiefe befinden. Aber während der Heringsfischerei reichen sie bis an die Oberfläche und sind miteinander verbunden. Fast eine halbe Stunde versuchen wir einen Ausgang aus dem Labyrinth zu finden. Das Gegenteil ist der Fall.

»Jungs, wir befinden uns in einem riesigen Irrgarten aus Bojen und Stellnetzen und sind in eine Sackgasse gesegelt. Klar zur Wende!«, fasst Judith die Situation treffend zusammen.

Am Ende kostet uns der Vorfall neben einigen Nerven auch noch fast eine Stunde Zeit. Aber was ist das schon im Vergleich zu unserer Gesamtreisezeit.

Auf der Seekarte entdecke ich noch einen anderen Hinweis:

»Die angestrebten Wassertiefen sind Solltiefen. Man muss damit rechnen, dass sie nicht überall erreicht werden.«

Aha, und wofür benutze ich diese Seekarte, wenn quasi jede Tiefenangabe wertlos ist?

Wir laufen Sassnitz an. Der Stadthafen animiert zur Weiterfahrt. Alte Gebäude aus DDR-Zeiten säumen die Uferlinien. Fischfang, Fischumschlag und Fischlagerung prägen das Bild der Anlagen. Gleise, auf denen schon lange keine Züge mehr fahren, kreuzen die riesigen Betonflächen. Nahe der Hafeneinfahrt vergammelt ein Fährterminal, und der Steg für Segler sieht wenig einladend aus. Über die sanitären Einrichtungen möchte ich mich nicht näher auslassen, außer dass der Besuch jedes Mal 50 Cent kostet. Wofür zahlen wir hier Hafengeld?

Ich bin schlecht drauf. Merkt man, oder? Judith geht von Bord und wir sehen uns erst in Finnland wieder. Ich hatte mir das einfacher vorgestellt, dachte: »Das passt schon«, aber jetzt belastet es mich. Als wir uns ein halbes Jahr vor der Abreise näher kennen lernten, habe ich ihr gleich erklärt, dass ich keine Beziehung will, weil ich segeln gehe und es mich nur runterzieht, wenn ich an Bord bin und sie weit weg in Hamburg ist. Wenn, dann möchte ich, dass meine Freundin auch an Bord ist und wir Eindrücke und Erlebnisse teilen.

Hat super geklappt, mein Vorsatz. Eine Hand voll romantischer Abende am Elbstrand und an Bord mit ihr haben mich schnell vom Gegenteil überzeugt. Nicht, dass ich mich jetzt darüber ärgere. Um Himmels willen. Sie fehlt mir nur jetzt schon.

Einsamer Inselurlaub

 

 

Backbord achteraus verschwinden die letzten Lichter von Sassnitz. Sie schimmern weiß und hellorange. Der Wind ist eingeschlafen und es ist noch eine gehörige Restdünung vorhanden, wir werden ordentlich hin und her geschaukelt. So rollen wir mit unserem neuen Mitsegler Ulrich nach Bornholm. Er ist ein Freund von Helmut – ebenfalls 27 Jahre alt –, in Sassnitz zugestiegen und quasi unser erster richtiger Gast auf dieser Tour. Kinnlange, blonde Haare, die er meistens als Zopf trägt, umranden sein rundes Gesicht, und auf den kleinen Ohren sitzt eine Nickelbrille. Für mich sieht er wie der typische Programmierer aus, aber er ist Bauingenieur. Wir plaudern über unsere Hobbys:

»Was für dich Segeln ist, ist für mich Tennis!«, erklärt er. »Ist schon unheimlich hier draußen ohne Anhaltspunkte, oder?«

Zum Teil hat Ulrich Recht. Wir erblicken nichts außer unserem schwimmenden Nilpferd HIPPOPOTAMUS – keinen Mond, keine Sterne, keinen Horizont, ja nicht mal den gibt es hier auf unserem Tennisplatz. Wir spielen den ersten Satz und die Nacht führt 1:0. Es ist absolut dunkel, pechschwarz, abstrus und düster. Die Finsternis liegt wie ein Schleier vor, neben und hinter uns. Sie wirkt undurchdringbar, sodass das Boot zum Mittelpunkt des Geschehens wird. Einziger Trost ist unser Topplicht, das bis ca. fünf Meter vor dem Schiff Strukturen auf dem Wasser erahnen lässt. Ich erkläre Bornholm zum Synonym für schwarz.

Das sind die langweiligsten Nachtwachen überhaupt. Seit 21 Uhr bin ich mit Ulrich hier draußen. Helmut hat sich hingelegt und muss von Mitternacht bis zwei Uhr ran, dann ich wieder bis vier Uhr und Helmut bis sieben Uhr usw. Tagsüber haben wir längere Intervalle gewählt (7 bis 11, 11 bis 17 und 17 bis 21 Uhr), weil das eher unserem Biorhythmus entspricht. Das System hat sich bewährt. Bei Ankunft im Hafen sind wir zwar trotzdem immer alle müde, aber es eignet sich gut für längere Strecken, besonders, weil die kalten nächtlichen Intervalle sehr kurz sind. Ulrich haben wir aus dem System herausgelassen. Er war noch nie auf einem Segelboot und folglich ist das für ihn schon aufregend genug.

Zwei Uhr – Wachwechsel. Helmuts Hand rüttelt an meiner Schulter: »So allmählich könntest du wieder rauskommen«, reißt es mich aus meinen Träumen.

Gerade war ich noch irgendwo am Strand bei 30 Grad und Sonne und nun muss ich wieder ins kalte Cockpit. Ich beneide Ulrich. Der liegt in der Koje gegenüber und schnarcht gemütlich vor sich hin. Wie gern würde ich mit ihm tauschen. Aber stattdessen muss ich Helmut ablösen. So ist unser System. Während es unter meiner Decke in der Koje warm ist, sind draußen vier Grad. Ist das Urlaub? Ja, definitiv. Keine Ahnung warum. Wenn wir morgen früh in den Hafen einlaufen, ist es ein tolles Gefühl, so durch die Finsternis gefahren zu sein und an einem Punkt genau anzukommen. Es ist wie betrunken durch dichte Wolken zu fliegen. Betrunken, weil durch die Wachintervalle die Nachtfahrt Lücken hat – wie Filmrisse. Und die Wolken ersetzen die Finsternis. Am Ende des Flugs haben wir nicht gesehen, wo es langging, sind aber am Ziel.

Ich übernehme das Kommando, und wir verschlingen weiter Seemeilen. Noch 37,6 bis zum Hafen von Hasle, unserem Wegpunkt an der Westküste der imposanten Insel mitten in der Ostsee. An Steuerbord sehe ich gelegentlich eine Möwe, die im Schein unserer Positionslaterne hellgrün schimmert. Auf der anderen Seite entdecke ich nichts, weil das rote Licht der Backbordlaterne nicht hell genug ist. Wäre dieses meine erste Nachtfahrt unter solchen Bedingungen, hätte ich Angst. Einfach so auf einen imaginären Punkt zuzufahren, ohne auch nur irgendwas zu sehen. Es würde mich wahnsinnig machen. Aber inzwischen habe ich mich an solche Touren gewöhnt. Klar kann irgendwo mal ein großes Stück Holz oder ein leeres Fass treiben, aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass wir damit kollidieren.

Auf der Seekarte notieren wir alle halbe Stunde unsere Position, die Uhrzeit, die Geschwindigkeit, den Loggestand und den Kurs. Ist schon faszinierend, wie sich alles gewandelt hat in den letzten Jahren. Auf dem Folkeboot haben wir anfangs bei Nachtfahrten nur mit Kompass und Echolot unsere Ziele gefunden. Jetzt haben wir zusätzlich Sumlog, GPS und Autopilot. Alles ist natürlich beleuchtet und auf übersichtlichen Digitaldisplays im Cockpit ablesbar. Sogar die Wassertemperatur übermittelt einer der Geber – Informationen im Überfluss und weniger Abenteuer als früher. Dafür mehr Sicherheit. Auf der Kajüte liegt einsatzbereit eine Rettungsinsel für vier Personen. Wir haben Seenotraketen und Handfackeln, tragen Lifebelts und am Heckkorb hängt eine Seenotleuchte zum Hinterherwerfen, falls doch mal einer über Bord geht. Wenn ich es mir genau überlege, dann waren wir früher viel leichtsinniger. Vielleicht wussten wir es aber auch nicht besser.

Mir ist langweilig. Außerdem bekomme ich Hunger. Daher mache ich mich über unsere Box mit den Ostereiern her und beschließe, den Code zu knacken. Die Eier haben verschiedene Farben und jede steht für eine Geschmacksrichtung. Drei Seemeilen später ist die Kiste leer und ich habe den Code: Rot = Mokka-Creme, Grün = Haselnuss, Blau = Alpenmilch, Gelb = Sahne-Creme, Lila = Nougat.

Am Ende ist meine Wache doch schneller vorbei als gedacht. Ich meine: Natürlich hat sie zwei Stunden gedauert, aber es kam mir kürzer vor. Lernt man mit der Zeit vielleicht entspannter zu warten, oder ticken die Uhren im Urlaub anders? Früher war es für mich die Hölle, lange an einer Bushaltestelle zu warten oder mich im Supermarkt ganz hinten anzustellen. Das Warten kam mir wie eine Ewigkeit vor. Ich glaube, ich bin in den letzten Jahren ruhiger geworden, und dieser Urlaub trägt noch mal erheblich dazu bei. Während ich darüber nachdenke, schaukeln mich die Wellen sachte in den Schlaf. Bornholm, wir kommen!

Wir erreichen Hasle am frühen Vormittag und ich überlege, ob uns beim Navigieren ein Fehler unterlaufen ist. Die Landschaft erinnert an Irland, aber wir sind definitiv im Königreich Dänemark. Der Trugschluss resultiert im Wesentlichen aus zwei Faktoren: Erstens: das Wetter. Der Himmel ist bewölkt, die Luft ist feucht und die Sicht schlecht. Zweitens: das massive Erscheinungsbild des Hafens. Hinter wuchtigen Molen, die bei Wind und Wetter die tosende Brandung abhalten, liegen weitere Vorbecken, bis wir am Ende in einer Ecke das eigentliche Hafenbecken finden.

Hasle ist Fischereihafen durch und durch. Fischerboote erwecken den Eindruck, dass sie 365 Tage im Jahr im Wasser liegen – zumindest kann man an ihnen unter Wasser deutlich den Bewuchs durch Algen und Plankton erkennen. Über unseren Köpfen kreisen Möwen. Ihr Gekreische und Geschrei tönt unentwegt zu uns herab. Die triste Stimmung – grau in grau – durchbrechen lediglich die leuchtenden Farben der Fischkisten. Seelachs wird in Hasle schon seit vielen Jahrzehnten verarbeitet. Auf einem Informationsschild an Land erfahre ich, dass hier einst die Fischfrikadellen für McDonalds in Moskau hergestellt wurden. Ich mag Irland und folglich auch Bornholm.

Am Nachmittag schippern wir entlang der Westküste weiter zur steinigen, rauen Nordspitze. Erwähnenswert scheint mir die Pier von Vang, die wir auf halbem Weg passieren. Von dort wurden für den Bau der Beltbrücke, zwischen Fyn und Sæland, über 400 000 Kubikmeter Granit verschifft. Inzwischen wurde die Anlage jedoch stillgelegt. Wir übernachten im Idyll Hammerhavn. Der Nothafen wurde erst vor ein paar Jahren erbaut und soll den Fischern Schutz bieten, wenn Sturm das Anlaufen der Häfen von Allinge oder Sandvig auf der anderen Inselseite unmöglich macht. Die geschützte Naturbucht – mit Sandstrand eingebettet in bewaldete Hügel – ist ein absoluter Geheimtipp. Unterhalb der gelben Holzhäuser liegen am Strand etliche kleine Fischerboote. Weiter oben erstreckt sich eine auffällige grüne Wiese mit Hühnern. An ihrem Ende steht ein rotes Holzhaus mit weißen Sprossenfenstern. Zwei Kilometer entfernt thront auf einem Berg seit dem 13. Jahrhundert die geschichtsträchtige Burg Hammershus über der Ostsee. Der Erzbischof von Lund, Jakob Erlandsen, hat sie seinerzeit gebaut. Die Besichtigung der inzwischen zerfallenen Gemäuer am nächsten Morgen ist obligatorisch und beeindruckend. Uns fasziniert neben der Ruine der Blick über unsere Heimat – die Ostsee.

Ulrich will sich noch ein paar Tage Bornholm angucken und verlässt uns in Hammerhavn. Helmut und ich testen derweil auf dem Weg nach Christiansø, ob unsere inzwischen angelesenen Angelkenntnisse nur auf dem Papier oder auch in der Praxis funktionieren. Helmut hat schon vor der Reise über das Internet das komplette Equipment besorgt und bis jetzt einige Bücher inhaliert. Wir wissen daher: Dorsch fängt man um diese Jahreszeit auf einer Tiefe von fünf bis zwölf Metern mit einer 0,3 bis 0,4 Millimeter dicken Monofile-Schnur und einer Pilk-Montage mit Japan-Twister-Vorfach mit leichtem Gerät und Vierzig-Gramm-Pilker – wenn keine Strömung steht. So weit die Theorie. Wir halten uns tatsächlich daran und spulen das volle Programm ab. Seekarte nach geeigneter Stelle absuchen, Anker raus, Angel auswerfen und pilken.

Es dauert keine Minute und wir haben einen Dorsch an der Angel. So schmal ist der Grad zwischen Theorie und Praxis manchmal. Nun haben wir zwar sofort einen Fisch, aber was ist mit dem Angelspaß? Der ist dahin. Ich bin enttäuscht. Der Weg sollte doch das Ziel sein. Vielleicht ist es hin und wieder besser, nicht alles zu wissen und naiv an die Dinge heranzugehen.

Sei es drum – wir haben ein anderes Problem. Keiner von uns will den Fisch töten. Vielleicht hätten wir ihn nicht »Hugo« nennen sollen. Nun existiert eine emotionale Bindung, die die Zusammenkunft mit dem Hammer verzögert. Seine Schuppen schillern grün-silber-grau und mit seinen Augen guckt er uns treudoof an. Es hilft alles nichts – Helmut erledigt das am Ende.

 

 

Helmuts erster Dorsch

 

Christiansø ist bildschön, das wussten wir vorher, aber es überzeugt uns von neuem. Insbesondere, weil das Wetter wieder voll mitspielt und absolut keine Touristen da sind. Unglaublich, wie bezaubernd es hier ist. Wild, natürlich, einsam, rustikal und rau. Auf dieser alten Festungsanlage aus dem 17. Jahrhundert gibt es keine Autos, und die Zeit scheint stillzustehen. Zumindest hängt am Hafenmeisterbüro der Wetterbericht vom September 2003. Der Ort ist deshalb so besonders, weil in den historischen Gebäuden gegenwärtiges Leben stattfindet. Auf den zwei Eilanden Christiansø und Frederiksø leben etwa einhundert Menschen. Ich stöbere im Informationsblatt, das mir der Hafenmeister in die Hand gedrückt hat.

Bemerkenswert ist auch die Fauna. Sie wird dominiert von den Vögeln. Ununterbrochen hören wir sie kreischen, pfeifen, johlen, keifen. Es erinnert mich an den Film Die Möwe Jonathan. Dort gibt es einen Platz, an dem alle Möwen zur Nahrungsaufnahme zusammenkommen. Vollkommen überfüllt und laut. Hier ist es ähnlich. Auf engstem Raum leben 20 000 Silbermöwen, 5000 Eiderenten, 4000 Lummen und 1400 Alke. Insbesondere die Eiderenten machen uns viel Freude. Sie geben beständig »O«- und »U«-Laute von sich.

Dazwischen dümpelt friedlich und gemütlich unser Nilpferd. Christiansø ist ein Muss für alle, die nach Bornholm segeln, und außerdem der östlichste Punkt Dänemarks. Ich freue mich hier zu sein und taufe diesen einmaligen und verwunschenen Platz »Märcheninsel«.

»Komm, wir suchen uns spontan eine typische Kneipe, in die die Fischer gehen«, schlage ich Helmut vor.

»Bier gern, aber aus der Flasche. Man weiß nie, wann der Wirt einen rausschmeißt. So können wir das Bier auf der Straße weitertrinken.«

»Ihr seid morgen meine Gäste zum Abendessen! Es gibt Hirsch. Thomas holt euch um 17 Uhr am Hafen in Svaneke ab, aber ruft vorher an! Einverstanden?«

»Klasse! Ein zünftiger Abend mit Einheimischen«, freut sich Helmut.