Martin von Wachter

Askan Hendrischke

Das Ressourcenbuch

Selbstheilungskräfte in der Psychotherapie erkennen und von Anfang an fördern

Zu diesem Buch

Ressourcenaktivierung gilt als einer der wichtigsten Wirkfaktoren in der Psychotherapie. Wie eine konsequent an den Selbstheilungskräften orientierte Behandlung in Klinik oder Praxis aussehen kann, beschreiben die Autoren an vielen Praxisbeispielen. Die zentrale Konzeptidee ist, die individuelle Ressourcensuche und -aktivierung von der ersten Therapiestunde an einzusetzen und durch alle Behandlungsphasen fortzuführen. Viel Aufmerksamkeit ist den methodischen Fragen gewidmet: Wie funktioniert Ressourcendiagnostik genau? Was leisten spezielle Fragebögen? Welche Ressourcenart hilft wann? Zahlreiche Übungen aus dem lösungsorientiert-systemischen Kontext und neue Ressourcenübungen gewährleisten den großen Nutzen für Patientinnen und Patienten.

Die Reihe »Leben Lernen« stellt auf wissenschaftlicher Grundlage Ansätze und Erfahrungen moderner Psychotherapien und Beratungsformen vor; sie wendet sich an die Fachleute aus den helfenden Berufen, an psychologisch Interessierte und an alle nach Lösung ihrer Probleme Suchenden.

Alle Bücher aus der Reihe ›Leben Lernen‹ finden Sie unter:

www.klett-cotta.de/lebenlernen

Impressum

Leben Lernen 289

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2017 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Umschlag: Jutta Herden, Stuttgart

Unter Verwendung eines Fotos von © montypeter/stock.adobe

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Printausgabe: ISBN 978-3-608-89173-7

E-Book: ISBN 978-3-608-10863-7

PDF-E-Book: 978-3-608-20354-7

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Für die Frage, wie die Probleme

am besten verändert werden können,

sind die Ressourcen des Patienten

aber wahrscheinlich wichtiger

als seine Probleme.

Klaus Grawe

If it works, do more of it

If not, try something different.

Steve deShazer

Geleitwort

Niemand wird mehr den Wert der Ressourcenaktivierung bestreiten. Es ist inzwischen allgemein akzeptiert, dass Psychotherapien erfolgreicher verlaufen, wenn es Therapeuten gelingt, die Ressourcen ihrer Patienten zu aktivieren. Auch gilt es heute als selbstverständlich, dass ein positives Selbstwertgefühl und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit nur dann entstehen können, wenn die positiven Seiten einer Person ausreichend gewürdigt werden. Ressourcenaktivierung ist ein wichtiger Wirkfaktor von Psychotherapie, möglicherweise ist sie noch wichtiger als spezifische psychotherapeutische Behandlungstechniken an sich.

Ressourcenaktivierung orientiert sich an den menschlichen Grundbedürfnissen – nach Sicherheit, Kontrolle und Orientierung, Bindung, Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz; auch das Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung gehört dazu. Dabei kann sie sich auf Erkenntnisse der modernen Neurobiologie berufen, die uns lehrt, dass das menschliche Gehirn nicht nur die Aufgabe, sondern auch das Potential hat, ressourcenreiche Zustände von psychobiologischer Gesundheit und Wohlbefinden herzustellen. Die Resilienzforschung hat uns gezeigt, dass Menschen unter widrigsten Umständen überleben und wachsen können, wenn es ihnen gelingt, positive emotionale Zustände zu generieren.

Nicht nur Psychotherapeuten aller Schulrichtungen, sondern auch Angehörige zahlreicher anderer Berufsgruppen – darunter Sozialarbeiter, Lehrer, Pflegekräfte, um nur einige zu nennen – machen zunehmend die Erfahrung, dass die Aktivierung persönlicher Stärken und die Förderung positiver Emotionen und Erwartungen wesentlich zu einer gelingenden Lebensbewältigung beitragen. Sie haben verstanden, dass wir unseren Patienten bzw. Klienten keinen Gefallen tun, wenn wir sie unnötig pathologisieren und damit entmutigen, und auch die noch vor nicht allzu langer Zeit verbreitete defizitorientierte Begrifflichkeit scheint immer mehr der Vergangenheit anzugehören.

Auch wenn sich die Überzeugung von Sinn und Bedeutung der Ressourcenaktivierung durchgesetzt hat, braucht es dennoch praktische Hilfen und Anregungen, um sie explizit und konsequent in die Praxis umsetzen zu können. Diese Anregungen und Hilfen finden sich im vorliegenden Text in großer Fülle. Das Buch beinhaltet eine Sammlung wertvoller Techniken und eine einzigartige Fundgrube von Übungen, Anleitungen und Techniken für den Praktiker, der ressourcenaktivierend tätig werden will.

Die Autoren Martin von Wachter und Askan Hendrischke sind erfahrene psychodynamisch orientierte Psychotherapeuten. Vielfältige klinische Erfahrung hat ihnen gezeigt, welche Potenziale zu erschließen sind, wenn Patienten nicht nur von ihrer kranken, sondern auch von ihrer gesunden Seite gesehen werden. In Anbetracht ihres klinischen Erfahrungshintergrundes verwundert es nicht, dass das Buch in seiner Gliederung dem Verlauf einer Psychotherapie folgt: von der diagnostischen Vorphase über die eigentliche Therapiephase bis hin zur Transfer- und Abschiedsphase. Für alle Phasen liegen ressourcenaktivierende Instrumente und Interventionen bereit. Dabei ist es faszinierend festzustellen, dass sich ressourcenaktivierende Interventionen mit den Vorgehensweisen unterschiedlicher Psychotherapieschulen vertragen. Das ist ein Grund, warum die Autoren das Buch verfahrensübergreifend verfasst haben; ausdrücklich soll es nicht Anhängern einer bestimmten Therapieschule vorbehalten bleiben. Der Anspruch des Buches ist dezidiert praktischer Art; es will kein Lehrbuch der Psychotherapie ersetzen, aber es kann Lehrbücher unterschiedlicher Provenienz in wertvoller Weise ergänzen.

So sehr die Beschäftigung mit Ressourcen die psychotherapeutische Arbeitsweise der Autoren geprägt hat, so klar vermitteln sie, dass gelingende Ressourcenaktivierung immer auch Beziehungsarbeit ist. Dies gilt im therapeutischen wie im außertherapeutischen Kontext. Ohne eine von Empathie geprägte Beziehung läuft der Versuch einer Aktivierung positiver emotionaler Zustände ins Leere. Patienten können sich unverstanden, nicht ernst genommen und in ihren Beziehungswünschen abgewiesen fühlen. Ressourcenaktivierung darf niemals den Eindruck erwecken, als solle das Leid der erkrankten Patienten missachtet oder bagatellisiert werden – Ressourcenarbeit ohne eine angemessene Würdigung der Leidensdimension wäre zum Scheitern verurteilt. Ressourcenaktivierung ist nicht technisch herstellbar, sie spiegelt vielmehr eine wertschätzende therapeutische Haltung wider, die Patienten auf Augenhöhe und als Beziehungspartner wahrnimmt.

Schließlich weisen die Autoren eindrücklich darauf hin, dass Ressourcenaktivierung immer auch eine körperliche Dimension hat. Das hat die Embodiment-Forschung überzeugend belegt. Wir sehen es Menschen regelrecht an, ob sie im Kontakt mit Ressourcen sind. Ein Gesichtsausdruck, der sich entspannt, oder ein leichtes Lächeln, das über das Gesicht zieht, vermittelt mehr Informationen, ob Menschen im Kontakt mit ihren Ressourcen sind, als Worte es ausdrücken können.

Diesen körperlichen Ausdruck der Ressourcenaktivierung zu erfahren und weiterzugeben – dazu möchte das vorliegende Ressourcen-Buch beitragen. Der Leser ist eingeladen, sich auf eine Vielzahl ressourcenaktivierender Erfahrungen einzulassen, sich anregen zu lassen, vieles auszuprobieren und einzuüben – und diese Erfahrungen den eigenen Patienten oder Klienten verfügbar zu machen. Mit seinen einprägsamen Formulierungen und seiner gut verständlichen Form der Darstellung eignet es sich nicht nur für Professionelle, es kann auch betroffenen Patienten zur Lektüre empfohlen werden. Deshalb sei diesem Buch ein breiter Leserkreis gewünscht, der durchaus über Bereich der Psychotherapie hinausgehen darf.

Priv.-Doz. Dr. med. Wolfgang Wöller, Bad Honnef

Einleitung

Ressourcenorientierung und -aktivierung gelten als anerkannt wichtige Wirkfaktoren in der Psychotherapie und können in verschiedenen Behandlungsabschnitten einer ambulanten oder (teil-)stationären Psychotherapie eingesetzt werden. Das Wirkprinzip durchzieht dabei schon von Beginn an die gesamte Behandlung und setzt aufseiten des Therapeuten eine Haltung voraus, die den Patienten als Kooperationspartner wertschätzt und ihm die entscheidende Kompetenz zur Problemlösung zuweist. Ziel ist es, die Eigenaktivität und Entscheidungsfähigkeit des Patienten auf allen Ebenen zu fördern und den Veränderungsprozess kontinuierlich in die Selbstverantwortung zu überführen. Dies stärkt das Vertrauen in die eigene Kraft und unterstreicht die Idee einer kompetenzorientierten und auf Ressourcenaktivierung ausgerichteten Psychotherapie. Die Beziehung zum Therapeuten soll dem Patienten dabei im Rahmen der angestrebten Veränderungen helfen, zusätzliche Ressourcen einzubringen, die von ihm aktiv genutzt werden können (Willutzki & Teismann 2013).

Oft haben Patienten in einzelnen Bereichen Probleme oder Beschwerden und versuchen, diese erfolglos zu lösen, ohne sich bewusst zu sein, in welchen anderen Bereichen sie Ressourcen haben, die sie zur Problemlösung einsetzen könnten (Flückiger & Wüsten 2008). Dieser Text beschreibt, wie eine durchgängig ressourcenfokussierte und veränderungsoptimistische Grundorientierung für die Behandlung verschiedener Störungsbilder schulenunabhängig genutzt werden kann, sei es im Kontext psychodynamischer, kognitiv-behavioraler oder systemischer bzw. störungsorientierter Verfahren. Dazu schlagen wir einen prozessorientierten Rahmen vor, der für verschiedene Therapiephasen und -settings spezifische Techniken der Ressourcenaktivierung beinhaltet. Das Modell wurde im klinischen Kontext über viele Jahre entwickelt und erprobt, dennoch kann der überwiegende Teil der Interventionen auch gut im ambulanten Bereich Anwendung finden.

Von Beginn an wird der Blick des Patienten konsequent in Richtung Ressourcen gelenkt. In der Ankommensphase einer stationären bzw. teilstationären Therapie spielt dabei die Gemeinschaft der Mitpatienten eine wichtige Rolle. Sie bildet einen Pool von ›Experten‹, die sowohl auf der Seite der haltgebenden externalen Sicherheit als auch auf der Seite angestrebter internaler Veränderungen eine nicht zu unterschätzende Einflussgröße darstellen. Im Verlauf der weiteren Behandlung kommen verschiedene Instrumente zur Ressourcendiagnostik sowie vielfältige therapeutische Interventionen und Gesprächstechniken zur Anwendung, die sich für die Einzelarbeit ebenso als nützlich erwiesen haben wie für die Einbeziehung von Partnern und Familienangehörigen. Mit Ende der Therapie werden Möglichkeiten erarbeitet, die den Transfer der neuen Erfahrungen in den Alltag erleichtern und den Patienten ermutigen sollen, sein Ressourcenpotential selbstverantwortlich zu nutzen und weiterzuentwickeln.

Dieses Praxisbuch bietet zahlreiche Übungen aus dem ressourcenorientierten-systemischen Kontext. Der Leser findet dazu neben einer Fülle von Ressourcenübungen Arbeitsblätter, Tipps und Fallbeispiele, die sich unmittelbar für die praktische Umsetzung eignen. Alle beschriebenen Arbeitsblätter sind auf der Homepage der Klinik unter www.psychosomatik-aalen.de/ressourcen verfügbar. Ergänzend verweist das Buch auch auf externe Internetlinks und weiterführende Literatur.

Kapitel 1

Begriffsklärung und klinische Bedeutung

1.1 Salutogenese, Resilienz und Ressourcen

Die wissenschaftliche Forschung ist in erster Linie darauf ausgerichtet, die Ätiopathologie von Gesundheitsstörungen zu analysieren, um auf diesem Wege eine gezielte, ursachenbezogene Diagnostik und Therapie von Krankheiten zu ermöglichen. Wenn auch große Erfolge der Medizin in den letzten Jahren zu verzeichnen sind, die auf Ergebnisse dieser Grundlagenforschung zurückgehen (so z. B. im Bereich der Immunologie, der Onkologie, der Neurowissenschaften etc.), so treten doch angesichts der demographischen Entwicklung, der Zunahme chronischer körperlicher Erkrankungen und einer Vielzahl psychischer und psychosomatischer Störungen, die inzwischen längst zu Volkskrankheiten geworden sind, auch andere Faktoren in den Vordergrund, die im Zusammenwirken von somatischen und psychosozialen Faktoren für die Gesundheit und Krankheit von Menschen bedeutsam sind. Gemeint sind hier nicht nur Ansätze, die die Krankheitsentstehung, sondern insbesondere auch die Krankheitsverarbeitung und Gesunderhaltung betreffen (Herzog et al. 2013). Angesichts der eindrucksvollen, bisher noch wenig therapierelevanten Forschungsergebnisse ist zu hoffen, dass ein besseres Verständnis neuronaler Grundlagen psychischer und psychosomatischer Erkrankungen auch eine Weiterentwicklung von gezielten Behandlungsstrategien ermöglicht. Ressourcen- und resilienzorientierte Ansätze gewinnen in diesem Kontext immer mehr an Bedeutung.

Auf einige relevante Ansätze in der Therapieforschung und Psychotherapie sei hier exemplarisch eingegangen. Jeder Ansatz hat dabei seine eigenen Begrifflichkeiten, die im Folgenden erklärt werden.

Salutogenese – Was hält uns gesund?

Der israelische Medizinsoziologe Aron Antonovsky (1923 – 1994) prägte den Begriff »Salutogenese« (Gesundheitsentstehung) als komplementären Begriff zu Pathogenese. Er untersuchte Holocaustüberlebende mit der Frage, welche Eigenschaften und Ressourcen diesen Menschen geholfen hatten, unter den Bedingungen der Konzentrationslager und in den Jahren danach ihre körperliche Gesundheit und psychisches Wohlergehen zu erhalten. Dies führte ihn zu der zentralen Komponente der Salutogenese, den »Sense of Coherence« (Antonovsky 1979, 1987, 1997).

Dieses Kohärenzgefühl bedeutet nach Antonovsky eine bestimmte Orientierung dem Leben und der Umwelt gegenüber und Bewältigungsressource (Gunkel & Kruse). Nach Antonovsky hat der Sense of Coherence drei Aspekte:

  1. Comprehensibility = Verständlichkeit, Verstehbarkeit

    Die kognitive Fähigkeit, dass man die Zusammenhänge des Lebens versteht.

2.

Manageability = Steuerbarkeit, Handhabbarkeit

Die Erfahrung auf der Verhaltensebene, dass man das eigene Leben gestalten kann.

3.

Meaningfulness = Bedeutsamkeit, Sinnhaftigkeit

Der Glaube, dass das Leben einen Sinn hat und die Anforderung eine Herausforderung ist, die sich lohnt.

Resilienz – Wachsen trotz schwieriger Bedingungen

Mit Resilienz sind die psychische Widerstandskraft und seelische Elastizität gemeint. Der Begriff Resilienz wurde in den 1950er-Jahren vom Psychologen Jack Block eingeführt. Der Begriff ist relational bezogen auf den Umgang mit Krisen gemeint. Entsprechend definierte Froma Walsh (1996) Resilienz als Fähigkeit, »aus widrigsten Lebensumständen gestärkt und mit größeren Ressourcen ausgestattet als zuvor herauszukommen . . .«. Resilienz ist dabei keine unveränderbare Persönlichkeitseigenschaft, sondern entwickelt sich auch in der Interaktion mit der Umwelt. Zwillingsstudien zeigen eine 50/50-Relation zwischen Umwelt und genetischer Disposition (Amstadter et al. 2012).

Die amerikanische Psychologin Emmy Werner gilt als Vorreiterin auf diesem Gebiet. Sie untersuchte in der viel zitierten Längsschnittstudie »Kauai-Studie« den Entwicklungsverlauf von Kindern nach zahlreichen frühen traumatisierenden Lebenserfahrungen über 40 Jahre (Werner & Smith 1982

Richard Sagor (1996) bezeichnete resiliente Personen als »CBUPO-Menschen« (competence, belonging, usefulness, potency, optimism). Er schreibt ihnen Persönlichkeitsmerkmale zu wie Kompetenz, Zugehörigkeit, Nützlichkeit, Stärke haben und Optimismus. Auch positive Emotionen, Hoffnung, Selbstwirksamkeitserwartung, soziale Unterstützung, Eigenständigkeit, Unabhängigkeit, Bestimmtheit, Beherrschung, Findigkeit, Ausdauer, Akzeptanz, Anpassungsbereitschaft, Flexibilität und Fähigkeit zur Perspektivenübernahme gehören zu den Resilienzfaktoren in der Literatur (Helmreich & Lieb 2015).