Inhalt

  1. Cover
  2. Über die Autorinnen
  3. Titel
  4. Impressum
  5. Karte
  6. Kapitel 1
  7. Kapitel 2
  8. Kapitel 3
  9. Kapitel 4
  10. Kapitel 5
  11. Kapitel 6
  12. Kapitel 7
  13. Kapitel 8
  14. Kapitel 9
  15. Kapitel 10
  16. Kapitel 11
  17. Kapitel 12
  18. Kapitel 13
  19. Kapitel 14
  20. Kapitel 15
  21. Kapitel 16
  22. Mos liebste Schoko-Hafer-Kekse

Über die Autorinnen

© Johannes Markus

Anne Wolff, geboren 1968, lebt seit vielen Jahren abwechselnd in Deutschland und den USA. Schon in der Kindheit mit Pferden aufgewachsen, ritt sie selbst Turniere und besaß Pferde und Ponys. Anne Wolff ist heute als Hundetrainerin und Übersetzerin tätig. Sie hat zwei mittlerweile erwachsene Kinder und lebt im Moment in Maryland, USA.

© Tomas Rodriguez

Nadine Reitz, geboren 1976, verbrachte ihre Kindheit im beschaulichen Vehlefanz in Brandenburg – umgeben von Wiesen, Feldern, Tieren und verzauberten Orten. Sie war schon immer fasziniert von Papier, Farben und Stiften. Seit 2011 arbeitet sie als freie Illustratorin und Grafikerin. Heute lebt sie mit ihrer Familie und drei flauschigen Katern am schönen Niederrhein.

Anne Wolff

Ein Heuhaufen voller Geheimnisse

Mit Illustrationen von Nadine Reitz

mit einer streng geheimen Geschichte,
die ihr auf keinen Fall weitersagen dürft

Versprochen, meine Geschichte fängt gleich an! Aber bevor ich damit loslege, stelle ich mich mal kurz vor. Offiziell heiße ich Monka Winter, aber mein großer Bruder Ben und meine Freunde nennen mich nur Mo. Mama und Paps nennen mich Motte oder Mottchen. Wir leben auf einer großen Pferdefarm und züchten Springpferde und Connemara-Ponys. Und dann haben wir etwas, was es auf keinem anderen Hof gibt – eine Ponyschule!

Ihr wisst nicht, was eine Ponyschule ist? Kein Problem! Ich erkläre es euch später. Großes Ehrenwort.

Aber erst mal muss ich euch noch von meinem besten Freund Dr. Paul erzählen. Er hat eine schwarze Mähne und einen schwarzen Schweif. Sein Fell dagegen glänzt in der Sonne fast golden. An den Beinen wird es wieder dunkler, und das sieht so aus, als ob er schwarze Fußballstrümpfe trägt. Ach ja, Dr. Paul ist ein Pony, und wir beide gehen durch dick und dünn. Wir haben sogar am selben Tag Geburtstag und sind beide 10 Jahre alt.

So weit alles klar? Dann kann ich ja wirklich mit meiner Geschichte anfangen. Und zwar beginnt sie an einem Dienstag. Dienstags wird bei uns zu Hause aufgeräumt und geputzt. Jeder in der Familie muss dabei mitmachen. Deswegen mag keiner von uns Winters diesen Tag. Aber das Leben auf einer großen Pferdefarm bringt nun einmal Dreck mit sich, und irgendjemand muss den ja wegmachen.

Ich hätte allerdings nie gedacht, dass ausgerechnet ein Dienstag mein Leben verändern würde. Aber genau das ist passiert.

Schuld daran war eine Kettenreaktion.

Eine Kettenreaktion ist, wenn das Leben einmal abbiegt und dann alles anders wird.

Mit an der Verkettung beteiligt waren:

Und die Verkettung ging so:

Ich putzte im ersten Stock gerade das Bad. Mein Papa Jo saugte das Wohnzimmer. Mein älterer Bruder Ben bearbeitete die Fenster. Und unten in der Küche griff Mama nach dem Putzeimer. Eigentlich wollte sie den Boden wischen, aber dann kam es eben zu der Verkettung. Von der ich euch streng genommen gar nicht erzählen darf, denn wir alle – Paps und Ben und ich – mussten Mama bei unseren Lieblingspferden schwören, dass wir dichthalten.

Aber wenn ich das jetzt auslasse, versteht ihr meine ganze Geschichte nicht und lernt auch nicht die Ponyschule kennen. Und deswegen müsst ihr mir jetzt einfach schwören, dass ihr nichts weitersagt.

Okay? Hat jeder geschworen?

Gut.

Also, es ging so weiter:

Mama griff ganz normal nach dem Wassereimer, um ihn hochzuheben. Da riss der Bügel, und das Ding kippte um. Genau in diesem Moment sauste unser Dackel Dexter vom Wohnzimmer in die Küche. Dexter hat nämlich Angst vor Staubsaugern und war auf der Flucht. Er versuchte sich bei Mama in Sicherheit zu bringen. Leider hatte er nicht mit einer riesigen Lache Seifenwasser gerechnet. Mit allen vier Pfoten sauste er auf den glitschigen Fliesen voran und konnte nicht rechtzeitig stoppen. Meine Mutter wollte Dexter noch ausweichen, aber dabei kam sie aus dem Gleichgewicht. Sie ruderte mit beiden Armen, rutschte auch aus und krachte auf den Boden.

Und dabei brach sie sich den Arm.

Nun fragt ihr euch vielleicht, warum man so eine Geschichte geheim halten sollte? Tja, das kann ich euch sagen. Meine Mutter ist nämlich eine sehr berühmte Springreiterin. Und sie ist total mutig. Sie kann sogar ganz wilde Hengste bändigen – und das, obwohl sie nur einen Kopf größer ist als ich (und ich bin schon ziemlich klein für mein Alter).

Und jetzt sollte sie sich beim Putzen den Arm gebrochen haben? Ausgerechnet beim Putzen?

Peinlicher ging es für sie nicht mehr!

Natürlich waren wir bei all dem Lärm, den das Ganze verursacht hatte, zusammengelaufen. Mama saß mitten in der Küche in einer Putzwasserpfütze. Dexter leckte ihr winselnd übers Gesicht. Unser anderer Hund – Dober, eine deutsche Dogge – saß daneben und guckte ganz schuldbewusst. (Dober glaubt oft, dass er an etwas schuld ist. Er ist auch ein bisschen dumm.)

Meine Mama hielt sich den Arm. Sie war rot im Gesicht, aber nicht vor Schmerzen. Sondern weil ihr das alles sehr, sehr peinlich war.

Um sie zu trösten, dachten wir uns eine Geschichte aus. Wir wollten jedem erzählen, dass sie sich beim Bändigen eines besonders wilden Fohlens verletzt hatte. Wobei meine Mama lieber für die Geschichte war, in der sie das Fohlen aus einem reißenden Bach vor dem Ertrinken rettet. (Mama übertreibt total gern!) Aber da machte Paps ihr einen Strich durch die Rechnung. Wir haben zwar einen Bach hinter der Farm, aber der führt jetzt im Sommer kaum Wasser. Ertrinken kann da höchstens ein Eichhörnchenbaby!

Und ich hätte mich auch an diese Geschichte gehalten, wenn Mama nicht noch etwas gesagt hätte, bevor Papa sie endlich zum Röntgen ins Krankenhaus fahren durfte. Und dieser Satz sollte mein Leben für immer verändern. Und nicht nur meins!

Sie sagte: „Sieht wohl so aus, als ob in den Sommerferien die Ponyschule leiten musst, Motte!“

in dem ein schlaues Pony um ein Haar
für eine große Katastrophe sorgt

Der nächste Morgen, der Mittwoch in der ersten Woche der großen Ferien, begann so aufregend wie der Tag vorher aufgehört hatte. Nein, noch nicht mit der Ponyschule. Aber die Ponys waren der Grund für die Aufregung.

Mit dabei waren:

Eugen lebt bei uns auf dem Hof, seit ich denken kann. Er ist so alt wie meine Mutter, ein fast so guter Reiter wie sie und kommt ursprünglich aus Rumänien. Wir alle lieben ihn sehr, weil er so lustig ist. Mit seinen wilden schwarzen Haaren, dem Bart und den blitzenden blauen Augen sieht er viel cooler aus als alle anderen Erwachsenen.

An dem Mittwoch waren Ben und ich mit Eugen gleich nach dem Frühstück hinüber zur großen Süderweide geritten, wo die jungen Ponys unseres Gestüts das ganze Jahr über leben.

Eigentlich hatten wir vorgehabt, einen Ponyschüler für meine Schule in den Stall unten am Haus zu holen. Aber daran war vorerst nicht zu denken. Denn als wir am Fuß der Süderweide ankamen, erwartete uns die Voll-Katastrophe: Alle vierzehn Ponys drängten sich am entgegengesetzten Ende der Koppel, die sich über einen langen Hügel erstreckt. Ihr Anführer Flex, ein weißes Connemara-Pony mit dunkler Mähne, stand ganz vorn am oberen Tor.

Gerade machte er sich am Riegel des oberen Tores zu schaffen. Dabei nutzte er seine dicke Mähne als Schutz, um den Elektrozaun mit dem Kopf aus dem Weg zu schieben. Den Trick kannten wir schon von ihm. Die Mähne hielt den elektrischen Strom ab, und er bekam keinen Schlag.

Und jetzt war er kurz davor, das Tor zu öffnen!

Das Dumme war nur: Er war oben auf dem Hügel.

Und wir ganz unten.

Das hieß, wir waren so weit weg, dass wir ihn nicht am Ausbrechen hindern konnten!

„Flex, du Teufelstier“, fluchte Eugen mit zusammengebissenen Zähnen. Dann rief er meinem Bruder zu: „Ben, du versuchst ihnen über die Nordseite den Weg abzuschneiden. Mo und ich reiten direkt zum oberen Gatter! Tempo!“

Dr. Paul, mein Pony, startete, noch ehe ich ihm ein Zeichen gab. Er wusste vermutlich genau, was auf dem Spiel stand.

Die Herde oben auf dem Hügel geriet in Bewegung. Einige Ponys trippelten aufgeregt auf und ab, aber die meisten drängten sich noch immer hinter Flex. Wenn der Riegel offen war, würden sie gemeinsam loslaufen und das Gatter zusammen aufschieben. Und dann waren sie frei.

„Los, Dr. Paul!“

Mein Pony wurde noch schneller. Seite an Seite mit Eugens Stute galoppierte er den Hügel hinauf. Ich beugte mich flach über seine Mähne und hoffte, dass wir es rechtzeitig schafften.

Wenn nicht, dann war Ben unsere einzige Chance. Er musste den Ponys von der anderen Seite den Weg abschneiden. Sonst …

Darüber wollte ich lieber nicht nachdenken. Auf der anderen Seite des Hügels verlief die Landstraße in die nächste größere Stadt. Dort herrschte jetzt um halb neun morgens ziemlich viel Verkehr. Unsere Ponys waren zwar alle sehr schlau, aber das Fach ‚Verkehrsregeln’ gab es in unserer Ponyschule nicht.

Dr. Pauls Hufe trommelten über den trockenen Boden, und mein Pony war fast noch schneller als Eugens Stute, die viel größer ist. Vermutlich spürte er, wie viel Angst ich hatte. Dr. Paul versteht mich blind.

Ich spähte über seine fliegende Mähne hinweg. Und wünschte einen Moment später, ich hätte das nicht getan. Denn Flex hatte es geschafft. Der Riegel war offen. Und wir waren noch weit, weit entfernt.

„Wir schaffen es nicht!“, brüllte ich Eugen zu.

„Wir müssen anhalten!“, rief er zurück. „Und uns langsam nähern, sonst gehen die Ponys sofort durch.“

Ich pfiff einmal leise durch die Zähne – und sofort wurde Paul langsamer. In meinem Kopf spielten sich bereits grässliche Szenen ab: die Hauptstraße. Autos. Und dazwischen viele ausgebüxte Ponys!

Doch da sah ich plötzlich eine Gestalt auf einem Pferd direkt vor dem Tor auftauchen. War das Ben? Aber wie sollte er so schnell nach oben gekommen sein? Noch dazu von der Nordseite aus? Das war eigentlich unmöglich.

Die Gestalt war auch viel kleiner als mein sechzehnjähriger Bruder. Und das Pferd war schwarz. Ein Rappe. Definitiv kein Fuchs wie Bens Pferd Ginger.

Ich sah, wie Flex stutzte. Er stieg halb auf die Hinterbeine, als er das fremde Pferd vor ihm erblickte, und wieherte schrill. Hinter ihm drängten sich die anderen, aber keines der Ponys zwängte sich vor ihn. Flex war der Anführer.

Die Gestalt ließ sich vom Pferd gleiten. Sie war klein und sah aus wie ein Kind oder ein Jugendlicher. Aber im Gegenlicht der Morgensonne konnte ich nicht erkennen, ob es ein Mädchen oder ein Junge war.

Mit einem Satz war der Fremde beim Gatter und legte den großen Riegel wieder zurück. Und fast genauso schnell war er wieder auf dem Pferderücken. Es sah so aus, als ob er noch einmal zu uns rüberschaute. Doch gleich darauf wendete er sein Pferd und verschwand im kleinen Wäldchen hinter der Hügelkuppe.

„Was war denn das?“, rief Eugen verblüfft.

„Keine Ahnung“, erwiderte ich genauso ratlos. „Und wieso wartet der nicht auf uns?“

„Finden wir es heraus“, sagte unser Stallmeister und trieb sein Pferd an.

Als wir am Gatter ankamen, hatten sich die Ponys wieder etwas beruhigt. Einige begannen friedlich zu grasen, nachdem sie uns begrüßt hatten.

Nur Flex stand völlig verdutzt direkt am Tor und hielt den Kopf schräg. Er betrachtete den Riegel. Offensichtlich konnte er nicht fassen, was ihm da eben passiert war.

Und mir ging es ehrlich gesagt ähnlich.