Oliver Buslau begann Ende der neunziger Jahre seine Autorenkarriere als Erfinder des Wuppertaler Privatdetektivs Remigius Rott, der seither in elf Krimis seine Fälle löst. Darüber hinaus schrieb er unter anderem Krimis um das Thema Musik: »Das Gift der Engel«, »Die fünfte Passion«, »Die Orpheus-Prophezeiung«, »Schatten über Sanssouci« und den Beethoven-Krimi »Feuer im Elysium«. Außerdem ist er ein viel beschäftigter Autor von Kurzkrimis.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

 

1

Die Schatten des Abends wuchsen schon eine ganze Weile auf den Wänden meines Büros. Eigentlich hätte ich längst die Schreibtischlampe einschalten müssen. Je dunkler es wurde, desto heller leuchtete das Bild auf meinem Computermonitor.

Unter blauem Himmel, der von hier aus so fern wie die Südsee schien, ragte ein tonnenförmiges Gebilde auf. Es war ein Turm mit rötlichen und weißen Mauerflächen, gekrönt von einer Brüstung, die auf dem Dach einmal rundumlief. Mit den runden Fenstern, die irgendwie verheißungsvoll in die Landschaft schauten, hatte er etwas von einem Leuchtturm.

Doch dieser Turm stand nicht am Meer, sondern im Bergischen, auf der Wuppertaler Elisenhöhe. Morgen würde er Schauplatz eines ganz besonderen Ereignisses werden.

Ich war so in das Bild versunken, dass ich Wonne erst bemerkte, als sie in mein Zimmer getreten war. Bis eben hatte ich sie noch nebenan in der Küche unserer gemeinsamen Wohnung gehört. Sie war damit beschäftigt, ihre gesammelten Kochbücher einzuräumen, die wir in vielen Umzugskisten aus Bergisch Gladbach hergeschafft hatten.

Wie immer schob sie die typische Duftmischung ihres Duschgels und eines Parfüms, dessen Namen ich mir nicht merken konnte, vor sich her. Sanft legte sie mir die Hand auf die Schulter, beugte sich nach unten, und dann spürte ich ihre warmen Lippen auf meiner Wange. In solchen Momenten schien in mir stets etwas zu schmelzen.

»Es wird alles wunderschön werden morgen«, sagte sie, den Blick ebenfalls auf den Monitor mit dem strahlenden Elisenturm gerichtet. »Danach werden wir erst mal eine Weile nur an uns denken. Ich glaube, Jutta schenkt uns eine Hochzeitsreise …«

Eine winzige Dissonanz in ihrer Stimme ließ mich aufhorchen. Mit einer Bewegung meiner Schulter machte ich mich los. »Was ist?«, fragte ich alarmiert. »Ist irgendwas passiert? Hat er schon wieder …«

Sie reichte mir ihr Handy, das sie in der Hand gehalten hatte. Darauf war eine Nachricht. Es war eine Mail.

Sie lieben nur mich. Mich allein. Seien Sie sich dessen bewusst. Ihre Hochzeit ist ein großer Fehler.

Ich sah Wonne an. Ihr kaum kleinzukriegender Ausdruck von fröhlicher Zuversicht, ihr Lächeln, das mich immer wieder aufs Neue faszinierte, war zu einem kümmerlichen Rest zusammengefallen. Sie seufzte, hob ratlos die Schultern und setzte sich auf einen der Stühle, die für die Kunden meiner Detektei vorgesehen waren.

»Er hat sich seit drei Tagen nicht mehr gemeldet«, sagte ich. »Ich dachte, er hätte endlich begriffen, dass er dich in Ruhe lassen soll.«

Die Mails kamen seit etwa einem Monat. Absender war ein Unbekannter, der ihr unter der Freemail-Adresse »wonnesromeo@gmx.de« schrieb. Zuerst hatte es eine wahre Flut von Mitteilungen gegeben. Hauptsächlich Liebesschwüre, Bewunderungssalven und Treuegelöbnisse gegenüber Wonne. Anfangs noch ohne Erwähnung unserer geplanten Hochzeit. Der unbekannte Schreiber war dabei mehrmals auf Wonnes blondes Haar eingegangen – was hieß, dass er sie persönlich kannte. Nach einiger Zeit musste der Verfasser dann mitbekommen haben, dass Wonne heiraten wollte. Und seitdem versuchte er, sie mit seinen Nachrichten davon abzuhalten.

»Vielleicht sollten wir doch die Polizei einschalten«, sagte ich. »Was hier passiert, ist Stalking, und das ist eine Straftat.«

Sie schüttelte den Kopf. »Darüber haben wir doch schon gesprochen, Remi. Was soll die Polizei schon machen?«

Mittlerweile war es in meinem Büro noch dunkler geworden, aber ich konnte sehen, wie sie bedrückt den Boden anstarrte.

Ich ballte die Hände zu Fäusten. Es gefiel mir nicht, diesem Scheißkerl so ausgeliefert zu sein. Wir hatten keine Ahnung, wer er sein könnte. Wonne arbeitete als freie Journalistin und kam mit vielen Menschen zusammen. Etliche von ihnen kannten auch ihre Mailadresse.

»Solange er sonst nichts unternimmt«, sagte sie, »uns nicht tätlich angreift oder so …«

Sie wollte sich selbst beruhigen, aber ihre Stimme klang unglücklich. Es schnitt mir ins Herz. Wir hatten so lange gebraucht, bis wir uns endlich zur Hochzeit durchgerungen hatten – und nun so was.

Hoffentlich weiß er nicht, wo wir heiraten, dachte ich. Hoffentlich passiert morgen nicht noch irgendetwas anderes …

Ich sah auf das Handy, dessen kleines Display in die Dunkelheit leuchtete, und schaltete es aus. »Der Typ ist garantiert zu feige, um irgendwas anderes zu machen, als seinen Mist da zu schreiben«, sagte ich. Es war ebenfalls ein Versuch der Selbstberuhigung.

Wonne nickte und hob den Kopf. »Du hast recht, Remi. Genug Trübsal geblasen.« Eine ganze Weile sah sie mich an. Nach und nach schien es ihr zu gelingen, die schlechte Stimmung zurückzudrängen. Im allerletzten Licht des Tages wurde ihr Lächeln wieder sichtbar.

Sie stand auf und verließ den Raum. Wir brauchten nicht darüber zu sprechen, um zu wissen, was nun folgte.

Ich schloss den Internetbrowser mit dem Bild vom Elisenturm. Der Desktop-Hintergrund mit dem Logo »Detektei Remigius Rott«, das auch unten neben der Haustür angebracht war, erschien auf dem Computerbildschirm. Dann schaltete ich die Schreibtischlampe ein.

Es war noch genug Zeit. Ich konnte die rechte Schublade öffnen und eine alte Packung Camel-Zigaretten hervorholen. Es waren noch zwei Stück drin. Ziemlich vertrocknet, aber das war egal. Nach ein bisschen Suchen fand ich ein Feuerzeug. Ein Aschenbecher stand ohnehin auf meinem Schreibtisch.

Ich zündete eine der Zigaretten an, schlug ein Bein über das andere und wandte mich der Tür zu. Im selben Moment klopfte es.

»Herein«, rief ich.

Die Gestalt, die nun das Zimmer betrat, trug ein hellblaues Kleid im Stil der dreißiger Jahre, dazu einen passenden kleinen Hut und eine Handtasche. Hohe Absätze klackerten über den Boden, als sie auf mich zukam. »Sind Sie der Privatdetektiv Remigius Rott?«, fragte sie mit rauchig verstellter Stimme.

Ich lehnte mich zurück und sah sie prüfend an. »Der bin ich, Lady. Was kann ich für Sie tun?«

Sie setzte sich auf denselben Stuhl wie vorhin. Ein Schuss Erregung löste sich in meinem Inneren, als ich im Schein der Schreibtischlampe ihr Gesicht sah. Sie hatte es tatsächlich geschafft, sich in den Minuten ihrer Abwesenheit nicht nur umzuziehen, sondern sich auch zu schminken. Sie entnahm ihrer Handtasche eine Packung Zigaretten, zog eine heraus und steckte sie sich zwischen die Lippen, an denen roter Lippenstift glänzte. Dabei beugte sie sich vor. »Als Erstes können Sie mir Feuer geben, wenn es recht ist.«

Sie behielt mich im Auge, als wollte sie meine Gedanken lesen, während ich ihr die Flamme hinhielt. Den Oberkörper langsam wieder zurücklehnend, nahm sie einen Zug, weicher Rauch erfüllte den Raum.

»Das wäre der leichteste Auftrag, den ich je angenommen habe, Lady«, entgegnete ich und versuchte ebenfalls, meine Stimme etwas verändert klingen zu lassen. Cooler. Mehr wie der Detektiv, den sie so gern in mir sehen wollte.

»Das war ja auch noch nicht alles, Mister Rott«, hauchte sie.

Während sie rauchte, imitierte sie die Art, wie ich auf dem Stuhl saß. Ohne den Blick von mir abzuwenden, legte sie ebenfalls ein Bein über das andere, wobei der Saum des Kleides hochrutschte und einen Oberschenkel freilegte. Überrascht sah sie an sich herab.

»Hoppla«, meinte sie nur.

Ich beobachtete mit unverhohlenem Interesse, wie sie das Kleid weiter nach oben zog und ihre Beine betrachtete, als sei sie über deren Beschaffenheit erstaunt. Es waren aber nicht die Oberschenkel das eigentliche Thema der Betrachtung, sondern etwas anderes, ebenfalls sehr gut Sichtbares.

»Schau an«, sagte sie, nahm noch einen Zug von der Zigarette und blickte mich lächelnd an, so als hätte man ihr gerade ein großartiges Geschenk gemacht. »Da habe ich doch glatt vergessen, einen Slip anzuziehen.«

In mir vibrierte es. Ich nahm das Bein herunter, betrachtete Wonne eingehend, die jetzt sogar erwartungsvoll die Beine ein wenig auseinanderrückte, und drückte im Aschenbecher die Zigarette aus. Sie war noch nicht mal halb geraucht, aber das war egal.

»Wissen Sie, Mister Rott«, sagte sie und fächelte sich mit der rechten Hand Luft zu, »mir ist auch plötzlich so heiß. Dagegen sollte man unbedingt etwas tun.«

Ich räusperte mich. »Sie sind der Boss, Lady.«

Es endete im Schlafzimmer nebenan. Zwischen frisch gestrichenen Wänden und neben dem neuen Schrank, der das alte Ding ersetzt hatte, mit dem ich hier über zwanzig Jahre lang allein zurechtgekommen war.

Natürlich trug Wonne von ihrem Dreißiger-Jahre-Kostüm keinen einzigen Faden mehr.

»Ich frage mich, wie viele Frauen es gibt, die einen Detektiv-Fetischismus haben«, überlegte ich laut, Wonnes Kopf auf meiner Schulter.

»Oder wie viele Detektive einen Klientinnen-Fetisch«, gab sie zurück.

»Ich glaube, das sind mehr.«

»Das denkst du nur.« Sie stand auf, sodass ich ihre nackte schlanke Gestalt von hinten bewundern konnte. Langsam begann sie, ihre normale Kleidung aufzusammeln, die sie vor ihrer Kostümierung in der Eile einfach auf den Boden geworfen hatte. Dann zog sie sich an. »Hauptsache, es passt zusammen«, sagte sie, während sie ihren schwarzen BH schloss. »Pott und Deckelchen.«

»Ja genau, das ist die Hauptsache«, bestätigte ich.

Wonnes Handy lag auf dem Nachttisch. Für eine halbe Stunde hatte ich die Stalker-Attacken tatsächlich vergessen.

»Schon gleich halb acht«, sagte sie, während sie sich weiter anzog. »Ich muss mich beeilen.«

»Was ist los? Haben wir noch was vor?«

Sie hatte schon Jeans und Bluse an und streifte gerade ihren Pullover über. »Mein Mädelsabend?«, entgegnete sie überrascht. »Wir hatten doch darüber gesprochen.«

»Du willst die Mädels treffen? Am Abend vor der Hochzeit?«

»Gerade am Abend vor der Hochzeit, Remi. Man nennt es Junggesellinnenabschied. Schon mal gehört? Und du hast dann deinen Junggesellenabschied, klar? Das ist das, was Männer haben. Jeden Moment kommen die Mädels und holen mich ab.«

Ich hatte das Gefühl, schlagartig unter eine kalte Dusche geraten zu sein. »Und wo geht ihr hin?«, fragte ich heiser, während ich mich ebenfalls aus dem Bett schwang.

»Keine Ahnung, Remi. Das ist ja der Witz an einer solchen Veranstaltung. Die Mädels haben das organisiert. Es ist eine Überraschung. Wahrscheinlich geht’s zum Tanzen. Oder irgendwohin, wo man einen ordentlichen Männerstrip sehen kann.« Ihre Augen leuchteten, als sie das sagte. Mir kam es auch so vor, als hätte sie das Wort »Männerstrip« besonders deutlich betont.

»Moment mal …«, wandte ich ein. Vor meinem geistigen Auge sah ich die typischen Szenen, die man aus Filmen kennt, vor allem aus amerikanischen. Kreischende Frauen mit erheblichem Alkoholpegel, mittendrin ein Dressman, der sich nach und nach seiner Polizeiuniform entledigte. In den Geschichten kam dann mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit der Gag, dass wegen der Lärmbelästigung herbeigerufene echte Polizeibeamte erschienen, die dann von der angeheiterten Damenschar ebenfalls für Stripper gehalten wurden …

»Männer gehen am Hochzeitsvorabend ja gewöhnlich in den Puff«, fasste Wonne zusammen. »Aber ich denke, ich habe eben einigermaßen gründlich dafür gesorgt, dass du dort nicht mehr hinmusst«, fügte sie sachlich hinzu. »Vielleicht geht’s ja in einen Stripclub. Das wäre okay. Nur gucken, nicht anfassen.«

In dem Moment schrillte die Türklingel. Seit wir zusammengezogen waren, war sie auch in meinem dienstlich genutzten Bereich auf der anderen Seite des Hausflurs zu hören. Wir nutzten jetzt zwei Wohnungen. In die kleinere war ich mit meinem Büro umgezogen.

Wonne nahm ihren Mantel und eine ihrer Handtaschen. Der Kuss, den sie mir gab, war flüchtig. Ich hatte das Gefühl, sie sei sowieso nur zum Bett gekommen, um das Handy vom Nachttisch zu nehmen.

»Treib’s nicht zu wild, mein Bräutigam«, sagte sie.

Die Mädels schienen ungeduldig zu werden, denn sie klingelten direkt noch mal. Gleichzeitig kam es mir so vor, als hörte ich unten auf der Straße kreischendes Gelächter.

Wonne war fast an der Tür, da drehte sie sich noch einmal um. »Ach, noch was. Dir ist schon klar, dass du mein Kleid vor der Hochzeit nicht sehen darfst? Ich bräuchte die Wohnung morgen also für mich allein, ehe wir zum Elisenturm rauffahren.«

»Aber ich werde morgen hier in diesem Bett aufwachen und dann mit Sicherheit die Augen öffnen«, wandte ich ein. »Wie soll das also gehen?«

»Kein Problem«, sagte sie. »Du kannst ja bei Jutta übernachten.«

»Hast du mit ihr gesprochen?«, fragte ich.

»Klar.« Sie lächelte mich an. »Und nun wünsche ich dir viel Spaß. Ich hoffe, bei deinem Abschied ist Manni nicht dabei. Dann würde ich mir wirklich Sorgen machen.«

Damit ging sie.

Ein letzter Hauch ihres Duftes blieb im Raum – vermischt mit einem leichten Raucharoma. Das kam von den Dreißiger-Jahre-Klamotten, die auf dem Boden vor dem Bett lagen.

Unten vor dem Haus ertönte wieder das Gelächter. Dann hörte ich zuschlagende Autotüren. Ein Motor wurde gestartet. Das Geräusch entfernte sich, und ich lauschte ihm nach, bis es verschwunden war. Dann ließ ich mich zurück auf das Bett sinken.

Freunde organisieren den Junggesellenabschied, dachte ich. Das stimmte wohl.

Wenn man Freunde hatte.

2

Nachdem ich mich angezogen hatte, ging ich in die Küche, setzte mich an den Tisch und betrachtete eine Weile die lange Reihe von Wonnes Kochbüchern. Sie waren nach Ländern geordnet, von marokkanisch bis türkisch, von französisch bis spanisch und portugiesisch, und dazwischen gab es auch ein paar Bände mit deutschen Rezepten. Sogar eins mit Bergischen Spezialitäten war dabei – mit den Zutaten zur legendären Kaffeetafel und mit regionalen Klassikern wie Panhas und Pillekuchen. Hinzu kamen verschiedene reich und bunt bebilderte Fachbücher über die Zubereitung von Konfitüren.

Im Kühlschrank waren noch ein paar Flaschen Bier. Ich öffnete eine und ging hinüber in mein Büro. Der Bildschirm hatte sich abgeschaltet. Alles war dunkel.

»Da will dir jemand dein Mädchen wegnehmen«, sagte eine Stimme. Sie war dunkel und ein wenig rau, dabei klar und deutlich zu vernehmen. Trotzdem war sie nicht real.

Jedenfalls nicht im üblichen Sinne.

Der Mann, zu dem sie gehörte, stand vor dem Fenster, wo das Licht der Straßenlaterne seine Silhouette beschien – gedämpft von einer Stoffjalousie. Sein Gesicht lag im Schatten eines Hutes. Gelegentlich stieg von da, wo der Mund des Mannes sein musste, Zigarettenrauch nach oben. Zu erahnen waren ein weißes Hemd, Anzug und eine Krawatte, deren Streifen auf amerikanische Art von links oben nach rechts unten verliefen.

Ich wusste, wie der Mann hieß. Allerdings hütete ich mich davor, seinen Namen auch nur zu denken. Denn das hätte mich zu einem Kandidaten für die Irrenanstalt gemacht. Ich nannte ihn also einfach »Mister M.«.

»Sie ist süß, die Kleine«, erklärte Mister M. und ließ versonnen den Rauch kräuseln. »Sie hat es verdient, dass du die Sache mit dem Typen, der die Briefe schreibt, in den Griff kriegst. Also streng dich an.«

Mister M. kam aus einer Welt und einer Zeit, in der man keine E-Mails kannte. Außerdem mussten sich Frauen die selbstverständlichsten Dinge »verdienen«.

Aber er hatte recht. Ich schaltete die Schreibtischlampe ein und griff zum Telefon. Wie immer, wenn ich auf seine Ratschläge hin aktiv wurde, löste er sich auf wie der Rauch, den er ausstieß.

Mannis Nummer war eingespeichert. Als er sich meldete, hörte ich seine Stimme in einem Getöse wummernder Metal-Klänge.

»Hecking Computersupport!«, brüllte er mir ins Ohr. Trotzdem klang er fern und war kaum zu verstehen. Ich fragte mich, welcher Kunde angesichts eines solchen Szenarios noch Lust hatte, Manni einen Auftrag anzuvertrauen.

»Ich bin’s, Remi!«, rief ich, um mich dem Lärm entgegenzustemmen.

Von Manni kam ein überraschter Laut, dann wurde die Geräuschkulisse leiser, und seine Stimme war deutlich, als er fragte: »Wer ist da?«

»Remi!«, schrie ich.

»Ach, du bist’s.«

»Wir hatten doch über diese Mails gesprochen, die Wonne seit einiger Zeit bekommt …«

»Mailadresse sperren, und gut ist«, gab Manni zurück. »Habt ihr das gemacht?«

»Ehrlich gesagt, nicht. Erst wollte ich die Sache weiter im Auge behalten. Aber dann hatten wir so viel mit der Hochzeit zu tun.«

»Hochzeit?«, echote Manni.

Ich biss mir auf die Lippe. Ich hatte ihm nichts davon gesagt. Wonne mochte Manni nicht, unter anderem wegen seiner kriminellen Vergangenheit. Sie hatte darauf bestanden, dass er nicht eingeladen wurde.

»Ja, morgen«, sagte ich so dahin. Jetzt war sowieso alles egal.

»Soso. Hast du dir das auch gut überlegt?«

»Was denkst du denn?«, gab ich empört zurück. »Glaubst du, ich heirate so einfach zwischen Tür und Angel?«

»Warum bist du nicht auf deinem Junggesellenabschied?«

»Was?«

»Hörst du schwer? Warum. Du. Nicht. Auf. Deinem. Junggesellen. Abschied. Bist. Wo ist denn Wonne?«

Ich nuckelte nervös an meinem Bier. Seltsamerweise hatte sich die Flasche während der kurzen Unterhaltung schon fast geleert. »Hör zu, Manni. Es geht jetzt um was anderes. Du hast neulich erwähnt, dass du rauskriegen könntest, woher die Mails kommen. Wer dahintersteckt.«

»Das könnte ich. Ist aber nicht ganz einfach. Und auch nicht billig.«

»Wir müssen es versuchen. Unternimm bitte, was nötig ist.«

»Ich brauche eine möglichst aktuelle Mail von dem Typen, um sie zu analysieren«, sagte Manni.

Ich erklärte ihm, dass ich an die neueste Nachricht gerade nicht rankäme. Und Wonne sei samt ihrem Telefon außer Haus.

»Junggesellinnenabschied?« Ich konnte Mannis Stimme anhören, dass er frech grinste. »Und du sitzt zu Hause rum?«

»Darum geht es jetzt nicht. Es geht um –«

»Natürlich geht’s darum, alter Junge.«

»Nenn mich nicht ›alter Junge‹. Ich bin gerade mal –«

»Du hast mir die ersten Mails von dem Typen schon mal irgendwann geschickt«, unterbrach er mich erneut. »Die habe ich noch, und ich werde sehen, was ich tun kann. In Bezug auf die Mails und auch darüber hinaus.«

»Was meinst du damit?«

»Dir muss man wirklich helfen, Rott. Du tust mir leid. Bleib, wo du bist, ich bin in einer knappen halben Stunde bei dir. Ich war zwar noch nie verheiratet. Aber eines weiß ich: Ohne Junggesellenabschied läuft da gar nichts.«

Ich nahm noch einen Schluck Bier und saß in meinem Büro herum, wieder in der Dunkelheit, bis es an der Tür klingelte.

»Bist du fertig?«, rief Manni von der Straße aus in die Gegensprechanlage.

»Fertig wofür?«, fragte ich zurück.

»Jetzt mach, dass du runterkommst.«

Ich trug wie immer ein Hemd zu Jeans und ausgeleiertem Jackett. Jetzt im Januar war es draußen kalt, also zog ich noch den Mantel über, den Wonne mir einmal geschenkt hatte.

Unten auf der Straße stand mit laufendem Motor ein alter orangefarbener Ford Capri. Ein Modell aus den siebziger Jahren. Seit meiner Jugend hatte ich so was nicht mehr gesehen. In der nasskalten Luft qualmte der Auspuff wie eine Lokomotive. Manni, der am Steuer saß, winkte mir zu.

Ich stieg ein. In dem Wagen roch es, als hätte jemand sämtliche Düfte der Siebziger darin konserviert. Zigarettenrauch und Alkohol, Auspuffgase von bleihaltigem Benzin. Dazu eine Spur Leder und in Kunstfasern aufgenommener Schweiß.

Kaum hatte ich Platz genommen, fuhr Manni röhrend los.

»Wo hast du denn diese Kiste aufgetrieben?«, wollte ich wissen.

»Leider konnte ich so schnell keine Stretchlimousine besorgen«, entgegnete er leicht beleidigt. »Aber der hier ist doch auch was Besonderes. Super geeignet für das, was wir vorhaben.« Er sah mich an und strahlte. Mir wurde klar, dass ich Manni selten so enthusiastisch erlebt hatte. »Sag mal«, fuhr er fort, »ich hatte doch recht, oder? Wonne feiert mit ihren Mädels, und du warst wirklich allein zu Hause?«

»Ich hätte vielleicht ein bisschen ferngesehen«, sagte ich kleinlaut.

»Fernsehen?«, schrie Manni und machte ein Gesicht, als hätte er es mit einem komplett Irren zu tun. »Du wolltest fernsehen?« Er schüttelte den Kopf. »Junge, du weißt nicht, was du redest.«

Wir waren an der Abzweigung auf die B 7 angekommen. Manni gab Gas, um nach links abzubiegen. Kraftvoll haute er einen höheren Gang rein.

»Wo fahren wir denn hin?«, fragte ich.

»Lass dich überraschen«, sagte Manni geheimnisvoll. Dann grinste er mich wieder an. »Alter Junge.«

Ich verfolgte schweigend, wie er den Ford durch das abendliche Wuppertal nach Osten lenkte – vorbei am schier endlosen Stahlgerüst der Schwebebahn. Irgendwann tauchte rechts die Neonschrift des »Cinemaxx« auf, an dem Manni jedoch vorbeifuhr. Das Schauspielhaus ließ er ebenfalls rechts liegen. Es ging also weder ins Kino noch ins Theater.

Manni schwieg. Er nahm den Linksabbieger in die Loher Straße, fuhr dann noch um ein paar Ecken und überquerte einmal mehr den Fluss, der unserer schönen Stadt den Namen gegeben hat. Es ging an den Fronten alter Mietshäuser vorbei, zwischen denen hin und wieder Gewerbegrundstücke lagen, bis sich links eine Hofeinfahrt auftat. In der hell gestrichenen Fassade der Hofrückseite reihten sich ein paar Fenster aneinander, in denen hinter roten Jalousien Licht brannte.

»Na?«, sagte Manni erwartungsvoll, als wir ausgestiegen waren.

Was erwartete er? Ich wusste es nicht und blieb erst einmal stehen. Er glaubte doch nicht im Ernst, dass ich da reinginge. Jedenfalls nicht als Kunde.

»Nur nicht so schüchtern, alter Junge. Junggesellenabschied ist Junggesellenabschied. Was hast du denn? Machst du dir Sorgen wegen der Kohle? Geht alles auf mich.«

Widerstreitende Gedanken gingen mir durch den Kopf. Und das lähmte meine Schritte. Eins musste man Manni ja lassen: Ausgerechnet er hatte die Qualitäten bewiesen, die ein Freund haben sollte. Er hatte erkannt, dass ich heute Abend ziemlich blöd zu Hause gesessen hatte. Aber musste ich deswegen mit ihm in diesen Puff gehen? Lief ein echter Junggesellenabschied nicht etwas anders ab? Ging man da nicht in eine Kneipe, machte lauter Blödsinn … Okay, es konnte auch eine Stripperin im Spiel sein, und ein bisschen frivol ging es vermutlich ebenfalls zu … Aber Moment mal, war man da nicht in einer größeren Gruppe unterwegs? Und nicht nur mit einem einzigen Kumpel?

Während ich unschlüssig herumstand und auf die rot glühenden Fenster starrte, schritt Manni bereits forsch auf den Eingang zu, wo es auch eine Klingel gab. Er drückte, und sofort öffnete jemand die Tür. Gelbes Licht fiel auf den Hof, dazu Musik. Im Gegenlicht stand eine Blondine im roten Kleid, die wahrscheinlich die Empfangsdame war. So wie sie Manni anlächelte, kannten die beiden sich. Aber vielleicht wirkte das auch nur so, und sie begrüßte jeden Gast wie einen alten Freund des Hauses.

Manni deutete auf mich, der ich immer noch in etwa zwanzig Metern Entfernung Wurzeln schlug. Ich hörte, wie er der Frau etwas sagte: »Heiratet morgen … traut sich nicht so recht …« Es entlockte ihr ein wissendes Lächeln. Wahrscheinlich gab es solche Kandidaten wie mich hier häufiger.

Er drehte sich zu mir um. »Komm schon!«, rief er. »Denen kühlt ja die Bude aus, wenn die Tür noch länger offen steht.«

Na gut. Ich wollte natürlich nicht, dass das Etablissement wegen hoher Heizkosten Verluste erlitt, und setzte mich in Bewegung. Manni war schon im Inneren des Hauses verschwunden, als ich die blonde Frau erreichte, die einen gewaltigen Parfümduft verbreitete.

»Du heißt Remi, hat dein Freund gesagt«, hauchte sie. »Ich bin Donna und werde euch gleich mal zeigen, was wir hier so haben.«

Ich betrat einen Gang mit einigermaßen geschmackvollen Schwarz-Weiß-Fotos nackter Frauen an den Wänden. Es waren nicht die Damen, die hier beschäftigt waren. Das erfuhr ich nur eine Minute später, als Manni und ich in einem mit dickem Teppichboden ausgelegten Raum auf einer Couch saßen und sich eine Seitentür öffnete.

Donna führte vier junge Damen herein, allesamt mehr oder weniger knapp bekleidet. Durch das Rauschen in meinen Ohren hörte ich ihre Namen. Stella, Vivian, Janine und Melody. Mindestens bei der Letzten war ich sicher, dass es sich um einen Künstlernamen handelte.

Manni machte derweil schon seine Bestellung. »Vivian«, sagte er, und die Angesprochene, eine schlanke Blondine im roten Bikini und mit einer eigentlich farblich unpassenden lila Federboa um den Hals, trat vor. »Und Janine auch noch.« Janine schien südländische Wurzeln zu haben. Schwarzes Haar, gebräunte Haut.

»Und was ist mit dir, Remi?«, fragte Donna mit einem leisen Gurren in der Stimme, das irgendwie mütterlich wirkte. Wie eine Mama, die das Kleinkind fragt, was es essen will.

Ich spürte, wie es in meiner Kehle trocken wurde, und räusperte mich.

»Na, dann wisst ihr ja, was ihr zu tun habt, Mädels«, sagte Donna zu Stella und Melody. »Kümmert euch mal schön um ihn.«

Die leise Musik, die durch den Raum schwebte, wurde mit einem Mal ganz laut. Stella und Melody kamen lächelnd auf mich zu. Was würden sie machen, wenn sie an dem Sofa angekommen waren?

Manni war schon mit den beiden anderen durch die Tür verschwunden, durch die Donna mit den Mädels hereingekommen war. Ich räusperte mich noch mal und stand auf. Mir war klar, dass jetzt der richtige Moment für einen Entschluss war.

»Es freut mich sehr«, sagte ich und hätte beinahe weitergemacht mit »wie ich hier behandelt werde«. Aber das schien mir unpassend, deswegen fing ich noch mal von vorne an. »Ich freue mich sehr über die Gastfreundschaft. Aber ich fürchte, das ist doch nicht das Richtige … Ich meine, es liegt überhaupt nicht an euch …«

Stella und Melody waren stehen geblieben und sahen verdutzt drein. Einen Moment lang schwebte nur die Musik durch den Raum, ansonsten herrschte Stille. Dann ertönte ein elektronischer Dreiklang, der aus der Innentasche meines Sakkos kam. Mir wurde klar, dass ich immer noch meinen Mantel trug.

»Moment, mein Handy«, sagte ich, fast dankbar für die Unterbrechung, riss das Telefon heraus und ging ran.

»Remi …«, rief Wonne, um den Umgebungslärm zu übertönen. Musik schien heute der normale Begleitsoundtrack beim Telefonieren zu sein. Es ging nicht mehr ohne. Auch bei Wonne rockten im Hintergrund E-Gitarren mächtig ab. Trotzdem hörte ich ihrer Stimme an, dass irgendetwas passiert sein musste. Anscheinend bewegte sie sich irgendwohin, wo es leiser war. Die Musik wurde zu einem fernen Gewummer.

Mit wenigen Schritten war ich wieder auf dem Flur und wandte mich der Haustür zu. »Was ist?«

»Ach, wir sind hier am Tanzen … Und da …« Wonnes Stimme war wie mit Hall unterlegt. Es klang, als wäre sie in dem Tanzschuppen, in den es sie mit ihren Freundinnen verschlagen hatte, auf der Toilette.

»Geht es dir gut?«, fragte ich.

»Ja, schon, aber … Na ja, der Typ hat wieder geschrieben.«

»Lass dich doch davon nicht beim Feiern stören«, sagte ich. »Ich habe mit Manni gesprochen. Er will die Mails analysieren und arbeitet gerade daran, den Absender zu ermitteln.« Ich blickte den Gang entlang, von dem Türen zu den Zimmern abzweigten. In einem davon arbeitete Manni tatsächlich gerade, aber an etwas anderem.

»Remi, er hat nicht nur ein Mal geschrieben, sondern gleich drei Mal. Und das ist nicht alles. An einer der Mails ist ein Foto angehängt.« Ihre Stimme hatte mindestens zwei Grade an Verzweiflung zugelegt.

»Ein Foto? Was für ein Foto?«

»Remi … Sag mir bitte ganz ehrlich … Wo bist du gerade? Zu Hause bist du nicht, auf dem Festnetz habe ich es versucht. Und nun erreiche ich dich auf dem Handy.«

Ja, wo war ich? »Ach«, sagte ich und versuchte, möglichst harmlos zu klingen. Zeit zu gewinnen.

»Als ich vorhin das mit dem Puff gesagt habe, war das doch nur ein Spaß.«

»Klar, das weiß ich doch, Wonne, ich …« Ich öffnete die Tür und trat hinaus auf den Parkplatz. Ich hatte das Bedürfnis, möglichst schnell hier herauszukommen. Da stand Mannis orangefarbener Ford. Ich stellte mich daneben.

»Dann bist du nicht in der ›Erotik-Oase‹ in Barmen?«

Eine Hitzewelle packte mich unter meinen Mantel. »Was?«, rief ich. »Wieso …«

»Warte mal, ich schick dir die Mails weiter.«

Ein paar quälende Sekunden lang stand ich herum und starrte auf das Display. Dann kamen die Botschaften an. Mit Anhang. Sie stammten natürlich wieder von »Wonnes Romeo«.

Dein Bräutigam geht in den Puff.

»Erotik-Oase«. Völklinger Straße.

Dieselbe Mail war drei Mal geschickt worden. Ich scrollte weiter, und dann wurde das Foto sichtbar.

Es zeigte mich, wie ich auf dem Parkplatz stand. Weiter hinten war die offene Tür zu sehen, mit Donna und Mannis Silhouette davor.

Ich aktivierte wieder die Telefonfunktion, rief Wonne zu, dass sie warten sollte, und rannte auf die Straße. Dort hatte die Person, die fotografiert hatte, gestanden. Ich blickte die Häuserzeilen entlang. Niemand war zu sehen. Ein Stück weiter lag der Völklinger Platz. Auch dort war niemand. Noch nicht mal jemand, der seinen Hund ausführte. Überall parkten Autos. Ich versuchte vergeblich, hinter den dunklen Scheiben der Fahrzeuge jemanden auszumachen.

Wonne war immer noch dran.

»Das Foto ist vor einer Viertelstunde entstanden, höchstens vor zwanzig Minuten«, sagte ich. »Der Stalker muss hier in der Nähe sein. Ich sehe mich gerade überall um, aber ich finde nichts …«

»Soll das etwa heißen, du bist wirklich in dieser sogenannten Oase? Sag mir, dass das nicht wahr ist.«

»Es ist nur ein Witz«, sagte ich. »Mann … Ich meine, ein Freund hat mich abgeholt und mich aus Quatsch hergebracht.«

»Du bist also nicht reingegangen?«

»Was denkst du denn?«, sagte ich mit so viel Entrüstung in der Stimme wie möglich. Dann arbeitete ich weiter daran, Wonne abzulenken. »Schau dir das Foto mal genau an. Siehst du da rechts das orangefarbene Auto? Das ist ein Modell aus den Siebzigern. Damit machen wir eine kleine Rundfahrt. Nachher trinken wir noch was, und das war’s dann.«

»Aha«, sagte sie, noch keinesfalls beruhigt. »Und welcher Freund ist das?«

»Kennst du nicht. Er heißt Rudi. Rudi Klapprath. Eigentlich Rudolf. Ich kenne ihn aus der Schule.«

»Du verarschst mich doch, Remi.«

Der Witz war, dass es diesen Rudi wirklich gegeben hatte. Und er hieß wirklich Klapprath. Und ein Klapprad hatte er damals auch besessen. Ein orangefarbenes. Deswegen war er mir gerade eingefallen. Rudi war ein Schulkamerad vom WDG, dem altehrwürdigen Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium. Mit dem Rad kam er morgens von Küllenhahn zur Schule runtergestocht, um dann nachmittags den ganzen Weg zurückzuschieben.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte ich. »Jedenfalls, was das betrifft. Ich kümmere mich jetzt darum, den Stalker zu finden. Manni muss mir helfen, er ist ja eh schon an der Sache dran.«

»Sag mal, Remi … Der Typ, der da an der Tür steht … Er sieht Manni ziemlich ähnlich, findest du nicht?«

»Ich werde es Rudi sagen«, gab ich nonchalant zurück. »Vergiss den Quatsch hier mit dem Puff.« Dann wechselte ich wieder das Thema. Hoffentlich zum letzten Mal. »Wir werden den Typen schnappen.«

»Wir?«, fragte Wonne noch, aber da hatte ich schon den roten Knopf gedrückt.

3

Als ich in die »Erotik-Oase« zurückkehrte und Donna das Foto zeigte, erntete ich Überraschung und Entsetzen. Dass Kunden heimlich bei ihrem Besuch fotografiert wurden, kam natürlich überhaupt nicht gut an. Das war aber auch schon alles. Ich erhielt keinen weiteren Hinweis. Donna hatte zwar in Richtung der Hofeinfahrt geschaut, als die Aufnahme entstanden war, aber sie hatte niemanden bemerkt. Überwachungskameras gab es nicht.

»Wo ist Manni?«, wollte ich nach der Befragung wissen.

Donna grinste nur und setzte an, etwas zu sagen. Ich wartete nicht, sondern ging den Gang entlang, bis ich hinter einer Tür quietschendes Frauenlachen hörte. Ohne anzuklopfen, ging ich rein.

Zum Glück hatte ich auf Anhieb den richtigen Raum erwischt. In einer Sinfonie aus Rottönen mit rotem Teppich, roter Tapete, roten Möbeln, roter Bettwäsche, Kunstblumen und einem das alles intensiv bestrahlenden roten Deckenstrahler lag Manni zwischen den beiden Grazien. Sie hatten sich ihrer wenigen Kleider entledigt und sahen mit ihrer glatten Haut aus wie Statuen. Allerdings bewegten sie sich. Eine von ihnen – ob Vivian oder Janine, hatte ich vergessen – zog an Mannis Unterhose herum, die sich sichtlich ausbeulte.

Ohne zu zögern, schritt ich auf das erotische Ensemble zu. »Wir müssen weg, Manni«, sagte ich. »Sofort.«

Die beiden Damen hörten aus meiner Stimme wohl heraus, dass etwas Schlimmes passiert war, und sahen mich erschrocken an. Die Aktion an Mannis Unterhose wurde sofort gestoppt.

»Los, zieh dich an«, befahl ich.

»Was soll denn der Quatsch?« Manni rappelte sich auf. »Ich dachte, du bist mit Stella und Maria zu Gange.«

»Sie heißt Melody«, sagte ich, als ob das wichtig wäre. Mannis Gespielinnen waren aufgestanden. Ich packte meinen Kumpel am Arm und wollte ihn vom Bett ziehen. »Wir haben wieder Post von Mister Unbekannt bekommen«, erklärte ich. »Und das ist nicht alles. Diesmal hat er ein Foto mitgeschickt. Er ist hier in der Nähe.«

Manni stieß mich weg. Da stand auf einmal Donna in der Tür. »Was ist hier los?«, rief sie, und diesmal hatte sie noch ein anderes Register drauf. Keifende alte Frau.

»Weiß ich nicht«, jammerte Manni. »Ich wollte meinem Freund einen schönen Junggesellenabschied schenken, aber …«

»Wenn du mir was zur Hochzeit schenken willst, dann hilf mir, diesen Idioten zu schnappen, der mich und Wonne die ganze Zeit terrorisiert.«

»Deine Braut heißt Wonne?«, meldete sich eine von den Frauen kichernd. »Nomen est omen …«

»Oh, das Personal kann Latein«, sagte ich verblüfft.

»Na klar, ich hab mal zwei Semester Theologie studiert«, erklärte sie, gefolgt von noch mehr Gekicher.

Ich holte das Handy raus und wischte, bis Wonnes Nachricht kam. Dann hielt ich Manni den Text mit dem Foto hin. Zum Glück brachte ihn das, was er sah, dazu, sich sofort vollständig anzuziehen. Die Beule in seiner Hose war verschwunden.

»Bis bald, Mädels!«, rief er, als wir an der Tür standen. An Donna gewandt sagte er: »Schreib es an. Kohle gibt’s nächste Woche.«

»Kommt gar nicht in Frage!«, rief die Puffmutter und stellte sich uns in den Weg. »Du hast hier mehr als fünf grüne Scheine offen. Entweder du zahlst jetzt, oder –«

»Mein Freund erledigt das«, sagte Manni und deutete auf mich.

»Wie bitte? Ich denke, ich bin eingeladen.«

»Mach schon, Remi. Du bezahlst hier, und dafür besorge ich die Software, mit der wir den Typen schnappen. Dann sind wir quitt. Alles klar?«

So ganz klar war mir das nicht, aber ich gab Donna meine Kreditkarte. Kurz darauf erhielt ich eine korrekt ausgestellte Quittung darüber, dass fünfhundertzwanzig Euro abgebucht worden waren, mit ordentlichem Vermerk der kassierenden Firma »Erotik-Oase«.

»Du fährst«, sagte Manni, als wir am Wagen waren, und hielt mir den Schlüssel hin.

»Aber ich hab doch Bier getrunken«, erklärte ich. »Eine Flasche. Kannst du nicht fahren?«

»Eine Flasche Bier? Du bist ein verdammter Spießer, Remi. Ich muss unterwegs das Foto analysieren und noch alles Mögliche andere machen. Los jetzt. Hast du’s nun eilig oder nicht?«

»Also gut.« Ich nahm den Schlüssel und stieg ein. »Was gibt’s an dem Foto zu analysieren? Der hat da drüben gestanden, und dann war er weg.«

Manni nahm mein Handy und machte damit irgendwas. Dabei murmelte er Begriffe wie »Metadaten«, »GPS« und »IP-Adresse«. Schließlich gab er es mir zurück, und ich steckte es ein.

»Fahr schon«, sagte er. »Wir müssen erst mal zu mir nach Hause.«

»Kriegen wir den Typen denn?«, fragte ich unsicher.

»Wenn wir hier weiter rumstehen, nicht.«

Ich hatte keine Ahnung, was er vorhatte, aber er schien zu wissen, was er tat.

»Es wäre gut, wenn wir uns ein bisschen beeilen könnten«, sagte Manni. »He, Vorsicht, nicht so viel Gas geben. Die Kupplung langsam kommen lassen.«

Ich hätte den alten Wagen fast abgewürgt. Aber als er ein paar Meter gerollt war, hatte ich das Ding im Griff. Wie bequem man in den Sitzen saß! Fast wie früher bei Oma auf dem Sofa.

Manni hatte schon alle möglichen Wohnungen gehabt. Für eine Weile hatte er sogar ein Haus zwischen Mettmann und Wülfrath besessen, in dem säuberlich aufgebaute Server automatisch illegale Kopien von Spielfilmen in alle Welt vertickten. Die Sache war aufgeflogen, Manni hatte eine Bewährungsstrafe kassiert und musste Schadensersatz leisten. Danach musste er von vorne anfangen. Jetzt lebte er in einem Gebäude, das vom alten Bahnbetriebswerk in Vohwinkel übrig geblieben war. Oder von einem der Betriebe, die es rund um die Anlage gegeben hatte.

Man musste von der Nathrather Straße in einen kleinen, abschüssigen Weg einbiegen, an dem man mit einem verblassten Schild darauf hingewiesen wurde, dass alles, was dahinter lag, Bahngelände war. Der Weg führte auf ein riesiges, teilweise überwuchertes Areal voll von durcheinandergewürfelten Betonklötzen und riesigen Steinhaufen. Alles war abgerissen – nur ein einziges Haus nicht. Irgendwie war es Manni gelungen, mit der Immobilienverwaltung der Bahn einen Deal zu machen.

»Du wartest hier«, sagte Manni, als wir auf den Vorplatz gerumpelt waren. Er stieg aus, und ein Bewegungsmelder ließ die Lampen an dem verwitterten Eingang angehen. Daneben hing ein verrostetes Schild mit der Aufschrift »Büro«.

Es dauerte nicht mal zehn Minuten, in denen ich in die stille Nacht lauschte, nur einmal rauschte auf der nahen Bahnstrecke ein Zug in Richtung Sonnborn vorbei. Dann kam Manni zurück, einen flachen Gegenstand in der Hand. Als er sich wieder auf den Beifahrersitz gewuchtet hatte, entpuppte sich das Ding als monströser Laptop von olivgrüner Farbe mit Gummiverstärkungen an den Kanten. Es sah aus, als sei es für einen Kriegseinsatz vorgesehen.

Er klappte den Computer auf und starrte auf den Bildschirm, auf dem zuerst nur ein weißer Zeichensalat auf dunklem Grund erkennbar war. Dann erschien das Foto, das Wonne mir gemailt hatte.

»Der Typ war schlau genug, die Metadaten rauszunehmen«, sagte Manni. »Aber wir haben noch was anderes … Ah, das ist es.« Er klickte, das Bild verschwand, und ein weißer Balken zog sich quer über das Display. Ein Fenster ging auf, und Manni schrieb in ungeheurer Geschwindigkeit etwas hinein. Er wartete, bis weitere Zeichen erschienen, dann tippte er weiter. »Du kannst losfahren«, sagte er, ohne mich anzusehen.

»Und wohin?«, fragte ich.

»Sag ich dir dann. Wir versuchen, den Typen zu orten.«

Ich startete den Motor und wendete den Ford auf dem Vorplatz. »Du kannst mit dem Laptop orten, wo sich der Stalker aufhält?«

»Ich kann orten, wo der Computer steht, von dem aus er die Mails geschickt hat«, korrigierte mich Manni. »Sofern er nicht von einem Handy aus operiert. Was ich aber nicht glaube.«

»Bist du ganz sicher, dass das funktioniert?«

Er sah mich an. »Ist der Papst katholisch? Das hier ist Hochleistungs-Hardware, Rott. Und ein Programm, das sogar die NSA benutzt. Also, jetzt mach schon. Fahr erst mal Richtung Kaiserstraße und folge dann einfach der Schwebebahn. Es hat angefangen zu regnen. Mach die Scheibenwischer an.«

Mal nannte er mich Remi, mal Rott. Ich hatte noch nicht herausgefunden, wie er das entschied.

Ich brauchte einen Moment, bis ich den richtigen Hebel gefunden hatte. »Warum hast du das nicht neulich schon gemacht?«, wollte ich wissen. »Ich meine, mit diesem ganzen Kram da gearbeitet.«

»Weil ich dafür eine spezielle Software brauche, die ich in Indien kaufen musste.«

»Und das hat du jetzt gemacht?«, fragte ich ungläubig. »Gerade eben?«

»Was denkst du denn? Wir leben im Internetzeitalter, Remi. Das scheint bei dir noch nicht so ganz angekommen zu sein. Alles läuft mit Lichtgeschwindigkeit. Ich habe den Verkäufer in Indien auf sechshundert Ocken runtergehandelt. Glaub mir, wir kriegen das hin, und du kannst Wonne morgen Erfolg melden.«

»Also gut«, sagte ich und fuhr los.

In der Kaiserstraße präsentierte sich Wuppertals berühmtestes Stadtbild: die typische Straßenschlucht, in der sich wie ein stählerner Tausendfüßler die Konstruktion der Schwebebahn hinzog.

»Da wir jetzt wissen, dass der Typ in Wuppertal unterwegs ist, können wir die Sache eingrenzen«, erklärte Manni. »Ich gehe mal davon aus, dass er auch hier wohnt und seine Mails aus dem Stadtgebiet verschickt hat. Hoffentlich von einem PC von zu Hause aus.«

Während wir die Straße entlangrollten, versuchte ich immer mal wieder, einen Blick auf Mannis Laptopmonitor zu erhaschen, aber es hatte keinen Sinn. Er zeigte den Ausschnitt einer elektronischen Karte, wie man sie von Navis kennt, nur in einem ganz kleinen Fenster. Der größte Teil des Displays war von einem Zeichensalat bedeckt, der sich beständig veränderte.

Kurz vor dem Sonnborner Kreuz, wo die Autobahn die Stadt in gewaltiger Breite in Nord-Süd-Richtung durchschneidet, wies mich Manni an, links abzubiegen. Es ging erst ein Stück die Hammersteiner Allee hinauf, dann, am Goetheplatz vorbei, auf die Flieth und in der extrem engen Unterführung unter der Bahn hindurch. Überall schauten uns brave bürgerliche Fassaden an. In vielen Fenstern brannte Licht, ab und zu flackerte ein Fernseher. Die Leute hatten es gemütlich.

»Hier wohnt also irgendwo unser Stalker?«, fragte ich.

»Er hat zumindest diesen Weg genommen«, sagte Manni, der den Blick nicht von dem Display ließ. »Wir verfolgen ihn, allerdings mit einigem zeitlichen Abstand.«

Etwas knallte auf die Windschutzscheibe. Es waren dicke Regentropfen. Der Scheibenwischer bekam gut zu tun, während wir der Straße weiter folgten. Die dichteren Wohngebiete hatten wir mittlerweile hinter uns gelassen und fuhren an Gärten vorbei. Dann stoppte uns eine rote Ampel, die den Gegenverkehr auf der schmalen Straße regelte. Doch niemand kam von dort, wo wir hinwollten, und wir standen eine gefühlte Ewigkeit allein auf weiter Flur im Regen.

»Wo soll denn das noch hinführen?«, fragte ich, weil mir dämmerte, dass der Ausflug ins Nirgendwo mündete. »Da vorne kommt gleich die Nordbahntrasse. Ich bin mir nicht mal sicher, ob man mit dem Auto durch die Unterführung kommt.«

Die Ampel wurde grün. Und da war er auch schon, der winzige Tunnel unter der ehemaligen Bahnlinie, auf der jetzt, nach dem großen Ausbau vor einigen Jahren, Spaziergänger und Radfahrer unterwegs waren.

»Fahr da nicht durch«, sagte Manni. »Bieg vorher links ab.«

»Und dann?«, wollte ich wissen. »Mensch, das bringt doch nichts. Was nützt es uns denn, wenn wir wissen, wo der Typ überall gewesen ist? Ich brauche einen Namen oder wenigstens eine Adresse.«

»Ich kann nicht hexen, mein Freund«, sagte Manni. »Hier, fahr über den Homanndamm und dann weiter geradeaus, immer der Spur nach.«

»Aus Wuppertal raus?«, fragte ich.

»Keine Ahnung, Remi. Und wenn schon. Fahr einfach.«

»Wieso ›keine Ahnung‹? Ich denke –«

»Fahr!«

Ich zerbiss meine weiteren Einwände mit mahlenden Kiefern. Was sollte das? Wir fuhren hier die ganze Zeit im Kreis herum.

Nachdem wir dem Straßenverlauf gefolgt waren, kamen wir an der Bundesstraße 224 heraus.

»Weiter«, sagte Manni.

»Was soll das heißen, ›weiter‹? Hier geht’s entweder nach links oder nach rechts.«

»Rechts.«

Die Antwort war für meinen Geschmack etwas zu zögerlich gekommen. Jedenfalls für jemanden, der angeblich wusste, was wir hier taten.

Wir gelangten nach Dornap. Hinter Regenschleiern erschien neben der Straße das riesige Gebäude, dessen düstere, ehrfurchteinflößende Fassade mich schon als Kind beeindruckt hatte. Es beherbergte Mietwohnungen. Früher hatten hier wohl die Arbeiter der Kalkindustrie gewohnt.

»Halt mal an der Bushaltestelle da vorne«, sagte Manni.

»Sind wir da? Was ist jetzt?«

»Nichts ist. Endstation.«

»Heißt das, der Stalker wohnt in dem Haus da drüben?«

»Oder in einem anderen. Umkreis etwa achthundert Meter …«

»Wie bitte?«, rief ich.

Man konnte es durch den Regen nicht so gut sehen, aber der braungraue Klotz da drüben war bei Weitem nicht das einzige Haus hier. Entlang der Straße zog sich die Siedlung weiter hin. Der Umkreis, den Manni genannt hatte, umfasste die Kalkwerke, die etwas abseits lagen, aber auch den angrenzenden Ortsteil Lüntenbeck.

»Ich weiß, was du denkst«, sagte er. »Ich bin mir aber sicher, dass der Computer nicht drüben in Lüntenbeck steht, sondern hier.« Er machte eine unbestimmte Bewegung nach links, so etwa auf elf Uhr. Und beschrieb einen Bogen nach vierzehn Uhr hin.

»Da, wo du hindeutest, ist nur das Kalkwerk«, sagte ich. »Und dann kommt lange nichts.«

»Ich kann’s nicht ändern. Die Daten sind eindeutig.«

»Unter ›eindeutig‹ verstehe ich was anderes.«

Ich ließ den Wagen aus der Bucht rollen. Kurz darauf unterquerten wir wieder eine Bahnlinie. Dann teilte sich die Straße an einer Gabelung.

»Links«, sagte Manni.

Es war die kleinere der beiden Straßen. Sie führte an einem stillgelegten Kiosk vorbei. Alles war dunkel, aber es gab noch die Werbetafeln für Bild, Camel, Lotto und vieles andere. Dazu kam ein »Zu verkaufen«-Schild hinter der schmutzigen Scheibe, die durch ein Sicherheitsgitter aus Metall geschützt wurde. Das Einzige, was hier noch in Betrieb zu sein schien, war der Zigarettenautomat neben dem kleinen Parkplatz.

Ein Stück weiter reihten sich abgestellte Fahrzeuge aneinander. In einer kiesbedeckten Parkbucht standen ein paar Anhänger. Dann kamen links und rechts nur noch Gesträuch und Unterholz bis zu einem erleuchteten Gelände mit einem der Kalkwerke, die hier in der Gegend seit anno dazumal Kalkstein abbauten. Wir fuhren an einem breiten Metalltor vorbei, hinter dem ich riesige graue Halden erahnte. Dann kamen wieder parkende Lkws, Zäune, Steinhaufen und ein Sträßchen, das in einer ebenso schmalen wie dunklen Bahnunterführung verschwand und mit einem »Durchfahrt verboten«-Schild versehen war.

Ich stoppte den Wagen. Die Scheibenwischer griffen quietschend ins Leere. Der Regen hatte eine Pause eingelegt.

»Das Signal ist weg«, informierte mich Manni.

»Und jetzt?«

»Nichts. Weiter geht’s nicht.«

»Soll das heißen, wir haben nichts? Keinen Hinweis? Nada, niente?«

»Das soll es heißen. Das heißt, das heißt es.«

Ich sah mich um, und mein Blick fiel auf einen der Lkws. »Ist der Stalker vielleicht ein Fernfahrer?«, überlegte ich laut.

Manni schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht.«

»Oder sitzt er in dieser Firma hier?«

»In dieser oder einer anderen. Der Radius ist groß. Nur hinter der Bahnlinie kommt nichts mehr. Da geht’s ja eh nicht weiter.«

Mich packte der blanke Zorn. Ich öffnete die Tür. »Du willst mir also erzählen, dass ich über fünfhundert Euro ausgegeben habe, um mir hier in der Kalkwüste die Nacht um die Ohren zu schlagen?«, rief ich.

Ich stieg aus, atmete tief die kalte Luft ein. Plötzlich hasste ich den Mief aus dem Ford. Scheißsiebziger. Scheißnostalgiegestank.

Manni war ebenfalls ausgestiegen. Er wollte etwas sagen, aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Du hast total angegeben mit deiner Wundersoftware. Von wegen ›Lichtgeschwindigkeit‹ und so. Hast was von ›Internet-Zeitalter‹ und ›NSA‹ gefaselt.«

Beim Sprechen hatte ich mit den Armen gerudert und bemerkt, dass ich die Zigarettenschachtel eingesteckt hatte. Ich griff in die Innentasche meines Jacketts, zog die letzte Camel hervor und steckte sie mir an. »Gib mir die fünfhundert Euro zurück«, sagte ich. »Wegen dem Scheiß bin ich voll in die Miesen geraten.«

»Das ist nicht dein Ernst.«

»Aber klar doch. Los, her damit. Sofort.«

Die Zigarette schmeckte nach Schimmel und altem Staub. Ich warf sie weg.

»Beruhig dich, Remi. Ich geb dir das Geld morgen, okay? Wir sehen uns ja auf der Hochzeit. Um wie viel Uhr noch mal? Und wo eigentlich? Standesamt?«

»Du bist überhaupt nicht eingeladen.«

Die Bemerkung war mir unwillkürlich herausgerutscht. Am liebsten hätte ich sie wieder eingefangen. Aber sie war bei Manni schon eingeschlagen wie eine Bombe.

»Was war das?«

Ich trat die Zigarette aus. »Du bist nicht eingeladen, verdammt noch mal!«, rief ich. »Wir heiraten eben nur im kleinen Kreis.«

Er sah mich nur finster an und schlug die Beifahrertür zu. Dann ging er um das Auto herum und stieß mich zur Seite. »Du kannst mich mal, Rott. Wirklich.« Innerhalb einer Sekunde saß er auf dem Fahrersitz.

»Du bist ein Betrüger!«, rief ich. »Die Sache wäre wirklich wichtig gewesen. Jetzt weiß Wonne, dass ich in dem Scheißpuff war, und den Stalker haben wir immer noch am Hals.«

Manni blickte verbissen auf das Lenkrad. Er drehte den Zündschlüssel, der Motor röhrte los. Erst dachte ich, er würde einfach nur so den Wagen starten. Doch dann schlug er die Fahrertür zu und fuhr los.