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© Piper Verlag GmbH, München 2021
Redaktion: Wiebke Bach
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)
Covergestaltung: Sandra Taufer
Coverabbildung: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt
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Für J., dream big
I love acting. It is so much more real than life.
Meine Eltern haben mich gewarnt, aber von dem, was hier gerade passiert, haben sie keinerlei Vorstellung. Sonst hätten sie mich nicht gewarnt, sondern gefesselt und mit zweijährigem Hausarrest belegt. Hätte ich vorher gewusst, dass ich hier nach ein paar Minuten meinen Hintern an einem blonden Schönling reiben würde, der selbstbewusst um meinen Oberkörper herumgreift, um seine Hand auf meinen Busen zu legen, hätte ich mich freiwillig für den Hausarrest entschieden. So aber halte ich die Luft an und warte, bis er fertig ist. Auch wenn er inzwischen vor allem bemerkt haben muss, dass dieser C-Körbchen-Busen hauptsächlich aus einem Synthetikpolster von Victoria’s Secret besteht.
Immerhin bin ich nicht die gewesen, die gerade mit einem improvisierten Sextoy, bestehend aus einem Kaffeebecher, vorgeführt hat, wie man sich selbst befriedigt. Es ist so überzeugend gewesen, dass beim Zuschauen der Verdacht in mir hochgestiegen ist, dass ich frigide bin. So gut hat sich das bei mir noch nie angefühlt, wenn ich ihrem ekstatischen Gesichtsausdruck Glauben schenken darf. Vielleicht habe ich bisher noch gar nicht verstanden, was ein Orgasmus eigentlich ist? Die Erkenntnis wirft mich aus der Bahn.
»Hazel – Hazel Mackintosh. Nehmen Sie den Kaffeebecher oder den Barhocker?«
Ich brauche eine Sekunde, um wieder zurück in die Gegenwart zu kommen. Eigentlich wollte ich den Kaffeebecher nehmen, ich habe mir eine Szene in einer Kaffeehauskette ausgedacht, aber als die rothaarige Bombshell mir nach ihrem Super-Orgasmus den Becher in die Hand drückt, fühle ich mich auf lähmende Weise unkreativ und meine ohnehin krankhafte Aufregung nimmt noch mal zu. O nein, bitte nicht jetzt. Gerade hatte ich alles noch unter Kontrolle, jetzt beginnt mein Herz zu rasen und meine Zunge klebt schwer am Gaumen. Meine Handflächen werden feucht. Ich greife nach dem Barhocker und versuche das Zittern in meinen Händen zu unterdrücken.
»Dann legen Sie mal los«, sagt der Prüfer, ein älterer Mann, Dreitagebart, ganz in Schwarz mit einer eitlen roten Hornbrille. Er setzt sich zu den anderen zwei Prüfern mit ihren Klemmbrettern an einen Holztisch. Die Gruppe wirkt ermüdet von den Gefühlsexplosionen des Vormittags, einer emotionalen Achterbahnfahrt im Fünfminutentakt.
Ich schlucke, versuche das Adrenalin, das durch meinen Körper rauscht und meinen Kopf federleicht und leer hinterlässt, irgendwie zu unterdrücken. Die Stärke meines Lampenfiebers ist jedes Mal ein Glücksspiel, was einige Aufnahmeprüfungen beendet hat, bevor sie richtig gestartet sind. Aber nach einer Minute bezwinge ich es mühsam und führe meine harmlose kleine Szene vor, die ich von einem Kaffeehaus in eine Hotelbar verlege, aber nicht wirklich überraschenderweise bin ich nach dieser Runde rausgeflogen. Die New York Academy of Dramatic Arts wird es auch nicht werden, das ist jetzt klar. Mein New-York-Traum, auf den ich jahrelang hingefiebert habe, ist so jäh beendet, als wäre er unter das Fallbeil einer Guillotine geraten. Die Rothaarige ist natürlich weiter und hat mir zum Abschied ein mitleidiges Lächeln zugeworfen, als ich sie auf dem Flur beim Rauchen erwischt habe. Der blonde Schönling, der mich als Partner für seine Improvisation benutzt hat, ist ebenfalls rausgeflogen. Als ich hinter ihm auf die Metalltür mit den weiß aufgedruckten Buchstaben »AUSGANG« zulaufe, dreht er sich zu mir um und versucht mich mit Blicken zu erdolchen. Dieser Ausdruck gelingt ihm so gut, dass ich beschließe, die Gegend vor Anbruch der Dunkelheit zu verlassen.
»Jeder Rückschlag ist ein Geschenk«, sagt meine Oma immer. »Du findest darin den Schlüssel, um den nächsten Schritt nach vorn zu machen. Du musst dir nur überlegen: Was will mir das Universum mitteilen?« Das sind die Gedanken, die mir durch den Kopf gehen, als ich Monate später zu meiner allerallerletzten Chance fahre. Ich habe bisher nur Absagen bekommen, ironischerweise bin ich an der University of Ohio im Business-Programm angenommen. Und dann hat das MCPA mich im Nachrückverfahren zu einem Vorsprechen eingeladen. Entweder wird es im Herbst Business, der Deal mit meinen Eltern, oder eben doch Schauspiel. Ich wage kaum zu denken, dass es doch noch alles klappen könnte, während ich mit dem weißen Mercury Grand Marquis in Richtung Idaho fahre – oder eher schleiche. Ich bin wahrscheinlich die einzige Person unter achtzig, die einen weißen Grand Marquis fährt, und sogar sexhungrige Lastwagenfahrer sparen sich den Blick ins Wageninnere. Auch für das Auto bin ich meiner Großmutter dankbar, denn das Montana College of Performing Arts, kurz MCPA, liegt so abgelegen, dass es ohne Auto ziemlich mühselig zu erreichen ist. Auf dem ewig geraden Highway durch eine wegen der anhaltenden Dürre gelb-braune Landschaft fahre ich dieser allerletzten Chance entgegen, in ein Schauspielprogramm aufgenommen zu werden. Ich habe das Fenster heruntergekurbelt und lasse den heißen Wind meine Haare durcheinanderwirbeln. Ja, was will mir das Universum eigentlich mitteilen? Dass ich nach sieben Ablehnungen offensichtlich kein Talent für eine Schauspielkarriere habe? Dass ich mir besser keine Hoffnung machen soll, weil ich mein Lampenfieber einfach nicht in den Griff bekomme?
Recht schönen Dank auch, und was ist dann mit den ganzen »If you can dream it you can do it«-Zitaten auf Instagram? Du meinst, dass die Coaches mit dem Panzerknackerlächeln tatsächlich nur Mist erzählen, liebes Universum? Okay, ich muss aufhören, Selbstgespräche zu führen, wenn ich nicht durchdrehen will, bevor ich den Campus überhaupt erreicht habe, und mich daran festhalten, dass ich im Nachrückverfahren bin. Vielleicht will das Universum mir einfach eine Chance geben und ist besser gelaunt als gedacht.
Nach dem New-York-Debakel und all den anderen Absagen haben meine Eltern sogar Mitleid gehabt und mich zu trösten versucht. Aber das haben sie natürlich vor allem getan, weil sie sich da noch sicher waren, dass ich meinen Studienplatz an der University of Ohio im Pre-Business-Programm bald antreten werde. Das ist unser Deal, wenn mich kein »ordentliches« Schauspielprogramm unter den Top Ten des Landes aufnimmt. Und dann kam diese letzte Gelegenheit, das Nachrückverfahren. Die Leiterin der Theatergruppe meiner Highschool war so überzeugt von mir. Ich hoffe einfach, dass sie irgendwie recht hatte. Nie habe ich ihr Urteil so angezweifelt wie in den letzten Monaten. Aber sogar wenn nicht, irgendwie gibt es keine Alternative für mich, nichts, das sich richtiger anfühlt. Ich werde alles geben.
Ich trinke Kaffee, der seiner Bitterkeit nach zu urteilen schon seit letzter Woche auf der Wärmeplatte der Tankstelle gestanden hat, an der ich vorhin gestoppt habe. Hält wach. Es ist schon spätnachmittags und trotz der weißen Farbe des Autos ziemlich heiß. Ich höre einen Podcast über Method Acting, darüber, wie Robert De Niro oder Natalie Portman monatelang ihre Rollen leben, um sie dann überzeugend zu spielen und ihre Charaktere bis in die Fingerspitzen zu spüren, ihre Gefühle zu erleben, ihre Gedanken zu denken. Was hatte James, der Prüfer mit der roten Brille, mir beim Abschied gesagt, als er mich zur Seite genommen hatte? »Wir geben normalerweise keine Gründe für unsere Entscheidung. Du warst natürlich extrem aufgeregt, doch daran kann man arbeiten. Aber du warst gut, außer … du musst loslassen. Du hast an einem Punkt total dichtgemacht. Du musst deinen eigenen Körper bewohnen, bevor du einen anderen bewohnen kannst. Du hast das gespielt. Es geht jedoch nicht darum zu spielen, es geht darum zu fühlen. In dich hineinfühlen und deine eigenen Erfahrungen mit ins Spiel bringen. Ich hätte sonst für dich gestimmt.« Seine Worte kreisen in meinem Kopf. Das Lampenfieber, nun ja, das kann ich nicht wirklich steuern, und den Tag, wo es begonnen hat, wohl nie vergessen. Aber der Rest muss doch zu schaffen sein. Loslassen. Locker werden. Wie kann ich lockerer werden, wenn alle anderen auf einem völlig anderen Level sind – in jeder Beziehung? Ich habe in drittklassigen Theatergruppen in unserem Kaff gespielt und keinen einzigen echten Schauspielkurs absolviert, während Leute wie die Rothaarige schon auf ihrer New Yorker Highschool regelmäßig Kinderrollen am Broadway gespielt haben. Abgesehen von der Lebenserfahrung, dem »emotionalen Register«, das sie sich zugelegt haben. Wenn sie wüssten, dass ich mich verwegen fühle, nur weil ich an der Tankstelle zusätzlich eine Packung Zigaretten gekauft habe und den Rauch inzwischen ziemlich professionell aus dem Wagenfenster blasen kann, würden sie laut losprusten. Ich habe noch nicht mal an einem Joint gezogen, die anderen Studenten bei diesen Aufnahmeprüfungen haben wahrscheinlich schon mal Crack geraucht und der ganzen Theatergruppe einen Blowjob verpasst, um die eigenen Grenzen auszutesten. In jedem zweiten Satz haben sie das Wort Fuck untergebracht. Meine Güte, die Rothaarige hat mit ihrem Kaffeebecher einen besseren Orgasmus hinbekommen als ich je mit Marc – was natürlich kein Maßstab ist – oder allein. Mein Leben erscheint mir unendlich farblos und grau. Marc. Okay. Noch eine schlechte Erinnerung. Wenn er wenigstens mein emotionales Erfahrungsregister wirklich erweitert hätte, aber die Erinnerung an ihn ist schlicht unangenehm. Es war weder dramatisch, noch sonderlich emotional. Es war einfach … überflüssig.
Mein theoretisches Wissen über Schauspielerei habe ich von Podcasts und YouTube. Ich führe sogar ein Buch mit Notizen über diese Podcasts, wie andere das bei Chemie-Vorlesungen machen. Ich muss lockerer sein und mich mehr mit mir selbst »connecten«. Natürlich. Das Problem ist, dass ich keinerlei eigenes emotionales Repertoire habe, was das angeht, es entspringt alles meiner Fantasie. Und Büchern und Filmen, es ist alles zweite Hand. Meine Eltern sind die unlockersten Menschen auf dem Planeten. Sie arbeiteten hart in der Firma, meine Mutter besitzt ein Autohaus, mein Vater führt das Büro und macht die Abrechnung. Viel arbeiten und sich stressen ist die Währung, in der sie den Wert ihres Lebens bemessen. Und solange ich denken kann, haben sie mein Leben ähnlich straff organisiert wie ihr eigenes. Die Theatergruppen sind meine Chance gewesen, mal in das Leben von jemand anderem zu schlüpfen, ohne Lernzeiten am Nachmittag, Notenvorgaben, Sozialstunden in der Kirche, die auf dem Lebenslauf gut aussehen. Meine Eltern hätten nie vermutet, dass es mir ernst sein könnte, sonst hätten sie die Theatergruppen lange verboten.
Als ich Blackfish erreiche, wo ich übernachten will, ist es acht Uhr abends und ganz plötzlich kühler geworden. Endlich. Meine Beine sind taub, mein linker Fuß ist eingeschlafen, mein Nacken steif von den vielen Stunden hinter dem Steuer. Die Stadt Blackfish ist eine ehemalige Bergarbeiterstadt, die jetzt von den heißen Quellen lebt, die sich in der Nähe befinden und zumindest ein paar Touristen anlocken, die darin baden wollen. Hier gibt es Hotels. Die Bezeichnung »Stadt« ist allerdings maßlos übertrieben. Blackfish besteht aus einer Hauptstraße, an der entlang sich die wenigen Häuser reihen, die der Ort zu bieten hat. Ziemlich hübsche Häuser, die nach Countrystil und Gemütlichkeit aussehen, viele aus Holz, manche in warmem Grün oder Braun bemalt. Mein Magen knurrt und leicht übel ist mir auch. Kaffee, Obstsalat und Zigaretten ergeben offensichtlich keinen Wellness-Smoothie. Schon bin ich scheinbar am Ende der Hauptstraße angelangt, als rechts von mir ein weitläufigeres Grundstück mit einem größeren Gebäude auftaucht. Auf einem leuchtenden Letterboard steht in roten Buchstaben Drunk Bull – Bar. Diner. Motel. Der betrunkene Bulle? Hier auf dem Land versteckt man sich scheinbar nicht hinter cleveren Namen mit Tiefsinn. Aber es gibt wenig Alternativen und dieser Laden vereint alles, was ich gerade brauche. Essen und ein Bett, die Bar kann ich auslassen. Kurz entschlossen drossele ich das Tempo, wende den Wagen und fahre auf den Parkplatz. Die groben Kieselsteine unter den Rädern knirschen gefährlich und die Schlaglöcher senden dumpfe Schläge in meinen Rücken, aber immerhin bleiben die Reifen nicht stecken. Der Parkplatz ist überraschend gut gefüllt: riesige Transporter, SUVs und Pick-up-Trucks. Mein Grand Marquis dazwischen wirkt wie ein weißer Zwerg. Ich schalte den Motor aus und richte den Rückspiegel auf mich. Meine dunkelbraunen Haare stehen zerzaust vom Kopf ab und auf meinem Gesicht hat sich der Staub der Straße mit dem Schweiß zu einer gräulichen Farbe vermischt. Ich bürste meine Haare und ziehe mein Sweatshirt über das verschwitzte Tanktop. Das muss vorerst reichen. Seit ich mit diesen Theater-Aufnahmeprüfungen angefangen habe, trage ich fast nur noch Schwarz, um nicht direkt mit weißen Turnschuhen und pastellfarbenen Sweatshirts als Kleinstadtmädchen vom Laientheater mit zu groß geratenen Träumen aufzufallen. Ich laufe mit steifen, von der beginnenden Blutzirkulation prickelnden Beinen in Richtung der Eingangstür. Hoffentlich sieht keiner meinen staksigen Gang. Das Drunk Bull ist eine verschachtelte Konstruktion aus Holz und Stein. Am Eingang steht ein weiteres Schild, das man von der Straße nicht richtig lesen kann: »Monday: Free Shots 4 Girls«. Okay. Heute ist Montag. Das erklärt vielleicht auch die vielen Autos. Ist das doch mehr Bar als Restaurant? Man braucht jetzt nicht den IQ von Stephen Hawking, um zu verstehen, was dieses Schild wirklich für eine Message rüberbringt: »Hey Girl, wenn du dich umringt von Kerlen (betrunkenen Bullen?) kostenlos volllaufen lassen willst, bist du hier richtig. Hey Mann, wenn du eine angetrunkene Frau suchst, die für einen kostenlosen Drink alles Mögliche tut, bist du hier auch richtig.«
Ich bleibe kurz stehen und überlege, ob ich doch weiterfahre bis zur nächsten Billig-Motelkette. Aber laut Google Maps ist die nächste mindestens zwanzig Minuten in die falsche Richtung entfernt. Sende ich zu eindeutige Signale, wenn ich hier hingehe? Ein Seufzer entfährt mir. Ich bin echt so verklemmt, wie die Rothaarige gedacht hat. Das ist kein Stripclub, sondern ein Restaurant mit Bar, wo die Einheimischen ein bisschen Spaß haben. Ich gehe jetzt etwas essen und dann ins Bett. Mein Magen rumort, er stimmt dem Plan zu. Das MCPA liegt nur eine Stunde von hier entfernt. Ich werde morgen früh losfahren, ich muss erst nachmittags da sein. Meinen Monolog, Mascha aus der Möwe von Anton Tschechow, kann ich im Schlaf. Verdammt, ich kann das gesamte Stück wahrscheinlich noch im Wachkoma, so oft, wie ich es gelesen und durchanalysiert habe. Ich muss nur … lockerer werden. Ist es das, was das Universum mir die ganze Zeit sagen will? Es war schließlich ziemlich deutlich geworden mit den Worten des letzten Prüfers. Ich wollte nach New York, aber vor allem will ich in ein Schauspielprogramm. Das MCPA liegt zwar abgelegen, aber es ist berühmt. Richtig berühmt. Und nach meinen Videos bin ich im Nachrückverfahren zur Aufnahmeprüfung zugelassen worden und dieses letzte Mal darf ich es einfach nicht versauen. Und ich darf vor allem nicht wieder an irgendeiner Partnerübung mit »Flirt-Faktor« scheitern, weil ich sexuell verklemmter bin als ein siebzehnjähriger Fortnite-Gamer und »meinen Körper nicht bewohne«. Halt, Fortnite-Gamer sind inzwischen Sexsymbole. Sogar die haben es besser hinbekommen. Aber ich selbst zu sein ist vielleicht das Schlimmste, schließlich ist es das Selbst, dem ich entkommen will, weil es so uninteressant ist wie ein undefinierbarer Schmutzfleck. Mit ähnlicher Lebenserfahrung.
Kurze Zeit später habe ich eingecheckt und sitze an einem der kleineren Tische im Drunk Bull. Der Laden wirkt ein wenig altmodisch mit seinen rot gestrichenen Wänden und rustikalen Holzeinbauten, passt aber irgendwie zu den ganzen Leuten in Boots und Jeans, die sich hier rumtreiben. Ich bin die Einzige, die allein sitzt, die anderen sind mit ihren Freundinnen und Freunden beschäftigt und niemand schenkt mir viel Beachtung. Mit Nichtbeachtung kann ich umgehen. Vielleicht liebe ich die Bühne, weil ich die ganze Nichtbeachtung, die ich im normalen Leben so schätze, auf der Bühne auf einen Schlag kompensiere. Die goldgelben Pommes in Mayonnaise getunkt sind wunderbar kross und perfekt salzig. Bei Pommes bin ich Expertin, weil ich sie immer heimlich nach dem Tennis gegessen habe, wenn meine Mutter wieder auf einem ihrer Ernährungs-Umstellungs-Trips war und schlaffes, salzfreies Gemüse ohne Fett den Speiseplan bestimmt hat.
Eine süße Blondine mit Minirock kommt freundlich lächelnd an meinen Tisch. Sie ist stark geschminkt, was sie überhaupt nicht nötig hat.
»Birnenschnaps. Schmeckt überhaupt nicht nach Alkohol!«, flötet sie. »Du wirst es lieben. Hier, ich gebe dir direkt zwei.« Sie zwinkert mir zu wie eine Freundin, die mir etwas Gutes tun will. Die Shots habe ich nicht bestellt, aber sie geht wohl davon aus, dass jede Frau, die heute hierhin kommt, wegen des Schnapses gekommen ist. Und wenn ich mir die Mädchen ansehe, die sich in aufgeregten, kichernden Gruppen um die Stehtische drängen und Shotgläser vor sich aufgereiht haben, ist das korrekt. Flirten ist unfassbar einfach, wenn man ihnen zuschaut.
Wenn ich an morgen denke, verkrampft sich allerdings mein Magen so sehr, dass die Pommes drohen direkt wieder herauszukommen. Ich weiß schon, warum ich nicht in »meinem Körper zu Hause« bin und so verkrampft. Es liegt daran, dass ich keine Ahnung habe, weder vom Flirten – schließlich hatte ich vorher Jahre damit vergeudet, Marc aus der Ferne anzuhimmeln – noch von Sex. Marc und ich hatten es sogar ein paarmal gemacht, wenn wir überhaupt einen passenden Ort gefunden hatten, abgesehen von seinem Auto. Doch seine Geduld, dass wir es irgendwie besser hinbekamen, war sehr begrenzt, schon nach ein paar Wochen hieß es: »Es ist gefährlich, sich so früh exklusiv aufeinander einzulassen.« Leider habe ich anschließend in seinem Telefon spioniert und festgestellt, dass er das mit dem exklusiv schon hinter sich gelassen hatte. »Mein Bett ist noch warm, aber viel zu leer«, konnte man noch mit Fantasie fehlinterpretieren. Bei »Ich fühle mich so leer ohne dich in mir« hätte auch ein Hollywood-Produzent Probleme, noch einen überraschenden Plot-Twist zu finden. Wenn ich allerdings ehrlich und tief in mich hineinhorche, muss ich zugeben, dass ich ein bisschen erleichtert war, als er weg war. Ich kann jedoch nicht zulassen, dass mir diese gescheiterte Beziehung und die daraus resultierende fehlende Erfahrung jetzt auch noch meinen Theatertraum vernichten.
Der bekannte Schachspieler Magnus Carlsen spielt am Tag vor einem großen Schachturnier Fußball, um sich zu entspannen. Ich werde das jetzt auch tun. In meiner Version. Und mich nicht mehr von großmäuligen, selbstbewussten, versexten und leicht abgefuckten Mitbewerbern einschüchtern lassen. Und es ist noch nicht zu spät. Es ist nie zu spät, sagt meine Oma immer. Sie sollte sich nicht mehr Oma nennen, sondern Life-Coach, damit kann man heute richtig viel Geld verdienen. Das ist bestimmt lukrativer, als Bettdecken zu patchworken. Ich werde hier und jetzt mein Erfahrungsrepertoire erweitern. Neben mir lacht ein Mädchen in einem weißen, eng anliegenden Shirt auf. Sie folgt dem Typen mit der umgedrehten Baseballkappe, der ihre Hand ergriffen hat, nach draußen. Mein Gott, ich muss ja nicht die Relativitätstheorie entschlüsseln, sondern bloß das Verhalten der Mädchen spiegeln, ohne direkt in die Rolle von Shakespeares Julia zu schlüpfen. Wie war das mit konkret messbaren Zielen, die man sich setzen soll?
Gut. Ich werde in kleinen Schritten loslegen, nicht direkt mit einer Sexorgie, aber ich kann ja zumindest einen Typen abschleppen. So hätte ich auch mal jemanden aufgerissen, ganz eigenständig.
Okay, Pakt mit mir selbst. Erst, wenn ich das geschafft habe, darf ich schlafen gehen.
Ich denke an das kleine Zimmer mit der Blumentapete und dem einfachen, aber gemütlichen Bett, wo ich bei meiner Ankunft meine Tasche abgestellt habe. Soll ich den Typen dann dorthin mitnehmen? Egal, über die Details zerbreche ich mir jetzt nicht den Kopf. Ich beende den Pep-Talk mit mir selbst und ziehe mein Sweatshirt über den Kopf. Das Tanktop ist durchgeschwitzt, aber das sieht man nicht. Und es riecht hoffentlich nur noch nach der letzten Ladung Vanilledeo. Ein bisschen mehr nackte Haut hilft vielleicht. Hey, ich bin Schauspielerin, verdammt noch mal. Ich ziehe den Ausschnitt etwas tiefer, was meinen Busen nicht größer macht, aber so kommt er besser zur Geltung.
Das Licht ist schummrig genug und eigentlich passe ich mit meinen Klamotten ganz gut rein. Die Jungs tragen T-Shirts, Jeans, Fleece oder karierte Hemden, die sie übergezogen haben wie Jacken. Ich werde mich nicht betrinken, aber ein Birnenschnaps zur Unterstützung ist erlaubt. Ich nehme das erste kleine Glas und kippe es mit Schwung herunter. O Gott. Die Kellnerin hat nicht zu viel versprochen. Es schmeckt nicht nach Birne, sondern nach … Babykotze? Egal. Die Gläser sind so klein, ich kippe den zweiten hinterher und stehe auf. Keine Lebensmittel verschwenden, das hat mein deutscher Opa mir immer eingebläut, vielleicht habe ich das zu sehr internalisiert, er wird nicht an Birnenschnaps gedacht haben.
Im hinteren Teil ist ein Barbereich, wo die Musik lauter ist, das Licht gedämpfter. Hinter dem Tresen steht ein beleuchtetes Regal mit farbigen Flaschen, die erwartungsvoll funkeln. Der Laden ist ziemlich voll, erstaunlich, wo die vielen Leute herkommen, der Drunk-Bull-Montag scheint alle Menschen aus den umliegenden Orten anzuziehen.
Mein Blick kreuzt den von einem Typen seitlich von mir, Kategorie jüngerer Rancher. Vom Gesamteindruck her okay, dunkle Haare, ein ausgewachsener Pony, blaues Fleece. Vielleicht könnte er mein Experiment werden? Ich versuche freundlich dreinzuschauen, streiche mir eine Strähne aus dem Gesicht und schaue von unten nach oben, genau wie das Mädchen vorhin es gemacht hat, und ignoriere, dass ich mir dabei saublöd vorkomme. Teil des Lockerwerdens! Die Musik ist noch mal lauter geworden, eine Mischung aus den aktuellen Charts, die ich nach der langen Autofahrt mit Radiobegleitung komplett mitsingen kann.
»Hey, dich habe ich hier noch nie gesehen?«, bemerkt Rancher-Boy und sein Blick streift mein Dekolleté. Es funktioniert und man muss ihm zugutehalten, dass er versucht zu vertuschen, wie sehr ihn mein Dekolleté interessiert.
»Bin auch heute zum ersten Mal hier.«
»Was hat dich hierhin verschlagen? Dein Freund?« Er grinst.
Hier verschwendet man keine Zeit mit subtilen Strategien. Aber das ist mir recht, dann sind wir früher fertig. Lächeln, Haare zurückstreichen, meine Taktik klappt. Mann, ist das einfach. Ich lege den Kopf schief.
»Nein«, erwidere ich. Über seinen wasserblauen Augen liegen dicke Brauen, die in der Mitte zusammengewachsen sind.
»Magst du noch was trinken?«, fragt er. »Noch einen Shot?«
Moment. Will er so tun, als würde er mir was ausgeben, und mir dann einen Gratis-Shot andrehen? Er trägt Cowboyboots und hat ganz leichte O-Beine. Mmmh. Bei diesem Anblick muss ich leider plötzlich an diese verbotenen Cowboyromane denken, die ich hinter der offiziellen Buchreihe im Bücherregal meiner Mutter gefunden habe. Die Seiten waren zerlesen, meistens kam schon auf der fünften Seite Sex vor, bei dem irgendeine harmlos wirkende Mutti mit einem Typen in Cowboyboots verduftet, um kurz später im Rodeostyle die Hüften kreisen zu lassen. Noch erschreckender ist, dass meine Mutter das gelesen hat. Ich muss plötzlich kichern.
Sein Gesicht spiegelt Verwirrung wider. Wahrscheinlich weiß er nicht genau, was ich mit dem Verhalten sagen will. Ich weiß es ja selbst nicht. In diesem Moment wird mir aber eine Sache total klar. Ich will ihn auf keinen Fall abschleppen. Ich drehe mich um und schiebe mich auf den Barhocker.
»Könnte ich eine Cola im Whiskeyglas bekommen?«, frage ich den Barkeeper und lehne mich auf den Tresen, als ich endlich seine Aufmerksamkeit erhaschen kann. Die könnte gegen den fürchterlichen Babykotze-Geschmack helfen.
»Eine Cola?«, wiederholt der Barkeeper ungläubig und lehnt sich ebenfalls zu mir.
»Genau. Im Whiskeyglas.« Ich versuche bei der Bestellung nicht verlegen zu sein.
Er schaut demonstrativ auf seine Uhr. »Wie wäre es mit einem Long Island Ice Tea? Meiner ist ziemlich böse«, fügt er nicht ohne Stolz hinzu.
»Was heißt das genau, sind da Drogen drin?«
Er rollt mit den Augen. »Du bist neu hier. So was haben meine Drinks nicht nötig.«
»Ich bin nur auf der Durchreise«, erkläre ich. »Ich will mich gar nicht wegschädeln, sondern übernachte hier bloß.«
»Schade. Immer sind alle auf der Durchreise«, jammert er. »Wir könnten hier ein paar neue Frauen gebrauchen. Aber wenn du meinen Ice Tea getrunken hast, wirst du wiederkommen, da bin ich mir sicher.« Er schiebt mir die Cola zu und beginnt einen anderen Drink zuzubereiten.
»Möchtest du noch einen Shot?«, fragt plötzlich das Mädchen, das mich vorhin am Tisch bedient hat. Sie trägt wieder ein Tablett mit Birnenshots und verteilt großzügig an die willigen weiblichen Gäste, denen der Geschmack scheinbar nichts ausmacht.
»Danke, ich bekomme schon was anderes«, sage ich und deute mit dem Kopf in Richtung des Barkeepers.
»Ich lass dir einen für später hier«, murmelt sie verschwörerisch und stellt das Shotglas zur Cola auf den Tresen. Sie strahlt mich gönnerhaft an, als hätte sie mir das Geheimnis ewiger Jugend verraten, bevor sie sich schwungvoll abwendet.
Der Barkeeper ist wieder da mit seinem Drink. Er schiebt den Birnenschnaps mit einem angewiderten Gesichtsausdruck zur Seite.
»Trink das nicht«, sagt er, was mein Vertrauen in sein Fachwissen erhöht, aber leider zu spät kommt.
Er legt den Kopf schief und sieht mich erwartungsvoll an.
Also greife ich nach dem Glas und nehme einen Schluck. Es schmeckt frisch und zitronig und irgendwie gar nicht nach Alkohol, aber dennoch passiert in diesem Moment etwas Merkwürdiges. Als würde in meinem Magen gerade eine chemische Reaktion stattfinden, wie ich sie als Kind mit meinem Chemiekasten hervorgerufen habe, wenn ich aus Wasser, Essig, Backpulver und rotem Farbstoff brodelnde Lava zusammengerührt habe.
Mein Atem beschleunigt sich rapide und mir wird übel, und zwar so kotzübel, dass ich mich gleich übergeben muss. Jetzt. Instant. Ich presse mir die Hand vor den Mund und renne davon. Ich stürze durch die Seitentür zurück in den Motelbereich und sehe nur aus dem Augenwinkel, wie der Barkeeper mir mit einer Mischung aus verletztem Stolz und Mitleid hinterherschaut. Ich renne durch den loungeartigen Aufenthaltsraum, an dem ich vorhin schon vorbeigekommen bin, zu den nächsten Toiletten. Dabei nehme ich nur vage einen Typen wahr, der auf einem Sessel sitzt und ein Buch liest. Noch während ich renne, steigen Tränen in mir auf. Weinen und Kotzen, ich wusste gar nicht, dass das zusammengeht, rein körperlich betrachtet. Mein Herz pocht mit mindestens dreihundert Schlägen pro Sekunde, als ich endlich in allerletzter Sekunde die Toilette erreiche und mich übergebe. Long Island Ice Tea, Pommes, Cola, Babykotze-Schnaps, meine Anspannung – es war einfach zu viel. Frustriert lasse ich mich neben der Toilette auf den Boden sinken, der zumindest ziemlich sauber aussieht.
Was für eine grandios bescheuerte Idee. Mein Kopf dreht sich noch, keine Ahnung, ob das der Alkohol ist oder ob mein Blutdruck auf dem Level eines Komapatienten ist. Ich bin so wütend, weil ich nicht schaffe, was die ganzen Mädchen vorhin mit totaler Leichtigkeit hinbekommen haben. Ich denke an morgen und dieser Gedanke öffnet leider die Schleusen und lässt Panik wie eine Tsunamiwelle über mich hereinbrechen. Mit voller Wucht. Die Panik, dass ich morgen versagen werde. Dass ich diese eine letzte Chance versauen werde und zurück nach Ohio muss. Und schon muss ich noch mal würgen, obwohl nicht viel in meinem Magen übrig geblieben sein kann.
»Alles okay?«, höre ich plötzlich eine dunkle Stimme irgendwo hinter mir, die eher genervt als besorgt klingt.
»Wonach klingt es denn?«, röchele ich zurück. »Das ist die Damentoilette. Du klingst nicht wie eine Dame.«
»Mein Gott, dann sauf doch nicht so viel, nur weil es umsonst ist. Wie man so bescheuert sein kann. Ich wollte bloß sichergehen, dass hier keine Birnenschnapsleiche liegt.«
Als Antwort würge ich noch mal.
Ich höre, wie jemand die Tür aufschiebt und dann wieder stehen bleibt.
Ich richtete mich unwillkürlich auf, ziehe ein Stück Klopapier von der Rolle und wische mir über den Mund. Gott. Ich will Zahnpasta. Eine XL-Tube. Dann drücke ich den Rücken durch, hole Luft und wende mich um. Und vergesse auszuatmen. Die Tür zu meiner Toilettenkabine steht auf, sodass ich bis zur Eingangstür schauen kann, wo er steht. Groß, schmale Taille, breite Schultern. Okay, ich sitze neben einer Toilettenschüssel auf kalten Fliesen, aus meiner Perspektive sähe auch der O-Beinige groß und breitschultrig aus, aber der Typ ist es mit Sicherheit aus jeder Perspektive. Seine Haare sind hellblond, dazu hat er einen durchdringenden, sehr, sehr genervten Blick aus sehr dunklen Augen, die im starken Kontrast zu seinen Haaren stehen. Vielleicht sind die Haare gefärbt? Für einen Moment denke ich, dass ich ihn schon mal gesehen habe. Absurd. Ich habe zu viel getrunken und sehe noch ein paar helle Punkte vor meinen Augen. Er trägt außerdem einen leichten, dunklen Bart. Er hat etwas Faszinierendes. Keinesfalls ein Typ, den man mit »süß« beschreiben könnte, weil das zu sehr nach etwas Zuckrigem klingt. Und ja, er hat einen fast unwirklich perfekten Körper.
»Kannst du stehen oder fällst du gleich in die Toilettenschüssel, wenn du versuchst aufzustehen?«, fragt er spöttisch mit höchstens einem Hauch Besorgnis. In seiner Stimme liegt etwas, und es ist nicht die Gereiztheit, die meine Nackenhaare sich wie von selbst aufstellen lässt. Er mustert mich sehr genau, was mich daran erinnert, was ich hier für ein Bild abgeben muss. Ich blicke schnell an meinem Tanktop herunter, ob noch irgendwo Reste meines halbverdauten Essens kleben, und als ich wieder hochschaue, mustert er mich immer noch, aber irgendetwas in seinem Blick hat sich verändert. Ein Funken Mitleid?
»Ich kann stehen. Und ich bin überhaupt nicht betrunken. Mir war nur schlecht«, antworte ich beleidigt und ignoriere die Tatsache, dass ich mich keineswegs sonderlich klar im Kopf fühle. Aber mein Birnenschnapskonsum ist schließlich nicht zu vergleichen mit dem einiger anderer Frauen in der Bar.
Er macht ein abfälliges Gesicht und steckt die Hände in seine schwarze Jeans. »Klar.«
Auch so sieht er nervigerweise sehr gut aus, dramatisch gut. Das ist eine völlig andere Art von Typ als die, die ich vorhin an der Bar gesehen habe, wieso ist er eigentlich nicht da gewesen? Da hätte mein Flirt-Projekt ganz andere Erfolgschancen gehabt.
»Die Ironie kannst du dir sparen. Glaub mir, ich hätte mir auch gern ein anderes Ende gewünscht. Und wenn du es genau wissen willst …« Es ist gar nicht so leicht, sich zu konzentrieren, während er mich so ansieht. Ich dachte nicht, dass ich Bart mag, aber bei ihm … sieht es gut aus. Stoppelige Wangen hinterlassen allerdings, wie ich aus Erfahrung weiß, fiese rote Flecken auf meiner Wange, weshalb ich Marc dazu verpflichtet hatte, sich immer zu rasieren. Keine Ahnung, wie ich aussehen würde, wenn so eine Wange wie seine gegen meine reiben würde. Ich kneife schnell die Augen zusammen. Mein Gott, zum Glück kann er keine Gedanken lesen.
»Ich weiß nicht, ob ich es genau wissen will«, sagt er stattdessen. Seine Stimme ist melodisch, man möchte sich reinlehnen. Ich seufze. Mir ist gerade alles egal.
Es ist alles so frustrierend. Ich bekomme nicht den einfachsten Flirt auf die Reihe und versuche noch mal die Sternchen aus meinem Blickfeld durch Blinzeln zu vertreiben. »Wenn ich dich jetzt mit auf mein Zimmer nehmen wollte, wie müsste ich das anstellen? Du denkst, dass das eine total bescheuerte, superbeknackte Frage ist, aber ich meine es ernst. Wie würde man das anstellen? Rein theoretisch.«
Er blickt mich betreten an. Stimmt. Habe ich das gerade wirklich gesagt? Oh. Mein. Gott. Ich sitze immer noch auf dem kalten Boden der Damentoilette und es riecht überhaupt nicht gut hier. Ich lasse meinen Kopf in die Hände fallen wie ein kleines Kind, das glaubt, dadurch unsichtbar zu werden.
»O Mann. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du nicht total dicht bist«, bemerkt er herablassend.
»Danke, dass du mich aufbaust. Ich wollte eigentlich so tun, als wäre ich betrunken wegen dem Cola-im-Whiskeyglas-Trick von meiner Oma, aber noch nicht mal das hat funktioniert. Und wenn schon. Dann habe ich vielleicht Birnenschnaps getrunken. Aber wie armselig ist das bitte schön, während andere problemlos mit einem Kaffeebecher Sex haben. Ich weiß, das klingt jetzt alles verwirrend«, füge ich schnell hinzu, als ich hochschaue und seinen entgeisterten Ausdruck sehe. Er soll nicht direkt den psychiatrischen Notdienst holen. Der ganze Mist fließt aus mir heraus. Aber es tut gut, und warum auch immer habe ich das Gefühl, dass das Gespräch außer Konkurrenz läuft. Dass diese ganze Begegnung auf der Toilette in einem Hotel am Ende der Welt nichts mit dem wirklichen Leben zu tun hat. »Ich weiß noch nicht mal, wie man flirtet. Ich habe es verlernt oder noch nie gelernt, weil ich die letzten Jahre mit einem totalen Idioten zusammen war. Und jetzt versaut er mir einfach alles. Ich habe die besten Jahre meines Lebens verschwendet.«
Als ich hochschaue, liegen seine dunklen Augen auf mir. Mein Gott, mir wird noch mal klar, mit wem ich spreche. Der Typ ist … gut aussehend. Richtig gut aussehend. Im Normalfall hätte ich mich nie getraut, ihn anzusprechen. Jetzt ist es jedoch ohnehin zu spät. Wir sprechen schließlich schon.
Ich sehe eine Spur Belustigung neben der Entgeisterung. Vielleicht ist das gut.
Ich muss aufstehen und dann muss ich ins Bett und, keine Ahnung, meditieren und die Szene mit dem griechischen Gott auf der Toilette vergessen. Vorsichtig versuche ich mich aufzurichten. Meine Beine sind taub und kribbeln, als ich mich draufstelle.
»Ich will dir nicht zu nahe treten, aber ich bezweifle, dass das jetzt schon deine besten Jahre waren. Ich weiß nicht, wie alt du bist, aber du siehst eher nach Highschool aus oder du hast unfassbar viel Botox gespritzt und bist in Wirklichkeit … vierzig?«
Ich gehe mit wackeligen Beinen zum Waschbecken, um mir Wasser ins Gesicht zu sprengen.
»Hahaha. Das ist leider kein Witz. Ich habe keine Ahnung, wie das alles läuft. Was müsste ich machen, um dich abzuschleppen? Also nur als Beispiel.«
»Du kannst fragen?«, sagt er nach einem Moment der Stille.
»Du würdest einfach so mitkommen?« Jetzt hat er mich doch überrascht. Ich trockne mein Gesicht mit dem etwas zu harten Papierhandtuch ab, das ein Spender ausspuckt. Ich überlege gerade, ob ich jemals mit einem Typen gemeinsam im Bad war. Ich glaube nicht.
Er zuckt mit den Schultern und mustert mich genau. Allerdings eher mitleidig fasziniert, in der Art, in der man einen auf den Rücken gefallenen Mistkäfer betrachtet.
»Du hättest keine Angst, dass ich ein Psychopath bin und dir irgendetwas ins Glas schütte, K.-o.-Tropfen oder so was, und dich mit nach Hause nehme?«
»Ich würde es vielleicht hoffen?« Er grinst. »Wobei nur, wenn du dir vorher die Zähne putzt. Duschen wäre auch nicht schlecht.«
»Oh. Mein. Gott. Du weißt aber schon, dass es psychopathische Frauen gibt, die dich aufschlitzen und verspeisen? Hast du nicht diesen Film gesehen, warte, wie hieß er noch, Gone Girl?«
»Ich könnte mich wehren.« Er sieht an mir herunter.
Ich weiß, dass ich klein bin und nicht unbedingt körperlich einschüchternd. So wörtlich war das alles nicht gemeint. »Vielleicht überschätzt du dich.«
»Das kann sein.«
Ich seufze. »Also, wenn du die Wahrheit wissen willst. Ich war gerade in dieser Bar. Und ich wolle eigentlich flirten üben. Dann ist mir leider schlecht geworden.« Ich bin selbst immer noch überrascht über die Leichtigkeit, mit der ich das alles erzähle. Es ist nicht so, dass ich sonst auf den Mund gefallen bin. Aber man kann auch laut sein, ohne etwas von sich selbst preiszugeben. Und es würde mir normalerweise nicht einfallen, einem attraktiven Typen wie ihm von meinen Unsicherheiten zu erzählen und nach Flirt-Tipps zu fragen.
»Wie gesagt, ich weiß nicht, ob ich die Wahrheit wirklich wissen will«, erwidert er nüchtern und macht sich zum Gehen bereit. Ich folge ihm.
»Es ist nur zur Vorbereitung für eine Aufnahmeprüfung«, erkläre ich, um mich zu verteidigen. Ich habe den ekligsten Geschmack meines Lebens im Mund. »Gibt es hier irgendwo noch was zu trinken, also Fanta oder so?«
Er seufzt. »Ja, es gibt einen Aufenthaltsraum, da kann man sich was nehmen und in eine Liste eintragen, wenn man im Motel wohnt.« Er blickt sich zu mir um. »Komm, ich zeig ihn dir.« Ich muss erbarmungswürdig aussehen.
Ich nicke und laufe ihm nach, wobei ich mich bemühe, nicht zu hypnotisiert auf seinen Rücken zu schauen. Obwohl sein T-Shirt nicht übertrieben eng ist, zeichnen sich die Schulterblätter darunter ab. Ich bin mir sicher, dass sich schon ein Haufen Frauen an den Typ herangeschmissen hat. Im besten Fall kann ich tatsächlich was von ihm lernen. Ich bin in der Mitte vom Nirgendwo, perfekt, so anonym ist man heute noch nicht mal mehr im Internet. Die Chance werde ich mir jetzt nicht entgehen lassen.
Ich will einfach für jede Art von bescheuertem Spiel gewappnet sein während der Aufnahmeprüfung. Und wir sehen uns ja ohnehin nie wieder.
»Also, du gehst einfach mit, wenn dich eine Frau fragt, die dir gefällt?«, hakt das Mädchen nach. Sie ist echt hartnäckig, obwohl sie so unschuldig und zart aussieht. Aber irgendwie gefällt mir ihre Art. Und ich habe es gar nicht mehr so eilig, in mein Zimmer zu kommen.
Ich zucke mit den Schultern. »Warum nicht?«
Wir haben den Aufenthaltsraum erreicht, der ganz gemütlich ist, mit ein paar großen Sofas und Sesseln und dunkelgrün gestrichenen Wänden. Die Leute hier leben nicht nur in der Natur, sie lieben auch diesen Naturlook in den Häusern. Ich denke an die bunt gestrichenen Wände im Haus meiner Mutter. Ich bezweifele, dass ich es hier drei Jahre aushalten kann, ohne durchzudrehen. Der gesamte Staat Montana hat so viele Einwohner wie San José. Nur ein Viertel der Einwohner von Los Angeles. Alle sind so entspannt, als gäbe es im Leben nichts Neues mehr zu erreichen. Auch wenn sie zwanzig sind. Die Leute ziehen nie um. Morgen geht’s zurück nach L. A., vielleicht gibt es dort ja so gute Nachrichten, dass sich das Projekt Montana als überflüssig erweist. Es gibt noch Hoffnung. Ich werde den Verdacht nicht los, dass George mir mit dieser College-Idee eins auswischen will, weil ich aufmüpfig geworden bin. Weil ich nicht funktioniert habe. Ich hole eine Dose Dr Pepper aus dem Kühlschrank und reiche sie ihr.
»Ist das dein Buch?«, fragt sie und zeigt auf Das Bildnis des Dorian Gray, das aufgeschlagen auf dem wackeligen Tisch neben dem Sessel liegt, auf dem ich vorhin saß.
Ich nicke. Bevor ich es verhindern kann, hat sie die Dose abgestellt und das Buch hochgenommen.
»Dann fühle ich, Harry, dass ich meine ganze Seele an jemanden verschenkt habe, der sie behandelt, als wäre sie eine Blume, die er an seinen Mantel steckt, ein bisschen Schmuck, um seine Eitelkeit zu befriedigen, ein Ornament für einen Sommertag«, liest sie vor.
Sie blickt hoch. Diese Stelle hatte ich markiert.
»Das ist so traurig.«
Ich nehme ihr das Buch aus der Hand. »Er schreibt gut.«
»Ich mag Ernst sein ist alles sehr gern, die Theaterstücke sind toll.« Sie lächelt mich an und ich halte inne. Sie hat ein umwerfendes Lächeln, so offen. Ehrlich und von innen heraus. Sie blickt mich dabei aus ihren großen Augen an, als würde sie mich wirklich sehen. Und ich lächele zurück. Sie sieht elend aus mit den dunklen Schatten, die auf ihrer sehr hellen Haut drastisch wirken. Aber wenn sie lächelt, vergisst man das. Wow.
»Ich mag das Buch auch. Warte.« Sie nimmt es mir wieder aus der Hand und ich bin zu überrascht von ihrem plötzlichen Eifer, um ihr zuvorzukommen. Sie blättert einen Moment durch die Seiten, dann liest sie. »Ich bin heute meiner selbst überdrüssig. Ich möchte jemand anderes sein. Das ist so meine Stimmung gerade. Oder eigentlich fast immer. Es sind viele gute Zitate drin.« Sie hält inne, als ihr Blick auf ein weiteres fällt, das ich markiert habe. »Ich will meinen Gefühlen nicht ausgeliefert sein. Ich will sie nutzen, genießen und beherrschen.«
Sie blickt hoch und sieht mich interessiert an. »Tja, wer will das nicht? Es gibt wohl niemanden, der weiter davon weg ist als ich.« Sie seufzt.
Ich nehme ihr das Buch schnell aus der Hand. Es fühlt sich ein wenig so an, als würde sie in meinem Tagebuch blättern. Stattdessen drücke ich ihr die kühle Dose in die Hand.
»In Dr Pepper sind üble Stoffe drin, die ätzen alles weg.«
»Wie könnte ich nach dieser Beschreibung noch widerstehen?«, erwidert sie, trinkt dann aber gierig ein paar Schlucke. Um ihr schmales Handgelenk baumelt ein dünnes Goldkettchen mit einem Anhänger, der mit einem leisen Ton gegen die Dose schlägt. Sie hat sehr schmale Handgelenke, die ein wenig zerbrechlich aussehen.
»Würdest du mir einen Gefallen tun?«, fragt sie.
Sie blickt mich eindringlich an, ihre Augen sind groß und auffällig mit den geschwungen Augenbrauen. Ihre dunkelrosa Lippen sind zusammengepresst, sie ist aufgeregt, diese Frage gestellt zu haben. Irgendwie rührt mich das. Sie hat ein schönes Gesicht und … einen süßen Busen, der in dem schwarzen, engen Tanktop sehr einladend wirkt. Ich schaue schnell in ihr Gesicht zurück. Sie ist zu verwirrt, um zu bemerken, dass ich sie gerade abgecheckt habe. Sie ist sexy, vielleicht weil sie es null darauf anlegt. Sie deutet mit der Hand auf einen Sessel. Fuck. Ich sollte ins Bett. Ich sollte bestimmt nicht anfangen, mit irgendeinem Landmädchen in diesem abgefuckten Motel zu flirten, nur weil es Oscar-Wilde-Zitate mag wie ich. Aber ich setze mich dennoch auf den Sessel ihr gegenüber. Landmädchen üben scheinbar eine stärkere Anziehung auf mich aus, als ich mir bisher vorstellen konnte. Sie setzt sich auf das Sofa.
»Ich soll dir einen Gefallen tun?«, frage ich zurück. Es amüsiert mich irgendwie, dass sie so direkt fragt.
Sie seufzt. »Es ist wegen dieser Aufnahmeprüfung und … Also, ich bewerbe mich an Colleges fürs Schauspielprogramm und werde immer abgelehnt und ich glaube, es liegt daran, dass ich so klemmig bin und nicht weiß, wie man sich verhält, wenn man verliebt ist oder auch nur richtig flirtet. Angeblich spiele ich es bloß, statt es zu fühlen. Das Problem ist, dass ich es quasi noch nie gefühlt habe und gar nicht weiß, was ich fühlen soll. Also, ich war natürlich schon verliebt, aber diese ganze Flirt-Dynamik ist ein einziger Krampf.« Sie knibbelt an der Dose und holt tief Luft. »Falls es okay ist, würde ich gern ein Rollenspiel machen und es mal üben. Ich kann zwar nicht glauben, dass ich das hier gerade alles sage, aber jetzt ist es sowieso egal, nachdem du mich so gesehen hast.« Sie hebt den Blick und sieht mich an, eine Mischung aus Verzweiflung und Resignation.
»Du willst ein Rollenspiel mit mir machen?« Ich muss ein Schmunzeln unterdrücken. So etwas bin ich definitiv schon länger nicht gefragt worden. Trotzdem bin ich mir sicher, dass sie mich nicht erkannt hat und dass das keine versteckte Anmache ist. Ich sehe ja auch anders aus mit den blonden Haaren und unrasiert. Gepostet habe ich mit dem Look auch noch nichts. Auf ihren Fingernägeln glänzen noch Reste von schwarzem Nagellack.
»Wenn du so weiterknibbelst, fällt irgendwann der ganze Nagel ab«, bemerke ich, lehne mich vor und zeige auf ihre Hand. Sie zieht sie schnell weg und setzt sich auf die Handfläche.
»Rollenspiel also«, wiederhole ich. Meine Stimme klingt seltsam. Die Frau verwirrt mich.
»Nein, nein, das hört sich so an, als wollte ich mir jetzt ein Krankenschwesterkostüm anziehen und dann ein Unterwerfungs-Sexspiel machen. Ich meine jedoch ein ganz normales Rollenspiel, eher so wie Theater.« Sie blickt mich etwas erschrocken an und beginnt direkt wieder zu knibbeln. Ich beherrsche mich, ihre Hand nicht festzuhalten und sie vom Knibbeln abzuhalten.
»Ich habe das schon verstanden. Das mit dem Sex hast du jetzt gesagt. Keine Ahnung, wieso du daran denkst.« Ich lächele sie an und merke, wie sie mit sich kämpft und versucht einzuschätzen, ob ich mich über sie lustig mache oder ob sie diejenige ist, die die Situation im Griff hat.
Sie fährt sich mit dem Fingern durch die Haare und scheint zu überlegen. »Ich hätte dich wirklich nie angesprochen, wenn ich nicht wüsste, dass du definitiv nicht aus Ohio kommst und ich dich nie wieder sehen werde. Aber das Flirten da drinnen«, sie zeigt mit dem Kopf in Richtung der Bar, »hat auch nicht geklappt, weil ich die meisten Typen einfach sensationell unattraktiv fand. Ich habe dich gar nicht gesehen.« Sie lächelt, dann mischt sich die Erkenntnis in ihren Blick, dass sie schon wieder viel direkter ist, als sie es sonst scheinbar ist.
»Hast du mir gerade ein Kompliment gemacht? Danke.« Ich muss grinsen.
Sie zuckt mit den Schultern und seufzt resigniert. »Ist doch so. Du bist fünf Trillionen Lichtjahre attraktiver als die Kerle gerade. Hätte ich dich gesehen, hätte ich das besser hinbekommen. Wobei, nein, wahrscheinlich nicht. Außerdem darf das in der Aufnahmeprüfung gar keine Rolle spielen. Vielleicht muss ich es einmal richtig fühlen, dann kann ich es auch spielen. Von wegen Method Acting und so. Kennst du wahrscheinlich nicht.«
Ich muss lachen. »Method Acting habe ich schon mal gehört. Um welches College genau geht es?«, frage ich, obwohl ich inzwischen eine starke Ahnung habe. Die Termine für die Aufnahmeprüfung, bei der ich heute war, gehen schließlich diese Woche noch weiter. Es sind die Nachrücktermine, für die ich trotz meiner viel zu späten Bewerbung noch eine Einladung bekommen konnte. Und mein Agent George hat mir nahegelegt, den Termin wahrzunehmen, weil er ohnehin kein Angebot für mich hat nach meiner irrsinnigen Absage der letzten großen Rolle. Das drückt er mir ständig rein, natürlich um zu zeigen, dass ich selbst schuld bin. Es war Glück, dass das MCPA meine späte Bewerbung überhaupt akzeptiert hat, das machen sie nur in Ausnahmefällen.
»Für ein Schauspiel-Programm am MCPA. Und in vieler Hinsicht hängt mein ganzes Leben davon ab.« Sie schiebt ihre Augenbrauen zusammen. »Ich hatte schon einen Haufen Vorsprechtermine und ich bin jedes Mal durchgefallen, entweder wegen Lampenfieber oder weil irgendeine komische Übung kam, in der man flirten musste oder locker sein sollte, und das kann ich einfach nicht. Genauso wenig wie Improvisation. Einmal sollte ich das erste Wiedersehen nach einem One-Night-Stand darstellen. Keine Chance.«
Manchmal vergesse ich, dass nicht nur L. A. voll von Menschen ist, die kellnern und kassieren, aber eigentlich schauspielern wollen, sondern der Rest der Welt auch noch. »Du glaubst ernsthaft, wenn du einen One-Night-Stand hättest, könntest du leichter an der Schauspielschule angenommen werden? Verwechselst du da vielleicht was?«
»Was soll ich da verwechseln?« fragt sie, was mich jetzt doch an ihrem IQ zweifeln lässt.
»Schauspielschule und Bordell?«
»Es ist doch bekannt, dass man sich in Hollywood hochschlafen muss. Da gibt es vielleicht wirklich keinen so großen Unterschied«, erwidert sie ernst. »Jetzt sag mir nicht, das stimmt gar nicht?«
Für einen Moment bin ich zu überrascht, um zu antworten. Das ist natürlich etwas, was ich Hollywood nicht nur vorwerfe, sondern oft genug gesehen habe, aber …
»Das war ein Witz«, sagt sie in mein Schweigen hinein und winkt ab. »Ich bin ja nicht völlig bescheuert. Leider denken meine Eltern allerdings in der Tat, dass es so ist. Sie glauben, dass ich meinen Körper verkaufen muss, um Schauspielerin zu werden. Ist natürlich total dämlich.« Sie nimmt die Dose Dr Pepper und kippt sich noch einen Schluck krebserregende Stoffe rein.