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Leben nach dem Feuer
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HEEL Verlag GmbH
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© 1999 HEEL Verlag GmbH, Königswinter
Verantwortlich für den Inhalt:
Bernhard Heitz, Andreas Spaeth
Alle Rechte, auch die des Nachdrucks, der Wiedergabe in jeder Form und der Übersetzung in andere Sprachen, behält sich der Herausgeber vor. Es ist ohne schriftliche Genehmigung des Verlages nicht erlaubt, das Buch und Teile daraus auf fotomechanischem Weg zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer bzw. mechanischer Systeme zu speichern, systematisch auszuwerten oder zu verbreiten.
Umschlaggestaltung:
ARTWORK Olaf Schumacher, Königswinter
Titelbild:
© Karin Rocholl/STERN
Satz und Lithografie:
ARTCOM, Königswinter
ISBN: 978-3-86852-664-6
Leben nach dem Feuer
Tragisches Ende eines Fluges um die Welt
Mit einem Vorwort von
NIKI LAUDA
Für Harald
So vielen Menschen verdanke ich so vieles:
Meiner Mutter, weil sie mir immer Mut gemacht hat, auch wenn ihr das manchmal viel zu viel abverlangt hat.
Meinem besten Freund Michael, der ohne besondere psychologische Vorkenntnisse das Kunststück fertigbrachte, meiner Familie ein katastrophales Ereignis auf sanfte Weise beizubringen.
Meiner Schwester, die, wie eine Löwin um ihr Junges kämpfend, dafür sorgte, dass ihr Bruder nach Hause kommen konnte, und ihrer Freundin Renée, die sie dabei vorbehaltlos unterstützte.
Dr. Edward Tredget, den Ärzten, Krankenschwestern und Mitarbeitern des University of Alberta Hospitals in Edmonton, Canada, die mich ins Leben zurückholten.
Der Alberta Burn Rehabilitation Society, die entscheidend für diese Möglichkeit gesorgt hat.
Meiner lieben Freundin Nicole, die mich nicht nur in Kanada besucht, sondern mir so viel Mut gemacht hat, und ihrem Freund Ingolf, der sie dabei unterstützte.
Dr. Diethart Pitzler, den Ärzten, Krankenschwestern und Mitarbeitern des BG Unfallkrankenhauses in Hamburg-Boberg, die mich in einer sehr schwierigen Phase meiner Genesung nicht nur ertragen, sondern auch immer wieder angetrieben haben, mehr zu wollen.
Meinem Freund Knud, der mir immer mit Rat und Tat zur Seite steht.
Jutta und Walter, die mir ihre Freundschaft nicht nur an jenem eisig kalten Oktobermorgen, als ich aus Kanada zurück kam, bewiesen.
Herrn Hans Rahmann und der Stiftung Mayday, für ihre Hilfe und Unterstützung mir und meiner Familie gegenüber.
Meinen Hamburger Studienkolleginnen, Sandra und Imke, und meinen Bayreuther Studienkollegen Torsten und Antje für Zuspruch und Hoffnung.
Meiner lieben Freundin Nicola, die mir Mut nicht nur zu diesem Buch gemacht hat.
Ray Snyder, der einfach nur da war.
Und Charlie.
Vorwort von Niki Lauda
1. Kapitel:
Anfänge
2. Kapitel:
Die erste Etappe der Weltumrundung
3. Kapitel:
Neuseeland und die zweite Etappe der Weltumrundung
4. Kapitel:
Der Absturz
5. Kapitel:
Im Universitätskrankenhaus Edmonton
6. Kapitel:
Im Hamburger Krankenhaus Boberg
7. Kapitel:
Das Leben danach
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Wenn jemand eine schwere Brandverletzung erleidet, ist es das Wichtigste, sich selbst hinterher voll und ganz damit auseinanderzusetzen. Das gilt für Schwerstverletzte wie Bernhard Heitz ebenso wie für meinen eigenen Fall vor 22 Jahren. Als ich damals furchtbar aussehend aus dem Spital nach Hause aufs Land bei Salzburg zurückkam, bat ich einen Bauern aus der Nachbarschaft zu mir, den ich gut kenne. Als der mich das erste Mal so entstellt gesehen hat, ist er derartig erschrocken, dass ich mir dachte, wenn schon ein Bauer so erschrickt, dann dürfte ich mich überhaupt nicht in eine Großstadt wagen. Aber ich habe mir klargemacht: Das ist jetzt einfach so, dass ich so ausschaue, damit muss ich mich abfinden. Mir war klar, dass ich durch mein damaliges Aussehen Schrecken bei den Menschen ausgelöst habe. Wenn man einmal akzeptiert, dass das ein Faktum ist, dann kann man das auch bewältigen.
Für mich ist es am Anfang sehr interessant gewesen, die Menschen zu beobachten, wie sie mit mir umgehen. Da kann man sich sogar ein positives Spiel draus machen und raten: Wo schauen die zuerst hin? Auf mein verbranntes Ohr? In die Augen? Erschrecken sie sich oder sind sie freundlich? Diese ganzen Dinge spürt man. Ich habe meine Zeit damals damit verbracht zu ergründen, wie die Menschen auf mich neu reagieren – nämlich sehr unterschiedlich. Früher oder später wird es zur Gewohnheit, dass die Menschen einen irgendwie dumm anschauen und man kann damit leben. Je länger man so herumläuft, desto leichter wird es, damit fertig zu werden, bis es einen irgendwann überhaupt nicht mehr psychisch belastet. Natürlich war ich es als bekannter Rennfahrer schon vor meinem Unfall gewöhnt, von den Leuten angestarrt zu werden. Aber danach wurde es anders, es ist eben ein Unterschied, ob man als Formel 1-Weltmeister oder als entstellter Mensch angestarrt wird.
Ich habe mir damals verschiedene Schutzmechanismen aufgebaut, habe zum Beispiel gesagt: Wenn einer von meinem Anblick schockiert ist, dann ist das sein Problem. Das war nicht Arroganz, das war einfach Selbstschutz. Es gab auf meiner ersten Pressekonferenz fünf Wochen nach dem Unfall den berühmten Fall, dass von hunderten Journalisten einer sagte: „Ihre Frau lässt sich jetzt sicher scheiden.“ Ich fragte „Warum?“ Darauf sagte er: „Wie soll die jetzt mit Ihnen leben, mit so einem Gesicht?“ Wenn das einer öffentlich zu einem sagt, da denkt man sich schon, das kann alles nicht wahr sein. Die Zeit unmittelbar nach dem Unfall war schwierig, da muss man sich einen gewissen Schutz aufbauen. So hatte ich dann bestimmte Standardantworten, um einfach die Leute davon abzuhalten, zu tief in mich einzudringen. Auch meine berühmte rote Kappe war ursprünglich ein solcher Schutz, aber die habe ich heute noch auf, weil ich mich daran gewöhnt habe und weil sie mir einfach gefällt.
Inzwischen habe ich meine Narben voll als Teil von mir akzeptiert. Sollte ich mal nicht so glücklich mit meinem Aussehen sein, halte ich mich an einen Spruch von einem Freund von mir, dem ehemaligen Formel 1-Weltmeister James Hunt: „Du kannst glücklich sein, einen Unfall gehabt zu haben – vorher sahst Du noch scheußlicher aus als jetzt.“ Das war natürlich von ihm als Witz gemeint, aber in Wirklichkeit hilft sowas.
In Amerika ist die öffentliche Behandlung von entstellten Menschen viel freizügiger und nicht so pingelig wie in Europa. Und drüben rennt sowieso jeder mit einer Kappe herum – Leute wie ich fallen da gar nicht so auf. Da müsste man in Europa einfach den Intelligenzquotienten der Menschen erhöhen, um die Akzeptanz von entstellten Menschen zu erhöhen. Wenn die Leute ein Gefühl haben und sich etwas mit einer Situation auseinandersetzen, dann können sie in Extremfällen besser reagieren. Wenn Leute kein Gefühl entwickeln und sich aus den verschiedensten Gründen nicht mit Extremsituationen auseinandersetzen, dann kann man Sensibilität von denen auch nicht verlangen. Das sieht man bei jedem Autounfall: Da gibt es Leute, die normal reagieren, hingehen und helfen, andere rennen hysterisch herum und die dritte Gruppe tut überhaupt nichts, weil sie Angst hat. Genauso ist das in der Begegnung mit sogenannten entstellten Menschen.
Ich kann Menschen wie Bernhard Heitz nur raten, sich mit der Tatsache dessen, was passiert ist, so auseinanderzusetzen, dass es sich auch in der Tiefe für sie erledigt. Es nur oberflächlich zu verarbeiten, bringt nichts, denn dann kommt es immer wieder hoch. Wenn das Thema im innersten Kern erledigt ist, ergibt sich alles andere von allein – durch Gewohnheit und durch das ständige damit Konfrontiert werden. Da müssen sie einen Weg finden, durchzukommen, dann ist es relativ leicht. Ich wünsche Bernhard Heitz, dass ihm das gelingt und er sich nicht unterkriegen lässt.
Wien, im Sommer 1999
Der Beginn meiner Flugbegeisterung und erste Flugerfahrungen
„Wer einmal den süßen Nektar des Fliegens geschmeckt hat, wird für ewig mit dem Kopf im Nacken den Himmel betrachten und sich wünschen, er wäre wieder dort oben.“
Spruch von Leonardo da Vinci im Luftfahrtmuseum in Edmonton
Fliegen fasziniert mich beinahe so lange ich denken kann. Schon als kleiner Junge baue ich Flugzeugmodelle zusammen und verschlinge Luftfahrtbücher. Schon mit neun Jahren zieht es mich zum Segelflugplatz von Müllheim in Baden, meiner früheren Heimatstadt. Der ist fast sechs Kilometer von unserer Wohnung entfernt, und ich muss einen Truppenübungsplatz überqueren, doch der Flugplatz zieht mich magisch an. Ich schaue fasziniert zu, wie sich die filigranen Segelflugzeuge scheinbar mühelos in die Luft erheben und später punktgenau auf der Graspiste wieder aufsetzen. Ich darf öfter in dem Fahrzeug mitfahren, das die von den Segelfliegern beim Start ausgeklinkten Seile wieder zurückholt. Doch bald reicht es mir nicht mehr, nur Zaungast zu sein, ich will selber fliegen. Ich bin aber ziemlich schüchtern und weiß nicht recht, wie ich es anstellen soll. Ich kratze mein ganzes Taschengeld zusammen und will mich sogar dazu zwingen, meine Scheu zu überwinden und zu fragen, was wohl ein Mitflug kosten würde. Doch das ist gar nicht mehr nötig, denn man kennt mein Gesicht am Flugplatz Müllheim inzwischen schon und weiß von meiner Begeisterung. Eines Abends will ein Pilot mit seinem schnittigen Segler starten. Aber zum Abheben fehlt ihm noch Gewicht, und er sucht nach Mitfliegern. Jemand zeigt auf mich – und schon ist die Chance zum ersten Flug meines Lebens gekommen. Sehr aufgeregt steige ich in den vorderen Sitz, werde angeschnallt, das Flugzeug in die Winde eingehängt – und ab geht’s. Im Cockpit zieht es, ich werde in den Sitz gedrückt – und genieße das Gefühl in vollen Zügen. Frei wie ein Vogel zu schweben erscheint mir als der schönste Zustand, den man erreichen kann. Der Pilot schraubt sich in engen Steilkurven wieder zur Erde, mir ziehen die Flugmanöver die Backen herunter. Angst habe ich keine – mein Glücksgefühl und mein Vertrauen in die Fliegerei sind grenzenlos. Der Flug dauert nur einige Minuten und nach der Landung bin ich selig. Ich sitze den ganzen Abend stumm in der Ecke und sage kein Wort, bin einfach nur glücklich.
Auch mein Vater begeistert sich für die Fliegerei, doch selber zu fliegen kann er sich nicht leisten, wir leben in einfachen Verhältnissen. Aber er unterstützt mein Fluginteresse. Ich will endlich richtige Flugzeuge sehen, solche wie in meinen Büchern. Nachdem ich lange gedrängt habe, fahren wir an einem Sonntag auf den nächstgelegenen großen Flughafen nach Zürich. Das ist ein besonderer Tag, wir tragen beide Anzug und Krawatte – wie immer bei unseren Sonntagsausflügen. Zuerst gehen wir auf die Besucherterrasse, und ich bin sprachlos vor Staunen. Da rollen die Düsenriesen aus aller Welt vorbei zum Start, die vierstrahligen DC-8 und Boeing 707 mit ihren rauchenden Triebwerken, aber auch schon die ersten Jumbo Jets. Am meisten begeistern mich die Farben der Flugzeuge, allen voran die Bemalung der Swissair-Jets mit ihrem roten Leitwerk.
Doch der eigentliche Höhepunkt kommt erst jetzt: Mein Vater spendiert uns einen Rundflug in einer Cessna 172, dem Volkswagen der Lüfte. Die Tickets kosten wohl ein Vermögen, denke ich damals. Ich sitze ganz hinten und drücke meine Nase an die Scheibe, als wir abheben. Wir sind viel schneller als in dem Segelflugzeug, in dem ich meinen ersten Flug gemacht habe. Ich starre staunend auf die Erde mit ihren Ortschaften und Autos so groß wie Spielzeug. Mühelos zieht die Cessna über Wälder, aufragenden Bergketten und dem Zürichsee ihre Runden. Jetzt habe ich endgültig mein Herz an die Fliegerei verloren. Seit diesem Tag starre ich immer zum Himmel, wenn ein Flugzeug auftaucht. Das hat sich bei mir nicht geändert, und allen wirklich Luftfahrtbegeisterten geht es ähnlich.
Die Jahre vergehen, ich komme nach dem Tod meines Vaters 1978 ins Internat in die Schweiz, später wechsle ich in ein Internat in Kalifornien und anschließend an die Pepperdine University in Malibu. Hier den Flugschein zu machen, wäre ideal gewesen, doch ich habe kein Geld dafür übrig. Erst als ich aus Amerika zurückkehre, erzählt meine neue Freundin Anja immer häufiger von ihrem Großonkel, dem Cousin ihres Vaters, der ein eigenes Flugzeug besitzt. Ich lerne diesen Dr. Fresenius auch kennen, ein paar Mal sehe ich ihn kurz.
Als Anja ein Au-pair-Jahr in den USA einlegt, treffe ich mich mit ihr, ihren Eltern und Dr. Fresenius im Juni 1987 bei Anjas Halbschwester in Washington D.C., um mehrere aufeinanderfolgende Geburtstage zu feiern. Als ich auf dem Washingtoner Flughafen Dulles International lande, treffe ich zufällig Dr. Fresenius. Er ist gerade per Linienflug aus Hamburg angekommen und erzählt mir, dass von einem benachbarten Privatflugplatz jemand gerade mit einer Cessna 172 auf dem Roten Platz in Moskau gelandet sei. Mathias Rust, der halsbrecherische Kremlflieger, war tatsächlich von Uetersen bei Hamburg auf seine Wahnsinnreise aufgebrochen, die mit der spektakulären Landung am 29. Mai 1987 endet. Auf dem Weg vom Flughafen Dulles zu Anjas Halbschwester sagt Fresenius im Taxi zu mir: „Nenn’ mich doch einfach Harald“ – der Beginn einer langen Freundschaft.
Nachdem die privaten Feiern beendet sind, fahren Harald und ich mehrmals in das riesige Air and Space Museum in Washington D.C., dem größten Luftfahrtmuseum der Welt. Hier hängt zum Beispiel das Flugzeug „Spirit of St. Louis“ von der Decke, mit dem Charles Lindbergh im Mai 1927 erstmals den Atlantik überquert. Wir sind morgens die ersten in dem weitläufigen Gebäude und verlassen es abends als letzte Besucher. In unserer gemeinsamen Flugbegeisterung können wir gar nicht genug bekommen von der umfangreichen Ausstellung mit Flugzeugen, Hubschraubern und Raketen aus allen Epochen.
Zurück in Deutschland absolviere ich meine Bundeswehrzeit und beginne dann in Bayreuth ein Jurastudium. Auch hier gibt es einen Flugplatz, und ich wälze den Gedanken hin und her, ob ich trotz des hohen Preises von rund 15.000 Mark meinen Flugschein machen soll. Ich rufe Harald an, und der ist begeistert: „Ich wollte Dich sowieso zu meinem fünfzigsten Geburtstag nach Hamburg einladen, und da kriegst Du dann das Medical.“ Harald ist einer der wenigen Fliegerärzte in Deutschland, der alle flugmedizinischen Tauglichkeitszeugnisse bis zur Klasse 1 für Airline-Piloten ausstellen darf. Auf der Geburtstagsfeier in Hamburg treffe ich zum ersten Mal Walter Brix, der gemeinsam mit Harald ein Flugzeug betreibt. Walter wird später mein Fluglehrer. Von Harald bekomme ich wie versprochen mein Medical, den Nachweis der körperlichen Flugtauglichkeit. Die Bescheinigung gilt zwei Jahre, doch ich mache auch in diesem Zeitraum meinen Flugschein nicht – zu teuer für einen Studenten. Obwohl ich den Bafög-Höchstsatz bekomme, ist an solche Extravaganzen wie Fliegen lernen nicht zu denken.
Doch trotzdem verliere ich das große Ziel nicht aus den Augen: Ich fahre Taxi, um das Geld zusammenzukriegen. Auf einen großen Bogen Millimeterpapier male ich eine Cessna als Symbol für die Kosten des Flugscheins und rechne aus, welchem Wert ein Kästchen entspricht. Immer, wenn ein paar Mark zusammengekommen sind, male ich wieder ein paar Kästchen schwarz aus. Wenn ich das Geld für etwas anderes brauche, müssen wieder einige Kästchen aus dem Millimeterpapier ausradiert werden – was mir jedes Mal in der Seele weh tut. Schon wenn ich in einer Bäckerei ein Brot kaufe, kreisen meine Gedanken darum, wie viel Prozent eines Kästchens dies wohl entspricht.
Dann ruft Harald wieder an und sagt: „Das hat alles keinen Zweck, Du kommst jetzt nach Hamburg, hier auf dem Flugplatz Hartenholm kriegst Du den Flugschein etwas günstiger. Wenn Du ihn jetzt nicht machst, machst Du ihn später, wenn Du erst mal arbeitest, erst recht nicht.“ Ich frage meine Mutter: „Soll ich das machen?“ „Ja“, sagt sie und ist auch bereit, mir für die Verwirklichung meines Traums noch etwas Geld dazuzugeben. Noch vor der ersten Flugstunde fliege ich einige Male bei Harald mit. Der Mediziner hat sich in insgesamt 32 Jahren als Pilot langsam die Modellpalette emporgearbeitet. Von der Cessna 182 RG, einer leichten, eleganten Einmotorigen, über die Cessna 210, dem schnellen Top-Modell unter Cessnas Einmotorigen, schließlich zur Mooney.
Er bekommt das Flugzeug 1990 von seinen Eltern geschenkt und plant seitdem, auf einer weiten Reise „die Maschine mal richtig auszunutzen“, wie er sagt. Die Turboprop mit der genauen Typenbezeichnung M20K 252 TSE trägt die Registrierung D-EHCT, heißt also in der Fliegersprache „Charlie Tango.“ „TSE“ steht übrigens für „Turbo Special Edition“ und eine besonders üppig mit Turbolader ausgestattete Serie, die eine Spitzengeschwindigkeit von 405 km/h erreicht. Das Urmodell der Mooney flog bereits 1953 und verfügte auch schon über ein Einziehfahrwerk und das auffällig nach vorn geschwungene Seitenleitwerk. „Charlie Tango“ ist erst 1989 bei den Mooney-Werken in Kerrville/Texas gebaut worden, ihr Vorbesitzer hat sie gerade mal 150 Stunden geflogen, darunter nach Karachi in Pakistan. Sie kann 1315 Kilo zuladen, ihr Motor verfügt über sieben Liter Hubraum und leistet 210 Pferdestärken. Mit einer Reisegeschwindigkeit von 310 km/h ist die Mooney die schnellste Einmotorige auf dem Markt. Andere gängige Privatflugzeuge schaffen gerade eine Reisegeschwindigkeit von etwa 180 km/h. Die Mooney erreicht noch im Anflug eine Geschwindigkeit, die fast dem höchsten Reisetempo der Cessna 152 entspricht.
Walter Brix holt mich bei Harald ab, bei dem ich in dieser Zeit wohne. In Hartenholm, einem kleinen Privatflugplatz nordöstlich von Hamburg, beginnt die erste Flugstunde mit einem Schnupperflug. Doch erst mal betrachten wir das Schulflugzeug mit all seinen Geheimnissen ganz genau: Zum Beispiel das Staurohr, ein kleines Rohr mit Öffnung direkt in Flugrichtung. Dort strömt der Fahrtwind hinein und man kann die Geschwindigkeit des Flugzeugs messen. Dieses darf nie verstopft sein, wie es etwa bei dem abgestürzten Birgenair-Jet passierte. Dort hatten sich Insekten in dem Rohr eingenistet und bewirkt, dass die Geschwindigkeit falsch angezeigt wurde, was durch Fehlinterpretationen der Piloten schließlich zur Katastrophe führte. Oder die Triebwerksabdeckung, wo jeder Pilot aufpassen muss, dass nicht unbemerkt Vögel darin ihr Nest bauen. Ich lerne auch, wie man den Propeller überprüft – das alles gehört zu einem kompletten Pre-Flight-Check. Erst nach dieser Prozedur klettern wir ins Cockpit.
Ich sitze auf dem linken Sitz, dem Platz des Piloten, und bin ziemlich nervös. Walter macht vom rechten Sitz aus den Start, aber ich habe schon die Hand mit am Steuerhorn, um das Gefühl dafür zu bekommen. „Bei 60 Knoten musst Du abheben, Du spürst, es zieht Dich schon von allein hoch“, erklärt Walter. Kurz darauf schwebt die Maschine über Neumünster. Neben der Autobahn liegen vier Seen, die wir in Doppelachten umkreisen. Ich steuere jetzt die gutmütige Cessna 152, aber ganz vorsichtig. Dann landen wir, aber Walter startet gleich durch und wir landen nochmal, ich darf alles schon fast allein machen. Auch als später Harald seinen Freund Walter über die ersten Erfahrungen mit mir als Flugschüler befragt, antwortet der: „Das ist ein ganz Vorsichtiger.“ Ich bin begeistert von der ersten Flugstunde und stürze mich voll in das Abenteuer Flugschein.
Ich fahre fortan sechs Wochen lang an jedem Tag nach Hartenholm und drehe meine Platzrunden. Es hat mich jetzt richtig gepackt und ich kann meine Begeisterung endlich richtig ausleben. Ich fliege weit mehr, als einem Flugschüler pro Tag eigentlich erlaubt ist. Bei den meisten Stunden sitzt Fluglehrer Dirk Sprechelsen auf dem rechten Sitz des Copiloten und versucht mir eindringlich klarzumachen, wo es mit meinen frischerworbenen Flugkünsten noch hapert: Ist die Maschine ein paar Meter höher als vorgegeben, drückt sich Sprechelsen die Gurgel zu und ruft: „Ah, ich krieg’ keine Luft!“ Gerate ich etwas zu tief unter die Idealhöhe für eine ordentliche Platzrunde, schreit der Fluglehrer in gespielter Panik: „Wir stürzen ab, wir stürzen ab!“ Ein anderer Fluglehrer schafft es, meine Landetechnik zu verfeinern, was als schwerster Teil der praktischen Ausbildung gilt. Nicht umsonst glaubt man in Fliegerkreisen an die Regel: Je mehr verschiedene Fluglehrer, umso besser. Von vielen Köchen, die angeblich den Brei verderben, ist hier keine Rede.
Neben dem Platzrundenfliegen drücke ich in den Theoriestunden die Schulbank. Langsam geht es voran, 80 Theoriestunden und 35 Flugstunden sind bis zur Prüfung mindestens nötig. Ich habe meine Ziele schon klar vor Augen, bevor ich den begehrten Schein besitze: Ein Trip mit einem Privatflugzeug in die USA, das wäre das Größte. Das erscheint mir damals als das Nonplusultra, weiter denke ich erst mal nicht, das wäre der Gipfel meiner Träume.
Der entscheidende Tag auf dem Weg zum Flugschein ist der Tag des ersten Alleinflugs. Die Flugschule dreht es so, dass dieses Ereignis auf den 1. Oktober 1992, den Tag meines 30. Geburtstags fällt. Ich hätte auch schon eine Woche vorher allein fliegen können, bereits nach sechseinhalb Flugstunden hätten mich die Lehrer allein fliegen lassen. Sie entscheiden zusammen mit einem Gutachter, wann ein Schüler soweit ist. Normal sind etwa zehn bis zwölf Flugstunden vor dem ersten Alleinflug, wobei das eine ganz schön lange Zeit ist, wenn man bedenkt, dass eine Platzrunde etwa sieben Minuten dauert. Die Schule hat extra mal nachgeguckt und es stellte sich heraus, dass niemand dort je früher allein fliegen durfte als ich.
Als ich am Tag meiner praktischen Prüfung Anfang Dezember 1992 in Hartenholm ankomme, herrscht am Platz noch Winternebel. Mein Prüfer ist als hart aber gerecht bekannt – das ist mir nur recht, ich bin gut vorbereitet. Vorher hat mich die Fluglehrerin Tina noch in die Geheimnisse der Kursberechnung mit dem Navimaten, einer Art Geo-Dreieck, eingewiesen. Dabei verschweigt sie aber nicht, dass man dabei leicht den Gegenkurs der angestrebten Strecke abliest. Das passiert mir nur einmal – ausgerechnet am Tag der Prüfung! Im Flieger bemerke ich den Fehler und fliege dennoch die korrekte Strecke, indem ich den eigentlichen Kurs durch Hochrechnung bestimme. Abgesehen von dieser Panne verläuft die Prüfung gut. Zuerst muss der Prüfling am Boden die Navigation für die geplante Strecke machen, dann den Pre-Flight-Check, und dann schließlich den Flug zusammen mit dem Prüfer. Der wird gegen Ende nochmal schwierig: Aus 2000 Fuss Höhe muss man ein Notlandeverfahren einleiten und die Landestrecke so berechnen, dass es genau hinkommt. Ich verschätze mich etwas, doch zum Glück kreuzt mein Fluglehrer während einer Hubschrauber-Flugstunde meinen Weg und der Prüfer sagt: „Geben Sie mal etwas Gas“ - so kann ich noch eine glatte Landung hinlegen und denke, dass ich bestanden habe. Doch dann erwischt mich der Prüfer nochmal eiskalt mit einer Frage: „Wenn Sie den Motor anstellen und vorn kommen Flammen raus – was ist das?“ Wegen der Panne bei der Landung bin ich ein bisschen aufgeregt und weiß nicht mehr genau, wie das heißt. „Verdammt“, sage ich halb-laut und der Prüfer fällt mir begeistert ins Wort: „Vergaserbrand – genau!“ Ich bestehe und bin als einer von rund 44.000 Deutschen stolzer Besitzer des PPL-Scheins, der Privatpilotenlizenz.
Als frischgebackener Privat-Flugzeugführer begebe ich mich zurück an meinen Studienort Bayreuth. Im benachbarten Speichersdorf kann ich auf der Cessna 172 weitere praktische Erfahrungen sammeln, hier ist das Fliegen noch erschwinglich: Eine Stunde in der Cessna kostet 190 Mark, eine Landung nochmal fünf. Im Frühjahr 1993 trage ich stolz die zehnte Flugstunde in mein Logbuch ein und fühle mich beinahe schon wie ein erfahrener Luftkutscher. Da ruft Harald an und fragt: „Hast Du nicht Lust, mit mir in der Mooney in die USA zu fliegen?“ Ich habe gerade mein Funksprechzeugnis für den Blindflug erworben und bin hin und weg, mein Traum scheint Wahrheit zu werden. „Ja, ich komme mit und kümmere mich um die Navigation und den Flugfunk“, verspreche ich begeistert meinem Fliegerfreund. Ein Flug über den Großen Teich mit einer Einmotorigen ist immer noch ein Abenteuer, das erst wenige hundert Mal bewältigt wurde.
Die Vorbereitung der großen Reise beginnt mit guten Ratschlägen erfahrener Freunde. Michael Schulz ist schon mehr als hundert Mal mit kleinen Flugzeugen über den Atlantik geflogen und stattet uns beide mit Überlebensanzügen aus. Walter Brix hilft mit einem Satellitennavigationssystem und erklärt uns, wie dieses damals neuartige GPS funktioniert. In den hinteren Teil der Mooney wird ein Zusatztank eingebaut, seine Entlüftung führt durch das Seitenfenster des Piloten nach draußen. Damit werden gefährliche Dämpfe abgeleitet und dank der Druckunterschiede und der Schwerkraft beginnt der Sprit zu fließen. Nur mit diesem Extra-Sprit können wir weite Strecken über Wasser sicher bewältigen, denn die Mooney schafft mit vollen Tanks und bei Reisegeschwindigkeit nicht einmal 2000 Kilometer nonstop. Von Deutschland an die US-Ostküste sind es aber über 6000 Kilometer.