Band 3: Die Verschwörung von Königs Wusterhausen
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Aus der Feder von Tomos Forrest sind weiterhin erhältlich:
von Tomos Forrest
Freiherr Friedrich von Wustrau-Altfriesac –
Offizier seiner Majestät Friedrich II.
IMPRESSUM
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© Roman by Author
© Cover: Kathrin Peschel nach einem Motiv von Adolf Menzel, 2019
Lektorat/Korrektorat: Kerstin Peschel
© dieser Ausgabe 2019 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
www.AlfredBekker.de
postmaster@alfredbekker.de
Der Siebenjährige Krieg erfasst ganz Mitteleuropa, Portugal, Nordamerika und ist als Krieg zwischen den Österreichern sowie den Truppen von Friedrich II. König von Preußen auch in Deutschland eine schwere Belastung für die Menschen.
Freiherr Friedrich von Wustrau-Altfriesac, auch der Wilde Fritz genannt ist mit seinem Freund Christian Andreas Käsebier für den König in geheimer Mission unterwegs. Dabei stoßen sie auf Informationen, die, außer dem König und den beiden, kaum einer wissen konnte. Sie stellen Nachforschungen an, suchen die undichte Stelle und stoßen dabei in Königs Wusterhausen auf eine geheime Gesellschaft, die an einem verborgenen Ort eine Verschwörung gegen den König plant und dessen Tod beschließt …
***
Die beiden Scharfschützen hatten längst ihre Positionen bezogen, als wie fernes Donnergrummeln der Klang von Trommeln an ihre Ohren drang. Doch nur einer der beiden Männer wusste von der Anwesenheit des anderen. Er hatte seinen Platz gut gewählt und den Dachboden des Stalles bezogen, der ein wenig vor dem Hof lag. Und er wusste zu verhindern, dass der andere an den gleichen Ort kam. Die beiden Hunde vom Hof waren mit ihm längst vertraut, würden aber auf jeden anderen Fremden sofort mit einer wilden Attacke reagieren. Zudem hatte er dem Bauern, der ihn freundlich aufgenommen hatte und dafür von ihm fürstlich entlohnt wurde, Entschädigung versprochen, sollte den Tieren während der Schlacht etwas zustoßen. Beruhigt über das viele Silber, dass der Mann ihm aushändigte, hatte der Bauer seine Familie auf einen Ochsenkarren geladen und war noch am Vorabend aufgebrochen, um dem bevorstehenden Kampf zu entgehen. Er würde die nächsten Tage weit hinter der heranrückenden Front bei Verwandten verleben. Und erneut musste der Scharfschütze im Gedanken an den Abzug der bäuerlichen Familie lächeln. Die älteste Tochter, durchaus auf ihre Art eine Schönheit, hatte ihm mehrfach mit den Augen zu verstehen gegeben, dass sie gern bei ihm auf dem Stallboden ausharren würde, bis der Feind käme.
Als er nicht darauf einging und immer wieder scheu den Blick auf den Boden senkte, während man noch das gemeinsame Essen einnahm und die Bäuerin ihm einen Vorrat für den nächsten Tag in einen Korb packte, stieß sie ihn unter dem Tisch mehrfach mit dem Fuß an. Er bekam tatsächlich einen roten Kopf, als sie schließlich mit dem Fuß an seiner Wade entlangstrich, aber er blieb standhaft. Und das keineswegs nur im Gedanken an seine Verlobte, Katharine von Bruchsal. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, sie zu betrügen – und schon gar nicht während einer so heiklen Mission wieder dieser.
Er rief sich selbst zur Ordnung und konzentrierte sich wieder auf seine Umgebung, beobachtete seinen Gegner sehr genau und wartete auf den geeigneten Moment für seinen Schuss.
Die Waffe der Scharfschützen, eine sogenannte Jägerbüchse mit gezogenem Lauf und im Kaliber .54, lag griffbereit auf dem kleinen Tisch, den er sich auf den Boden getragen hatte, zusammen mit einem einfachen Hocker. Mehrfach hatte er die beste Position ausprobiert und war nun erstaunt, dass sein Gegenüber offenbar den richtigen Zeitpunkt nicht erwarten konnte. Zwar war nie mehr als der kurze Lauf der Waffe zwischen den Zweigen zu erkennen, aber der bewegte sich in der letzten Zeit so häufig hin und her, dass sich der Mann im Stall ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
Ein Scharfschütze musste Geduld haben, in erster Linie sehr viel Geduld.
Selbst ein Anfänger an seiner Stelle hätte jetzt längst den anderen ausgemacht, so stark, wie die Zweige sich unter seinem Gewicht bewegten, wenn er erneut eine andere Position ausprobierte.
Der Trommelton schwoll an, wurde mächtiger und schien in der Luft zu vibrieren. Er wischte sich die Hände an den Seiten seiner einfachen Kniebundhose ab, anschließend nahm er seine Waffe auf und visierte noch einmal kurz das Ziel an. Es würde knapp werden, sehr knapp, und er konnte nicht ausschließen, dass der andere noch seinen Schuss abgeben würde. Aber auch dafür war Vorsorge getroffen worden, und der Mann auf dem Stallboden war zuversichtlich und vollkommen ruhig, als nun das Echo der Trommelschläge von der anderen Seite der Ebene kam.
Er wusste natürlich, dass es sich keineswegs um ein Echo handelte.
Dort drüben, noch zwischen den Bäumen verborgen, nahte der Feind.
In den Baumwipfeln hingen noch regennasse Wolkenreste, lösten sich trotz des Sonnenscheins nur langsam auf und ließen den Wald tropfend vor Nässe zurück.
Das ist der Vorteil eines trockenen Platzes!, dachte der Mann auf dem Stallboden. Ich muss nicht ständig in Sorge sein, dass im entscheidenden Moment das Pulver auf der Pfanne versagt. Ja, mein Freund, bewege dich ruhig noch etwas mehr, und zeige mir deine Arme oder Beine!
Noch immer hatte er die Jägerbüchse nicht im Anschlag, sondern atmete ruhig und gleichmäßig durch, während jetzt die ersten Metallstücke in der kalten Novembersonne blitzten, die Trommeln auf beiden Seiten lauter wurden, und nun die vordersten Reihen auf dem großen Feld aufmarschierten, das in Kürze mit dem Blut Tausender gedüngt werden sollte. Und mit klingendem Spiel zogen die dicht marschierenden Soldaten auf den Platz, formierten sich, und der leichte Wind wehte Brocken der Kommandos von der anderen Seite herüber.
Jetzt schwankten die Zweige gegenüber wieder bedenklich, und unser Mann auf dem Stallboden machte sich ebenfalls bereit. Allerdings setzte er die weit tragende und treffsichere Waffe erneut ab, denn ein Gedanke hatte ihn gepackt und für kurze Zeit verunsichert. Warum haben sie das zugelassen? Die führenden Offiziere im Generalstab kannten doch die Gefahr, die hier lauerte! Und niemand war es gelungen, den König dazu zu bringen, am heutigen Tag keinen Schimmel zu reiten?
Der Scharfschütze knirschte mit den Zähnen. Dabei beschlich ihn ein schrecklicher Gedanke: Was, wenn es der Freund am Vorabend nicht mehr geschafft hatte? Es war vielleicht doch keine so gute Idee, ihn allein mit der Warnung für den König zurückzuschicken! Aber dann verscheuchte er den Gedanken rasch wieder und tröstete sich damit, dass ein Christian Käsebier sich nicht einfach so wegfangen ließ. Er musste das Quartier rechtzeitig erreicht haben!
Die preußische Armee hatte sich formiert und rückte unverdrossen weiter vor, ebenso ihre Gegner. Aber ihr König ließ es sich nicht nehmen, die vorrückenden Truppen wieder einmal persönlich anzuführen, denn seine Kundschafter hatten gemeldet, dass die Österreicher ein wesentlich größeres Heer kommandierten. Was konnte da den Mut der eigenen Soldaten besser anfeuern als das Beispiel ihres Königs, der stets bei solchen Treffen in der ersten Reihe ritt und schon oft ein Pferd verloren hatte, das man ihm direkt unter dem Sattel wegschoss.
Während die Musketen der Soldaten noch lange nicht die erforderliche Schussdistanz erreicht hatten, wären beide Scharfschützen schon jetzt in der Lage gewesen, mit einem gezielten Schuss einen der Offiziere des Feindes zu töten.
Oder den König.
Langsam zog er den Hahn auf und vernahm mit einer gewissen Befriedigung das leise, vertraute Knacken, das den Vorgang begleitete. Jetzt mochte die Entfernung bis zu dem auffälligen Schimmel, der wie eine Herausforderung für einen solchen Schuss ein Stück vor der ersten Linie tänzelte, kaum noch einhundert preußische Ruten (entspricht circa 370 Meter) betragen, und tatsächlich bewegten sich erneut die Zweige gegenüber.
Der Schütze auf dem Stallboden drückte den Stecher, den ersten Abzug der Scharfschützenwaffe, die nun nur noch einen leichten Druck des Zeigefingers benötigte, um den Schuss zu lösen. Obwohl er darauf vorbereitet war, hatte er angenommen, dass sein feindliches Gegenüber auf Sicherheit setzen würde und nicht vor einer Distanz von fünfzig Ruten schießen würde. Aber der Gegner schien sich seines Schusses sehr sicher zu sein, denn als sich jetzt der zwischen den Zweigen erkennbare Lauf etwas anhob, war es dem anderen klar, dass er bereits zielte.
Dann geschahen mehrere Dinge nahezu gleichzeitig.
Die beiden Schüsse krachten wie ein einziger und wurden auch nur so wahrgenommen. Als sich der Schütze auf dem Baum etwas vorlagerte, um auf dem breiten Zweig seine Büchse auf das Knie zu stützen, schoss der Mann auf dem Stallboden, aber auch der andere hatte den Abzug durchgezogen.
Schreiend fiel der Mann aus der großen Höhe herunter, und mit einem letzten, schrecklichen Laut verstummte er, als das abgebrochene Astende nur kurz über dem Erdboden sich tief in seinen Hals bohrte und ihn damit aufspießte.
Seine Sorge galt jedoch nicht dem tödlich getroffenen Feind, sondern dem Ergebnis dessen Schusses. Der ebenfalls getroffene Schimmel schrie erbärmlich, als er in die Knie brach und den preußischen König im hohen Bogen abwarf. Aber dieser Schrei drang nicht bis zu ihm herüber, denn beim Anblick ihres gestürzten Königs gaben die Offiziere Signal zum Angriff, und während sich ein dichter Pulk sofort um Friedrich II. scharte, um ihn zu schützen, stürmten die dichten Reihen der Musketiere vor und überraschten damit ihren Gegner vollkommen.
Die Österreicher waren eben dabei, ihre Pelotons zu formieren, als die Preußen eine erste Salve abgaben und dann nicht wieder nachluden, sondern einen Bajonettangriff starteten, der die Österreicher in große Verwirrung stürzte. Zwar fielen die ersten Angreifer unter der abgegebenen Salve, aber die nachfolgenden Männer sprangen über die stürzenden Körper mit lautem Hurra-Geschrei und stachen nieder, was sich ihnen in den Weg stellte.
Der Mann auf dem Stallboden hatte seine Jägerbüchse aufgestellt und neu geladen, was im Gegensatz zu einer glattläufigen Muskete wesentlich mehr Zeit erforderte. Er nahm eine der vorbereiteten Papierpatronen aus der Tasche, biss die eingewickelte Kugel ab und behielt sie zwischen den Zähnen, während er das Pulver in den Lauf kippte. Den Ladestock hatte er ohnehin auf dem Tisch bereitliegen und nahm sich auch die Zeit, ein gefettetes Schusspflaster aus Stoff hinterher zu schicken, dann die Kugel hinunterzustoßen. Das war zwar in der Hast eines möglichst raschen Schusswechsels nicht immer möglich, aber der Schütze wusste, wie wichtig der damit verbundene Wischeffekt für den gezogenen Lauf war.
Jetzt die Pfanne öffnend, gab er das Zündkraut darauf und setzte den Hahn wieder in Ruh. Während der gesamten Zeit hatte er das weite Feld vor sich im Auge behalten, sammelte seine Sachen wieder ein und stieg in aller Ruhe die Leiter hinunter, während vor dem Bauernhof die Schlacht tobte.
Die Hunde kamen freudig schwänzelnd angehechelt, und der Scharfschütze streichelte ihnen über den Kopf.
„Brav, meine Burschen, kommt ins Haus, Zeit zum Fressen!“
Die beiden großen, schwarzen Hunde folgten ihm sofort nach, und er gab ihnen die Reste vom Vortag, die von der Bäuerin noch in einem Topf vereint auf dem kalten Herd standen. Schmatzend machten sich die beiden darüber her, während der Schütze aus dem kleinen Fenster sah und sich über das rasche Vorwärtsdrängen der preußischen Truppen wunderte, die noch immer im Laufschritt an dem Hof vorüberzogen.
Was mochte mit dem König passiert sein? So, wie seine Soldaten stürmten, sah es nicht danach aus, dass sein Sturz sie deprimiert hätte. Nun gut, umso schneller ist dieser Krieg wieder vorüber!