Die Waräger
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Auf gefährlichen Seefahrten gelangten die Wikinger über den Bosporus und das Schwarze Meer bis hin zum Kaspischen Meer und knüpften Kontakte zur muslimischen Welt. Die mitgebrachten Waren wie Pelze, Elfenbein und Walrosszähne waren im nahen Osten begehrte Güter im Tausch gegen kostbare Seide, Wein und Silbermünzen. Wie mag die dortige Bevölkerung auf die tapferen Krieger des Nordens reagiert haben? Arnulf Krause zeigt, welch gewaltigen Eindruck die Wikinger mit ihren ungewöhnlichen Bräuchen in der muslimischen Welt hinterlassen haben.
Dieses E-Book ist Teil der digitalen Reihe »Campus Kaleidoskop«. Erfahren Sie mehr auf www.campus.de/kaleidoskop
Über den Autor
Arnulf Krause ist promovierter Germanist und Skandinavist, erfolgreicher Sachbuchautor und Experte für germanische Heldensagen und die Dichtung der Edda. Er lehrt als Honorarprofessor am Institut für Germanistik, vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Bonn. Bei Campus erschienen von Arnulf Krause bisher »Die Geschichte der Germanen« (2002, 2005), »Die Welt der Kelten« (2004, 2007) und »Die Wikinger« (2006). Seit 2013 erscheinen seine Texte in der E-Book-Reihe »Campus Kaleidoskop«.
Von der Ostsee bis zum Bosporus
Schweden im Land der Slawen
Wikinger in Osteuropa: Schweden, Waräger und Rus
Auf dem Weg nach Byzanz
Ein Araber an der Wolga
Die Bestattung eines Häuptlings
Nowgorod und Kiew
Die tatkräftige Regentin von Kiew
Wikinger vor Konstantinopel, Wikinger in Konstantinopel
Wikinger in Bagdad?
Das Reich der Rus
Der Schwede Ingvar und die Abenteuerfahrt ohne Wiederkehr
Die Warägergarde
Campus Kaleidoskop
Impressum
Während die Züge der dänischen und norwegischen Wikinger in Westeuropa zumeist spektakulär verliefen, ergaben sich südlich der Ostsee und in Osteuropa friedlichere Kontakte. Neben den Dänen pflegten insbesondere die Schweden, Waräger genannt, Handelsbeziehungen mit den slawischen, baltischen und finnischen Stämmen. So steuerten etwa Schiffe von der Insel Gotland, einem bedeutenden Verkehrsmittelpunkt jener Zeit, südwärts nach Rügen.
Auf der größten Insel Deutschlands hatte damals das Slawenvolk der Ranen sein Zentrum, wo diese sowohl lukrativen Handel trieben als auch ihre Götter anbeteten. Die Nordleute schätzten vor allem die kleine Siedlung Ralswiek, die aus weniger als 20 Höfen bestand. Dort produzierten die Einwohner in ihren Werkstätten Handelsgüter aus Metall, Bernstein und anderem. Außerdem verfügten sie über große Speicher, in denen sie die Waren lagerten. Die Männer aus Gotland und anderen Teilen Skandinaviens wurden von den Slawen mit offenen Armen empfangen, legten diese doch am Ufer Bootseinfahrten an, die aufgeschüttete Molen voneinander trennten. Die derart eingerichteten Docks für rund 15 Schiffe waren teilweise sogar überdacht. Bei diesem Service für Drachenboote verwundert es nicht, dass sich in Ralswiek auch Skandinavier niederließen. Der Ort entwickelte sich zu einem internationalen Handelsplatz, von dessen multiethnischer Bevölkerung noch Hunderte von Grabhügeln zeugen.
In einem großen Tempel in Arkona verehrten die Ranen ihren höchsten Gott Svantevit. Dessen Holzhäuser umgaben sie mit einem mächtigen Erdwall, der nur durch einen hohen Torturm Einlass gewährte. Wegen der Skandinavier hätte es allerdings keiner Befestigung bedurft. Denn auch nach Arkona kamen sie als friedfertige Kaufleute, die gute Geschäfte machen wollten. Gelegenheit dazu bot sich immer dann, wenn die Slawen Svantevit um Fruchtbarkeit und reiche Ernten anriefen. Während der Opferfeste fanden große Märkte statt, auf denen Ranen, Wikinger, friesische und viele andere Händler aus Westeuropa zusammentrafen.
Die Weiten Osteuropas jenseits der fränkischen Reichsgrenzen bestanden also nicht nur aus menschenleerer Wildnis, sondern ähnlich wie Skandinavien aus zahlreichen Stammesgebieten, die über Handelsplätze und -wege miteinander verbunden waren. An der Ostseeküste gehörten dazu neben Ralswiek Orte wie Wollin an der Odermündung und Truso an der Weichsel. Dass aber auch hier die Handelspolitik zuweilen mit kriegerischen Mitteln vorangetrieben wurde, zeigte sich bei der oben erwähnten Kaufmannssiedlung Reric in Mecklenburg. Diesen Platz der slawischen Abodriten ließ der Dänenkönig Godfrid bekanntlich 808 zerstören, um deren Händler zur Ansiedlung in Haithabu zu zwingen.
Die Stämme und Völkerschaften Ost- und Nordeuropas wussten, dass sich hinter den weiten Wäldern und Steppengebieten Russlands und der Ukraine lohnenswerte Ziele verbargen. Bewältigte man weit mehr als 1000 Kilometer, gelangte man ins Schwarze Meer. An dessen Südküste lockte Konstantinopel, die prächtige Hauptstadt des Byzantinischen Reiches. Vom Kaspischen Meer aus führten Karawanenwege in das reiche Bagdad, die Kapitale der arabischen Kalifen. Andere Routen rückten die mittelasiatischen Muslimenreiche und sogar das sagenhafte Reich der Mitte, China, in greifbare Nähe. Überall dort winkten kostbare, im Norden heiß begehrte Luxusgüter wie Seide und Silbermünzen. Und die Nordleute wiederum konnten im Süden Felle und Sklaven anbieten. Darum galt es, Mittel und Wege zu finden, die riesigen Entfernungen zu überwinden.
Seit langem kannten skandinavische Händler Wege von der Ostsee über Oder und Weichsel ins Innere Osteuropas, auf denen sie die Donau und das Schwarze Meer erreichen konnten. Ein wahres Meisterstück jedoch gelang den schwedischen Warägern, als sie sich eine Route nach Konstantinopel erschlossen, die fast durchweg schiffbar war. Vom Finnischen Meerbusen fuhren sie über die Newa am heutigen St. Petersburg hinauf bis in den Ladogasee. Dieses große Binnengewässer verließen sie südwärts auf dem Wolchow, dessen Quellflüsse sie zu den Waldaihöhen führten, die sich wenige 100 Kilometer nordwestlich von Moskau erheben. In diesem Gebiet entspringen mehrere der großen Ströme Russlands, insbesondere der Dnjepr und die Wolga. Erreichten die Waräger diese, konnten sie bis ins Schwarze Meer und ins Kaspische Meer fahren.
Das hört sich leichter an, als es in Wirklichkeit war. Auf dieser genialen Wasserroute mussten die Waräger zuerst stromaufwärts rudern und häufig ihre Boote treideln, reißende Stromschnellen waren zu überwinden. Die größte Herausforderung: Im Waldaigebiet mussten sie mehrere Kilometer über Land bewältigen, indem sie die Schiffe auf Rollen aus Baumstämmen zum nächsten Fluss zogen. Doch selbst als diese mühseligen Wegstrecken überwunden waren, lauerten weitere Gefahren. Russland und die Ukraine waren nicht menschenleer, sondern wurden von zahlreichen Stämmen und Völkern bewohnt, die einen Überfall auf die Wikingerschiffe nicht scheuten.
Dennoch gestalteten sich die Kontakte zwischen den slawischen Stämmen und den Warägern weitaus weniger gewaltsam als im Westen Europas. Zu den gefürchteten Wikingerzügen gab es im Osten wegen fehlender Ziele wie reichen Klöstern wenig Gelegenheit; so taten sich die Nordleute in erster Linie als Händler hervor. Sie kooperierten aufs Engste mit den einheimischen Völkern und besiedelten gemeinsam mit ihnen Handelsplätze auf der oben genannten Wegstrecke.
Staraja Ladoga