Die Spielhölle in Baden-Baden

(Trente et Quarante.)

Vorbemerkung des Übersetzers

Die nachfolgende hübsch abgerundete und mit feinen humoristischen Zügen ausgestattete Erzählung ist ein Zeitbild aus dem Jahre 1858.

Das zweite Kaiserreich ließ bei den Franzosen die Erinnerungen an das erste wieder aufleben. Noch waren die letzten Reste der »großen Armee« nicht ganz weggestorben; ein Veteran derselben bildet hier den Mittelpunkt, ein Mann, der wie so viele im damaligen und noch im heutigen Frankreich von der Pike auf gedient hat. Ein italienischer Flüchtling, der 1848 und 1849 in Rom als Republikaner gegen den Papst und die Franzosen kämpfte, erscheint hier als Liebhaber auf der Bühne; sein Grafentitel ist, wie auch sonst jetzt zuweilen in Italien, nur ein angenehmer Schmuck. Die Scene der Novelle ist anfänglich und zum Schluß in Paris, zwischendurch in der Schweiz und der Hauptakt spielt auf deutschem Boden: in Baden-Baden, dem einzigen deutschen Orte, wohin der elegante und üppige Pariser sich damals mit Vorliebe wandte, um in dem halb von Franzosen bevölkerten Städtchen Sommervergnügungen in einer internationalen Halbwelt zu genießen und vornehmlich dem in Frankreich verbotenen Hasardspiel zu frönen, das hier erst 1872 durch Aufhebung der Spielbank sein Ende fand.

Zum besseren Verständnis des verbotenen Trente et Quarante lassen wir für deutsche Leser eine kurze Erklärung folgen. »Dieses Glücksspiel wird mit sechs vollständigen Whistspielen, also 312 Karten, gespielt, wobei eine unbeschränkte Anzahl von Pointeuren gegen einen Bankhalter setzt. Der Spieltisch ist in zwei Felder geteilt, ein rotes und ein schwarzes, auf welche die Pointeure setzen. Nachdem die Karten gehörig gemischt sind, nimmt der Bankier so viele, als er bequem in der Hand halten kann, und legt dann einzeln so viel Karten offen auf den Tisch, bis die Summe der Augen der Karten 30 überschritten und 40 noch nicht erreicht hat. Dabei gelten die Figuren 10, die andern so viel als sie Augen haben, das As 1. Die so gelegte Reihe gilt für das rote Feld, hierauf legt der Bankier in derselben Weise eine Reihe für die andere Partei. Die Reihe, in welcher die wenigsten Augen sind, gewinnt. Der Bankier zieht die Einsätze der verlierenden Partei ein und zahlt die der gewinnenden aus. Sind beide Reihen gleichwertig, so ist das Spiel unentschieden, und jeder Pointeur kann von neuem setzen; weisen beide Kartenreihen 31 Points auf, so gewinnt der Bankier die Hälfte aller Einsätze.«

IX. Aurelia

Die Abreise des Herrn Le Roy war das Signal zur Auflösung der ganzen Gesellschaft; die Karawane zerstreute sich in wenig Tagen, der eine rechts, der andere links hin; aber alle wollten in Baden sich wieder treffen; denn dort pflegen die Schweizerreisen erst zu endigen. Sogar Meo war genötigt sich abzusondern, sobald er mit dem Hauptmann und seiner Tochter allein blieb; eine allzu eifrige Beharrlichkeit hätte ihn am Ende in Verdacht gebracht.

So ging er denn fort, den Tod im Herzen und fast mit leeren Taschen. Im ersten Hotel in Freiburg im Breisgau nahm er Abschied von dem unnahbaren Schwiegervater. Seiner Emma hatte er schon am Morgen während der Bahnfahrt Abschiedsworte ins Ohr flüstern können; denn der Hauptmann, der ihn bloß lächerlich und keineswegs gefährlich fand, war dicht neben ihm eingeschlafen. Da hatte er Muße, seinen Schmerz und seine Verzweiflung zu schildern, alle seine Leiden ihr vorzuführen und die Nutzlosigkeit seiner Anstrengungen sowie das Hinschwinden seiner Mittel ihr darzulegen. Er bewies der Geliebten, daß ihr Vater sich nie auf etwas einlassen würde; wozu es übrigens kaum eines Beweises bedurfte. Er schilderte ihr seine Niedergeschlagenheit, wie er durch den vergeblichen Kampf ermattet und zu einem neuen Angriff unfähig sei. Sogar seine Geduld sei zu Ende, und er fühle nicht Kraft genug den Zeitpunkt zu erwarten, wo Emma dem Gesetze gemäß sich ihm selber geben dürfe; die zwei Jahre schienen ihm endloser als die Welt; er würde die Zeit nicht erleben. Und selbst im Falle, daß er bis dahin nicht durch den Kummer aufgerieben sein sollte, würde ihn seine Mittellosigkeit sicher verderben. Der traurige Zustand seines Geldbeutels gab dem Gemälde seines Elends den letzten Schlagschatten; er erzählte von der Erschöpfung seiner bescheidenen Mittel, von dem Rücktritt aus seinem bisherigen Broterwerb, und von seiner Unfähigkeit zum Arbeiten, seit er verliebt wäre. Dieses naive Geständnis, das ein Mädchen von ruhigerer Art abgekühlt haben würde, erhöhte bei Emma die Teilnahme und die Zärtlichkeit. Noch vor einem halben Jahre hätte sie vielleicht einen Mann ohne Beruf und ohne Vermögen verächtlich zurückgewiesen; aber wenn die Liebe einer Frau bis zu einem gewissen Grade gediehen ist, so flammt sie auf und verstärkt sich an allem, was sie löschen sollte. Sie wird gleich einer mächtigen Feuersbrunst, die sogar durch sein Löschwasser neue Nahrung findet. Das vortreffliche Mädchen versprach alles was nur möglich war; sie wollte mit Meo sterben, wenn sie nicht für ihn leben konnte. Von allen Schwüren, welche die Leidenschaft jungen Leuten eingiebt, ist dieser am leichtesten zu halten; sind ja doch die Annalen der Liebe voll von Doppelselbstmorden. Meo ergriff ohne Zögerung dieses heroische Heilmittel, das niemals jemand geheilt hat; er fand es ganz natürlich, daß Emma mit ihm sterben wollte, und dachte gar nicht daran, ein solches Opfer zu verschmähen.

Die Unschuld der beiden großen Kinder geht schon daraus hervor, daß sie auf dieses Endziel direkt losstürmten, ohne selbst nur im Geist, an gewissen Zwischenstationen Halt zu machen, wo sie hätten Rast und Befriedigung finden können. Sie prüften gar nicht, ob es für das Problem ihres Geschickes eine Lösung gäbe, die nicht so anständig wie die Ehe und nicht so unangenehm wie der Tod wäre. Sobald es ihnen erwiesen schien, daß das Schicksal ihre Verehelichung nie zulassen werde, dachten sie nur noch darauf, unter den verschiedenen Wegen, die aus dem Leben führen, einen auszuwählen. Glücklicherweise erwachte Herr Bitterlin, ehe sie ihre Wahl zu treffen hatten, und die Beratung wurde bis auf das nächste Wiedersehen vertagt.

Nachdem Meo abgefahren war und der Hauptmann mit seiner Tochter allein blieb, verlief die erste Viertelstunde dieses Alleinseins nicht ohne Verlegenheit. Zwar Emma fühlte sich nicht beängstigt; ihre Rolle stand so fest, ihr Entschluß war so unerschütterlich, daß sie sich schon nicht mehr wie eine Bewohnerin der Erde vorkam. Sie sah sich die andere Welt durch das Schlüsselloch an und wartete, bis ihr Liebster ihr die Thüre öffnen würde. Aber der Hauptmann, der noch nicht so weit war, empfand eine seltsame Unbehaglichkeit und peinliche Langeweile. Seit dem Kriege, den seine Tochter mit ihm zu führen gewagt, und dem nachfolgenden Waffenstillstand im Moment der Abreise, hatte er mit der schönen Rebellin nicht zehn Minuten fortlaufendes Gespräch gehabt. Wenn er sich irgend mal mit ihr allein befand, so war es am Abend, zu einer Zeit, wo Reisende nur noch ans Schlafen denken. In solchen Fällen ersetzte ein kurzer Kuß jedes Gespräch; jeder trat in sein Zimmer und die Verbindungsthür wurde angelehnt, nicht abgeschlossen. Aber heute, wo die beiden Gegner sich zum erstenmal nach dem Essen ohne Zeugen Stirn an Stirn sahen, in einem großen Saale, auf dessen Wänden die Abenteuer der Psyche gemalt waren, hüllte Emma sich in ein nachlässiges Schweigen und taktierte mit der Messerspitze auf ihrem Teller eine Melodie, während der Hauptmann mühsam die Einleitung zu einem Gesprächsstoff suchte. Und er fand nichts Besseres, als die Schaustellung der Fehler und Sonderbarkeiten des Reisegefährten, der sich ihnen eben empfohlen hatte. Das war von seinem Takt nicht anders zu erwarten; er richtete Meo ganz köstlich her; er verbiß sich in ihn und zerzauste ihn mit grausamer Lust. Der gute Mann hatte etwas hakige Zähne, wie schlecht dressierte Hunde, die ein Rebhuhn nicht herbeiholen können, ohne es zu zerbeißen. Emma hörte gelassen zu, ohne auch nur mit den Achseln zu zucken; aber ihre Augen drückten die tiefe und unsühnbare Verachtung einer Andächtigen aus, die ihren Gott lästern hört.

Der Redner verfehlte nicht, vom Besonderen auf das Allgemeine überzuspringen; das Urteil, das er über Meo fällte, dehnte er auf alle jungen Leute unseres Zeitalters aus und bewies, daß ein Mädchen sich anständigerweise nie in eins dieser Affengesichter vergaffen dürfe. Emma behauptete nicht das Gegenteil. Durch dieses zustimmende Schweigen ermutigt, ging er daran, seine Tochter sanft auszuschelten wegen dessen, was er ihre Nücken nannte. Er warf ihr vor, sie habe nicht genug Vertrauen zu ihm; er war erfreut über die günstige Wirkung der Reise und hoffte das alte Familienverhältnis wieder hergestellt zu sehen. Er ging noch weiter; denn Zartgefühl war nicht gerade seine hervorragende Eigenschaft; er wagte diesem Kinde zu sagen, ihre verstorbene Mutter sei, wenn nicht untreu, doch wenigstens leichtfertig gewesen; sie hätte ihn unglücklich gemacht; daher hätte er ein Anrecht auf Ersatz und hoffte, diesen in der guten Aufführung und der Treue seiner Tochter zu finden. »Was verlange ich also?« sagte er. »Daß du meine Stütze bleibst, bis ich sterbe, und du mich in meinen Gewohnheiten belässest. Für Brot auf meine alten Tage ist gesorgt, meine Gesundheit ist auch nicht schlecht, mein Kopf gehört zu den festesten, die seit Napoleon geschaffen sind; ich brauche nur Ruhe. Hättest du dich ernstlich in deine Dummheiten verbissen, so hättest du einen Vatermord begangen, ja ganz genau das! Du störtest meine Lebensweise und würdest zu allererst mich auf die Straße hinaussetzen. Und dann weiter? Wolltest du mich ganz allein lassen, wie einen alten Hund, um mit deinem Manne nachts zu vagabundieren? Oder wolltest du mir einen Menschen ins Haus bringen, den ich nicht kenne, der nicht in meinen Ideen lebt, der den Herrn spielen und mir gegenüber Recht behalten will? Dazu hast du doch ein zu gutes Herz. Wärest du einer solchen Gottlosigkeit fähig, so könntest du nicht aus meinem Blute stammen und deine Mutter hätte auf ihrem Totenbette gelogen, als sie mir das zugeschworen hat!«

Emma antwortete nichts, sie weinte nicht und äußerte weder Kummer noch Zorn; sie verschanzte sich in den Egoismus ihrer Liebe gegen den Egoismus des Vaters.

Unterdessen kam Meo in Baden an und begab sich in das Viktoriahotel, wo Herr Le Roy ihn hinbestellt hatte. Diesen fand er im Hausrocke, um fünf Uhr nachmittags, mitten unter ganz sonderbarem Hausgerät. Die Kommode, der Spieltisch, der Nachttisch und sogar der Fußboden war völlig bedeckt mit blauen, grünen oder roten Krystallvasen; eine Masse kleines Spielzeugs aus weißem Holz, Schweizerhäuschen, Kästchen, Papiermesser, Schwarzwälder Uhren vervollständigten diese seltsame Auswahl von Kleinodien. Der Besitzer aller der Wunder aber wandelte unter seiner Habe mit trübseligerem Gesichte umher, als Marius auf den Trümmern von Karthago. Als er den Reisegefährten kommen sah, wäre er ihm beinahe um den Hals gefallen.

»Wahrhaftig, Sie kommen wie vom Himmel gesandt!« sprach er. »Sie haben Geld?«

»Elf Louisdor, zu Ihrem Dienst.«

»Ei, ein Krösus!«

»Finden Sie? Es ist mein ganzes gegenwärtiges und zukünftiges Vermögen.«

»Er hat elf Louisdor, in Baden, und er klagt noch! Mein Lieber, zuvörderst müssen Sie mich zum Mittagessen einladen.«

»Von ganzem Herzen.«

»Nun warten Sie! Ich werde Ihnen dazu den Herzog von S... und den Prinzen D... holen, zwei Freunde von mir, die auch noch nicht gefrühstückt haben. Seien Sie freundlich mit ihnen; es sind zwei Millionäre.«

Meo machte große Augen.

»Sie verstehen das nicht?« fuhr der Pariser fort. »Ich bin nämlich ausgebeutelt, mein Guter, und diese Herren ebenfalls, und noch viele andere, die ich Ihnen nicht vorstellen werde, um Ihre Güte nicht zu mißbrauchen. Die Bank ist seit zwei Tagen ganz wild. Und dazu nehmen Sie: wenn ich vorgestern Abend abgeschoben wäre, nahm ich sechzigtausend Franken ganz reinen Gewinnes mit! Anfänglich spielte ich fortwährend mit Gewinn in allen Farben; eine Reihe Rot, dann eine Reihe Schwarz. Ich hielt tüchtig auf Schwarz, als ich plötzlich, wie durch Eingebung, da Pech wittere; ich ziehe meinen halben Satz zurück, dann kurz entschlossen alles. Knacks! Da macht die Bank eine Schwenkung und rafft alle Einsätze weg. Hatte ich eine gute Nase?! Ich gehe über zum Rot und habe wieder Schwein. Zehnmal hintereinander Rot! Da ich kühn vorging, machte ich Geschäfte und die andern nicht minder; denn alle spielten mir nach; auf Schwarz keine zwei Louisdor. Da schlägt es leider zwölf Uhr, wir brauchten nur noch eine halbe Stunde und die Bank war gesprengt!«

»Ich muß aber bemerken,« unterbrach ihn Meo, »daß ich dieses Spiel gar nicht kenne.«

»Sie werden es alsbald kennen lernen, armer Freund; es ist schrecklich einfach. Ich bin also in mein Zimmer zurückgekehrt, in dies verfluchte Zimmer hier, mit siebzigtausend Franken in Banknoten, Napoleons, Friedrichsdors; es war sogar ein Gulden dabei! Als ich andern Morgens die Augen aufthat, gelobte ich mir, dieses Jahr nicht mehr zu spielen. Ich lief die Verkaufsbuden ab, um mich bei gleichgültigen Einkäufen zu amüsieren. Ich gab den Bettlern Fünffrankenstücke; ich lieh ganze Hände voll den Dämchen, die nichts mehr hatten – eine Geldanlage für nächsten Winter! Ich machte eine Spazierfahrt und die Landschaft erschien mir so wonnig; es kam mir vor, als wenn alle Baumblätter von dem Direktor der Bank Frankreichs gestempelt wären! Ach, warum kehrte ich da nicht nach Frankreich zurück? Ja, warum doch? Sehen Sie, daran sind Sie schuld! Ich hatte Sie ja hierher bestellt! Sie haben mich also ruiniert! Dieser Mann hier kostet mich siebzigtausend Franken! Zehntausend davon bedaure ich nicht; die hatte ich mitgebracht, um sie zu verlieren. Aber die andern sechzigtausend waren mir nicht zugefallen, um verloren zu werden, und warum? ich hatte sie ja eben erst gewonnen! Doch am Ende, wenn Sie mir zu essen geben, stopfen Sie mir den Mund. Ich erwarte auch Geld mit der Post; wir sind hier eine ganze Menge, die nach ihrer Ankunft ausschauen! Aber diese Post versteht ihre Sache nicht; es ist die reine Schneckenpost! Einen Augenblick dachte ich daran, aus dieser gebrechlichen Ware da Geld zu schlagen; aber die Verkäufer wollen sie nur mit fünfundachtzig Prozent Verlust zurücknehmen! Sie bewiesen mir auch, daß all das Zeug häßlich und geschmacklos wäre, und ich gebe ihnen allmählich recht. Wollen Sie ein Schweizerhäuschen haben, mein armer Narni? Wollen Sie eine Kuckucksuhr? Ein Tintenfaß aus blauem Krystall? Sieh, da ist es zerbrochen! Krimskrams! man stößt mit dem Fuße daran und es fällt in Scherben! Nehmen Sie sich in acht, in das Glas zu treten, mein Guter! Spazieren Sie lieber auf die Schweizerhäuschen, das ist ländlicher! Ach, da fällt mir ja Ihre Liebe ein; was macht die niedliche Blonde? Haben Sie den alten Mohikaner zahm gemacht? Ich wette, nein. Sind sie mitgekommen? Ich habe ja fünfundzwanzig Louisdor auf den Kopf des Tigers gesetzt; es wäre sehr liebenswürdig von ihm, wenn er sie mich gleich gewinnen ließe. Ach, ich vergaß! wir haben auch eine Landsmännin von Ihnen im Hotel Royal; sie kennt Sie, ich glaube sogar sehr intim; übrigens redet sie von Ihnen nur Gutes. Ein stolzes Weib! eine leibhaftige Juno! auf dem Turf heißt sie nur die forsche Aurelia. Sie hat in meiner Glückszeit eintausend Thaler gewonnen und ist vernünftig gewesen, sie fest zu halten. Ich habe ihr Ihren Besuch angesagt; gehen Sie nur hin, mein Lieber; so etwas gewährt immer Trost. Die Jäger haben einen Ausdruck für solche Geschichten: in Ermangelung von Drosseln nimmt man mit Elefanten vorlieb. Herrgott! was macht der Mann für ein überirdisches Gesicht! Sollten Sie etwa die Absicht haben, sich in die Luft zu sprengen?«

»Ja,« antwortete Meo. »Ich erwarte nur die Ankunft von Fräulein Bitterlin; sie will freiwillig mit mir sterben.«

»Auf Ehre, der Kerl ist närrisch! Aber was thäten Sie Unglücklicher erst, wenn Sie siebzigtausend Franken verloren hätten?«

»Ich habe zehnmal mehr verloren und das hat mich nicht sonderlich betrübt. Heute ist das ein ander Ding. Mein ganzes Leben ist verfehlt; ich habe auf Erden kein Glück mehr zu hoffen und ich verschwinde.«

»Aber nicht eher, als Sie uns das Mittagessen vorgesetzt haben! Ich will nur meinen Rock anziehen; wir holen die Herren auf dem Wege ab und das weitere findet sich in der Restauration.«

Eine Stunde später hatte Meo die Freunde des Herrn Le Roy in alles eingeweiht. Der junge Herzog und der kleine Prinz trösteten ihn aufs beste, wobei sie die kräftigsten Gerichte der Speisekarte einschlangen. Diese Opfer der Spielwut ergötzten sich höchlich über ihre zeitweilige Armut; nichts ist so spaßig für einen reichen jungen Herrn, als auf ein paar Tage zur Bettelarmut verurteilt zu sein; sie erstickten beinahe vor Lachen und hatten Mühe, das junge Gemüse hinunter zu schlucken. Meos Kummer schien ihnen etwas wichtiger als ihre eigene Not, aber nicht allzuviel. Mittel gegen Liebesverzweiflung kannten sie übergenug, und alle waren unfehlbar. Jeder rühmte die Art der Behandlung, welche er selbst als die sicherste erprobt hatte; aber einstimmig waren alle drei Gäste darin, daß die Bäder in Baden zur Heilung von Herzaffektionen, von der besten Wirkung in der ganzen Welt wären. Meo ließ sie reden und wurde sogar ein wenig angeheitert, als er mit ihnen auf seine eigene Gesundheit trinken mußte; dennoch hätte er bei Aufhebung der Tafel Gift genommen, wäre Emma dagewesen und hätte es mit ihm geteilt. Man bewegte sich dann in den Sälen des Konversationshauses, das heißt in den Spielsälen. Dort sah er eine Masse hübscher Frauen aus allen Ländern und von allen Arten; aber ihm erschien das Leben mit jeder andern Frau weniger anziehend als der Tod mit Emma. Herr Le Roy zeigte ihm das Trente et quarante von ferne und die Roulette in der Nähe.

»Dies ist,« sagte er, »ein unbedeutendes Spiel, belanglos und nur für Kinder, die Zerstreuung nötig haben. Man kann hier den geringsten Satz wagen, so etwa zwei Franken. Man nennt das ein Guldenspiel in der Sprache der Badenser. Erwachsene gehen nur zum Trente et quarante,4 weil die Bank dem Spieler darin mehr Chancen bietet und besonders, weil das Talent des Spielers sich dabei geltend machen kann. Indessen wenn Sie das hier einmal versuchen wollen, so setzen Sie einen Louisdor auf die sechs letzten Nummern, dorthin, halt! quer über die beiden Linien. Gut! die 33 kommt heraus. Sie gewinnen Ihren Satz sechsmal; ich hatte es Ihnen ja gesagt! Nehmen Sie hin! die sechs Louisdor gehören Ihnen. Was meinen Sie von der Roulette? Finden Sie nicht, daß es eine wundervolle Einrichtung ist, wenn man mittels einiger Groschen ein paar Minuten lang allen Kummer vergessen kann? Von dem Augenblick, wo Sie Ihr Geld auf den Tisch gelegt haben, bis zu dem Augenblick, wo der Herr gesagt hat: trente-trois, rouge, impair, passe, haben Sie nicht an Fräulein Bitterlin gedacht, auch nicht an das unaussprechliche Vergnügen, an ihrer Seite in Krämpfen zu sterben. Und diese Zerstreuung, die machtvollste auf der Welt, hat Sie nichts gekostet, hat Ihnen sogar hundertundzwanzig Franken eingebracht! Wundervoll, nicht wahr? Was werden Sie erst sagen, wenn Sie das Trente et quarante geschmeckt haben?«

Meo machte nun unter Anleitung seines Mentor mit dem Trente et quarante Bekanntschaft. Bei diesem allerleichtesten Kartenspiel wunderte er sich nur über die Einfachheit. Er konnte nicht genug staunen, daß man siebzigtausend Franken in einigen Schlägen gewinnen oder verlieren konnte, weil der Bankier 37 Punkte für Rot und 38 für Schwarz aufgelegt hatte. Er spielte, wie man ihn leitete, er gewann, verlor, gewann wieder und blieb so gleichgültig bei Gewinn und Verlust, als wenn Kieselsteinchen auf dem Tische gelegen hätten. Als Mitternacht vorüber war, kam er betrübt in seinen Gasthof zurück, obgleich er einige hundert Franken in der Tasche hatte und seine neuen Freunde ebenfalls. Wozu konnte ihm das Geld dienlich sein? Hatte er nicht sicher genug für die kurze Zeit, die ihm noch zum Leben übrig blieb?

Fräulein Aurelia hatte er wieder vergessen, aber er begegnete ihr am andern Morgen in der Lichtenthaler Allee. Die arme Person stieß einen hellen Schrei aus, einen echten Theaterschrei. Sie lief auf ihn zu und küßte ihn auf beide Backen, ohne Rücksicht auf eine Familie von Engländern, die eben vorbeiging.

»Lieber großer Junge,« sagte sie, »wo kommst du her? wo gehst du hin? bist du nicht vergnügt?«

Er antwortete ihr in sichtlicher Verlegenheit, er wäre gestern Abend angekommen und hätte von ihrer Anwesenheit in Baden erfahren, und sich vorgenommen, ihr eine Visite zu machen.

»Eine Visite!« entgegnete sie. »Du wolltest kommen und mir eine Visite machen, du, der du mein alles gewesen bist! Du bist sehr unartig oder sehr unglücklich geworden! Bist du immer noch unter derselben Flagge gesegelt? Erzählst du mir noch von dem blauäugigen Mädchen? Bei dir hat das Gewitter ja wohl sehr kräftig eingeschlagen, mein armer Bengel?«

»Ja,« sagte er. »Warum mich noch fragen, was ich Ihnen schon vor langer Zeit verkündigt habe? Ich liebe jetzt zum erstenmal in meinem Leben.«

»Danke für die Erklärung. Sie ist also viel netter als wir, natürlich?«

»Ich vergleiche sie mit niemand. Sie ist mehr als hübsch, mehr als schön, mehr als reizend. Sie ist die Anmut und die Schönheit selber, das süße Licht meines Lebens, die ...«

»O, ich schenke Ihnen den Rest. Ich glaubte, Sie hätten so viel Geschmack, ihr Lob vor andern Leuten zu singen, als vor mir. Nun denn! Seien Sie glücklich! ich rede ohne Zorn. Ich kann nicht anders als Ihnen die Kränkung vergeben, die Sie mir angethan haben. Ich bin gar zu schwach gegen Ihr böses Herz. Ich wünsche Ihnen alles Glück!«

»Ich bin aber nicht glücklich, Aurelia, und ich werde es nie sein. Es ist unmöglich, daß ich zu meinem Ziele gelange; es sind unüberwindliche Hindernisse vorhanden.«

»Wahrhaftig? Also übernimmt es eine andere, mich zu rächen? Und an Sie kommt die Reihe des Leidens? Das macht mir keine Freude, Meo, aber ich bewundere wider Willen die himmlische Gerechtigkeit.«

Er antwortete mit kindlicher Einfalt: »O, ich werde nicht lange mehr leiden. In drei oder vier Tagen soll ich in den Tod gehen. Also ...«

Sie fiel ihm empört ins Wort und zeigte eine keineswegs geheuchelte Erregung, Mit blitzschneller Bewegung riß sie Meo eine Strecke seitwärts von der Promenade fort, ließ ihn unter einem Baum niedersitzen und sprach: »Ich will alles wissen. Rede mit mir wie mit deiner Schwester oder Mutter. Fürchte nicht bei mir anzustoßen; ich habe ein starkes Herz. Armer Junge! Welches Weib hat so undankbar sein können, dich in solche Verzweiflung zu stürzen? Ich bin für dich zu allem bereit, ich, die Ungeliebte. Soll ich sie aufsuchen? Deine Fürsprecherin sein? Ach, ich wollte ihr sagen, wie thöricht sie ist, das göttlichste Glück von sich zu stoßen, das ein Wesen unseres Geschlechtes je auf dieser Welt gekostet hat!«

Meo ward gerührt von diesem weiblichen Heroismus, dessen nur eine Italienerin fähig ist. Während er anfangs sich nur auf Verteidigung gerüstet hatte, wurde sein Herz vor Rührung ganz weich. Zwei dicke Thränen rollten aus seinen Augen; schluchzend erzählte er die Geschichte seiner Liebe und den Grund seiner Verzweiflung. Seine alte Freundin hörte ihn an und fragte ihn mit leidenschaftlicher Aufmerksamkeit aus. Zuweilen trieb sie ein egoistisches Gefühl, Bitterlins Strenge Beifall zu zollen; aber rasch umgestimmt, empfand sie wieder Mitleid mit Meos Schmerz. Mehrmals nahm sie seinen Kopf in ihre beiden Hände, um ihm die Thränen von den Augen zu trinken und die Bitterkeit seines Herzeleids zu schmecken. »Um mich hast du nie geweint!« sagte sie. Aber sofort weinte sie mit ihm.

Nachdem sie die ganze Geschichte gehört und aus den verschiedenen Vorfällen sich den Charakter des Hauptmanns klar gemacht hatte, dachte sie eine Weile nach und sagte dann: »Lieber Freund, ich bin zwar nur eine Frau und sogar eine ziemlich gewöhnliche Frau, da ich die Neigung, die ich für Sie hege, Ihnen einzuflößen nicht imstande war. Indessen haben wir Frauen Einsichten in das menschliche Herz, die euch Männern fehlen. Ich glaube richtig zu ahnen, daß Ihr Hauptmann von der Art ist, wie der alte Florentiner, der in meiner Kindheit in unserm Hause wohnte. Er gefiel sich darin, nichts zu thun, was seinen Verwandten, Nachbarn oder Freunden angenehm sein konnte. Je mehr man darauf sann ihm gefällig zu sein, desto mehr ereiferte er sich gegen die Leute, und das einzige Mittel, etwas von ihm zu erlangen, war, ihn als Feind zu behandeln. Er hatte drei Neffen, die ihm seit zehn Jahren um den Bart gingen, um sein Vermögen zu erben; er aber machte sein Testament zu Gunsten eines Richters, der ihn in allen seinen Prozessen verurteilt hatte. Seine Nichte liebte einen jungen Bürger; er verheiratete sie trotz Widerstrebens an einen Witwer, den sie nicht ausstehen konnte. Ihr Hauptmann ist aus demselben Holz geschnitten, wenn ich nicht irre; vielleicht würde er Ihnen seine Tochter geben, wenn er sicher wüßte, damit Sie beide unglücklich zu machen. Wie dem auch sein möge, Sie thaten unrecht, ihn während der Reise zu hätscheln; grade dies war das Mittel, ihn gegen Sie aufsässig zu machen. Wenn Sie jemals noch seine Einwilligung erhalten, so geschieht es nur im Falle, daß Sie sie ihm gewaltsam zu entreißen verstehen. Treten Sie ihm kühn entgegen, bieten Sie ihm die Stirn und zeigen sich schroffer als er selbst; vielleicht ist er durch harten Widerstand zu erschüttern. Zeigen Sie ihm nur Mut und volle Energie; dann bekommt er Furcht. Mein Gott! wie hätte ich mich vor Ihnen gefürchtet, wenn ich ein Mann gewesen wäre!«

Meo führte sie nach ihrem Gasthofe zurück. Ohne recht zu wissen, warum, fühlte er sich ein wenig aufgemuntert; die Zukunft erschien ihm nicht mehr so düster und der Hauptmann nicht mehr so schrecklich. Er nahm sich vor, gegen das Geschick zu ringen, und sich nicht ohne Kampf besiegt zu geben. Ihr, die ihm so viel Hingebung bewiesen, und ihm so viel Mut eingeflößt hatte, spendete er heißen Dank.

»Der Himmel selber hat Sie nach Baden geführt,« sagte er beim Abschiede. Sie antwortete mit italienischer Offenherzigkeit: »Nein, es ist ein alter Buchdrucker, der mich in seinen Schutz genommen hat, Herr Silivergo.«

  1. Wer das Spiel nicht kennt, lese die Vorbemerkung des Übersetzers.

X. Das Spiel

Es war Dienstag am 14. September, als Meo Fräulein Aurelia wiedergefunden hatte. An diesem und den beiden folgenden Tagen sah sich das Freundespaar so ziemlich überall, nur nicht zu Hause. Herr Silivergo, der seinen Schützling in achtungsvoller Entfernung überwachte, war von allen diesen Begegnungen mißgestimmt, aber es gefiel ihm nicht, sich seinem früheren Korrektor erkennen zu geben. Und Meo hielt es seinerseits nicht für angemessen, diesem grämlichen Patron in die Arme zu laufen. Er war jetzt unzertrennlich von Herrn Le Roy und der lustigen Bande der Ausgeplünderten. Diese Herren erhielten Geld geschickt, dann verloren sie es, dann besserten sie durch einige glückliche Schläge ihre Finanzen wieder auf und hielten Fortuna drei Tage lang in Schach. Meo wiegte sich mit ihnen auf dieser Schaukel, er gewann und verlor und lachte über beides. Man fand ihn zu seinem Vorteil verändert und schrieb die Metamorphose Fräulein Aurelia gut. Dagegen wehrte er sich freilich mit kurzem Stocke; er beschwor seine Treue und drohte, Herr Bitterlin sollte es mit ihm zu thun kriegen. Die Geschichte von seiner großen Leidenschaft machte Aufsehen; so gern erzählte er sie. Alle diese jungen Pariser wußten, daß Herr Bitterlin im Anzuge war, und die Legende malte ihn schon wie ein Fabeltier aus. Niemand speiste in der Restauration, ohne auf die Erlegung des wilden Bitterlin anzustoßen. Emma galt als ein mittelalterliches Ritterfräulein, und Meo wurde unter dem Beinamen Eginhard gefeiert. Die Frauen interessierten sich für sein Liebesglück und mehr als eine Krinoline umkreiste ihn mit wohlwollenden Blicken. Der brave Junge erblickte darin nur Begeisterung; er seufzte ganz öffentlich für seine Schöne, wies dem Scheusal von Schwiegervater die Faust und spielte in Erwartung des Feindes Trente et quarante. Er war schon so weit, daß er die Louisdors im Verkehr des Spieles wie sehr bequeme Rechenpfennige betrachtete und ihnen keine andere Bedeutung und keinen andern Wert beimaß. Fortuna, die ja die Leichtsinnigen nicht verachtet, behandelte ihn gut.

Aber der Freitag kündigte sich als ein Unglückstag an. Schon am Morgen traf Trente et quarante Fürsorge, sein Publikum zu rupfen. Ein verteufelter Zufall vereitelte alle wohldurchdachten Pläne und die unfehlbarsten Züge. Rot und Schwarz verloren abwechselnd, ohne alle Ordnung und Regel. Keine Reihenfolge in den Karten, keine mögliche Berechnung in den Plänen der Spieler. Alles ging so gut oder so schlecht, daß die Bank, die fünfzigtausend Franken aufgelegt hatte, sechzigtausend Thaler um sieben Uhr abends vor sich sah. Mister Plum und Mister Wreck, die gerade an dem Morgen angekommen waren, verbissen sich der eine auf Rot, der andere auf Schwarz, und jeder von beiden verlor zehntausend Franken. Meos neue Freunde mußten ihren Erfolg vom vorigen Tage schwer büßen; er selbst gab mit Zinsen zurück, was er in drei Tagen gewonnen hatte. Die neckische Undankbarkeit des Spieles reizte ihn so auf, daß diesen Verliebten, diesen Philosophen, diesen Gleichgültigen ebenso wie alle andern eine Art übler Laune anwandelte. Da stand er an der rechten Seite des Bankiers und warf jedesmal einen Louisdor auf Rot oder Schwarz und dann zuckte er die Achseln, wenn er den Rechen sein Geld wegziehen sah.

Eben hatte man neue Karten gemischt; er hatte eigenhändig abgenommen und ließ seinen letzten Einsatz auf Schwarz fallen, als ein wohlbekanntes Husten ihn veranlaßte den Kopf zu wenden; da stieß er gegen die Nase des Herrn Bitterlin.

Sicher hatte er Zeit gehabt, diese Begegnung vorauszusehen und sich darauf zu rüsten. Noch vor einer Stunde hatte er zu Le Roy gesagt: »Ich werde den Hauptmann zahm machen!« Er hatte sich vorgenommen, seinem Schwiegervater die Stirn zu bieten, wo er ihm auch begegnen möge. Die Gelegenheit war sogar ausgezeichnet und die Herausforderung ungesucht, da ja Bitterlin sich stets gegen das Spiel ausgesprochen hatte. Aber als diese große Nase sich so plötzlich mitten in sein Vergnügen hineinschob, wurde er vollständig aus der Fassung gebracht. Man vergißt nicht augenblicklich den respektvollen Schrecken und den kindlichen Gehorsam von ganzen vierzehn Tagen. Die Reden des Hauptmanns über die Unsittlichkeit des Spieles kamen ihm wieder ins Gedächtnis. Die Gewohnheit des Nachgebens war stärker als alle Entschlüsse der letzten Tage und erschüttert, ja entmutigt schlich er verstohlen davon, wie ein Schüler, den der Lehrer ertappt hat.

Bitterlin war mit dem Sechsuhrzuge angekommen, ganz stramm und geschwollen von Moral. Seit Ablegung seines Glaubensbekenntnisses in Schaffhausen betrachtete er sich beinahe als einen Reformator, der mit einer freiwilligen Mission betraut ist. Er baute schon auf dem Fundament seiner Tugendhaftigkeit ein ganzes Luftschloß auf. Wie Herkules, der Bändiger der Ungeheuer, wollte er die Hydra des Spieles zerschmettern, unter dem Jubel der ehrenwerten Familien. Sein Wort und sein Beispiel sollte die Glücksspieler zu Hunderten bekehren, und die Spielpächter sogar sollten kommen und den Kultus der Million in seine Hände abschwören. Kaum, daß er sich die Zeit zum Umkleiden nahm und seine Tochter ins Zimmer einschloß. Er ließ sich den Weg zum Konversationshause zeigen und trat hinein, ebenso entschlossen, wie bei Corneille Polyeukt und Nearch in den Jupitertempel.

Der erste Heide, den er auf seinem Gange antraf, war Herr Le Roy im Kreise seiner Freunde. Der junge Mann rief ihn beim Namen und sagte: »Beeilen Sie sich mit Ihrem Spiele, damit ich meine fünfundzwanzig Louisdor gewinne!« Er antwortete, indem er sich in seiner schwarzen Halsbinde aufblähte: »Sie sollen mehr als fünfhundert Franken gewinnen, indem ich Sie lehre Ihre Leidenschaft zu bezwingen und dem Kartenspiel zu entsagen.« Er schritt weiter und hielt nur an, um vor Herrn und Frau Möhring, die Roulette spielten, mitleidig die Achseln zu zucken. Die Nachricht von seiner Ankunft hatte sich durch die Freunde von Le Roy rasch in den Sälen verbreitet. Aller Augen richteten sich auf ihn; zweihundert Personen wiesen auf ihn mit Fingern, folgten ihm nach und prüften sein Aussehen; man ging ihm entgegen, um ihn besser in der Nähe zu betrachten. Er aber ging einher im Prozessionsschritt, wandte den Kopf nach rechts und links und murmelte in den Bart: »Mir scheint, sie sind nicht gewohnt, Männer von Grundsätzen zu sehen.« Da erkannte er Meo und stellte sich hinter ihm auf, um ihm ein böses Kompliment zu machen, sobald er sich umdrehen würde. Bei der schimpflichen Flucht des armen Burschen brach er in eine Lache aus: »Faules Obst!« sagte er; »das hat nicht einmal den Mut, sein Laster zu bekennen! Sieh da! er hat seine zwanzig Franken vergessen. Zwanzig Franken auf einen Wurf! Wären zweihundert Pfund Kommißbrot!« Er kam in Versuchung, den Louisdor aufzuheben, um ihn Meo zurück zu geben, aber ein kleines Bedenken hielt ihn davon ab. Er besaß jenes plumpe Zartgefühl, das die Achtung vor fremdem Gute bis ins Lächerliche übertreibt. Übrigens nahm er sich vor zu lachen, wenn der Rechen des Croupiers das Geld einscharren und den Spieler damit strafen würde. Diese Freude hatte er aber nicht beim ersten Schlage: Schwarz gewann und Meos Louisdor bekam einen Gefährten von derselben Sorte.

»Na nun? und dann?« dachte der Hauptmann. »Mein großer Schlingel wird erst beim zweiten Wurfe verlieren!« In dieser Hoffnung stützte er sich mit den Ellbogen auf den grünen Teppich. Aber der zweite Schlag war gerade wie der erste günstig für Schwarz. Der Hauptmann sah jetzt achtzig Franken vor sich.