Ein Neger, den ich am Hofe des Königs Ruoma traf, ist meiner Anregung gefolgt und hat sich von dem Herrscher des Landes Kitara den Auftrag geben lassen, Deutschland zu bereisen. Lukanga Mukara ist, wie sein Name sagt, ein Mann, der von der Insel Ukara im Viktoriasee stammt. Er ist frühzeitig von der übervölkerten Insel nach der Nachbarinsel Ukerewe ausgewandert und hat dort bei den »weißen Vätern« lesen und schreiben gelernt. Dann ist er auf einer Reise dem Pater, den er begleitete, entlaufen und bei Ruoma, dem König von Kitara, geblieben, wo er als Dolmetscher, Erzähler und Gerichtsberater seine reichen Kenntnisse verwertete. Dort lernte ich ihn kennen.
Die Briefe des Lukanga haben einen besonderen Wert. Der fremde Mann legt an die Zustände in Deutschland seinen Maßstab. Was uns gewohnt erscheint, fällt ihm auf. Seine Beobachtungsgabe und die Nacktheit seines Urteils bringen es mit sich, daß er bedeutend über Dinge sprechen kann, denen wir selbst gar nicht einmal unbefangen gegenüberstehen können.
Hans Paasche
Omukama! Großer und einziger König!
Ich schreibe Dir als Dein gehorsamer Diener, den du aussandtest, zu sehen, ob es einen König gebe, der Dir gleiche und ob ein Land sei, das, von Menschen bewohnt, den Menschen mehr zu bieten habe als Dein Land, Kitara, das Land der langhörnigen Rinder.
Laß mich die Antwort auf diese Fragen gleich vorwegnehmen: es gibt kein solches Land, es gibt keinen solchen König.
Was ich auf meiner weiten Reise sah, ist aber wert, daß Du es wissest, und wenn ich gesund heimkehre, kann ich es Dir auch selbst erzählen, und du erfährst es dann genauer, als wenn Dir Ibrahimu, der Mann von der Küste, meinen Brief alleine, und, wenn es Dein Wille ist, noch öfter im Kreise Deiner Wakungu (=zum Hofdienst befohlene Adlige) vorliest.
Als du mir zu reisen befahlst und mir aus Deinem weiten Reiche zwölfhundert marschfähige Rinder und zweitausend Ziegen mitgabst, damit ich bezahlen könne, was meine Reise im fremden Lande koste, da wußte Niemand, daß ich schon jetzt, nach zwei Monden, kein einziges Deiner blanken Rinder mehr bei mir haben würde, und daß ich trotzdem, dank Deinem Reichtum und Deiner Macht nicht Not leiden würde.
Ich habe schon am großen See der Wasukama alle Deine Rinder und Ziegen gegen Metallstücke eingetauscht und diese Metallstücke wieder gegen ein beschriebenes Papier. Damit bin ich dann alleine weitergereist, und wo ich das Papier zeige, da bekomme ich die Münze, die ich gebrauche, um Nahrung zu kaufen. So mächtig wirkt Dein Name.
Wisse: das Land, in dem ich jetzt reise, heißt Deutschland. Die Eingeborenen des Landes bezahlen nicht mit Rindern und Ziegen, auch nicht mit Glasperlen oder Kaurimuscheln oder Baumwollstoff; kleine Metallstücke und buntes Papier ist ihre Münze, und das Papier ist wertvoller als das Metall. Es gibt ein braunes Papier, das ist mehr wert als eine ganze Zahl Deiner Rinder. Es ist etwa so, als wenn man am Sabinjoberge vier tragende Kühe für einen geflochtenen Grasring kaufen könnte. (Dabei weiß doch jeder Hutu [= Ackerbauer], daß man für zwanzig Grasringe noch nicht so viel Brennholz bekommt, wie eine Familie gebraucht, um sich in der Regenzeit eine warme Nacht zu gönnen!) Ich glaube, Dein Gesicht zu sehen, wie Du lachst über den Unsinn, den ich Dir aus Inner-Deutschland erzähle. Aber, großer König, eins muß ich Dir jetzt immer wieder sagen: Die Eingeborenen des Landes empfinden diesen und noch viel größeren Unsinn als etwas Selbstverständliches, und sie sind so sehr daran gewöhnt, daß sie erschrecken würden, wenn es anders wäre. Ja, wenn ich ihnen sage (ich spreche die Eingeborenensprache schon ganz gut), daß wir in Kitara mit anderer Münze zahlen, dann sagen sie, was sie hätten, sei besser, und fragen, ob sie kommen sollten und Dir das Bessere bringen. Sie nennen alles, was sie bringen wollen, mit einem Worte: »Kultur«. Da aber Niemand etwas Besseres bringen kann, als er hat, und da mir das, was diese »Menschen« (so nennen sie sich in vollem Ernst!) haben, nicht gefällt, so antworte ich jedesmal, du ließest »bestens danken«. Das ist nämlich der Ausdruck, den sie anwenden, wenn sie sagen wollen, was in unserer Sprache heißt: »Nein, ich will nicht!«
Herr der Berge, du zürnst mir vielleicht, weil ich die hundert schnellfüßigen Boten und ihre hundert Briefbegleiter im Walde von Bukome, an der Grenze Deines Reiches zurückließ. Das mußte ich tun, wenn ich überhaupt weite Länder und Meere durcheilen und in dies Land kommen wollte. Ich mußte von dem Plan abstehen, für jeden Brief, den ich Dir schreibe, einen Boten und einen Briefbegleiter mitzunehmen. Denn man hält es hier ganz anders mit Briefen als in Deinem Lande. Bei Dir gilt es als Gesetz, das jeder kennt: es darf nur ein Brief an einem Tage in Deiner Stadt eintreffen. Diesen bringt ein Bote, und ein anderer begleitet ihn, denn einer alleine kann nicht Briefbote sein. Wenn die beiden den Ruhiga überschritten haben, dann eilt ihnen die Kunde des Kommens voraus, und man weiß es bald darauf in Deiner Residenz. Und wenn sie endlich, nach Tagen, über den Hochpaß von Kibata hinabkommen, dann folgt ihnen eine vielköpfige Schar hochgewachsener Jünglinge, und die Trommler und Bläser ziehen den Abhang vor Kabares Hof hinab, ihnen entgegen.
Was bedeutet dagegen in diesem Lande ein Brief! Nichts! Und das darf uns nicht wundernehmen; denn in Deutschland gibt es Briefe, so viele wie Gras auf den Viehweiden von Mpororo. Ein einziger Bote trägt hundert Briefe auf einmal, ja jeder einzelne Mann darf Briefe bekommen, und mancher bekommt viele auf einmal. Ich sehe selten, daß jemand durch das Lesen all der Briefe zufriedener werde oder schlechter gestimmt. Und wenn er über den einen Brief traurig wird, so greift er schnell zum nächsten, über den er froh wird, und wenn er alle Briefe fertig gelesen hat, dann weiß er nicht, ob er froh oder traurig sein soll. Nur müder ist er geworden. Und unlustiger, den Acker zu hacken, das Vieh zu hüten. Wenn er überhaupt Acker und Vieh zu verwalten hat.
Du siehst schon, es ist unglücklich, dieses Volk, doch laß mich heute nicht nach den Ursachen fragen. Ich will Dir auch in den nächsten Briefen nur schildern, was ich sehe, und will erst viel später meine Schlüsse ziehen. Noch vieles habe ich Dir zu schreiben.
Riangombe, der über dem Feuerberge wohnt und mit Schnee seine Füße kühlt, schütze Dich und mich, Deinen Diener Lukanga Mukara
Leuchtender Kigeri!
Ich bin an einem Platze, der einsam ist. Hügel mit Büschen umgeben mich. Ein See liegt zwischen hohen Bäumen, im Schilf seiner Ufer schwimmen Enten. Im flachen Wasser stehen Kraniche, und hoch in der Luft fliegen zwei Störche, die jetzt gerade aus Kitara herübergekommen sind, wo sie die Zeit zubrachten, in der es hier bitter kalt ist und Schnee und Eis mannshoch auf dem Lande liegen, wie Du es kennst von dem Gipfel des Karissimbi. Das wilde Getriebe der Städte dringt nicht hierher, und ich könnte mir denken, ich sei in Kitara, am Ufer des Ruhiga, an den weiten Buchten des Urigi, wo der Schrei der Kronenkraniche weithin ertönt, wenn sie mit langsamem Flügelschlage über die reifen Kornfelder dahinfliegen. Es ist derselbe Schrei, den ich hier höre. Der Vogel aber sieht anders aus: ihm fehlt die buschige Krone, fehlt die weiße Brust. Bronzerot schimmert dennoch sein Hinterhaupt. Hierher bin ich gegangen, weil ich wirr wurde im Kopfe über das Neue und Widersprechende, was ich in diesem fremden Lande sah, und weil ich Ruhe haben wollte vor dem Lärm.
Strahlender Fürst! Wenn ich unter den Tausenden engbekleideter Wasungu (= Europäer) einherging oder nachts aus Träumen erwachte, dann war mir oft, als hätte ich Pombe getrunken. (Wie einst, als mir Ibrahimu noch nichts von seiner Lehre gesagt hatte, die den Rausch eines Menschen für unwürdig hält.) Über diesem Lande liegt etwas, wie ein großer Trug. Man sagt in Kitara: wo zwischen den Bergen Rauch aufsteigt, da sei eines Wanderers Ziel, denn da gibt es Wärme und warme Speise. Ein Handwerker brennt Schnitzwerk aus, die Eisenschmelzer sitzen in freier Luft an den Blasebälgen oder ein Schmied schmiedet Speerspitzen, Hacken und Nadeln. Drum ist dort ein reges Leben, und viele Menschen kommen und freuen sich über die Kraft und Kunst, die dem Volke innewohnt. Wenn ein Schmied von der Arbeit aufsteht, dann rühmt man die breiten Schultern fast mehr als die geschickten Hände.
In Deutschland ist sehr viel Rauch. Aber das ist kein Rauch, der eines Wanderers Augen auf sich zieht, der die Schritte beschleunigt oder das Herz höher schlagen läßt. Es ist kein Rauch in frischer Luft; es ist Rauch im Dunst, ja Rauch im Rauch. In langen, steinernen Röhren wird er zum Himmel geleitet. Aber der Himmel will ihn nicht, und so liegt er wie ein Frühnebel über der Erde. Und wenn er, als eine dicke, atemraubende Masse überallhin fließt, wie soll man irgendwohin eilen, sich seines Ursprungs zu freuen! Im Gegenteil: wer sich die Lungen nicht mit Rauch füllen lassen will, flieht die Plätze, an denen die vielen Eingeborenen zusammenwohnen, flieht auf das Land hinaus, wo die Luft noch rein und frisch ist. Denn unerträglich ist die Luft, die die Wasungu sich gewöhnen einzuatmen. Sie lieben es, zur Arbeit, zum Vergnügen, zum Unterricht, ja zum Gottesdienst in geschlossenen Räumen beisammen zu sein. Stundenlang. Jeder atmet Luft, die schon ein anderer geatmet hat. Dahinein mischt sich Rauch, Dunst und Essensgeruch. Es müssen viele von ihnen krank sein. Ich weiß das nicht; denn ich sehe nur gesunde Leute in den Straßen und glaube, daß sie die Kranken an einen anderen Platz schaffen.
Ich ging einem großen Rauch nach und kam in einen Trupp von Leuten, die denselben Weg gingen. Es waren Männer und Frauen, die alle nicht froh aussahen. Ich fragte einen jungen Sungu, weshalb er so schnell gehe, ob es da, wo er hingehe, etwas Schönes zu sehen gebe? Er lachte spöttisch und unfreundlich und sagte, er gehe zur Arbeit, und wenn er zu spät komme, schelte »der Alte«. Und der Eilige hatte nicht Zeit, mit mir weiter zu sprechen.