Vorrede

Vorrede

Für Seelen, die irgend ein Verhältniß in ihrer irrdischen Laufbahn in die Vorzeit zurückzieht, die nicht ganz dem Loose entsprechen können, welches ihnen hier zu Theile wurde, ist dieses geschrieben.

Wenn der Kunstrichter, wenn der aufgeklärtere Freygeist es Schwärmerey nennt, so bedenke er, daß unter den Millionen, die um ihn weben, Millionen eben so freye Wesen sind, die ein selbstständiges Ich eben so gut wie er ausmachen, und deren Meynung, deren innere Gefühle er weder zu beurtheilen noch zu lenken berechtiget ist. Mit mir Fühlende werden es nicht so finden, werden den Geist, der in diesen Blättern liegt, entdecken, und Nahrung für Gefühle darin finden, die, wenn andre sie nicht kennen, gerade den größten Werth für den besitzen, dem sie Bedürfniß sind.

Die Verfasserin

Das höfliche Gespenst

Das höfliche Gespenst

Wenn wir die Zeiten der Vergangenheit überdenken, und uns ihre blutigen Schlachten, ihre fürchterlichen Kriege Schaudern erregen, so verweilt unsere bebende Fantasie mehrentheils bey brennenden Städten, öden Landstrichen, und unter der grauenvollen Stille todtenreicher Gefilde. – Ach! schrecklich ist dieses Gemählde, und ganz des Schmerzes werth, den gewiß jedes Menschen Herz dabey empfindet. Wir vergessen unter dem schrecklichen Geräusch der Waffen; wir hören vor dem Röcheln der Sterbenden nicht das doppelte Sterben derer, die um die lieben nie Wiederkehrenden jammern, fern von der Erde, die ihr Blut trank – ach! wie viel glücklicher sind sie zu nennen, die im Getümmel des donnernden Geschützes sanken, gegen die, welche zwischen Furcht und Hoffnung mit schmerzlichem Herzklopfen die Todespost tausendmahl hören – die sie, wenn sie nun endlich kömmt, doch so ganz unerwartet niederwirft!

Wie viel unaussprechlich heiße Thränen netzten die Wahlstatt des dreißigjährigen Krieges? Wie viel Söhne, die letzte Stütze sinkender Mütter – wie viel Gatten der liebenden Weiber – wie viel Väter derer ohne sie dem Hunger und Verderben überlassenen Kinder würgte das fürchterliche Schwerd, welches so viele Jahre wüthete? Wir lesen die Gräuel dieses Kriegs, staunen den großen blutigen Umriß an, den sein Elend zog – aber wir sehen nur Leichen und Verhehrung – die Thränen, den Jammer der Unglücklichen, die die Gefallenen überleben mußten, wo das kalte Schwerd des Feindes die schönsten Bänder von Lieb und Freundschaft, Dankbarkeit und süßer Anhänglichkeit zerschnitt – die Klagen derer werden für der lauten Wuth des Ungeheuers nicht gehört – hier und da trägt die Sage wohl noch einen Nahmen der überbliebenen Bedaurungswürdigen; aber erst dann fing man an, in ihre Leiden zu weinen, wann ihre Thränen schon lange von der Hand des Todes getrocknet waren, sie in der kühlen Erde ihren heisen Jammer vergessen hatten; und oft muß noch dieses Andenken durch jene oder diese Sage, weit ferner unserm Herzen liegend, aus der dunkeln Vergangenheit gerufen werden. Auch diese kleine Geschichte, welche wir heute unsern Lesern erzählen wollen, ist ein Beweis, daß die herzlichsten Gefühle, die Nahmen der weichgeschaffnen Menschen oft nur darum nach Jahrhunderten genannt werden, weil sie sich an eine wundervolle Legende schmiegen, die mehr unsere Fantasie als unser Herz beschäftigt.

Katharina von Hartig, eine Anverwandte des großen Grafen von Turn, verlor ihren Verlobten, einen Freyherrn von Lichten, in jenen blutigen Tagen, die Prag sah; er starb unter den Fahnen des alten Turns, und dieser große Mann, gewohnt an Tod und Thränen der Überbliebenen, mußte selbst sich vorbereiten, um die schonendsten Worte zu wählen, seiner Verwandten den Tod, den rühmlichen Tod für Freyheit ihres Verlobten, zu verkünden. Er wußte, so wie der ganze große Cirkel, in dem sie ihrem Range gemäß lebte, daß Katharina nur in Lichten athmete, und sein letztes Gebet nannte Katharina. Schwerer war es dem liebenden Helden, von ihr zu scheiden, als von einer Welt, die ihm alle ihre Freuden bot. – Wie lange die Bedauernswürdige im dumpfen Bewußtseyn brütete, welche Tröstungen stark genug waren, ein längeres Leben zu ertragen, ist uns unbekannt: ihr Entschluß zeigt, daß die liebe Trauernde ihren Schmerz liebgewann, daß vermuthlich der Gedanke einer endlichen Wiedervereinigung in Fluren voll Ruhe, wo kein Blut, keine Thräne mehr fließt, ihr schönster Tröster ward.

Vielleicht vermuthen manche meiner Leser, wenn sie an diese Stelle kommen, daß Katharina den Schleyer wählte, weil ein Kloster zu damaligen Zeiten gewöhnlich der Zufluchtsort so mancher Leidenden wurde, aber Katharinens Schmerz, sagt unsere Urkunde, war nicht von jener stillen Art, der sich im Kloster verweint. Die einzige Linderung ihrer Leiden gab ihr der Gedanke an ermüdende Spaziergänge – ihr war das große Prag zu enge, wie hätte sie in einem Kloster ausdauern können? Als Nonne war es Pflicht, ihre irrdische Liebe Gott zu opfern, und eben das Lieben dieser Liebe war ihr mehr, als der Gedanke des ewigen Himmels. Ihre kranke Seele suchte Mitgefühl – heischte Thränen – wollte hören, daß alles, was um sie athmete, ihren Verlust empfinden sollte. Wie hätte sie sich in kalte Mauern verschließen können, wo so selten warme Herzen schlagen? Ihre liebende Fantasie hörte in den Wellen der Moldau Klage um ihren Verlust – die Abendlüfte in den Wäldern nannten ihr den lieben Verstorbenen – jede Grille war ihr verwaist, wie sie – trauerte, wie sie – und das melancholische Lied des kleinsten Vogels sang das Grablied ihrer Liebe. Katharina warf sich an den Busen der immer gütigen tröstenden Natur. – In ihrem stillen Schoß, in ihrem freyen Heiligthum fand auch sie eine Art wehmüthiger Ruhe. Längst moderte Lichten, längst waren viele von seinen Nachfolgern ein Raub der Verwesung – viel Wittwen weinten – viel Wittwen trösteten sich am Arm neuer Geliebten und wir finden unsere Heldin eben erst stark genug, ihren Freunden den Entschluß, Prag auf lange zu verlassen, bekannt zu machen. Nur wenig fühlende dieser Freunde waren klug genug, ihren Entschluß zu billigen – die größere Anzahl nannte ihn überspannt – Schwärmerey – und es wurde mancher Gemeinspruch, als: sie ist nicht die erste, und nicht die letzte, welche einen Todten beweint; oder: man muß nicht muthwillig die lindernde Zerstreuung von sich stoßen – die Lebendigen sind besser, als die Todten – hin ist hin – und was dergleichen liebe anwendbare Sprüchleins sind, abgehandelt. Am meisten war Katharina dem Achselzucken und Spötteln derer ausgesetzt, die sich in weit kürzerer Zeit, als sie, über den blutigen Tod ihrer Männer und Geliebten getröstet, ob sie gleich in den ersten Tagen ihres Verlustes lauter geweint und betheuert hatten, daß für sie Himmel und Erde keinen Trost hätte. Die stille, kluge, wirklich Betrübte, ließ sie reden, und ihr Spott fand keinen Eingang in ihr Herz, das ganz mit ihrer Trauer erfüllt war, sie dankte ihren bessern Freunden für den Beifall, welchen sie ihrem Plane gaben, verkaufte alles, was sie in Prag besaß, und entließ ihre Dienerschaft, bis auf einige wenige, mit reichen Geschenken, weil sie keine in ihre Einsamkeit mitnehmen wollte, die nicht für Mitleid und Stille geschaffen schienen. Einige Stunden vor ihrer Abreise nahm sie Abschied von wenigen Freunden, und trug ihrem gewesenen Haushofmeister auf, sein letztes Amt zu verrichten, welches darin bestand, daß er einige Stunden nach ihrer Abreise allen Bekannten ihren Abschied mit dem gewöhnlichen Wörterschmuck der Höflichkeit melden sollte.

Katharine schien freyer zu athmen, als sie die hohen dumpfen Mauern des unruhigen, seit kurzem mit so viel vergoßnem Blut befleckten Prags verlies. – Sie sah die grüne Saat, und ein Blick voll Hoffnung hing an dem blauen wolkenlosen Himmel; dort fand sie ihn wieder – sie hörte süße Ahndung des baldigen Wiedersehns in den wehenden Zweigen jede schmeichelnde Luft, die ihren verweinten Augen wohl that, war ihr das Schweben ihres Geschiedenen. So mischte die sanfte Schwärmerin Zukunft und Gegenwart, Jenseits und Hier, geistiges und Körpergefühl, so fein, so lieblich, daß ihr Zustand erträglich wurde, und ihr wieder Augenblicke ließ, wo sie auch diese blumigten Erdenfluren schön nannte. Freylich waren es nur Augenblicke, und selten waren auch diese, denn bey jeder Blüthe preste ihr das Bewußtseyn Thränen aus: er gab mir einst schönere Blumen, denn er pflückte sie für mich; jede romantische Stelle wurde ihr durch das Gefühl melancholisch: Wie wären wir hier glücklich gewesen! Die junge Sonne erinnerte sie an die schönen Morgen, mit ihm bewundert, und in der Abendröthe dachte sie oft an das blutige Bett, auf dem er starb, der ihr sonst die Natur verschönte.

Wenige Meilen von Prag, in einer stillen, waldigen Gegend am Ufer der Moldau, lag ein kleines Landhaus, welches in den glücklichen Tagen unserer Katharine selten besucht wurde; eine alte freudenlose Tante hatte es ihr nach ihrem Tode geschenkt, weil das gute theilnehmende Mädchen oft Monate ihrer jugendlichen Freuden, die grämlichen Tage der alten Kranken zu erheitern, verschwendete. – Sie starb, und kaum wußte sie ihre Nichte im Schooß der ruhigen Erde, so übergab sie ihr kleines Eigenthum dem ersten besten Pachter, und eilte von einem Orte, der ihr von nichts als tiefer unangenehmer Stille und Langeweile sprach. – Ach! sie wußte nicht, daß sie einstens so sehr elend werden könnte, daß ihr von der ganzen lachenden Welt nichts übrig bleiben sollte, als dieser öde Winkel, wo sie ungestört weinen dürfte: – hier wußte sie gewiß, kömmt kein Glücklicher hin – und hier spricht keine Stelle von einer lächelnden Zeit. – Ihre Tage gingen ihr ziemlich ruhig dahin, denn die Scenen der Natur wurden ihre sanften Tröster. Ihre Harfe, ihre Bücher, Besuche in der nahen Kapelle, und die wenigen Briefe, welche sie ihren Freunden beantworten mußte, füllten ihre Stunden.