Berthold's erstes und zweites Leben

Die Kronenwächter


Einleitung Dichtung und Geschichte

Wieder ein Tag vorüber in der Einsamkeit der Dichtung! Die Glocke läutet Feierabend, und die Pflüger ziehen heim mit dem Gespann, führen und tragen behaglich die Kinder, die ihnen entgegen gegangen, und freuen sich ihrer Mühe in der Ruhe. Der Pflug ruht nicht verlassen auf der letzten Erdscholle, die er überstürzte, denn notwendig wie die Sonnenbahn scheint der Bedürftigkeit sein Furchenzug und ein heilig strenges Gesetz bewacht ihn in der Nacht gegen Frevel. Am Morgen setzt der Pflüger seinen Weg ohne Störung fort, mißt nach der Länge seiner Furchen den trüben Morgen, wie er die helle Mitte des Tages an seinem eignen Schatten zu ermessen versteht, und teilt nach seinen Morgenwerken die Erdfläche in festbegrenzte Morgen, wie er nach dem Tagewerke der Sonne die unendliche Zeit in Stunden teilt. Die Sonne und der Pflüger kennen einander und tun beide vereint das Ihre zum Gedeihen der Erde. Fest fortschreitend, von allen geschätzt und geschützt, sehen wir die Tätigkeit, die sich zur Erde wendet; sie ist auch dauernd bezeichnet und gründet, so lange sie sich selbst treu bleibt, mit unbewußter Weisheit das Rechte, das Angemessene, im Bau des Ackers, wie des Hauses, in der Beugung des Weges, wie in der Benutzung des Flusses. Die Zerstörung kommt von der Tätigkeit, die sich von der Erde ablenkt und sie noch zu verstehen meint. Aber nach Jahrhunderten der Zerstörung erkennen die einwandernden Anbauer des Walds mit Teilnahme die Unvergänglichkeit der Ackerfurchen und Grundmauern untergegangener Dörfer und achten sie als ein wiedergefundenes Eigentum ihres Geschlechts, das der Gaben dieser Erde nie genug zu haben meint. Gleichgültig werden daneben die aufgefundenen Werke des Geistes früherer Jahrhunderte als unverständlich und unbrauchbar aufgegeben, oder mit sinnloser Verehrung angestaunt. Das Rechte will da errungen sein, und wie die eine Zeit ihre geistigen Gaben über alles schätzt und zusammenhält, so meint eine andere, alles schon selbst im Überflusse zu besitzen und läßt es zu, daß die Sibylle ihre heiligen Bücher verbrennt, um ihr nicht Dank und Lohn geben zu müssen. Wer mißt die Arbeit des Geistes auf seinem unsichtbaren Felde? Wer bewacht die Ruhe seiner Arbeit? Wer ehrt die Grenzen, die er gezogen? Wer erkennt das Ursprüngliche seiner Anschauung? Wer kann den Tau des Paradieses von dem ausgespritzten Gifte der Schlange unterscheiden? Kein Gesetz bewacht Geisteswerke gegen Frevel, sie tragen kein dauerndes, äußeres Zeichen, müssen in sich den Zweifel dulden, ob böse oder gute Geister den Samen ins offene Herz streueten; ja die anmaßende Frömmigkeit nennt oft böse, was aus der Fülle der Liebe und Einsicht hervorgegangen ist. Der Arbeiter auf geistigem Felde fühlt am Ende seiner Tagewerke nur die eigene Vergänglichkeit in der Mühe und eine Sorge, der Gedanke, der ihn so innig beschäftigte, den sein Mund nur halb auszusprechen vermochte, sei wohl auch in der geistigen Welt, wie für die Zeitgenossen untergegangen. Diese härteste aller Prüfungen öffnet ihm das Tor einer neuen Welt. Indem er diese geistige Welt gleich der umgebenden als nichtig und vergänglich aufgibt, da fühlt er erst, daß er nicht hinaus zu treten vermag, daß sein ganzes Wesen nicht nur von ihr umgeschlossen, sondern, daß sogar außer ihr nichts vorhanden sei, daß kein Wille vernichten könne, was der Geist geschaffen. Darum sei uns lieb diese träumende Freude und Sorge aller schaffenden Kräfte als ein Zeichen der höheren Ewigkeit, in die sich der Geist arbeitend versenkt und der Zeit vergißt, die immer nur weniges zu lieben versteht, alles aber fürchten lernt und mit Ängstlichkeit dingt, was mitteilbar sei, oder was verschwiegen bleiben müsse. Das Verschwiegene ist darum nicht untergegangen, töricht ist die Sorge um das Unvergängliche. Aber der Geist liebt seine vergänglichen Werke als ein Zeichen der Ewigkeit, nach der wir vergebens in irdischer Tätigkeit, vergebens in Schlüssen des Verstandes trachten, auf die uns der Glaube vergebens eine Anwartschaft gäbe, wenn sie nicht die irdische Tätigkeit lenkte, das Spiel des Verstandes übte, und dem Glauben aus der tätigen Erhöhung in Anschauung und Einsicht beglaubigt entgegen träte. Nur das Geistige können wir ganz verstehen und wo es sich verkörpert, da verdunkelt es sich auch. Wäre dem Geist die Schule der Erde überflüssig, warum wäre er ihr verkörpert, wäre aber das Geistige je ganz irdisch geworden, wer könnte ohne Verzweiflung von der Erde scheiden. Dies sei unserer Zeit ernstlich gesagt, die ihr Zeitliches überheiligen möchte mit vollendeter, ewiger Bestimmung, mit heiligen Kriegen, ewigen Frieden und Weltuntergang. Die Geschicke der Erde, Gott wird sie lenken zu einem ewigen Ziele, wir verstehen nur unsere Treue und Liebe in ihnen und nie können sie mit ihrer Äußerlichkeit den Geist ganz erfüllen. Die Erfahrung müßte es wohl endlich jedem gezeigt haben, daß bei dem traurigsten, wie beim freudigsten Weltgeschicke ein mächtigeres Gegengewicht von Trauer und Freude uns selbst verliehen ist, daß sich alles in der Kraft des Geistes überleben läßt und in seiner Schwäche uns nichts zu halten vermag. Es gab zu allen Zeiten eine Heimlichkeit der Welt, die mehr wert in Höhe und Tiefe der Weisheit und Lust, als alles, was in der Geschichte laut geworden. Sie liegt der Eigenheit des Menschen zu nahe, als sie den Zeitgenossen deutlich würde, aber die Geschichte in ihrer höchsten Wahrheit gibt den Nachkommen ahndungsreiche Bilder und wie die Eindrücke der Finger an harten Felsen im Volke die Ahndung einer seltsamen Urzeit erwecken, so tritt aus jenen Zeichen in der Geschichte das vergessene Wirken der Geister, die der Erde einst menschlich angehörten, in einzelnen, erleuchteten Betrachtungen, nie in der vollständigen Übersicht eines ganzen Horizonts vor unsre innere Anschauung. Wir nennen diese Einsicht, wenn sie sich mitteilen läßt, Dichtung, sie ist aus Vergangenheit in Gegenwart, aus Geist und Wahrheit geboren. Ob mehr Stoff empfangen, als Geist ihn belebt hat, läßt sich nicht unterscheiden, der Dichter erscheint ärmer oder reicher, als er ist, wenn er nur von einer dieser Seiten betrachtet wird; ein irrender Verstand mag ihn der Lüge zeihen in seiner höchsten Wahrheit, wir wissen, was wir an ihm haben und daß die Lüge eine schöne Pflicht des Dichters ist. Auch das Wesen der heiligen Dichtungen ist wie die Liederwonne des Frühlings nie eine Geschichte der Erde gewesen, sondern eine Erinnerung derer, die im Geist erwachten von den Träumen, die sie hinüber geleiteten, ein Leitfaden für die unruhig schlafenden Erdbewohner, von heilig treuer Liebe dargereicht. Dichtungen sind nicht Wahrheit, wie wir sie von der Geschichte und dem Verkehr mit Zeitgenossen fordern, sie wären nicht das, was wir suchen, was uns sucht, wenn sie der Erde in Wirklichkeit ganz gehören könnten, denn sie alle führen die irdisch entfremdete Welt zu ewiger Gemeinschaft zurück. Nennen wir die heiligen Dichter auch Seher und ist das Dichten ein Sehen höherer Art zu nennen, so läßt sich die Geschichte mit der Kristallkugel im Auge zusammenstellen, die nicht selbst sieht, aber dem Auge notwendig ist, um die Lichtwirkung zu sammeln und zu vereinen; ihr Wesen ist Klarheit, Reinheit und Farbenlosigkeit. Wer diese in der Geschichte verletzt, der verdirbt auch Dichtung, die aus ihr hervorgehen soll, wer die Geschichte zur Wahrheit läutert, schafft auch der Dichtung einen sichern Verkehr mit der Welt. Nur darum werden die eignen unbedeutenden Lebensereignisse gern ein Anlaß der Dichtung, weil wir sie mit mehr Wahrheit angeschaut haben, als uns an den größern Weltbegebenheiten gemeinhin vergönnt ist. Das Mittätige und Selbstergriffene daran ist gewiß mehr hemmend als aufmunternd, denn Heftigkeit des Gefühls unterdrückt sogar die Stimme, weil diese sie zum Maß der Zeit zwingt, wie viel weniger mag sie mit der trägen Pflugschar des Dichters, mit der Schreibfeder zurecht kommen. Die Leidenschaft gewährt nur, das ursprünglich wahre, menschliche Herz, gleichsam den wilden Gesang des Menschen, zu vernehmen und darum mag es wohl keinen Dichter ohne Leidenschaft gegeben haben, aber die Leidenschaft macht nicht den Dichter, vielmehr hat wohl noch keiner während ihrer lebendigsten Einwirkung etwas Dauerndes geschaffen und erst nach ihrer Vollendung mag gern jeder in eignem oder fremden Namen und Begebenheit sein Gefühl spiegeln.

Waiblingen

Die Geschichten, welche hier neben der Karte von Schwaben vor uns liegen, berühren weder unser Leben, noch unsere Zeit, wohl aber eine frühere, in der sich mit unvorhergesehener Gewalt der spätere und jetzige Zustand geistiger Bildung in Deutschland entwickelte. Das Bemühen, diese Zeit in aller Wahrheit der Geschichte aus Quellen kennen zu lernen, entwickelte diese Dichtung, die sich keineswegs für eine geschichtliche Wahrheit gibt, sondern für eine geahndete Füllung der Lücken in der Geschichte, für ein Bild im Rahmen der Geschichte. Die Karte von Schwaben, wie sie Homanns Erben im Jahre 1734 herausgaben, muß noch jetzt nach so vielen Veränderungen, wohlgefallen. Diese sinnreichen Nürnberger haben alle Farben ihres weltberühmten Muschelkastens benutzt, die Grenzen der vielen Staaten augenscheinlich zu machen, auf daß ein jeder in dieser Farbenpracht den Bogen der Gnade erkennen möge, den Gott über dieses herrliche Land gestellt hatte, als er es nach freier Entwickelung durch Krieg und Friede mit der Kraft seines heiligen, deutschen Reichs für Jahrhunderte schützte. Ein mächtiger Strom, die Donau, entspringt in Schwaben, begrenzt den Erbfeind der Christenheit, den Türken. Ein anderer, der Rhein, findet erst im Bodensee seinen rechten Boden, der ihn zur Größe erzieht, wofür er die Grenze, von der er ungern scheidet, zu einer Inselwelt durchflicht. Der Bodensee selbst ein sanftes Abbild des Meeres, bezeichnet neben den Höhen eine reiche Tiefe des Landes. Wer nennt alle lieblichen Ströme, welche das Land durchrauschen! Wer nennt alle Berge von Schlössern gekrönt, von denen die Ströme entspringen, von denen die Heldengeschlechter herrschend zu den fernen Ebenen niedergezogen sind! Ganz Schwaben ist dem Reisenden ein aufgeschlagenes Geschichtbuch, hier war der früheste Mittelpunkt deutscher Geschichten und so seltsam alles umfassend die Deutschen sich später schaffend und zerstörend geregt haben, diese Vollendung in einem gewissen Sinne erreichten sie nicht wieder und so reiht sich das Bild des Unterganges unmittelbar an den Glanz der Hohenstaufen. Schöner ist das dauernde Steigen eines Landes, das in jeder Einrichtung das ungestörte Erbe der Jahrhunderte aufweisen kann, aber menschlich näher tritt uns als ein Bild des eignen Geschicks diese Berührung mit großen Hoffnungen aus früheren Tagen in einem Volke, das bewahrsam und achtend gegen seine Vorzeit in Urkunden, Erinnerungen und Gebräuchen jedem Dorfe seine Denkwürdigkeiten erhalten hat. Suchen wir auf unsrer Karte den Neckarfluß und gehen wir mit Behagen an seinem Ufer von Reben umgrünt zum Einflusse der Rems und da hinauf durchs reiche Wiesental nach Waiblingen, so befinden wir uns auf dem Schauplatze unsrer Geschichte. Waiblingen versteckt sich jetzt, wie wir von Reisenden hörten, ungeachtet es an einem Hügel hinangebaut ist, hinter umgebenden Weinbergen. Ehemals ragte am Tore ein hoher Wachtturm hinaus, der mit vier kleinen Türmchen und einem höhern in der Mitte, alle fünf mit Schiefer wohlgedeckt, der Stadt schon aus der Ferne ein wehrhaftes Ansehen gab. Dieser Turm ist die Bühne, welche den Anfang unsrer Geschichten aus den engen Verhältnissen eines kleineren Städtleins zum Seltsamen erhebt; so verdient er eine nähere Beschreibung. Die vier Türmchen traten an den vier Ecken des Mauerwerks von Werkstücken heraus, auch ein gezähnter Gang zwischen ihnen war zur bessern Verteidigung hinaus gebaut. Unter dem mittleren Turme befand sich das Wachtzimmer, in dessen Mitte eine große Wurfschleuder gegen andringende Feinde aufgerichtet war, während die Wände hinlänglich mit Armbrüsten und Harnischen behangen waren, um bei raschem Angriff gleich eine bedeutende Zahl Bürger zu rüsten. Als Wächter wurde immer ein alter Kriegsmann gelöhnt, der des Schlafes entwöhnt, mit den Seinen abwechselnd eine ununterbrochene Wacht unterhalten mußte. Auf seinem Büffelhorne zeigte er mit allgemein bekannten Zeichen an, wenn sich Not und Sorge, sei es durch Kriegsscharen und Räuber, oder durch Feuer und Wasser dem Stadtgebiete näherten. In solchem Fall kamen viel neugierige Gesellen zum Besuch, sonst mied jeder die enge Windeltreppe des Turms, der nicht besondere Freundschaft zu dem Wächter trug. Eine Winde im Wächterzimmer war zu doppeltem Gebrauche eingerichtet, sie hob in einem großen Eimer von der Stadtseite zu bestimmten Stunden seine Lebensmittel empor, und nahm in demselben Eimer von der Landseite nach dem unerbittlichen Torschluß alle verspätete Sendungen an Rat und Bürger der Stadt gegen mäßigen Lohn auf. Bei dem lebhaften Verkehr, dessen sich die Stadt jetzt als Vorratskammer der Neckarweine für Augsburg, durch Gerbereien und Ankauf von Schlachtvieh erfreute, war diese Art Nebengewinn ein Hauptunterhalt des Wächters geworden, der nach dem frühen Torschlusse mit Sehnsucht nach verspäteten Boten auf die Straße von Augsburg herunter blickte. Von Augsburg war das Tor genannt, so weit Augsburg davon entlegen sein mochte. Augsburg war damals gleichsam ein heiliger Name, weil die sichtbaren Quellen des Wohlstandes, das Geld und die Reisenden, die es brachten, von Augsburg entsprangen und nicht immer wieder dahin zurückkehrten; im zweiten Buche führt uns die Geschichte nach diesem Mittelpunkte des Handels, zu den reichen Geschlechtern, die, das neu entdeckte Amerika mitzuerobern, Schiffe ausrüsteten und die Kaiser durch Glanz und Erfindung froher Feste sich zu geselliger Freude verbanden.

Zweite Geschichte Die Reise nach Augsburg

Der Morgen war ein seliges Erwachen für den guten Berthold, die Mutter hatte es ihm schon im Schlafe angesehen, daß er sich wohl befinde, und war gleich heiter und gesprächig. Beide dachten auf schöne Gaben, die sie dem Faust verehren wollten, als die Nachricht kam, er habe sich in großem Zorn aus der Stadt fortbegeben, nachdem er am Morgen sein Nachtlager kennen gelernt, zugleich beschuldigten ihn die Leute vieler schändlicher Laster. »Wie kann ein Wohltäter der Menschen, mit der höchsten Weisheit und Gnade begabt, solch ein Saumatz sein!« seufzte Frau Hildegard. Aber Berthold, der viel in Römern und Griechen gelesen hatte, suchte ihr deutlich zu machen, wie gerade die allgemeine, wissenschaftliche Ansicht, wenn sie allein herrschend würde, die sittlichen Grenzen des einzelnen Menschen auslösche; er sehe so Mannigfaltiges, Widersprechendes geglaubt und geehrt, daß er nur den Geist achte, in welchem alles getrieben würde. Frau Hildegard schüttelte mit dem Kopfe und warnte Berthold gegen die Bücher, daß er es nicht auch einmal so treibe wie Faust, wenn er ganz gesund würde.

Wirklich hatte schon Berthold am Dreikönigstage einen Lusten zum Dreikönigsschmaus beim Herrn Brix, als die beiden Töchter, die noch immer keinen Mann bekommen hatten, ihn besuchten und dazu einluden. Sie kamen ihm diesmal ganz anders vor, die frische Luft hatte ihre Gesichter angeregt und es war ihm, als ob der Glanz von Apolloniens Augen noch auf ihnen weilte. Hätten die beiden Jungfrauen durch seine Stirn sehen können, sie hätten diese Stimmung gewiß benutzt, denn sie waren nicht freiwillig so einsam in der Welt geblieben. Aber in ihrem ruschligen, schwatzhaften Wesen übersahen sie alle Neuigkeiten an dem reichen Berthold, wie er heimlich der einen an den Arm faßte und die andre zu seinem Schranke hinzerrte, wo Zeichnungen von Orden, zum Dreikönigsfeste brauchbar, durchsucht wurden. Ja er schalt nicht, als ihm Babeli einigen Festkuchen auf die saubern Pergamentbilder krümelte. Schon nahm er sein Barett, als die Mutter eintrat und nach seinem Beginnen fragte. Es wurde ihr erzählt, sie sollte auch Teil nehmen. – »Auf einen Schmaus«, rief die Alte, »bei allen Heiligen nein, der Schneesturm brächte dir die Krankheit in die Glieder zurück, und heute schon so zu schwärmen, hieße Hundshaare auf eine kaum geschlossene Wunde legen.« – »Mutter«, sagte Berthold, »ich bin ganz gesund und was ist Gesundheit anders als der freie Gebrauch des Lebens.« – »Nein, nein«, sagte die Mutter, »du wirst schon unartig und bist kaum ein wenig aus den Windeln, daran sind die beiden Mädchen schuld; es ist gar nicht schicklich, daß sie so den jungen Leuten auf die Stube laufen.« – »Ich bin über vierzig Jahre alt, liebe Mutter«, sagte Berthold bedeutend. – »Ach lieber Gott«, riefen die Mädchen, »wir sind noch älter«, und trippelten mit Gelächter davon; wenn sie es recht bedacht, hätten sie lieber weinen mögen, aber sie waren drüber hinaus und längst mehr auf Zerstreuung und Putz, als auf Liebesabenteuer gerichtet.

Nun fragte Berthold nach Anton, seinem Gesundheitsgenossen, aber die Mutter schimpfte heftig auf den Knaben, er habe sich nicht nur recht unbescheiden im Essen und Trinken aufgeführt, sondern auch die Nacht mit Faust im Keller vertrunken, sie habe deswegen schon dem alten Sixt den Kopf gewaschen und dieser habe ihn zur Strafe nach einem armen Dorfe zum Ausmalen der Kirche geschickt. Berthold wagte nicht, seinen Vorschlag laut werden zu lassen, ihn ins Haus an Kindesstatt zu nehmen.

Mit Fingerling hatte Berthold ein ganz andres Verhältnis, jener glaubte ihm nie genug Dank für den Reichtum abstatten zu können, der durch den Schatz, eigentlich durch seine Anwendung über sie beide gekommen, er suchte Berthold an den Augen abzusehen, was ihm Freude mache. Seine Lebhaftigkeit gab ihm bei seinen weißen Haaren etwas Jugendliches, er war wie ein alter Bedienter immer in einer Art Verschwörung mit Berthold gegen die Mutter. Nie hätte diese zugegeben, daß Berthold so viel Geld für seltne Handschriften, alte Waffenstücke und andre Altertümer ausgäbe, wenn sie die Preise gewußt hätte. Aber Fingerling brachte die Sachen ins Haus, als ob sie ihm von Handelsfreunden geschenkt wären, und Frau Hildegard bedauerte nur immer den Raum, den sie einnähmen, nachdem das Haus durch die Erbschaft der Gräfin mit Gerät so dicht vollgestopft wäre. Bertholds Wonne war der Waffensaal, den er mit Fingerling eingerichtet hatte und den nur dieser mit ihm betreten durfte. Da las er ihm vor aus den Heldenbüchern, jeder Hauptheld hatte da seine Rüstung, sein eigen benanntes Schwert und der Rosengarten war eigen künstlich mit gemachten Bäumen und Blumen, welche die natürlichen übertrafen und mit Bildern von Wachs ausgeführt, so daß er die Mitte des Saals einnahm, und daß die beiden alten Spielkameraden mit den Figuren zusammensetzten, was sich an Hauptbegebenheiten im Buche zutrug. Als Berthold nun mit jedem Tage an Kraft und Gesundheit zunahm, da wurde er an einem Februarsonntage gar unerwartet für Fingerling traurig. Er konnte sich der Tränen nicht erwehren, und Fingerling mußte lange in ihn dringen, ehe er ihm die Ursache sagte, endlich sprach er: »Du mußt mich recht verlachen, gutes altes Herz, aber unsre Chriemhilde scheint mir nicht mehr so lebendig wie sonst, und Siegfried wird so steif und unbehülflich in seinem Wesen, daß ich lieber einmal selbst ihn vorstellen möchte. Besonders verdrießlich erscheinen mir aber unsre hölzernen Pferde, kein gutes Haar ist mehr daran; – ich möchte gern einmal selbst reiten, aber die Mutter darf es nicht wissen.« – Fingerling wollte ihn zur Ruhe ermahnen, weil sich das nicht so geheim treiben lasse, sonst sei er selbst, obgleich kein schulgerechter, doch ein geübter Reiter auf seinen Reisen geworden. Aber Berthold war nicht von der Sache abzubringen: »Ich kann mich nicht mehr beruhigen, seit ich Kraft in mir fühle«, sprach er, »ich möchte, daß mir etwas Ritterliches begegne, wie dem Siegfried, ich tue in Gedanken tausend Streiche in die Luft. Deine Liebe zu mir ist groß, aber du liebtest mich gewiß noch höher, wenn ich erst etwas recht Ritterliches getan hätte: Ich möchte in Verzweiflung aufschreien, daß mich die Mutter von allem Reiten, Fahren, Ringen, Armbrustschießen, Schlittschuhlaufen, wie es andre gute Gesellen der Stadt treiben, aus Furcht wegen meiner Gesundheit abgehalten hat und ich muß mich tot grämen, nun ich gesund bin, aber des Lebens und seiner Gaben nicht zu brauchen weiß.« – Da sah Fingerling, daß die Sache ihm ernstlich ans Herz griff, er versprach alles zu tun, um diese seine Sehnsucht zu befriedigen, schlug ihm auch vor, in einem großen Schafstalle vor der Stadt auf dem Hofe, den Berthold kürzlich gekauft hatte, eine Reitbahn für sie beide einzurichten, auch ein Paar gutmütige Pferde zu den ersten Versuchen aus den Ackergespannen auszusuchen. – Da fiel ihm Berthold um den Hals und konnte kaum ruhen, bis die Sache ausgeführt war, ja er schlug vor, gleich nach dem Rathause zu gehen, wo von einem Komödienspiele, worin die Waiblinger sehr ausgezeichnet waren, ein trojanisches, hölzernes Pferd stehen geblieben, um Sitz und Haltung vorläufig zu üben. So taten auch die beiden Freunde, schützten Geschäfte vor und verschlossen sich im Rathaussaale, wo das hölzerne Pferd stand. Fingerling zeigte, so gut er es wußte, wie die Zügel und der Steigbügel zum Aufsteigen gefaßt sein wolle – mit einem Schwunge saß Berthold oben und freute sich der Höhe. »Nun gebt die Spornen, dann geht's fort«, rief Fingerling, »aber haltet die Zügel, daß es nicht durchgeht, nicht zu fest und nicht zu wenig.« Auch das tat Berthold, bemerkte aber plötzlich solche Bewegung in dem Rosse, daß er die Zügel immer stärker anzuhalten für nötig fand, was aber alles nicht half, denn unaufhaltsam stürzte der stolze, von der Sonne ausgetrocknete Holzbau zusammen, Berthold an die Erde, und aus dem hohlen Bauche sprang Anton schlaftrunken, sich die Augen reibend, hervor. Fingerling half erschrocken seinem lieben Berthold auf, fragte ihn sorglich, ob er sich Schaden getan, dieser aber hörte nicht auf ihn, sah Anton verwundert an und sprach: »Ist mir's doch wie ein bedeutsamer Traum, daß du aus meiner verunglückten Ritterfahrt so froh hervorgehst; begegnest du mir vielleicht noch oft? Wie kommst du hieher? Du bist in der kurzen Zeit recht gewachsen?« – Anton antwortete mit der Bitte, seinem Vater nichts zu sagen, er habe sich vom Lande heimlich in die Stadt geschlichen, um sich einmal bei der Ratskellerwirtin, die ihm sehr gnädig, satt zu essen, und da sei er nach Tische im trojanischen Rosse zur Ruhe übergegangen, zugleich dankte er, daß sie ihn erweckt hätten, er müsse noch sechs Meilen bis zum Dorfe zurückgehen. Berthold schenkte ihm etwas auf den Weg und Anton eilte fort. »Wir geben das Reiten auf, nicht wahr?« fragte Fingerling. »Nein«, antwortete Berthold, »ich habe gefühlt, daß ich recht dazu geschickt bin, denn die Besonnenheit hat mich keinen Augenblick verlassen; aber dieses Vorfalls werde ich oft noch gedenken müssen.«

Schon am andern Morgen hatte Fingerling alles zum Reiten auf dem Vorwerke eingerichtet. Der ehrliche alte Meier war sehr verwundert und erfreut über die Seltsamkeit des Herrn, wußte aber in allem gut zu raten, da er in seiner Jugend ein wackerer Reitersknecht gewesen war, und auch die künstlichen Aufzäumungen und Zügelbewegungen, samt der richtigen Anwendung des Sporns, wie es die Rennpferde verlangen, wohl verstand und sich darüber mitteilen konnte. Als nun der Bürgermeister zuerst an der Leine im Kreise ritt, da meinte er sich unwiderstehlich nach einer Seite niedergezogen, aber er blieb dennoch mutig sitzen. Als er abgestiegen, fand er sich in allen Gliedern seltsam zerschlagen, aber er ließ sich nichts merken, weder vor dem Freunde, noch vor der Mutter. Besonders unbequem war es ihm in den nächsten Tagen, wo er heimlich anfing, zu zweifeln, ob er zu solchen Beschwerden sich gewöhnen werde. Aber der Meier machte ihm mit seinem Lobe immer frische Lust, er rühmte seinen guten Anstand, er werde sicher ein guter Reiter werden. Bald war er seinem Gefährten Fingerling überlegen, auch waren ihm bald die geduldigen Ackerpferde zu gering, die Rennbahn zu enge. Es wurden ein Paar schöne Rennpferde von einem verarmten Ritter gegen einige Stücke Tuch eingetauscht und nun beschlossen, durch ein feierliches Vorbeireiten das Schelten der Mutter zu besänftigen.

Demnach tat ihr Fingerling kund, daß an einem Sonntage ein fremder Ritter, der sehr viel kaufe, bei ihnen eintreffe, sie möchte ihm ein Mahl bereiten lassen. Das war alles geordnet und Frau Hildegard nur allein darum ärgerlich, daß ihr Sohn so lange ausbleibe, da sah sie einen stattlichen Rittermann, in voller Rüstung auf hohem Roß über den Markt traben und ging ihm feierlich an die Türe entgegen. Der Ritter ließ sein Pferd kunstreich traversieren, daß sie heimlich den Übermut des Menschengeschlechts bejammerte, auf g1attem Pflaster so brotlose Künste zu machen, dann stieg er ab, – sie blickt ihm in den offnen Helm, sie stockt in ihrem Gruß, – es ist ihr lieber Sohn, der Bürgermeister, der ihr um den Hals fällt.

Nun erst erschrak sie über seine Kühnheit, fürchtete, er würde ihr in allen Dingen ausschrammen, nachdem er solche gefährliche Kunst heimlich erlernt habe, und suchte ihn mit Scheltworten und Tränen von dieser brotlosen Kunst abzubringen. Aber Berthold hatte das alles voraus gesehen und sprach zu ihr, als er sich an den hochgeschmückten Tisch gesetzt hatte: »Seht Mutter, so ein Mahl habt Ihr mir nie bereiten lassen, wenn ich auch den ganzen Tag zum Besten der Stadt gearbeitet hatte; so ehret Ihr selbst die brotlosen Künste des Ritters und wollet mich gegen etwas warnen, wozu mein Blut mich bestimmte, und woran mich nur Leibesschwäche so lange hinderte. Ich habe bisher vor Euch wie ein umgekehrtes Panzerhemde erscheinen müssen, tatenlos und gedankenvoll, den Stahl innerlich, die Polster äußerlich, meine Welt war die Vorzeit, denn was die Gegenwart brachte, konnte mich nur erschrecken, da ich sie in keiner Art zu bestreiten wußte.« – »Ach«, seufzte Frau Hildegard, »gewiß ist der verwünschte Ehrenhalt bei dir gewesen, den ich so oft mit Geld und Gaben von dir fortgekauft habe.« – »Der Ehrenhalt?« fragte Berthold, »weiß ich doch nichts von dem Manne, was bringt er, was will er mit mir, ist er abgesandt von den Kronenwächtern? Seid ruhig Mutter, ich diene ihnen nicht, die Tränen der Mutter, der Tod des Vaters, auch Martins Tod, haben mich von ihnen geschieden. Meine Wünsche sind beschränkter, ich will nur als ein guter Bürger gerüstet und wehrhaft gegen Gefahren sein, ich will mich selbst um mein Handelsgeschäft kümmern, denn unser guter Fingerling ist zwar munter, wie ein junger Geselle, aber gar alt, er soll mich in Augsburg mit unsern Handelsfreunden bekannt machen, und darum hindert mich nicht, daß ich mit ihm gen Augsburg reite, wo der ehrwürdige, ritterliche, in allen Künsten versuchte Kaiser Maximilian einen Reichstag ausgeschrieben hat, der alle Handelsleute aus Schwaben zusammenführen wird.« – Frau Hildegard schlug in Verzweiflung die Hände über den Kopf zusammen und rief zu Gott um Rat, wie sie sich benehmen solle, ob sie den jungen Menschen in solche gefährliche, verführerische Stadt hinziehen lassen dürfe. »Die Verführung ist so groß«, sagte sie, »so ein junger Mensch ist zutulich und neugierig und wenn die Leute hören, daß er nicht ohne Mittel, da drängen sich alle an ihn, er wird ausgezogen und noch wohl gar verlacht.« – Da trat Fingerling mit kluger Rede zwischen, versprach die Fahrt mitzumachen, den Herrn Bürgermeister wie seinen Augapfel zu bewachen, versicherte, die Reise sei notwendig, weil sonst alle Webstühle still ständen, und trank auf die glückliche Heimkehr. So war die Erlaubnis zur Reise der sorglichen Mutter über den Kopf weggenommen.

Als die Zeit nahete, verwunderte sie sich, daß sie es erlaubt habe, dennoch sorgte sie fleißig für das Reisegerät und packte außer der Wäsche eine ganze Apotheke und eine halbe Küche in die Mantelsäcke, und konnte immer noch nicht mit ihren Anstalten fertig werden, nachdem schon Maximilian mit seinem prachtvollen Einzuge fertig geworden war. Endlich war der Ritt angeordnet, der Bürgermeister hatte einem Ratmann die Geschäfte übertragen, der Buchhalter sorgte für das Haus, die Pferde standen bepackt vor dem Hause, dennoch ließ sich Frau Hildegard nicht abhalten, dem Sohne noch einmal alle Warnungen einzuprägen, die sie in der ganzen Zeit gesammelt hatte, und zum Schluß suchte sie ihn noch mit der Ahndung zu rühren, als ob sie ihn nicht wieder sähe. Obgleich er diese Ahndung schon oft gehört hatte, so beschwerte sie doch sein Herz und er ritt die erste Strecke gar nachdenkend in seinem Reisemantel. Endlich wurde es ihm leichter ums Herz, er genoß der ersten Freiheit seines Lebens, und der keusche Frühling blickte mit tausend Blüten, wie mit neugierigen Augen in die geheime Sehnsucht, die ihm seit der Genesung jedes artige Jüngferchen zu einer Apollonia erhob, daß er jede ehrfurchtsvoll, aber oft anblicken mußte. Die Gesundheit hatte das Samenkorn, das bis dahin in ihm wie im Sarge geruhet, schnell zum Keimen gebracht, es sprengte das Steingewölbe, das ihn bisher umgab; er war, er fühlte sich frei und zu etwas bestimmt. Und wie herrlich glänzte ihm das Schwabenland, überall Züge von Reisenden; hier Kaufleute, die neben ihren Frachtwagen einhergingen, dort Landsknechte, die einen Hauptmann suchten, Pilger, die zu dem wundertätigen Bilde der schönen Maria in Regensburg zogen und Frauen und Männer, wie sie gingen und standen, mit ihrem Gesange fortrissen, denn es war das erste Bild unter den Deutschen, in welchem die geheime Gewalt des Heiligen mit der offenkundigen der Schönheit verbunden war. Hätte Fingerling nicht Einspruch getan, der gute Berthold wäre mit zu dem Bilde gezogen, aber der lebendige Trieb nach lebendiger Schönheit wuchs in dieser Annäherung.

In reger Geistestätigkeit, von allem angesprochen, doch ohne sonderbare Reisevorfälle, kamen die beiden Reisenden in die Nähe Augsburgs, hatten schon mit einiger Beklemmung die weite Stadt mit ihren vielen Türmen von einer Anhöhe überschaut, als Kaiser Maximilian bei der Wertachbrücke, der Kurfürst Joachim von Brandenburg auf der einen Seite, auf der andern Markgraf Kasimir, der schöne Verlobte, dessen hoher Braut entgegen ritten und dem Bürgermeister den Weg verrannten. Aus dem Gerede der voreilenden Menschen, mehr noch aus der Ähnlichkeit mit vielen Holzschnitten erkannte Berthold den Kaiser schon in der Ferne und wurde gezwungen, ihn recht in der Nähe zu betrachten, weil er von der Menge, die nicht weichen wollte, an das Geländer der Wertachbrücke angedrängt wurde. Er freute sich, wie viel milder der Kaiser aus des höchsten Weltkünstlers Hand gekommen, als aus der Hand der Maler; der Kaiser hatte wohl recht, einmal zu sagen: »Jeder, der eine lange Nase zu pinseln weiß, meint, er habe mein Bild gemacht.« Der Kaiser trug über seinem, mit Gold eingelegten Panzer einen roten, mit großen Perlen und grünen Edelsteinen gestickten Waffenrock, auf seinem Helme den zweiköpfigen Adler, der in der Krone wie in einem Neste seine Jungen ausbrütete – ein Zeichen, daß er diesmal die Nachfolge im Reiche für seinen Sohn Karl vermitteln wollte. Er ritt ein ganz weißes Roß mit leibfarbenen Nüstern und Augenwinkeln in goldnem Zaumzeuge, ein Pantherfell seine Satteldecke, das mit schweren, goldnen, betroddelten Gitterbändern um den Leib des Pferdes angezogen war. Der Kurfürst Joachim war dagegen einfach in einem Marderpelz gekleidet, sein Roß war schön, aber etwas scheu, so daß er sich manchmal von der Seite des Kaisers abwandte. Der Bräutigam, Herr Kasimir, ließ sich in einem leibfarbenen, seidenen, mit Hermelin aufgeschlagenen, mit Silber gesticktem kurzen Mantel sehen, einen grünen Kranz auf dem Haupte, aber seine Schönheit, seine Freudigkeit war sein bester Kranz, so daß ihm jeder die schöne Braut gönnte, der das unzählige Volk, wogegen alle Hartschierer zu schwach, mit Freudengeschrei entgegen jauchzte, sie recht in der Nähe zu sehen.

Sie war in ihrem Wagen so nahe an Berthold gedrängt, daß er wie einer der Fürsten zu ihrer Begrüßung entgegen geritten schien. Er sah die steigende Röte ihrer Wangen unter dem Kranze von Edelsteinen; das Klopfen ihres Herzens bebte in dem Blumenstrauße, der auf der reichen Silberwoge ihres Busens unterzusinken schien. Berthold hörte deutlich, daß sie nach Herrn Kasimir fragte, den sie bis dahin nur im Bilde gesehen, das auf ihrem Herzen an goldner Kette hing, und Berthold meinte, sie frage ihn und zeigte nach der andern Seite des Wagens, der nach beiden Seiten offen, nur oben mit goldnem Teppich gedeckt war. »Auf der andern Seite wartet seine Hoheit!« sprach er; er wußte es genau, denn ein Nachbar hatte es ihm kurz vorher erzählt. – »Dank, Dank, Ihre kurfürstliche Liebden«, sagte die Braut, Fräulein Susanna von Bayern, die ihn für den Kurfürsten Joachim hielt und sich jetzt an der Schönheit Kasimirs weidete, indem sie bescheiden die Augen mit einem Wadel von Pfauenfedern deckte. Der Bräutigam beugte vor ihr ein Knie, nachdem er vom Pferde gestiegen, die Braut reichte ihm den Mund, dann lockte sie der Kaiser auseinander, indem er in den Wagen stieg und ihnen sagte, sie würden einander noch lange genug sehen, auch sprach er: »Nicht wahr, liebe Tochter, wir haben gut gewählt, wir gedenken heut bei euch beiden, daß wir auch einmal jung waren und freiten, und in der Welt wie in einem Baum voll reifer Kirschen gegen die Sonne gedeckt zu sitzen glaubten, aber die Kirschenzeit ist kurz, am Ende beißt man mit stumpfen Zähnen die Kerne auf, die man erst weggeworfen, und die Jahre vergehen wie die Tage, sonst war mir die Sonne zu warm und jetzt zu kalt.« Er winkte zum Fortfahren und die schöne Braut reichte Berthold die Hand, als einem Verwandten, dem sie sich freute verbunden zu sein. Der Kaiser blickte sie befremdet an und fragte: »Wäre dies wohl einer meiner lieben Vettern aus Bayern, den ich noch nicht kenne?« – »Ich meine, es sei Herr Joachim, kurfürstliche Gnaden von Brandenburg, unser künftiger lieber Herr Vetter!« – »Wir irren, liebe Tochter«, antwortete der Kaiser, »dort reiten Seine Liebden von Brandenburg. Wer seid Ihr, guter Herr?« fragte er Berthold. Und Berthold antwortete noch freundlicher, von dem Händedruck erwärmt: »Der glücklichste Bürgermeister aus Waiblingen.« – »Nun du ehrlicher Schwabe«, sprach Maximilian, »Gott segne dir den Händedruck meiner schönen Schwestertochter bei deiner Frau!«

In dem Augenblicke bewegte sich der Wagen fort und Berthold versank in ein stummes Nachsehen, nicht allein, weil er gewünscht hätte, der Augenblick möchte immer und ewig währen, sondern auch, weil es ihn recht kränkte, daß er noch keine Frau besitze. Aber kaum waren die sechs Prachtwagen, die dreihundert bayrischen Ritter mit ihren Reisigen und Trabanten vorüber, so riß der unglaubliche Volksstrom den Bürgermeister aus den Gedanken und mit sich fort nach dem Felde an der Stadt. Jedermann wollte der Trauung in der Ulrichskirche beiwohnen, nur Berthold wußte nichts von der Ursache dieser Eile und widersetzte sich dem Drange, um Fingerling zu erwarten, der unbemerkt schon früher von ihm fortgetrieben war. Den Fußgängern widerstand er auf seinem starken Rennpferde, aber die Reiter, die nachfolgten, zogen ihn unwiderstehlich dem Tore zu, umsonst lavierte er von einer Seite zur andern, wie ein Schiff, das mit halbem Winde fährt, die Volksmenge trieb ihn fort, wie ein höheres Geschick. Am Tore stieg der Drang aufs höchste, denn die kaiserlichen Trabanten hinderten den Eintritt, damit Julia Peutinger, das geehrte vierzehnjährige Kind des Stadtschreibers, ihre lateinische Rede an der Spitze vieler hundert weiß gekleideter Jungfrauen Augsburgs ungestört vor der Braut halten konnte. Kaum war die Rede geendet, das Kind im Wagen der Braut aufgenommen, die vornehmsten Jungfrauen in die nächsten Häuser zur Sicherheit gebracht, während der Brautzug hereinfuhr, so schloß sich das Tor mit vieler Gewalt und die neugierige Menge war wie ein Feind ausgeschlossen. Gleich verbreitete sich der gute Rat unter dieser Menge, ans nächste Tor zu eilen, um dort noch zur Kirche zu gelangen. Da war aber große Eile wegen des Umweges nötig und um so ärger wuchs das Gedränge, Reiter stürzten, Wagen warfen um, niemand kümmerte sich darum, am schlimmsten ward einer Schar der weiß bekleideten Jungfrauen mitgespielt, die nicht Zeit gehabt hatten, sich in die Stadt zu flüchten; auf ihren weißen Kleidern war der Schmutz der bespritzten Wagen und stampfenden Rosse deutlicher zu erkennen, als auf den dunkelfarbigen oder bunten Mänteln. Während der Donner des Geschützes von den Wällen die übrige Menge immer wilder nach der Mitte des Festes hintrieb, fand Berthold sich immer lebhafter von Mitleid gegen die Verunglückten hingezogen, die um ihre Hoffnungen betrogen, Schmerz statt Lust eingetauscht hatten; dort hob er einen Gestürzten aufs Pferd, hier half er einem Wagen aus dem Graben heraus, und sah sich dabei nach Fingerling, aber vergebens um. Bei dieser Geschäftigkeit hatten sich die Leute verlaufen, es wurde ihm tausend Segen gewünscht, aber die Trauung war inzwischen vorüber gegangen, das bezeichnete der neue Donner des Geschützes von den Wällen, wie ihm einer mit Bedauern sagte.

Verdrießlich, seinen Freund nicht finden zu können, der in seinem Mantelsack alle Empfehlungsbriefe an Handelsfreunde trug, noch verdrießlicher, daß an ein Unterkommen in Wirtshäusern, wie ihm jeder versicherte, jetzt gar nicht zu denken, ließ er sein Pferd langsam den Fußstapfen der Menschen nach dem andern Tore hin folgen. Schluchzend, weil sie sich einsam glaubte, ging da eine hohe Jungfrau von kräftigem Wuchse, und besah mit Trauern ihr Kleid, an welchem die eine Seite ganz zerrissen und beschmutzt wie eine Trauerfahne erschien. Berthold fühlte sich vom Mitleide hingezogen, er ließ sein Pferd etwas schneller gehen, daß er fast an ihr vorbeigeritten wäre, wenn ihn nicht die schönen blauen Augen festgehalten hätten, die gleich Vergißmeinnicht am Bache ihre äußersten Blätter eintauchten und mit Tropfen füllten, ehe sie ihm, beschämt gesehen zu sein, die langen, vierfachen Flechten des dichten, gelbbraunen, sanft gekrausten Haares zugewendet hatte. Jetzt konnte er so recht mit müßiger Lust beschauen die Wölbung des Nackens, die breiten Schultern, die schlanken Hüften, die weißen, runden Arme, vielleicht zum erstenmal der Sonne entblößt, während die Hände von ihren Strahlen gebräunt waren, die zierlichen Füße mit hohem Spann, den edlen Gang in der Bewegung aller Falten, die gleichsam von einem edlen Tanze widerhallten. Noch saß der Kranz von mancherlei Feldblumen freudenstolz auf dem Haupte der Betrübten, deren Angesicht sich in dem Rosenbusch versteckte, welcher die Mitte des keusch geteilten Busens bezeichnete. Da war kein Mangel, kein Überfluß, sondern in dem Ebenmaß ein rechtes Bild menschlicher Zufriedenheit, alles schien an der hohen Jungfrau fest und beweglich zugleich, nirgends Zwang, alles eine schöne Gewohnheit der verhältnisreichen Gestalt. Er hätte so gern ihr Antlitz gesehen und besann sich auf eine Frage, aber er fand keine, so ritt er stumm an ihrer Seite, wendete sich zu ihr und wieder von ihr ab, wie eine Wetterfahne bei streitendem Winde, denn Apollonia fiel ihm ein, aber so blaß wie der Mond am Tage gegen diese neue Sonne seines Lebens. Er hätte weinen mögen mit ihr und mußte sich freuen, denn alles lebte in ihm mit Freude an der Welt; in solchen Augenblicken der Bestimmung zeigt sich Gott in der Herrlichkeit seiner Welt, wie auf dem Throne, jedem nach seinem Maße. So kam wie eine höhere Gabe ein Zutrauen in Bertholds Seele, daß er mit ernster Stimme zu der Jungfrau sprach: »Ich kann Euch gewiß helfen!« Sie sah ihn an, schüttelte mit dem Kopfe und sprach mit Schluchzen, das gegen ihren Willen wieder ausbrach: »Kein Mensch kann mir helfen, die Leute haben mir im Gedränge das Kleid zerrissen, was fange ich an, wir haben es zum heutigen Tage geliehen!« – Bei diesen Worten sah sie von neuem den großen Riß und mußte wieder weinen und jammerte über die Schläge, die sie von der Mutter erhalten würde, obgleich sie keine Schuld bei dem Unfall hätte, es müsse einer im Gedränge mit der Degenschnalle eingehakt sein. – Berthold versprach die Mutter zu besänftigen, er werde ihr den Drang und die Not am Tore berichten. »Ihr kennt sie nicht«, sagte das Mädchen, »auch hatte sie mir alles voraus gesagt, aber meine Lust, die fürstliche Braut zu sehen, war allzu groß, und daß ich sie gesehen habe, ist mein einziger Trost bei dem Unglück!« – Und nun erzählte sie von dem Einzuge und schien ihr Unglück etwas zu vergessen, bis sie an Häuser kamen und sie dem Bürgermeister das niedrige Dach ihres Hauses zeigte, da wollte sie in Angst keinen Schritt weiter tun, sondern sich hinter dem steinernen Brunnenbecken verstecken.

Berthold faßte seinen Entschluß, ritt voran nach dem Hause und bat die Jungfrau langsam nachzukommen, indem er sich den Namen der Mutter, welche Frau Zähringer hieß, von ihr sagen ließ. Er klopfte an das Haus und hörte sie im Hause schelten, wer sie schon wieder stören wolle; gleich trat auch eine rüstige Frau heraus, etwas stark, doch ohne davon beschwert zu sein und vom Ansehn jugendlicher, als sich bei einer erwachsenen Tochter vermuten ließ. Sie hatte wahrscheinlich am Webstuhle gesessen, denn sie hielt noch ein Schiff in Händen und fragte mit Ungeduld, was Berthold wolle. Das Ansehen, die Stimme noch mehr erinnerten Berthold an etwas Bekanntes, inzwischen achtete er nicht darauf, sondern brachte seine Entschuldigung der langsam sich annähernden Tochter in der Art vor, er sei beim Einzuge auf die Tochter gedrängt worden, und habe ihr ohne bösen Willen mit seinem Sporn das Kleid zerrissen, er biete ihr einen Gulden zur Sühne und diesen Gulden reichte er ihr zugleich dar. Der Anblick des Geldstücks löschte alle Zornglut der Mutter, sie schalt die Tochter, daß sie sich nicht mehr in acht genommen, sie sagte Berthold, daß er nicht hätte reiten sollen, wenn er sein Pferd nicht zu führen verstehe, endlich versicherte sie aber doch, weil er sie so höflich angesprochen, wolle sie diesmal nicht schmälen, doch sei es zu viel, was er ihr biete, sie wolle das Stück verwechseln lassen und ihm das Zuviel herausgeben. – »Vielleicht brauchet Ihr mir nichts wieder zu geben«, sprach Berthold darauf, »wenn Ihr eine Bitte von mir erfüllen könntet, mich für heute in Eurem Hause zu beherbergen, die Wirtshäuser sind gefüllt und alle Empfehlungen an Handelsfreunde hat ein Freund von mir bei sich, den ich im Gedränge aus den Augen verloren habe.« Die Mutter sah ihn bedenklich an und maß ihn vom Kopf bis zum Fuße. »Ich glaube Euch wohl«, sprach sie, »daß Ihr in der Stadt kein Unterkommen finden würdet, waren doch schon gestern alle Herbergen besetzt, aber ich kann Euch nicht ins Herz sehen, was Ihr für einer seid, und in dieser Zeit ist jeder auf seiner Hut; es schwärmt viel loses Gesindel umher und wir wohnen hier einsam.« – »Liebe Mutter«, sagte die Jungfrau, »er meint es gewiß ehrlich, was hätte ihn sonst bewogen, meinen Schaden auf sich zu nehmen.« – »Ich habe kein Haus, das sich zum Herbergen für Mann und Roß eignet«, sagte die Mutter. – »Im Stall ist wohl noch Platz«, sagte die Tochter, »so auch in der Giebelstube.« – »Aber wer seid Ihr?« fragte die Mutter. – »Ich bin Berthold, der Bürgermeister aus Waiblingen.« – Bei diesen Worten sah die Mutter ihn genauer an, indem sie die Hand gegen die Sonnenblendung richtete, schwieg einige Augenblicke und sprach: »Tretet ein, es sollte nun einmal so sein, seid willkommen, Anna soll für Euer Roß sorgen, ich kann mich schon schützen gegen Euch, wenn Ihr etwas Übles wollt.« – Berthold dankte, aber er gab nicht zu, daß die Tochter sein Pferd führte, er selbst führte es, sattelte es ab, hatte noch etwas Futter bei sich und füllte ihm die Krippe. Dann ging er mit dem Felleisen ins Haus, wurde in das reinliche Wohnzimmer geführt, wo zwei Leinenwebstühle standen. Er beschaute in der Verlegenheit die kleinen Bilder an der Wand und fand ein Bild von Waiblingen in deren Mitte befestigt. Die Mutter antwortete nicht auf seine Frage, wie sie zu dem Bilde gekommen, sie schien beschäftigt. Bald rief sie ihn zum gedeckten Tische, wo ihm die Tochter mit ihren runden Armen, die gleichsam mit weißen Haaren bestäubt waren, einen guten Hirsenbrei aufsetzte und eine hölzerne Kanne mit Bier dabei hinstellte und ihn zum Essen nötigte, nachdem die Mutter den Segen darüber gesprochen hatte.

Dritte Geschichte Der Becher